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i Nina Janich Zur Analyse von Textsorten-in-Vernetzung. Eine Modelldiskussion an einem Fallbeispiel aus der Unternehmenskommunikation Series A: General & Theoretical Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 2009 Paper No. 734 Universität Duisburg-Essen

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Nina Janich

Zur Analyse von Textsorten-in-Vernetzung.

Eine Modelldiskussion an einem Fallbeispiel aus der

Unternehmenskommunikation

Series A: General & Theoretical Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 2009 Paper No. 734

Universität Duisburg-Essen

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Nina Janich

Technische Universität Darmstadt, Germany

Zur Analyse von Textsorten-in-Vernetzung. Eine Modelldiskussion an einem

Fallbeispiel aus der Unternehmenskommunikation

Copyright by the author Reproduced by LAUD

2009 Linguistic Agency

Series A University of Duisburg-Essen

General and Theoretical FB Geisteswissenschaften

Paper No. 734 Universitätsstr. 12

D- 45117 Essen

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Janich, Nina

Zur Analyse von Textsorten-in-Vernetzung.

Eine Modelldiskussion an einem Fallbeispiel aus der

Unternehmenskommunikation1

1. Desiderata der Text(sorten)linguistik

„Die funktionalen Beziehungen zwischen Texten in der Textsortenlinguistik stellen ein bislang nur wenig beachtetes Phänomen dar. (...) Die Vernachlässigung funktionaler Textzusammenhänge ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß Texte wie alle sprachlichen Zeichen keine atomistischen Einzelgebilde darstellen, sondern ihren Stellenwert erst durch das Zusammenspiel mit anderen Texten erhalten. Der einzelne Text, verstanden als komplexe sprachliche Handlung, verhält sich dialogisch zu anderen Texten. Er weist zurück auf vorhergehende Texte und schafft die Voraussetzungen für weitere, ihm folgende Texte. Erst die Untersuchung der Beziehungen zwischen Texten ermöglicht ihre den tatsächlichen kommunikativen Gegebenheiten angemessene Beschreibung.“ (Girnth 1996: 66)

Das von Heiko Girnth hier angesprochene, zentrale Forschungsdesiderat der

Textsortenlinguistik wird nicht nur von anderen TextlinguistInnen wie Kirsten Adamzik und

Josef Klein bestätigt (siehe folgende Zitate und Belege), sondern war wohl – neben der

Ehrung der Jubilarin – auch eines der Motive für die Herausgabe des vorliegenden

Sammelbandes. So existieren zwar inzwischen zahlreiche Einzeltextsorten-Beschreibungen,

auch unter diachroner Perspektive, sowie Bemühungen um eine Taxonomie von Textsorten

(vgl. z.B. Überblick bei Adamzik 2001a: 25), doch bleibt die Sicht auf Textsorten dabei

weitgehend eine isolierte, die Textsorten nicht im Rahmen von Kommunikationsprozessen

und damit auch nicht in ihrer funktionalen Verflechtung mit anderen Textsorten betrachtet:

„Die m.E. wesentlichste Beschreibungskategorie, um die die Textsortenforschung dringend erweitert werden sollte, betrifft das Kriterium der Einbettung von Textsorten in umfassendere kommunikative Strukturen und ihre Vernetztheit miteinander. Denn Textsorten bilden – wie die Elemente anderer Ebenen der Sprache – strukturierte Subsysteme und gehören zu bestimmten Interaktions- oder Diskursrahmen. Zur Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe können verschiedene Textsorten benutzt werden (diese stehen also in paradigmatischer Relation wie z.B. eine Werbeanzeige, ein Werbeplakat oder ein Werbebrief); häufig muss man auch eine ganze Reihe von Textsorten nacheinander bzw. grob gesprochen ‚gleichzeitig’ produzieren, um eine komplexe kommunikative Aufgabe zu erfüllen.“ (Adamzik 2000: 109)

1 Mein Dank geht an das Linguistische Kolloquium des Germanistischen Instituts der Universität

Dortmund, in dessen Rahmen ich Gelegenheit hatte, die hier vorgestellten Ideen vorab zu diskutieren. Für zahlreiche Anregungen, die in diesen Beitrag eingeflossen sind, danke ich besonders Michael Beißwenger, Gisela Brünner, Ludger Hoffmann und Angelika Storrer.

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Auch die Intertextualitätsforschung, die ja ihr Augenmerk per definitionem auf

Textbeziehungen richtet, bleibt Untersuchungen zur Vernetztheit von Textsorten und ihre

genau darauf beruhende Funktion für die Bewältigung kommunikativer Aufgaben bislang

(meist zugunsten der Typologisierung von Einzeltextreferenzen) schuldig. Methodologisch

ist die vorliegende Untersuchung im Sinne Kleins jedoch in der Intertextualitätsforschung

anzusiedeln: Es geht um „Textsorten-Intertextualität“ (Klein 2000: 33), d.h. die netzartigen

(mindestens syntagmatisch und paradigmatisch beschreibbaren) Strukturen zwischen

einzelnen Textsorten (und deren Realisierungen), womit die möglichen Typen von

Intertextualität (nämlich a) Beziehung zwischen Textmuster und -exemplar; b) Beziehung

zwischen Textexemplar und Textexemplar; c) Beziehungen zwischen Teiltexten; siehe

Adamzik 2001b: 28f; Beaugrande/Dressler 1981: 188) um eine wesentliche vierte Relation

ergänzt werden.

Als Vorreiter einer Linguistik von Textsorten-in-Vernetzung können im Wesentlichen

die Arbeiten von Klein (1991, 2000) sowie Girnth (1996) gelten. Beide Autoren zeigen an

exemplarischen Ausschnitten aus der öffentlichen Kommunikation (politischer Diskurs,

Gesetzgebungsverfahren, Soap Opera), in welcher Weise Textsorten im Rahmen von

„Handlungsfeldern“ (Girnth) bzw. „Interaktionsrahmen“ (Klein) miteinander vernetzt sein

können und wie dadurch diskursive Strukturen entstehen. Sie beschränken sich allerdings

auf Analysen von Einzelphänomenen, um die Relevanz des Themas überhaupt aufzuzeigen,

verzichten aber noch weitgehend auf methodische Grundsatzdiskussionen oder die

Entwicklung von übergreifenden Analysemodellen, die die relevanten Aspekte der

Textsortenvernetzung möglichst vollständig zu erfassen versuchen. Klein führt zwar mit

Textsorten-Intertextualität, Geltungsmodus und Texthandlungsmuster drei unterschiedliche

analytische Ebenen ein (Klein 2000: 33f), bezieht diese jedoch noch nicht systematisch und

unter Einbeziehung weiterer pragmatischer und textlinguistischer Analysekategorien

aufeinander. So müsste eine adäquate Beschreibung von Textsorten-in-Vernetzung ja nicht

nur auf die funktionalen Beziehungen der unterschiedlichen Textsorten eingehen, sondern

dies z.B. weiterhin auf der Basis differenzierter Textsortenbeschreibungen tun:

„Inzwischen hat sich nämlich erfreulicherweise das Modell so genannter Mehr-Ebenen-Klassifikationen (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 145ff., Heinemann 2000) weitgehend durchgesetzt. Danach werden Textsorten auf mehreren Typologisierungsebenen charakterisiert. Teilweise ungeklärt ist allerdings (…) noch, welche Beschreibungsdimensionen dabei berücksichtigt und welche Kategorien, Merkmalsausprägungen, ‚Belegungen‘ benutzt werden sollen.“ (Adamzik 2001a: 16f)

Dabei steht die Textlinguistik, wie dies bei Adamzik bereits anklingt, vor dem Problem,

welche Rolle das Musterhafte (und damit relativ leicht Herauszufilternde) von Texten

spielen soll und wie relevant – gerade unter dem Aspekt funktionaler Verknüpfung – das

vom Muster Abweichende, das Individuelle an Texten in einer Analyse sein sollte – bzw.

wie letzteres zu operationalisieren wäre:

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„Konzentrieren wir uns bei der Beschreibung von Gebrauchstexten nicht auf die Sonderklasse der Formulartexte, so müssen wir auch deren nicht-rekurrente Eigenschaften untersuchen. Verbunden ist damit zugleich die Aufgabe, einzelne Texte oder Gruppen von Texten ‚ein und derselben Sorte‘ in ihrer Individualität oder Spezifik ernst zu nehmen, sie einer stilistischen Analyse zu unterziehen, um die Unterschiede auch interpretierbar zu machen. Der Aspekt der Mustergeprägtheit, der allgemeinen Textsortenzugehörigkeit, relativiert sich dabei in seiner Bedeutung in derselben Weise, wie wir es bei der Frage nach der Gattungshaftigkeit eines literarischen Werks gewohnt sind.“ (Adamzik 2001a: 25)

Neben der Textsortenbeschreibung spielt schließlich für die Aufdeckung und Interpretation

funktionaler Beziehungen zwischen den Textsorten der pragmatische Rahmen, der Kontext

eine wesentliche Rolle. Mit Kontext sind dabei nicht nur das (vorwiegend situativ

bestimmte) Handlungsfeld/der Interaktionsrahmen sowie die (vorwiegend inhaltlich

determinierte) Einbettung in einen oder mehrere Diskurse gemeint, sondern eine in der

