7. Ausgabe

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7.Ausgabe, Dezember 2012 Bremens freies Unimagazin Bremerhaven Armes Anhängsel oder aufstrebende Hafenstadt? Erbe der Exzellenz Portrait und Interview mit Scholz-Reiter Videoüberwachung Die Uni is watching you?! Traumjob? Schneiderin bei Vivienne Westwood

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7 . A u s g a b e , D e z e m b e r 2 0 1 2

B r e m e n s f r e i e s U n i m a g a z i n

BremerhavenArmes Anhängsel oder

aufstrebendeHafenstadt?

Erbe der Exzellenz Portrait und Interview

mit Scholz-Reiter

Videoüberwachung Die Uni is watching you?!

Traumjob? Schneiderin bei

Vivienne Westwood

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Inhalt

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18 Wird man an der Uni Bremen überwacht?

21 Mumie im Bleikeller

30 Schneiderarbeit bei Vivienne Westwood

Kurzmeldungen 4

Hochschulpolitik Umstrittene Asylpolitik 5

Neuer Rektor Scholz-Reiter: Portrait & Interview 6

Hochschulfinanzierung 9

Sonneborn an der Uni Bremen 12

Studierendenproteste an der Uni Bremen 13

Campusleben Erstiführer 14

Vereinbarkeit von Studium und Familie 16

Videoüberwachung an der Uni Bremen 18

Glosse: Rerefat halten 20

Bremen Bleikeller 21

Bremerhaven 22

Freiheit für Mörder 26

Website: Let‘s go outl 28

Feuilleton Disney übernimmt Star Wars 29

Interview: Schneiderin bei Vivienne Westwood 30

Reisebericht USA 32

Filmkritik: Unterwegs 34

Weltuntergang 35

Impressum

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Editorial

schen ist eher negativ geprägt. Beim genaueren Hingucken stellt sich die Frage, ob diese Meinung berechtigt ist: Ist die Seestadt nur ein armes Anhängsel, was „durchgefüttert“ werden muss, oder ist sie durch die außerordentliche Forschung und die Nähe zum Meer vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Zukunft unse-res Bundeslandes? Der Scheinwerfer hat die jüngste Entwicklung sowie das Zukunftspotential beleuchtet, um ein differenziertes Bild der Bremer Exklave zu zeichnen. Doch in jedem Fall sollte man sich als Bremer Studierender mal (mit dem Semesterticket sogar kostenlos) auf den Weg machen und sich eine eigene Mei-nung bilden.

Wir wünschen euch ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr – sofern der Maya-Kalender unrecht hat.

Seit diesem Semester steht ein neues Gesicht an der Spitze un-serer Uni. Professor Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter ist der Nach-folger des „Exzellenzmachers“ Professor Dr. Wilfried Müller. Der Scheinwerfer stellt ihn in einem Portrait vor und hat nach-gefragt, wie er das Erbe von Müller antreten wird und welche Meinung er zu den momentan präsenten Themen unserer Uni hat. Außerdem muss er sich einem massiven Unmut der Studie-renden stellen, der sich in jüngster Zeit vor allem im besetzten „Raum Dreitausendneun“ im GW2 breit macht. Denn es ist nicht verwunderlich, dass der Bremer Studierende protestierend den Kopf schüttelt, wenn an einer „exzellenten“ Uni meister-lich gekürzt wird, eine chronische Raumnot besteht und gan-ze Studiengänge gestrichen werden. Noch fraglicher ist dieser Umstand vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig die private Jacobs University in Bremen Nord jedes Jahr Finanzspritzen des Landes erhält. Der Scheinwerfer hat die Finanzierung und auch die Vorurteile gegenüber dieser Privatuni unter die Lupe genommen, damit die Debatte darüber mit fundierten Meinun-gen geführt werden kann.

Eine kontroverse Debatte wird auch über die Hafenstadt Bre-mens geführt: Während in Bremerhaven die Havenwelten er-strahlen und diverse Museen und Sehenswürdigkeiten Touristen aus aller Welt anlocken, bietet sich den Besuchern in anderen Teilen der Stadt ein sehr heruntergekommenes Bild – und das gängige Meinungsbild in den Medien und Köpfen der Men-

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Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus oder unter [email protected].

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen!

Anne Glodschei Lukas Niggel

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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen

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Seit dem 12. Oktober steht KROSSE.info für alle Netzbesu-cher online. Das Magazin, das als studentisches Projekt an der Universität Bremen begann, reiht sich schon jetzt in die jour-nalistische Landschaft Bremens ein und wird sie zukünftig on-line prägen.Ganz getreu dem Claim „Ungewöhnlich. Innovativ. Krossmedial“ wird die Redaktion von KROSSE.info den Nord-westen von nun an mit Beiträgen rund um Kultur, Lifestyle und Neuigkeiten aus der Netzwelt versorgen. Die Veranstaltungs-tipps führen Leser an ungewöhnliche Orte. Das Onlineportal ist mit den neuen Kanälen des Social Web verknüpft und lädt krossmedial zum Mitmachen ein. Alles begann im April diesen Jahres mit 30 Studenten der Uni Bremen, die die Idee hatten, ein Magazin ins Netz zu bringen, das Bremen und Umzu bisher fehlte. Nach ersten Vorausset-zungen der Projektkoordination, fanden sich die Redaktions-mitglieder in die heute bestehenden Teams zusammen, so dass aktuell in den fünf Sparten „Kulturbeutel“, „Kabelsalat“, „Krea-tivsee“, „Krossdenker“ und „KROSSE on Tour“ publiziert wird. So kross wie der Name kommen auch die Geschichten, die hier erzählt werden, frisch aus dem Ofen. Online ist das Magazin unter www.krosse.info zu finden – oder auf Facebook und Twitter!

KROSSE – das neue Bremer Onlinemagazin ist da!

Der Studienschwerpunkt „Sportökonomie“ lädt zur 1. Bre-mer Schwarzlicht Fußballnacht am Samstag, den 12.01.2013 um 17.00 Uhr, im Sportturm der Bremer Universität. Mit fluoreszierenden Farben, Fußball, Freigetränken und Mu-sik soll für alle sport- und feierlustigen Studenten ein bun-ter Abend geboten werden. Egal, ob Fußballer, Fan oder Zu-schauer, packt alles ein, was leuchtet, und kommt vorbei! Weitere Informationen, auch zur Anmeldung, findet Ihr auf Fa-cebook: Schwarzlicht-Fussballnacht.

Schwarzlicht Fußballturnier

Der AStA der Uni Bremen plant eine Erhöhung des Beitra-ges für die Studierendenvertretung. Zum Wintersemester

2013/14 soll es eine Anhebung um 2,50€ auf 12€ pro Semester geben. Als Gründe nennt das Finanzreferat die Inflation samt damit zusammenhängender Kostensteigerungen. RCDS und Linke Listen sprechen sich dagegen aus, die Stugen sind dafür.

Erste Erhöhung des AStA-Beitrages seit zehn Jahren

Am Mittwoch, den 28.11.12 hat der zweite diesjährige Se-mestergipfel stattgefunden. Die seit rund drei Jahren tur-

nusmäßig wiederkehrende Dialogveranstaltung stand diesmal unter dem Motto „Kompetenz = Präsenz + bestandene Prü-fung?!“. Eingeladen hatten Rektorat und AStA zur Diskussion über Prüfungen und das intern derzeit teilweise heftig diskutier-te Thema Anwesenheitspflicht. Daneben berichteten Professoren und Lehrende über ihre Versuche, alternative Prüfungsformen anzuwenden. Im Gespräch waren häufigere Gruppenprojekte wie auch das Anfertigen von Portfolios. Weitere Vorschläge so-wie Anregungen sollten danach an die entsprechenden Gremien weitergeleitet werden.

Semestergipfel mit Anwesenheitspflicht

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Im Rahmen einer öffentlichen Ringvorlesung lud Dr. Ste-fan Luft, Privatdozent an der Uni Bremen im Bereich Po-litikwissenschaften, “Zeitzeugen” des Asylkompromiss ein.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) und Cornelia Schmalz-Jacobsen, ehemalige Beauftragte für die Belange der Ausländer und FDP-Abgeordnete, waren geladen. Gemeinsam mit Konrad Weiß (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Günther Beckstein (CSU) sollte auf die parlamentarische Debatte aus dem Jahr 1992 zu-rück geblickt werden. Damals wurde das Asylantenrecht stark eingeschränkt. Dem Namen nach scheint der Asylkompromiss etwas Positives zu sein, suggeriert der Name doch, man habe sich friedlich geeinigt. In Wirklichkeit war er aber das Ergebnis einer langen Debatte. Dabei galt vor allem Beckstein als Hardli-ner. Er setzte sich für einen Zuwanderungsstopp ein und prägte den Begriff der unerwünschten Wirtschaftsmigranten. Am Ende stand die Eindämmung von Artikel 16 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes, beschlossen von SPD, CDU und FDP. Zuvor ga-rantierte eben dieses Gesetz, dass allen politisch Verfolgten Asyl in Deutschland gewährt werden müsse. Nach dem 6. Dezem-ber 1992, dem Tag des Asylkompromisses, dürfen Menschen, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreisen, kein Asyl mehr beantragen. Das Paradoxe dabei ist, das alle umlie-genden Länder Deutschlands als sichere Drittstaaten bezeichnet werden können, Asylanten also so gut wie keine Chance haben, hier einen Antrag zu stellen. Das Thema bildet einen Reibungs-punkt zwischen Asylgegnern und Flüchtlingsverbänden - ein gu-ter Ausgangspunkt also, um sich auf eine spannende politische Debatte zu freuen. Zu der sollte es allerdings nicht kommen. Bereits im Vorfeld haben linke Listen und linksautonome Ver-einigungen dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu stören. Ihnen war vor allem Becksteins polarisierenden Äußerungen ein Dorn im Auge. Mit Ausagen wie “Keine Luft für Beckstein” auf gro-ßen Transparenten, Trommeln und Trillerpfeifen erschienen sie dann tatsächlich zur Veranstaltung. Sogar ein Ei soll geflogen sein. Nach guten 10 Minuten musste die Veranstaltung abgebro-chen werden. Laut Veranstalter Stefan Luft wollten die Diskussi-onsteilnehmer gar nicht gehen, sahen sich jedoch dazu gezwun-gen, nachdem sie von den Protestlern massiv bedroht wurden. Unter Polizeischutz zog man sich ins GW2 zurück und setzte die Diskussion in kleiner Runde fort. Harte Worte gab es auf bei-den Seiten: Die Aktivisten bezeichneten Beckstein als modernen Faschisten, Luft konterte mit “rotlackierte Faschisten”, einem Zitat Habermas. Der Privatdozent sorgte sich weniger um den Eindruck, den die Gäste von der Uni Bremen erhalten haben. Vielmehr zeigte er sich darüber besorgt, dass es den Aktivisten gar nicht um eine fruchtbare Diskussion ging. “Das war die Fratze des Hasses”, äußerte er sich später über jene. Außerdem gibt es zu bedenken, dass sich eine gefährliche Entwicklung ab-zeichnet. “Wenn im ungeschützten Raum der Universität keine kontroversen Debatten mehr möglich sind, auf welchem Weg befindet dann unsere demokratische Gesellschaft?”

“Keine Luft für Beckstein!“Nicht erst seit Sarrazin ist das Thema Migration ein umstrittenes. Geht es dann um Asylpolitik und Bleiberecht, scheint man sich nur für oder wider, hinter oder entgegen der Politik positionieren zu können. Auch die Uni Bremen bekam das zu spüren.

Beckstein kam und es ward laut. Trommeln, Triller-pfeifen und Provokationen anstatt kritischer und sachlich harter Diskussionen. Pluralismus, Mei-

nungsfreiheit und -vielfalt unterbinden und dabei ein aggressives Potenzial jenseits des akzeptablen aufzu-weisen: Dies kann als Zustandsbeschreibung der öko-sozialistischen Faschisten gesehen werden, die eben jene Diskussionsveranstaltungen mit hochkarätigen Polit-Granden aus den Zeiten des 1992 geschlossenen Asylkompromisses sprengten. Einige ideologisch ver-irrte Militante genügen, um in einem demokratischen Rechtsstaat die wohl wichtigsten Grundrechte außer Kraft zu setzen. Nicht nur, dass hier wenige glaubten die Deutungshoheit über Gut und Böse, Richtig und Falsch zu haben und damit die Masse der interessierten Zuhö-rer entmündigte. Nein auch das untergraben einer Dis-kussion – die vor allem in einer Demokratie höchsten Stellenwert als Forum friedlichen Meinungsaustausches genießt – durch anti-demokratische Maßnahmen lässt aufschrecken. Nichts und niemand hat das Recht sich derart autokratisch als moralische Instanz zu stilisieren, doch gerade das passt zum Zeitgeist des Vegetarismus, Ökostroms und Konsumverachtens. Wir sollten schleu-nigst erkennen, dass zwei Diktaturen auf deutschem Boden genügten! Mögen diese auch unter anderen Vorzeichen gestanden haben offenbart sich in der Be-schneidung der Meinungs- und Redefreiheit sowie der künstlich erschaffenen Scheinmoralität dennoch ein Ker-nelement dieses vergangenen Despotismus. Niemand wird mir jemals verbieten meine Meinung zu äußern, mir anzuhören was andere zu sagen haben. Niemand hat mir zu sagen was ich für richtig und falsch empfinden soll, was Gut und Böse ist, was Recht und Unrecht ist! Um es mit Jürgen Habermas‘ Worten zu sagen darf deshalb nie-mand diesen „rotlackierten Faschisten“ auch nur einen Millimeter Luft zum Atmen lassen, denn zu viel steht auf dem Spiel wenn uns Unrecht als Recht verkauft werden soll: Die Freiheit eines jeden!

Keine Luft den Linken!

Text: Benjamin Reetz

Text: Marie Bornickel5

Hochschulpolitik

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selte er, dank einer engagierten Lehrerin, auf ein Gymnasium. Einige Jahre später sollte seine Herkunft ihm auch den Weg an die Universität erschweren: Während die meisten seiner Kom-militonen keine Probleme mit dem akademischen Alltag hatten und zur Not bei den Eltern fragen konnten, fiel es Scholz-Reiter anfangs schwer, akademisch zu arbeiten. Welchen Einfluss sein Lebensweg in diesem Fall auf die Öffnung der Uni hat, muss sich noch zeigen. Konkrete Maßnahmen für mehr Bildungsgerech-tigkeit an der Uni Bremen sind dem neuen Rektor zumindest nicht zu entlocken.

Heute sitzt Scholz-Reiter in seinem Büro als einer der mächtigs-ten Menschen an der Universität. Es wirkt, als wäre der Raum noch nicht zu einem zu Hause geworden. Die Wände sind weit-gehend kahl, die Bücherregale nicht vollständig gefüllt. Bunte Kaffetassen bilden die einzigen Farbtupfer auf dem schwarzen Konferenztisch. Vielleicht ist der neue Rektor noch nicht ganz angekommen. Vielleicht blitzt auch hier sein nüchterner Cha-rakter durch.

Spricht man den Rektor auf seine Wahl an, redet der lieber über die Anreihung von Gelegenheiten als über Selbige. Lange galt sein Gegenkandidat, Arnim von Gleich als Favorit für das Rektorenamt. Inoffziell hörte man aus den Reihen des Akade-mischen Senats, Scholz-Reiter sei als Gegenkandidat aufgestellt worden, damit es überhaupt eine richtige Wahl gibt. Überra-schend gewann dann aber nicht der Favorit, sondern sein Ge-genkandidat Scholz-Reiter. Anlass genug für böse Zungen zu behaupten, die Wahlberechtigten im Akademischen Senat hät-ten sich „verwählt“ und aus versehen den falschen Kandidaten zum Rektor gemacht. Der Neue äußert sich nicht dazu. “Man wird Rektor, weil andere einen fragen”, erklärt er selbst zu sei-ner Kandidatur. Wer diese anderen sind und warum sie gerade Scholz-Reiter gefragt haben, kann dieser auch nicht erklären. Er betrachtet schließlich lieber Ergebnisse als die Vergangenheit. Es scheint, als schaue der Neue ein halbes Jahr später auch in seinem Amt lieber nach vorne, als zurück. Er spricht viel von seinen Zukunftsplänen für die Universität. Wie diese gestaltet werden, muss sich noch zeigen. Das gibt Scholz-Reiter selbst zu. Er ist ja gerade erst eingezogen.

Das Zimmer befindet sich nicht in der Gallileo-Residenz und der neue Mitbewohner ist auch kein Student, son-dern Professor Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter. Seit Sep-

tember ist er Rektor der Universität Bremen und für alle zentra-len Entscheidungen verantwortlich. So liegt es zum Beispiel in seiner Hand, ob die Uni zukünftig weiter wächst oder auf ihrer aktuellen Größe stagniert. Vor allem die sichere Finanzierung der Uni muss Scholz-Reiter planen, inklusive Einsatz von Dritt-mitteln. Aber wer ist dieser Mann, der die nächsten fünf Jahre über Wohl und Unwohl der Uni Bremen wacht?

Zumindest ist er kein Fremder.,. Bereits im Jahr 2000 kam er an die Uni, als Professor im Fachbereich vier (Produktionstech-nik, Maschinenbau, Verfahrenstechnik). Dort fiel vor allem der Aufgabenbereich Planung und Steuerung produktionstechniser Systeme in sein Gebiet. Planung, Steuerung, Technik - Schlag-worte, die ohne Weiteres mit der Person Scholz-Reiter in Ver-bindung gebracht werden können. Er spricht von Evaluierungs-prozessen, fragt man ihn nach der Exzellenzinitative (siehe auch Interview in dieser Ausgabe). Prägnante Sätze liegen dem neuen Rektor eher, als verschachtelte Sprachkonstruktionen. Statt Me-taphern zu nutzen, zieht er Vergleiche zu seinem wissenschaft-lichen Métier. Nur bei einem Themengebiet gerät er ins Erzäh-len: Seinem Werdegang. Geboren in Bad Nenndorf gelangte er über Volksschule, Gymnasium, Wirtschaftsingenuieurstudium und Promotion schließlich zu IBM. Zum Computerhersteller ging Scholz-Reiter nicht, um eine Führungsposition anzustre-ben, sondern um Forschungserfahrungen sammeln zu können, so schildert er es selbst. Auch sein Bild der idealen Wissenschaft prägten die Arbeitsbedingungen im amerikanischen Unterneh-men: “So viel Freiheit hatte ich nirgendwo sonst.” Ein ähnliches Modell, mit Forschungsmöglichkeiten auch für Studierende der unteren Semester, würde er gerne in Bremen etablieren. Die Idee scheiterte am Geld, so die nüchtern-analytische Antwort des Rektors.

