Rundbrief 1-2000

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ISSN 0940-8665 36. JAHRG./JULI 2000, DM 7,50 RUNDBRIEF 1 2000 P A R I T Ä T I S C H E A K A D E M I E B E R L I N PARITÄTISCHES BILDUNGSWERK BUNDESVERBAND VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT E.V./ BUNDESVERBAND U N T E R S T Ü T Z T D U R C H ROBERT BOSCH STIFTUNG BÜRGER GESELLSCHAFT SOZIALSTAAT BÜRGER BÜRGER GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT UND SOZIALST SOZIALSTAA AAT ZIVILGESELLSCHAFT GESTALTEN EINE EINE FA CHT CHT A GUNG GUNG ZU ZU GEGENW GEGENW AR AR TS- UND UND ZUKUNFT ZUKUNFT SFR SFR A GEN GEN DES DES GEMEINWESENS GEMEINWESENS 14. BIS 16. NOV. 1999 DOKUMENTATION

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Vorwort von Dietmar Freier, Berlin Einführung Herbert Scherer, Berlin Praxis orientierte Workshops Wer will hier was und warum? Quartiersmanagement und GWA Planung und Gestaltung des sozialen Raumes von oben und / oder von unten? Wer hat hier den Hut auf? Wie viel innere Demokratie brauchen sozial-kulturelle Einrichtungen, wie viel Bürgerbeteiligung brauchen die Stadtteile? Formelle und informelle Mitwirkung, Erfahrungen mit Mitbestimmungsgremien, Stadtteilkonferenzen und charismatischen Persönlichkeiten mit Herbert Scherer, Berlin und Monika Schröder, Köln Wer hilft hier wem und warum? Die Nutzung von Arbeitsförderungsprogrammen in der sozial-kulturellen Arbeit, Probleme und Lösungen mit Stefan Wagner, Berlin

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ISSN 0940-866536. JAHRG./JULI 2000, DM 7,50

RUNDBRIEF 12000

P A R I T Ä T I S C H EA K A D E M I E B E R L I N PARITÄTISCHES BILDUNGSWERK BUNDESVERBAND

V E R B A N D F Ü R S O Z I A L - K U LT U R E L L EA R B E I T E . V . / B U N D E S V E R B A N D

U N T E R S T Ü T Z T D U R C H

R O B E R T B O S C H S T I F T U N G

B Ü R G E RGESELLSCHAFTSOZIALSTAAT

B Ü R G E RB Ü R G E RGESELLSCHAFTGESELLSCHAFT

U N D

SOZIALSTSOZIALSTAAAATTZIVILGESELLSCHAFTG E S T A L T E NE I N EE I N E FF AA C H TC H T AA G U N GG U N GZ UZ U G E G E N WG E G E N W A RA R TT SS --U N DU N D Z U K U N F TZ U K U N F T S F RS F R AA G E NG E ND E SD E S G E M E I N W E S E N SG E M E I N W E S E N S

14. BIS 16. NOV. 1999

DOKUMENTATION

1

I N H A L T S V E R Z E I C H N I SVorwort – Dietmar Freier, Berlin 2

Einführung – Herbert Scherer, Berlin 3

PRAXIS-ORIENTIERTE WORKSHOPS

Wer will hier was und warum? 5Quartiersmanagement und GWAPlanung und Gestaltung des sozialen Raumes von oben und/oder von unten?mit Heinz Altena, Duisburg

Wer hat hier den Hut auf? 11Wie viel innere Demokratie brauchen sozial-kulturelle Einrichtungen,wie viel Bürgerbeteiligung brauchen die Stadtteile? Formelle und informelle Mitwirkung, Erfahrungen mit Mitbestimmungsgremien, Stadtteilkonferenzen und charismatischen Persönlichkeitenmit Herbert Scherer, Berlin und Monika Schneider, Köln

Wer hilft hier wem und warum? 20Die Nutzung von Arbeitsförderungsprogrammen in der sozial-kulturellen Arbeit, Probleme und Lösungenmit Stephan Wagner, Berlin

Was wollen die Kunden? 27Zur Qualität bürgernaher sozialer Dienstleistungen.Standards freigemeinnütziger bürger- und kieznaher Dienste in Abgrenzung zu obrigkeitlich organisierten staatlichen Leistungen auf der einen und gewerblich-kommerziellen Angeboten auf der anderen Seitemit Georg Zinner, Berlin

Wer hat Spaß daran? 33Zum Lustprinzip in der sozial-kulturellen Arbeit.Freiheit, Freizeit, Fun – ohne Spaß kein Engagementmit Ralf Jonas, Bremen

REFERATE

Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem Rechtsanspruch 39Gemeinwesenarbeit als Auslaufmodell und AlternativeC.Wolfgang Müller, Berlin

Das soziale Gemeinwesen der Zukunft 43Andreas Brandhorst, Bonn – Berlin

WORKSHOPS

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA 49mit Hans-Georg Rennert, Berlin und Achim Richter, Leipzig

Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement: Zum Selbstverständnis freiwillig Tätiger 54mit Reinhard Liebig, Dortmund

Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement: 62Zum Selbstverständnis sozial-kultureller EinrichtungenZwischenbilanz des Projektes ProBE – ein Projekt zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements in sozial-kulturellen Einrichtungenmit Eva-Maria Antz, Köln

Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage: 68Überlegungen zu einer neuen Aufgaben- und Gewaltenteilungmit David Kramer, Berlin

Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene 75mit Hannes Wezel, Nürtingen und Werner Matthes, Gerlingen

Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung – 80mit dem Bürgerhaushalt zur Bürgerkommune?mit Hartmut Gustmann, Köln

DER GROSSE RATSCHLAG 89

Anhang: Literatur / Teilnehmerinnen und Teilnehmer / Impressum 99

2 Vorwort

Ein Vorwort zur Dokumentation dieser Tagung zu schrei-ben, ist nicht einfach. Zu vielfältig sind die Themen, zureichhaltig die in den Diskussionsbeiträgen aufgeworfe-nen Probleme und die angebotenen Wege zur Lösung,alsdass sie sich irgendwie zusammenfassen ließen.Die The-men sind mitten in der Gesellschaft angesiedelt – unddie ist nun mal vielschichtig und kompliziert! – Ich waran der Vorbereitung dieser Tagung beteiligt,konnte dannaber krankheitshalber nicht dabei sein und wie geplantden Workshop über Beteiligung der Bürger moderieren.Umso interessierter las ich den Tagungsbericht;dabei ka-men mir manche Fragen in den Sinn – unsystematisch,bruchstückhaft, einige von vielen:

Die Rolle der Ehrenamtlichen in der nachbarschaftlichenArbeit wie in der Sozialarbeit überhaupt wird offenbarnach wie vor undeutlich und unterschiedlich gesehen,sowohl im Verhältnis zu den Hauptamtlichen als auch so-zialpolitisch in Bezug auf die Nutzung dieses Potenzialsoder auf mögliche Substitutionseffekte.Wenn das allge-mein so empfunden wird, so muss über diese zentraleFrage verstärkt gesprochen werden.Ähnlich die Rolle der Sozialarbeiter:Sind sie es,die sagenwo es langgeht, setzen sie die Standards oder haben sieim Verhältnis zum Bürger mehr ausführende, helfendeFunktionen? Eine alte Diskussion! Und wichtig: KönnenSozialarbeiter mit Bürgerengagement umgehen? Kön-nen sie es nutzen und fördern?Die Frage »wer nützt wem?«, die man bisher hauptsäch-lich in der ehrenamtlichen Arbeit gestellt hat,wird heute

offenbar auf ABM und ähnliche Formen übertragen. DieEntschädigung für Ehrenamtliche sieht man heute wohlpragmatischer als früher.Verglichen mit solchen Tagungen vor einigen Jahren waroffenbar verhältnismäßig wenig die Rede von Selbst-hilfe.Gilt sie heute als eine selbstverständliche Form vonlebendigem, alltäglichem Bürgerengagement, oft ohneSozialarbeiter?Erwartungsgmäß ist die Einstellung zum Quartiersmana-gement speziell zu der Berliner Variante unterschiedlich:Ist das eine Fortentwicklung der Nachbarschaftsarbeitoder gleichsam eine mehr modernistische,eines konkre-ten Inhalts, des ursprüglichen Bürgerengagements, ent-kleidete Form, in der die Bürger mehr zum Objekt wer-den?Sind die Ansätze der »lokalen Ökonomie« im Rahmen derNachbarschaftsarbeit wirklich wert verfolgt zu werden?Kann da mehr herauskommen als ABM und die Nutzunganderer Fördertöpfe als Dauerzustand?Dazu:Soll man den Ansatz Genossenschaft,z.B.Stadtteil-genossenschaft, in der Nachbarschaftsarbeit aufgreifen?Die Idee wird immer wieder mal in die Diskusion ge-bracht und hat ja auch zwischen Markt und Gemeinnüt-zigkeit einiges für sich.Selbstverständlich kam man auch bei dieser Tagung aufdie Frage zurück:Wie erreicht man die Bürger? Das ist ei-ne zentrale Frage beim Bürgerengagement und bei jederArt von Nachbarschaftsarbeit. Die Diskussion darüberdarf nicht enden!

Offen bleibt für mich eine Frage,die das Wesen der nach-barschaftlichen Arbeit betrifft und die Auswirkungen aufviele praktische Fragen hat.Wer ist in der nachbarschaft-lichen Arbeit zuerst da: die ehrenamtlich engagiertenBürger und Bürgerinnen oder die professionellen Haupt-amtlichen? Haben erstere zuerst gesagt: Wir haben dieund die Bedürfnisse und wollen sie so und so lösen –helft uns dabei! Oder haben Hauptamtliche gesagt: Wirsind hier für euch da und wollen an den Problemen undden Möglichkeiten, die ihr hier in dieser Nachbarschaftseht, mit euch arbeiten! Heißt »Sozialstaat«, dass derStaat ein mehr oder weniger von ihm vorgegebenes Pro-jekt mit Hilfe von Bürgern realisiert, oder heißt es, dassder Staat bzw. die Kommune ihre Ressourcen den Bür-gern und Bürgerinnen zur Verfügung stellt und dieseZweck und Wege bestimmen? Oder kann beides gelten?Wer trägt für die Arbeit und für die Geldverwendung dieVeranwortung? Sind die Professionellen in dieser ArbeitNachbarn oder stehen sie den Bewohnern der Nachbar-schaft gegenüber? Sollen sie mit zum Vereinsvorstandgehören oder ist diese Funktion den ehrenamtlich enga-gierten Nachbarn vorbehalten? Was ist die wahre Nach-

barschaftsarbeit,gewissermaßen die Urform,welches istdas künstliche,aufgesetzte Modell? Vielleicht wären die-se Grundsatzfragen mit vielen sehr praktischen Wirkun-gen wert,Thema einer eigenen Fachtagung zu werden.

Für eine Gesamtbetrachtung der Tagung fällt auf,dass dieDiskussionsbeiträge vor allem in den Workshops diepraktischen Erfahrungen der Teilnehmer aus den Einrich-tungen widerspiegeln, die dort erlebten Probleme, Er-fordernisse,Möglichkeiten,Enttäuschungen,Erfolge.Dasmacht die besondere Bedeutung der Tagung aus! DieReferate und die Beiträge der Experten vor allem in derSchlussdiskussion haben auch ihren Platz und sie sindnatürlich systematisch aufbereitet, aber es ist ihnen an-zumerken, dass sie nicht aus der täglichen Praxis kom-men. Sie bringen die Rezepte, die aber oft nicht zu denProblemen aus den Diskussionsbeiträgen passen.

Das gilt besonders für die berichteten Untersuchungen.Meist bleibt offen, ob sie auch die Meinungen der For-scher widerspiegeln bzw. deren praktische Erfahrungen.Sie treffen vielfach nicht die diskutierten Probleme.Mankann im sozialen Bereich empirisch nur erfassen, wasman zuvor definiert hat, und das geht oft an den prakti-schen Problemen vorbei. Nirgendwo bei der Tagung istz.B.Ehrenamt oder bürgerschaftliches Engagement defi-niert worden, obwohl es in den Diskussionen eine her-ausragende Rolle spielte und über das Potenzial speku-liert wurde. Jedoch ein anderer Einwand ist mir nochwichtiger: Empirische Untersuchungsergebnisse stellenoft Durchschnitte bzw. die vorherrschenden Meinungendar. Aber z.B. beim bürgerschaftlichen Engagement sindoft die Minderheiten wichtiger, und die gehen in derGesamtschau oft verloren. Gerade hier können die Mög-lichkeiten der Zukunft liegen, wenn man nach Wegensucht,wie man engagierte Menschen erreichen kann.Nurals historisches Beispiel: Ich weiß nicht, ob man auch mitheutigen Methoden die Jugendbewegten zu Beginn des20.Jahrhunderts »erfasst« hätte.

Entsprechend der gesellschaftlichen Bedeutung der The-menstellung kann es keine universellen Antworten aufdie diskutierten Probleme und Fragen geben.Die Gegen-stände,mit denen die Tagung sich beschäftigt hat,sind inständigem Fluss - in unterschiedlichen Stärken und oft inverschiedene Richtungen.Sie stellen sich in jeder Umge-bung anders. Es kann für unsere Nachbarschaftsarbeitauch kein festes allgemeines Ziel und keine Vollendunggeben. Unsere Aufgabe muss darin bestehen, mit denMenschen die jeweiligen für Ort und Zeit passendenAntworten zu finden.Das ist eine schwierige,immerwäh-rende Aufgabe.Und dabei hilft das Lesen des Berichts!

Bürgergesellschaft und Sozialstaat – Zivilgesellschaft gestaltenVorwort zur Dokumentation

Dietmar Freier,Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V.

3Einführung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

ich freue mich zu Beginn dieser Tagung sprechen zu kön-nen, die den anspruchsvollen Titel hat »Bürgergesell-schaft und Sozialstaat«. Ich möchte gleich zugeben, dassdie Vorbereitung dieses Themas eine schwere Geburt war.Wir sind mindestens seit drei Jahren mit der Ideeschwanger gegangen, um uns schließlich einer Frage-stellung zu nähern, mit der sich Praktiker der sozialenArbeit,die Verantwortlichen in sozial-kulturellen Einrich-tungen, unbedingt beschäftigen sollten. Am Anfangstand die Idee, die Kommunitarismus-Debatte nachDeutschland zu holen.Das war dann nicht mehr nötig,siewar bereits in aller Munde, bevor wir uns ausführlich da-mit beschäftigt hatten. Die Debatte wurde, das ist meinEindruck, als Strohfeuer entfacht, schnell wieder in dievorbereiteten Schubladen gepackt.Und dann war sie auftheoretischer Ebene schon wieder vorbei.Wir haben unsdeswegen lieber den praktischen Fragen zugewandt unddas Projekt »ProBE - Pro bürgerschaftliches Engage-ment« konzipiert und umgesetzt. Wir haben einerseitsohne zermürbende Diskussionen einfach vorausgesetzt,dass die Förderung des bürgerschaftlichen Engagementseine zentrale Aufgabe zumindest des von uns vertrete-nen Sektors der sozialen Landschaft sein müsse. Ande-rerseits steckt hinter der Inszenierung der Hauptaufgabeals Projekt, als Experiment, die ehrliche Selbsteinschät-zung, dass unsere Einrichtungen, die Nachbarschaftshei-me, Bürgerhäuser, große Anstrengungen unternehmenmüssen,um sich diese ihre eigentliche Grundlage neu zuerarbeiten. Mich hat das an eine Erfahrung aus einemJugendverband erinnert,der in den achtziger Jahren denAufbau von ehrenamtlichen Verbandsstrukturen in An-griff genommen hatte. Also den Aufbau eines Jugend-verbandes vom Bundesministerium als Handlungsfor-schungsprojekt bewilligt bekam. Weil es trotz aller per-manent behaupteten Realität dieser Strukturen, aus de-nen die Verbände ihre Legitimation in der Jugendhilfe-Landschaft des KJHG beziehen,allen Eingeweihten glück-licherweise klar war, dass es einiger Wiederbelebungs-anstrengungen bedürfe, um die neuerdings wieder ge-wünschte entsprechende Realität zu schaffen. Aber wo-her die Bauchschmerzen bei diesem Thema?

Ich will wieder mit einem Ausflug in eine andere Erfah-rung beginnen,aus der ich eine Analogie ableiten möch-te.In den siebziger Jahren war ich mit einem Kader einesder stramm organisierten maoistischen Kaderzirkel be-freundet. Dieser junge Genosse bekam mit seiner Orga-nisation ganz seltsame Schwierigkeiten, weil er einenvorwärts gerichteten Vorschlag gemacht hatte, der vonder Organisation mit Entschiedenheit abgelehnt wurde.Später wurde dieser junge Mann aus der Organisationausgeschlossen, die sich in der Zwischenzeit um hun-dertachtzig Grad gewendet hatte und nunmehr in dieRichtung ging,die der junge Genosse vorgeschlagen hat-te.Die Begründung für den Ausschluss lautete:Da du da-mals deine Gedanken nicht in ausreichend begründeterForm vorgetragen hast,hast du uns dazu gebracht,dir ve-

hement zu widersprechen. Damit hast du uns objektivdaran gehindert, den einzig richtigen Weg zu gehen. Dubist schuld daran, dass wir weiter den falschen Kurs ver-folgt haben. Die Nutzanwendung: Viele Begriffe undGedanken werden in der öffentlichen Debatte von Men-schen vertreten,mit denen wir nicht unbedingt in einemBoot sitzen wollen.Wir wittern Unrat, versuchen Gegen-positionen auch da zu beziehen,wo in diesem Gedankenmehr Substanz steckt als wir wahrhaben wollen.

Sicher ist Skepsis angebracht.Sicher stecken hinter man-cher Propagandaoffensive für das Ehrenamt und für diefreiwillige soziale Tätigkeit unlautere Gedanken oderGesellschaftsvorstellungen, mit denen wir mit Rechtnicht übereinstimmen wollen.Insbesondere die Verknüp-fung dieser Ideen mit drastischen Sparmaßnahmen beiden öffentlichen Haushalten ist angetan,den Verdacht zubestätigen, dass einige der Propagandisten mehr amAbbau als am Umbau des Sozialstaates interessiert sind.Und das hat uns ja schon der Trojanische Krieg gelehrt:Eskann sehr gefährlich sein die Mauern zu öffnen und ein

Pferd hereinzulassen, in dessen Bauch sich die gegneri-schen Krieger verbergen.Schotten dicht - eine verständ-liche Antwort auf gefährliche Gedanken. Wir haben ge-zögert. Wir wollten nicht von den eigenen Leuten ver-dächtigt werden,mit denen unter einer Decke zu stecken,die, so schien es, uns und den Leuten, mit denen und fürdie wir unsere Arbeit tun, das Leben und Überlebenschwer machten. Glücklicherweise hat sich inzwischendie Lage etwas entspannt. Das hat vor allem mit demRegierungswechsel in Bonn zu tun.Die Fronten sind nichtmehr so verhärtet.Wir sehen klarer und ich hoffe,dass dasauch für unsere Mitstreiter gilt.Wer für mehr Beteiligungder Menschen an der Gestaltung ihrer Lebensumständeeintritt, wer sich der Förderung von Bürgerengagement

und Selbsthilfe verschreibt, wer die freiwillige und eh-renamtliche Tätigkeit für richtig hält, ist nicht gleich einSteigbügelhalter des Konservatismus und des Sozialab-baus.Vor allem ist er nicht gleich ein heimlicher oder of-fener Sympathisant einer der großen oder kleinen politi-schen Parteien.Wir sehen,und das hat das Jahr nach demRegierungswechsel gezeigt, in allen relevanten ParteienAnknüpfungspunkte und Positionen oder Strömungen,mit denen wir schwerlich übereinstimmen können.

Betrachten wir das einmal aus der Vogelperspektive - unddeswegen sicher ungerecht, an der einen oder anderenStelle.In der CDU,die ja neuerdings zuweilen verdächtigtwird, sozialdemokratischer als die Sozialdemokraten zusein, finden wir Positionen, die aus sozialer Verantwor-tung für das Gemeinwesen das gute alte Subsidiaritäts-prinzip ernst nehmen und den Bürgern deswegen mehrVerantwortung zurückgeben wollen, weil der Staat sichnicht in alles einmischen müsse.Und insbesondere nichtin die Angelegenheiten,die von den kleineren Einheiten,wie Familien und freiwilligen Vereinigungen, zufrieden-stellend selbst geregelt werden können.Auf der anderenSeite gibt es in dieser Partei Tendenzen, einer Privatisie-rung sozialer Absicherung das Wort zu reden,die sich dieschlechter Verdienenden in unserer Gesellschaft nicht leis-ten können und die Menschen ins Abseits drängt,die aufsolidarische Unterstützung angewiesen sind. Es gibtBereiche, in denen staatliche Leistungen durch ehren-

amtliches Engagement nicht zu ersetzen sind.Das Sozialekann,um es mit dem Grips-Theater Stück »Linie 1« zu sa-gen, nicht den Wilmersdorfer Witwen überlassen wer-den.Meines Erachtens fehlt auf konservativer Seite,wennauf Bürgerengagement verwiesen wird,im übrigen auchdie Sympathie für Aufmüpfigkeit, Ungehorsam und Wi-derständigkeit, die notwendige Bestandteile von Enga-gement, Zivilcourage und Eigeninitiative sind.Gehen wir weiter. Bei den Liberalen gibt es ja schon im-mer zwei Traditionen, die miteinander im Streit liegenund auch in diesen Fragen deutlich werden.Die national-liberale Strömung,die recht einseitig ihren Schwerpunktbei der Unterstützung der wirtschaftlich Stärkeren undderen Abwehr sozialstaatlicher Reglementierungen

EINFÜHRUNGHerbert Scherer (Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.)