Textsortenlinguistik (unter dem Vernetzungsgedanken!) ebenfalls bislang zu sehr

vernachlässigte Instanz, nämlich die der Kommunikationsteilnehmer. Natürlich spielen

Textproduzent und -rezipient in der Textlinguistik schon lange eine angemessen wichtige

Rolle in Bezug auf Textfunktion, Adressierungsstrategien und Textgestaltung. Gemeint ist

hier aber noch etwas anderes: Die Kommunikationsteilnehmer können in Diskursen und

Handlungszusammenhängen ganz unterschiedliche Rollen einnehmen (z.B. als

Diskursakteure, Funktionsträger, in Beteiligungs- oder illokutionären Rollen, vgl.

ausführlich Adamzik 2002) und aufgrund dessen auch die Relevanz der miteinander

vernetzten Textsorten sowie der Beziehungen zwischen den Textsorten als solche ganz

unterschiedlich bewerten:

„Und um dem weitgesteckten Ziel näher zu kommen, den kommunikativen Haushalt von Gesellschaften zu beschreiben, ist es auch erforderlich, den quantitativen und qualitativen Stellenwert solcher Textsorten (für bestimmte gesellschaftliche Gruppen) zu berücksichtigen (…).“ (Adamzik 2000: 110)

„Die Frage ist nicht so sehr, welche Relationen sich überhaupt ausmachen lassen, sondern welche Relationen für die Kommunikationsteilnehmer bzw. bestimmte Untergruppen von ihnen relevant sind, anders gesagt: welche von ihnen realisiert werden.“ (Adamzik 2001b: 32)

Im Zentrum einer Textsortenlinguistik, die sich mit der Vernetztheit von Textsorten

beschäftigt, sollte daher die Untersuchung des „Umgangs mit Textsorten“ (Adamzik 2000:

110) stehen, wenn Vernetztheit tatsächlich als eine pragmatische Kategorie ernst genommen

werden und zu weiterführenden Erkenntnissen über den „kommunikativen Haushalt von

Gesellschaften“ führen soll.

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2. Modell zur Beschreibung vernetzter Textsorten

Wie könnte also ein Modell aussehen, das die angesprochenen Aspekte einer Beschreibung

von Textsorten-in-Vernetzung systematisch aufeinander bezieht? Der folgende Vorschlag

ist ein Versuch, analytisch relevante Aspekte sinnvoll zusammenzuführen, um das Modell

dann an einer Fallstudie aus dem Bereich Unternehmenskommunikation zu

veranschaulichen und in Ansätzen zu erproben. Vorauszuschicken ist die Bemerkung, dass

sich die Qualität und Validität eines Analysemodells erst in seiner adäquaten Adaption an

eine konkrete Fragestellung erweist. Eine solche Anpassung ist jedoch auch im Nachhinein

(z.B. im Rahmen einer Fallstudie) möglich: Angesichts der mehrfach angemahnten und

oben zusammengestellten sehr grundsätzlichen Desiderata erscheint es mir legitim, in einem

ersten Schritt eine noch unspezifizierte und konkrete Fragestellungen übergreifende

Zusammenschau analytischer Kategorien vorzustellen, die dem Einzelnen dann

unbeschränkt Modifikationen je nach konkretem Erkenntnisinteresse ermöglicht.

Auf eine grafische Übersicht über das Analysemodell (Abb. 1) folgt dessen

Erläuterung:

Abb. 1: Modell zur Analyse von Textsorten-in-Vernetzung

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Kommunikanten und ihre Zwecke

Im Mittelpunkt stehen die Kommunikanten und ihre Zwecke, wobei letztere unmittelbar auf

die zu bewältigende kommunikative Aufgabe, in deren Rahmen es zur Produktion und

Rezeption vernetzter Textsorten kommt, zu beziehen sind. Ziel dieser Fokussierung ist es,

bei der Textsortenanalyse beständig den Standpunkt der Betroffenen im Blick zu haben,

also

ihre Rollen und Funktionen, die sie im Rahmen der kommunikativen Aufgabe konkret

oder im Rahmen des Handlungsfeldes und Kommunikationsbereichs bzw. des Diskurses

allgemein einnehmen;

ihre damit zusammen hängenden Interessen und Ziele,

ihr Vorwissen (Weltwissen, Situations- und Kontextwissen, Sprachwissen und bereits

gemachte Kommunikationserfahrungen) sowie

das sie betreffende (sprachliche wie nichtsprachliche!) Handlungs- und

Entscheidungsgeflecht, in das die kommunikative Aufgabe eingebettet ist.

Adamzik (2002) hat den Versuch gemacht, die verschiedenen Rollen und Funktionen, die

Kommunikationsteilnehmer in konkreter Kommunikation einnehmen können, bzw. die

sprachwissenschaftlichen Perspektiven darauf zu systematisieren. Sie unterscheidet

Interaktanten als Akteure der illokutionären Rolle, d.h. ob jemand – entsprechend dem

von ihm vollzogenen Kommunikationsakt – z.B. ein Befehlender, ein Fragender, ein

Antwortender, ein Erpressender usw. ist. Diese Rollen sind jedoch so eng an die

Textfunktion gebunden, dass ihre Aufdeckung bei der Analyse öffentlicher

Kommunikation in der Regel wenig erhellend ist bzw. mehr im Sinne der Textfunktion

als im Sinne einer spezifischen Teilnahme an der Kommunikation eine Rolle spielt

(Adamzik 2002: 229f).

Interaktanten als Funktionsträger, d.h. potenzielle und zugleich für eine Interaktion

obligatorische Textakteure, für die charakteristisch ist, „dass sie die einzigen sind, die

bestimmte (kommunikative) Handlungen vollziehen und entsprechende Texte bzw.

Textsorten produzieren (und auch rezipieren) dürfen und müssen; ihre gesellschaftliche

Aufgabe besteht wesentlich in der Teilnahme an solchen kommunikationsbereichs-

spezifischen Aktivitäten“ (Adamzik 2002: 231). Beispiele für Funktionsträger mit

spezifischen kommunikativen Rechten und Pflichten sind Gerichte, Richter, Parteien,

Professoren, Präsidenten usw. Sie müssen gerade in der öffentlichen Kommunikation

nicht zwingend mit den tatsächlichen Textproduzenten zusammenfallen, die sogar so

stark in den Hintergrund treten können, dass sie für Außenstehende unidentifizierbar

bleiben (z.B. politische Redenschreiber, Gremienmitglieder).

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Interaktanten als Diskursakteure, d.h. „privilegierte Akteure im gesellschaftlichen

Diskurs“ (Adamzik 2002: 234; Hervorhebung im Original), die unabhängig von ihrer

Funktion oder beruflichen Rolle eine bestimmte Diskursposition (z.B. als Anhänger,

Gegner, Minderheit usw.) einnehmen können und dies – hier liegt der Unterschied zum

Funktionsträger – freiwillig tun (Adamzik 2002: 234f).

Interaktanten als Individuen, d.h. als individuelle Subjekte, die unterschiedlich

bereitwillig obligatorische oder freiwillige Rollen (als Funktionsträger, als

Diskursakteur, als Privatperson) übernehmen bzw. ihre übernommenen Rollen

individuell unterschiedlich ausfüllen können (Adamzik 2002: 236-240).

Interaktanten als Mitglieder der Sprach-/Kommunikationsgemeinschaft, wenn nämlich

ihre Sprachkompetenz (z.B. im Verhältnis Muttersprachler – Fremdsprachler oder

Fachmann – Laie) zur Rollencharakterisierung und -bewertung durch andere

Interaktanten führt (Adamzik 2002: 240-245, bes. 241). Wichtig erscheint diese

Perspektive auf Interaktanten nicht zuletzt deshalb, weil in der öffentlichen

Kommunikation Sprachkritik sehr schnell zu einer „Kritik an der Kompetenz der Person

als Funktionsträger und Diskursakteur“ umschlagen kann (Adamzik 2002: 245).

Interaktanten als Kommunikanten (Beteiligungsrollen), d.h. als Akteure, deren konkrete

Beteiligung am kommunikativen Austausch im Fokus steht. Oft genug kann die

tatsächliche Beteiligung potenzieller Akteure (insbesondere der Rezipienten) gar nicht

ohne weiteres festgestellt werden. Laut Adamzik sollte die Perspektive auf

Beteiligungsrollen dennoch nicht unberücksichtigt bleiben, gerade wenn man konkrete

Kommunikationsprozesse untersuchen möchte, weil z.B. das Auseinanderfallen von

intendiertem Rezipienten/idealem Leser und faktischer Rezeption und Reaktion durch

reale Rezipienten für die Kommunikationsdynamik eine zentrale Rolle spielen kann

(Adamzik 2002: 245-253, bes. 247f).