Es gibt noch eine zweiten Aspekt, der wichtig für Scholz-Reiters Verständnis von Universität ist und zwischen den Zeilen immer wieder anklingt: Bildungsgerechtigkeit. Er selbst stammt aus keinem Akademikerhaushalt. Bereits in der Grundschule hat er erfahren, was das bedeuten kann. In der vierten Klasse wurden Schulempfehlungen nicht nach Noten, sondern nach dem Bil-dungsstand der Eltern vergeben - Scholz-Reiter wurde auf die Volksschule geschickt. Bereits nach einem dreiviertel Jahr wech-

Der Aus-Versehen-KandidatIn den letzten Monaten kündigten Umzugswagen und WG-Einweihungspartys lautstark einen neuen Jahrgang Studierender an. Zeitgleich wurde auch in der Uni ein Zimmer neu bezogen. Auf der ersten Etage wohnt nun ein neuer Mitbewohner. Sein Einzug verlief eher ruhig, fast erstaunlich lautlos, ver-glichen mit seiner Ankündigung im Dezember an. Auch eine Einweihungfeier gab es nicht. Das mag mitunter daran liegen, dass der Neue große Festlichkeiten nach eigenen Angaben eher meidet.

Hochschulpolitik

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Text: Marie Bornickel

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Hochschulpolitik

: Zuerst einmal würden wir gern etwas über Ihren bisherigen Werdegang erfahren – den Weg zum Posten des Rektors der Uni Bremen.Scholz-Reiter: Etwas, was mir wichtig ist und mich geprägt hat, war mein schulischer Werdegang. Beim Übergang von einer Schulform auf die nächste, meist im Zuge von Empfehlungen und elterlicher Fürsorge, bin ich zum ersten Mal damit konfrontiert worden, dass Weiterkommen auch etwas mit der sozialen Herkunft zu tun hat. Das zeigte sich auch an der Schulempfehlung. Nach der vierten Klasse der Grundschule hat es die Empfehlung gegeben, danach auf der Hauptschule zu verbleiben. Allenfalls könnte ich die Realschule schaffen. Meine Eltern ließen mich dann erstmal auf der Hauptschule, wo es nach fünf Wochen zu einem Gespräch zwischen dem neuen Lehrer und meinen Eltern kam. Er teilte ihnen mit, ich sei auf der Hauptschule völlig falsch. Und nach der fünften Klasse bin ich dann auf das Gymnasium gekommen. Ab der 10. Klasse wusste ich jedenfalls, dass ich unbedingt studieren will, auch wenn ich aus keiner typischen Akademikerfamilie stamme – das waren alles Handwerker. Letztlich konnte ich meine Familie aber überzeugen und am Ende haben mich alle bei meiner Entscheidung unterstützt. Anfangs wollte ich noch Archäologie studieren. Irgendwann stieß ich durch Bekannte der Familie aber auf das Fach des Wirtschaftsingenieurwesens. Die Spreizung zwischen dem Bereich der Wirtschaft und dem Ingenieurwesen

fand ich besonders interessant und entschied mich für ein Studium in Berlin.

: Wie ist es zu Ihrer Kandidatur gekommen?Scholz-Reiter: Es ist ja nicht so, dass man darauf hinarbeitet, Rektor zu werden. Rektor wird man, weil man gefragt wird.

: Das heißt, Sie wollten ursprünglich nicht Rektor werden?Scholz-Reiter: Ich bin Hochschullehrer geworden, weil ich an Lehre und Forschung interessiert bin und nicht weil ich in die Universitätsleitung gehen wollte. Wäre ich als Wirtschaftsingenieur an einer ähnlichen Position interessiert gewesen, hätte es mich viel früher wohl eher in ein Unternehmen und dessen Führung verschlagen und nicht in an eine Universität. Ich denke aber, die Leitung einer Universität ist auch etwas anderes als eine Unternehmensführung, das ist eine besondere Herausforderung, das kann Spaß machen, gerade auch an dieser Universität, und deshalb mache ich das jetzt.

: Sie stehen ja erst am Beginn Ihrer Amtszeit. Was sind denn die Themen, die sie in den nächsten fünf Jahren angehen möchten?

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„Eine gesetzliche Festschreibung der Zivilklausel bringt keine Verbesserung.“Seit September führt Prof. Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter die Geschicke der Uni Bremen. Welche Ziele der neue Rektor verfolgt sowie ein überraschend klares Statement zur Zivilklausel offenbart sein erstes Interview mit dem Scheinwerfer.

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verstoßen würde. Dabei würde es sich aber eher um eine Art Ordnungswidrigkeit handeln, wenn man diesen Vergleich mit vielleicht dem Straßenverkehr ziehen darf, denn wir haben ja auch die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Forschung. Wir in der Wissenschaft in Bremen sind mit der Zivilklausel Vorbild und viel weiter als alle anderen öffentlichen Bereiche. Da darf man die Frage stellen, warum man sich in der Politik nicht darum kümmert, unseren Weg auf diese Bereiche zu übertragen, statt zu versuchen, die Wissenschaft per Gesetz zu gängeln.

: Heißt das, Sie lehnen eine gesetzliche Festschreibung der Zivilklausel ab?Scholz-Reiter: Ja, weil ich finde, dass das keine Verbesserung bringt. Überzeugung und Selbstverpflichtung wirkt in dieser Frage allemal mehr. Wenn es im Gesetz stünde, ist auch die Frage, ob es nicht mit dem Grundgesetz und der dort garantierten Freiheit der Forschung kollidiert.

: Können die Studierenden bei diesem Thema zukünftig denn größtmögliche Transparenz erwarten, werden Dokumente offen gelegt?Scholz-Reiter: Wir haben jetzt Regelungen, die dafür sorgen, dass es heute transparent ablaufen würde.

: Vielen Dank für das Interview.

Scholz-Reiter: Was sie jetzt erstmal immer hören werden – egal wen Sie fragen – ist, dass wir umsetzen müssen, was die Exzellenzinitiative mit sich bringt. Das sind zum Teil auch erst Vorschusslorbeeren. Ein zweiter Punkt ist, die Erfolge der Universität in der Forschung in eine Balance mit der Lehre zu bringen. Gäbe es einen Exzellenzwettbewerb für die Lehre, würde sich die Uni Bremen auch daran beteiligen. Leider gibt es das derzeit nicht. Darüber hinaus geht es um die finanzielle Grundsicherung durch das Land. Wir brauchen zumindest einen Ausgleich für die steigenden Kosten, den es bisher die letzten Jahre so nicht gab, was eigentlich Personalabbau bedeutet. Letzten Endes brauchen wir auch eine Planungssicherheit, was die Finanzen betrifft.

: Halten Sie es für realistisch, solch eine Planungssicher-heit zu erhalten?Scholz-Reiter: Das gab es früher schon mal und gibt es auch in anderen Bundesländern. Und die Gespräche, die ich bisher geführt habe, lassen mich hoffen, dass es realistisch werden wird.

: Zurück zur Exzellenzinitiative: Ihr Vorgänger hat dem Anschein nach zumindest eingestanden, dass die Initiative nicht unproblematisch sei, man aber teilnehmen müsse. Aus Interviews anderer Medien mit Ihnen geht hervor, dass Sie die Exzellenzinitiative für einen Wert an sich halten. Sehen Sie keine Kritik?Scholz-Reiter: Nichts ist perfekt. Das gilt auch für die Exzellenzinitiative. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es gelungen wäre, etwas aufzubauen, das alle Universitäten insgesamt in allen Bereichen nach vorne bringt. Deshalb ist es wichtig, Schritt für Schritt zu gehen. So ist die Exzellenzinitiative ein großer Schritt und jetzt kommen wieder einige kleine. Aber man muss den ersten Schritt doch erstmal gehen, um dann weiter zu kommen. Deshalb war sie politisch richtig.

: Im Zuge der Diskussion um die Exzellenzinitiative kam die Idee eines „Exzellenz-Watch“ auf. Was können sich die Studierenden darunter vorstellen?Scholz-Reiter: Die Idee entstand beim Semestergipfel vor etwas über einem Jahr. Dort gab es einige kritische Stimmen. Die Argumente, die dort gefallen sind, die positiven wie negativen, sind erst mal nicht belegt. Beim „Exzellenz-Watch“ handelt es sich um ein forschungsorientiertes Lehrprojekt, das sich im Fachbereich acht mit einem neutralen externen Lehrbeauftragten und im Sinne des forschenden Lernens mit den Auswirkungen der Exzellenzinitiative beschäftigen wird und das für viele Semester.

: Aus aktuellem Anlass ein letztes Thema, das sicher viele interessiert. Es geht um die Zivilklausel. Die Uni Bremen wird mit Vorwürfen konfrontiert, gegen die Zivilklausel verstoßen zu haben. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?Scholz-Reiter: Erstens sind das Fälle, die schon weit zurückliegen. Zweitens sind diese in der Gesamtschau relativ unerheblich. Und drittens, selbst wenn es gesetzlich geregelt würde, gäbe es wahrscheinlich immer Fälle, wie überall, in denen dagegen

Hochschulpolitik

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Text: Die Fragen stellten Björn Knutzen und Marie Bornickel.Foto: Katrin Pleus

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Hochschulpolitik

Herti School of Governance, International Business School, Frankfurt School of Finance & Management, Bucerius Law School und Jacobs University Bremen – all diese

Namen versprühen einen Hauch von internationalem Flair, Esprit und versprechen allem voran Jobchancen, wie sie dem Normal-Akademiker kaum in seinen kühnsten Träumen begegnen. Doch während der Ruf dieser selbsternannten privaten Spitze der akade-mischen Landschaft in den Personalabteilungen der großen Unter-nehmen wahre Freudenstürme auslöst, steht die breite Masse den elitären Bildungs-Clubs mehr als skeptisch gegenüber. Hier ent-scheide allein Papas Portemonnaie, mit welcher Zahl hinter dem Komma nach der Eins die Sprösslinge ihren Abschluss erwerben.

Für manche dieser Universitäten mag das gewiss stimmen, doch der Großteil der Privatuniversitäten wird man damit bei weitem nicht gerecht. Die meisten dieser Universitäten unterscheiden sich grundlegend von den immer wieder vorgebrachten Vorurteilen. Eines dieser Beispiele ist die im Bremer Norden ansässige Jacobs University. Gemeinsam mit der 1999 damals unter dem Namen International University Bremen gegründeten Jacobs betreibt die Universität Bremen seitdem viele weitreichende Kooperationen. Mitunter die Bremen International Graduate School of Social Sci-ence (BIGSSS), deren Auswahl als zu fördernde Graduiertenschule durch den Wissenschaftsrat eine der Grundbedingungen für den Erfolg der Universität Bremen im Zuge der letzten Runde der Ex-zellenzinitiative war (Scheinwerfer berichtete). Gestartet ist die Ja-cobs Uni mit der für eine Privatuniversität großzügigen Maßgabe, Studienplätze ausschließlich nach Qualifikation der Bewerber zu vergeben. Der finanzielle Hintergrund der Studierenden sowie der ihres Elternhauses steht dabei völlig im Hintergrund, was durch ein breit gefächertes Stipendienprogramm begleitet wird.

Damit gilt auch die Jacobs University als ein eine Privatuniversitä-ten, die in Deutschland Anfang der 2000er Jahre zuhauf gegründet wurden. Zum einen können die Gründe hierfür bei den Ausläufern des PISA-Schocks im Jahre 2001 verortet werden. Nicht nur das schulische Bildungssystem schien veraltet, sondern auch das Ho-schulsystem. Gleichzeitig bot skurriler Weise die weltweite Krisen-

bekämpfungspolitik das nötige finanzielle Kleingeld. Nachdem im Jahre 2000 die sogenannte „Dotcom-Blase“, also die Spekulations-blase Rund um die aufstrebenden Internetgeschäfte platzte, wurde dies kurzerhand mit einer Politik des lockeren Geldes bekämpft. Vor allem in den USA wurden die Druckmaschienen angeworfen und der Markt mit massenhaft Geld überschwemmt um eine Aus-weitung der Krise zu verhindern. Denn grundsätzlich gilt in solchen Krisen, dass Banken Kredite an Unternehmen dann nur mit größter Zurückhaltung und hohen Zinsen vergeben. Kredite sind jedoch für jedes Unternehmen zur investition in Zukunftsprojekte lebens-notwendig. So war schon relativ kurz nach der Krise massenhaft Geld vorhanden und lockte Investoren selbst hoch riskante Projekte anzustoßen. Die Folgen kennen wir heute, erst Immobilienkrise, dann Bankenkrise und schlussendlich eine Staatsschuldenkrise. Doch auch das Projekt International University Bremen, die einer Kooperation zwischen Uni Bremen, der Rice University in Houston und dem Land Bremen entsprang, konnte so realisiert werden. Um sich die großzügigen Zugangsvoraussetzungen leisten zu können, sollten bis 2005 circa 250 Millionen Euro Stiftungsvermögen ange-sammelt werden, aus deren Zinserträgen die laufenden Ausgaben zu finanzieren wären. Dieser Zielwert konnte bis heute nicht erreicht werden, Schuldenberge wurde aufgetürmt, Bürgschaften des Lan-des in Anspruch genommen und durch Namens-Sponsoring wur-den zusätzliche Mittel akquiriert.

Dem selbst gesetzten Anspruch bei der Vergabe der Studienplätze blieb man allerdings immer treu. Dennoch interessiert es abseits der unzweifelhaften fachlichen Expertise der Jacobs Uni, wieviel Staat in ihr steckt. Schon zu Beginn finanzierte das Land Bremen die zweite Universität im kleinsten Bundesland der Republik mit 118 Millionen Euro. Doch die „Starthilfe“ war schnell verpufft. In den Jahren 2004 (-18,4 Mio.) und 2005 (-20,9 Mio.) mussten horrende Fehlbeträge bilanziert werden und die Kredite bei Banken beliefen sich bis Ende 2005 auf 89 Millionen Euro. Zwischenzeitlich schob das Land Bremen im Jahr 2003 noch 50 Millionen, die 2013 zu-rückgezahlt werden sollten, nach und rettete die nunmehr offen-kundig zum Prestigeobjekt des Bremer Senats unter dem damaligen Bürgermeister Henning Scherf stilisierte Privatuni. Pikant ist hier-bei, dass in dessen Amtszeit noch ein weiteres finanzielles Großpro-jekt mit Subventionen unter großem medialen Echo in den Sand gesetzt wurde: Der Space-Park. Dessen Schicksal, die Schließung, blieb der Jacobs University bis heute erspart. Möglich wurde dies

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Privat versus Staat?In Zeiten des Massenandrangs an staatlichen Universitäten erlangen private Unis eine immer größere Bedeutung. Doch der Ruf dieser Institutionen ist denkbar schlecht und leidet vor allem unter dem Vor-urteil, dass sie Universitätsabschlüsse käuflich machen würde. In Bremen zeigt sich noch ein weiteres Problem, die staatliche Finanzierung einer Privatuni.

Papas Por temonnaie für den 1er-Absch lus s

Vom PISA-Schock zum Boom der Pr ivatuni s

Wievie l Staat s t e ckt in der Jacobs Univer s i t y ?

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die Fokussierung bei der Auswahl der Studierenden ausschließlich aufgrund von Kompetenz unterstützt. Zum anderen handelt es sich bei der Jacobs gerade nicht um eine der in den vergangenen Jahren dramatisch unter Verruf geratenen halbseiden anmutenden priva-ten Wirtschaftsunis. Die Jacobs beschränkt sich, im Gegensatz zu anderen Privatuniversitäten, keineswegs ausschließlich auf Wirt-schaftswissenschaftliche Studiengänge, sondern hat den Anspruch einer ganzheitlichen Ausrichtung. Dies schlägt vor allem im Bereich der Sozialwissenschaften negativ ins Kontor. Hier winken generell eher weniger hochdotierte Drittmittelgeber, was ein Mehr an finan-zieller Eigenleistung der Universität bedeutet. Doch auch dies darf durchaus nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Jacobs Univer-sity weitaus mehr Staat steckt, als man bei einer Privatuniversität vermuten sollte.

Das chronisch klamme Land Bremen leistet sich mit seiner zweiten Uni ein Luxusobjekt in Zeiten von Kürzungen im Bildungssektor. Während das staatliche Pendant unter der Umstrukturierung durch die Einführung des Bachelor- und Mastersystems ohne zusätzliche Mittel zu ächzen hatte. Gleichsam steigt seit Jahren die Zahl der Studierenden an den staatlichen Universitäten ohne, dass gleich-zeitig die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Professoren im Verhältnis dazu steigt. So kommen im Schnitt auf 19124 Stu-dierenden, die der aktuelle Rechenschaftsbericht des Rektors für das Jahr 2011 ausweist, 2218 wissenschaftliche Angestellte an der Universität inklusive jener, deren Stellen extern finanziert werden. Diesem Betreuungsverhältnis von 8,6 Studierenden auf einen wis-senschaftlichen Mitarbeiter (inklusive Professoren) steht das Be-

jedoch nur durch die mehr als großzügige Spende des Erben des Jacobs-Konzerns. So kamen der damals noch unter dem Namen International University Bremen laufenden heutigen Jacobs Uni-versity 200 Millionen Euro zu. Diese sollten bis 2011 zu jeweils 15 Millionen Euro jährlich und abschließend 125 Millionen Euro im Jahr 2011 ausgezahlt werden. Bis zum letzten Jahr wurde dies weiterhin durch jährlich 5 Millionen Euro aus der Bremer Landes-kasse begleitet. Doch obwohl der Name geändert wurde und das Jahr 2011 bekanntermaßen längst verstrichen ist, wartet die Jacobs University noch immer auf die letzte Tranche von 125 Millionen Euro. Die als Stifter fungierende Jacobs Foundation verschob die ursprünglich letztmalige Auszahlung auf das Jahr 2017 wegen der auch bis heute schlechten Zahlen der Privatuni. So wies die Bilanz des Jahres 2009 lediglich 38 Millionen Euro Eigenkapital aus. Ur-sprünglich sollte dieses Eigenkapital, das nicht zur Deckung an-fallender laufender Kosten verwendet wird, 250 Millionen Euro betragen und damit genug Zinsen abwerfen um allein durch diese Zinserträge den laufenden Universitätsbetrieb finanzieren zu kön-nen. Auch die Verluste lagen mit 24 Millionen Euro keineswegs im tragfähigen Bereich für eine Privatuniversität, die sich bereits seit Jahren aus eigenen Mitteln komplett selbst finanzieren wollte. Somit blieb die ausstehende Erhöhung des Eigenkapitals um 125 Millionen Euro vorerst aus.