4 Einführung

sieht; und die freiheitlich-linksliberale Strömung, die diebürgerrechtlichen Freiheitswerte betont und von daherviel ehrliche Sympathie für die Eigeninitiative von Bür-gern hat. Die soziale Verantwortung, die kein Gegensatzvon bürgerlicher Freiheit sein muss, ist bei beiden Strö-mungen leider eher unterbelichtet. Und der sozial-libe-rale Flügel der Freien Demokraten ist derzeit ziemlichschwach vertreten.

Machen wir einen großen Sprung zur PDS. Sie profiliertsich programmatisch als Partei des sozialen Gewissensund als Wachposten zur Verhinderung des Sozialabbaus.Aus der Oppositionsrolle heraus können die entspre-chenden Positionen bezogen werden, ohne Haushalts-zwänge und die damit einhergehenden Prioritäten sel-ber berücksichtigen zu müssen.Insofern ist eine gewisseVorsicht angebracht, wenn von dieser Seite z.B. für dieArbeit der freien Träger im Sozialbereich eine bessereAbsicherung gefordert wird. Wenn es denn einmal rich-tig zur Sache geht,wie in Mecklenburg-Vorpommern,wodie PDS bekanntlich an der Regierung beteiligt ist,schei-nen sich sogleich wieder Vorstellungen in den Vorder-grund zu drängen,die dem öffentlichen Sektor einen ein-deutigen Vorrang vor dem frei-gemeinnützigen Bereichgeben und Sozialabbau am besten dadurch verhindertsehen, dass den Interessen der im öffentlichen DienstBeschäftigten nicht zu nahe getreten wird.

Hier in Berlin kann jedoch festgestellt werden, dass dasgründlichste Interesse an unserer Arbeit aus den politi-schen Lagern der Oppositionsparteien kommt.Das gilt fürdie PDS wie auch für die Grünen.Die Grünen scheinen aufden ersten Blick unser natürlicher Bündnispartner, ver-danken sie doch in West und Ost ihre wesentlichenGründungsimpulse den Bürgerinitiativen, in denen sichMenschen seit den siebziger Jahren zusammengefundenhaben, die sich nicht mehr damit zufrieden geben woll-ten, dass »die da oben« schon alles richten werden. Beinäherem Hinsehen stellt sich aber auch bei dieser Parteidie Lage eher widersprüchlich dar.Vielleicht sind zu vie-le Initiativbewegte von einstmals inzwischen in die Jahregekommen und im öffentlichen Dienst gelandet. Jeden-falls hat inzwischen die Vorstellung vom Vorrang des öf-fentlichen Bereichs gegenüber den frei-gemeinnützi-gen Dienstleistungen bei den Grünen zumindest einestarke soziale Basis. Das wirkt sich verständlicherweiseauf das Handeln vor Ort, in Bezirksparlamenten und Ju-gendhilfeausschüssen aus, auch wenn die Programma-tik auf der höheren Ebene nicht so eindeutig ist.Aber auch auf Bundesebene sollte man mal hingucken.Dort scheinen die Grünen den massiven Versuchen derSozialdemokraten, Grauzonen und Schlupflöcher zwi-schen Standarderwerbstätigkeit und totaler Abhängig-keit von Unterstützungssystemen zu schließen, nichtsentgegenzusetzen. Ich erinnere an die Gesetzgebungzum 630-Mark-Modell und zur Scheinselbständigkeit.

Jetzt noch zu den Sozialdemokraten.Die Sozialdemokra-ten scheinen sich noch nicht entschieden zu haben, bzw.ich sage einfach: sie haben sich noch nicht entschieden.Die Bandbreite ihres Profils vor den Bundestagswahlenreichte ja vom Beinahe-Neoliberalismus bis zum Fast-Staatssozialismus.Es ist folgerichtig,dass ein Großteil derdamit geweckten widersprüchlichen Erwartungen an die

neue Bundesregierung bei der praktischen Umsetzungenttäuscht werden musste, was sich jetzt erst einmal indramatischen Einbrüchen bei der Wählergunst nieder-schlägt. Die Partei wird die Aufgabe noch bewältigenmüssen einen Kurs zu bestimmen, der die richtige Ba-lance findet zwischen der sozialen Absicherung, die mitdem Sozialstaat alter Prägung verbunden war und derEinbeziehung bürgerschaftlicher Eigenverantwortung,die nicht nur wegen Staatsverschuldung und leerer öf-fentlicher Kassen, sondern auch im Sinne einer lebendi-gen Demokratie notwendig ist.

Also, wir können beruhigt sein: Mit unserem Beitrag zurDebatte sind wir bestimmt nicht die Hilfstruppe einer derpolitischen Parteien.Wir werden auch nicht »everybodysdarling« sein. Aber ich denke, wir stehen auch nicht aufverlorenem Posten.Anknüpfungspunkte sind überall vor-handen.Was wir für unsere Kursbestimmung brauchen,ist eine offene Debatte in unseren Einrichtungen und,et-was pathetisch gesprochen, in unserem Land.Wir solltenuns nicht scheuen dabei nach vorne zu gehen,auch wennwir dabei manchmal das Gefühl haben uns in ein Minen-feld zu begeben.Ich bin mir ziemlich sicher,dass die meis-ten Tretminen,auf die wir dabei zu geraten fürchten,sichin der Realität nur als große Fettnäpfchen entpuppenwerden. Die sollten wir nicht vermeiden wollen. Insbe-sondere nicht auf so einer Tagung wie dieser.Wir solltenhier vor offenen Fragen keine Angst haben und auch kei-ne Angst davor haben,Blößen zu zeigen.Wir sollten viel-mehr die Chance nutzen,dass wir keine Politiker sind,dieja in gewisser Hinsicht arm dran sind. Sie dürfen keineGedanken öffentlich äußern ohne gleich an der falschenStelle zitiert zu werden,weswegen sich viele lieber gleicheinem Denkverbot unterwerfen.

Die mangelnde Bereitschaft zur ehrlichen öffentlichenDebatte trägt dann aber gerade zu der Politikverdros-senheit bei, die in der Folge die Politiker beklagen.Wenndiese Politiker nur noch als gestylte Charaktermaskenauftreten, die sich ihre Redetexte von Werbeagenturenschreiben lassen, die vorher sorgfältig haben erforschenlassen, wie viele Prozentpunkte in der Wählergunst die-ser oder jener Adressatengruppe diese oder jene Äuße-rung bringen wird, ist schließlich,und das ist fatal,etwasganz Wesentliches dahin, nämlich die Glaubwürdigkeit.Wir haben gerade ein paar spannende Tage erlebt, eineinternationale Tagung des Internationalen Verbandes derNachbarschaftsheime hier in Berlin. Und eine Kolleginaus Litauen hat das sehr schön dialektisch formuliert.Siehat darauf hingewiesen,dass es manchmal nicht nur aufden Inhalt sondern auch auf die Form ankommt. Sie hatnicht gesagt,die Leute glauben nicht an die Versprechun-gen der Politiker, sondern sie hat gesagt, die Leute glau-ben den Politikern nicht, dass sie selbst an das glaubenwas sie sagen.

Wenn man den Eindruck gewinnt, dass alles nicht ernstgemeint ist, dass alles nur Spiel ist, gibt es keine Bereit-schaft sich mit den in der politischen Debatte geäußertenPositionen ernsthaft auseinander zu setzen.Ohne öffent-liche Debatte,ohne Gespräch und ohne Streit gibt es aberkeine Demokratie. Und in der Demokratie geht es nichtimmer um die großen Fragen des Zusammenlebens aufnationaler Ebene oder auf der Ebene der Stadt, sondern

auch um das Zusammenleben in der Nachbarschaft.Wir sind darauf auch in diesen Tagen hingewiesen wor-den, indem wir an die Geschichte der Gründung derNachbarschaftsheime anlässlich des 50-jährigen Beste-hens des Nachbarschaftsheims Schöneberg erinnert wor-den sind.Die Nachbarschaftsheime sind nach dem Zwei-ten Weltkrieg hier in Berlin mit dem sehr deutlichenBemühen gegründet worden, Demokratie im Alltag,Demokratie im Nahbereich erfahrbar zu machen und da-mit einen Beitrag zur Demokratie in der ganzen Gesell-schaft zu leisten.Die Nachbarschaftsheime können dabeimitwirken,dass aus der Politikverdrossenheit,von der ichschon gesprochen habe,keine Demokratieverdrossenheitwird.Dazu braucht es übrigens öffentliche Orte,an denenGestaltung stattfindet und nicht nur ein Gequatsche umdes Gequatsches Willen,sondern wo es möglich ist,hand-lungsorientierte Gespräche zu führen und Entscheidun-gen gemeinsam zu fällen. Es geht also nicht um denStammtisch,wo über das geredet wird,was die anderen,»die da oben«, machen sollen, sondern es geht um das,was wir selbst, »die da vor Ort«, machen können.

Vor 200 Jahren, um 1800, haben die Bürger das gewusstund haben Geselligkeitsvereine gegründet. Der Kollegeaus Wien wird das wissen, die Kaffeehäuser sind zu derZeit als öffentliche Orte entstanden, an denen man sichnicht nur zu politischen Gesprächen traf, sondern auchzum Zeitung lesen und Billard spielen. Kaffeehäuser ha-ben also eine große Rolle bei der Demokratisierung derdamals noch feudalen Gesellschaft gespielt. Vor 50 Jah-ren waren es, wie gesagt, die Nachbarschaftsheime, diesolche Orte waren. In unserer Zeit sind es die Nachbar-schaftsheime immer noch,aber sie haben Mitstreiter ge-funden - Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerhäuser, Stadt-teilläden, Gemeinwesenprojekte, vielleicht auch den ei-nen oder anderen Quartiersmanager.

Heute sind wir zusammen in der »Werkstatt der Kultu-ren« in Berlin. Lasst uns in diesem Sinne nicht Stamm-tisch machen und über die Versäumnisse von anderen,von Geldgebern,Konkurrenten usw.klagen,sondern dar-über gemeinsam sprechen, was wir tun können, um un-sere Arbeit zu verbessern und in die öffentliche Debatteeinzugreifen. Es muss dabei nicht alles ernst sein. Wirdürfen ruhig spielen, wir sollten sogar spielen - mit un-seren Gedanken.

Die Workshops spielen dabei natürlich die entscheiden-de Rolle. Nach unserem Verständnis geht es hier nichtdarum, fertige Lösungen zu propagieren oder nur klugeFragen um des Fragens Willen zu stellen.Es geht um einegemeinsame, lösungsorientierte Arbeit, die von einemProblembewusstsein gesteuert wird. Es geht darum,voneinander zu lernen, sich gegenseitig in die Karten zugucken, dabei möglichst wenig zu bluffen. Ich glaube,wenn wir dieses Klima miteinander schaffen,sind wir un-schlagbar.

Zeichenerklärung für die folgenden Seiten:

O< weiblicher RedebeitragO> männlicher Redebeitrag

5Wer will hier was und warum?

Heinz Altena: Was ist eigentlich Gemeinwesenarbeitaus dem Wörterbuchverständnis? Das ist erst einmalnichts anderes als eine Methode der Sozialarbeit, nebenEinzelfallhilfe und Gruppenarbeit. Es ist ein Arbeitsprin-zip, methodenintegrierend und interdisziplinär.Und was ist Quartiersmanagement? Das ist erst einmalnichts anderes als eine Überschrift über ein Förderpro-gramm. Und es ist zweitens ein Sammelsurium aus Zie-len, Methoden, Aufgaben, Strategien.Gemeinwesenarbeit wird in Deutschland seit Anfang der70er Jahre praktiziert, die Ursprünge sind im anglo-amerikanischen Raum seit Ende des 19. Jahrhunderts.Quartiersmanagement oder Stadtteilmanagement wirdin Deutschland seit Mitte der 90er Jahre praktiziert, hatunterschiedliche Wurzeln. Es kommt aus der Städtebau-förderung und hat auch was mit der Verwaltungsreformund Regionalisierung zu tun. Aus diesem Kontext herausist dann eine ganz andere Linie eröffnet worden. Diesebeiden Linien haben erst mal nichts miteinander zu tun.Zum Stand der Gemeinwesenarbeit: Ich habe das ziem-lich intensiv verfolgt und festgestellt, dass GWA immerkontrovers diskutiert wurde. Extern stand die Gemein-wesenarbeit immer unter Ideologieverdacht, und internwurden für mich erschreckend-sektiererische Wahrheits-debatten über die »wahre« Gemeinwesenarbeit, überden »wahren« Ansatz geführt,sowohl von den Praktikernals auch von den Gurus, die an den Hochschulen ihreMethoden und Theorien vertreten haben.Es ist nicht ge-lungen,eine gemeinsame Linie zu entwickeln für das wasGWA sein könnte,sein sollte.Und es ist vor allem nicht ge-lungen,für diesen fundamental guten Ansatz eine Lobbyzu schaffen, die sich dann auf diese Verständigung beru-fen hätte und im politischen und im fachlichen Raum dieGemeinwesenarbeit hoffähig und förderfähig gemachthätte. Gemeinwesenarbeit wurde theoretisch und me-thodisch nicht weiterentwickelt. Eine theoretische undmethodische Fundierung hat nicht stattgefunden.

Stadtteilmanagement dagegen hat gar nicht den An-spruch ein Konzept zu sein, das theoretisch und metho-disch geschlossen wäre.Es ist ausgesprochen heterogen.Verbindend und verbindlich sind bisher einzig und alleindie vagen programmatischen Vorgaben, die etwa dasLand NRW, der Senat in Berlin und jetzt das Bundesbau-ministerium rausgebracht haben.Unter diesem Dach ver-bindet sich zwar das Stadtteil- und Quartiersmanage-ment. Zwischen den beiden Vorstellungen GWA undStadtteilmanagement gibt es eine sehr große Differenz.Nichtsdestotrotz sagt uns jetzt die Fachwissenschaft fol-gendes (Dieter Oelschlägel im Mai ‘99): »Gemeinwesen-arbeit bedarf der systematisch organisierten GWA alsStadtteilmanagement«. Und von anderer Seite heißt es:»Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit,Stadtteilmanagement – über diese Stationen hat sich inca. 25 Jahren ein sozialräumlicher Arbeitsansatz ent-

wickelt«.Wir haben gerade festgestellt,dass es immenseUnterschiede gibt zwischen der GWA und dem Quartiers-management und jetzt scheint es doch eine Menge zugeben,was die Gemeinwesenarbeit durch Stadtteilarbeitbefruchten könnte. Und das möchte ich jetzt zur Diskus-sion stellen. Was ist an diesen Thesen, an diesen Über-schriften oder Bemerkungen wahrhaftig bzw. sinnreich?Oder warum werden Querverbindungen zwischen GWAund Quartiersmanagement jetzt hergestellt? Sehen Siedas auch so oder sehen Sie jetzt gerade in Berlin, dass esdoch sehr unterschiedliche Ansätze gibt und dass man dafein trennen muss? Die Frage richtet sich nicht nur an Ber-liner,es sind natürlich auch andere hier,aus Hessen etwa.

O> Ich bin aus Leipzig. Was die Stadt Leipzig jetztmacht, Quartiersmanagement, ist eine Form von Ge-meinwesenarbeit. Ich identifiziere mich mit diesemKonzept und mir gefällt auch dieser Widerspruch. Ichdenke, das ist eine unterschiedliche Herangehensweise,es kommt darauf an, was man daraus macht. Sicherlich,im Osten fehlt in diesem Bereich die Tradition, aber da-durch müssen auch nicht erst Blockaden überwundenwerden.

O> Wir als Nachbarschaftshaus haben uns auch umdas Quartiersmanagement beworben, weil ich der Mei-nung bin, dass Nachbarschaftsarbeit und Gemeinwe-senarbeit ganz enge Verbindungen zum Stadtteilmana-gement, zu sozialarbeitsmäßigen Arbeitsansätzen ha-ben. Ich würde da keinen Widerspruch, weder politischnoch fachlich,begründen wollen.Sondern ich denke eher,dass Nachbarschaftsarbeit und Gemeinwesenarbeit sehrviel stärker über ihre Wirkungsmöglichkeiten reflektierenmüssen und darin auch effektiver werden müssen. Auchkleine,über Jahre hinweg gewachsene Ansätze im Stadt-teil hätten vielleicht gute Voraussetzungen, sich zumStadtteilmanagement zu entwickeln. Ich bin der Mei-nung,dass die Nachbarschaftsarbeit die ganze Diskussionum soziale Stadtentwicklung verpasst hat. Sie hätte sichviel früher mit ihren Kompetenzen, ihren Möglichkeiten,ihren Profilen in diese Diskussion massiv einbringen müs-sen.

O> Es hat sich eine Entwicklung vollzogen,wo sich einsaus dem anderen entwickelt hat,wo eine gewisse Termi-nologie eine Rolle spielt. Und da muss man ein bisschenaufpassen, ob sozial-technokratische Seiten in dieserneuen Terminologie enthalten sind. Ich will einen neuenBegriff einführen,in Berlin gibt es den Kiez,damit könnenwir alle was verbinden, das Wort kommt aus dem Sorbi-schen und bedeutet: ungesunde Wohngegend in denNiederungen. Wenn man das im Kopf hat, weiß manauch, was soziale Verbesserungen für Menschen in die-sem Kiez bedeuten, auf der einen Seite die nachbar-schaftliche Orientierung,auf der anderen Seite die Selbst-

hilfeorientierung und zum Teil eben auch darüber hinaus.Das sind also sozialpolitische stadtteilbezogene Orientie-rungen,und da sehe ich einen gewissen Fortschritt in derDebatte. Das heißt, wie bringe ich die Kleinteiligkeit desKiezes in eine gesamtstädtische Debatte ein.Aber wohinwird denn eigentlich dieses Quartiersmanagement-Geldverteilt und wer entscheidet darüber? Das ist ein Punkt,an dem ich sehe, da kommt was Politischeres in dieDebatte,was nicht diese interne ideologische Dimensionaus den siebziger Jahren hat.

Altena: In einem Artikel im »Rundbrief« wurde dieserQuartiersmanagementansatz fachlich, begrifflich undpolitisch vehement zum Teufel geschickt, im Sinne von:Lasst uns doch an den Dingen anknüpfen,die da sind.Gibtes niemanden hier,der die Meinung vertritt,die Stadtso-ziologie Häußermanns und die moderne Politik Striederstreiben mit dieser Begrifflichkeit und diesem KonzeptSchindluder?

O< Was mich daran geärgert hat, hier in Berlin Stadt-teilmanagement einzuführen, sich bestimmte Gebieterauszupicken, die sicherlich als Kiez gelten können, warfolgendes: man hat nicht geguckt, was es da schon gab,wer schon vor Ort ist, wie man die vielleicht stärken undunterstützen könnte. Sondern man hat von oben Leutereingedrückt, hat Befragungen gemacht, als handele essich um einen weißen Fleck auf der Landkarte. DerStrieder hat in einem Werbespot im Jazz-Radio auf ziem-lich platte Weise gesagt: Quartiersmanagement ist einetolle Sache, da schicken wir Leute los, die fragen die Bür-ger,die sagen uns,was sie sich wünschen – die wünschengar nicht mal so teure Sachen, kostet gar nicht viel Geld,da wollen sie mal dies, mal jenes, so bescheiden sind die– und wenn Sie selber eine Idee haben,worauf wir ja garnicht gekommen wären in der Behörde,dann rufen Sie anunter dieser Nummer.Was mich daran ärgert ist,dass hierso viel Geld reinfließt,während Projekte,die in den Kiezenund den Stadtteilen gearbeitet haben und sicherlich auchgute Arbeit gemacht haben, nicht gestützt wurden, son-dern dass da wieder was Neues reingedrückt wurde.Ausmeiner Sicht hat die GWA versäumt, über die Zielgrup-penarbeit hinaus andere Bereiche wie Arbeitgeber undWirtschaft als mögliche Kooperationspartner einzube-ziehen.

Altena: Also hat die GWA ihrem Anspruch eigentlich nieRechnung getragen, denn sie sollte ja eigentlich nieZielgruppenarbeit sein.

Vorrednerin: Ja, das ist der Knackpunkt daran.

O> Man sollte es jetzt nicht an den Begriffen, an Strie-der am wenigsten, festmachen. Strieder ist Politiker undSenator, man kann an Häußermann einiges festmachen,an einigen seiner Untersuchungen, an seiner Definitionder sozialen Brennpunkte, die jetzt zum Gebiet für Quar-tiersmanagement erklärt worden sind. Und was michdaran auch massiv stört,ist,dass diese Quartiersmanage-mentgebiete jetzt in Berlin die höchste Priorität haben.Und da ist zwei Querstraßen weiter ein Gebiet in der glei-chen benachteiligten Situation und das profitiert nicht

P R A X I S - 0 R I E N T I E R T E W O R K S H O P S

Wer will hier was und warum? Quartiersmanagement und GWAPlanung und Gestaltung des sozialen Raumes von oben und/oder von unten?

mit Heinz Altena, Duisburg

6 Wer will hier was und warum?

von der Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe,profitiertnicht von dem Quartiersmanagement, profitiert nichtvon all den Anstrengungen und von dem,was man da mitGemeinwesenarbeit über all die Jahre versucht hat auf-zubauen.Die zweite Sache ist,dass ich Quartiersmanage-ment in seinen Zielvorstellungen eigentlich unterstütze,dass jetzt aber Pilot- und Modellprojekte aufgebaut wer-den, die mit den Rahmenbedingungen, unter denenQuartiersmanagement gefördert wird, nicht vergleich-bar sind. Damit kann ich nicht soziale Stadtentwicklungbetreiben.Sondern dann muss ich auch diese Förderpro-grammatik, die jetzt über das Quartiersmanagemententwickelt wird,für die Gesamtstadt ausgeben und bereitsein, sie einzusetzen. Die Kreuzberger Sozialstadträtinz.B. hatte mal gefordert, gebt mir Geld für Nachbar-schaftsarbeit und nicht nur für Quartiersmanagement,damit wir im Bezirk wirklich was auf die Reihe kriegenund auch was weiterentwickeln können.