Kommunikative Aufgabe

Die kommunikative Aufgabe steht prinzipiell nicht isoliert im luftleeren Raum (so wie sich

auch die Kommunikanten nicht in einem solchen bewegen), sondern ist funktional-

strukturell normalerweise an konkrete Handlungsfelder (Girnth 1996) bzw.

Interaktionsrahmen (Klein 1991) bzw. Domänen, also Kommunikationsbereiche, die durch

typische Situationstypen und -konstellationen gekennzeichnet sind, gebunden. Damit sind

die Texte und Gespräche, die im Rahmen einer kommunikativen Aufgabe aktualisiert

werden, Teil eines oder mehrerer Diskurse und aufgrund ihrer Vernetztheit durch

Diskursivität gekennzeichnet.

Ein kurzer Exkurs zur verwendeten Terminologie:

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Ich verstehe hier unter Text mit Ingo Warnke „eine kommunikative Einheit mit situativer

sowie illokutiver, propositional-thematischer, grammatischer und formaler Kohärenz“

(Warnke 2002: 134) und damit als singuläres kommunikatives Ereignis.

Texte basieren in der Regel auf Textmustern, d.h. auf „historisch generierten

Bezugsgrößen für die inhaltliche, grammatische und formale Architektur von Texten

(...), die durch Situationsparameter gekennzeichnet sind“ (Warnke 2002: 134).

„Die Gesamtheit der singulären Texte zu einem gemeinsamen Redegegenstand

konstituiert schließlich den Diskurs als System des Denkens und Argumentierens, das

von einer Textmenge abstrahiert ist.“( Warnke 2002: 134; Hervorhebung im Original)

Unter Diskursivität als Merkmal von Texten ist damit der „kommunikative

Zusammenhalt einer Vielzahl singulärer Vertextungen [zu verstehen], der als seriell

organisierte und anonyme Praxis historisch real ist“ (Warnke 2002: 136).

Der Begriff der Textsorte ist im Folgenden daher als ein sehr weiter Begriff zu

verstehen, der noch vor einer differenzierten Analyse „irgendwelche Mengen von Texten

mit gemeinsamen Eigenschaften“ (Adamzik 2001a: 21) zusammenfasst und damit in

einem ersten Schritt auch auf Gespräche und alle mündlichen Realisationsformen von

Texten bezogen sein kann.

Zu unterscheiden ist damit das für die Modellbildung verwendete, extensional weit

angelegte Verständnis von ‚Text’ und ‚Textsorte’, das für analytische Erkenntnisse über

konkrete Textsorten-Vernetzungen aufgrund der Beschränkung auf

Klassengemeinsamkeiten noch unergiebig bleibt (vgl. Adamzik 2001a: 25) – und die

angestrebte engere Begriffsverwendung in der Analyse, die die im Rahmen einer konkreten

kommunikativen Aufgaben aktualisierten Texte und Gespräche in ihrer Musterhaftigkeit,

aber auch in ihrer individuellen Spezifik untersucht und charakterisiert.

Aus der inhaltlichen wie situativen Einbindung einer kommunikativen Aufgabe ergeben

sich nun aufgabenspezifische allgemeine Handlungszwecke und Handlungsbedingungen (vgl.

Franke 1991: 158): Diese sind als allgemein zu verstehen im Vergleich zu den Zwecken und

Bedingungen der einzelnen, später zu beschreibenden Textsorten, spezifisch aber im Vergleich

zu den Zwecken der Kommunikationsteilnehmer, da sie unmittelbar auf die kommunikative

Aufgabe bezogen sind und dadurch unter Umständen partiell mit den Zwecken und Interessen

der Kommunikanten in Konflikt geraten können.

Die Handlungszwecke, d.h. die Handlungsergebnisse und die (beabsichtigten)

Handlungsfolgen, sollten dabei von (unbeabsichtigten) Nebenfolgen sprachlicher

Handlungen unterschieden werden (Janich 2004: 22f). Unter Handlungsbedingungen sind

allgemeine Bedingungen zu verstehen, die erfüllt sein müssen, damit die Zwecke erreicht

werden können – sie beziehen sich daher zurück auf die Situation, das Handlungsfeld und

den Diskursrahmen.

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Textsorten-in-Vernetzung

Textsorten bzw. die sie realisierenden Textexemplare stehen in mehrfacher Hinsicht

zueinander in Beziehung. Im einleitenden Zitat (s.o.) wies Girnth bereits darauf hin, dass

Textsorten chronologische Abfolgen aufweisen können, indem ein Text auf frühere Texte

zurückweist und zugleich die Voraussetzung für folgende Texte darstellt (man denke

beispielsweise an die Abfolge Magisterarbeit – Gutachten – Zeugnis). Adamzik fasst dieses

chronologisch-funktionale Verhältnis als syntagmatische Beziehungen zwischen Textsorten

und stellt ihnen die paradigmatischen Beziehungen gegenüber (Adamzik 2001b: 30):

Welche Medien und Textsorten stehen zur Realisierung der Handlungen und zur Erfüllung

der kommunikativen Aufgabe jeweils zur Verfügung (man denke z.B. an die prinzipiell erst

einmal freien Kombinations- oder Ersatzmöglichkeiten von Plakat, Anzeige, Fernsehspot,

Radiospot, Kinospot, Prospekt, Internetseite etc. in der Werbung)? Adamzik weist

allerdings auch darauf hin, dass diese beiden Ebenen voraussichtlich nicht genügen, so dass

im Modell zusätzlich eine (noch spezifizierbare) Beschreibungskategorie

„mehrdimensional“ eingeführt wurde, um der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass noch

andere funktionale Beziehungen als „nacheinander“ und „statteinander“ zwischen

Textsorten möglich sind, wie sie auch bereits in der Beschreibung des Textfeldes ‚Soap

Opera’ bei Klein aufscheinen (Klein 2000: 34-36).

Klein schlägt eine weitere Markierung der Textsorten-Relationen vor, nämlich ob sie

verfahrensbedingt oder variabel sind (Klein 2000: 36): In einem Gesetzgebungsverfahren

beispielsweise sind das Textsortenspektrum und seine inhärenten Relationen weitgehend

festgelegt, das Textsortenfeld rund um eine Soap Opera-Folge (wie Programmnotiz,

Drehbuch, Werbespot, vorherige Folge, Fortsetzung, TV-Kritik usw.) dagegen zwar oft

konventionell üblich, aber im Prinzip bis zu einem gewissen Grad variabel. Bei der

Beschreibung von Textsorten-in-Vernetzung sollten daher auch mögliche

Handlungsspielräume aufgezeigt werden, die umso spannender erscheinen, je weniger die

untersuchten Textsorten-Relationen verfahrensbedingt festgelegt sind.

Textsortenbeschreibung

Schließlich gehört zu einer Untersuchung der Vernetztheit von Textsorten auch deren

Beschreibung im Einzelnen – nicht, weil dies bislang in der Textsortenlinguistik sowieso

üblich war, sondern um die zwischen den Texten bestehenden Relationen letztlich

überhaupt erst erfassen bzw. begründen zu können. Eine Textsortenanalyse kann sich dabei

zum Beispiel nach der Mehrebenenklassifikation von Wolfgang Heinemann richten, die

mindestens eine formal-grammatische, eine inhaltlich-thematische, eine situative und eine

funktionale Ebene der Beschreibung unterscheidet (Heinemann 2000).

Zu unterscheiden sind je Ebene dann die rekurrenten Merkmale, die eine Textsorte

konstituieren, und die spezifischen Merkmale individueller Texte (s.o.: Adamzik 2001: 25).

Neben der abstrahierenden Beschreibung und Klassifikation sollte also immer auch der

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tatsächliche Sprachgebrauch und die konkrete Realisierung der Textsortenrelationen im

Blick behalten werden, um Rückkopplungseffekte auf ein Textsorten-Netz und den Umgang

der Kommunikanten damit erfassen zu können. Zu Rückkopplungseffekten kann es

beispielsweise kommen durch

unvorhersehbare Nutzung von Handlungs- und Formulierungsspielräumen,

durch individuelle Interessen der Beteiligten,

durch ungeplant/unkalkuliert abweichende Rezeptionsweisen und Interpretationen bzw.

unterschiedliche Relevanzeinschätzung einzelner Kommunikationsschritte durch

verschiedene Beteiligte oder

durch (sprachliche und nicht-sprachliche) Ereignisse, die außerhalb des eigentlichen

Kommunikationsprozesses liegen.

Der Geltungsgrad von Textsorten, d.h. welche Bindekraft eine Textsorte für die

Kommunikanten hat, ließe sich zwar über die funktionale oder die situative Ebene der

Textsortenbeschreibung miterfassen, wird jedoch von Klein eigens hervorgehoben, weil er

unmittelbaren Einfluss auf intertextuelle Beziehungen (z.B. die Notwendigkeit von

Folgetexten) haben kann.