Die Probleme bei der Finanzierung des Großprojektes Jacobs Uni-versity sind jedoch weitaus vielschichtiger als die bloße Mutmaßung des schlechten Managements. Zum einen deuteten Medienberich-te schon sehr früh an, dass viele der Studierenden die anfallenden Gebühren nicht zahlen können oder wollen. Dies wird auch durch

Hochschulpolitik

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Auf Fehler suche : Studiengebühren undWir t s chaf t swi s s enschaf t en

Günst l ing swir t s chaf t zu Las t en der s taat l i chen Univer s i tä t

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Hochschulpolitik

treuungsverhältnis der vom Land Bremen staatlich finanzierten Privatuniversität Jacobs University von 3,5 Studierenden auf einen wissenschaftlichen Angestellten gegenüber. Noch gravierender wird der Vergleich der Betreuungsverhältnisse, wenn nur die Pro-fessoren einbezogen werden. Auf einen Professor an der staatlichen Uni Bremen kommen dann 70 Studierende, wohingegen es an der privaten Jacobs lediglich elf Studierende sind. Stünde hier nicht das Land Bremen hinter der eigentlichen Privatuniversität, wäre der fade Beigeschmack der Bremischen Günstlingswirtschft zu Lasten der staatlichen Universität womöglich nicht so offenkundig. Dann gäbe es auch an der Jacobs University nichts auszusetzen. Doch mit der im November von Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) versprochenen Zahlung weiterer staatlicher Gelder als Ergänzung zur Finanzierung durch die Jacobs-Foundation fährt man weiter und wider besseren Wis-sens fort wie bisher. Zwar machte eine Debatte der Bürgerschaft deutlich, dass diese staatliche Finanzierung in Zukunft an Bedin-gungen geknüpft werde, wie die Senkung von Kosten durch weni-ger Professoren und die Steigerung von Einnahmen durch mehr Studierende.

Doch das wichtigste Problem im Zuge dieser undurchsichtigen Fi-nanzierung bleibt bestehen – die Geldangelegenheiten der Jacobs sind höchst intransparent. Nach Angaben der Fraktion die LINKE zur Bürgerschaftsdebatte im November, habe das Land Bremen bisher 190 Millionen Euro in die Jacobs University gesteckt. Eine ofizielle Aufstellung dieser Zahlen von Seiten der Universitätslei-

tung gibt es jedoch nicht und jeder Medienbericht verwendet hier-bei andere Zahlen. Übersichtlich, oder gar Transparent ist das nicht. Sicher ist es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Böhrnsen und Linnert „konstatieren, dass es bisher nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, eine entsprechende Transparenz für Bremen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der Universität [Anm. d. Red.: der JUB) im Betrieb zu schaffen“, doch zu nützen scheint diese Erkenntnis nicht, denn wie die Allgemeinen Studierendenausschüsse der vier staatlichen Hochschulen im Lande befürchten, handelt es sich hierbei lediglich um ein Lippenbekennt-nis.

Eine ähnliche Verschleierungstaktik nutzt das Land auch auf ei-ner anderen Baustelle. Drei Tage nachdem die Bürgerschaft auch ein zukünftiges finanzielles Engagement des Landes bei der JUB absegnete berichtete der Weserkurier, dass mittelfristig bis zu 200 Millionen Euro für die Gebäudesanierung der Universität Bremen benötigt würden. Vor allem NW1, NW2 und der Sportturm seien von so maroder Bausubstanz, dass dringender Handlungsbedarf be-stehe. Wo das Geld herkommen soll ist ungewiss, aber die Finanzie-rung der Jacobs University ist ja zumindest vorerst gesichert.

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Text: Benjamin ReetzGrafik: Katrin Pleus

Das wicht ig s t e Problem der Finanzierung: Intransparenz

Finanzierung ge s i cher t

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Über Wochen würde die Uni mit Flyern überschüttet, auf denen ein unscheinbarer Mann wie ein Messias darge-stellt wurde. Martin Sonneborn. Einst Chefredakteur

des Satiremagazins Titanic, heute Vorsitzender der Satirepartei Die PARTEI. Der Parteiführer, der mitunter durch Beiträge im Satiremagazin heute show des ZDF für bundesweite Lacher ge-sorgt hat, hat mit seinem unerschrockenen Sinn für das politisch Unkorrekte starke Popularität erlangt und massenweise Fans um sich versammelt.

Er verbindet seinen satirischen und humorvollen Charakter nun seit einigen Jahren mit der Politik, auf seine Rolle als PARTEI-Vorsitzender. Sein Credo: Mit scheinbar totaler Ernsthaftigkeit absurde und ironische politische Forderungen zu stellen. Diese weisen letzten Endes auf den Mangel an streitbarer Demokratie sowie verantwortlichen po-litischen Handelns hin und karikieren den Populismus der führenden Parteien und Politiker. Ganz im Konzept der PAR-TEI gründete sich kurz vor den letzten Studierendenrats-wahlen an der Uni Bremen die Liste: Die PARTEI – Uni Bremen. Einer ihrer ironisch-absurden „Forderungen“ lau-tet, den Hauptbahnhof an die Uni zu verlegen.

Der persönliche Kontakt einiger aktiver PARTEI-Mitglieder zu Sonneborn entstand auf einem Treffen in Hamburg bevor die Liste an der Uni aktiv wurde. Sonneborn erklärte sich schnell für eine Aufwandsentschädigung bereit an der Bremer Uni aufzutreten und kurze Zeit später stand der 9. November als Termin dafür fest. Viel mühseliger als die Einigung mit Sonne-born beschrieb Kevin Kyburz von der PARTEI Uni Bremen die Kooperation mit der Uni Bremen selbst. „Die Keksdose als Ver-anstaltungsort zu bekommen, für die Veranstaltung überhaupt werben und Getränke verkaufen zu dürfen um die die Kosten zu refinanzieren, war ein langwieriger Prozess. Ziel der Veranstal-tung soll zunächst sein, Aufmerksamkeit zu erlangen.“

Und das gelang besser als erwartet. Denn wie sehr das Konzept der PARTEI den Humor der Bremer Studenten und ihre Ein-stellung zum etablierten Politikapparat trifft, zeigt der erstaunli-che Andrang zu Sonneborns Auftritt in der Keksdose. 500 Leute haben offiziell darin Platz, mehr als 650 wurden hineingelassen und hunderte Weitere mussten wieder nach Hause geschickt werden. Aber nicht nur die Keksdose war randvoll mit erwar-tungsvollen Zuschauern, sondern zum Teil auch die Besucher

selbst. Das Bremer Bier fand diesmal ihren Weg nicht nur in die Wohnungen der Studenten und die Kneipen der Stadt, sondern in die Reihen des großen Hörsaals der Uni. Eigentlich eine an-genehm-lockere Atmosphäre, ganz im Kontrast zu anderen stei-fen Vorträgen von Parteien oder Gähn-Muskel-stimmuliernden Vorlesungen, denen eher der Automaten-Café entgegen wirkt. Mit tosendem Beifall und schallenden Jubelzurufen wurde Son-neborn bei Betreten des Podiums gefeiert. Die gute Stimmung wurde allerdings schnell von ein paar Zuschauern zerstört, die etwas übers Ziel hinausschossen und auch nachdem die Menge verstummte und gespannt auf Sonneborns Vortrag wartete, wei-ter grölten und Sprüche wie „Woa, der Macker ist so geil“ loslie-ßen. Selbst Sonneborn trat hier ein Stück weit kurz aus seiner sa-tirischen Rolle und und versuchte die Proleten zu disziplinieren.

Nachdem Sonneborn die Besucher begrüßt hatte und schnell für die ersten Lacher sorgte, wurde sein weiterer Auftritt eigentlich von einem Anderen bestritten: Dem universitären Beamer der Keksdose. Bilder und Videos von dem Satiremagazin Titanic, der PARTEI und der heute show. Unbestritten witziges, bissiges, gesellschaftskritisches, politisch-satirisches Material, das hier auf die fast kinogroße Leinwand geworfen wurde. Er kommentier-te dieses teils mit spontanen Einfällen und teils mit bereits be-kannten Sonneborn-typischen Ausdrücken und Parolen. „Hier die Funktionäre der Partei im Parteianzug von C&A für 49,90 Euro“, so Sonneborn zu einem Werbeplakat seiner Partei. An-sonsten entstand der Eindruck, dass er während seinen Kom-mentaren in seiner Satiredatenbank seines MacBooks browste und je nach Gefühl, auf eine weitere Datei klickte, die dann über den Beamer zu sehen war. Das Publikum lachte. Begeisterte und jubelnde Zuschauer feierten den Satiriker. Zwischendurch ließ Sonneborn auch das Publikum fragen stellen. Diese waren meist selbst ironische und satirische Fragen, dessen Charakter Sonneborn nur bedienen musste. Anders als jeder andere Politi-ker, der sich bei Vorträgen stets kritischen, unangenehmen Fra-gen stellen muss. Sonneborn hat es als vermeintlicher Politiker geschafft einen Starcharakter zu erlangen. Fans ließen sich nach dem Auftritt stolz mit ihm zusammen knipsen, bis Sonneborn sich irgendwann erschöpft nach dutzenden Fanfotos zurückzie-hen musste. Erstaunlich, wie wirkungsvoll sein Auftritt trotz mangelndem Aufwand, Vorbereitung und Engagement ist.

Sonneborns Humor und Konzept trifft den Zahn der Zeit einer politikverdrossenen Demokratie, die es Leid ist, von machto-rientierten, glatten Politikern in einer krisengebeutelten Zeit regiert zu werden. Es ist damit zu rechnen, dass die PARTEI der Uni Bremen bei der nächsten Studierendenratswahl mehr Stimmen holen wird.

Sommer, Sonne, SonnebornWarum die Keksdose aus allen Nähten platzt, wenn Martin Sonneborn das Podium betritt.

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Text und Foto: Lukas Niggel

Martin Sonneborn in der Keksdose.

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Hochschulpolitik

Es sind schon einige Wochen vergangen, seit universitätseigene Flyer mit geschwellter Brust den Sieg in der Exzellenzinitiative verkündeten. An ein Mittagsessen war nicht zu denken,

ohne den Hinweis, das Rektorat und Hochschulangehörige sich für den Erfolg beglückwünschten. In den vergangenen Wochen lagen dann andere Flyer aus. Weniger Glanz, mehr Rot und aus der Exzellenz der Uni Bremen wurde das Protestwort „Exkrement“. Bei jenen Handzetteln handelt es sich um den Beitrag von Studierenden aus dem Bereich verschiedener Kunststudiengänge. Ihr Protestwort macht deutlich, was sie von den derzeitigen Verhältnissen an der Uni halten und gegen wen sich ihr Unmut richtet. Während die Exzellenzinitiative der Universität eine herausragende Forschung attestiert, soll an anderer Stelle gekürzt werden. Auf Einladung der kürzlich zurückgetretenen Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) kam am 20. November der Wissenschaftsrat (wichtigstes wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesrepublik) höchstpersönlich nach Bremen, um nach Möglichkeiten von „Synergie-Effekten“ Ausschau zu halten. Etwa 200 Protestierwillige entschieden sich aber dazu, die Begehung zu stören. Auch Weser Kurier und TAZ berichteten zeitnah über die Ereignisse. Dabei sollte es darum gehen, Wissenschaftsrat und Studierende auf Probleme der Uni hinzuweisen.Es geht um zu enge finanzielle Spielräume und Probleme fehlender Räume. Aus diesem Grund entschlossen sich am gleichen Tag auch einige Studierende, den Raum zu nehmen, den sie ihrer Meinung nach brauchen. Wie auch beim damals eher international ausgerichteten Bildungsstreik von 2009 wurde einer der großen Räume im GW2 besetzt. Diesmal handelt es sich um den Raum B3009. Anders als damals wird vor Ort jedoch nur ungern vom „besetzten“ Raum gesprochen, bevorzugt wird der Begriff des „offenen Studierraumes“. Dies habe, so erklärt eine Studentin, die sich von Anfang an im Protest engagiert, schon historische Gründe. Die großen Räume seien zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts ursprünglich als für die Studierenden offene Studierräume konzipiert gewesen. Erst die Raumnot habe es nötig gemacht, dass dort mittlerweile auch Vorlesungen und Seminare stattfinden. Derzeit erfüllt er für die Protestler verschiedene Funktionen, wird wahlweise für selbst organisierte Workshops, Diskussionsrunden, aber auch als Anlaufstelle für alle Interessierten genutzt. Wie lange das noch möglich sein wird, darüber herrscht Uneinigkeit. Nach zwei Wochen voller Aktionen, in denen die Studierenden auch dort übernachteten, fehlt es oft an Kraft und an Erfahrung.Während viele Studierende den Protest eher als destruktiv wahrnehmen und unter anderem kritisieren, dass durch die Besetzung Veranstaltungen ausfallen, verwahren sich die Aktiven gegen diese Bewertung. Es gehe schließlich um Probleme, die alle betreffen, ist aus einer Runde Aktiver zu hören. Über fehlende oder zu kleine Räume werde uniweit geklagt. In den Diskussionen innerhalb des Raumes wird zwar deutlich, dass noch keine Einigkeit darüber besteht, ob wirklich Räume fehlen oder die Problematik

nur falscher Organisation geschuldet ist. Jedoch scheinen sich alle darin einig zu sein, dass Protest nötig ist, um diese und andere Fragen zu klären. Auffällig ist, dass bereits im Bildungsstreik von 2009 die Raumnot ganz oben auf der Liste stand. Ansonsten gibt es aber auch einige Unterschiede zwischen den Studierendenprotesten an der Uni Bremen im Jahre 2009 und 2012. Damals handelte es sich um einen dezidiert antikapitalistischen Protest, der sich nicht auf die Universität beschränkte, sondern nach ersten Besetzungen in Wien auch global verstanden werde wollte. Der aktuelle Protest ist aus anderem Unmut geboren. Der nämlich besteht hauptsächlich in der als paradox empfundenen Situation, an einer als exzellent ausgezeichneten Einrichtung mit Raumnot und Kürzungen konfrontiert zu werden. Ein weiterer Unterschied ist, dass der Raum im Zuge des Protests zwar in Beschlag genommen wurde. Anders als damals will man aber allen Dozenten und Studierenden weiterhin ermöglichen, ihre Veranstaltungen dort abzuhalten. Auch wenn die Bereitschaft dazu relativ gering ist.Ein erster Eindruck zeigt, dass es nach wenigen Wochen noch keinen Masterplan gibt. Konkrete Forderungen finden sich kaum und Strukturen sind erst dabei sich auszubilden. Das verwundert jedoch nicht, sind doch die meisten Beteiligten nicht Hochschulpolitiker oder selbsternannte Revolutionäre, sondern ganz normale Studierende. Für die meisten unter ihnen sind dies die ersten politischen Erfahrungen. Ob dieser Protest Erfolge zeitigt, wird allem Anschein nach aber maßgeblich nicht von den derzeitigen Besetzern abhängen. In den Diskussionen ist zu hören, dass man alle Studierenden erreichen wolle. Von „abholen“ ist die Rede und davon, dass es erstmal um die persönlichen Probleme aller Studierenden gehe. Und immer wieder gibt es Kritik an Dozenten und am Veranstaltungsbüro. Denn letzterem scheint seine Aufgabe nicht immer zu gelingen, wozu beitragen mag, dass viele Dozenten nicht melden, falls ein Raum doch nicht benötigt wird. So zumindest ist es in den Gesprächen zu hören.Der besetze Raum ist indes ein „Raum für alle“. Worüber 2009 noch gestritten wurde – ob man dann nicht auch für Rassisten und Sexisten offen sei – steht als einladende Bezeichnung im Jahr 2012 ganz unproblematisch über den Türen. Ob der Protest in dieser Form sinnvoll ist, muss jeder selbst entscheiden. Ein offener Blick in den offenen Raum schadet aber offensichtlich nicht.

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Raum für ProtestDer Boulevard wird frisch saniert und die Exzellenz überstrahlt den Campus. Dem An-schein nach ist alles gut an der Uni Bremen und doch wird wieder protestiert.

Text: Björn KnutzenGrafik: Raum Dreitausendneun

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Jeder kennt diese Situation: Neu, womöglich sogar zum ersten Mal überhaupt, an einer Uni kann es schon mal passieren, dass vieles auf den ersten Blick verwirrend wirkt und man sich verloren fühlt. Unser Ersti-Lexikon soll helfen, sich an der Uni Bremen zurechtzufinden und sie ein bisschen besser kennenzulernen.

Das Uni-Bremen Ersti-Alphabet

Katarina, 19, Inklusive Pädagogik:„Ich habe mich wegen des Studiengangs für die Uni Bremen entschieden, mit der Doppelqualifi-kation wird das nur hier angeboten.“

Gabriel, 20, Jura, Erasmusstudent aus Frankreich:„Was mir hier aufgefallen ist, ist dass die Vorlesungen eher ein Dialog zwischen Professor und Studenten ist, in großen Hörsälen wird dann teilweise richtig laut geschri-en. In Frankreich gibt es so etwas nicht.“

Carolin, 18, Inklusive Pädagogik:„Die Tischkreise unten in der Cafeteria im GW2 sind mein Lieblingsplatz an der Uni. Das aufregendste was ich bisher hier erlebt habe war der festliche Studien-auftakt, unter anderem weil die Uni da so viel kritisiert wurde und viel protestiert wurde.“

Akademisches Viertel: Als Ersti glaubt man es kaum und ist „sicherheitshalber doch lieber um Punkt da“.Aber keine Sorge: wenn auf dem Stundenplan 8 Uhr steht, dann fängt vor viertel

nach nichts an. Also lieber eine Viertelstunde länger schlafen!

Bafög: Der neue beziehungsweise der folgende Bafög-Antrag wird immer im Juni eingereicht. Wichtig zu beachten ist, dass man die Kontoauszüge der Versicherungen rechtzeitig, aber auch

nicht zu früh einfordert. Diese dürfen nicht älter als zwei Wochen sein, wenn man den Antrag beim Amt für Ausbildungsförderung abgibt. Außerdem ist zu beachten, dass man nach dem 4. Semester 90 Credit Points mit dem Formblatt 5 nachweisen muss. Das kann schwierig werden, wenn man in

einem Kurs durchfällt. Also rechtzeitig genug General Studies-Kurse belegen und die Scheine immer schön beim Prüfungsamt einreichen und sicherheitshalber für die eigenen Akten kopieren.

Cafeteria GW2: Schnell man `nen Käffchen, ein Brötchen

oder `nen Schokoriegel: In der Cafete unten im GW2 ist man gut aufgehoben. Neben vielen Snacks, die man einigermaßen günstig erwerben kann, gibt es hier mittags auch was Warmes, allerdings weniger Auswahl und auch etwas teurer als in der Mensa. Dafür aber sehr lecker und auch später als viertel nach 2 zu kriegen!

Durchmachen. Im Studium muss auch ab und zu eine Nacht mal dran glauben…aber macht euch keinen

Kopf, jeder schreibt mal eine Hausarbeit oder ähnliches am letzten Tag oder in der letzten Nacht vorm Abgabetermin.

Exzellenz. Seit Juni 2012 ist die Uni Bremen offiziell Elite-

Universität, sie ist eine Gewinnerin der Exzellenzinitiative von insgesamt 11 Universitäten deutschlandweit. Mit dieser Auszeichnung wurde die Forschung der Uni in bestimmten Bereich anerkannt und gelobt, und außerdem stehen der Uni jetzt neben hohem Ansehen mehr Gelder zur Verfügung. Ob aber alles wirklich so rosig aussieht, wie es sich anhört, darüber wird heftig diskutiert.

