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Sprachvariation und Sprachevaluation eine methodische Zusammenschau Barbara Soukup [email protected]

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  • Sprachvariation und Sprachevaluation – eine methodische Zusammenschau

    Barbara Soukup

    [email protected]

  • Zwei Datenserien zu Spracheinstellungen:

    • Österreich

    • Oman

    Jeweils:

    • Interviews

    • Speaker Evaluation

    • Diskursdaten, die Stilwechsel beinhalten (> 'Speaker Design' – Schilling-Estes 2002)

  • • 42 InformantInnen, ÖsterreicherInnen, bidialektal

    • Debriefing Interviews in kleinen Gruppen, im Anschluss an eine Erhebung zur Sprachperzeption Hochsprache vs. Dialekt

    • Direkt erfragte Assoziationen zu Dialekt/ Hochsprache

    • Sprechen über Stilwechsel/-gebrauch (Formulierungen/ semantische Aspekte)

    Spracheinstellungen in Österreich bezüglich Dialekt und Hochsprache: Interviews

  • Ergebnisse: Direkt erfragte Assoziationen

    • Dialekt:

    Gemütlich, ehrlich (nicht verstellt), ungezwungen, lässig, locker, Emotionen ausdrücken, treffend im Ausdruck, egalitär

    'Bauernsprache'

    • Hochsprache:

    Bildung, sprachliche Korrektheit (Grammatik)

    Distanz, Überheblichkeit - 'etwas Besseres' sein

  • Ergebnisse: Formulierungen/ semantische Aspekte

    • In den Dialekt 'verfällt' man oder 'rutscht ab'; man spricht 'schlampig'; 'es haut einem den Bauern heraus', man spricht 'schlimmer' / 'ärger' als andere

    • Wenn man Hochsprache spricht, 'strengt man sich an', 'bemüht sich', 'schafft es' so zu sprechen, spricht 'deutlich', 'ordentlich' und 'schön', 'eine Stufe höher', man spricht 'Deutsch', man spricht aber auch 'geschwollen' und 'gezwungen'

  • • 29 InformantInnen, ÖsterreicherInnen, bidialektal

    • Zwei Sprecherinnen; beide bidialektal

    • Getestete Varietäten: Mittelbairisch-österreichischer Dialekt, österreichische Hochsprache

    • Thema: Gentechnologie bei Lebensmitteln

    Spracheinstellungen in Österreich bezüglich Dialekt und Hochsprache: Speaker Evaluation

  • KK_Standard

    KK_Dialekt

    SP_Standard

    SP_Dialekt

  • • 8 Episoden der Diskussionssendung 'Offen gesagt' (ORF2, Zeitraum: Jänner 2004 – April 2005)

    • Detaillierte interaktionelle Diskursanalyse einer Sendung

    • Analyse der weiteren Sendungen hinsichtlich der Ergebnisse

    Spracheinstellungen in Österreich bezüglich Dialekt und Hochsprache: 'Speaker Design'

    cf. Soukup (2009)

  • (Offen Gesagt, ORF, 18.01.2004)

    AT: Das ist sozusagen ein echter Megafettnapf [...] Da geht's

    nämlich um nicht mehr um nicht weniger als dass dort ein

    paar linke Theaterleute im Zuge dieser Veranstaltung

    festgenommen wurden, österreichische Staatsbürger und

    Staatsbürgerinnen, und dass die Frau Außenminister nichts

    anderes zu tun hatte als zu sagen, najo, und zwar öffentlich,

    nachzulesen auf der Homepage des Außenministeriums, der

    Text steht fest, najo, des san kane Guatn, gegen die liegen

    eh sozusagen Anzeigen vor im Innenministerium, und

    denen wird scho recht g'schehn. Das war ihre Reaktion zum

    Schutz Österreichischer Staatsbürger, die im Ausland

    verhaftet werden [...]

  • Source: https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/graphics/ref_maps/pdf/political_world.pdf

  • • 10 InformantInnen (7 weiblich, 3 männlich), Omanis, Familie mit zwei Generationen:

    – Eltern: fast monolingual in Belutschi

    – deren acht erwachsene Kinder: bilingual in Belutschi und

    Arabisch

    – weitere (nicht beteiligte) Familienmitglieder: tw. erwachsene

    (Enkel-)Kinder, die faktisch monolinguale ArabischsprecherInnen

    sind

    • Fragenkatalog:

    > allgemeine Stereotype zum Belutschi und den BelutschInnen im

    Oman sowie eigene Einstellungen in der Familie

    Spracheinstellungen im Oman bezüglich Belutschi und Arabisch (Al Zidjaly 2008): Interviews

  • • Belutschis sind dumm, weil sie nicht Arabisch sprechen können bzw. im Arabischen nur über ein sehr limitiertesVokabular verfügen

    • Arabisch wie von Belutschis gesprochen klingt dumm, weil sie gewisse Laute, die nur im Arabischen und nicht in Belutschi vorkommen, nicht aussprechen können

    > entsprechend gibt es weit verbreitete Witze

    • Belutschis sind streitsüchtig und Gangster

    • Belutschis sind aber auch bekannt dafür, dass sie gut Englisch sprechen und schlau, fleißig und tapfer sind.