3. Fallstudie Unternehmenskommunikation

Der obige Vorschlag für einen Analyseansatz soll nun an einer Fallstudie aus der internen

Unternehmenskommunikation veranschaulicht und in Ansätzen erprobt werden. Es geht

dabei um ein Projekt einer deutschen Tochter (mit mehreren Standorten) eines großen

internationalen Unternehmens mit dem Projekttitel „Productivity“ (Laufzeit Juli 2003 bis

Dez. 2004), dessen Ziel ein sozialverträglicher Personalum- und abbau aufgrund der

schlechten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens war, um damit die

Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wieder zu erhöhen. (Da es sich um einen Vorgang

der internen Kommunikation handelt, können weitere Rahmeninformationen nur bedingt

und anonymisiert gegeben werden.)

Bei der Fallstudie geht es in erster Linie darum, die vielschichtige Vernetztheit von

Textsorten in der Unternehmenskommunikation und darauf aufbauende

Erkenntnisinteressen der sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung

aufzuzeigen.

3.1 Das Projekt „Productivity“ als Kommunikationsprozess

Um das Projekt als kommunikatives Ereignis bzw. Kommunikationsprozess etwas genauer

vorzustellen, sollen vor der eigentlichen Textsortenanalyse kurz die Gegenstände der

Kommunikation (verhandelte Maßnahmen) sowie die Chronologie der Kommunikation

(Kommunikationsereignisse und Textsorten/Medien im Überblick) dargestellt werden.

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Verhandelte Maßnahmen

Im Rahmen des Projekts „Productivity“ ging es im Detail um folgende Maßnahmen, die

zwischen Management, MitarbeiterInnen und Betriebsrat verhandelt und zum Teil

umgesetzt wurden:

„freiwillige Aufhebungsvereinbarungen“, d.h. vertragliche Regelungen mit

MitarbeiterInnen, die das Unternehmen freiwillig verlassen (in diesem Zusammenhang

u.a. Gründung einer Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft, um den ausscheidenden

MitarbeiterInnen die Weiterqualifizierung und die Suche neuer Anstellungen zu

erleichtern),

Arbeitszeitverkürzungen,

Altersteilzeitvereinbarungen,

55plus-Programm als spezielle Regelung für Mitarbeiter über 55 Jahren,

notfalls betriebsbedingte Kündigungen.

Für 2003 war ursprünglich ein Abbaubedarf von 721 Stellen vorgesehen, der nach

Verhandlungen mit dem Betriebsrat auf 590 reduziert wurde. Ein für Ende 2004 zusätzlich

eingeplanter Abbau von weiteren 100 Stellen wurde von der Geschäftsführung aufgrund der

schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens im Juli 2004 auf 378 Stellen

erhöht; nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurde für 2004 der faktische Abbau von

152 Stellen beschlossen.

Kommunikationsereignisse und Kommunikate im Überblick

1. Vorgeschichte und Projektstart

Das Projekt „Productivity“ ist ein Folgeprojekt eines vorausgehenden, abgeschlossenen

Projekts „Revitalize“, dessen Ergebnisse zu der Erkenntnis geführt haben, dass eine

Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit durch personelle Maßnahmen nötig erscheint. Dem

eigentlichen Projekt „Productivity“ geht daher eine Präsentation der Ergebnisse des

Vorläufer-Projekts voraus, die im Rahmen des Kommunikationsprozesses/der

Textsorten-Vernetzung des ersten Projekts dessen Abschluss, für das Projekt

„Productivity“ jedoch den Startschuss und die Begründungsgrundlage darstellt.

Aus dem Vorgängerprojekt wird eine eigene Projektbegründung für „Productivity“

abgeleitet, und zwar in Form einer Information zur Situation des Unternehmens.

Daraufhin findet die Ernennung und Vorstellung („Announcement“) des „Productivity“-

Teams statt, d.h. einer Personengruppe, die für die Kommunikationsplanung und

Kommunikationsorganisation zuständig ist und als Schaltstelle zwischen den

Interessensgruppen (Management vs. MitarbeiterInnen und Betriebsrat) fungiert.

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2. Planung und Dokumentation

Im Rahmen der Planung und Dokumentation des Projekts wird von dem „Productivity“-

Team ein interner Kommunikationsplan in Form eines Excel-Datenblatts erstellt, auf

dem sich Informationen zu Datum, Maßnahme/Informationsinhalt, Adressaten und

Medium finden und in dem so genannte „Meilensteine“, also Teilziele des Projekts,

definiert werden (siehe Abb. 2 unter 3.3). Es ist nicht ganz klar, ob der vorliegende

Kommunikationsplan tatsächlich die Planungsgrundlage oder angesichts der sehr hohen

Übereinstimmung mit den tatsächlich vorliegenden Kommunikaten nicht vielmehr eine

laufend im Nachhinein an die Realität angepasste chronologische Dokumentation der

einzelnen Projektschritte und Kommunikationsereignisse darstellt. Die Funktion einer

solchen Übersicht ist zu Projektbeginn jedenfalls sicherlich die Planung; im Sinne der

Rechenschaftspflicht des Projektteams scheint er während des Projektverlaufs jedoch

seine Funktion in Richtung Nachweis und Dokumentation zu ändern, für die

Textsortenanalyse ein nicht unwichtiges Faktum (siehe auch unter 3.3).

Die eigentliche Dokumentationsfunktion wird jedoch von einer zu Projektschluss

veröffentlichten Online-Übersicht über den Kommunikations-, Verhandlungs- und

Projektverlauf geleistet, die mit den jeweiligen originalen Mailtexten der Rundschreiben

an alle MitarbeiterInnen sowie mit den informierenden Artikeln des Intranet-Newsletters

verlinkt ist, so dass zumindest die Kommunikation mit den MitarbeiterInnen von der

Unternehmensöffentlichkeit im Detail nachvollzogen werden kann. (Der parallel

verlaufende Kommunikationsstrang mit der Adressatengruppe Management taucht in

dieser Übersicht nicht auf, da eine solche Transparenz nicht für die gesamte

Unternehmensöffentlichkeit gedacht ist!)

Ergänzend existiert eine ähnliche Online-Übersicht, zu der nur das Management Zugang

hat, die den Kommunikations-, Verhandlungs- und Projektverlauf vollständig, d.h. auch

mit den originalen Mailtexten der Rundschreiben an das Management widerspiegelt.

3. Ablauf

Das Projekt ist in seinem Ablauf durch folgende Kommunikationsereignisse

gekennzeichnet:

Ein sog. White Book dient als Zielformulierung und Maßnahmenkatalog des Projekts

und damit als Verhandlungsgrundlage mit dem Betriebsrat; es werden während der

Projektlaufzeit drei verschiedene Versionen erstellt und ausgegeben.

Es findet eine Fragebogenaktion statt, die die Personaldaten im Unternehmen erhebt, um

einen einheitlichen und systematischen Überblick über die MitarbeiterInnen und ihre

Qualifikationen zu erhalten (um damit Kunden in der Angebotsphase Fachkompetenz

demonstrieren zu können) und um Arbeitsplatzwechsel in und außerhalb des

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Unternehmens durch schnellen Informationszugriff zu erleichtern (d.h. als Grundlage für

einen sog. „Workforcemanagementtool“).

Das Projektteam kommuniziert während des Projekts (außer durch die leider nicht

dokumentierte mündliche Kommunikation) intensiv über Rundmails mit den

Interessensgruppen (d.h. es gibt Mails „an alle Manager“, „an alle Mitarbeiter“ und „an

alle“).

Es finden zweiwöchentlich Telefonkonferenzen des Managements statt, organisiert

ebenfalls vom Projektteam.

Es gibt feste Verhandlungstermine mit dem Betriebsrat.

An den verschiedenen Standorten in Deutschland finden Betriebsversammlungen zu den

Projektzielen und den Verhandlungen statt.

Das Projektteam organisiert Informationsveranstaltungen für Mitarbeiter (so genannte

„Infocenter“)

Es erscheinen unregelmäßig Artikel über einen Newsletter im Intranet über den

Projektverlauf und die Verhandlungsergebnisse.

Das Projektteam verfasst einen Abschlussbericht.

4. Begleitende Materialien

Zu den projektbegleitenden Materialien zählen folgende Kommunikate:

Formulare (z.B. Gesprächsprotokoll, Meldung zur Freiwillige Aufhebung, Besondere

Vereinbarungen zum Arbeitsvertrag/zur Arbeitszeitreduzierung),

Verträge und Vertragsentwürfe (z.B. die „Gesamtbetriebsvereinbarung“),

pdf-Downloads mit allgemeinen Informationen zu den rechtlichen Regelungen, die in

den Verhandlungen bzw. Verhandlungsergebnissen eine Rolle spielen, publiziert im

Intranet,

pdf-Downloads mit Listen der häufig gestellten Fragen und den entsprechenden

Antworten („Q&A“ = questions and answers) für Mitarbeiter bzw. für Manager,

publiziert im Intranet

ein Zeiterfassungstool zur Arbeitszeitverteilung nach SAP.