Flohmarkt: Jeden Samstagvormittag an der Schlachte findet ein Flohmarkt statt, auf dem von Fahrrädern über Lampenschirme und Küchenutensilien bis hin zu Taschen, Schuhen

und Kleidung alles zu finden ist – meistens zu einem guten Preis. Sonntags finden Flohmärkte außerdem entweder auf der Bürgerweide oder im Hansa-Carré statt. Stöbern lohnt sich!

General Studies: Eine gewisse Anzahl von Credit Points – wie viele genau hängt vom Studiengang ab – muss durch Kurse/Seminare/Workshops etc.

erbracht werden, die nichts mit dem eigentlichen Studienfach zu tun haben. Von Studiengang zu Studiengang ist auch unterschiedlich, ob und wenn ja, wie viele der General Studies CP benotet sein müssen. Ihr könnt also zum Beispiel an Vorlesungen oder Seminaren teilnehmen, die euch interessieren, oder

Bianca, 18, Inklusive Pädagogik:„Ich finde es an der Uni relativ chaotisch, weil hier so viele Leute sind und nicht immer alles organisiert ist, aber insgesamt gefällt es mir hier gut!“

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CampuslebenCampusleben

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Julia, 20, Inklusive Pädagogik: „Die Uni finde ich sehr groß, unübersichtlich und unpersönlich. Ich muss mich aber auch erstmal an das Studentenleben gewöhnen, bin noch eher an die Schule gewöhnt: Hier muss man sich viel selbst erarbeiten, aber man muss auch nicht immer und überall alles mitkrie-gen. Die ‚Take it easy’ – Einstellung ist wichtig!“

Alex, 20, Germanistik, Erasmusstudent aus England: „Das Klopfen am Ende der Vorlesung finde ich komisch, bei uns gibt es das höchstens in der Abschlussvorlesung.“

Keno, 23, Politikwissenschaft: „In Bremen gibt es keine Studiengebühren, es liegt mitten in Niedersachsen und man kriegt ein schönes Semesterti-cket. Insgesamt habe ich vom Geschehen hier einen guten Eindruck, besonders von den Leuten: In der ersten Woche habe ich in der Mensa mein Portemonnaie mit allem d’rin vergessen, aber zum Glück saßen nette Studenten mit am Tisch und so habe ich es wiederbekommen.“

Jonas, 19, Soziologie:„Das witzigste was mir bisher hier passiert ist, war als ich in der O-Woche über den Boulevard gegangen bin und sich ganz viele Leute für eine Kleiderkette ausgezogen haben.“

Workshops von der Studierwerkstatt machen etc. Spannend wird es, wenn es zur Anerkennung der CP‘s kommt. In der Regel besorgt ihr euch zuerst einen GS-Schein eures Fachbereiches, den ihr dann vom Dozenten der Veranstaltung unterzeichnen (und eventuell eine Note eintragen) lasst. Dann muss der Schein zu den Verantwortlichen eures Studiengangs, die einen Stempel daruntersetzen und ihn ebenfalls unterzeichnen – und jetzt kann er zu den für euch zuständigen PABO-Mitarbeitern und eure Leistung wird offiziell anerkannt.

Hochschulsport (kurz Hospo): Auch in Bremen wird Sport für die Studenten und Beschäftigten der Uni angeboten. Jedes Semester gibt es ein sehr großes Angebot: von

Aquafitness über Drachenfliegen und Speed-Badminton zu Zumba bleiben keine Wünsche offen. Für einen geringen Beitrag kann sich hier jeder austoben. Einziger Haken: die Anmeldung. Pro Semester gibt es einen Termin, ab dem die Online-Anmeldung möglich ist, und wer viel später kommt und an einem beliebten Kurs teilnehmen möchte, hat so gut wie keine Chance. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst – aber zum Glück gibt es ja noch die Warteliste. Wer es dennoch nicht in einen Kurs schafft, für den gibt es auf der Homepage des Hospo eine Übersicht über alle noch freien Plätze.

Immatrikulation: Dieses komplizierte Wort bedeutet schlicht und einfach Einschreibung. Mit der Immatrikulation ist man Teil der Hochschule, man wird

dann in der Universitätsmatrikel (ein Verzeichnis) geführt. Wichtig ist die jeweilige Matrikel-Nummer, denn ohne diese sieben Ziffern ist man verloren, ob bei Pabo, bei Klausuren oder ähnlichem. Es ist daher immer gut sie auswendig zu wissen!

Job: Es kann vorkommen, dass man studiert und studiert und doch nicht so richtig weiß,

wo man landen wird. Oder man weiß es ganz genau, findet aber nicht die passende Stelle oder ein gutes Praktikum: Auch hierfür bietet die Uni die richtigen Ansprechpartner. Viele Fachbereiche haben eigene Praxisbüros, die bei der Suche helfen und beraten; studiengangsübergreifend arbeitet das CareerCenter auf dem Boulevard.

Keksdose: Der größte Hörsaal auf dem Campus der Uni

Bremen, zu finden am östlichen Ende des Boulevards. Es gibt zwei Geschichten, wie der Hörsaal zu seinem Namen (den sogar Professoren benutzen!) gekommen ist. Der eine: weil er so groß ist und sich jeder Student vorkommt wie ein kleiner Keks in einer großen

Dose…oder manchmal sogar wie ein Krümel. Außerdem haben Geograpfiestudenten einmal festgestellt, dass der Hörsaal von oben aussieht wie eine Keksdose.

Lagerhaus: Das Lagerhaus ist ein Kulturzentrum mit sehr breit gefächerten und unterschiedlichen Projekten und Events. Zudem

ist es ein beliebter Treffpunkt im Bremer Viertel für das ein oder andere Bierchen am Abend und bei vielen Studiengangs-Treffen. Weitere wichtige Locations für das Abendleben der Bremer Studenten sind die Lila Eule, eine eher alternative Disco unweit vom Lagerhaus auch im Viertel, und der Magazinkeller (unter dem Schlachthof, Bürgerweide); hier finden häufig Partys statt, die von den verschiedenen Stugen organisiert werden. Eintritt beläuft sich meistens auf sehr wenig bis gar nichts, und auch das Bier oder Kurze kann man sich hier gut leisten!

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Campusleben

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Mensa: Die Mensa auf dem Boulevard ist

der Hauptanlaufpunkt fürs Mittagessen. Zwar kann man beispielsweise auch in der GW2-Cafeteria, im Unicum oder im Uni-Biss speisen, aber die Mensa bietet die größte Auswahl an Essen, und vor allem auch am meisten

Platz. Neben dem obligatorischen Essen 1 für 2,20€ gibt es immer ein günstigeres Essen 2, ein vegetarisches Gericht, eine Suppen- und Auflaufauswahl, Pommes, Burger, Pizza, und neben der Beilagentheke und der gut bestückten Salatbar auch immer ein etwas teureres Gericht für Genießer. Der aktuelle Speiseplan ist auf den Seiten des Studentenwerks online zu finden, oder auch in manchen Smartphone-Apps wie beispielsweise MensaJäger oder der Uni Bremen App.

Noten: Leider muss auch an der Uni in fast jedem Modul die erbrachte Leistung mit einer Note vom Dozenten bewertet werden. Noten gibt’s von 1 bis 6. 4,0 ist

noch bestanden. Hinter dem Komma kann nicht jede Zahl stehen, es gibt bestimmte Intervalle: Komma 0; Komma 3 und Komma 7.

Onkel Walter: Billigster Kaffee an der Uni! Für nur 60 Cent kann man hier das Heißgetränk mit und ohne Milch und Zucker erwerben. Daneben gibt es in

dem gemütlichen Kiosk auch noch alles, was man so braucht: Von verschiedenen Schokoladensorten über Fertiggerichte hinzu Batterien und Tampons – bei Onkel Walter ist man in der Not gut aufgehoben.

PABO: Pabo steht kurz für Prüfungsamt Bremen Online und ist für das Studium unumgänglich. Für alle Prüfungen (egal ob Klausur, mündliche Prüfungen,

Hausarbeiten etc.) muss man sich während eines bestimmten Zeitraums – dieser wird häufig von den Dozenten mitgeteilt – anmelden, und im Normalfall, falls man sich doch gegen die Klausurteilnahme entscheidet, auch wieder abmelden, sodass die nicht geschriebene Klausur nicht als Fehlversuch gilt. Um sich für Prüfungen online an- und abmelden zu können braucht man eine TAN-Liste, die man auch beim Prüfungsamt bekommt. Über den Zeitpunkt für das Abholen der Listen wird man normalerweise informiert – allerdings ist dies auch aufgrund einer sehr großen Menschenschlange, die sich dann vor dem Prüfungsamt bildet, nicht zu übersehen. Das Prüfungsamt ist neben der Mensa auf dem Boulevard ansässig und dort auch zu den Sprechzeiten erreichbar – letztere fallen allerdings leider etwas dürftig aus. Dies führt zu großem Studenten-Ansturm. Alsobei einem Pabo-Besuch immer genug Zeit mitbringen! Je nach Studiengang sind andere Sachbearbeiter des Prüfungsamtes für euch zuständig: Team A, B oder C. Zu welcher Gruppe ihr gehört könnt ihr im Internet nachgucken oder auf einer Liste, die an der Tür zum Prüfungsamt hängt.

Qualität: Oberstes Ziel der Lehre an der Universität Bremen ist hohe Qualität der Lehre und Forschung. Die Uni gibt sich alle Mühe, Qualität zu erschaffen und vor

allem auch zu halten. So gibt es beispielsweise in vielen Fachbereichen die sogenannte Kommission Q, in der Mitarbeiter, aber auch Studierende vertreten sind, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Eine ganz wichtige Rolle spielen bei der Qualitätssicherung aber alle Studenten: Am Ende vieler Veranstaltungen wird um eine Evaluierung gebeten, meistens findet dies online bei stud.ip statt. Durch die Auswertung der Evaluierung können die Dozenten sehen, was gut und was eher nicht so gut war, und letzteres bei der nächsten Veranstaltung besser machen.

Ruhe bewahren - auch wenn man mal den Raum nicht findet oder aus irgendwelchen anderen Gründen in Panik gerät. „Probier`s mal mit Gemütlichkeit….“

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Lena, 21, Soziologie: „Mir gefällt es hier sehr gut, entschieden habe ich mich für die Uni Bremen, weil es hier keine Studiengebühren gibt, die Stadt schön ist und auch weil die Uni ja jetzt exzellent ist. Außerdem ist es nicht zu weit von zuhause weg, sodass man über das Wochenende auch mal Familie und Freunde besuchen kann.“

Max, 23, Politikwissenschaft: „Ich komme aus Bremen und studiere hier, weil es keine Studiengebühren gibt. Vorher habe ich in Dresden studiert, im Vergleich muss ich aber sagen, dass es hier unorganisier-ter und dreckiger ist, außerdem sind die Räume schlechter.“

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StugA: Steht für Studiengangsausschuss – also das, was an anderen Universitäten Fachschaft heißt. Die StugA-Leute sind eure studentischen Vertreter

und haben die Aufgabe, zwischen den Studenten und dem Lehrpersonal zu vermitteln, d.h. sie sitzen in verschiedenen Ausschüssen und Gremien, haben dort ein gewisses Mitbestimmungsrecht und wenden sich an den oder die Verantwortlichen, wenn Beschwerden oder Vorschläge von Studenten kommen. Der StugA organisiert aber auch unterschiedliche Veranstaltungen für die Studenten des jeweiligen Studienganges, wie beispielsweise die O-Woche für Erstis, Weihnachtsfeiern, Sommerfeste und –na klar- Partys. In der Regel sind neue Leute immer mehr als willkommen!

Tutorium: Ein Tutorium wird ergänzend zu einer Vorlesung angeboten, meistens von Studenten höherer Semester. Hier wird Stoff der Vorlesung

wiederholt, in Ruhe besprochen und teilweise auch vertieft. In der Regel ist es keine Pflicht, Tutorien zu besuchen, häufig aber sehr hilfreich.

User: User im stud.ip zu sein ist für Studenten der Uni Bremen unabdinglich. Hier meldet man sich für Vorlesungen an, Dozenten laden Vorlesungsfolien und Literatur hoch,

und neben dem persönlichen Stundenplan findet man hier auch ein schwarzes Brett, auf dem von Studenten für Studenten beispielsweise Bücher, Möbel, Nebenjobs oder Mitfahrgelegenheiten angeboten werden.

Vorlesungsverzeichnis: Häufig auch Veranstaltungsverzeichnis. In diesem Verzeichnis (online unter Studium auf der Uni Bremen-Seite)

sind alle Veranstaltungen des jeweiligen Semesters mit Kennungsnummer, Dozentenname, CP-Angabe, Raum, Uhrzeit und häufig auch einer kleinen Beschreibung zu finden.

Webmail: Jeder Student der Uni Bremen erhält mit seiner Immatrikulation einen E-Mail-Account beim Zentrum für Netze der Uni Bremen. Am Anfang wirkt diese immer w i e

aneinandergehängte kryptische Zeichen, weil sie eurer s-Kennung entspricht; man kann sie aber, ebenso wie das Passwort, in einen Wunschnamen ändern lassen. Außerdem kann man sich Mails, die man auf der uni-bremen.de-Adresse empfängt, weiterleiten lassen an eine andere E-Mail-Adresse, sodass man keine Mail verpasst.

Xanthippe: Wie, ihr wisst nicht, was das heißt?? Keine Bange, wenn einem mal das ein oder andere Fremdwort unterkommt, mit dem ihr nichts anfangen könnt:

einfach in die Bibliothek gehen. Hier gibt es erstens genügend Lexika, in denen nachgeschlagen werden kann (und natürlich jegliche andere Bücher), außerdem kann man hier täglich für zwei Stunden einen PC mit Internetanschluss benutzen. Die Bib eignet sich auch gut zum Lernen, Hausarbeiten schreiben und ähnlichem, und wenn ein Buch mal nicht vor Ort ist, ist es kein Problem, dieses über die Fernleihe zu bestellen. Xanthippe heißt übrigens zänkisches Weib, benannt nach der Frau des Sokrates.

Yohimbin: Eine kleine Aufgabe für den nächsten Besuch in der Bibliothek.

Z ähne zusammenbeißen: Auch wenn es manchmal nicht danach aussieht – irgendwie haut immer alles hin.

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Text: Katharina RedanzFoto: Greta Gregor

André, 20, Politikwissenschaft: „Die Uni Bremen war die einzige Möglichkeit für mich, des-wegen bin ich jetzt hier. Mein Eindruck ist positiv, manch-mal vielleicht etwas unorganisiert.“

Sergey, 22, integrierte Europastudien: „Die Stadt und der Studiengang gefallen mir ganz gut und sind interessant, außerdem sind die Leute sehr nett. Ich finde gut, dass man so viel wählen kann und nicht ganz fest an etwas gebunden ist, das ist in Russland anders. Manch-mal ist das aber auch schwer zu verstehen und es ist nicht ganz einfach den Stundenplan zu erstellen.“

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Das aus dem Griechischen stammende Wort „Panopti-kum“ hat nicht erst seit der schulischen Interpretation von Kafkas „Prozess“ einen gewissen Beiklang in der

alltäglichen Wahrnehmung. Übersetzen lässt es sich sehr grob als „Alles sehend“. Das Wort findet heute in verschiedener Form Verwendung. Als „panopticon“ bezeichnet es ein gefängnisar-chitektonisches Konzept des britischen Philosophen Jeremy Bentham. Das Prinzip dahinter ist denkbar simpel: Um einen zentralen Punkt herum, an dem sich der Wächter befindet, sind die Gefängniszellen bogenförmig angeordnet. Ein Strahler, der die Zellen beleuchtet und aus Sicht der Insassen für Gegenlicht sorgt, verbirgt den Wächter. In ständiger Ungewissheit darüber, ob der Wächter sie beobachtet, ließen sie abweichendes Verhal-ten bleiben. Das war zumindest die dahinter stehende Hoff-nung. Im Unterschied dazu sind öffentliche Videokameras oft sichtbar, auf die Überwachung wird bestenfalls und im Rahmen rechtlicher Bestimmungen hingewiesen. Doch in der Realität ist Vielen gar nicht bewusst, wo sie überall auf Kameras treffen. Was das für die vermeintlich ab-schreckende Wirkung be-deutet, sei dahingestellt. Trotzdem oder gerade des-halb heizen Datenschützer und Überwachungskritiker die Debatte zwischen Si-cherheit und Freiheit mit oft abstrusen Beispielen an. Andere entwerfen ganz realistische Szenarien und fragen laut, ob es Londoner Verhältnisse braucht, die immer wieder offen ange-prangert werden. Dass öf-fentliche Räume überwacht werden, ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Insbe-sondere in so genannten sozialen Brennpunkten akzeptiert sogar so manch scharfer Kritiker die Überwachung – solange sie im rechtlichen Rahmen liegt. Wie aber ist das in den Universitäten? Überwachungsskandale der letzten Jahre beispielsweise in Rostock oder Zürich haben das Thema längst in die Öffentlichkeit gezerrt. Wer sich jedoch an den Universitäten selbst umschaut, dem erscheint es, als ge-höre das Thema nach Ansicht einiger Verantwortlicher gar nicht dorthin. Man mag sich auch auf Sicherheitsbedenken stützen, wenn es untersagt ist, eine Übersicht aller an der Universität vorhandener Videokameras abzudrucken. Die bloße Einsicht

Universitäres PanoptikumBig Brother, das allsehende Auge und ähnliches sind Synonym für die öffentliche wie private Video-überwachung. Kritisch beäugt und doch oft genug als Allheilmittel herangezogen. Von Sicherheit, Kontrolle und Transparenz…

ist aber möglich, wie Petra Banik, Leiterin der Rechtsstelle und Datenschutzbeauftragte der Universität, dem Scheinwerfer auf Anfrage mitteilt. Dass es jedoch auch nicht erlaubt ist, sie abzu-schreiben oder zu kopieren, ist zumindest aus journalistischer Perspektive fragwürdig. Transparenz sieht anders aus, und ins-besondere die Überprüfung, ob geltendes Recht in diesem Be-reich an dieser Universität eingehalten wird, erscheint unnötig erschwert. Dabei geben die vielen skandalfreien Universitäten durchaus Grund genug, den universitären Datenschützern und Technikern zu vertrauen. Die wenigen existierenden Skandale rechtfertigen aber auch eine kritische Nachfrage.