    Ergebnisse - bekannte Stereotypen:

  • • Für beide Generationen ist Belutschi ein wichtiges Identifikationssymbol

    • Man ist in erster Linie Belutschi-Omani und erst in zweiter Linie AraberIn

    • Belutschis sind ein wichtiger Teil der Geschichte des Oman

    • Man liebt Arabisch, aber Belutschi ist die Sprache, in der man aufgewachsen ist und die ausdrückt, wer man ist.

    > Al Zidjaly (2008): Aber warum wird die Sprache dann nicht an die Enkelkinder weitergegeben?

    Ergebnisse - eigene Einstellungen der InformantInnen:

  • • Fatima (36, Mutter von 2):

    Ich bin in allererster Linie Belutschin; die Beluschisprache ist meine Identität. Sie ist meine Geschichte. Ich habe meinen Kindern nur Arabisch beigebracht wegen des Drucks in der Gesellschaft und weil ihr Vater, der kein Belutschi spricht, wollte, dass sie nur Arabisch sprechen. Arabisch ist gut für die Ausbildung und fungiert da genau wie Englisch. Wenn es nur an mir gewesen wäre, hätte ich ihnen Belutschi zusätzlich zum Arabischen beigebracht und auch Chinesisch, aber es war nicht nur meine Angelegenheit.

    Al Zidjaly (2008 - übersetzt aus dem Englischen):

  • • Yahya (36, Junggeselle):

    Natürlich bin ich stolz darauf, Belutschi zu sprechen. Das ist unsere Identität; wie könnten wir uns dafür schämen, wer wir sind? Wir sind Belutschi-Omanis. Es ist der Druck von der Außenwelt, der es uns schwer gemacht hat, unseren Kindern Belutschi beizubringen, aber wir lieben die Sprache trotzdem. Außerdem, wer hat denn gesagt, dass die Kinder kein Belutschi sprechen? Sie hören es rundherum, also verstehen sie es, und dadurch ist Belutschi im Oman nicht ausgestorben. Und wenn du nach Mutrah gehst oder Jibro, und auch hier, siehst du, dass Belutschi noch weit verbreitet gesprochen wird.

    Al Zidjaly (2008 - übersetzt aus dem Englischen):

  • Ausschnitt 1: Zawan, Yahya and Najma sehen fern, als Fatma mit verärgerter Miene hereinkommt

    Fatma: Hello, people

    All: Hello to you too

    Zawan: What’s wrong, Butta (Fatma’s nickname)?

    Fatma: Work sucks.

    Najma: [Is it the] new boss

    Yahya: [Why ]

    Fatma: Yes. The Dumb Boss. He called me to his office to go over stuff I finished a long time ago. As if he was trying to find something to hold against me or just waste my time, so I said to him: “why are you doing this now” and his response “Listen. This is my job.” My job, his ass. What job? Your job is to spy on your employees? “It’s my job,” his ass.

    Zawan: Stupid man

    Belutschi im Oman: Gesprächsdatenanalyse (Al Zidjaly 2008)

  • Ausschnitt 2:

    Bei Yahya zu Hause

    Najma: Yahya I believe I made a mistake.

    Yahya: You always second guess yourself

    Najma: It is part of being human

    Yahya: No it is because you are stupid.

    Najma: Yahya I don’t allow you to insult me.

    Yahya: You are stupid. You can’t deny that. It’s done. Finished. Move on.

    Najla: What did she do this time now?

    Najma: [Nothing]

    Yahya: [She sent] an email to Sabina in which she stands up for herself and now she is second guessing the email because Sabina did not respond. Her excuse is it is part of being human.