Relevante Textsorten und Medien

An Medien und Kommunikationsformen kommen im Projekt „Productivity“ also

nachweislich folgende zum Einsatz: das Intranet als monologisch angelegtes Medium

(informierende Artikel, Downloads, Online-Dokumentationen) sowie E-Mail und

Telefon(konferenzen) als dialogische Kommunikationsmedien. Der Stellenwert von

Printmedien wird aus dem mir zur Verfügung stehenden Material nicht ganz klar, es ist aber

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zu vermuten, dass zumindest die White Books und sicherlich alles Vertragsähnliche in

Printform existiert und verwendet wird. Face-to-Face-Gespräche spielen schließlich im

Bereich der Verhandlungen und der Informationsveranstaltungen eine zentrale Rolle.

Nach einer ersten Durchsicht lassen sich damit auch folgende Textsorten fixieren:

Texte mit dominanter Informationsfunktion: Intranetartikel (Fließtext), Q&A (Frage-

Antwort-Struktur), Status- und Verhandlungsberichte, Vorabinformationen für Manager

(z.B. vor Telefonkonferenzen oder Verhandlungsterminen), Rundmails (z.B. zu

Terminen und Terminverlängerungen), Pressemeldung, Protokolle und

Protokollformulare – die Informationsfunktion ist hier relativ weit gefasst und beinhaltet

z.B. auch Texte, die der Rechtfertigung und Begründung von Maßnahmen oder

Verhandlungsergebnissen dienen;

Texte mit dominanter Appellfunktion: Einladungen (vorwiegend wohl via E-Mail, z.B.

zur Telefonkonferenz, Infoveranstaltung), Fragebogen zu Personaldaten bzw. zur

Aktualisierung einer ersten Umfrage, Handlungsempfehlungen/-anleitungen (z.B. „So

können Sie sich bewerben“). Die Einladungen zu Informationsveranstaltungen haben

ganz sicherlich auch Kontaktfunktion, doch im Interesse des Projekts bzw. der

Akzeptanz der geplanten Maßnahmen dürfte hier die Appellfunktion dominieren;

Texte mit dominanter Obligationsfunktion: Verträge, Vertragsentwürfe, Formulare für

vertragliche Vereinbarungen, Kommunikationsplan (sofern man ihm den

selbstverpflichtenden Charakter eines Planungsinstruments zuschreibt, s.o.).

Nicht eindeutig einzuordnen sind die mir nicht vorliegenden White Books – sie nehmen als

Absichtserklärung des Managements und Verhandlungsgrundlage wohl eine

Zwischenstellung zwischen Informations- und Obligationsfunktion ein.

Die bisherigen Listen und Übersichten deuten bereits die Vielschichtigkeit des hier

untersuchten Kommunikationsprozesses und die Vielfalt der zum Einsatz kommenden

Medien und Textsorten an, verweisen aber auch auf ein zentrales methodisches Manko der

Untersuchung, das sehr wahrscheinlich nicht nur für Vorgänge der internen

Unternehmenskommunikation gilt: Nicht nur liegen die schriftlich realisierten Texte nicht

vollständig vor (und sind aus Gründen der Geheimhaltung auch nicht zugänglich), sondern

vor allem die mündliche Kommunikation kann entweder überhaupt nicht oder nur über

nachträgliche und verkürzte Fixierung durch Gesprächsprotokolle erfasst werden. Und

selbst bei einer angenommenen optimalen Dokumentationslage bezüglich offizieller

Meetings oder Sitzungen geht auf jeden Fall die informelle Kommunikation, deren wichtige

Rolle für die Unternehmenskommunikation in der Forschung weitgehend anerkannt ist (z.B.

Bruhn 2005b: 1263f; Brünner 2000: 8), für die Untersuchung verloren.

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3.2 Textsorten-in-Vernetzung: Analyse

Obwohl die Kommunikanten im unter 2 vorgeschlagenen Analysemodell im Mittelpunkt

stehen, sollen sie aus verschiedenen Gründen vorerst noch zurückgestellt werden (siehe

ausführlich dann unter 3.3). Gehen wir die anderen wichtigen Ebenen des Modells durch, so

kommen wir zu folgenden Einschätzungen über das Projekt „Productivity“:

Das inhaltlich-thematisch definierte Diskursfeld ist die politisch aktuelle Diskussion

über die wirtschaftliche Situation in Deutschland, insbesondere über

Beschäftigungsverhältnisse und drohenden Stellenabbau, die Arbeitsmarktpolitik und

Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Als Domäne bzw. kommunikatives Handlungsfeld lässt sich die

Wirtschaftskommunikation festlegen, und zwar das besondere Feld der internen

Unternehmenskommunikation.

Die kommunikative Aufgabe, der sich das Projekt zu stellen hat, lässt sich dadurch

charakterisieren, dass der allgemeine Handlungszweck in einer wirtschaftlichen

Konsolidierung des Unternehmens durch einen (sozialverträglichen) Stellenum- und -abbau

liegt. Die allgemeinen Handlungsbedingungen sind charakterisiert dadurch,

dass aus Sicht der Funktionsträger (dem Management) Handlungszwang herrscht,

dass bei den am Kommunikationsprozess Beteiligten bzw. den vom allgemeinen

Handlungszweck Betroffenen ein starkes Interessensgefälle herrscht, da es für die einen

in erster Linie um den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, für die

anderen zuerst einmal um ihr eigenes Schicksal als Arbeitnehmer geht,

dass es sich in Bezug auf das gesellschaftspolitische Diskursfeld um ein prinzipiell

immer und aktuell 2003/2004 durch die wirtschaftliche Rezession in Deutschland und

die hohen Arbeitslosenzahlen ganz besonders sensibles Thema handelt,

dass im Rahmen der internen Unternehmenskommunikation stark strukturierte

Kommunikationsstrukturen im Sinne von Hierarchien zwischen den Beteiligten zu

berücksichtigen sind (Zerfaß 2004: 293), dass es aber – abgesehen von der gesetzlich

vorgeschriebenen Beteiligung des Betriebsrates – keine prinzipiellen verfahrensbedingt

vorgegebenen Abläufe (wie beispielsweise beim Gesetzgebungsverfahren) gibt, die der

Orientierung dienen könnten.

Textsorten-Relationen lassen sich nun in vielfacher Weise und auf ganz verschiedenen

Ebenen feststellen:

Das Verhältnis Textmuster – Textexemplar ist relevant vor allem für formal relativ

festgelegte Textsorten wie Verträge, aber auch – zumindest firmenintern – wohl für

Textsorten wie den Kommunikationsplan oder das White Book.

Wichtige Relationen zwischen einzelnen Textexemplaren lassen sich ebenfalls

ausmachen: So wird anaphorisch z.B. explizit auf vorausgehende E-Mails hingewiesen

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(„in unserer Mail vom ... hatten wir Sie über den aktuellen Status … informiert. Darin

haben wir auch auf Informationsveranstaltungen … aufmerksam gemacht, die nun in

dieser Woche stattfinden werden.“). Implizit anaphorisch verweisen die fortlaufenden

Versionen des White Book (Version 1-3) und die Aktualisierungen der Frage-Antwort-

Listen (Q&A) aufeinander. Kataphorische Verweise finden sich implizit bei

Vertragsentwürfen auf den endgültigen Vertrag und explizit z.B. in den per Mail

verschickten Vorabinformation für das Management („Angehängte Kommunikation

werden wir heute, ..., um 17.00 an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ...

versenden. Vorab erhalten Sie die Kommunikation zu Ihrer Information.“) oder in

anderen Ankündigungen von in Kürze folgenden Informationen.

Systematisch aufeinander bezogene Textsorten dagegen sind zum Beispiel die

Einladungsmails zu Telefonkonferenzen, die die entsprechenden Einwahldaten

(Zeitpunkt, Passwörter, Durchwahlen) zur Verfügung stellen, oder Gesprächsprotokolle,

die sich auf vorgängige Gespräche beziehen. Man könnte hier auch Formulare ansetzen,

die einerseits als leere Vorlage, also als Muster vorliegen, andererseits als ausgefüllte

Versionen und damit als aktualisierte und gültige Texte.

Geht man nun weiter und untersucht, wie von Klein und Adamzik gefordert, die

Vernetzung der Textsorten über die bislang üblichen intertextuellen Relationen hinaus,

so lassen sich 1) paradigmatische Relationen vor allem bei Textsorten feststellen, die

sich durch das Medium bzw. die Kommunikationsform unterscheiden (z.B. Info-Mail vs.

informierender Artikel im Newsletter), die strukturell unterschiedlich aufgebaut sind

(z.B. Info-Downloads vs. Questions&Answers-Listen) oder die unterschiedliche

Zielgruppen im Auge haben (z.B. Informationsveranstaltung für Mitarbeiter vs.

Telefonkonferenz für Manager). Es zeigt sich jedoch, dass paradigmatische Relationen

wohl deswegen kaum eine besondere Rolle spielen, weil es selten Textsorten gibt, die

tatsächlich gegeneinander ersetzbar wären – eben weil gewisse kontextuelle

Unterschiede bestehen, die zu einem jeweils eigenen Stellenwert der Textsorten bzw.