D i e F a k t e n

Bestimmte Bereiche der Uni Bremen werden seit 2002 von Ka-meras überwacht. Beispielsweise im SFG, aber auch im Cartesi-

um und im MZH sind solche zu finden. „Anlass waren di-verse Diebstähle, Einbrüche und Sachbeschädigungen in verschiedenen Gebäuden“, wie Banik erklärt. Im Zuge dessen verweist sie darauf, dass neben Sachbeschädi-gungen auch die Sicherung von Forschungsergebnissen zu den Gründen zählen. Solcherlei Daten, die auf entwendeten Computern ge-lagert sind, könnten häufig nicht ersetzt werden. Und tatsächlich gingen die Straf-taten in allen Gebäuden, die mit Videokameras ausgestat-tet sind, nach Aussage der Rechtsstelle deutlich zurück. Genaue Zahlen ließen sich

indes nicht in Erfahrung bringen. Um eine sinnvolle Überwa-chung zu garantieren, sind die Kameras an allen Tagen der Wo-che rund um die Uhr in Betrieb, wobei der Umgang mit den Aufzeichnungen rechtlichen Bestimmungen unterliegt. Banik führt dazu aus: „Gespeicherte Daten dürfen nur ausgewertet werden, wenn es Anhaltspunkte für einen strafrechtlich relevan-ten Sachverhalt gibt. Ein Zugriff auf gespeicherte Daten ist nur dem Betriebsverantwortlichen und dem Vorsitzenden des Perso-nalrats gemeinsam möglich.“ Dass nur in Ausnahmefällen Zugriff auf die Daten erfolgt, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2009. Damals kam es zu einem Sprengstoff-alarm im SFG. Tatsächlich wurde zu jener Zeit nach Recherchen

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suggerieren. Im Sinne der Transparenz und Sicherheit wäre es aber möglicherweise sinnvoll, wenn die Studierenden wüssten, welche Orte derart geschützt sind – und welche nicht. Tatsäch-lich sind Informationen dazu spärlich gesät. Nicht nur, dass die Rechtsstelle und die Datenschutzbeauftragte sich sehr bedeckt halten und nur unpräzise auf Nachfragen antworten. Darüber hinaus existiert keine Liste aller an der Universität installierter Kameras. Was eingesehen werden kann, ist eine Liste aller vi-deoüberwachten Gebäude auf dem Campus samt ihrer Adresse. Aus Sicherheitsbedenken sicherlich zulässig, verwundert es aber, dass nicht mehr in Erfahrung zu bringen ist. Die genaue Anzahl – und damit auch die genaue Kostenlage - wird nicht genannt, ein selbstständiges Abzählen erscheint als Zumutung. Besonders kritisch wird es zuletzt, wenn weder die universitätseigene Da-tenschutzbeauftragte noch der Betriebsverantwortliche für die Videoüberwachungsanlage Auskunft darüber geben können, worum es sich beispielsweise bei der an der Decke des kleinen Hörsaals der Keksdose angebrachten Gerätschaft handelt, die deutlich nach einer Kamera aussieht. Vom Betriebsverantwort-lichen Ingo Hundertmark heißt es dazu: „Das ist mit Sicher-heit keine Überwachungskamera.“ Worum es sich dann handelt, können aber weder Banik noch Hundertmark zufriedenstellend beantworten. Ein fader Beigeschmack bleibt.

des Scheinwerfers eine amateurhaft zusammengebaute Attrappe gefunden. Zur Aufklärung der Situation wurden damals auch Aufzeichnungen der Überwachungskameras an die Polizei her-ausgegeben. In solchen Fällen ist eine Herausgabe möglich. Ein Vorfall aus der Uni Rostock macht deutlich, dass es aber auch Missbrauch gibt. Dort versuchte einer der Hochschullehrer, sich die Arbeit bei einer Mathematikklausur zu erleichtern, indem er die Studierenden beim Schreiben filmte. Zur Aufklärung von Betrugsversuchen, wie es damals hieß. Besonders pikant: Zuvor wurde bei einer Medizinklausur an derselben Universität schon das Gleiche probiert. Auch über die bundesdeutschen Grenzen hinaus sorgt das Thema für Kritik. Es braucht gar nicht den Weg in die Londoner Innenstadt, um derlei ausfindig zu machen. In einem Artikel der ZEIT aus dem vergangenen Jahr wird über einen Fall berichtet, der sich an der Uni Zürich ereignete. Dort entschloss sich ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes dazu, eine Kamera in der Herrentoilette zu installieren. Dies sollte zwar offiziell der Überführung eines Vandalen dienen. Ein fader Bei-geschmack jedoch bleibt. Wollte man dieses Thema auf eine kurze Formel zusammenkür-zen, so passt wohl am besten der bekannte Ausspruch „Vertrau-en ist gut, Kontrolle ist besser“. Es ist nur gerecht, wenn dies für beide Seiten gilt. Auf der einen Seite wird auf den vorgeschrie-benen Informationszetteln darauf hingewiesen, die Videoüber-wachung diene „Ihrer und unserer Sicherheit“. Das soll zwar vermutlich einen zumindest zweifelhaften Nutzen oder eine Notwendigkeit von Kameraüberwachung für die Studierenden

Überwachungskameras wie diese sind an verschiedenen Stellen auf dem Campus installiert. Eine genaue Liste ist nicht zugänglich.

Text: Björn KnutzenFoto: Katrin Pleus

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Referate sind, prosaisch gesprochen, aller Studierenden tägliches Brot. Nicht selten aber, um im Bild zu blei-ben, frappant erinnernd an eine Art amerikanisches

Toastbrot. Diese Backwarenform zeichnet sich dadurch aus, das sie sich im Knautschtest problemlos auf etwa ein Sechstel bis ein Achteinhalbtel des ursprünglichen Volumens zusam-mendrücken lässt. Und zwar dank jeder Menge Füllstoff in Form mehr oder weniger heißer Luft. Eben ähnlich wie bei Referaten. Da besteht die Füllung üblicher- wie klassischerwei-se aus reichlich „Ääh“, „Ääähmmm“, „also…“, oder, ganz neu und total cool: „sozusagen“, mindestens dreimal pro Halbsatz geschickt eingeflochten, sozusagen. Knaller ist natürlich ein nachdenkliches „Ich glaube…“, besser noch: „Ich denke…“, gefolgt von einer seeehr lang ausgedehnten Pause, natürlich zum Nachdenken, damit der Zuhörer auch ganz in Ruhe – und zumeist sehr verblüfft - feststellen kann: tatsächlich, hier wur-de GEDACHT! Ej boah, wäre ich jetzt alleine gar nicht drauf gekommen. Ebenso effektvoll ist ein energisches „Genau!“, das zumeist auf eine rhetorische Nebelgranate größeren Ausmaßes folgt und den Zuhörer völlig verwirrt mit dem (leider ohnehin

Füllstoff

Campusleben

zum Scheitern verurteilten) Versuch sitzenlässt, die gedankli-chen Diffusitäten und Kontraste überein zu bringen. Übrigens: Die These „Fasse dich kurz“ stammt aus längst vergangenen Zei-ten, als Telefonieren noch richtig Geld kostete. Sie ist demnach ebenso anachronistisch wie die Telefonzellen(!), in denen dieser Sinnspruch zumeist angeschlagen war. Also bitte: solch rheto-rische Scharfschusssalven wie „Yes, we can!“, aus gerade mal 8 Buchstaben bestehend, machen den Zuhörer für mindestens die nächsten fünf Sätze völlig platt, was weiteres Verständnis anbe-langt. Der geschickte Redner weiß indes, dass die Kunst eines gut gehaltenen Referates ganz einfach darin besteht, die Pha-sen geistigen Weggetretenseins auf Seiten des Auditoriums mit der Präsentation inhaltlichen Schaumstoffs zu synchronisieren. Oder anders ausgedrückt: die wenigen entscheidenden Aussa-gen einer Ausarbeitung sollten just in dem Moment erfolgen, wo sich zumindest ein Großteil der Anwesenden im kurzfristigen Wachzustand befindet. Deshalb: bitte unbedingt kurz wecken, wenn etwas Wichtiges… (Schnarch).

Audra ist kreativ. Auch sprachlich. Und das nicht nur in ihrer Muttersprache Litauisch. Audra hat ein neues

Wort geprägt. Auf Deutsch, wohlgemerkt.. „Studentieren“. Ein Verb; Aktivform. Klingt ungewohnt. Gibt

es wohl im Litauischen, aber nicht im Deutschen; jedenfalls nicht im Duden verzeichnet. Was studieren ist,

weiß jeder Student. Kleines Latinum: „studeo“ = sich bemühen (wie es in Arbeitszeugnissen immer euphemistisch

heißt: „hat sich immer bemüht…“). Aber „studentieren“? Meint nach Audras Interpretation auf gut Deutsch:

relaxen, easy going, enjoy your life, abhängen lassen, Disco-dancing, einen draufmachen. Gerne auch einfach pures

Dolcefarniente. Oder aber, wie es früher mit patriotischem Burschenschafts-Pathos geschmettert wurde: Gaudeamus

igitur! Bedeutete im Klartext: auf zum munteren Koma-Saufen. Na ja, ganz so arg muss es nicht kommen; so viel Zeit

und Ausfall lassen Bachelor und Nebenjob ohnehin kaum zu. Wir sind bitteschön in Deutschland - wir bemühen uns!

„Wer immer strebend sich bemüht“ war schon beim alten Dr. Faustus (genau, dem von Goethe!) die hehre Devise.

Allerdings auch erst, nachdem der es richtig hat krachen lassen. Der Königsweg lautet indes in jesuanischer Weisheit

(für Bibelunkundige s. Mt 23,23): Dieses tun - und jenes nicht lassen. Gilt fast immer. Na, dann studentiert mal

schön! Schließlich gibt es die Chance dazu wohl erst wieder im Rentenalter, also mit rund 85 Lenzen – sofern man

solch biblisches Alter überhaupt erreicht. Und dann hat man zumeist leider ganz andere Bedürfnisse. Und Probleme

sowieso…

„Studentieren“???

Text: Gerd Klingeberg

Text: Gerd Klingeberg

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mensgebung kommt im Übrigen daher, dass in dem Gebäudeteil die benötigten Bleiplatten zum Dachdecken des Doms gelagert wurden. In diesem Trakt des Doms konnte eine mumifizierende Wirkung nachgewiesen werden, deren Ursprung bis heute nicht eindeutig geklärt werden konnte. Es wurde sich lediglich darauf geeinigt, dass die Körper ohne fremde Einwirkung ausgetrock-net sind und eine gewisse Radioaktivität der Bleiplatten ausge-schlossen werden kann. Bemerkt wurde dieses Phänomen, als ein Handwerker, der im 15. Jahrhundert beim Bau des Daches

verunglückt war, im Jahre 1698 entdeckt wurde. Komischerweise war er nahezu voll-ständig erhalten. Da der Mann allerdings keine Knochenbrüche, sondern eine Kugel im Rücken aufwies, stellte sich später he-raus, dass er nicht bei einem Sturz, son-dern höchstwahrscheinlich im Krieg starb. Neben diesem Handwerker – oder eben Soldaten – lagern im Bleikeller noch sie-ben weitere Mumien aus unterschiedlichen Klassen und Regionen. Anstatt einer Ver-wesung wird der Körper natürlich konser-viert. Ein schwedischer Kanzler und seine Frau, ein Tagelöhner und auch ein Student werden nun tagein tagaus bestaunt und genauestens unter die Lupe genommen. Während einem Offizier in schwedischen Diensten die noch die zu Lebzeiten ge-sunde Leibesfülle angesehen werden kann, sind an einer anderen Mumie noch klei-ne Härchen zu finden. Die Münder sind meistens zum Schrei verzogen und die Au-gen weit aufgerissen. Oft sind nur die ver-schränkten Hände, das Gesicht und Teile der Beine erkennbar, der Rest des Körpers ist abgedeckt. Neben den Särgen sind au-ßerdem ein Sarkophag, einzelne Bauteile des Doms und Steinreliefs zu bestaunen.

Nur eine Glasplatte schützt die Ruhe der Toten, da es in der Vergangenheit häufiger vorkam, dass Schaulustige einzelne Fin-ger oder Teile der ledrigen Haut entwendeten. Auch Goethe war von dem Phänomen so fasziniert, dass er bei einem Besuch um einen Finger bat. Ob er einen mitnehmen durfte, ist ungeklärt.

Es donnert und es ist kalt. Nur schummriges Licht er-hellt die scheinbar kleinen Räume. Überall Schatten. Der Blick geht um die Ecke und dort steht etwas. Was

ist das bloß? Ein paar zaghafte Schritte näher ran, bis man plötzlich in der Bewegung erstarrt. Kann das möglich sein? Ja, das kann es! Dort steht ein Sarg! Aber kein einfacher Sarg son-dern ein offener. Ein paar Schritte noch und es lässt sich der erste Blick ins Innere erhaschen. Man zuckt zusammen. Es ist nicht nur ein offener Sarg, sondern auch noch einer mit Inhalt!

In jedem Horror-Streifen würde das lang-haarige blonde Mädchen jetzt laut fragen, ob da denn jemand sei und anfangen zu kreischen. Wäre es ein guter Film, würde die natürlich obendrein langbeinige Blon-dine noch etwas zappeln gelassen werden. Wäre es ein schlechter Film, würde sofort eine blutige Hand mit langen schwarzen Fingernägeln aus dem Sarg geschossen kommen und sich fest um den Hals der zentralen Gestalt legen. Die Hand würde ein bisschen zudrücken, wieder ein biss-chen locker lassen, das junge Mädchen et-was winseln, leiden und betteln lassen, um sie dann letzten Endes doch in das Reich der Toten zu schicken. Der Zuschauer würde langsam der Kamera folgen und sehen, wie die eklige Gestalt zur zugehöri-gen Hand sich langsam aus dem Sarg hievt und sich auf einen blutigen Weg macht. Glücklicherweise befinden wir uns nicht in einem Horror-Streifen, sondern im Bre-mer Bleikeller. Hier ist es zwar tatsächlich dunkel und kalt und die Räumlichkeiten sind tatsächlich klein, aber das hat ein Keller nun mal so an sich. Das Donnern stellt sich erfreulicherweise schnell als Straßenbahn heraus und mit so vielen Be-suchern am Samstag Vormittag ist es dort nun wirklich nicht gruselig. Alles andere stimmt allerdings. In der Ostkyrpta des Doms befindet sich tatsächlich nicht nur ein offener Sarg, son-dern acht, samt Gestalten drin. Diese sind auf irgendeine Art und Weise schon abschreckend, aber ganz bestimmt nicht blutig und vor allem: sie sind auch wirklich tot. Rechts neben dem prachtvollen und sehenswerten Bremer Dom befindet sich seit 1984 der nicht minder sehenswerte Bremer Bleikeller. Die Na-

Bremen

Es ist Samstag Vormittag. Langeweile überschattet den Tag. Nur was kann man dagegen tun? Alle Horror-DVDs mehrmals durchgesehen. Freimarkt ist gerade nicht und deshalb auch keine Geisterbahn in der Nähe. Wie wäre es also mal mit etwas völlig Abgedrehtem? Einem Besuch im Bremer Bleikeller vielleicht?

Leichen im Keller

Text: Neele MeyerFoto: Vanessa Brasche

Oben: Der mummifizierte Soldat. Unten: Student, angeblich 1705 im Duell erstochen.

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Bremens klägliches Anhängsel oder auferstandene Seestadt der Superlative?

Bremerhaven

Bremerhaven ist arm, arbeitslos, bildungsfern und hässlich – so lauten gängige Vorurteile gegenüber Bremens kleiner Schwester. Solcherlei Ansichten finden sich in bundesweite

Medien, ebenso wie in den Köpfen vieler Menschen, was sich wech-selseitig bedingen dürfte. Beim Querlesen entsprechender Artikel kann der Eindruck einer reinen Endzeitstimmung entstehen. Und tatsächlich erreicht das kleinere Stückchen des einzigen deutschen Zwei-Städte-Staats beispielsweise laut dem aktuellen „Sozialmo-nitor Jugendarmut“ bundesweit den höchsten Wert entsprechend bedrohter Kinder und Jugendlicher sowie beträchtliche Hartz-IV-Empfänger Zahlen. Zudem besteht mit etwa 15 Prozent eine im Vergleich zu den 25 Prozent von 2005 zwar verbesserte, aber den-noch rekordverdächtige Arbeitslosenquote. Im ersten PISA-Län-dervergleich 2002 gehörte Bremerhaven zu den Allerschwächsten und hat überdies mit etlichen weiteren Schwierigkeiten, wie etwa Spekulationen und Schrottimmobilien, zu kämpfen. Allerdings be-darf es mehr als diese zweifellos heiklen Umstände, um eine Stadt in ihrer Gesamtheit zu bewerten. So dürfte es in ganz Deutschland kaum einen derart gegensätzlichen Ort geben, denn den Problemen stehen vielfach noch verkannte Qualitäten gegenüber. Diese rücken indessen – nicht nur medial – immer mehr in den Vordergrund. Zu jenen immer florierenderen Bereichen gehören neben Wissenschaft und Technologie inzwischen vornehmlich wirtschaftliche Segmen-te, wie Hafen- und Tourismusindustrie oder auch Offshore-Wind-energie, also den Windmühlen auf offenem Meer.

Eine Geschichte wie wilder Wellengang

Solcherlei Höhen und Tiefen lassen sich wiederholt im Ambiente Bremerhavens ausmachen. Weil die eigene Hochseeflotte mit der versandeten Weser zu kämpfen hatte, kaufte Bremen kurzerhand ein Stück vom Königreich Hannover und gründete im Jahre 1827 eine Dependance an der knapp 70 Kilometer entfernten Küste – Bremerhaven. Aus dieser „Notlösung“ entwickelte sich im Laufe der Zeit ein beachtlicher Überseehafen und wichtiger maritimer Stand-ort. Handel und Massenauswanderung bescherten der Filiale einen raschen Aufschwung. Mit Hochseefischerei und Schiffsbau kamen in der Folge weitere Existenzgrundlagen hinzu. Im Zweiten Welt-krieg wurde die Stadt jedoch weitgehend zerstört und anschließend zusammen mit Bremen inmitten der britischen Besatzungszone zur amerikanischen Enklave. Mit dem Wiederaufbau vollzog sich ab den 1950er Jahren eine weitere Blütezeit, bevor jedoch der Nieder-gang von Werftindustrie und Hochseefischerei Deutschlands einzi-ge Nordsee-Großstadt ab den 1970er Jahren ins Taumeln brachte. Unter anderem von der einhergehenden Arbeitslosigkeit gebeutelt, nahmen Tristesse und Negativ-Schlagzeilen zu. Statt „Fisch-Town“

mit dieser Talfahrt jedoch vollends ins Verderben schippern zu las-sen, wurden einerseits fruchtbare Anstrengungen unternommen, wie etwa die Erarbeitung und Umsetzung eines zukunftsträchtigen Tourismuskonzepts ab den 1990er Jahren. Andererseits trugen aber auch weniger zu beeinflussende Geschicke dazu bei, dass es hinterm Deich einstweilen wieder bergauf geht, so zum Beispiel der jüngste Boom erneuerbarer Energien. Bremerhaven kann indes aber auch bei Existenzgründern als Unternehmensstandort punkten, wie eine Studie der ortsansässigen Hochschule im Jahre 2004 bestätigte. So werden unter anderem die Nähe zu wissenschaftlichen Einrichtun-gen, preiswerte Mieten und gute Verkehrs- und Hafenanbindung als Standortvorteile gesehen.