O< Jetzt haben wir einen gemeinsamen Feind.Alle sindgegen das Quartiersmanagement.Ich denke, z.B. die Interessengemeinschaft Oranien-straße,die im Augenblick noch hauptsächlich aus Gewer-betreibenden besteht,sich aber für die Zukunft noch sehrviel vorgenommen hat,die wäre nie entstanden,wenn esnicht einen gemeinsamen Gegner gegeben hätte, näm-lich das Quartiersmanagement von oben, das abwirbt,und das Quartiersmanagement von unten, das sagt, wirkönnen uns selbst helfen.Bei dem Rest muss man einfachsehen,was sich daraus entwickelt. Auf der anderen Seiteist es ganz klar, wer vom Quartiersmanagement profi-tiert: nämlich die, die Jahrzehnte lang nichts getan ha-ben. Wir müssen uns jetzt mit ihnen in der täglichenArbeit arrangieren. Und meine Arbeit besteht darin, ichtrete ihnen pausenlos auf die Füße. Also, ich sage ihnen,ihr seid da, also macht was. Wenn sie uns nicht wollen,dann sollen sie es besser machen.

Altena: Sie haben wirklich nicht schwarz/weiß gemalt,sondern aus der Tradition Ihres Hauses verdeutlicht,wel-che Vor- und Nachteile und welche vielleicht gar nicht be-absichtigten Effekte diese Form der Einführung vonQuartiersmanagement produziert hat.

O> Für Berlin kann man ganz praktisch sagen, dass ei-gentlich die Träger des Quartiersmanagements in aller-erster Sicht tatsächlich Service-Beschäftigungsgesell-schaften sind. Das ist ein Beschäftigungsprogramm fürdie Service-Gesellschaften, weil ein Teil ihrer Aufgabenweggefallen war.

O> Was sind Servicegesellschaften?

Vorredner: Servicegesellschaften sind Treuhänder deröffentlichen Hand für bestimmte Aufgabenbereiche unddas heißt,die öffentliche Hand hat quasi über die Service-gesellschaften eine neue administrative Ebene geschaf-fen.Insbesondere für den Beschäftigungssektor und jetzteben auch teilweise im GWA-Bereich.Wobei man sagenmuss,dass die Servicegesellschaften sich von ihren Grün-dern teilweise auch schon wegentwickelt und sich priva-tisiert haben.

Altena: Das spitzt die Frage noch mal zu.Sie sagten vor-

hin, da ist ja gar kein großer Unterschied, jetzt höre ichgroße Unterschiede. Ist Quartiersmanagement, wie es inBerlin praktiziert wird, Gemeinwesenarbeit mit einemanderen Begriff oder eben genau nicht?

Vorredner: Höchstens in Verbindung mit lokalen Akteu-ren, wenn sie die vernünftig einbinden, dann würde ichdas so ansehen können.

O> Wie kommt es überhaupt zu diesem Verfahren,wiesind die Träger für Quartiersmanagement gefunden wor-den? Einige Leute, die Quartiersmanagement machen,machen das eher in Richtung klassische Gemeinwesen-arbeit, nach welchen Kriterien werden da eigentlich dieMethoden ausgewählt?

O> Ja, was heißt klassische Gemeinwesenarbeit? Dassollten wir in Bezug auf die Beschäftigung genau defi-nieren. Die Stichworte lokale Ökonomie, soziale Ökono-mie sind ja in der klassischen Gemeinwesenarbeit sonicht diskutiert worden.Es hieß ja immer,Gemeinwesen-arbeit ist nur für den Reproduktionsbereich zuständig.

Altena: Sie sind erst diskutiert worden, als es der GWAschon ganz schlecht ging, so in den letzten zwei Jahren.

O> Ich würde sagen, dass da kein Widerspruch ent-standen ist.Sondern was hier an Aufgaben und Methodikbeschrieben wird,ist relativ identisch.Aber was praktischumgesetzt worden ist, macht den Unterschied zwischenGemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement aus.

Altena: Die Programmatik hat sich sozusagen selbst wi-dersprochen, indem sie sagt,wir müssen von unten nachoben arbeiten,und dann ist aber das Programm von obennach unten installiert worden, ohne Vermittlung in dieKieze rein. Die Bürger wird es vielleicht nicht so sehr in-teressieren, aber in den Kiezen sind ja jede MengeInstitutionen, die sich seit Jahrzehnten um Belange die-ses Kiezes gekümmert haben. Schulen, Kindergärten,Kirchen, Gemeinwesenprojekte, Kulturprojekte etc. sindin diesen Prozess nicht eingebunden gewesen – so habeich Sie jetzt verstanden.

Vorredner: Da waren eben andere Einrichtungen oderInstitutionen wesentlich schneller als die Gemeinwesen-arbeit vor Ort.Was wir in Dresden erlebt haben: ehe wirdas Konzept des Quartiersmanagements in Absprachemit den Bürgern und unter Einbeziehung einer Fachkraftaufgenommen haben, hatte das Planungsbüro seinKonzept schon längst der Stadt präsentiert.

Altena: Die Gemeinwesenarbeit kann da wieder Terrainzurückgewinnen.Die haben ja was zu sagen,die GWAler,ob an Fachhochschulen, an Universitäten oder in derPraxis. Und es ist natürlich wirklich bedauerlich, dass daauch in den Boomjahren nicht antizyklisch gearbeitetwurde, um die neuen Definitionen zu besetzen.

Ich will Ihnen jetzt aus verschiedenen TextbausteinenZitate zeigen, und zwar, was Ansprüche und Ziele vonGWA und Quartiersmanagement angeht. Ich habe mirz.B. das Programm, die Selbstdarstellung der Gemein-wesenarbeit des Vereins SO 36 in Berlin-Kreuzberg ge-

nommen und den Leitfaden zur Ausgestaltung der Ge-meinschaftsinitiative »Soziale Stadt« – das Bundespro-gramm – angeguckt.Zur Methodik: »...Möglichkeiten der offenen Beratung,sowohl im Einzelfall wie auch zur Unterstützung undKooperation mit Stadtteilgruppen und Gewerbetreiben-den und arbeitet eng mit der bezirklichen Regionalver-waltung zusammen.« Das ist SO 36. »Quartiersmanage-ment will selbsttragende Bewohnerorganisationen undstabile nachbarschaftliche Netze schaffen« - das könntein jedem Gemeinwesenfachbuch und jedem Projekt derGemeinwesenarbeit stehen. Aufgabe von Quartiersma-nagement – was soll bewirkt werden: »Vernetzen derunterschiedlichen Interessengruppen vor Ort unter derZielstellung eines gemeinsam zu entwickelnden Quar-tierskonzeptes«. Ist doch revolutionär! Weiter: »Initiie-rung und Aufbau von projektbezogenen oder dauerhaf-ten Kooperationen zwischen Institutionen, Initiativen,Unternehmen und anderen lokalen Akteuren und Exper-ten.« Und weiter:»Schaffung selbsttragender Bewohner-organisationen und stabiler nachbarschaftlicher sozialerNetze« – das ist das Bundesprogramm, die haben ir-gendwie voneinander abgeschrieben. »Unterstützungfür Bewohnervertretungen, -aktivitäten und -initiati-ven« – das hätte auch ein Gemeinwesenprojekt für Berlinschreiben können.Dann:»Als allgemeine Intention kanndie Verbesserung defizitärer Strukturen im Gemeinwesengelten«. Genau das macht der Gemeinwesenarbeiter:Verbesserung defizitärer Strukturen im Gemeinwesen.Jetzt noch mal SO 36: »Mit den BürgerInnen zusammenunter dem Motto ‘Hilfe zur Selbsthilfe’ einen Beitrag zurVerbesserung und zunehmend auch zum Schutz undErhalt der Wohn- und Lebensverhältnisse im Altstadt-quartier leisten.Diese Aufgabe erstreckt sich auf die Viel-falt sozialer, kultureller, pädagogischer, räumlicher undwirtschaftlicher Strukturen.« Im Grunde genommenkönnte das eine Anforderung sein an das Quartiersmana-gement. Jetzt noch mal ein Letztes: »...dazu zählen ins-besondere die Aktivierung und Organisierung von Bür-geraktivitäten und Stärkung von Selbsthilfepotenzia-len«.«Unterstützung vieler Möglichkeiten, die Bürgerdurch Selbsthilfe an Maßnahmen der Stadtteilentwick-lung zu beteiligen« – Bundesprogramm. »Verbesserungvon Lebensbedingungen,vornehmlich in benachteiligtenWohnquartieren,einerseits durch Aktivierung,Organisa-tion und Training von betroffenen Gruppen, andererseitsdurch Aktivierung und Bündelung und Management vonRessourcen innerhalb der Verwaltung und bei anderenInstitutionen zur Entwicklung spezifischer, auf die Be-dürfnislage der Wohnbevölkerung bezogener Projekte.«Das ist stadtteilbezogene soziale Arbeit, wie wir sie seit 20 Jahren in Essen machen. »Die Moderation und Unter-stützung von Interessenkonflikten im Stadtteil und dieEntwicklung und Vernetzung von Projekten« – Oelschlä-gel noch mal.Wo man es auch hernimmt,Fazit ist,dass dieGemeinwesenarbeit in Theorie und Praxis und die Län-der- und Bundesprogramme zum Stadtteil- und Quar-tiersmanagement ausgesprochen ähnlich bis austausch-bar von ihrer Programmatik, ihrer Umsetzung und ihrerZielorientierung her sind. Gibt es dazu Anmerkungen,Fragen,Widersprüche, Zustimmung?

O< Ich finde,diese Ansätze gehen einfach dadurch wei-ter,dass sie praktisch mit dieser Hilfe zur Selbsthilfe ganz

7Wer will hier was und warum?

andere gesellschaftliche Ressourcen bündeln. Man sam-melt nicht nur in der offenen Gruppe seine Wünsche,son-dern versucht gleich, sie mit ganz konkreten Arbeitspro-grammen zu verbinden, z.B. mit ganz konkreten Aufga-ben im Kiez oder an einem bestimmten Haus.Also,sie ge-hen ein bisschen mehr in die Tiefe, indem sie sich diewirklichen Probleme angucken. Zusammen mit diesemProgramm muss auch was passieren, damit Jugendlichein Wohnen und Arbeit kommen, da muss begleitend et-was stattfinden.Ich denke,das ist schon ein bisschen wei-ter,als wir vor 10 oder 17 Jahren waren.Wie das allerdingsumgesetzt wird, muss man noch sehen.

O< Es gefällt mir überhaupt nicht,dass wir mit unsererganz tollen Arbeit nicht gefragt worden sind, ob wir dieAufgabe Quartiersmanagement übernehmen wollen.Aber da waren wir wohl politisch doch noch nicht so ak-tiv, wie wir gemeint haben. Offensichtlich haben anderebessere politische Mittel. Ich muss halt gucken, was ichmit ihnen zusammen machen kann. Ich kann mich daschlecht verweigern.

O> Zum Beschäftigungsprogramm:Es ist als ein quali-tativer Schritt gegenüber den letzten Jahren zu sehen,dass das auch auf die Gegebenheiten vor Ort reagierenkann, dass jetzt nicht mehr einfach Beschäftigungspro-gramme gemacht werden, nur damit die Leute eineBeschäftigung haben. Aber der nächste Schritt wäre da-rauf zu achten, dass das den Leuten, die diese Beschäfti-gungsprogramme durchlaufen, auch tatsächlich nützt.Dass man an deren Fähigkeiten ansetzt. Dass man alsonicht sagt, das nützt nun mal dem Stadtteil, und deswe-gen nehmen wir egal welche Leute und stecken die wahl-los in Beschäftigungsmaßnahmen.Wenn das sinnvoll ge-macht wird,ist das ja eine Mobilisierung einer Ressource,die o.k. ist.

O> Aber das ist ja jetzt nicht eine Aufgabe speziell vonQuartiersmanagement, sondern das ist unser aller Auf-

gabe zu sagen,zur Verbesserung der Lebenslagen gilt es,sich auch mit der Erwerbssituation, Arbeitssituation undall den Begleiterscheinungen auseinander zu setzen.

Altena: Ich fasse die bisherigen Äußerungen mal zu-sammen: Die beleidigte Gemeinwesenarbeit guckt zu,wie die anderen aufs Podium gehen.Aber ich glaube,dieProbleme sind so gravierend und so eklatant, dass die

nächste Siegerehrung eigentlich so aussehen müsste:obdas jetzt Stadtplaner sind, Raumplaner, Pädagogen, Ser-vicegesellschaften,Gemeinwesenarbeiter oder Nachbar-schaftsheime, und ob die betreffenden Gebiete nunWohngebiete,Quartier,Kiez,Stadtteil oder Gemeinwesenheißen, sie sollten miteinander umgehen, voneinanderlernen, von ihren unterschiedlichen Berufstraditionen,Biografien, Fachlichkeiten. Die Stadtteile und die Men-schen, die da wohnen, sollten möglichst bei dieserKooperation die Gewinner sein. Wer jetzt oben auf demSiegertreppchen steht, der muss nicht unbedingt bis inalle Ewigkeit der Bestimmer im Kiez bleiben. Das kannnicht die Zukunft sein, wie sich Professionalität inStadtentwicklung oder Stadtteilentwicklung einmischt.Ich hatte gedacht,die Diskussion würde an diesem Punktwesentlich politischer über diese von oben aufgepfropf-te Quartiersmanagement-Entwicklung in Berlin werden.Aber vielleicht sehen Sie mittlerweile die ganze Sacheeher aus der Richtung,dass Sie Möglichkeiten sehen,sichda einzubringen.Vielleicht geht’s ja dann auch mal, dassman zusammenkommt und die Vorteile, die Sie habendurch Ihre Form der Verankerung, mit den Vorteilen alsExterne,mit einem anderen Know-how vielleicht,mit ei-ner anderen Ausstattung auch mit einbringt. Vielleichtgeht das zusammen. Jedenfalls kann es nicht sein, dassQuartiersmanagement als Berliner Politik an willkürlichgesetzten Gebietsgrenzen einfach aufhört. Und mankann dieses Programm vor allem nicht nach drei Jahrenwegkippen, so etwas muss Stadtpolitik werden. Undwenn es Stadtpolitik wird, dann sind alle im Boot unddann werden die Karten neu gemischt.Und die GWA darfsich nicht wieder beleidigt zurückziehen, sondern mussdie Position einnehmen, wachgerüttelt worden zu sein.Jetzt sollten Sie gucken und bereitstehen.Norbert Preuß-ler sagte so schön: Jahrelang ging nichts, aber irgend-wann ist die Tür mal so ein Stückchen weit auf und dannmuss man mit vollem Gepäck durch! Und das will ich al-so jetzt hier auch den Nachbarschaftsheimen und derGemeinwesenarbeit wünschen, dass sie aufsatteln, dass

sie in die Diskussion treten und dass sie ihren Beitrag,densie leisten können, gefälligst auch leisten.Diese Auseinandersetzung, wie es sie in Berlin gegebenhat,hat es in Nordrhein-Westfalen nie gegeben.Auch sol-che gut bestallten Projekte wie in Berlin, hat es dort niegegeben. Wo es nichts zu verlieren gibt, gibt es auchnichts aufzuschreien. Und alle, die in der fachlichenDiskussion standen, haben dieses politische Programm

der Landesregierung, das zum großen Teil gegen dieKommunen durchgesetzt wurde,vehement begrüßt,weilerstmalig Gemeinwesenbezug,Raumbezug,Sozialraum-bezug ressortübergreifend gefördert wurde. Jahrelanghat die Gemeinwesenarbeit das gefordert.Dann passiertes und alle hängen sich rein. Da gab es keine Widerstän-de. Man konnte nur mitlaufen und gucken, ob man wasabkriegt.Und das ist z.B.in Wuppertal ganz gut gelungen.Das Nachbarschaftsheim ist da toll integriert im Projekt,und die Stadt Wuppertal ist schlau,dass sie diese Einrich-tung mit ihren ganzen Ressourcen nutzt.

O> Ich erzähle mal aus Hannover von klassischerGemeinwesenarbeit. Die haben die Bewohner aktiviert,die Bewohner haben was gefordert.Aber höchstens klei-ne Punkte sind durchgesetzt worden.Es wurde nicht nurgefordert, dass die Bewohner selber aktiv werden, son-dern es wurde eben auch Geld gefordert.Und eines Tageskriegten die Gemeinwesenarbeiter große Augen,da kamdie Anweisung von oben, da hatte die Stadt sozusagenentschieden zusammen mit dem Land und dem Bund, indiesen Stadtteil da müssen die Millionen reingestecktwerden. Und da hat dann die Stadt gesagt, ja natürlichmüssen sich die Bewohner beteiligen. Es hat keinenZweck, da neue Sachen zu machen und die Bewohnernehmen das nicht an.Bewohnerbeteiligung muss laufen,sonst sind die Millionen vergebens eingesetzt. Aber zurLeitung der Projekte wurden nicht die klassischen Ge-meinwesenarbeiter eingesetzt,sondern da wurden neueLeute geholt. Die heißen jetzt Koordinatoren oder Pro-jektleiter oder Manager.Es stimmt genau, wie es in diesen Zitaten war: das, wasdie von oben wollen und die von unten wollen, ist in denZielsetzungen kaum zu unterscheiden. Aber die, die esvon oben machen, sind eingebunden in die Hierarchie,z.B. was Vertraulichkeit betrifft. Wenn die also mit demGemeinwesenarbeiter von unten zusammensitzen,dannwissen die von oben sehr viel mehr und dürfen es nichtsagen. Und der andere Punkt ist: Diejenigen, die die Mil-lionen geben,haben natürlich bestimmte Absichten,wasgemacht werden soll,haben bestimmte Projekte,wo dasGeld hin soll. Und die GemeinwesenarbeiterInnen vonder Basis gehen anders vor.Die hören,wo in der Bevölke-rung Ideen sind, haben ein viel breiteres Spektrum vonBewohnerinteressen, -aktivitäten und -kompetenzen,währenddessen die, die von oben das Geld reinpumpen,ein bestimmtes Projekt haben wollen, und deswegenversuchen die Gemeinwesenarbeiter von oben für das,was oben angedacht ist, unten Zustimmung zu kriegen.

O> Wer ist denn Anstellungsträger von Moderatoren?

O> In diesem Fall die Stadt oder stadtnahe Gesell-schaften.

O> Da hat GWA eine Chance verpasst.

Altena: Wie meinen Sie das, GWA hat eine Chance ver-passt?

O> Wir starten auch Quartiersmanagement an drei Or-ten gleichzeitig - ganz bewusste Sache - und freie Trägerstellen den Moderatoren ein, das muss unabhängig seinvon der Stadt.

8 Wer will hier was und warum?

Altena: Das ist wahrscheinlich nur im Osten möglich.

O> Aber,was heißt denn frei,wenn Sie die Millionen zuverwalten haben,wenn Sie ein Projekt machen,in das dieMillionen fließen sollen.Ob man da nun angestellt ist beider Stadt oder einen Vertrag hat mit ihr, das ist ziemlichJacke wie Hose.

Altena: Wir müssten noch einmal diskutieren,ob das eingradueller oder wirklich ein qualitativer Unterschied ist.Ich denke,das hängt auch von den jeweiligen Bedingun-gen ab. Ich könnte mir vorstellen, dass es in manchenKommunen gelingen kann,freien Trägern auch eine freieEntfaltung zu ermöglichen und in manchen Kommunengeht das halt nicht.Das würde ich nicht von vornherein soproblematisieren.

O< Es ist ganz unterschiedlich.Es gibt diese Neubauge-biete oder auch Gebiete mit hohem Altbaubestand, dasist in Hannover genauso wie am Kottbusser Tor in Berlin,da stehen die Wohnungsbaugesellschaften und damitein ganz anderes Interesse dahinter. Wenn sie die Woh-nungen nicht mehr vermieten können,die Leute da nichtmehr wohnen wollen, weil einfach das soziale Gefügekaputt ist und nichts mehr stimmt, da haben die Woh-nungsbaugesellschaften einen ganz anderen Druck,eineganz andere Stärke, gemeinsam mit der Verwaltung. Dakann das Quartiersmanagement nicht viel ausrichten.