Kommunikationsereignisse im Kommunikationsprozess führen: So haben die

Informationsveranstaltungen für Mitarbeiter bei aller Möglichkeit zur Information und

gemeinsamen Diskussion stärker die Funktion, die Betroffenen mit Fakten zu

konfrontieren und evtl. auch Handlungsempfehlungen zu geben, während die

Telefonkonferenzen der Manager zwar ebenfalls der Information und Diskussion dienen,

aber sicherlich einen größeren Spielraum für Entscheidungsfindungen bieten und damit

einen ganz anderen Einfluss auf den weiteren Kommunikationsverlauf nehmen können

als die Informationsveranstaltungen. Interessanter erscheinen daher 2) die

syntagmatischen Relationen, die nach Art der Relation weiter klassifiziert werden

können:

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a. chronologische Relationen: z.B. Ergebnispräsentation Vorgänger-Projekt

Situationsbericht Unternehmen Ernennung Projektteam Telefonkonferenzen

Management White Book Verhandlungen mit dem Betriebsrat Berichte

über Verhandlungsstand und Maßnahmen-Umsetzung; Telefonkonferenzen

Management Info-Rundmails bzw. Newsletter-Artikel für Mitarbeiter;

Handlungsanweisungen und Bereitstellung von Formularen und Vertragsentwürfen

Vertragsabschlüsse (hier sind Schleifen unterschiedlichen Umfangs und zu den

verschiedensten Zeitpunkten möglich und tatsächlich auch realisiert worden);

b. inhaltlich bzw. illokutionär begründete Relationen: z.B. Maßnahmenplanung und -

durchführung Begründung/Rechtfertigung; Vorschlag Verhandlung

Beschluss/Vertrag;

c. hierarchische Relationen: z.B. Info-Rundmails, Questions&Answers und

Projektdokumentation a) für die Unternehmensöffentlichkeit allgemein vs. b) nur für

das Management;

d. medial-technische Relationen: z.B. chronologische online-Projektdokumentation

mit Links zu authentischen Texten (Mails und Newsletter-Artikeln).

Die Übersicht über die Textsorten-Relationen zeigt, dass diese nicht nur zahlreich, sondern

auch vielschichtig sind, d.h. dass jede Textsorte bzw. jedes Textexemplar in mehrfacher und

unterschiedlicher Hinsicht mit anderen Texten/Textsorten verknüpft ist, so dass man

tatsächlich von einem mehrdimensionalen Textsortennetz sprechen muss, das sich nicht in

paradigmatischen/horizontalen und syntagmatischen/vertikalen Bezügen erschöpft.

Nun könnte (und müsste je nach Erkenntnisinteresse) eine differenzierte

Textsortenanalyse stattfinden, die sich hier auf die exemplarische Angabe zentraler (d.h. oft

einzeltextsortenübergreifender) Textsorten-Merkmale beschränken muss:

Stil: sprachlich formell, aber in der dialogischen Kommunikation (E-Mail-Verkehr) sehr

explizit, höflich und kollegial;

Inhalt: thematisch an Maßnahmenkatalog und dessen schrittweiser Verhandlung und

Abwicklung orientiert;

Funktion: Mails vorwiegend mit Informations- und Appellfunktion, aber auch

Kontaktfunktion; Intranet vorwiegend mit Informationsfunktion;

Verhandlungen/Besprechungen vorwiegend mit Obligations- und ggf.

Deklarationsfunktion (siehe auch unter 3); die illokutionären Rollen sind dabei sehr klar

und verfahrensbedingt auf die verschiedenen Funktionsträger verteilt;

Situation: nicht öffentlicher Kommunikationsbereich/unternehmensintern (z.T. weiter

eingeschränkt durch Instruktionen zur Vertraulichkeit und expliziten Restriktionen bzgl.

Adressatenkreis);

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Geltungsgrad der Text- und Gesprächssorten: insgesamt sehr hoch, jedoch staffelbar

nach rechtlicher Verbindlichkeit (vgl. Informationstexte vs. White Book vs. Vertrag).

Insgesamt ist der Kommunikationsprozess gekennzeichnet durch eine Kombination von

zeitlich/räumlich direkten Gesprächssorten und räumlich/zeitlich diversen Textsorten sowie

einer Kombination aus verfahrenstechnisch festgelegten und freien

Kommunikationsabläufen (Verhandlungsabläufe vs. interne Informationspolitik).

3.3 Kommunikationsplanung vs. Kommunikationsrealität: Die Perspektive der

Kommunikationsteilnehmer

Was bringen die Erkenntnisse des vorigen Abschnitts 3.2 (außer einer durchaus auch

beabsichtigten Veranschaulichung möglicher Analyseschritte)? Nimmt man die in Abschnitt

1 zitierten Desiderata der Textsortenlinguistik ernst, dann sind die Ergebnisse erstens in

Beziehung zu den Kommunikanten zu setzen und zweitens die Textsorten in ihrer

tatsächlich aktualisierten Spezifik über allgemeine Musterhaftigkeiten hinaus zu erfassen.

Beides erscheint nur sinnvoll unter einer konkreten Fragestellung, die mindestens zu zeigen

hat, „inwieweit differenzierte sprachliche Analysen und Übungen für die Interpretation und

Produktion von Texten hilfreich sind“ (Adamzik 2001: 23).

Das Projekt „Productivity“ repräsentiert einerseits eine typische kommunikative

Aufgabe in Unternehmen, d.h. aus wirtschaftspolitischen und/oder unternehmensinternen

Gründen sind strukturelle, hier besonders personelle, Veränderungen nötig, deren konkrete

Umsetzung von den unterschiedlichen Interessensgruppen unter den Bedingungen des

hierarchischen Gefüges im Unternehmen und der rechtlichen Vorgaben des

Arbeitnehmerschutzes ausgehandelt und kommuniziert werden muss. Andererseits ist es

natürlich auch ein ganz individueller Kommunikationsprozess, da es erstens für solche

Situationen keine umfassenden verfahrensbedingten Vorgaben und Strukturen (wenn auch

sicherlich Lehrbuch-Empfehlungen) gibt und da – deshalb – zweitens Art und Umfang der

geplanten Maßnahmen sowie der Kommunikationsstil abhängig von der

Unternehmenssituation, der Unternehmenskultur und dem Planungs-, Organisations- und

Verhandlungs-Team sind.

Da die Auffassung, dass personelle Veränderungen nötig sind, um die

Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern, von der Unternehmensführung aus

nicht zur Disposition steht und Handlungsspielräume daher allenfalls in Bezug auf die Art

und den Umfang der Maßnahmen existieren, dürfte für alle Kommunikanten tatsächlich der

Ablauf des begleitenden Kommunikationsprozesses, insbesondere der Verhandlungen, im

Mittelpunkt des Interesses stehen: Aus Sicht des Managements sollte dieser Prozess

effizient und effektiv und wahrscheinlich trotz des sensiblen Themas auch möglichst

reibungslos ohne größere interne Konflikte ablaufen, um die Mitarbeitermotivation und die

alltäglichen Arbeitsprozesse nicht zu gefährden; aus Sicht der MitarbeiterInnen, also der

potenziell von den Maßnahmen als Individuen Betroffenen, werden wahrscheinlich Aspekte

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wie Offenheit und Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Aktualität bzw. zeitnahe Information

wichtig sein. Für das Productivity-Team, das den Kommunikationsprozess zu organisieren

hat, ergibt sich daraus die Notwendigkeit eines Spagats zwischen unterschiedlichen

Erwartungen und Anforderungen der verschiedenen Interessensgruppen.

Es ist in der Wirtschaft üblich, solchen Anforderungen mit einem

Kommunikationsplan zu begegnen, der vorab die einzelnen Kommunikationsphasen und

-schritte sowie zu erreichenden „Meilensteine“ samt entsprechenden Zielgruppen und ggf.

schon zu vermittelnden Inhalten festlegt (vgl. z.B. van de Kuit/de Natris 2005; Bruhn

2005a). Abbildung 2 zeigt zur Veranschaulichung einen Ausschnitt des tabellarischen

Kommunikationsplans von „Productivity“ von 2004 (Laufzeit des Projekts: Juli 2003 –

Dezember 2004).

Als Fragestellung zu dieser Fallstudie kommt also beispielsweise in Frage, inwieweit

sich Kommunikationsplanung und Kommunikationsrealität in Bezug auf das

Zusammenspiel der einzelnen Kommunikationsereignisse entsprechen, aus welchen

Gründen Divergenzen zwischen Planung und Realität entstehen und wie diesen im Sinne

einer Kommunikationsoptimierung begegnet werden könnte. Die Bearbeitung einer solchen

Fragestellung setzt allerdings zahlreiche Hintergrundinformationen und interne Einblicke in

Unternehmensvorgänge voraus.