Vom Ein- und Auslaufen

Darüber hinaus hat sich die Hafenstadt nachhaltig als ein bedeut-sames Exportzentrum Deutschlands etabliert. Der Schwerpunkt Autoumschlag ist hierbei eines der wichtigsten Aushängeschilder der Stadt und gleichzeitig Arbeitgeber für 2500 Menschen. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre werden Kraftfahrzeuge global exportiert und importiert, damals noch mit einer Gesamtmenge von spär-lichen 100.000 Stück jährlich. 2011 waren es bereits stolze zwei Millionen Automobile, die in Bremerhaven umgeschlagen wurden, was die Führung in Europa bedeutet und als Indiz für die Überwin-dung der weltweiten Finanzkrise gesehen werden kann. Inzwischen herrscht ein deutliches Übergewicht beim Export, insbesondere nach Nordamerika, Asien und Osteuropa. Die Krise hatte zuvor je-doch auch ihre Spuren hinterlassen und einmal mehr Entlassungen mit sich gebracht. Zudem steht Bremerhaven vor dem Dilemma, dass bei aller wirtschaftlichen Kraft des Hafens viele der Beschäf-tigten im niedersächsischen Umland wohnen und der Stadt somit wichtige Steuereinnahmen verloren gehen – ein stadtstaatliches Problem, das im Übrigen auch Bremen mit seinem „Speckgürtel“ bekannt ist. Da derweil neben dem Auto- auch der Containerum-schlag zugelegt hat, wird nun andererseits die Infrastruktur der Ha-fenlogistik erweitert. Ebenso wie die der zugehörigen Bahn, welche die zu verschiffenden Güter anliefert.

Beflügelte Zeiten

Seit neustem werden zudem immer mehr Vertreter einer noch jun-gen, aber dafür umso stärker wachsenden Branche in der Seestadt angespült, die der Windenergie. Es ist die hohe Anziehungskraft exzellenter Voraussetzungen, die Bremerhaven auch schon den Bei-namen „Silicon Valley der Offshore-Anlagen“ bescherte. So lassen sich Montagen bestens an Land vorbereiten, um günstige meteo-

BremerhavenStadt der Gegensätze

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BremerhavenStadt der Gegensätze

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Bremerhaven

Ein altes Haus in Bremerhaven (Oben), Bremerhavener Hafengelände (Mitte) und das Klimahaus Bremerhaven 8° Ost (Unten).

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Bremerhaven

und betrieben. Beeindruckendes sollte aus dem Boden gestampft werden, um Massen anzulocken und zu beeindrucken und um ein Baustein in Bremerhavens Zukunftssicherung zu werden. Nach einer raschen Entwicklungsperiode rollten 2006 an der Küste die Bagger und Kräne an, das Meeresufer wurde zur Großbaustelle. Das „Atlantic Hotel Sail City“ verlieh dem einstigen mutmaßlichen Schandfleck an der Wesermündung mit seiner segelförmigen Fassa-de schon wenig später eine Dubaieske Optik. Das höchste zugäng-liche Gebäude des Bundeslandes prägt von nun an eine charakte-ristische Skyline hinterm Deich. Eine abenteuerliche Bauphase und Inbetriebnahme später, übertraf das „Klimahaus 8° Ost“, welches unterschiedliche Klimazonen der Welt entlang des achten Längen-grades interaktiv veranschaulicht, ab 2009 unter dem Betreiber des Bremer „Universums“ alle Erwartungen. Bereits ab 2005 war das „Auswandererhaus“, mit dem Bremerhaven seiner Vergangenheit als Sprungbrett in die weite Welt Tribut zollt, zur Erfolgsgeschichte gereift. Nicht zuletzt sind es viele Amerikaner, die hier die Wur-zeln ihrer ausgewanderten Vorfahren ergründen wollen. Auch äl-tere Attraktionen, wie der Zoo am Meer, Hafenrundfahrten oder Bustouren, profitieren und so konnten mithilfe millionenschwerer öffentlicher Finanzierung abermals etwa 1.500 Arbeitsplätze so-wie zahlreiche Anziehungspunkte geschaffen werden. Die positive Entwicklung der Tourismusbranche lässt sich auch anhand von Zahlen eindrucksvoll veranschaulichen: im Jahre 2011 zählte die 113.000-Einwohner-Stadt rund 1,6 Millionen Besucher.

Und nu?

Bremerhaven hat also einmal mehr die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, es wird wieder einmal über die Seestadt geredet und be-richtet. Der Unterschied: ein überwiegend positives und anerken-nendes Credo. Es scheint, als habe das Sorgenkind sich gewandelt und die Aufbruchsstimmung genutzt. Aber wie sieht es hinter der schillernden Fassade aus? Wurde das öffentliche Interesse nicht schlicht umgeleitet und die Armen hinter einer Kulisse versteckt? Der erhoffte, optimistische Imagewandel ist unter anderem dank Investitionen augenscheinlich partiell vollzogen. Jedoch kann und darf dies nicht über die anfangs genannten, weiterhin aktuellen Missstände hinwegtäuschen. Es bleibt zu hoffen, dass vom neuerli-chen Aufschwung durch frische Arbeitsplätze sowie Einnahmen aus Tourismus und Wirtschaft auch defizitäre Bereiche erfasst werden und die gesamte Stadt profitiert. Doch ein solcher Prozess dürfte seine Zeit brauchen, wenn er überhaupt gelingt. Viele Bremerha-vener, so scheint es, sind selbstbewusster geworden und die Bremer haben wohl begonnen, sich wieder mehr für ihre kleine Schwester zu interessieren. Die Stadt wird von denen, die lange nicht zu Be-such waren, sicher kaum wiedererkannt. Allerdings nur dort, wo dies auch gewollt ist. Andernorts dürften jedoch weiterhin Beton-wüsten, Plattenbauten und Brennpunkte präsent sein. Dem ließe sich entgegen halten, dass dies in anderen Großstädten nicht anders ist, jedoch macht es das nicht besser. Im mitunter extremen Bre-merhaven dürfen bei aller Euphorie die Probleme der Menschen nicht vergessen werden.Kreative Ideen, Innovation, Mut, Glück und nicht zuletzt öffentli-che Gelder haben in kurzer Zeit dafür gesorgt, dass man die Kurve zumindest teilweise gekriegt hat und Bremerhavens Ansehen nach außen hin gesteigert werden konnte. Aber dies muss auch vor den

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rologische Bedingungen unmittelbar auf See nutzen zu können. Dort, wo früher Fische verarbeitet und Schiffe gebaut wurden, la-gert und produziert nun die Windenergie ihr Segment. Auch der maritime Erfahrungsschatz und im Umgang mit Stahl geschulte, frühere Werftarbeiter sind bereits vor Ort; Testzentren und entspre-chende Techniker, Dienstleister und Zulieferer kommen hinzu. Die Energiewende ist eingeläutet und der Platz an Land begrenzt, was die Annahme eines zukunftsträchtigen Marktes zwangsläufig be-stärkt. Das schürt Erwartungen und macht Hoffnung, sogleich ist von zunehmend geschaffenen Arbeitsplätzen und einem weiteren Schub für Bremerhaven die Rede. Sogar zusätzliches Land hat man zur Ausbreitung erworben, einmal mehr vom Königreich Hanno-ver – inzwischen Niedersachsen. Bisher gibt es 3.000 neue Jobs in diesem Gewerbe, weitere 7.000 bis 14.000 werden prognostiziert, womit sich Bremerhavens Arbeitslosigkeit vollständig eliminieren ließe. Jedoch verebben in der Realität paradoxerweise viele Ansät-ze in den Untiefen von Langzeitarbeitslosigkeit, die noch aus den Werft-Pleiten resultiert. Weitere Probleme sind unzureichende Qualifizierung in fachlichen Eigenschaften der Windenergie, feh-lende Fördergelder und auch mangelnde Ausbildungsbereitschaft seitens der Unternehmen.

Wissenschaft mit marit imem Horizont

Ein anderer Jobmotor wird hingegen zunehmend von der mari-timen Wissenschaft bekleidet, wobei es vielfach zu Verzahnungen mit der Wirtschaft kommt. Getreu seiner Nähe zum Meer, wer-den in Bremerhaven verstärkt Akzente im Bereich Klimaforschung und -schutz gesetzt. So findet sich eine Auslese bester Forscher am renommierten Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresfor-schung, welches unverzüglich die Vernetzung mit Forschungs- und Bildungseinrichtungen, etwa der Hochschule Bremerhaven, sucht. Teile solcher praxisnahen Kopplungen beinhalten zudem Statio-nen von Technologietransfers, meeresbiologischen Anwendungen, Offshore-Windenergie-Technik (IWES Fraunhofer-Institut) oder auch von Lebensmitteltechnologie. Im Jahre 2005 bekam man zu-sammen mit Bremen sogar den offiziellen Titel „Stadt der Wissen-schaft“ verliehen, der eine erfolgreiche Kooperation zwischen Stadt, Wissenschaft und Wirtschaft bescheinigt sowie für die Profilierung als Wissenschaftsstandort steht.

Die Waterkant mit gesetzten Segeln

Neben den unter anderem genannten, derzeitigen Fundamenten Hafen, Offshore-Windenergie und dem wissenschaftlichen sowie technologischen Engagement besitzt die Stadt am Nordseestrand mit dem Tourismus inzwischen noch einen weiteren Stützpfeiler in der Brandung. Bis es soweit kam, war jedoch einiger Aufwand von Nöten. Im Krieg zerstört und lange Zeit von Hafenarbeitern und Auswanderern geprägt, mangelte es Bremerhaven an historisch gewachsenen Strukturen. Dennoch hatte es mit dem Deutschen Schifffahrtsmuseum und dem Schaufenster Fischereihafen bereits erste Schritte in Richtung Fremdenverkehr gegeben. Als Auswege aus dem Abwärtsstrudel gesucht wurden, setzte man im Rahmen von Stadtplanung und Strukturwandel der Stadt auf die potenti-elle Attraktivität des maritimen Flairs. Am Wasser sollten die „Ha-venwelten“ entstehen, dezentrale Projekte, individuell finanziert

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Bremerhaven

Bremerhavenerinnen und Bremerhavenern gerechtfertigt sein. Es dürfte schwer sein, einen solchen Aufwand zu begründen, wenn er sich schlussendlich nicht für die Bürgerinnen und Bürger auszahlt. Dass sich die Arbeitslosensituation trotz vermeintlich vieler neu-er Stellen nicht von alleine regelt, zeigt das paradoxe Beispiel der Windenergie Branche. Bremerhaven muss sich zudem fragen lassen, wie es etwa um Kitas und Bildung steht und was sonst noch für die Menschen vor Ort getan wird. Ob es der richtige Weg war, durch eine verbesserte Außendarstellung zunächst Wirtschaft, Touristen und somit Geld in die Stadt zu lotsen, bleibt abzuwarten.

Text: Joschka Schmitt Foto: Philipp Johannßen (Altes Gebäude und Hafengelände), Katrin Pleus

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Das weiße Zelt auf dem Bahnhofsvorplatz ist inmitten des tristen

Bremer Herbstwetters und der grauen Kulisse der Bahnhofs-vorstadt kaum zu übersehen. Erst recht nicht, wenn es von hunderten Kurden in bunter Tracht und lautstarken Frie-densgesängen und -tänzen umringt wird. „Free Öcalan“ steht groß auf ihren Bannern mit dem Konterfei des kurdi-schen „Nationalhelden“, der seit nunmehr 14 Jahren auf einer türkischen Gefängnisin-sel als verurteilter Mörder und Terrorist in Haft sitzt. Taten, auf die in der Türkei zur Zeit seiner Verurteilung die Todes-strafe stand, die aufgrund von europäischem Druck und der Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten in der Türkei aber nie vollstreckt wurde.

Doch warum wird ausgerech-net in Bremen demonstriert? Die Hansestadt beherbergt nach Berlin die zweitgrößte kurdische Gemeinde in der Bundesrepublik. Vor allem in den letzten Wochen nahmen die Aktionen der Kurden merkbar zu. Hintergrund ist der Hunger-streik von zu Beginn knapp 50 aus politischen Gründen in der Tür-kei inhaftierten Kurden, der sich rasant ausbreitete und mit über 10.000 Hungerstreikenden weltweit endete. Sie wollen Gerechtig-keit nach Jahren der Ausgrenzung durch den türkischen Staat: Die Freiheit, ihre eigene Sprache zu sprechen und Kultur zu leben und Anerkennung, sowohl als eigenständige ethnische Gruppe als auch Anerkennung der Gräueltaten, die ihnen angetan wurden. Ähnli-che Aktionen von kurdischen Häftlingen in türkischen Gefängnis-sen gibt es seit Jahren. Die Folge sind zahllose Todesopfer bei dieser

Art des friedlichen Kampfes der sich selbst als politische Häftlinge betrachtende Kurden. Spricht man über dieses Thema, rücken vor allem in deutschen Ge-dächtnissen die Forderungen der Kurden nach einem eigenen Staat in den Vordergrund. Doch dabei werden die zentralen Probleme unrechtmäßig auf ein unerreich-bar scheinendes Ziel verkürzt, die berechtigten Forderungen einer eigenen gefühlten Nationalität werden so zu einem mit Gewalt verfolgten unrechtmäßigen Ziel von Terroristen verklärt.

Die Person Abdullah Öcalan ver-körpert für viele Kurden weitaus mehr als nur jene Rolle des Wi-derstandskämpfers, oder, wenn man der türkischen Version Glau-ben schenken möchte, des Ter-roristen. Er vereint alle Wünsche und Sehnsüchte dieses immer wieder bedrohten Volkes in einer Art und Weise, die ihn sowohl zur Gallionsfigur der kurdischen Wi-derstandsbewegung stilisiert als auch zum von der Türkei gefürch-teten Kämpfer und Menschenfän-ger. Öcalan, der selbst einer bäu-erlichen Familie entspringt, die

für die kurdische Gemeinschaft so prägsam sind, scheint mit seiner akademischen Laufbahn und dem linksintellektuellen Charme ei-nes Revolutionärs den Weg zu personifizieren, den sich die Kurden wünschen. Glaubt man allein der medialen Berichterstattung um den sogenannten „Kurdenkonflikt“, zeichnet sich einzig und allein das Bild einer renitenten Volksgruppe, die über die Grenzen der Türkei, Syriens und des Iraks hinweg mit ungebrochener Gewalt ihre staatliche Unabhängigkeit durchsetzen wollen.Ein Mitglied des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK), ein Verband der mit der mittlerweile verbotenen PKK sympathi-siert, zeigt jedoch die andere Seite des Dramas auf, welches sich in

Freiheit für Öcalan?Seit Wochen demonstrieren in der Bremer Innenstadt Kurden für die Freilassung des in der Türkei wegen Terrorismus und Mordes inhaftierten

PKK-Führers Abdullah Öcalan. Doch fordern sie wirklich die Freiheit

eines Mörders?Aus welcher Perspektive betrachtet sind die Taten

Öcalans zu rechtfertigen?

Bremen

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Text: Benjamin Reetz, Jessica Heidhoff

Südostanatolien abspielt. „Wir befinden uns im Krieg, da stehen die Gräuel der türkischen Regierungstruppen denen der PKK in nichts nach“, so das YXK-Mitglied gegenüber dem Scheinwerfer. Spinnt man diesen Faden weiter, ergibt sich tatsächlich ein anderes Bild als das uns täglich aufs Neue von den deutschen Medien präsentierte. Im Krieg gelten andere Regeln, daher kann es der türkischen Re-gierung nicht daran gelegen sein, den Kampf der Kurden um ihre Unabhängigkeit als solchen zu bezeichnen. Nur die Klassifizierung als „Terror“ lässt es zu, ein so klar umrissenes Schwarz-Weiß-Bild zu

zeichnen, wie es die Türkei vermag. Unschuldig sind beide Seiten nicht. Immer wieder arten die Konflikte in brachiale Gewalt auf dem Rücken der Zivilbevölkerung aus. Wird auf türkischer Seite allein der Verdacht , Mitglied der verbotenen PKK-Nachfolge zu sein, mit unablässiger Härte geahndet gilt selbiges auf kurdischer Seite, wenn der Verdacht aufkommt, mit der türkischen Regierung zu sympathisieren. Spricht man mit dem Verband der kurdischen Studierenden, so zeigt sich eine Vorstellung der Türkei, die in den Zeiten des Kolonialismus zu verorten wäre. „Wir Kurden werden unterdrückt, enteignet und mit Repressalien belegt, weil die Tür-kei es sich ökonomisch nicht leisten kann, den Teil des Landes zu verlieren, den wir als Kurdistan sehen“, so ein Mitglied. So sei das Gebiet, das die Kurden rund um Euphrat und Tigris für sich bean-spruchen, die Kornkammer der Türkei und die durch den frucht-baren Boden begünstigte Agrarwirtschaft ein wesentlicher Teil des türkischen Wirtschaftssystems. Hier verortet der YXK auch den Grund für die Schwarz-Weiß-Färberei der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den Kurden. „Die Europäische Union und Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht dieser sind von der Türkei und deren Wirtschaft in hohem Maße abhängig. Die Türkei wiederum ist ab-hängig von den Gebieten der Kurden.“

Enteignungen und Drohungen seien in den kurdischen Gebieten an der Tagesordnung. Doch auch kulturelle und religiöse Unter-schiede bestimmen den Verlauf der Konfliktlinien. Während es nach türkischem Recht erlaubt ist, eine Begräbnisstätte nach zehn Jahren wieder zu bebauen, sieht die kurdische Gemeinschaft dies als Häresie und Verletzung der Würde der Toten an. Einen Kataly-sator für diesen Konflikt scheint es nicht zu geben, die gewaltsamen Auseinandersetzungen scheinen jedoch etappenweise in ihrer Härte und Häufigkeit stark zu variieren. Der Bremer Politikwissenschaft-

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„Wir befinden uns im Krieg, da stehen die Gräuel der türkischen Regierungstruppen denen der PKK in nichts nach.“

ler Dr. Sefan Luft verortet den Höhepunkt des Konfliktes in den 90er Jahren, doch das YXK-Mitglied gibt zu bedenken, dass „die Situation weitaus schlimmer ist, als viele deutsche Medien das darstellen“. Als Ausweg könnte hier die Integration von Migranten beider Nationali-täten in einem Drittstaat – wie beispielsweise Deutschland – dienen. Nachweislich pflegen sowohl Türken als auch Kurden engen Kontakt zu ihren Angehörigen in der Türkei. Dennoch bedarf dies einer In-tegration, die auf gegenseitiger Akzeptanz, Anerkennung und dem Lernen des friedlichen Zusammenlebens basiert. Unterschiede in der Integration beider Gruppen können Luft zufolge nicht nachgewiesen werden. Wenn es Unterschiede gebe – so Luft -, dann seien sie durch die sozio-ökonomische Lage, sowie kulturelle Orientierngen in den Herkunftsgebieten – etwa armen, wenig entwickelten Regionen in der Südosttürkei oder westlich orientierten Zentren der Türkei – zu erklären.Das vermehrte Aufkommen von Demonstrationen, die eine Freilas-sung des inhaftierten Kurdenführers Öcalan fordern, sieht Luft mit einer gewissen Skepsis. „Die stark aggressive Phase der PKK-Anhänger – auch in Deutschland – ist zwar abgeebbt, doch weiterhin bleibt sie eine stark mobilisierungsfähige Kaderpartei, für die in Deutschland weiterhin ein Betätigungsverbot gilt.“ Hier fordert der Politologe auch ein Eingreifen des Staates, wenn gegen Verbote des öffentlichen Tra-gens von bestimmten Symbolen der PKK verstoßen werde, da sich jeder an die Gesetze des Landes zu halten habe. Der YXK sieht sich und seine kurdischen Mitstreiter allerdings von den deutschen Sicher-heitsbehörden grundlos stigmatisiert. „Selbst bei friedlichen Festivals

werden Massen an Polizeikräften aufgeboten, als seien wir Schwer-verbrecher.“ Die Lösung des Konflikts durch das friedliche Zusam-menleben von Kurden und Türken in Deutschland sieht der Verband vorerst nicht gegeben. Immer wieder komme es auch in Deutschland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken, die das alltägliche Zusammenleben stark belasten. Auch in Deutsch-land fühle man sich oft in eine „bestimmte Ecke gedrängt und zu un-recht verurteilt“, wenn man auf die politische Einstellung zu sprechen käme.