Altena: Wenn man das Bundesprogramm »SozialeStadt« ernst nimmt,gibt es eine Mischung aus investivenund nichtinvestiven Mitteln. Jetzt sagt der Bund natür-lich, ich kann nicht überprüfen, ob meine Kriterien aucheingehalten werden, die ich mit dem Programm verbin-de. Er überträgt das den Ländern, die ja auch ein Dritteldazugeben müssen,wie die Kommunen auch.Die Ländersuchen jetzt die Vorschläge aus den Kommunen aus unddie Frage ist, gelingt es den Ländern oder auch denProjekten selbst, Standards zu entwickeln, die diesemProgramm von seinem Anspruch her genügen.Das heißt,in den nichtinvestiven Bereich genauso viele Mittel (vonder Qualität her) reinfließen zu lassen,damit das,was daalles steht – selbsttragende Strukturen,Beteiligung,Mit-bestimmung, Trägerkonferenzen - geschaffen werden,die dann über Wohnumfeldgestaltung und Häusermo-dernisierung mitentscheiden können.Da muss noch eineMenge passieren,um das hinzukriegen.Viele Wohnungs-gesellschaften sagen, wir würden ja mitmachen, wennwir einen Quartiersmanager oder Koordinator bezahltbekommen. Viele Wohnungsgesellschaften sind, wasStadtteilmanagement, soziales Management in ihrenEinrichtungen angeht,viel weiter als man denkt,und vielweiter als manche Kommunen sind. Bei denen geht’srichtig ans Geld. Und deshalb denken sie über solcheStrategien ernsthaft nach und sind auch bereit,in diesemBereich eine Menge zu tun. Und deshalb bekommt auchdas Bundesprogramm aus den Reihen des Gesamtver-bandes der Wohnungswirtschaft (BdW) nur Applaus.Herr Hunger, jetzt im Vorstand des BdW,hat mit empiricadie Studie »Überforderte Nachbarschaften« vorgelegt.Ich bin in diesem Bereich als Weiterbildender tätig und dasitzen dann genauso viele Leute wie hier - alle aus Woh-nungsgesellschaften. Ob das nun Sozialarbeiter, Ge-schäftsführer oder Prokuristen sind – die diskutieren das

Thema mit dem gleichen Elan wie Sie. Gemeinwesenar-beit müsste man denen noch mal erklären. Aber was siebrauchen, können sie deutlich sagen und wo die Proble-me stecken auch.Sie hoffen,dass ihr eigenes Konzept,dassie im Hause entwickeln,mit so einem Bundesprogrammgestützt wird. Ich warne davor, dass man immer wiederalte Feindbilder pflegt. Man sollte genau hinsehen, wel-che Wohnungsgesellschaft, welcher Ansprechpartnersteht wofür, und wo können wir die Dinge miteinanderverbinden, damit das auch funktioniert.Wir haben viel-leicht das Know-how, wir haben auch das Herz auf demrechten Fleck,aber die haben das Geld,das muss man im-mer wissen.

O> Ich komme aus einem kleinen Gemeinwesenvereinin Berlin-Spandau. Ich habe schon Bauchschmerzen undBedenken mit dem, was Sie hier vortragen, weil Sie of-fensichtlich die Millionen immer im Rücken haben. Wirdagegen haben die zehnprozentigen Kürzungen immerim Rücken, das heißt, wir kriegen immer weniger Perso-nal, können immer weniger ausstatten, obwohl der Be-darf immer größer wird. Dieses Quartiersmanagementhat aus meiner Sicht auch Alibifunktion. Wir haben ge-sellschaftliche Einbrüche,die wirklich nicht mehr zu über-sehen sind, die sich immer weiter zuspitzen, gerade indicht besiedelten Wohngebieten.Und Wohnungsbauge-sellschaften,die vorher wirklich korrupte Mitarbeiter be-schäftigt haben, entwickeln sich jetzt mit dem Quar-tiersmanagement zum Gegenteil – sie organisieren Trö-delmärkte, Hoffeste und weiß ich was alles. Das siehtimmer ganz toll aus, wir pflegen auch eine gute Zusam-menarbeit mit den Wohnungsbaugesellschaften, über-haupt kein Thema, nur das Problem ist – was mache ichdenn eigentlich mit den Ursachen von diesen Missstän-den? Wir haben z.B. überlegt, in einem sozialen Brenn-punkt in einem Neubaugebiet, wo man gar nicht mehrweiß, wie man die Ratten vertreiben, die leer stehendenWohnungen belegen und den Streit zwischen den Mie-tern schlichten kann, ob man da ein Bürgeramt installie-ren kann.Dort könnte man die Meldestelle reinsetzen,diePolizei installieren und sonst was, das kommt alles zu-sammen, und dann ist das auch ein Teil eines Quartiers-managements.Das ist wunderbar.Bloß,wenn ich die Ar-beitslosigkeit in diesem Wohngebiet nicht auch reduzie-re, wenn ich da keine Möglichkeiten sehe, da auch ande-re Leute zu integrieren, dann kann ich noch so vielmanagen, die Grundlagen sind nicht da. Und dann mussich sagen,ich liebe solche Programme,was ist aber,wenndiese Programme weg sind?

Altena: Kein Mensch, ob Gemeinwesenarbeiter oderQuartiersmanager, würde sagen, wir können jetzt dasÜbel an der Wurzel packen. Das Übel ist ja die Arbeitslo-sigkeit, die Verarmung, also wesentlich größere gesell-schaftliche Probleme. Und ob es GWA ist oder Quartiers-management, was zu machen ist, ist zu versuchen, ausden gesellschaftlichen Bedingungen heraus den LeutenÜberlebens- und Beteiligungsstrategien an die Hand zugeben. Die Konjunktur für solche Projekte des Quartiers-managements steigt im Moment noch.

Vorredner: Dann muss ich doch aber ehrlich hinsehen.Es gibt in Berlin-Mitte z.B. einen hervorragenden Com-puter-Schulungskurs für Jugendliche, ganz toll ausge-

stattet.Wir als kleiner Träger haben von den Mitteln nichtviel, wir haben nichts.Wir können eine Zusammenarbeitanbieten, wir können uns vielleicht auch aus dieserZusammenarbeit nähren,aber wirtschaftliche Sicherheithaben wir nicht. Da entsteht schon manchmal ein biss-chen Neid.

Altena: Das ist jetzt die Frage,worüber der Neid entsteht.

O> Im Prinzip wird ja nur umverteilt.Aus Studien gehthervor:der Topf für Soziales ist in den letzten 10 – 20 Jah-ren gleich.Man kürzt entweder bei den Behinderten oderbei den Frauen oder woanders, um woanders wiederdrauf zu laden.Das Quartier ist nun mal in, hat ein Politi-ker entdeckt, macht sich dann einen Namen damit, manwill ja auch Wahlen gewinnen.Das Geld bleibt im Prinziptendenziell gleich, eher sinkt es sogar insgesamt. So sol-len Krisenherde in dieser Gesellschaft befriedet werden,die wirklich revoltierend sind nach außen.

Altena: Dann muss ja die Frage gestellt werden, ob esbessere oder schlechtere Verwendungsmöglichkeitengibt für das knappere Geld, ob Stadtteilmanagement eine bessere Verwendungsmöglichkeit ist.

O> Man sollte zugreifen und das Beste draus machen.

O> Es geht um Stadtteilentwicklung,um Infrastruktur,Ressourcen, Arbeitsbeschaffung, und auch darum, dassdie Bewohner an dieser Entwicklung beteiligt werden,sich identifizieren, und das nicht wie ein Schicksal vonoben aufgepfropft kriegen,sondern dass sie ihre Kompe-tenzen einbringen können.

O> Es ist wirklich lohnend, dass es zu einer möglichstweitgehenden Kooperation kommt, nur, man muss sicheben klar machen, wie schwierig dies ist.

Altena: Das heißt, man muss diese Kooperation auchrealistisch betreiben und nicht illusorisch, sonst wird siescheitern.

O> So zu tun, als würde das in der Praxis so aussehen,was wir alle wollen ist gleich, und dann nehmen wir unsin den Arm – wenn wir die unterschiedlichen Ausgangs-bedingungen nicht mit bedenken, das ist Illusion. Aberwas sich in diesem Prozess tatsächlich verändert mit derTerminologie und der Art und Weise der Geldverteilungund der Träger, das ist die Steuerung – hin zur zentralenSteuerung. Das ist in Berlin zumindest anhand des Be-griffs Quartiersmanagement zu sehen, das ist eben dieSenatsverwaltung, die steuert. Diese Steuerungsmecha-nismen verändern sich offensichtlich, und zwar trotz gleicher Methoden und Ziele.

Altena: Es gibt nicht per se eine Qualität oder eine Quan-tität,die einen Sozialraum beschreiben würde,sondern jenachdem, welche Sichtweise und welche Problemdefi-nition man hat,wird man den Sozialraum immer sehr un-terschiedlich von der Größe her wahrnehmen müssen.Der Sozialraum interessiert uns als solcher in dem Komp-lex GWA und in dem Bereich Stadtteilmanagement vor-dergründig erst mal nicht.Vordergründig interessiert unsder Sozialraum da,wo er als problematisch definiert wird,

9Wer will hier was und warum?

wo die intern und extern wahrgenommenen Unzuläng-lichkeiten, Defizite und Gefahren zu einer nachhaltigenBeeinträchtigung der Wohn- und Lebensqualitäten füh-ren.Einen sozialen Raum,der mit bestimmten Problemenkonfrontiert ist,nennen wir sozialer Brennpunkt,Armen-viertel, Ghetto, Slum. Das ist die klassische Negativbe-zeichnung.Die Förderprogrammatik bedient sich jetzt ei-ner anderen Begrifflichkeit und nennt das Stadtteil mitbesonderem Entwicklungsbedarf,Stadtteil mit besonde-rem Erneuerungsbedarf, Stadtteil mit Entwicklungsprio-rität. Da steckt auch das Angebot an die Kommunen da-hinter,nehmt das Programm,macht was.Die würden dasnicht tun, wenn man ihnen ein Armutsprogramm, einGhetto-Programm oder ein Brennpunktprogramm gibt.In NRW kam es zu Irritationen, als die zuständige Minis-terin in einer Pressekonferenz von »Armutsinseln«,die esjetzt zu bekämpfen gilt, gesprochen hat. Das hat in eini-gen Kommunen zu großem Unmut und Aufstand ge-führt.Ich sage Ihnen noch mal allgemein etwas zu den Hinter-gründen,warum es zu solchen Stadtgebieten gekommenist: Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die Armuts-Reich-tums-Schere.Diese Entwicklung ist überhaupt noch nichtgestoppt.Wir haben eine staatliche kommunale Finanz-krise,staatliche Deregulierungsmechanismen,wir habeneine Spaltung der Städte, es findet eine Entmischungstatt. Das Problem ist, dass wir gleichzeitig eine ausge-sprochene Heterogenisierung der Bevölkerung, unter-schiedlichste Kulturen,unterschiedlichste Bevölkerungs-gruppen haben,die in diesen Quartieren mit kumuliertenProblemen wohnen, und das macht die ganze Sache bri-sant und auch politisch brisant.Die örtlichen Problemlagen sind Ausdruck gesamtgesell-schaftlicher Veränderungen oder eben Ergebnis nationa-ler Politik.Die örtlichen Probleme sind sehr komplex undzur Lösung sind keine sicheren Konzepte vorhanden,weilviele nicht wissen, wie es geht, es aber nicht zugebendürfen, alle aber wissen, wie es nicht geht, und sich alsBedenkenträger bestätigen. Das findet man sehr häufig,wenn man an Stadtteilentwicklungsprozesse herangeht.Weil es vor allem um die Überwindung von Routinen,dasAufgeben von Besitzständen, die Möglichkeit der Profi-lierung und um Karrieren geht, ist es sehr schwierig, an-ders zu arbeiten, anders zu denken und bestimmte Ge-wohnheiten mal zu überprüfen. Außerdem hat man eshäufig mit Menschen zu tun, die andere Überlebensstra-tegien und Kulturtechniken entwickelt haben – andereals die mittelständischen sind da gemeint - die wir teil-weise gar nicht kennen. Deshalb ist es ausgesprochenschwierig,diese Leute in die Lage zu versetzen,die Dingeim Stadtteil selbst in die Hand zu nehmen. Und last butnot least ist es schwer, weil das Ganze Geld und sehr vielMut kostet. Warum wird Stadtteilentwicklung trotzdemgemacht? Weil die Kosten der passiven Sanierung zu großsind.Passive Sanierung heißt:ich mache nichts,was dannpassiert in solchen Stadtteilen, kann sich jeder ausrech-nen. Der Imageverlust durch Negativberichte in denMedien ist kontraproduktiv für den lokalen Struktur-wandel, das merken wir besonders im Ruhrgebiet. DieZukunft der Städte hängt von der Zukunft der Stadtteileab. Der öffentliche Druck zwingt die Verantwortlichenzum Handeln.Welches sind die Voraussetzungen, unter denen Stadt-teilarbeit gelingen kann? Sie sollte auf einer differenzier-

ten Situationsbeschreibung und -analyse basieren. Manmuss sich die Sachen genau angucken vor Ort. Es solltenklare Zielvorstellungen existieren: Was will ich denn ei-gentlich machen? Wo soll das hingehen? Ich finde, dassda gute Leute zum Einsatz kommen sollen. Alle Beteilig-ten sollten bereit sein, voneinander zu lernen, Verwal-tung von GWA und Politik von Bürgern. Eine angepassteOrganisationsform sollte gewählt werden, auch das istganz wichtig. Wenn Sie also Kiezmanagement machen,dass Sie die Organisationen-Träger-Frage, die Organisa-tionen-Struktur so entwickeln, dass es angemessen ist,dass es praktikabel ist und dass es funktional ist; dassman sich wirklich Gedanken macht, wo gehört diesesoder jenes hin, damit das auch ein Erfolg wird.Wenn dasals Gemeinschaftsaufgabe konzipiert ist, heißt das, dassman diese Ressortübergreifung auch tatsächlich prakti-ziert und sich die Beteiligten in der Gemeinschaftsauf-gabe im Alltag dann auch wiederfinden als Gemein-schaftsträger.Die Ressourcen, die örtlichen Potenziale sollten auch ge-nutzt werden, die Fördermittel und die gesamte Organi-sation, auch die vorhandenen Strukturen, die es ja in je-dem Ortsteil gibt, sollten wahrgenommen und ernst ge-nommen werden.Dann ist es ganz wichtig,dass die Maß-nahmen für die BewohnerInnen auch einen konkretenGebrauchswert haben, dass sie merken, hier wird eineWohnung gemacht, hier wird ein Kinderspielplatz ge-macht, hier kriege ich einen Arbeitsplatz, auch wenn esnur für zwei Jahre ist,dass sie merken,das ist was für michund nicht nur für Sozialarbeiter und Stadtteilmanager.Wenn es eine transparente und variable Planung sowieechte Beteiligungsmöglichkeiten gibt,die tatsächlich of-fen sind und nicht mit versteckten,verdeckten Planungenoperieren.Die Planung muss variabel sein, ich kann nichtheute sagen, das und das Projekt mache ich, sondern ichmuss gucken,welches ist der Bedarf,was ist da nötig undjetzt muss ich auch mal freie Mittel haben,um das zu ma-chen, was vorher noch nicht sichtbar war. Echte Beteili-gung heißt: es gibt wirklich ein gemeinsames Aushan-deln von Projekten, die umgesetzt werden sollen. Das istsehr schwierig.Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit ist un-bedingt nötig. Raus aus diesen alten Klischeebildern. Damüssen die Medien genutzt werden, um Impulse zu set-zen für die gesamtstädtische Bevölkerung. Die gesamt-städtische Bevölkerung, die nicht in diesem Stadtteilwohnt, muss sehen, da tut sich was und das ist tatsäch-lich was,wo man nach Jahren vielleicht hoffen kann,dassdieser Stadtteil, diese Straße ihr Stigma verlieren. »TueGutes und rede drüber.« Einmischung und Störung zu-lassen, ist auch sehr wichtig; also eine Störung oder eineEinmischung nicht als ein Problem begreifen,das wir aus-grenzen müssen,sondern eine Störung als integralen Be-standteil von so einem Prozess annehmen. Einmischungund Störung sind immens wichtig.Irritationen sind sozu-sagen der Lernstoff,den wir brauchen.Auch,dass ausrei-chende Mittel flexibel eingesetzt werden können,ist sehrwichtig.

O> Ausreichende Mittel sind gut und schön,aber Mittelkönnen ja auch erschlagen. Manchmal werden dadurchandere, qualitativ bessere Wege unmöglich, weil man jadas Geld hat, ohne das man die Potenziale besser nutzt.Die nutze ich ja nicht,wenn ich mehr Geld habe.Habe icheine Million,brauche ich nicht örtliche Vernetzungen vor-

anzutreiben, da ich ja auf die Firmen oder auf die Unter-stützung der Leute gar nicht angewiesen bin. SolcheMittel können auch kontraproduktiv sein.

Altena: Das ist wahr. Zuviel Geld macht faul, es machtdenkfaul und es wird tatsächlich nicht mehr gerungenum einzelne Sachen.Wichtig ist auch eine effektive Wir-kungskontrolle dessen, was an Geld ausgegeben, was anFachlichkeit eingesetzt wird, wie der Prozess gesteuertwird, wie Beteiligung organisiert wird, wie Vernetzunggestaltet wird. Das gehört für mich genauso zu einer effektiven Wirkungskontrolle wie die Frage, wo das Geldhingegangen ist.Und wenn klar ist,dass die Entwicklungvon solchen Stadtteilen Zeit braucht, ist auch klar, dassRückschläge unvermeidlich sind.Da hat mal einer gesagt,die Stadtteile, über die wir reden, die haben 30-50 Jahregebraucht, um da unten zu sein, wo sie jetzt sind.Und dakann ich nicht erwarten,dass die sich in fünf Jahren wie-der erholt haben.Sondern das braucht auch noch mal ei-ne Generation an Zeit und es wird nicht immer nur allesschön sein, sondern es wird auch immer wieder Rück-schläge geben und die müssen wir dann auch weg-stecken.Wenn es darum geht, selbstkritisch zu sein, wo gibt esdenn bei der GWA mal ein Manko oder mal was Tolles?Was hat GWA erreicht? Viele von Ihnen arbeiten ja mit ge-meinwesen-orientierem Ansatz oder sehr nahe mit denMenschen aus bestimmten Problemstadtteilen oder ausproblematischen Zielgruppen zusammen.

O> Eine Beständigkeit im Angebot, wirklich ein lang-fristiges beständiges Angebot im Wohngebiet,das ist dieStärke unserer Arbeit.

O< Zum Teil wirkt das allerdings auch sehr negativ,weilvieles, was schon sehr lange existiert, auch sehr festge-fahren ist. Es bewegt sich nichts mehr, passt sich nichtmehr Neuem an.Ich habe in den letzten drei bis vier Jah-ren ein bisschen intensiver die GWA-Szene verfolgt, umetwas mitzubekommen von aktiven Projekten undInitiativen.Und GWA war in den letzten Jahren kaum öf-fentlich präsent oder wahrnehmbar. Das habe ich sehrbedauert und ich finde jetzt die Diskussion um Stadtteil-management und Quartiersmanagement von daher sehrbelebend, weil sie auch die Diskussion um Gemeinwe-senarbeit verstärkt,als Impuls neu anregt und wieder aufdie Tagesordnung setzt. Ich selber mache Stadtteilarbeitin Berlin-Kreuzberg. Wir organisieren AnwohnerInnen-und BürgerInnenbeteiligung. Es gibt ja auch zwei Quar-tiersmanagements in Kreuzberg. Für uns ist es nicht im-mer einfach mit diesen Projekten,die natürlich auch sehrviele Schwierigkeiten haben, zum einen, weil sie oft ausvielen verschiedenen Trägern zusammengesetzt sindund weil sie ja auch sehr interdisziplinär arbeiten. Dasempfinde ich aber andererseits als einen großen Vorteildieser Quartiersmanager und als eine große Bereiche-rung. Gleichzeitig sehe ich das aber auch als großeSchwierigkeit an, weil ein Stadtplaner und ein Sozial-pädagoge und jemand aus dem betriebswirtschaftlichenBereich, die benutzen sehr unterschiedliche Sprachenund die haben sehr große Schwierigkeiten sich verständ-lich zu machen oder auf einen gemeinsamen Nenner zukommen. Insgesamt sehe ich das Stadtteilmanagementeigentlich als eine Art Organisationsentwicklung für den

10 Wer will hier was und warum?

Stadtteil und ich schätze das Ganze als extrem schwierigein, einfach aufgrund der vielfältigen Probleme und dervielfältigen Menschen, die zusammenarbeiten. Ich bingespannt, welche Menschen dies letztendlich sein wer-den, die diese Organisationsentwicklung umsetzen, weildie meisten von denen, die dazu fähig sind, in der freienWirtschaft arbeiten.Und die werden da gut bezahlt.

O< Wir haben bei uns in Berlin auch einen Vertreter vonCommunity dabei und die haben einfach das Problem,dass sie gegenüber den von oben nach unten Gebendennicht nur Berührungsängste, sondern auch Absiche-rungsbedenken haben.Sie sagen,so wie die sich das vor-stellen, kann es nicht gehen, vor allem, wenn der Pro-grammzeitraum nur für drei oder vier Jahre angelegt ist.Diese Arbeit braucht nun mal einen langen Atem.Und derwird mehr der alten klassischen GWA zugetraut.

O> Dass GWA wenig interdisziplinär arbeitet, liegt ein-fach an fehlenden Ressourcen.

Altena: Man kann in einer Position immer interdiszi-plinär denken und arbeiten und nicht einfach nur sum-marisch interdisziplinär.Summarisch heißt,da hab ich ei-nen,der macht Wohnungen,der andere macht Arbeit undder dritte ist für die Kultur zuständig und das Ganze nenntsich dann interdisziplinär. So ist interdisziplinär, glaubeich, nicht zu verstehen, sondern interdisziplinär ist in dergesamten Sicht der Dinge zu sehen.Einzelne sollten viel-leicht spezielle Aufgaben haben,aber die Sichtweise unddie Analytik sollten immer ganzheitlich sein.