    Belutschi im Oman: Gesprächsdatenanalyse (Al Zidjaly 2008)

  • • 12 InformantInnen (7 weiblich, 5 männlich), Omanis, zweisprachig Belutschi-Arabisch

    • Getestete Varietäten: Omani-Arabisch // Muskat –Belutschi // Belutschistan-Belutschi

    • Eine Sprecherin, ein Sprecher; beide zweisprachig

    • Thema: Müllwegwerfen in der Öffentlichkeit

    Spracheinstellungen im Oman bezüglich Belutschi und Arabisch – indirekte Erhebungsmethode (Matched-Guise Studie):

  • Ergebnisse zur Sprecherin:

  • • 'Speaker Design' (rhetorische Stilwechsel) als Ausdruck von Spracheinstellungen

    • Diskrepanz in den Einstellungen zwischen den Datentypen (Oman)

    > nur ein Problem, wenn man auf der Suche nach absoluten, fundamentalen Einstellungen ist „An attitude should not be seen as a semipermanent mental entity, causing people to say and do certain things. Rather, it comes into existence in displays expressive of decisions and judgements and in the performance of actions” (Harré & Gillet 1994:22)

    • Quantitative Einstellungsmessung kann auch als 'performance of action' bzw. 'evaluative practice' (Potter 1998) gesehen werden

    Fazit:

  • Literatur (erweitert)

    Al Zidjaly, Najma. 2008. A mediated discourse analysis approach to Language attitude research in Oman. Vortrag präsentiert am Sociolinguistics Symposium 17, Amsterdam.

    Bakhtin, Mikhail. 1986 [1952-53]. The problem of speech genres. Speech genres and other late essays, ed. by Caryl Emerson and Michael Holquist, transl. by Vern W. McGee, 60-102. Austin: The University of Texas Press.

    Becker, A.L. 1995. Beyond Translation: Essays toward a modern philology. Ann Arbor: University of Michigan Press.

    Bell, Allan. 1984. Language style as audience design. Language in Society 13.145-204.

    Cargile, Aaron C., Howard Giles, Ellen B. Ryan, and James J. Bradac. 1994. Language attitudes as a social process: A conceptual model and new directions. Language & Communication 14/3.211-36.

    Coupland, Nikolas. 2007. Style: Language variation and identity. New York: Cambridge University Press.

    de Cillia, Rudolf. 1997. "I glaub, daß es schon richtig ist, daß der österreichische Dialekt do muaß i sogn, holt bleibt" – Einstellungen der ÖsterreicherInnen zu ihrem Deutsch. Österreichisches Deutsch und andere nationale Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa, hg. v. Rudolf Muhr und Richard Schrodt, 116-27. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

    Eckert, Penelope. 2005. Variation, convention, and social meaning. Paper Presented at the Annual Meeting of the Linguistic Society of America, Oakland, CA.

    Gumperz, John J. 1982. Discourse strategies. Cambridge, UK: Cambridge University Press.

    Harré, Rom, and Grant Gillett. 1994. The discursive mind. London: Sage

    Hyrkstedt, Irene, and Paula Kalaja. 1998. Attitudes toward English and its functions in Finland: A discourse-analytic study. World Englishes 17/3.359-68.

    Kristeva, Julia. 1986 [1966]. Word, dialog and novel. The Kristeva reader, ed. by Tori Mori, 34-61. New York: Columbia University Press.

  • Literatur (erweitert)

    Liebscher, Grit, and Jennifer Dailey-O’Cain. 2009. Language attitudes in interaction. Journal of Sociolinguistics 13/2.195-222.

    Potter, Jonathan. 1998. Discursive social psychology: From attitudes to evaluative practices. European Review of Social Psychology 9/1, 233-266.

    Labov, William. 1972. Sociolinguistic patterns. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.

    Milroy, Lesley. 1987. Language and social networks. 2nd ed. Oxford: Basil Blackwell.

    Schilling-Estes, Natalie. 1998. Investigating "self-conscious" speech: The performance register in Ocracoke English. Language in Society 27/1.53-83.

    Schilling-Estes, Natalie. 2002. Investigating Stylistic Variation. The handbook of language variation and change, ed. by J.K. Chambers, Peter Trudgill, and Natalie Schilling-Estes, 375-401. Malden: Blackwell.

    Soukup, Barbara. 2009. Dialect use as interaction strategy: A sociolinguistic study of contextualization, speech perception, and language attitudes in Austria. Wien: Braumüller.

    Soukup, Barbara (in press). Current issues in the social psychological study of ‘language attitudes’: Constructionism, context, and the attitude-behavior link. Language and Linguistics Compass.

  • use of language varieties / styles in conversation

    Bakhtin 1986[1952-53]: dialogicality

    Kristeva 1986[1966]: intertextuality

    Becker (1995): languaging

    Gumperz (1982): contextualization

    associated social meanings (language attitudes, stereotypes)

  • Sprachvariation und Sprachevaluation – eine methodische Zusammenschau

    Barbara Soukup

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