Genau dieses Urteil jedoch steht uns nicht zu. Wer sind wir, wenn wir uns zum Richter und Henker einer Volksgruppe machen, die zwei-felsohne ihren eigenen Gefühlen entsprechend für eine rechte Sache kämpfen? Und wer sind wir, einseitig Stellung zu beziehen aus einer wirtschaftspolitischen Notwendigkeit heraus, die jedoch den grausa-men Hass und die Gewalt nur einer Seite anlastet? Wir müssen aner-kennen, dass es sich um einen Bürgerkrieg handelt und nicht bloß auf eine einseitige Verurteilung des kurdischen Widerstandes als Terro-rismus beharren. Erst dann besteht eine kleine Chance, zum Frieden zwischen Kurden und Türken beizutragen.

Die Lösung des Konflikts durch das friedliche Zusammenleben von Kurden und Türken in Deutschland sieht die junge Kurdin nicht.

Bremen

Forderungen der Kurden werden zu Zielen von Terroristen verklärt.

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Auch die Sprachabende, bei denen man sich zum Beispiel zum Französisch-Sprechen trifft, sind sehr beliebt. Insgesamt werden im Monat ungefähr 30-50 Events eingestellt.

Doch was unterscheidet LGO nun von anderen Social Networks wie Facebook? Zum einen wird großer Wert auf Datenschutz gelegt, zum anderen will man vermeiden, dass LGO zu einer Datingplattform wird und hat sich deshalb bewusst gegen einen Messenger-Service entschieden. „Wenn man jemanden attraktiv findet und sich gerne privat treffen würde, muss man schon den Mut aufbringen, die Person persönlich nach der Handynummer zu fragen“, erklärt Tobias. LGO will Menschen im wirklichen, nicht im virtuellen Leben in Kontakt bringen, so stehen die ei-gentlichen Begegnungen im Vordergrund.

Zurück also zu unserem Treffen an der Hfk: Nachdem sich alle vorgestellt haben, gehen wir rein – heute ist Jazz-Abend. Sieben Leute sind wir, eine ziemlich gemischte Gruppe, Studierende von der Uni und Hochschule, eine Praktikantin, verschiedene Nationen sind vertreten. Man unterhält sich und lauscht im Gewölbe-Keller bei Wein und Bier der Jazz-Musik der Hfk-Studenten. Am Ende hat es sich auf jeden Fall gelohnt nochmal rauszugehen – nicht zuletzt wegen der schönen Musik, sondern auch neue Bekanntschaften zu machen ist eine nette Abwechs-lung. Insgesamt eine Erfahrung, die ich auf jeden Fall wieder-holen würde.

An einem der ersten Herbsttage mache ich mich mit mei-nem Mitbewohner gegen halb 9 auf in Richtung Stadt. Es ist schon dunkel und kalt – eigentlich ein Abend, den

man auch gut mit einem Buch und einer Tasse Tee auf dem Sofa verbringen könnte. Doch am Ende überwiegt die Lust, noch etwas zu unternehmen, außerdem bin ich gespannt, was sich hinter dem Konzept von Lets-go-out (LGO) verbirgt. An der Domsheide steigen wir aus der Straßenbahn und laufen die paar Meter zur Mensa der Hochschule für Künste (Hfk). Dort steht schon eine kleine Gruppe von Leuten, doch sind das die Richti-gen? „Hey, seid ihr die Leute von Lets-go-out?“

Moment mal – was genau ist eigentlich LGO? „Wir wollen Leute mit gemeinsamen Interessen zusammen bringen. Dabei ist das Ganze nicht auf eine Art von Interessen beschränkt - wie zum Beispiel Sport – denn jede Person hat ja meist mehrere Interessen“, sagt Tobias Rienmüller, der die Online-Plattform zusammen mit seinem guten Freund Maximilian Diebold gegründet hat. Die Idee kam den beiden schon 2005, als Tobias gerade in Karlsruhe sein Studium begonnen hatte und kaum Leute kannte. Abends ging er auf gut Glück zu einer Studentenkneipe um Gleichgesinnte zu treffen. Leider hatte die Kneipe geschlossen. Nur durch Zufall traf er Max und seine Freunde, die auch auf den Weg zu dieser Kneipe waren und zog mit ihnen weiter. So etwas müsste doch auch einfacher funktionieren, dachten sich die beiden. Doch es dauerte noch bis Mitte 2011, bis diese Pläne dann in Form von einer Homepage umgesetzt wurden, auf der man selbst Events erstellen oder einfach nur teilnehmen kann.

Tobias, der inzwischen als Doktorand an der Uni in Bremen gelandet ist, begann dann Mitte 2012 gezielt damit, die Website ins Rollen zu bringen, indem er jede Menge Events organisierte. Waren zunächst nur Leute aus dem Freundes- und Bekanntenkreis von Tobias angemeldet, haben inzwischen rund 250 Personen ein Profil erstellt, von denen die meisten zwischen 20 und 35 Jahre alt sind. LGO ist also eine Plattform, über die man sich mit Leuten zum Inlineskaten, Kino, Paintball spielen oder was auch immer einem einfällt, verabreden kann.

Text: Christina Freihorst

Weitere Informationen unter www.lets-go-out.de

Die Idee

Lass uns doch mal ... Inlineskaten, einen Film angucken, Paintball spielen,

oder Französisch sprechen

LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT!

LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT!

Was macht man, wenn man gerne etwas unternehmen würde, aber die passenden Leute fehlen? Sei es, man findet gerade niemanden, der Zeit hat oder würde einfach gerne ein paar neue Leute kennen lernen? Lets-go-out.de bietet in Bremen eine Alternative zum Couchpotato-Dasein

Bremen

Runter vom Sofa

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Weder Facebook noch Datingplattform

„Wir wollen Leute mit gemeinsamen Interessen zusammen bringen. Dabei ist das Ganze nicht auf eine Art von Interessen beschränkte - wie zum Beispiel Sport - denn jede Person hat ja

meist mehrere Interessen.“Tobias Rienmüller,

Gründer von lets-go-out.de

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LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT!

LET‘S GO OUT! LET‘S GO OUT!

Runter vom Sofa Die dunkle Seite der Macht

Text: Simon Sax Illustration: Fatima Yoldas

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Feuilleton

Die einen freuen sich euphorisch auf die Fortsetzung von Star Wars. Die anderen verspüren ein Unbehagen im Angesicht des Disney-Imperiums. (So twittert der

satirische Blog Death Star PR: „Kind of hard to maintain your image as a ruthless, planet-destroying Galactic Empire when your new boss is a mouse.“ Ja, das ist wirklich hart.) Denn denken wir an Disney, dann denken wir zuerst an Micky Mouse, Donald Duck, Bambi und den König der Löwen. In unserem Bewusstsein hat sich das Bild des unbeschwert bunten Familienunterhalters festgesetzt. Diese Vorstellung passt nicht zu dem Science-Fiction-Mythos Star Wars: zu düster, zu viel Action.Doch Disney kann auch solche Filme. Thor schwingt den Hammer gegen Loki und Captain America mäht eine Nazi-Armee nieder. Die beiden gehören zu Marvels Superheldenteam The Avengers. Das Disney-Imperium übernahm 2009 das Filmstudio von Marvel und produzierte seitdem eine Reihe von Comicverfilmungen, darunter Thor und Caiptain America. Dabei gibt es ein immer wiederkehrendes Merkmal, beim König der Löwen ebenso wie bei Caiptain America: In Disneys Filmen siegt stets das Gute. Star Wars passt hervorragend in dieses Schema und ist nur ein neues Märchen in einem keineswegs märchenhaften Imperium: Der schwarz-weiß-malerische Kampf zwischen Gut und Böse begeistert das Publikum. Indes kann oder will es den dunklen und mächtigen Schatten hinter der Leinwand nicht sehen.Mächtig ist Disney allemal. Das Imperium erwirtschaftete 2011 einen Gewinn von rund 5,3 Milliarden Dollar. Die Leute reisen mit der Disney Cruise Line, vergnügen sich im Disney Land, schauen die Filme und Fernsehsender des Medien-Imperiums und kaufen dessen Souvenirs. Zu Letzteren gehört auch Spielzeug. Ein Großteil dieser Spielzeuge werde in China hergestellt, berichten NGOs auf der Internetseite der Public Eye Awards. Das sind Negativpreise für Konzerne, die sich unverantwortlich gegenüber Mensch und Natur verhalten. Disney erhielt 2006 einen Award in der Kategorie „Soziales“. Die NGOs werfen dessen chinesischen Zulieferern „schwere Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen“ vor. Dass bei den Lieferanten haarsträubende Arbeitsbedingungen herrschten, scheine das Medien-Imperium nicht zu kümmern. Im Gegenteil, es halte die Namen seiner Zulieferer geheim und schützt sie damit vor Kontrollen. Vielleicht sollten wir über die Vorstellung vom familienfreundlichen Medienkonzern diskutieren. Denn hinter der Leinwand liegt die dunkle Seite der Macht, das Imperium.

Disney kauft die Stars Wars-Produktionsfirma Lucasfilm. Vier Milliarden Dollar zahlt der Medienkon-zern an den Alleineigentümer George Lucas und kündigt die Fortsetzung der Star-Wars-Saga an. Die Debatte um die Übernahme ist vorprogrammiert - und nachvollziehbar. Dennoch: Diskutieren wir an wichtigeren Problemen vorbei?

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machen also alles, was speziell ist. Darunter fällt zum Beispiel das Couture-Styling, das ist sozusagen die gehobene Schneider-kunst, die nicht unbedingt im Alltag getragen werden kann. Ich kleide aber auch Prominente für besondere Events ein. Wenn Madonna bei uns anruft und ein Kleid für den nächsten Abend haben möchte, dann ist unsere Abteilung dafür zuständig, dass es rechtzeitig fertig wird. Außerdem arbeite ich sehr viel selb-ständig, das bedeutet, ich habe keine konkreten Vorgaben von Vivienne, an die ich mich halten muss. Sie schaut sich zwar alles an, was ich mache, aber lässt mich letztlich frei agieren. Falls

ich doch Fragen habe, wende ich mich eher an ihren Mann, denn der hat ein besonderes Feingefühl für Schnitte und Muster.

: Ich habe gehört, Vivienne schätzt die deutsche Arbeitsweise? Ist das richtig?Diane: Ja, das stimmt. Vivienne

schätzt das deutsche Handwerk sehr. Das liegt primär daran, dass sie selbst über zehn Jahre lang an der Universität für Künste in Berlin unterrichtet hat. Sie schätzt die gute deutsche Ausbil-dung als Schneider oder Schnitttechniker. Aus diesem Grund nahm sie nach ihrer Zeit in Berlin viele deutsche Studenten mit nach London, die dann als ihre Designassistenten arbeiteten. Meine Abteilungschefin hat zum Beispiel Modedesign in Bre-men studiert.

: Was würdest du den Leuten raten, die sich bei Vi-vienne Westwood bewerben möchten, und wo sollte man seine Unterlagen hinschicken?Diane: Vor allem muss man Persönlichkeit haben, und natür-lich braucht man auch ein bisschen Glück. Vivienne selbst ist sehr exzentrisch - wie auch immer man diesen Begriff auslegen

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Feuilleton

Ein Traumberuf mit SchattenseitenMit ihrem 1971 gegründeten Modelabel gehört Vivienne Westwood heute zu den sechs wichtigsten Modemachern unserer Zeit. Die englische Designerin ist bekannt für ihre auffälligen Kollektionen und ihr eigenwilliges Aussehen, mit dem sie nicht nur auf dem ro-ten Teppich auffällt. Die 34-Jährige Diane Rakowski arbeitet mittlerweile seit über acht Jahren bei Vivienne Westwood und berichtet von hartem Hollywood-Alltag und einem Traumberuf, der nicht immer einfach ist.

»Vor allem muss man Persönlichkeit haben und

natürlich braucht man auch ein bisschen Glück.«

: Wie hat deine Karriere begonnen?Diane: Zunächst habe ich in Bremen eine ganz normale Aus-bildung zur Damenschneiderin gemacht. Als ich einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet hatte, bin ich nach Düsseldorf gegan-gen, um mich dort an der Fachhochschule M. Müller & Sohn als Schnitttechnikerin weiter ausbilden zu lassen. M. Müller & Sohn sind besonders bekannt für ihre individuellen Schnitte, die hauptsächlich in Deutschland, aber auch in England gefragt sind.

:Du bist also, nachdem du deine Ausbildung in Düs-seldorf beendet hattest, nach England gegangen?Diane: Genau. In London begann ich für Kathryn Walker als Schneiderin und Assistentin zu arbeiten. Kathryn Walker hat beispielsweise alle Kleider für Prinzessin Diana angefertigt, das war mit zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bewusst. Ich blieb drei Jahre bei ihr und arbeitete mich hoch, bis ich letztlich sogar die Leitung übernehmen durfte, als sie in die Flitterwo-chen fuhr.

: Wie kam es dann dazu, dass du letztlich zu Vivienne Westwood gekommen bist?Diane: Eine Bekannte von mir arbeitete damals bei Vivienne Westwood und erzählte mir, dass Westwood kurz vor ihrer Show in Paris stünde und dafür noch Un-terstützung gebrauchen könnte. Ich war sofort interessiert, denn Vivienne Westwood ist bekannt für ihre drama-tischen Schnitte, und da ich eigentlich Kostümschneiderin werden wollte, passte das sehr gut. Durch die Emp-fehlung meiner Bekannten bei Vivi-enne wurde ich tatsächlich als Aushilfe eingestellt. Ich bin daraufhin immer, neben meiner eigentlichen Arbeit bei Kathryn Walker, zwischen den Studios hin und her gehetzt und habe manchmal bis spät in die Nacht bei Westwood genäht. Nach der Aushilfszeit wurde mir dann ein fester Job als Schnei-derin und Studioleitung angeboten. Damals wusste ich noch nicht, was mich erwarten würde.

: Dein Beruf nennt sich Head Couturier. Was genau sind deine Aufgaben?Diane: Als Head Couturier arbeitet man direkt mit dem Kun-den zusammen. Ich nehme Maß, suche Stoffe und Zubehör aus, stelle das Team zusammen, erstelle einen Kosten- und Zeitplan und treffe mich immer wieder mit dem Kunden zu Anproben. Die Abteilung, in der ich arbeite, nennt sich „Special“. Wir

Joyce DiDonato und Diane Rakowski bei der Anprobe.

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Text und Foto: Jarmila Rakowski

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Feuilleton

Weitere Informationen

Am besten bewirbt man sich per Mail bei Vivienne Westwood. Weitere Informationen findet man unter dem folgenden Link:http://www.viviennewestwood.co.uk/w/contact/career-opportunities

»Das Problem dabei ist, dass du immer präsent sein musst, immer kreativ und jedes Jahr zwei neue Kollektionen anfertigen, sonst ge-

rätst du in Vergessenheit.«

Show „Dramaqueens“ auf Welttournee. Es ist sowohl das Kleid auf dem Cover ihrer aktuellen CD als auch ihr Bühnen-Outfit.

: Würdest du sagen, dass du deinen Traum lebst?Diane: Ja, ich lebe meinen Traum. Hauptsächlich wegen der vie-len Reisen und der Prominenten, die man trifft. Man lernt so vie-le interessante und nette Menschen kennen. Ich habe momentan jedoch das Gefühl, alles erreicht zu haben. Vor zwei Jahren dach-te ich, dass ein Kleid für die Oscar-Verleihungen nicht schlecht wäre. Diesen Wunsch konnte ich mir mittlerweile erfüllen und neulich habe ich das teuerste Kleid in Vivienne Westwoods Ge-schichte verkauft. Mein Beruf ist Routine geworden, ich muss mir immer neue Herausforderungen suchen.Hinzu kommt, dass der Job sehr zeitraubend und anstrengend ist. Ich muss den ganzen Tag Entscheidungen treffen. Zudem bin ich so gut wie nie zu Hause und das Privatleben bleibt auf der Strecke – ich bin seit sechs Jahren Single. Das alles belastet einen auf Dauer sehr.

: Hast du mal an ein eigenes Modelabel gedacht?Diane: So etwas wie Diane Rakowski Designs (lachend)? Nein, das kommt für mich nicht in Frage. Alle beneiden immer Vivi-enne und ihren Mann für ihr aufregendes Leben. Ich persön-lich finde das nicht sehr erstrebenswert. Das Problem dabei ist, dass du immer präsent sein musst, du musst immer kreativ sein und jedes Jahr zwei neue Kollektionen anfertigen, sonst gerätst du schnell in Vergessenheit. Dazu kommt noch die Presse, die unglaublichen Druck macht und einen in der Luft zerreißt. Ich bleibe erst einmal bei Vivienne Westwood und hoffe, dass in Zu-kunft noch viele spannende Projekte auf mich zukommen wer-den. Wobei eine eigene Familie auch nicht schlecht wäre.

möchte. Deshalb mag sie Menschen, die wissen was sie tun und die sich in ihrer Sache sehr sicher sind. Es ist wichtig, dass man stressresistent und flexibel ist. Wir haben zum Beispiel mal eine Studentin nach Los Angeles geschickt, weil uns dort Stoffe für ein Kleid fehlten. Sie hatte nicht einmal eine Zahnbürste mit dabei und kam in L.A bloß mit einer Plastiktüte voll Stoff an. So etwas geschieht manchmal schon nach nur einer Woche Prak-tikum. Sie selbst fand das natürlich aufregend, allerdings sollte man sich auch immer bewusst sein, dass der Job sehr zeitauf-wendig ist. Man entscheidet sich entweder für das Privatleben oder für den Beruf, beides zusammen lässt sich nur schwer mit-einander vereinbaren. Wenn man sich bei Vivienne Westwood bewerben möchte, dann schaut man am besten als erstes auf die Internetseite. Dort sind dann unter „Contact“ und bei „Career Opportunities“ alle möglichen Stellen aufgelistet, und da steht auch, wie man sich am besten bewirbt.