O> Ich sag das mal aus der Sicht der Praxisvergleiche.Wenn GWA jetzt zuständig ist für Stadtteilentwicklung,ist sie strukturell überfordert. Die GWA-Kolleginnen und-Kollegen arbeiten mit den Bewohnern,sie hören auf de-ren Sprache, das kostet sehr viel Zeit, sehr viel Aufmerk-samkeit, das Vertrauen zu gewinnen, die Sprache verste-hen zu können. Auf der anderen Ebene kooperieren siemit den Fachleuten vor Ort. Und auf dritter Ebene arbei-ten sie zusammen mit den Entscheidern im Arbeitsamt,in Politik, in Administration, in den Verbänden usw. Dagibt es wieder ganz andere Sprachen.Das Übersetzen vondem, was die Suffköppe vorm Kiosk formulieren in dieEbene der Entscheider,das ist eine ganz schwierige Kiste.Und das kostet sehr viel Zeit,sehr viel Kraft und es ist fasteine strukturelle Überforderung.Es kann nur dann gelin-gen, wenn GWA vor Ort als ein Team arbeitet. Da, wo Ge-meinwesenarbeit mit ein oder zwei Leuten besetzt ist,kann es überhaupt nicht gelingen,sich für die soziale,kul-turelle,ökonomische Entwicklung eines Stadtteils einzu-setzen. Und darunter, denke ich, leiden die Kollegen. Eskann nicht nur darum gehen, die Interaktion und dieNachbarschaft zu fördern, sondern wir müssen die öko-nomische Struktur verbessern und die kulturelle usw.Aber wer soll das denn überhaupt schaffen?

Altena: Also Leidensdruck durch die Vielfältigkeit derAnforderungen.

O< Ich habe da eine ganz andere Sichtweise. Ich sehenicht ein, dass ich als GWA alles neu erfinden muss, neuinvestieren muss. Sondern ich sehe meine Aufgabe inRichtung Koordination und Vernetzungsarbeit.Das heißt,

ich stoße ein Projekt an,versuche die Finanzierung zu be-gleiten und dann mache ich was anderes.

O> Das bringt ein neues Problem. Wenn man nichtmehr selber mit den Leuten redet, sondern das, was an-dere wissen verwendet, wen vertritt man dann?

Vorrednerin: Da haben Sie mich falsch verstanden. Ichnehme etwas auf, was im Stadtteil geäußert wird, wasfehlt, was nicht da ist, ich bezeichne mich auch als eineDolmetscherin für die Belange, die die BewohnerInnenäußern. Und dann gehe ich hin, suche mir die Fachleute,suche mir die Professionellen vor Ort,mit einer Stadtteil-konferenz. Das Netzwerk habe ich mir natürlich aufge-baut, das setzte ich mal voraus, und dann fange ich an.Und die entstehenden Prozesse begleite ich dann nurnoch.

O> Genau so muss man arbeiten, dass man sich in völ-lig verschiedenen Feldern bewegt und auf allen Ebenenfit sein muss.Das ist gerade die besondere Kompetenz inder Sozialarbeit,das wirklich machen zu können,auch imGegensatz zu Stadtplanern, die den Einblick auf der un-teren Ebene nicht haben. Und deshalb gehört Stadtteil-management auch in die Hand von Sozialpädagogen,So-zialarbeitern oder Gemeinwesenarbeitern. Ich kann esvon der evangelischen Kirche sagen, da war Gemein-wesenarbeit ganz klein geschrieben bis vor kurzem. DasBild der Sozialarbeit sah so aus:die Sozialarbeiter machenein bisschen Einzelfallarbeit, ein bisschen Gruppenarbeitund sie haben eben nicht den Blick für das Ganze. Da istdann auch klar,dass da andere Berufsfelder reinbrechen.

O> Das Quartiersmanagement, wie ich es teilweisekennen gelernt habe,hat immer die Chance gehabt,dassman neue Möglichkeiten der Mittel-Akquirierung ge-zeigt bekommt,die nicht diesem klassischen Verfahren –ich stelle einen Antrag und kriege eine Summe – ent-sprechen, sondern dass ich selber aktiver, breiter ge-fächert und ein bisschen kreativer mit Finanzen umge-hen kann. Darin könnte eine Chance bestehen auch fürdie GWA,wenn man wirklich näher mit kleinen Betriebenzusammenarbeitet,die in einem bestimmten Sozialraumauch Geld verdienen. Wenn ein Unternehmen sagt, ichverdiene hier ganz gut an euch,da bin ich auch verpflich-tet, was reinzugeben. Solange GWA sich immer nur ab-hängig macht von dem öffentlichen Kuchen, entwickeltsich ja auch keine neue Verantwortlichkeit.

O< Wir wollen versuchen, über Stiftungen Gelder zukriegen.Man kann nicht immer nur zur Stadt gehen,abernatürlich mit Unterstützung der Stadt. Man sollte ge-meinsam gucken,gibt es nicht noch andere Geldgeber alsdie öffentlichen Töpfe?

O> Wenn ich mir andere Geldgeber als den Staat mit insBoot hole, entsteht dadurch ja auch eine neue Qualitätder Arbeit.Dadurch entstehen völlig andere Netze.Selbstder Unternehmer um die Ecke, der Autos verkauft, könn-te ein Kooperationspartner sein, nicht nur auf dem fi-nanziellen Sektor, sondern in der ganzheitlichen Verant-wortung in einem bestimmten Stadtteil.Da habe ich sehrpositive Erfahrungen gemacht, manchmal aus der Notgeboren, aber Not macht erfinderisch. Plötzlich ent-

wickelt man Qualitäten, an die man vorher nicht ge-glaubt hätte.

O> In den Vokabeln Quartiersmanagement, Stadtteil-management steckt zumindest ein Fragezeichen fürmich: wir managen Probleme. Das könnte dazu führen,dass eines der Arbeitsprinzipien,nämlich das von-unten-nach-oben-Prinzip, vernachlässigt wird. Ich halte es fürein strukturelles Problem im Stadtteilmanagementbe-reich,dass eben nicht von oben nach unten Entscheidun-gen getroffen werden sollten.Und wir sehen ja in Berlin,es wird praktisch auf diese Stadt geguckt und da gibt esProblemkieze, da müssten wir was tun, da müssen wirProbleme managen.Was spielt denn Demokratie noch füreine Rolle, wenn alles nur noch unter Managementge-sichtspunkten gesehen wird? Darin sehe ich eine großeGefahr. Die Debatte verengt sich auf Fragen des Pro-blemmanagements. Das Prinzip »von unten nach oben«wird verkehrt in ein »na-wir-regeln-das-schon«. Ich fin-de das sehr fragwürdig.

Altena: Entspricht denn für die Menschen selbst der so-ziale Raum überhaupt noch seiner Lebenswelt? Da habeich meine Zweifel.Früher hat man an einem Ort gearbei-tet und gewohnt, kommuniziert und konsumiert. DieseGeschichten finden im Stadtteil nicht mehr statt,weil z.B.die Tante-Emma-Läden nicht mehr da sind. Und Kom-munikation findet auch nicht mehr statt, weil die Leutesich woanders treffen.

O> Bei den Jugendlichen kann ich aus meiner Erfah-rung sagen: die, die fit sind, sind mobil; die, die nicht fitsind, sind lokal gebunden.

Altena: Ich überspitze meine Frage mal: Tun wir nichtden Menschen oder auch einem bestimmten RaumGewalt an, wenn wir permanent auf unserem Gemein-wesenbezug, der ja etwas Sozialromantisierendes hat,herumreiten?

O> Die Menschen, zu denen wir Kontakt bekommen,mit denen wir kooperieren,mit denen wir was aufbauen,die wollen tatsächlich ihre Wohnung als ihre Wohnungempfinden und dazu auch das entsprechende Umfeld ha-ben.Das ist nicht identisch mit einem Heimatbegriff,son-dern man wird flexibel, wenn man Sicherheit und Ver-trauen in seinen Sozialraum hat. Dann kann ich nämlichauch flexibel reagieren, kann rausgehen, kann mich in-terkulturell betätigen.

Altena: Sie meinen, um überhaupt soziale oder andereNetzwerke zu bilden, bedarf es einer gesunden Heimatmit einer eigenen Souveränität, und die bekomme ich,wenn ich zu Hause vernünftige Bedingungen habe.

O< Das Zuhause, der Kiez, also Orte der Kommunikati-on,Ansprechpartner zu haben,Orte,die man auch mit ei-ner persönlichen Geschichte verbindet, das heißt alsoauch ein funktionierendes System, eine funktionierendeNachbarschaft. Und das Ganze ist natürlich auch alters-gruppenabhängig. Besonders Ältere und Jüngere sindnatürlich eher abhängig von ihrem unmittelbaren Um-feld, weil sie einfach weniger mobil sind, und das trifftauch für Arme zu. Und natürlich die Frage, welche

11Wer hat hier den Hut auf?

Möglichkeiten man hat, Räume mitzugestalten und sievielleicht auch mit eigenen Befindlichkeiten zu verbin-den, scheint mir etwas ganz Zentrales zu sein – alsoStadtraum als Ort zu begreifen, wo ich mich wiederfindeund auch behaupte.

Altena: Stadtteil hat also immer noch eine sehr prägen-de Bedeutung, gerade bei ganz entscheidenden Perso-nengruppen. Wir werden ja nicht für Reichtumsversor-gung bezahlt,sondern wenn es um professionelles Stadt-teilmanagement und GWA geht,dann geht es immer umMenschen, die aufgrund der gesellschaftlichen Verhält-nisse Defizite zu erleiden haben. Und in dem Fall ist der soziale Raum nachdrücklich sehr wichtig für dieLeute.

O> Es ist eine Tatsache,dass z.B.diese Autogesellschaft,in der wir leben, die Leute auch trennt und isoliert. In ei-nem Stadtteil sind praktisch immer nur die Leute auf derStraße zu sehen, die kein Auto fahren, nämlich Alte oderhin und wieder Jugendliche.Die anderen sind tatsächlichaus dem Stadtteil raus, die gehen auch woanders ein-kaufen.Da sind Strukturen,die darf man nicht einfach ig-norieren.

O< Aber wenn ich im Stadtteil gute Lebensbedingun-gen habe, dann gehe ich als Mittelschicht nicht aus demStadtteil heraus, sondern bleibe da. Und deshalb ist esdoch ganz wichtig, gemischte Wohngebiete zu haben,dem Wegzug entgegenzuwirken und diese Sozialstrukturzu schaffen.

Altena: Wenn das nicht passiert, gehen die, die es sichleisten können, raus.

O< Aber nicht nur die Mittelschicht, auch die anderen,die es sich auch vom Kopf her leisten können. Es gibt inunserer Gesellschaft Menschen, die haben Lebensent-

würfe,die können sie nur in bestimmten Stadtteilen ver-wirklichen.Und da stelle ich mir die Frage: Ist es gewollt,dass sie dableiben?

Altena: Solange es Ungleichheit in dieser Gesellschaftgibt, wird es auch ungleich bewertete Räume geben, dawird man nicht drum herum kommen. Wie geht Politikdamit um, das ist die Frage.

O> Die Wohnungswirtschaft spricht jetzt nicht mehrvon Wohnungen, mit denen sie handelt, sondern vonWohnen, z.T. von »Wohnen und Mehr«. Es geht ihnennicht nur darum,Wohnungen zu verkaufen, sondern dasgesamte Wohnumfeld zu verkaufen.Die Wohnungen sindaber nur verkaufbar und teuer,wenn auch das Wohnum-feld stimmt. Das heißt, da, wo knallhart gerechnet wird,kommt also doch das Quartier, das Lebensfeld mit insSpiel.

Altena: Der Sozialraum hat nach wie vor funktionaleund auch wichtige Bedeutung.

O> Das hörte sich eben so an, dass es auch vom Bil-dungsgrad abhängig ist, wie sehr man seinen Kiezbraucht – da stimme ich überhaupt nicht zu.In Kreuzbergleben Professoren und weiß der Geier was,die kriegst duda nie aus Kreuzberg weg oder aus Spandau. Das ist ihrheiliger Kiez, das hat aber nichts mit Bildung zu tun.

Altena: Die Frage ist, ist das die Ausnahme oder dieRegel?

O> Das ist die Ausnahme.Ich denke,es gibt tatsächlichGebiete, wo der Mittelstand sich rauszieht, wo die Struk-tur einfach nicht stimmt, weil sie ihm nichts bietet.

Vorredner: Aber sie finden wieder neue Kieze,wo sie sicheinbürgern möchten.Es gibt psychologische Studien,die

belegen, wie wichtig der Raum für die einzelne Personund die Einzelentwicklung ist. Das ist unumstritten. Dasheißt, ich muss mich irgendwo heimisch fühlen, denBäcker,den Nachbarn kennen,muss öffentliche Breite ha-ben,um mich entwickeln zu können.Ich denke nicht,dassdas in irgendeiner Form von Bildung abhängig ist.

Altena: Bildung bringt Entscheidungsmöglichkeiten mitsich. Auch Geld erhöht die Entscheidungsfreiheit. UndNetzwerke sind das Dritte.Diese drei – wenn die gut aus-gebildet sind – dann hast du jedenfalls immer die Mög-lichkeit zu gehen.Andere haben die Chance nicht.

Vorredner: Wir müssen ja nicht nur von einem Ghettoausgehen, sondern einfach von dem Patchwork Berlin.Das sind doch einzelne Kieze, ob die nun einen sozial ho-hen oder niedrigen Standard haben,sei dahingestellt.Dagibt es eben Bereiche,die sind bürgerlich,und jeder guteBürger bleibt da wohnen, wie in Zehlendorf, da herrschtdoch kaum Fluktuation.

O> Es ist sehr schwierig,den sozialen Raum zu definie-ren, weil er wirklich unterschiedlich wahrgenommenwird.Wer sehr mobil ist,wer das Geld hat,für den ist ganzBerlin der soziale Raum,weil er weiß,er kann überall hin,da gehe ich einkaufen, da gehe ich zur Kultur. Man mussStadt manchmal auch als Ganzes sehen,nicht nur immerden Kiez.Ich glaube,diese Vorstellung vom romantischenStadtteil ist wirklich überholt,den werden wir nicht mehrhinkriegen.

O> Ich gehe davon aus, dass es uns hier um Stadtteilemit Entwicklungs- und Erneuerungsbedarf geht und indiesen Stadtteilen wohnt zum Großteil eine ganz be-stimmte Bevölkerung, die unter Armut leidet und dienicht über Entscheidungsmöglichkeiten verfügt. Das istfür mich der Punkt und da gibt es nichts drüber zu disku-tieren, ob der Sozialraum auch ein Lebensweg ist.

Wer hat hier den Hut auf?Wie viel innere Demokratie brauchen sozial-kulturelle Einrichtungen, wie vielBürgerbeteiligung brauchen die Stadtteile? Formelle und informelle Mitwirkung, Erfahrungen mit Mitbestimmungsgremien,Stadtteilkonferenzen und charismatischen Persönlichkeiten

mit Herbert Scherer, Berlin und Monika Schneider, Köln

Vorstellungsrunde:O> Ich komme aus Hamburg, aus einem Problem-stadtteil im Osten der Stadt. Ich bin als Geschäftsführertätig bei einem Beschäftigungsträger mit ca. 60 Ange-stellten. Das Ganze hat derzeit noch eine Organisations-struktur als e.V.,wir befinden uns aber im Umbruch zu ei-ner gemeinnützigen GmbH. Interessant ist, dass wir dastadtteilorientiert eine vertikale Vernetzung herstellenzwischen unterschiedlichen Professionen,d.h.wir schlie-ßen uns zusammen mit einem Beschäftigungsträger, ei-nem Jugendzentrum und einer Kultureinrichtung imStadtteil. Und formal, nur für den Verein, aus dem ichkomme, ist es so, die täglichen Entscheidungen werdenvon der Geschäftsleitung vorbereitet und durchgezogen.Dann gehen die Informationen an den Vorstand, der be-

fasst sich damit, also bei Satzungsgeschichten, aber imRegelfall nach Vorlage von der Geschäftsleitung.

Herbert Scherer: Der spannende Punkt ist, wenn dieRechtsform geändert wird, hat das ja auch was mit Ent-scheidungsstrukturen zu tun, insbesondere beim Über-gang von einem eingetragenen Verein zu einer GmbH,dagibt es ja massive Veränderungen.

O< Ich komme aus der Kiezoase Schöneberg in Berlin.Das ist eine Einrichtung, die zwei Teile hat, nämlich eineStiftung öffentlichen Rechts und einen Verein. In derStiftung ist ganz oben formal eine Direktorin,die als letz-te entscheidet,praktisch entscheidet aber der Geschäfts-führer zusammen mit der Steuerungsgruppe.Der Teil,der

nur den Verein angeht, wird entschieden einerseits vomGeschäftsführer, der Vorlagen macht, über die der Vor-stand entscheidet.Die tägliche Arbeit wird meistens vonden Mitarbeitern vor Ort entschieden.

Scherer: Ein kleiner Hinweis, natürlich ist die Direktorinbei einer Stiftung nicht das höchste Organ.

Vorrednerin: Nein,das ist das Kuratorium,aber das sindja dann wieder die so großen Entscheidungen, dass dasdann auch oft nicht wirklich eine Rolle spielt, aber ganzoben entscheidet letztendlich ein Kuratorium.

O< Ich komme vom Stadtteil-Kulturzentrum »DieMotte« aus Hamburg, eines der ältesten und größtenStadtteil-Kulturzentren in Hamburg.Wir sind ein gemein-nütziger Verein, haben Mitgliederversammlung undVorstand,da sollen die Entscheidungen getroffen werdenvon hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiternund Mitgliedern. Und es ist so, dass der Tagesbetrieb imGrunde genommen von den Festangestellten geschmis-sen wird. Die Gremien der Selbstverwaltung haben sichgerade im ehrenamtlichen Bereich aufgelöst und nach einer dreijährigen Umstrukturierungsphase müssen wir

12 Wer hat hier den Hut auf?

jetzt Entscheidungen treffen, wie wir uns in Zukunft or-ganisieren wollen.

Scherer: Die Umbrüche sind die Punkte,an denen wir ammeisten Erfahrungen sammeln können: Wir haben dasund das mal gemacht und jetzt hat sich etwas verändertund jetzt wollen wir in die und die Richtung gehen, undwelche Überlegungen stellt man dabei an?

O> Ich komme vom Verein »für gemeinschaftlichesWohnen im Alter«. Wir sind ein bundesweiter Verein.Umbrüche gibt es auch,das hängt damit zusammen,dasswir Vertretungen in vielen Bundesländern haben,die z.T.ehrenamtlich,z.T.hauptamtlich arbeiten.Die bestimmendann vor Ort auch die täglichen Geschicke. Die schluss-endliche Entscheidung über Satzungsänderung oderüber wichtige Sachen hat die Mitgliederversammlung.Esist allerdings so, dass die Vertreter aus den Ländern unddie Hauptamtlichen, die natürlich die ganze Zeit die Ar-

beit machen,dem Vorstand Vorschläge machen,der danndarüber entscheidet.Wenn das aber Sachen sind,die denVerein direkt betreffen, die die Mitglieder fordern, dannmuss das die Mitgliederversammlung entscheiden.

O> Ich komme aus Wien. Die Firma heißt WienerHilfswerk, ist ein Verein, ein sozialer Dienstleistungsbe-trieb.

Scherer: Das klingt verblüffend – die Firma ist ein Verein.Übrigens, in Österreich ist das Wort Bürgergesellschafttotal verpönt, weil es politisch besetzt ist von einer derParteien, der ÖVP, Bürgergesellschaft wird da gar nichtbenutzt.

Vorredner: Es ist ein eingetragener Verein.Wir diskutie-ren die Entscheidungen zwar, aber die meisten werdenvon der Geschäftsführung getroffen, in Theorie undPraxis. Die Entscheidungsfindung läuft in zwei Richtun-gen. Es gibt firmeninterne Diskussionen, wenn es neueAnforderungen gibt,die daraus resultierenden Ergebnis-se und neuen Fragen werden dann dem Vorstand über-mittelt zur Entscheidung. Das ist der Prozess von untennach oben.Und die ganz großen Entscheidungen,wie die

langfristige Ausrichtung im Sozialsystem, im WienerSozialbereich, die werden vom Vorstand getroffen. Unddas wird runtergetragen in alle Abteilungen, bis zu denNachbarschaftszentren, wo es dann umgesetzt wird.

O< Ich bin aus dem Nachbarschaftsheim Mittelhof inBerlin, wir sind ein Verein, ein Trägerverein. AlltäglicheEntscheidungen treffen wir im Team, also im TeamStadtteil- und Kulturarbeit, ich arbeite in der Selbsthilfe-kontaktstelle, das ist einer von mehreren Arbeitsberei-chen.Wir versuchen gerade, Strukturen einzuführen, dieehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anEntscheidungen beteiligen.Das ist das,was ich bei uns alsUmbruch bezeichnen würde. Wir haben jetzt ein Besu-cherinnen- und Besucherplenum eingeführt,um heraus-zufinden, wie mehr Beteiligung möglich ist. Wir sind darelativ am Anfang.Es ist in vielen Punkten trotzdem sinn-voll,auch bei alltäglichen Entscheidungen die Geschäfts-führerin einzubeziehen. Ansonsten werden wichtige

Entscheidungen von der Geschäftsführerin getroffen undsie werden vor allem natürlich nach Rücksprache mitVorstand und Vereinsmitgliedern getroffen.