Im Zusammenhang mit der Frage nach der Kommunikationsplanung ist aus

sprachwissenschaftlicher Perspektive auch interessant, inwiefern sich verfahrensbedingte

Textsorten und Textsorten-Relationen durch verfahrensoffene ergänzen und stützen lassen:

Wo sind kommunikative Abläufe festgelegt und Textsorten stark formalisiert, und wo gibt

es für die Kommunikanten demgegenüber welche Gestaltungsspielräume in Bezug auf den

kommunikativen Ablauf und die Textgestaltung? Wie gestalten sich die Beziehungen

zwischen den verfahrensbedingten und den verfahrensoffenen Textsorten und Texten – bzw.

wie werden diese von den Betroffenen bewertet (wird beispielsweise von Seiten der

Mitarbeiterinnen mehr „freiwillige, zusätzliche“ Kommunikation erwartet)? Lässt sich aus

den Erkenntnissen auf Kommunikationsprofile in der Unternehmenskommunikation

schließen (d.h. auf prototypische kommunikative Anforderungen und hierfür notwendige

kommunikative Kompetenzen der Kommunikanten; vgl. zum Begriff des

Kommunikationsprofils ausführlicher Janich 2007)?

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Abb. 2: Ausschnitt aus dem Kommunikationsplan von „Productivity“ (Excel-Datenblatt)2

Eine weitere für die Textsorten-Vernetzung ergiebige Frage ist schließlich die nach der

grundsätzlichen Abhängigkeit des Kommunikationserfolgs von der Adressaten- und

Themenabdeckung durch entsprechende kommunikative Ereignisse: Was sind die Folgen

der in diesem Fall (wie wahrscheinlich auch sonst häufig) praktizierten asymmetrischen

Kommunikation mit den unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten des Unternehmens, wie sie

in den unterschiedlich strukturierten und dichten Textsorten-Netzen für die MitarbeiterInnen

und den Betriebsrat auf der einen Seite und für das Management und die Geschäftsführung

auf der anderen Seite aufscheinen? Auch hier besteht wie im ersten Fall allerdings die

methodische Einschränkung, dass Wirkungen und Folgen im vorliegenden Fall nur an den

vorliegenden Texten abgelesen oder aus dem Kommunikationsverlauf und den

kommunizierten Inhalten rekonstruiert werden könnten. Eine Möglichkeit, diesem

methodischen Problem zu begegnen, bestünde in einer empirischen Begleitung der

Textsorten-Analyse, d.h. in einer Befragung der Betroffenen und ggf. sogar teilnehmender

Beobachtung.

2 Zur Erläuterung: Die Kurzform Telco steht für Telefonkonferenz, die dann unter dem Namen Meet-me-

line stattfindet. Q&A steht für Questions and Answers, also Listen mit häufig gestellten Fragen zum Verfahren und entsprechenden Antworten. AZV steht für Arbeitszeitverkürzung.

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Die angesprochenen Fragen zeigen, dass die Analyse der Textsorten-Vernetzung in ganz

unterschiedlicher Hinsicht fokussiert und vertieft werden könnte. Die Perspektive der

Kommunikanten erscheint dabei für alle Fragen gleichermaßen relevant, nicht nur weil es

um effiziente und effektive Textproduktion und die reibungslose Planung und Organisation

eines sensiblen Kommunikationsprozesses geht, sondern weil die Kommunikanten fast

ausnahmslos persönlich betroffen sind mit Blick auf die Bewertung ihrer kommunikativen

Kompetenz und Leistungsfähigkeit (Productivity-Team), ihr Image im Unternehmen

(Management, Betriebsrat) und/oder ihre berufliche Zukunft (MitarbeiterInnen).

Übernimmt man die Mehrebenen-Perspektive von Adamzik 2002 zu den

unterschiedlichen Interaktionsrollen, so wird deutlich, dass für das Productivity-Projekt die

Ebene der Funktionsträger und die Ebene der Individuen die wichtigsten Rollen spielen: An

Funktionsträgern sind zu unterscheiden: die Geschäftsführung, das Management insgesamt,

der Betriebsrat und das Productivity-Team. Die MitarbeiterInnen können ihrer Position nur

vermittelt über den Betriebsrat oder als Individuen Ausdruck verleihen, wenn sie nämlich

über das Productivity-Team mit der Geschäftsführung in Verhandlungen über

Arbeitszeitverkürzung, freiwillige Aufhebungsverträge o.Ä. treten. Sie sind aber weder als

Diskursakteure in irgendeiner Weise privilegiert noch als Funktionsträger zu

Stellungnahmen verpflichtet. Aus der Perspektive der MitarbeiterInnen dürften daher

detaillierte Textsortenanalysen besonders relevant sein, wenn es nämlich um den

sprachlichen Stil der Texte geht, der möglicherweise mitentscheidend ist bei der Akzeptanz

oder Nichtakzeptanz der geplanten Maßnahmen (vgl. hierzu z.B. die Erkenntnisse von

Grönert 2002 zur Verwaltungskommunikation).

Die Funktionsträgergruppen Management/Geschäftsführung vs. Betriebsrat nehmen

durch ihre Funktion nicht nur klassische illokutionäre Rollen im Kommunikationsprozess

ein (z.B. als Verhandelnde), sondern repräsentieren zugleich typische Gruppierungen im

Beschäftigungsdiskurs (pro und contra Personalabbau); da es sich jedoch um

unternehmensinterne Vorgänge handelt, ist allenfalls zu erwarten, dass diese

Personengruppen als Funktionsträger argumentativ auf allgemeine gesellschafts- und

wirtschaftspolitische Diskurspositionen zurückgreifen, nicht aber im Sinne Adamziks als

freiwillige Diskursakteure über ihre interne Funktion hinaus öffentlich auftreten. Solche

Kommunikationshandlungen wären eher in unternehmensübergreifenden Handlungsfeldern

(also z.B. zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden) oder bei dramatischeren

Personalabbauplänen international bekannter Unternehmen zu erwarten. Den hier

ablaufenden internen Kommunikationsprozess würden sie eher behindern und mit

zusätzlichen Konflikten aufladen. So ist kein Schritt an die Presse z.B. durch den Betriebsrat

bekannt, es gibt nur die üblichen unternehmensoffiziellen Pressemitteilungen.

Das Productivity-Team nimmt eine Sonderstellung zwischen den drei Gruppen

Management, Betriebsrat und MitarbeiterInnen ein: Es ist die Personengruppe, die

tatsächlich zum größten Teil für die konkrete Textproduktion zuständig ist und damit nicht

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nur als Funktionsträger (Stimme des Managements und offiziell beauftragter Vermittler und

Verhandlungsführer), sondern auch unter dem Aspekt der Beteiligungsrollen interessant ist:

Die Teammitglieder sind Textproduzenten, die zwar in erster Linie die Interessensgruppe

des Managements bzw. der Geschäftsführung vertreten und die geplanten Maßnahmen

damit nicht persönlich zu verantworten haben, die aber, eben weil sie mit diesem „Projekt“

beauftragt und zur Verhandlungsführung legitimiert sind, dennoch persönlich von allen

Interessensgruppen für die von ihnen produzierten Texte und durchgeführten

kommunikativen Akte verantwortlich gemacht werden können. Zudem haben sie dafür zu

sorgen, dass die anvisierten Rezipientengruppen tatsächlich aktiv an der Kommunikation

teilnehmen, d.h. nicht nur die entsprechenden Texte rezipieren, sondern auch damit

zusammenhängende Anschlusshandlungen vornehmen (wie Rückmeldung auf Fragebögen,

Bereitschaft zur Verhandlung über individuelle Arbeitszeitverkürzung, Aufhebungsverträge

o.Ä.). Im Verantwortungsbereich des Projektteams liegt daher tatsächlich der gesamte

Kommunikationsprozess: von der Einzeltextproduktion über die Planung und Strukturierung

des Ablaufs bis hin zur Motivation der anderen Kommunikanten zur aktiven Teilnahme am

Kommunikationsprozess. Damit liegt auch der Aufbau eines adäquaten Textsorten-Netzes

und die Abstimmung der Texte aufeinander zu einem großen Teil beim Projektteam, was

einerseits eine komplexe Aufgabe darstellt, betrachtet man die oben angedeutete

mehrdimensionale Textsorten-Vernetzung des Projekts, andererseits eine Aufgabe, die

aufgrund der weitreichenden Planbarkeit des Kommunikationsablaufes auch wieder

überschaubar und vermutlich leichter zu erfüllen ist als bei offeneren

Kommunikationsprozessen, in denen auch andere Kommunikationsteilnehmer als

Funktionsträger, Diskursakteure und Individuen stärker und weniger kontrollierbar

eingreifen.

Dass Kommunikationsplanung und -realität dennoch auseinander fallen können, kann

also einmal intern an Kompetenz-, Zuständigkeits- oder Planungsproblemen im Projektteam

liegen, dass nämlich zum Beispiel Einzelmaßnahmen mehr Zeit und Aufwand benötigen als

geplant (z.B. gibt es eine Fristverlängerung für die Personalfragebogen-Aktion) oder dass

sich Probleme auf der Ebene der Vernetzung der Textsorten (inhaltlicher, situativer oder

sprachlich-stilistischer Art) ergeben. Zum anderen kann dies aber auch andere Gründe

haben, wie z.B. die unnachgiebige Haltung der Belegschaft, die nach einer

Betriebsversammlung im Oktober 2003 neue Verhandlungen und damit weitere

Verhandlungs- und Konferenztermine nötig macht, oder die negativer als geplant

verlaufende Marktentwicklung, die im Sommer 2004 zu einer Projektverlängerung führt.