: Gibt es ein Kleidungsstück, das du gemacht hast, auf das du besonders stolz bist?Diane: Ja, das gibt es. Ich bin sehr stolz auf das Kleid von Anne Hathaway, das sie 2011 bei den Oscars trug. Sie präsentierte ver-gangenes Jahr die Verleihung und wollte sich dafür unter ande-rem Kleider von Vivienne Westwood angucken. Ich hab meine Designs an ihre Stilistin Rachel Zoe geschickt, von der wir zu-nächst Monate lang nichts hörten. Sicherheitshalber fing ich in der Zeit schon mal an, meinen Favoriten zu nähen, denn es kann manchmal etwas dauern, bis man eine Rückmeldung bekommt. Ende Januar dann, eine Woche vor den Oscars, kam die Ant-wort von Rachel Zoe. Daraufhin bin ich mit dem einen Kleid, das ich fertig hatte, nach Amerika geflogen, in der Hoffnung, dass es Anne gefällt. Normalerweise reist man mit einer größeren Auswahl an Kleidern zu einer Anprobe, aus diesem Grund stand ich besonders unter Druck. Glücklicherweise war sie sofort be-geistert von meinem Kleid. Ich bin besonders stolz darauf, weil es das erste Vivienne Westwood Kleid ist, das bei einer Oscar Verleihung getragen wurde.

: Hast du momentan neue Projekte geplant?Diane: Nein, allerdings habe ich gerade erst einen großen Auf-trag beendet. Ich habe das Kleid für Joyce DiDonato angefertigt. Sie ist eine sehr bekannte Opernsängerin und geht jetzt mit ihrer

Diane Rakowski bei der Arbeit in ihrem Atelier.

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Kennt ihr den Spruch: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Ich finde, das stimmt. Wenn ihr an Kalifornien denkt, habt ihr bestimmt sofort Bilder im Kopf: Die

Golden Gate Bridge, die Cable Cars, die die steilen Hügel von San Francisco hinauf zuckeln und das Hollywood-Schild in Los Angeles. Wenn ihr an Las Vegas denkt, seht ihr den flimmernden Party-Strip vor euch und wer kennt nicht den Grand Canyon? Davon brauche ich euch also wenig zu erzählen. Ich lasse euch eure Bilder und gebe euch etwas anderes. Ich bin mit dem Auto von San Francisco über Los Angeles nach Las Vegas gefahren und möchte euch von meiner Reise die Dinge zeigen, die ihr nicht im Fernsehen oder im Reisekatalog sehen könnt. Ich möchte euch zeigen, wie es dort wirklich ist. Bereit? Dann kommt mit!

Zehn (!) Stunden. Im Film sind alle immer sofort da – von wegen! Ich habe bereits nach der Hälfte des Flugs geschwollene Füße, mein Na-cken ist steif und ich kriege einfach kein Auge zu. Wenigstens die Aussicht ist gut: Das da unten ist Grönland.

Immer noch ein bisschen Hippie. Eine wirklich tolle Stadt mit einem ganz eigenen Flair, das ist San Francisco! Ich habe noch nirgends so viele Bettler und Straßenkünstler auf einem Haufen gesehen. Einer hatte mitten

im Wahlkampf auf sein Pappschild geschrieben: Gib mir Geld, oder ich wähle die Republikaner. Das nenn ich eine kreative Umgebung! Dazu riecht es fast überall dezent nach Marihuana. Blumen trägt hier allerdings keiner in den Haaren…

I want you for US Army!Wenn man über die Golden Gate Bridge fährt, kommt man in die Marin Headlands. Dort liegt eingebettet in grüne Hügel unten

am Meer das beschauliche Städtchen Sausalito. Hier gibt es süße Holzhäuschen, schweineteure Geschäfte und patriotische Eisbuden-Besitzer. God bless America. Da lohnt es sich doch mal richtig, Soldat zu sein…

Fernweh: Oh, Amerika!Auf einer Reise durch den Westen der USA findet man neben atemberaubenden Landschaften und berühmten Sehenswürdigkeiten auch allerlei Kurioses. Ein (etwas anderes) Road-Movie in unbewegten Bildern.

Perspektivenwechsel.Wusstet ihr eigentlich schon, wie das Hollywood-Schild von hinten aussieht? Wenn ihr bereit seid, eine knappe Stunde den Hollyridge Trail hinaufzuwandern, werdet ihr mit dieser Aus-sicht belohnt. Nicht mit im Bild: Tausend Kameras, Detekto-ren und ein dicker Maschendrahtzaun.

On the road. Auf nach Süden! Von San Francisco bis nach Los Angeles führt der berühmte Highway One – ein Navi ist hier unnötig. Die Straße führt in engen Kurven immer an der atemberau-benden Steilküste entlang. Schneller geht’s zwar auf der Interstate, aber seien wir ehrlich: Wer würde fünf Spuren grauen Beton gegen das hier eintau-schen?

Santa Cruz - hier ist es lustig.Im Surfer-Mekka Santa Cruz weiß man, wo‘s lang geht. Zum Alkohol zum Beispiel in diese Richtung. Die spinnen, die Amerikaner…

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Text: und Fotos: Alice Echtermann

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Feuilleton

Walk of Fame.Man staune, welche herausragenden Künstler hier verewigt wurden.

Wusstet ihr schon? Venedig liegt in Nevada!In Las Vegas kriegt man scheinbar alles, was man sich wünscht. Sogar eine Gondelfahrt auf dem Canale Grande, in sauber ge-chlortem Wasser. Der Gondoliere kann zugegeben besser singen, als die meisten Originale in Venedig. Nur leider ist der Himmel unecht – genau wie alles andere. Sorry. Das bestimmt weltgrößte Abflussrohr……könnt ihr beim Hoover-Damm bewundern. Das sieht jetzt hier vielleicht nicht so beeindruckend aus, aber man könnte locker ein Haus in diesen Schacht werfen. Die Amerikaner bezeichnen den

Staudamm als Wunder der Technik. Man kann es auch so sehen, dass der Colorado-River ein

Wunder der Natur war – vor dem Bau dieses Ungetüms. Das nächste Mal ein anderer Mietwagen!Ratet mal, wo diese Schotterpiste hinführt: Zum Grand Canyon West. Alle fünf Meter werden wir von laut lachenden Jeep-Fahrern überholt und in eine dicke Staubwolke gehüllt. Ganze 12 Meilen lang. Das ist ärgerlich. Man könnte meinen, wenn man allein für den Eintritt ins Indianerreservat (in dem dieser Abschnitt des Grand Canyons liegt) 42 Dollar bezahlt, wäre auch eine geteerte Straße drin!

Und damit sind wir am Ende der Reise. Jetzt ist es an euch, loszuziehen und euch ein eigenes Bild zu machen – oder auch ganz viele Bilder. Und das solltet ihr eines Tages, denn eins kann ich euch sagen: Das muss man einfach mal gesehen haben!

Der Wilde Westen.Den findet man im Death Valley, aber das liegt nicht an dieser „authentischen“ Kulisse, sondern an der Weite und Einsamkeit. Hier ist es sehr, sehr heiß. Die Erde ist salzverkrustet und die Straße führt immer geradeaus. PS: Der Mann ist keine Kulisse, der ist echt.

Wer geht noch in den Zoo? Hier bevölkern die Seelö-wen direkt den Pier. Das Gebrüll ist ohrenbetäu-bend. Bestimmt schmieden sie Pläne, irgendwann die Stadt zu übernehmen.

Vorsicht – Angry Birds!

Wer über 150 Kilo wiegt, (fr)isst hier kostenlos!Eine Herzattacke kriegt man eher bei dem Ge-danken, wer sich so ein Geschäftsmodell ausge-dacht hat. Man beachte die Waage vor der Tür.

Das andere Vegas. Abseits des Strips, in Downtown, hat Las Vegas noch mehr zu bieten. Hier treiben sich nachts keine aufgetakelten Menschen herum, sondern alles ist ein bisschen schäbig. Dafür trifft man in einem der Irish Pubs, die gleichzeitig auch eine Disko sind, garantiert (fast) nur Einheimische. Hier brodelt das Leben! Und jeden ersten Freitag im Monat gibt es ein Straßenfest, auf dem alternative Künstler ihre Werke verkaufen. Text und Foto: Alice Echtermann

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Jack Kerouac gilt zusammen mit William S. Burroughs und Allen Ginsberg (die als Old Bull Lee und Carlo Marx auch im Buch auftau-

chen) als einer der wichtigsten Vertreter der Beat-Generation. Eine Gruppe von Kreativen, die sich durch einen für die damalige Zeit unkonventionel-len Lebensstil auszeichneten, indem sie sich mehr dafür interessierten, das Leben zu genießen, als da-für, materiellen Wohlstand zu erlangen. Auch The-men wie Spiritualität und Homosexualität spielten eine Rolle, zum Beispiel beschreibt Ginsberg in seinem bekannten Gedicht „Howl“ (1955) ho-mosexuelle Praktiken sehr bildlich, weswegen sein Verleger sogar angeklagt wurde. Die Bezeichnung „Beat“-Generation stammt von Kerouac selbst, der die negative Konnotation von „beat“ als „müde“, „herunter gekommen“ ins Positive kehrte, indem er das Adjektiv mit „upbeat“ (euphorisch) und mit der musikalischen Assoziation „being on the beat“ (im Rhythmus sein) in Verbindung brachte.Kerouacs autobiografischer Roman Unterwegs, dessen ersten Entwurf er 1951 innerhalb von 3 Wochen schrieb, spielt in den Jahren 1947-1950. Er besteht aus fünf Teilen, die von verschie-denen Roadtrips handeln und Begegnungen mit diversen Men-schen schildern. Von zentraler Bedeutung ist dabei Sal Paradises (autobiografischer Erzähler alias Jack Kerouac) Freundschaft mit Dean Moriarty (steht für Neal Cassady), der gerne das Schreiben von Sal beigebracht bekommen möchte. Der begeis-terungsfähige Dean steht ständig unter Strom - Sal beschreibt ihn als einen Jungen „den das Leben furchtbar erregt“- und liebt zwei Frauen, nämlich die 15-jährige Mary Lou und die wohl-erzogene Camille. Sal lernt von Dean, sich genauso wie er ins Leben zu stürzen, sich in einem Strudel aus Jazz, Drogen und Sex treiben zu lassen. Auch mit seiner Lust am Unterwegs-Sein steckt Dean ihn an. Den ersten Trip tritt Sal von New York nach San Francisco an, mit Zwischenstation in Denver. Teils fährt er in Greyhound-Bussen, teils trampt er. Auf späteren ge-meinsamen Trips mit Dean fahren sie dann mit Deans Auto und nehmen oft noch Leute über die Mitfahrzentrale mit. Generell gilt es, die Reisekosten so gering wie möglich zu halten, denn das Geld ist immer knapp. Sal ist oft auf die Großzügigkeit sei-ner Tante angewiesen und nimmt einige Nebenjobs an, unter anderem als Baumwollpflücker oder Nachtwächter. Schlafen können sie meist bei irgendwelchen Bekannten. Zwischen-durch kehrt Sal immer wieder zu seiner Tante nach New York zurück, bei der er wohnt und wo er auch zur Ruhe kommt, um

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Feuilleton

zu schreiben. So ist Sal hin und her gerissen zwischen Aben-teuerlust, dem ziellosen Umherziehen und dem Wunsch, sich irgendwo niederzulassen und ein geregeltes Leben zu führen. Das Buch ist geprägt von einer teilweise sehr poetischen Spra-che, zum Beispiel liefert Kerouac eindrucksvolle Beschreibungen von der Weite der amerikanischen Landschaft - eine fließende Sprache, deren Rhythmus dem des Jazz nachempfunden ist.Kann ein Film da überhaupt mithalten? Nicht ganz zu Unrecht bezeichnet ZEIT-Autor Maximilian Probst das Buch als „wo-möglich unverfilmbar“, denn der Roman selbst wolle mit lite-rarischen Mitteln Film sein. Der Film von Walter Salles vermag einen nicht so mitzureißen wie das Buch; man taucht nicht so sehr in Sals Erlebnisse ein wie im Roman, sondern bleibt mehr in einer Beobachter-Position. Wie so oft ist also das Buch dem Film vorzuziehen. Dank schöner Landschaftsaufnahmen und passend besetzter Charaktere ist der Film trotzdem empfeh-lenswert. In einer Zeit, in der viele alles, was sie tun, auf den Zweck ausrichten, einen möglichst optimierten Lebenslauf zu erreichen, kann es vielleicht nicht schaden, sich eine Scheibe von der Beat-Mentalität abzuschneiden. Und auch nicht zu ver-gessen, dass die Erlebnisse, an die wir uns später erinnern, meist nicht solche sind, mit denen man im Lebenslauf punkten kann.

UnterwegsJack Kerouacs Roman Unterwegs („On the road“ im Original), erstmals veröffentlicht im Jahr 1957, wurde verfilmt. Auch wieder nur einer dieser typischen Roadmovies, könnte man denken. Und doch viel mehr: Das Unterwegs-Sein ist für Kerouac zu einer Lebenseinstellung geworden, der Ausdruck der Rastlosigkeit einer ganzen Generation.

Text: Christina Freihorst Foto: mk2pro © Gregory Smith

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durch das Ende der Welt bringen – soweit nach dem ersten Song noch Zeit für einen weiteren bleibt. Die letzten Wochen sollten wir nun nutzen, um uns umzuschauen, etwa so wie Steve Carrell und Keira Knightly in der Romanze „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ (2012). Darin wird die Welt von einem

Asteroiden bedroht , der diese in drei Wochen treffen wird. Der Versicherungsagent Dodge wird von seiner Frau verlassen und begibt sich zusammen mit seiner Nachbarin Penny auf den Weg zu seiner Highschool-Liebe.

Ob es uns nun so ergehen wird, wie die Medien es uns weismachen wollen, oder wir gemütlich vor dem Kamin sitzen, während es draußen schneit, sei einmal dahin gestellt Aber auf jeden Fall ist es spannend zu sehen, wie solch ein Thema sich in den Medien festsetzt und die Fantasie von Künstlern anregt, das Thema in solch vielfältiger Weise zu bearbeiten. Und für alle, die sich darüber informieren wollen, an welchen Tagen und Jahren sie sich lieber in Acht nehmen sollten und wie viele Untergänge die Welt schon verpasst hat – man bedenke den letzten Jahrtausendwechsel - bietet das Internet wieder einmal eine großartige Auswahl an Material. Bis – hoffentlich – nächstes Jahr.

Weihnachtseinkäufe tätigen oder eine Arche bauen? Vor drei Jahren sorgte ein Film über das Ende der Welt für Aufregung, nun rückt das bedeu tende Datum immer näher.

Es wird kälter, die Tage scheinen kürzer, in den Läden werden Weihnachtsdekorationen angeboten und die ersten Wunschzettel erstellt. Doch brauchen wir dergleichen

dieses Jahr überhaupt?Am 21. Dezember endet der Maya-Kalender und viele fürchten den prophezeiten Untergang der Welt. Vor 800 Jahren entstand in Mittelamerika der sogenannte Dresdner Maya-Codex, der aus einer Schrift aus Wort- und Silbenzeichen besteht. Es handelt sich um das älteste Buch, das uns von der Literatur der Maya geblieben ist, und es enthält verschiedene Götterdarstellungen oder auch Weissagungskalender. Kurz vor Weihnachten endet nun ein bedeutender Zeitabschnitt der ehemaligen Hochkultur. Wie wir uns diesen Tag vorstellen können, zeigen uns Roland Emmerich in seinem Katastrophenfilm „2012“ (2009) oder weitere Interpretationen.

Bei Emmerich beginnt es bereits im Jahr 2009, denn es mehren sich die Anzeichen, dass der Untergang der Welt näher rückt und auf das Ende des Maya-Kalenders datiert wird. Deshalb muss ein Notfallplan her, an dem die verschiedensten Wissenschaftler arbeiten. Drei Jahre später tut sich während eines Campingausfluges des Schriftstellers Jackson Curtis mit seinen Kindern plötzlich die Erde auf. Nach Emmerich ist es kein Atomkriegoder vergiftendes Ozon, das gefürchtet werden muss, sondern es sind Sonneneruptionen, die Verschiebungen der Erdplatten oder riesige Tsunamis, die die Menschheit töten. Während sich die heruntergekommenen „The end is near“-Plakat-Schwenkenden nun im Recht fühlen können, sind die Regierungschefs, die reiche Bevölkerung und wichtige Wissenschaftler bereits auf den Weg in eine der vier gebauten Archen (U-Boote aus Stahl). Eine Milliarde Euro musste die vermögende Gesellschaft pro Person dafür hinblättern. Ebenfalls um Archen geht es in dem Axe-Werbespot „2012 Final Edition“. Hier ist es ein einzelner Mann, der das Gefährt aus Holz zusammenzimmert, damit auch genug Frauen darauf Platz haben. Passend dazu gibt es auch gleich zwei offizielle Songs von der deutschen Rockpop-Band „Die wahre Diva“. Mit ihren ironischen Songs „Weltuntergang - Glaubst Du denn daran?“ und „Was fang ich bloß mit meinem letzten Sommer an?“ wollen sie uns

Weltuntergang

Text: Nadine DöringFoto: Ulrike Bausch

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Impressum

Redaktion:Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin

c/o Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Bremen Bibliothekstraße 3/StH

D-28359 [email protected]

Chefredaktion:Anne Glodschei (V.i.S.d.P.; 01573/7614628), Lukas Niggel (V.i.S.d.P.; 01573/7616384)

Ressortleitung:Marie Bornickel (Hochschulpolitik), Natalie Vogt (Campusleben),

Benjamin Reetz (Bremen), Jessica Heidhoff (Feuilleton)

Layout: Kai Ole Laun und Jan-Philipp Goslar (Ressortleitung); Lisa Mertens, Nathalie Wittfoth, Antonina Dagge, Ulrike Bausch

Grafik:Katrin Pleus (Ressortleitung); Philipp Johannßen, Fatima Yoldas, Greta Gregor, Ulrike Bausch, Vanessa Brasche

Mitwirkende Redakteure: Björn Knutzen, Jarmila Rakowski, Neele Meyer, Christina Freihorst, Alice Echtermann, Nadine Döring,

Gerd Klingeberg, Joschka Schmitt, Katharina Redanz, Simon Sax

Lektorat:Gerd Klingeberg

Titelbild: Philipp Johannßen, Katrin Pleus Druck: Druckerei Peter von Kölln, Scipiostraße 5a, 28279 Bremen

Auflage: 3000

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Herausgeber dieser Zeitung ist die Studierendenschaft der Universität Bremen. Der Scheinwerfer finanziert sich durch die allgemeinen Studierendenbeiträge.