Scherer: Da ist ein Projekt in Angriff genommen worden,die Nutzer stärker zu beteiligen. Welche Überlegungenstecken dahinter, welche Formen werden real versucht,welche ersten Erfahrungen gibt es? Das Nachbarschafts-heim Mittelhof ist eine der ganz alten Einrichtungen inBerlin, es besteht seit 1947 und ist eine Einrichtung, diedie ganz klassischen, radikalen Mitbestimmungsformender Quäker entwickelt hatte.Die sind irgendwann so aus-gehöhlt und so unpraktisch gewesen, dass die hierarchi-sche Organisationsform darauf gefolgt ist.Die Quäker ha-ben ein Konsensprinzip,d.h.es gibt da grundsätzlich kei-ne Mehrheitsentscheidungen,sondern man diskutiert al-les aus wie bei der Papstwahl. Und wenn man einenBetriebsrat hat und gleichzeitig in den Leitungsgremienalle paritätisch beteiligt sind, funktioniert nichts mehr,kann man nichts mehr entscheiden. Das ist im Mittelhofso gewesen – also Konsensprinzip und Betriebsratgleichzeitig, das funktioniert nicht.

O< Ich komme vom Sozialen Netzwerk in Haldensle-

ben, das ist bei Magdeburg in einer ländlichen Region.Wir versuchen u.a. in zwei Kleinstädten soziale Netzwer-ke aufzubauen, haben verschiedene Projekte, die an sicherst mal relativ autonom funktionieren, z.B. ein sozialesMöbellager und diverse Jugendzentren. Ich selber leiteein alternatives Jugendzentrum. Wir wollen jetzt inHaldensleben ein Bürgerhaus errichten.Die Anträge sindgestellt, im Verein ist intern die Diskussion im Gange,wiedamit umgegangen wird. Die einzelnen Projekte arbei-ten, auch was Entscheidungsstrukturen betrifft, relativautonom.Bei uns im Laden gibt es einen Klubrat,wo auchwir MitarbeiterInnen nur einfaches Stimmrecht haben,esgibt auch keine gewählten Mitglieder. Das ist eine ziem-lich stark basisdemokratische Organisationsweise.Es gibtandere Projekte, die eher autoritär organisiert sind. ImVerein selber entscheidet der Vorstand.Und da sind jetztDiskussionsprozesse im Gange, wenn wir jetzt einStadtteilzentrum errichten, womit wir uns auf Neulandbegeben, wie geht man am besten damit um?

O> Ich bin mit dem Thema eher auf dem Papier be-fasst,weil ich eine Arbeit mache über Anspruchskonfliktein der sozial-kulturellen Arbeit.Dazu habe ich eine ganzeZahl von Interviews gemacht in den Einrichtungen inBerlin, vor allem auf der Leitungsebene, und dann auchim Verband, ich bin also eher ein Zuhörer.

Scherer: Nein, wir können doch Ihre Arbeit nutzen, Siewissen ja viel mehr als wir darüber, wie der Unterschiedzwischen Theorie und Praxis vielleicht aussieht.

O< Ich komme vom Nachbarschaftshaus »Donizetti« inBerlin-Mahlsdorf. Wir sind ein Projekt der MUT-Gesell-schaft für Gesundheit gGmbH, die ein Unternehmen derÄrztekammer Berlin ist.Die ganz übergeordneten Fragenwerden von dort entschieden, von den Gesellschaftern,von der Gesellschafterversammlung,über die Geschäfts-führung der MUT an die einzelnen Projekte weitergege-ben. In der MUT gibt es eine Handlungsbevollmächtigte,die speziell für unser Projekt zuständig ist.GrundsätzlicheEntscheidungen werden dann im Gespräch der Leitungdes Nachbarschaftshauses mit der Handlungsbevoll-mächtigten geklärt.

Scherer: Sitzt die vor Ort oder woanders?

Vorrednerin: Die sitzt in der Geschäftsstelle der MUT,dasist woanders, also Warschauer Straße.

Scherer: Das ist ein Modell,das es an verschiedenen an-deren Stellen auch gibt.Das Nachbarschaftshaus hat sei-ne reale Entscheidungsetage woanders.Wie funktioniertdas in der Praxis, was bedeutet das für Bürgerbeteili-gung? »Donizetti« hat ja damals,weil das so eine Diskre-panz war – man macht ein Nachbarschaftshaus, aber ei-gentlich ist man unselbständige Untereinheit – noch eine Konsequenz gezogen und einen Verein gegründet,so ähnlich wie ihr in der Kiezoase, vielleicht können Siedazu noch kurz was sagen.

Vorrednerin: Der Förderverein Donizetti e.V. Mahlsdorfist gerade dabei, sich mehr Entscheidungsbefugnisse zuerarbeiten, er gewinnt also an Bedeutung.Vorher war ereher ein wenig untergeordnet und diente vor allem da-

13Wer hat hier den Hut auf?

zu, die Arbeit im Haus finanziell zu stützen durch ehren-amtliche Beteiligung einzelner Vereinsmitglieder.Aber erhatte weniger Entscheidungsbefugnisse, was inhaltlicheRahmen oder was die Arbeit selbst anging.

Scherer: Darin ist natürlich auch eine wichtige struktu-relle Frage enthalten. Sie haben gesagt, die Ehrenamtli-chen haben das, was dort geschehen ist, unterstützt;also Ehrenamtliche als Helfer von etwas, was da ist, undnicht umgekehrt. Wir werden sehen, ob das so funktio-niert.

Vorrednerin: Sie haben sich eingebracht auf ihrer Ebene,haben einen Kurs übernommen, eine Werkstatt geleitetoder ähnliches. Das Nachbarschaftshaus selbst hat auchwieder eine Besonderheit,was die Leitung angeht.Es gibtnämlich nicht einen Leiter, sondern die Leitung teilt sichauf. Im Grunde gibt es Projektleiter und zwei dieser Pro-jektleiter haben Leitungsanteile.Es ist natürlich mitunterein bisschen kompliziert,sich abzustimmen und Grenzenzu ziehen. Schwerpunktmäßig leitet die eine Leiterinmehr den administrativen, operativen Teil, die anderemehr den konzeptionellen Bereich.

Scherer: Diese Doppelkonstruktion,die ich auch von an-deren Einrichtungen kenne, ist sehr problematisch. Be-sonders wenn der geschäftliche und der ideelle Bereichnicht in einer Person vereinigt sind, entsteht möglicher-weise die Frage,wo läuft es lang,wer hat den Hut auf,dasGeschäft oder die Idee?

O> Ich bin im Bezirk Berlin-Marzahn in der Jugendför-derung und vernetze da zwei Sozialräume. Für Kernfra-gen ist im Bezirk der Jugendhilfe-Ausschuss, für inhaltli-che Fragen sind wir als Jugendförderung vom Amt koor-dinierend, vorbereitend, fördernd, beratend tätig. In derPraxis sind dann die Einrichtungen der Kommune für ih-re Entscheidungen zuständig. Es gibt ein Gremium, dasdas Amt in bestimmten Detailfragen berät, es gibt Ver-netzungsrunden, wo freie und kommunale Träger zu-sammen gucken, was ist hier nötig, was brauchen wir,was wird hier gemacht, gibt es Probleme?

Scherer: Das sind aber keine Entscheidungsgremien.

Vorredner: Das sind inhaltliche Entscheidungsgremien.Da kann entschieden werden, wir wollen hier zusam-menarbeiten.Natürlich,bestimmte Entscheidungen sindda nicht drin,z.B.Finanzen werden da nicht entschieden,aber inhaltliche Arbeit.Wenn entschieden wird,hier mussfür diese Jugendgruppe etwas passieren, so etwas istmöglich.

O< Ich bin Projektkoordinatorin im Stadtteiltreff Kauls-dorf-Nord in Berlin, das ist ein Projekt von Paula e.V. DieRechtsform ist ja im Namen enthalten. Ich bin eine vondrei Koordinatorinnen, unsere Entscheidungen werdenvor Ort im Team getroffen. Kaulsdorf-Nord gehört zuHellersdorf.Paula e.V.ist ein Westträger,der in den Ostengegangen ist. Unser Team ist absichtlich so besetzt wor-den, dass Mitarbeiter aus der ehemaligen DDR und ausdem Westen zusammenarbeiten. Entscheidungen, dieunsere Arbeit direkt vor Ort betreffen, fallen im Team.Dazu zählen u.a.auch konzeptionelle Veränderungen,die

jetzt anstehen.Wir bereiten eine lokale Partnerschaft vor,werden eventuell auch einen Stadtteilbetrieb gründenund beteiligen uns natürlich an der Diskussion bezüglichder Stadtteilzentren. Unsere Arbeit ist im Moment über-wiegend generationsübergreifend und gemeinwesen-orientiert,wobei wir nicht im Kinder- und Jugendhilfebe-reich arbeiten. Und wir arbeiten mit Freiwilligen, einerhat sich auch zu dieser Fachtagung angemeldet.

Scherer: Die formale Struktur Verein, spielt die eineRolle?

Vorrednerin: Ja, die spielt insofern eine Rolle, dass wirnur ein Projekt von Paula sind.Und Paula gehört zu einemso genannten Projekteverbund. Der Verein spielt nichtnur formal eine Rolle, sondern einmal pro Woche trifftsich der Paula-Geschäftsführerkreis. Es steht den Mitar-beitern offen, daran teilzunehmen.

Scherer: In welchem Verhältnis steht der Geschäfts-führungskreis zur Vereinsstruktur? Der Verein hat jawahrscheinlich, wie jeder bürgerliche Verein, einen Vor-stand, ein Geschäftsführungskreis kommt wahrschein-lich in der Satzung nicht vor.

O> Das ist eine komplexe Struktur. Vielleicht kann ichdas zusammenführen. Ich arbeite beim Technologie-Netzwerk Berlin e.V., das ist ein Verein. Wir arbeiten imBereich Forschung, Bildung und Beratung, Gemeinwe-senarbeit, Gemeinwesenökonomie und im Bereich eu-ropäischer Austausch. Ich bin Koordinator eines europäi-schen Netzwerkes zu den Themen Gemeinwesenökono-mie und Lokalökonomie. Zur Struktur: Das sind drei Ver-eine,die gehören zum Paula-Projekte-Verbund.Paula e.V.ist ein Verein, Technologie-Netzwerk ist ein Verein, derdritte ist Kommunales Forum Wedding e.V.,Wedding istein Stadtteil von Berlin.Es gibt einen Geschäftsführungs-kreis, das ist so eine Art Kollektivrunde, wo sich alleMitarbeiter aus allen Projekten, allen Vereinen, treffenkönnen. Diese Runde trifft sich einmal in der Woche,tatsächlich nehmen gar nicht alle daran teil, sondern estrifft sich ein Kernkreis von Leuten,die schon lange dabeisind. Projekte, die vor Ort arbeiten, wie aus Berlin-Hellersdorf,nehmen unregelmäßig daran teil.Früher gabes noch eine Kiezküche im gleichen Ort, davon hat nie-mand teilgenommen,da gab es kein Interesse.Dieser Ge-schäftsführungskreis trifft im Prinzip die Hauptentschei-dungen. Vereinssatzungen werden in den Vereinen ent-schieden, aber in erster Linie in diesem Geschäftsfüh-rungskreis vorbereitet. Das ist bei uns eine reineFormsache, diese Vorstandstätigkeit, diese Vereinstätig-keit. Die entscheidenden inhaltlichen und praxisrele-vanten Entscheidungen werden in den Teams getrof-fen.

Scherer: Das sind Teams von Leuten, die dort auch be-schäftigt sind.Also ist es in der Realität eher eine genos-senschaftliche Struktur.

O< Arbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte inBottrop.Wir machen Kinder-,Jugend- und Erwachsenen-arbeit im sozialen Brennpunkt,früher in einer klassischenObdachlosensiedlung, heute auf den Stadtteil ausge-dehnt.Der Verein ist entstanden vor 30 Jahren als klassi-

scher Bürgerinitiativ-Verein mit ganz viel Ehrenamt undganz wenig Hauptamt. Das hat sich sehr geändert: rela-tiv gute hauptamtliche Besetzung,sehr wenig Ehrenamt.Die Vereinsstrukturen sind aber noch die von vor 30 Jah-ren, was heißt, es müssen formale Wege eingehaltenwerden, wie eine jährliche Mitgliederversammlung, dieaber so ein bisschen eine Alibi-Veranstaltung gewordenist, letztendlich aber immer noch über Satzungsfragenund Konzeptionsänderungen entscheiden muss,die abernatürlich vorher im Team zusammen mit dem ehrenamt-lichen Vorstand vorbereitet werden.Wir hatten eine Zeitlang eine Entwicklung,dass das hauptamtliche Team im-mer mehr Entscheidungskompetenzen bekommen hat.Wir versuchen jetzt wieder, eine Wendung zu machenund den Vorstand wieder mehr ins Boot zu holen, auchbei inhaltlichen Fragen. Was wir jetzt inhaltlich in derArbeit ganz stark forcieren, ist eine stärkere Mitbestim-mung der Kinder, der Jugendlichen und der Erwachse-nen, weil uns das bei der Professionalisierung irgend-wann abhanden gekommen war. Es gab zwar immernoch Plenen, woran noch drei Aktive teilnahmen. Jetztgucken wir, wie wir die wieder mehr einbeziehen kön-nen.

O< Von der Stadt Kreuztal bei Siegen.Ich arbeite in derAWO-Beratungsstelle in einem Stadtteilbüro. Der Kreis-vorstand trifft die Hauptentscheidungen,aber wir in denInstitutionen fällen die Entscheidungen vor Ort, was denInhalt anbelangt. Das ist natürlich auch abhängig vomGeld und von den Angeboten, die überhaupt möglichsind.Wir entscheiden im Team, das sind die Hauptamt-lichen. Unsere Arbeit ist Gemeinwesenarbeit, also Arbeitmit Erwachsenen, aber auch mit Kindern und Jugend-lichen. Und wir versuchen jetzt, das Ehrenamt mehr ein-zubeziehen.

O> Ich komme vom Nachbarschaftsheim Neukölln inBerlin und habe ein besonderes Problem,weil ich dort einziemlicher Frischling bin und daher vor allem die infor-mellen Strukturen noch nicht durchschaue. Formell lässtsich sagen,das ist ein eingetragener Verein mit Vorstand,mit Mitgliederversammlung, mit Geschäftsführung.Undentsprechend, denke ich, werden auch formal die Ent-scheidungsstrukturen sein.

O> Ich arbeite im Koordinierungszentrum auf lokalerEbene in Berlin-Hellersdorf, im Osten von Berlin.Wir sindein Arbeitsförderprojekt, Träger ist eine GmbH, die dannauch über alles,was mit Finanzen zu tun hat,entscheidet.Gleichzeitig sind wir Dienstleister für den Stadtbezirk, sodass alles, was inhaltlich läuft, auch mit dem Stadtbezirkabgestimmt ist. Was Bürgerbeteiligung betrifft, versu-chen wir das, was an lokalen Agenda-Strukturen undInitiativen vorhanden ist, zu unterstützen, zu vernetzenund in diesem Zusammenhang verschiedene Formen derBeteiligung in verschiedenen Arbeitsgruppen und zu ver-schiedenen Themen auszuprobieren.

Scherer: Bei Entscheidungen entscheidet der Geschäfts-führer oder die Geschäftsführerin der GmbH?

Vorredner: Die Geschäftsleitung entscheidet über alle fi-nanziellen Belange oberhalb einer bestimmten Grenze.Das Inhaltliche passiert in den einzelnen Arbeitsgruppen,

14 Wer hat hier den Hut auf?

im Projekt und mit der Projektleitung, wird aber auchmonatlich der Geschäftsführung vorgestellt.

O< Ich arbeite im Stadtteilausschuss Kreuzberg hier inBerlin. Das ist ein ganz kleiner Verein.Wir arbeiten in ei-nem Team von drei Hauptamtlichen und haben auch nureinen Dreier-Vorstand. Die alltäglichen Entscheidungenim Zusammenhang mit den Projekten treffen wir imTeam oder sogar alleine – je nachdem wie groß oderklein das Projekt ist.Wenn wir z.B. kooperieren mit Bür-gerinitiativen oder anderen Vereinen, dann ist es inAbstimmung mit den anderen, also wirklich projektbe-zogen.Es findet auch einmal im Jahr eine Mitgliederver-sammlung statt, die zumindest über Satzungsänderun-gen entscheidet.Ansonsten versuchen wir,ganz viel,auchwas das Konzept angeht, den Vorstand einzubeziehen.Wenn es Auseinandersetzungen gibt, versuchen wirauch, den Vorstand einzubeziehen, einfach als eine an-dere Perspektive. Und entscheiden tut letzten Endes derVorstand.

O< Ich komme aus dem Rabenhaus in Köpenick,das istam Rande von Berlin. Wir sind ein kleines Nachbar-schaftshaus,die Rechtsform ist ein Verein.Uns gibt es seit1992, wir sind von Anfang an als Sparmodell gefahrenund waren immer auf ehrenamtliche Mitarbeit angewie-sen.Wir haben seit 1992 einen kontinuierlichen Abbau anbezahlten Sozialarbeiterstunden, so dass die ehrenamt-liche Arbeit für uns immer wichtiger wurde, um über-haupt existieren zu können. Und auch die hauptamtli-chen Mitarbeiter arbeiten immer mehr ehrenamtlich,was zu Anfang eine Notwendigkeit war,mit der Zeit aberauch dazu führte,dass etliche Mitarbeiter ihre Arbeit eh-renamtlich weiterführen würden. Das ist eine neueQualität, dass es uns ein Bedürfnis ist, dies auch weiter-zuführen. Die täglichen Entscheidungen, was Projektin-halte,Angebote betrifft,werden im Team von Hauptamt-lichen und Ehrenamtlichen gemeinsam beredet und be-schlossen.Wir haben einen dreiköpfigen ehrenamtlichenVorstand. Finanzielle Fragen, die Buchhaltung oder auchkomplexe Fragen wie die Diskussion zum unlängst ge-schlossenen Vertrag – damit wollen und können sich dieEhrenamtlichen gar nicht beschäftigen,sie stecken da in-haltlich überhaupt nicht drin, das delegieren sie an dieHauptamtlichen und den Vorstand, das wird dann aufdieser Ebene entschieden.

O< Wir sind zwei Ehrenamtliche vom Gemeinwesen-verein Haselhorst in Berlin-Spandau. Wir sind seit 1984dort, haben inzwischen zwei Treffpunkte, einen in derneuen Wasserstadt.Bei uns gibt es zunächst die Satzung,dann die Mitgliederversammlung, dann den Vorstand.Wir machen praktisch die Arbeit von der Geburtsvorbe-reitung bis zu alten Menschen, alles was vor Ort ge-wünscht wird, das versuchen wir aufzugreifen.Wir woh-nen im Stadtteil,wissen was Sache ist,versuchen,uns denGegebenheiten, ich will nicht sagen anzupassen, aberdieser Entwicklung zu folgen – z.B. Quartiersmanage-ment. Und wir entscheiden gemeinsam mit dem Team.Das ist deshalb einfach, weil der Vorstand von Anfang anehrenamtlich mitarbeitet, in allen Gremien vertreten istund auch weiß, was Sache ist. Wenn es Probleme gibt,entscheidet dann der Vorstand, über mangelndesEhrenamt brauchen wir uns nicht zu beklagen,wir haben

ganz viele, wir sind auch Träger einer Schulstation. Undselbstverständlich nehmen wir auch an Stadtteilkonfe-renzen teil, und was Sie gesagt haben von der Jugend-förderung,da werden natürlich auch Entscheidungen ge-troffen, wie sieht es aus im Stadtteil, was gibt es für Pro-bleme, wo können wir einspringen, was können wir leis-ten. Das Problem ist die Finanzierung, aber das gehtwahrscheinlich allen so. Bei uns sind aber nicht haupt-sächlich hauptamtliche Mitarbeiter, sondern hauptsäch-liche ehrenamtliche Mitarbeiter.

O> Ich lege großen Wert darauf, dass ich ehrenamtlichbin, ich bin Vorsitzender des Bürgerhauses in Oslebshau-sen, das ist ein Stadtteil von Bremen. Und bei uns be-stimmen die Bürger.Wir, der Vorstand, sind Vollzugsleutedessen, was die Bürger wollen.

Scherer: Das kann ja jeder sagen, und wie funktioniertdas?

Vorredner: Das funktioniert so, dass wir nur Leute auf-nehmen als Mitglieder, die nachweisen können, dass sieehrenamtlich für das Haus arbeiten und nicht nur denMitgliedsbeitrag bezahlen. Das ist ein Unterschied zu ei-nigen anderen, das haben wir im Laufe der Jahre so ent-schieden, wir bestehen jetzt 23 Jahre.Wir haben zurzeit60 Mitglieder und der Vorstand bestimmt mit dem Ge-schäftsführer zusammen, wo es langgeht. Der Vorstandist Arbeitgeber,und als solcher verstehe ich mich auch alsVorsitzender, der Verantwortung übernimmt.Wir habenim Vorstand eine strikte Aufgabentrennung, wer was zuerledigen hat, das wird vorher ausdiskutiert bzw. be-stimmt.Wir hatten früher auch einen Verband,und wennich die Strukturen hier so höre, dann ist es genau das ge-wesen, was wir aufgelöst haben, nämlich die Endlosdis-kussion mit dem Verband.Da waren acht Häuser drin,wirhaben Geld gespart. Wir sind jetzt schneller und aktivergeworden, seit die Häuser selbständige Vereine sind.