Nicht zuletzt ergeben sich aus dem Kommunikationsprozess selbst Änderungen: Ein

Ergebnis der Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat ist beispielsweise

die Gründung einer „Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft“ zur Weiterqualifizierung

und Vermittlung ausscheidender MitarbeiterInnen, die einen neuen Strang von Textsorten

und Kommunikationsereignissen eröffnet.

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Dabei zeigt sich, dass die Textsorte ‚Kommunikationsplan’ wohl tatsächlich eine

Zwitterstellung zwischen Planungsinstrument und Rechenschaftsbericht einnimmt, da der

Plan offensichtlich während des Projektverlaufs nachgebessert und erst in der allerletzten

Projektphase nicht mehr nachträglich aktualisiert wurde: Das Excel-Datenblatt stimmt mit

der online veröffentlichten Projektchronologie überein, obwohl aus den Dokumenten

(Mails, Intranetveröffentlichungen) deutlich wird, dass es aus den oben erwähnten Gründen

immer wieder Planabweichungen gegeben hat. Es zeigt sich dadurch auch, dass trotz

gewisser Verfahrensregeln und kommunikativer Verpflichtungen (wie Verhandlungen mit

dem Betriebsrat; Festlegung gemeinsam getroffener Vereinbarungen durch

unternehmensweite Verträge und einzelne Mitarbeiter betreffende vertragliche Regelungen)

immer ein Spielraum besteht und bestehen muss, gerade um in Bezug auf die

Problemlösungen Optionen offen zu halten. (Vielleicht erklärt sich daraus auch die für den

Alltagssprecher etwas irritierende Bezeichnung „Projekt“ für einen

Kommunikationsvorgang über personelle Umstrukturierungen und einen geplanten bzw. in

Kauf genommenen Stellenabbau.)

Die Tatsache nun, dass die MitarbeiterInnen nicht dieselbe und vollumfängliche

Information erhalten wie das Management, ist zwar nicht überraschend und für

Kommunikationsprozesse in Unternehmen wohl prototypisch, nichtsdestoweniger aber

interessant und durchaus kommunikations- und sprachwissenschaftlich eine Untersuchung

wert. Es stellt sich die Frage, wie viel asymmetrische Kommunikation notwendig ist, um

überhaupt zu klaren Verhandlungspositionen zu kommen, d.h. bestimmte

Interessensgruppen bis zu einem gewissen Zeitpunkt über die Diversität der Positionen im

Management im Unklaren zu lassen, um dessen schließlich kommunizierte einheitliche

Position nicht zu schwächen, oder ob Glaubwürdigkeit und Offenheit und damit eine

Vertrauensbasis zwischen Management und Mitarbeitern nicht langfristig nur durch eine

nach Symmetrie strebende Kommunikation erreicht werden kann (vgl. dazu z.B. die

Kommunikationsmaximen bei Ebert 2003: 134, aber auch die differenzierten Hinweise auf

legitimierte Herrschaftsordnungen und daraus resultierende, akzeptierte Teilöffentlichkeiten

in Unternehmen bei Zerfaß 2004: 293-297). Unter dem Aspekt der Teilöffentlichkeiten und

unterschiedlich strukturierten Textsorten-Teilnetze wird dann auch wieder die Frage nach

der konkreten sprachlichen Gestaltung der Texte relevant, also nach der Wichtigkeit von

textübergreifender inhaltlicher und stilistischer Kohärenz der einzelnen

Kommunikationsereignisse, wie sie die Wirtschaft selbst unter Schlagwörtern wie Corporate

Communications oder Corporate Wording thematisiert und propagiert.

3.4 Methodische Probleme

Ergebnisse zu den oben skizzierten Fragen konnten aus Gründen des zur Verfügung

stehenden Platzes, aber auch des vorliegenden Materialumfangs hier nur angedeutet werden.

Sie sollten aber gezeigt haben, wie vielschichtig Analysen zur Textsorten-Vernetzung

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angelegt werden können. Im Folgenden soll die Fallstudie daher mit einigen

zusammenfassenden Bemerkungen zu methodischen Problemen geschlossen werden.

Ein grundsätzliches Problem bei Untersuchungen zu vernetzten Textsorten ist es, alle

relevanten Textsorten und Texte auch wirklich vollständig zu erfassen. Gerade

institutioneninterne Kommunikationsprozesse laufen häufig in so komplexer Form ab und

verflechten mündliche mit schriftlichen Kommunikationsereignissen, dass es fast unmöglich

erscheint, Vollständigkeit zu erreichen. Hinzu kommen Hindernisse wie beschränkte

Zugänglichkeit bzw. Geheimhaltungs- und Anonymisierungspflichten sowie das Problem

(bzw. die Unmöglichkeit), die quasi „zwischen den Texten“ ablaufende informelle

Kommunikation zu erfassen. Schließlich werden zumindest bei verfahrensoffenen, wenig

formalisierten Kommunikationsprozessen sehr häufig Hintergrundinformationen zur

realistischen Einschätzung und Bewertung der Kommunikate benötigt, die weder ohne

weiteres zu erhalten noch zu operationalisieren sind. Es bleibt also nach allen

sprachwissenschaftlich legitimierten Untersuchungsschritten immer die Frage nach der

Gewähr einer angemessenen und realitätsnahen Deutung und Interpretation, insbesondere

im Bereich der institutionellen Kommunikation.

Der Analyseaufwand und die Komplexität der Untersuchung erhöhen sich weiter,

wenn man – wiederum vor allem bei wenig formalisierten, deshalb aber

sprachwissenschaftlich um so spannenderen Kommunikationsprozessen – versucht, die

Spezifik und Individualität konkreter Texte über ihre Musterhaftigkeit hinaus einzubeziehen

und nicht nur wie hier auf die Textsorten-Relationen als solche, sondern auch auf die

stilistische Gestaltung der Texte einzugehen.

Schließlich erscheint eine angemessene Einbindung in Diskurs und Handlungsfeld

letztlich nur über Vergleichsstudien möglich, d.h. die Ergebnisse von Fallstudien müssten

systematisch und mehrschichtig zueinander in Beziehung gesetzt werden, um tatsächlich

Auskünfte über den „kommunikativen Haushalt von Gesellschaften“ (Adamzik 2000: 110)

zu erhalten.

4. Ausblick

Trotz der angesprochenen Probleme zeigt sich, dass die Ansätze von Klein und Girnth bzw.

die Forderungen von Adamzik zu fruchtbaren neuen Untersuchungsansätzen führen und

dass vor allem die Mehrdimensionalität der Textsorten-Vernetzung (über die zwei Ebenen

syntagmatisch/paradigmatisch hinaus) eine reizvolle Herausforderung für die Textlinguistik

darstellt.

Die Untersuchung von Textsorten-in-Vernetzung verspricht zudem nicht nur

textlinguistisch relevante neue Erkenntnisse über (vor allem weniger formalisierte)

Textsorten, sondern stellt eine wichtige Basis für die Angewandte Linguistik dar, wenn ein

Fokus der Untersuchung z.B. auf der Kommunikationsoptimierung durch ein angemessenes

Textsorten-Zusammenspiel liegt. Das hier vorgeschlagene Analysemodell müsste daher je

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nach Fragestellung so modifiziert werden, dass es sich auf konkrete kommunikative

Aufgaben und deren spezifische Personen-Text-Situations-Konstellationen beziehen lässt

und theoriegestützt Rückschlüsse auf mögliche Vollzüge der fokussierten kommunikativen

Aufgabe und deren jeweilige Chancen auf Erfolg zulässt.

Zentral erscheint angesichts obiger Ausführungen in jedem Fall die möglichst

empirisch gestützte, stärkere Einbeziehung der Kommunikanten in ihren vielfältigen

Beziehungen zum untersuchten Textsorten-Netz (z.B. durch Befragung und/oder

teilnehmende Beobachtung). Diese Beziehungen sind definiert über die Interessen und

Zwecke der Handlungsbeteiligten und damit eingebettet in ein größeres, in Teilen auch

nichtsprachlich realisiertes Handlungs- und Entscheidungsgefüge, das es bei der Textsorten-

Analyse zu beachten gilt.

Dann bleiben Untersuchungen zu Textsorten-in-Vernetzung zwar immer noch

methodisch schwierige Unterfangen, stellen aber doch auch eine reizvolle Herausforderung

für eine moderne, neu akzentuierte Textsortenlinguistik dar.

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Literatur

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Adamzik, Kirsten [Hrsg.]: Textsorten. Reflexionen und Analysen. Tübingen:

Stauffenburg. (= Textsorten. 1). 91 - 112.

Adamzik, Kirsten (2001a): „Die Zukunft der Text(sorten)linguistik. Textsortennetze,

Textsortenfelder, Textsorten im Verbund.“ In: Fix, Ulla u.a [Hrsg.]: Zur

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