Scherer: Ich denke mal, das ist jetzt sehr gefährlich fürmich als Geschäftsfüher eines Verbandes.

Vorredner: Also diese Strukturen infrage zu stellen, dasdarf ich wohl als Ehrenamtler. Es ist sicherlich so, das sa-ge ich mal ein bisschen ketzerisch, dass sich viele Haupt-amtliche mit sich selbst beschäftigen, also nicht mit dereigentlichen Arbeit, diese Endlossitzungen usw. Ich binein bisschen enttäuscht, weil die meisten von Ihnen ja inVereinen sind,wie negativ häufig über Ehrenamtliche ge-redet wird. Das liegt auch ein bisschen an der mangeln-den Fähigkeit der Hauptamtlichen,die Ehrenamtlichen indie Arbeit einzubeziehen.

O> Ich bin Mitarbeiter der Geschäftsführung der Volks-solidarität Spree-Neiße e.V.Die Volkssolidarität ist nebendem Mitgliederverband auch Träger einer Vielzahl vonverschiedenartigsten Zentren, wie Altenhilfezentrum,Sozialstation, Kinderheim, Einrichtungen der offenenKinder- und Jugendarbeit.Die täglichen Entscheidungentreffen die Teamleiter,die wichtigen Entscheidungen fal-len in der Geschäftsführung und die ganz wichtigen trifftder Vorstand nach Vorarbeit und Zuarbeit durch die Ge-schäftsführung.Daneben gibt es empfehlend die Landes-verbände,den Bundesverband,die,gerade was die Arbeit

als Mitgliederverband angeht, dort ganz stark Einflussnehmen auf die Arbeit.

O> Ich komme vom Sozialpädagogischen Institut, dasist eine Stiftung. Und wir haben den Auftrag, über Pro-jekte was in Gang zu bringen. Wir sollen Jugendliche inKreuzberg, Wilmersdorf, Steglitz, Schöneberg und Zeh-lendorf aufsuchen mit einem mobilen Ansatz, sie bera-ten,Berufsförderung,Benachteiligtenförderung,aus dem100.000-Job-Programm entstanden,sie dem Arbeitsamtzuführen.Alles wird im Team besprochen.

Scherer:Wobei die höchste Instanz im SPI der Vorstands-vorsitzende ist, der auch Geschäftsführer ist. Da ist alsoauch noch eine andere Struktur.

O< Aus Berlin-Kreuzberg, wir sind ein eigenständigerVerein und gehören zum Nachbarschaftsheim Urban-straße. Wir nutzen die Räume im Nachbarschaftsheim.Wie das Nachbarschaftsheim konkret organisiert ist,kannich nicht sagen, außer dass es ein Verein ist. Wenn esProbleme gibt, lösen sie die Mitarbeiter oder die Ge-schäftsführung.Es gibt das Gesamttreffen, Aktiventreffen nennen wir es,das ist offen, da kann jeder dazu kommen, wo die wich-tigeren Entscheidungen gefällt werden. Und wir habenuns intern eine Art Satzung gegeben. Ganz wichtigeSachen wie Teilnahmebedingungen usw.werden auf derMitgliederversammlung besprochen.Ich finde schon,dasist ein spannender Prozess, überhaupt Strukturen zu fin-den, zu gucken, was geht und was geht nicht. Und dasläuft gerade.

O> Ich arbeite in der Zentrale des Kulturamtes inHannover. Von daher sind die Entscheidungsstruktureneinigermaßen klar.Man könnte sagen,dass die Bürger anden Entscheidungen über die Ratsgremien beteiligt sind,aber das ist ein bisschen weit hergeholt. Meine Aufgabeist die Entwicklung und Koordination von Stadtteil-Kul-turangeboten im Osten von Hannover und in der Funk-tion bin ich auch gleichzeitig Entscheider,Vorgesetzter fürdie Mitarbeiter in diesem Bereich.Ich bin aber heute hieraufgrund der Fragestellung, welche Möglichkeiten manentwickeln könnte, um Bürger an den Kulturangebotenim Stadtteil zu beteiligen,und da vor allem im Bereich derkommunalen Angebote.

O< Ich arbeite in dem Projekt ProBE,es geht um Unter-stützung und Weiterentwicklung von bürgerschaftli-chem Engagement in sozial-kulturellen Einrichtungen.Ich habe in dieser Funktion z.Z. mit zehn unterschiedli-chen Einrichtungen zu tun, wo sich das bestätigt, wasauch in dieser Runde sichtbar wird, dass es sehr unter-schiedliche Strukturen gibt, dass sie auch sehr abhängigsind von Formen,von Geschichte, von Ausprägungen derEinrichtungen.Ein Bestandteil meiner Arbeit ist zu erfor-schen, was sind vorhandene Strukturen und wie hängendie zusammen mit informellen Strukturen, was ist eineKultur der Zusammenarbeit, welche Haltungen gibt eszwischen Haupt- und Ehrenamtlichen?

Monika Schneider: Ich bin die ehrenamtliche Vorsitzen-de des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit.Es gibt einetraditionelle Struktur in unserem Verband, dass im Vor-

15Wer hat hier den Hut auf?

stand viele Menschen waren, zumindest über lange Zeit,die aus Mitgliedsorganisationen kommen. Ich bin ir-gendwann meinen Job in einer Mitgliedsorganisationlosgewesen, bin aber immer noch im Vorstand und seit-dem beschäftigt mich zunehmend die Frage, wie macheich das im Alltag. Weil ich finde, es ist eine wesentlichschwierigere Situation, in so einer Verbandsstruktur einelosgelöste ehrenamtliche Tätigkeit zu haben. Meine Ver-bandskollegen, die alle aus Einrichtungen kommen, sindnatürlich auch ehrenamtlich tätig, aber ich habe nochnicht mal eine Einrichtung hinter mir.

Scherer: Ich bin Geschäftsführer im Verband für sozial-kulturelle Arbeit. Der Verein hat 32 Mitglieder, die sindselber Einrichtungen – die Berliner Nachbarschaftshei-me. Und es gibt einen Vorstand, der ist paritätisch zu-sammengesetzt.Wir haben im Vorstand zwei Menschenvon außen und zwei Menschen von Nachbarschaftshei-men, die selber Verantwortung in den Nachbarschafts-heimen haben,also Hauptamtliche sind.Wir haben gera-de eine Satzungsänderung beschlossen,die übrigens vie-le Einrichtungen auch gemacht haben und die sicherrecht problematisch ist. Nämlich: der Geschäftsführernach § soundsoviel BGB ist alleinvertretungsberechtigtfür bestimmte Projekte des Vereins – aus praktischenGründen natürlich, aber gleichzeitig sage ich, dass derVorstand einen Teil von seiner Entscheidungskompetenzdann auch abgibt und in die Rolle eines Aufsichtsrates fürdie Geschäftsführung rutscht.Viele Einrichtungen habendiese Entwicklung mitgemacht oder haben sie vorge-macht und wir haben das jetzt nachvollzogen, also dagibt es Änderungen, darüber müssen wir reden.Wir können uns jetzt inhaltlich mit einzelnen Themenbeschäftigen. Und wir sollten uns entscheiden, an wel-cher Stelle wir einsteigen.Wo ist ein spannender Punkt?Gibt es Vorschläge?

O< Es gibt ja einen Unterschied zwischen bürger-schaftlichem Engagement und direkter Beteiligung imRahmen von Mitbestimmung in den Strukturen. Bei unsist das eine sehr wohl da, das andere aber nicht. MeineBehauptung ist,dass bürgerschaftliches Engagement imStadtteil und die Mitbestimmung innerhalb der Struk-tu-ren eines Vereins oder Trägers oder innerhalb der Einrich-tung nicht dasselbe ist. Man kann in einer Einrichtungsehr wohl bürgerschaftliches Engagement in Bezug aufeinen Stadtteil haben und keine Mitbestimmung inner-halb der Strukturen. Mich persönlich würde das zweiteThema interessieren, wirklich genau zu durchleuchten,wie ist die Mitbestimmung, Mitarbeit und wirklicheMitwirkung innerhalb der Einrichtung? Und wie kannman da Veränderungsprozesse in Gang setzen? Für michist das schon immer das Dilemma, wenn ich als haupt-amtliche Mitarbeiterin sage, ich möchte, dass die Ehren-amtlichen mehr mitarbeiten,dann möchte ich das schonwieder und ich initiiere das schon wieder. Und ich fragemich,ob das auf dem Wege überhaupt geht.Wenn ein eh-renamtlicher Mitarbeiter käme und zu mir sagte, hiermüsste jetzt mal was passieren, das würde mir leichterfallen,weil ich dann denke,da könnte ich anknüpfen undich initiiere es nicht schon wieder als Hauptamtliche.

O> Was heißt mitarbeiten – Kaffee einschenken undso was?

Vorrednerin: Ich meine mitbestimmen der Strukturen,das andere ist nicht mein Thema.

O> Es geht also um Umbrüche, Aufbau neuer Struktu-ren, das hat ja damit zu tun. Ich würde gerne mehr dazuerfahren.So ist es ja oft:es passiert ein Umbruch,der sichüber Jahre ankündigt, und plötzlich haben ganz andereden Hut auf als vorher.Wie ist das eigentlich gekommen,fragt man sich hinterher.

O> Ich setze mich seit längerem in unserem Nachbar-schaftszentrum mit dem Begriff Ehrenamt auseinander,der ja sehr verschieden besetzt ist.Was bedeutet der fürmich? Was bedeutet das Denken oder Definieren im Kopfvon Ehrenamt, macht man da nicht schon Schleusen zufür Leute, die sich engagieren wollen? Wir in Österreichverwenden eben diesen Ehrenamtsbegriff und das hatdann bei Leuten, die nur Kleinigkeiten tun wollen, eineabschreckende Wirkung. Viele Leute sind nicht in Verei-nen organisiert,sind aber freiwillig für das Gemeinwesentätig,auch wenn sie sich nicht in eine Rechtsform oder ineine Vereinsstruktur eingliedern wollen.Die Frage ist,wiekönnte man die mit Know-how oder mit anderen Res-sourcen unterstützen,dass sie das,was sie tun,noch bes-ser machen können, man es ihnen erleichtern könnte.Und was bedeutet das dann für uns, die wir mehr in derVerwaltung sind,diese freie Weise,dass sie nicht Mitglie-der und nicht Mitarbeiter sind, sondern einfach für dasGemeinwesen arbeiten.Was für eine strukturelle Verän-derung bedeutet das für uns?

O< Mich würde auch das Thema Umbrüche, neueStrukturen interessieren.In Hellersdorf finden Umbrüchestatt, im Team wird beispielsweise diskutiert über dasZulassen von Aufgabenübertragung an Leute, die vonaußen kommen, die nicht hauptamtlich zu unseremTeam gehören. Dieses Zulassen und Delegieren-Können,viele die in der Sozialarbeit tätig sind, können das nicht,weil sie immer meinen, dass sie für alles verantwortlichsein müssen. Und vielleicht können wir in dem Zusam-menhang auch diskutieren,welche Formen sich anbietenwürden, z.B. die Erweiterung bisheriger Sozialraumkon-ferenzen,die z.T.von den Ämtern vorgegeben sind,die zutatsächlichen Bürgerforen zu erweitern.

O> Für mich ist die Frage,gibt es Modelle,Erfahrungen,wie man Ehrenamtliche integriert, wie man sie auch fi-nanziell unterstützen kann? Es wird immer gefordert,Ehrenamtliche sollen alle möglichen Aufgaben überneh-men,aber für eine angemessene Bezahlung.Und für michist es wichtig – ich komme aus der Benachteiligtenför-derung – wie man sich in Nachbarschafszentren ein-bringen kann mit seinem Projekt, weil es oft Schwierig-keiten gibt.

O> Ich verbinde mit dem Thema Bürgergesellschaft vorallem den Partizipationsanteil und die Frage, wo ist dieMöglichkeit der Einflussnahme für die Bürger. Und in ei-ner dieser Arbeitsgruppen geht es auch um die Abgren-zung zwischen so genannten frei-gemeinnützigen undobrigkeitsstaatlichen sozial-kulturellen Angeboten. Fürmich ist die Frage, wie weit ergeben sich wirklich Mög-lichkeiten für die Bevölkerung vor Ort, auf diese Einrich-tungen Einfluss zu nehmen.Und dann die Frage,wie vie-

le von den Leuten in den Vereinsstrukturen sind dennwirklich ganz normale Bürger? Oder sind irgendwelchePädagogen in diesem Verein organisiert, die dann dieGeschicke der Bürger genauso fernsteuern, wie so einGroßkonzern, wie Diakonisches Werk oder AWO oderStadtverwaltungen?

O> Zum Thema der Tagung – wie viel Bürgerbeteili-gung braucht der Staat: Einerseits wird der Sozialstaatabgebaut, weil die ökonomische Krise es nicht zulässt,dass alle sozialen Dienste ausfinanziert werden können.Und daraufhin wird auf das ehrenamtliche Engagementder Leute spekuliert.Die Frage ist,wie weit ist Sozialstaatund ehrenamtliches Engagement zu verbinden? Habendie momentanen Tendenzen, dass man sozialstaatlicheAufgabenbewältigung durch ehrenamtliches Engage-ment ersetzt, überhaupt etwas zu tun mit partizipativenElementen?

Scherer: Das eine ist das Thema dieser Tagung und dasandere ist das, was wir hier in diesem Workshop disku-tieren. Und natürlich ist klar, das hängt zusammen. Ichwill das vielleicht an einem Beispiel sagen. Die BerlinerFinanzsenatorin, Annette Fugmann-Heesing, hat einenVortrag über die Notwendigkeit der Bürgerbeteiligunggehalten. Und dann hat sie den sehr verdächtigen Satzgesagt,dass die Bürger dazu aufgefordert werden müss-ten,den Staat bei der Führung seiner Aufgaben zu unter-stützen. Das ist in anderen Worten der Versuch, dasSozialstaatsdenken – es bleibt alles in den Händen desStaates,dort haben die staatlichen Institutionen den Hutauf – mit der Notwendigkeit der Beteiligung der Bürgerauszustaffieren.Das wird ein Modell sein,dem wir Wider-stand entgegensetzen müssen,so etwas wird nicht funk-tionieren.Ohne Beteiligung und ohne Partizipation wirddieser Aufruf verhallen,weil es dann nur darum geht,eh-renamtlich zu helfen bei dem, was sowieso schon da ist.Stichwort Umbruch und die Frage,welche Formen bietensich an und welche Erfahrungen gibt es mit welchenFormen von realer Beteiligung und ist eine formelle Mit-wirkung,z.B.in den formellen Strukturen,unbedingt not-wendig oder auch sinnvoll oder absorbiert sie mögli-cherweise Energien? Oder umgekehrt die These:Ist ohneeine solche Mitwirkung in den Strukturen alles anderenur Kosmetik? Also, Provokation Nr. 1: Über die Bürger-beteiligung in der Einrichtung in Oslebshausen wurdegesagt, bei uns haben wir gerade die Demokratie abge-schafft.Und das sagte ein Vertreter von real existierenderwirklicher Bürgerverantwortung und Bürgerbeteiligungin der Rolle der Verantwortung.Das müsstest du vielleichtden Kollegen hier mal erklären, was du damit gemeinthast.

O> Also,Demokratie abgeschafft,ist provokativ,wir ha-ben sie nicht abgeschafft, nur war sie in der Form nichtmehr durchhaltbar.Wir waren mal angetreten,in Bremenin allen Stadtteilen ein richtig selbstverwaltetes Bürger-haus zu machen,mit einem Dachverband.Und wir habenuns alle schön zurückgelehnt.Auch, weil ich sowohl zumVorstand eines Vereines als auch zum Verbandsvorstandgehörte, haben wir gesagt: lassen wir den Geschäftsfüh-rer machen. Wir haben das nicht mehr durchgehalten,weil wir uns zu viel mit uns selbst beschäftigt haben.Auch haushaltstechnisch wurde dann der Verband so

16 Wer hat hier den Hut auf?

aufgebläht, so dass wir gesagt haben, irgendwo kappenwir das jetzt – opfern wir ein Haus oder schaffen wir denVerband ab? Das ist von Untersuchungen und Gutachtenbegleitet worden. Dann waren wir auf einmal in derSituation, der Bürgerhaus-Verein ist Zuschussnehmer,d.h.der Verein kriegt den Zuschuss,ist Arbeitgeber und al-les.Wir hatten demokratisch 13-18 Leute im Vorstand,dieAlten,die Jungen,die Krummen,die Schwarzen,die Wei-ßen,die Gelben,alles musste irgendwie im Vorstand ver-treten sein. Und dies war für einen ehrenamtlichenVorstand nicht mehr durchhaltbar. Wir haben uns also,von 19 Uhr bis Mitternacht über Taschentücher, die vordem Haus lagen, über Reinigungsaktionen unterhalten,all das,was es immer so gibt.Das hält kein Mensch durch,das nebenbei zu einem ganz normalen Job zu machen.Dann haben wir in einer Nacht- und Nebelaktion mit 95% der Stimmen die Satzung geändert.Wir haben unsvom Anwalt eine anständige Satzung ausarbeiten lassen,haben den Leiter zum Geschäftsführer gemacht.Und derVorstand besteht jetzt aus drei Leuten,wo die Aufgaben-struktur klar ist.Der Rest sind Arbeitsgruppen.Ich will alsBeispiel die Dielendienste nennen.Die Dielendienste ma-chen bei uns die Ehrenamtlichen,weil uns die hauptamt-lichen Stunden zu schade sind. Meistens sind das jungeLeute, die 7,50 DM die Stunde kriegen, die im Haus ar-beiten,Getränke ausgeben,Schlüssel rausgeben für Räu-me,die vermietet werden usw.Das sind die Dielendiensteam runden Tisch, das ist ganz bekannt bei uns. Jeder, derreinkommt, muss an den runden Tisch. Und die habenSprecher.Und was ist Ehrenamt? Ehrenamt sind maximalnoch die schlecht bezahlten Dielendienste.Ein Gruppen-leiter,der neben seiner bezahlten Arbeit noch 20 Mark dieStunde kriegt, ist für mich kein Ehrenamtler mehr. Dafängt das vielleicht an sich zu scheiden. Diese Leute ha-ben ebenfalls einen Vertrag,wo bestimmte Sachen gere-gelt sind.Das betrifft verschiedene Kursangebote,wo dieLeiter einen Vertrag als Selbständige haben.Damit ist dieTrennung da.Und intern ist es so,dass wir viele Dinge ge-meinsam besprechen, wir machen Mitgliederversamm-lungen, je nach Bedarf, was ansteht im Haus, manchmalrappelt es,dann machen wir eben öfter eine,aber formalist eine im Jahr zur Berichterstattung. Wir gehen dannüber den Verein, über die 60 Mitglieder. Bei einer gutenMitgliederversammlung sind 25 oder 30 da.

Einwurf: Und diese Mitglieder sind alles Aktive,die müs-sen also alle aktiv sein, hast du vorhin gesagt.

Weiter: Die müssen, wenn sie aufgenommen werden,nachweisen, dass sie irgendwas im Haus ehrenamtlichmachen. Honorarkräfte, habe ich gerade gesagt, die 20 Mark kriegen, gelten nicht als Ehrenamtliche. Bei unsdürfen Hauptamtliche nicht in den Vorstand, das ist perSatzung festgelegt.

Scherer: Die Frage ist: funktioniert Demokratie wirklichgar nicht? Wenn ihr sagt, ihr habt die Demokratie abge-schafft, heißt es eigentlich nur, ihr habt die Quatschbudeabgeschafft, damit es einen Vorstand gibt, der hand-lungsfähig ist.Das ist natürlich interessant,wenn man ge-rade nach Modellen guckt, wie man die Leute mehr be-teiligen kann. Heißt das vielleicht, das ist eine Lehre?Könnt ihr etwas sagen, wie ihr das macht? Wie hand-lungsfähig ist euer Vorstand und wie demokratisch ist er?

O< Ich weiß nicht,ob das bei uns nicht eine Ausnahmeist, weil wir ja wirklich beide von Anfang an dabei sind.Und wir sind in der Arbeit mit drin,wir machen Gruppen,die ganze Geschäftsführung mache ich,was Buchhaltungund Personalkosten angeht. Es ist doch ein bisschen an-ders also woanders.Wir würden z.B.nicht sagen, du passauf, wenn du hier bei uns drin bist und du machst nichts,dann kannst du nicht kommen. Wir haben ja auchMitglieder, die uns einfach nur ideell unterstützen, diesagen, wir finden gut, was ihr für andere Leute macht.Aber die Leute zu motivieren, teilzuhaben an der Arbeit,die wir da machen, das kann natürlich kein Zwang sein.Es gibt Leute,die machen freiwillig z.B.Eltern-Kind-Grup-pen oder so etwas,weil sie selber auch betroffen sind.Daskann nicht jeder. Es gibt manchmal schon Gruppen, dabrauchst du eine Anleitung, da nimmst du jemandenrein, weil es doch Probleme gibt. Ich meine, warum tref-fen sich Eltern, unterhalten sich über Erziehungsprob-leme? Da kannst du nicht sagen,nun tagt mal schön,undirgendwann ist alles bestens. Da musst du schon reinge-hen und gucken,was da Sache ist.Aber was ganz norma-le einfache Arbeiten sind, ob ich jetzt beim StadtteilfestHilfe brauche, ob ich Einkaufsdienste habe, ob ich sage,holt die doch mal ab, oder Ausflüge, die du machst, dasfunktioniert alles, ohne dass man sagen muss, ihr müsstdas,ihr müsst das.Und die Struktur im Verein ist durch dieMitgliederversammlung,durch unsere Satzung,durch dieFinanzierung vorgegeben.

Scherer: Heißt jetzt Mitglied zu sein, wirklich an derMacht teilzuhaben?

Vorrednerin: An der Macht teilzuhaben, ist ein schwie-riges Wort, an dem ich mich ein bisschen stoße. Die»Macht« der Mitglieder besteht darin, aktiv mitzuarbei-ten und etwas zu verändern, ansonsten eigentlich nur inder Wahl,wenn ich das ganz hart sehe.Die Mitglieder sindfür mich persönlich eigentlich das höchste Gremium,da-nach kommt erst der Vorstand,denn der Vorstand kann jaohne die Mitglieder nicht agieren.Und in den Mitglieder-versammlungen bestimmen ja auch die Mitglieder dieRichtung. Solange sie nicht sagen, guck mal Vorstand, sogeht das nicht, sind sie auch weitestgehend zufriedenund auch interessiert.

O< Ich denke auch:wer traut sich denn schon mitzure-den und wer traut sich,Verantwortung zu übernehmen.Freiwilliger Vorstand heißt ja nicht automatisch, dass erhandlungsfähig ist. Für viele aus dem ehrenamtlichenBereich ist es wahnsinnig viel Verantwortung, die sie daübernehmen,und es ist unklar,was da alles reinfällt.Es istschwer,einen Einblick zu bekommen in Geschäftsabläufe,dass sie auch Anweisungen an die Geschäftsführung ge-ben oder Forderungen stellen können.

O> Ein eingetragener Verein,der öffentliche Gelder er-hält, ist doch in der Art verantwortlich, ich bin doch per-sönlich haftend.Ich habe mal mit meinem Haus gehaftetfür eine Million Zuschüsse. Da muss ich doch mitredenkönnen!

Vorrednerin: Das ist genau das Problem.Also wir sind imMoment auf der Suche nach einem Vorstand. Finden wirden überhaupt noch bei unseren ehrenamtlichen Mitar-

beitern oder müssen wir ihn uns von außen holen? Wirhaben Kinder- und Jugendarbeit,wir haben einen Werk-stattbereich,wir machen Kulturprogramme,das funktio-niert.Aber wer übernimmt das für das Gesamthaus, eineAusrichtung und auch eine Politik des Hauses nach außenund nach innen zu machen, das ist total schwierig.

O> Aber das sind doch eingetragene Vereine.Und da istdas doch klar. Wenn der Verein Geld bekommt, dann istder doch verantwortlich,nicht der Leiter,nicht der Haupt-amtliche, sondern der Verein.

Vorrednerin: Die Struktur ist klar.Es geht darum,wie fin-de ich unter den Mitgliedern Menschen,die diese Verant-wortung übernehmen, mitreden wollen und sich soschlau machen, dass sie das auch können.

O< Was mich noch interessiert: woran kann ich fest-machen, dass Vereinsmitglieder wirklich so richtig mit-entscheiden? Gibt es z.B. einen Mitarbeiter, der sagt, wirmachen jetzt ein neues Projekt auf,mit Finanzierung undso.Wer entscheidet das? Bei grundlegenden Entwicklun-gen des Hauses entscheiden die Vereinsmitglieder so et-was mit bzw.der Vorstand.

O< Kein Mitarbeiter kann bei uns sagen, ich machejetzt ein neues Projekt.Letztlich entscheidet das der Vor-stand, der Vorstand besteht aber nicht aus einer Person,sondern aus der Gruppe, aber kein anderer entscheidet.Erst wenn der Vorstand entschieden hat,kann ein Projektanfangen.

O> Ich denke, es ist sehr hilfreich, die Entscheidungs-strukturen ganz klar zu kennen, sich nicht hinter demBegriff Team zu verstecken. Es muss klar sein, wo dieEntscheidungen gefällt werden. Wir haben genau dieProbleme, die hier genannt wurden, auch festgestellt,nämlich welcher Ehrenamtler erklärt sich überhauptnoch bereit, bei Aufgabenfeldern, die er selber kaumüberblicken kann,Verantwortung zu übernehmen. Klas-sisches Beispiel: Bei der Kulturinitiative soll ein neuesHaus gebaut werden,es geht um 300.000-400.000 Mark.Vorstand sagt, ältere Dame, sehr lieb, hat zehn Jahre imVerein mitgearbeitet: ich kann nachts nicht mehr schla-fen, ich weiß nicht, was da läuft, ist nicht mehr mein Ein-fluss, ich trete als Vorstand zurück. Auf solche Sachenmuss man eingehen.Wir wollen das dadurch hinkriegen,dass wir als oberstes Ziel die Ehrenamtler behalten undstützen.Wir müssen sie dann aber von dem Teil des Ge-schäftes entlasten,der für sie nicht mehr zu vertreten ist.Also wir wollen sie vom Tagesgeschäft entlasten,das mitAbwicklung und Abrechnung und solchen Geschichten zutun hat. Da lauern Gefahren, die kann ein Ehrenamtlerkaum überblicken.Es gibt in einer GmbH Gesellschafter,die sind Eigentümerund das sollen in diesem Falle die Mitgliedsvereine wer-den.Also die Vereine kaufen Anteile an dieser GmbH undsind Eigentümer und haben damit die Möglichkeit, dieZiele und Bewegung dieser Gesellschaft, die politischeSteuerung mit zu übernehmen.Und gleichzeitig bleibendie einzelnen Bereiche, Kulturinitiative, Jugendzentrumselbstständig.Diese Vereine werden ihr Budget weiterhinselbst verwalten. Die Beteiligung bleibt zum einen vorOrt, bei den Angeboten, die sie gemacht haben und ma-

17Wer hat hier den Hut auf?

chen, zum anderen können sie auch noch auf den Ge-samtbetrieb, der mit für den ganzen Stadtteil zuständigist, Einfluss nehmen.

Scherer: Entscheidend ist – vertreten wird die GmbHdurch den Geschäftsführer.

Vorredner: Das macht die Geschäftsleitung – ob eineroder zwei. Das ist rechtlich ganz klar geregelt. Den Vor-stand gibt es nicht mehr.Es gibt nur noch die Vereine,dieVereine sind Gesellschafter und die Gesellschafterver-sammlung benennt den Geschäftsführer und der hat dieHaftung.Die Entscheidungen werden dort gefällt, wo sieauch zu vertreten sind. Das ist der entscheidende Unter-schied. Die Rechtsprechung ist allerdings in letzter Zeitzunehmend so, dass die Durchgriffshaftung auch aufVorstände ausgedehnt wird, die werden zunehmend sobehandelt wie Geschäftsführer in GmbHs. Gerade beiLohngeschichten haftet auch der Vorstand eines Vereins.

O< Aber nur, wenn sie sich wirklich schuldhaft verhal-ten haben.

O> Ich finde, diese Diskussion führt jetzt in eine völligfalsche Richtung. Wir sollten doch wirklich ein bisschenüber Partizipation diskutieren. Man kann einen Verein,der Ehrenamtlichkeit organisiert, natürlich autoritärführen,man kann ihn aber auch demokratisch führen.Istnur die Frage, was kommt dabei raus, was für eineQualität haben die Leistungen und wie sieht die Identi-fikation der Beteiligten in den Vereinen aus? Darüberkann man reden – das hat aber erst mal mit Partizipationnichts zu tun.Insofern sollten wir uns entscheiden,worü-ber reden wir hier eigentlich? Ich finde diese Frage derPartizipation, wie sie vorhin von dem Kollegen ausHannover angesprochen wurde, ganz interessant. Ichwürde gern in der Richtung diskutieren.

O> Es kann durchaus sein,dass man u.U.keinen findet,der bereit ist zu sagen, ich mache hier den Vorstand.Manmuss dann schon nach Entlastungsmöglichkeiten su-chen. Und ich glaube, das hat auch noch eine andereKomponente, wenn das, wie bei uns, als bundesweiterVerein geführt wird, wo man Mitglieder in allen Bundes-ländern hat, die unterschiedliche Bedingungen vor Orthaben, da ist es schon schwierig, Leute zu finden. Undman muss es dann letztendlich auch pragmatisch aus-richten,das ist auch ein Unterschied zu den bisher vorge-stellten Modellen, man muss pragmatisch danach ent-scheiden, wer bereit ist, diese Arbeit zu tun.

O> Ich verstehe das irgendwie nicht.Ein eingetragenerVerein ist ein eingetragener Verein, da gibt es Gesetzeund da gibt es einen Vorstand.Und der hat dann im Sinnedes Gesetzes zu handeln.Wenn der Verein Zuschüsse be-kommt, hat er im Sinne der Verwendung von Mittelnnach der Landeshaushaltsordnung zu agieren. Das kön-nen sie mit den Hauptamtlichen gemeinsam machen.Ichhabe einen Geschäftsführer,der hat einen Vertrag,wo dasdrin steht.Und wenn er Mist macht,kriegt er ein Diszipli-narverfahren an den Hals. Und er wiederum ist Dienst-und Fachaufsicht für die Mitarbeiter des Hauses und hatdem Vorstand Rechenschaft abzulegen. Und wenn es daeinen Streitfall gibt, ist es der Vorstand,der diesen Streit-

fall beendet. So einfach sind die Linien. Jetzt komme ichzur Mitbestimmung. Die Mitgliederversammlung be-stimmt, was wir machen wollen. Und das ist der Unter-schied zu dem, was bei euch ist. Ad hoc gibt es nicht. Esgibt bei uns z.B.den Grundsatz,dass in den nächsten zweibis drei Jahren Jugendarbeit Vorrang hat. Das ist derAuftrag, den die Hauptamtlichen über den Vorstand be-kommen,dann haben sie ein Konzept zu entwickeln,wiesie sich diese Jugendarbeit vorstellen.Und das tragen wirdann gemeinsam.Ich weiß,dass die Hauptamtlichen einProblem damit haben, das ist seit 20 Jahren so. Das hatmit Kommune nichts zu tun, sondern die Leute, die ausdem Stadtteil kommen, wissen doch am besten, was imStadtteil ist, die Hauptamtlichen wohnen nicht alle imStadtteil. Und wir sind doch als Bürgerhaus dazu da, dieBedürfnisse des Stadtteils abzudecken.Dafür sind wir an-getreten,und das ist die Idee,die mich vor über 25 Jahrenzu dieser Ehrenamtlichkeit gebracht hat, diese faszinie-rende Idee, so etwas im Stadtteil zu machen und dieBürger einzubinden. Ich tue das, auch wenn es schwieri-ger geworden ist – und das sagen alle Vereine – jeman-den für zwei Jahre zu wählen,mit allen Risiken,die dabeisind. Auch das haben wir gehabt. Da sind wir hingegan-gen und haben gesagt, wir wollen öffentlich erklären,wir – die ehrenamtlichen Vorstände – können nicht un-ser kleines Häuschen da hineinziehen.Da hat die zustän-dige Senatorin gesagt, das ändere ich. Ich befreie euchvon der Haftbarkeit.Damit ist auch das erledigt.

O> Was passiert, wenn da wirklich Leute kommen undwas tun wollen in dem Bürgerhaus oder dem Zentrum,das mit dem Vorstand nicht übereinstimmt? Das sinddoch Bürger von dort und die wollen partizipieren.

O> Wir haben bis jetzt noch die Möglichkeit,jedem,derwas machen will, die Möglichkeit zu geben, das zu tun.Denn Schlange zu stehen, um was zu tun, das wäre mirneu, dass das der Fall ist.

O> Ich bringe ein Beispiel. Zu mir kommen Ehrenamt-liche,sagen,sie wollen am Wochenende einen Caféhaus-Betrieb einrichten bei mir im Zentrum.Das kann ich nichtgenehmigen, wenn ich es verantworten muss und nichtda bin am Wochenende. Ich muss einen Schlüssel herge-ben, ich muss die ganze Haftung übernehmen, aber ichkann und will es nicht verantworten.

O> Das ist bei uns gang und gäbe. Ich habe es vorhingesagt mit den Dielendiensten.

O> Ja, bei euch ist es gang und gäbe, aber vielleicht istes in anderen Punkten ein Problem.

O> Bei der Partizipation stellte sich oft die Frage, wiekann man Leute reinholen, beteiligen. Die Frage auf deranderen Seite ist, wie sehen denn die Beteiligungswün-sche aus? Und sind das nicht eigentlich welche, die sicheher konkret auf Projekte beziehen? Das war aus denInterviews, die ich geführt habe, oft das Fazit, dass Leutesagen,die Bürger oder Nutzer,wie sie bezeichnet werden,wollen gar nicht unbedingt strukturell eingebunden wer-den, dazu haben sie gar keine Lust, wollen nicht in denGremien sitzen, wollen nicht dauerhaft verantwortlichgemacht werden, sondern die wollen sehr konkret, auf

bestimmte Projekte bezogen, Ansprüche befriedigt se-hen. Da die Schnittstelle hinzukriegen, ist das nicht eherdie Frage?

Scherer: Es gibt aber dieses Beispiel aus Wien, wo dieBürger etwas ganz bestimmtes wollen, aber wegen derStrukturen können sie es nicht machen.

O> Unter Partizipation verstehen wir doch wohl, dassdie Leute, die von der Arbeit konkret betroffen sind, Mit-sprache- und Mitentscheidungsrechte kriegen. Ich habedie Erfahrung gemacht,dass Pädagogen besonders starkden Drang entwickeln,autonom zu arbeiten und sich we-der von Vorgesetzten noch von Nutzern gerne sagen las-sen,was sie zu tun und zu lassen haben.Wie sieht es aus,wenn sich jetzt die Bürger gegen ein fachliches Interesseder pädagogisch Tätigen äußern? Das klassische Beispiel:Da ist eine Initiative gegen die 30% Ausländer im Stadt-teil,die fordert eine Veranstaltung zu diesem Thema,da-mit die abhauen.Also die Frage,wo ist diese Schnittstelle,bis wohin geht Bürgerbeteiligung und wo fängt Fachlich-keit an?

O< Wir haben eine Menge geschaffen, das auch aufInteresse stößt, das hat mich bei Ihnen vorhin sehr faszi-niert,als Sie gesagt haben,»das war damals meine Moti-vation, was zu machen, für mich und für den Stadtteil«.Wie kann man ein solches Milieu schaffen, fördern underhalten? Bei uns sind da totale Rückzugsprozesse, dieLeute haben keinen Bock mehr,höchstens noch,wenn siedirekt einen Nutzen davon haben, ganz simpel z.B. imJugendzentrum eine Party zu organisieren oder so. Waskann man für ein Milieu schaffen, wo direkt sichtbar ist,da geht es nicht nur um Diskussion,denn da schalten diesofort ab, sondern wo sie direkt was draus ziehen. Wiekann ich das nach außen vermitteln,ohne dass es wiedergleich heißt, dass ich alle abschrecke?

O> Man muss differenzieren,was für Beteiligungswün-sche es gibt. Auf der einen Seite machen wir positiveErfahrungen mit Projekten draußen im Stadtteil.Und beiuns im Haus haben wir eben das Problem, dass dieseAktivierungsprozesse immer von uns ausgehen, von denHauptamtlichen. Wie geht man mit so einer Situationum, wenn ein hoher Anspruch an Selbstverwaltung sozurückgefahren wird, sich aus dem Bereich niemandmehr zu Wort meldet, wenn es um inhaltliche Dingegeht? Bei der Jugendarbeit wird z.B.gesagt,dafür habenwir doch Leute angestellt,das sollen die mal machen.Dasmeinte ich vorhin mit Verantwortung übernehmen – sichnicht nur in fertige Strukturen reinzusetzen, sondernauch Inhalte mitdiskutieren zu wollen und zu sagen, jadas brauchen wir, die Richtung soll es sein, und damitdann auch den Vorstand zu beauftragen.Aber diese Ideenmüssen ja erst mal da sein und dann diskutiert werdenund dafür muss es eine Basis im Haus geben. Und wennman drinsteckt in dem Dilemma, weiß man oft nichtmehr, wie man sich gegenseitig aktivieren kann. Das istdie Fragestellung, mit der wir uns in den letzten Jahrenbeschäftigt haben.

O> Die Partizipation lebt davon, dass die Leute ernst genommen werden.Das ist eine ganz wichtige Sache unddass sie mit den Arbeiten, die sie übernehmen wollen,

18 Wer hat hier den Hut auf?

auch eine Verantwortung übernehmen.Es ist äußerst be-dauerlich, dass beispielsweise die Leute in Wien denSchlüssel nicht gekriegt haben, um ihren Cafébetriebdurchzuführen.

O> Haben sie dann doch, aber ich habe gezittert.

Vorredner: Wir diskutieren die ganze Zeit von der Seitedes Haftungsanspruchs her.Wir reden zu wenig von derwirklichen Beteiligung der Leute, die Haftung ist dochnur die andere Seite der Medaille.Die sollte eigentlich inden Hintergrund treten, das kann nicht der Ausgangs-punkt unseres Denkens sein. Wenn jemand kommt, derfragt doch nicht als erstes, wie sind die rechtlichen Be-dingungen, sondern er fragt, was kann ich machen? Ichfrage nach der Partizipation, die ich haben möchte, wenich einbeziehen will und vor allen Dingen, was die Leuteselber machen können oder sollen. Die Einrichtung, derVerein, der Träger kann nicht bestimmen, was die Leutemachen sollen.Wenn ich Stadtteilarbeit mache, dann istes das Anliegen der Leute, selber zu bestimmen, was siemachen wollen. Und dann bin ich nur Teil einer Einrich-tung, die etwas zur Verfügung stellt, so ähnlich wie dieNachbarschaftshäuser das mal gemacht haben. Und dakönnen sich die Leute dann beteiligen, da können sieauch Verantwortung übernehmen. Die rechtliche Ebenesollte die Hülle sein, das notwendige Fundament, damitdie Leute überhaupt handlungsfähig werden.

O> Ich bin in Marzahn in der Jugendförderung fürJugendklubs zuständig,und für mich geht es auch darum:Wozu beteiligen? Für mich ist der wichtigste Grund fürdie Beteiligung von Jugendlichen, dass sie sich ent-wickeln können, damit sie Demokratie lernen.Wozu sollBeteiligung führen? Im Stadtteil, in der Jugendeinrich-tung oder wo sonst, was sollen die Leute denn machen,wo sollen die sich hin entwickeln,das ist meine Frage alsStadtteilbetrachter.

O> Ich finde das eigentlich erschreckend.Es kann dochwohl nicht sein, dass ein hauptamtlicher pädagogischerMitarbeiter sein gutes Geld kriegt für inhaltliche Arbeitund dann aufpasst auf eine Kinderdisco, die da stattfin-det. Da gibt es doch genug Leute, die das ehrenamtlichmachen. Und mit einem ganz einfachen Vertrag macheich das, damit bekommst du Hausrecht, die Verantwor-tung geht an dich,hier hast du den Schlüssel.Wir erwirt-schaften ein Drittel der Gesamteinnahmen über Vermie-tung.

O> Das muss der Vorstand beschließen.

Vorredner: Aber der Vorstand ist doch dafür da,Dinge zumachen oder eben Gelder zur Verfügung zu haben, dienicht staatlicherseits kommen,das machen wir über Ein-nahmen, über Eigenveranstaltungen, Kinderdiscos undähnliche Dinge.Ich wäre doch bescheuert,wenn ich dafürauch nur eine hauptamtliche pädagogische Stunde ein-setzen würde. Die sollen gefälligst ihren Job als Pädago-gen machen und nicht als Cola-Verkäufer. Das kann ichdoch vertraglich ohne weiteres ändern.Und wenn ich anFamilienfeiern vermiete, dann setze ich auch einenDielendienst ein, der muss bezahlt werden, der kriegt ei-nen Vertrag, was er zu tun oder zu lassen hat.

Scherer: Es geht darum, dass du den Hut aufhast, des-wegen kannst du das so sagen, und er hat den Hut näm-lich nicht auf und muss mit denjenigen darüber reden,dieden Hut aufhaben.Wobei seine Leute,die den Hut aufha-ben, mit den Menschen, die etwas wollen, nicht unmit-telbar in die Konfrontation gehen, sondern er steht da-zwischen.Das ist eine andere Situation.

Vorredner: Wir müssen gemeinsam mit den Hauptamt-lichen die Ehrenamtlichen stärken.

O< Was ist denn Partizipation, Mitbestimmung, Mit-wirkung? Ich denke Mitwirkung ist manchmal sogar nochmehr als mitzubestimmen. Die Beispiele von Konfliktenführen mich noch einmal auf den Begriff »Interessen«.Konflikte entstehen da, wo Interessen gegeneinanderstehen oder wo sie unklar sind.Und ich denke,dass Struk-turen für Partizipation bedeuten müssten,dass es so waswie eine Dialogform oder Kommunikation gibt,wo Inter-essen ausgehandelt werden können. Das kann ein Vor-stand sein, das können Besprechungsformen sein. Ichglaube, dass es wirklich um das Aushandeln von Inter-essengegensätzen und Konflikten geht, dafür müsstenStrukturen geschaffen werden.

Scherer: Die Frage, die in dem anderen Workshop ge-stellt ist, was wollen die Leute eigentlich, ist ja hier auchgestellt worden. Wollen sie denn wirklich partizipierenoder ist das unser Wunsch, dass sie doch bitte partizipie-ren wollen sollen?

O< Um mit einer Zusatzfrage anzuschließen,wo es umdie Möglichkeiten und Formen geht: Partizipation stehtund fällt vielleicht mit den Führungspersönlichkeiten,dieim jeweiligen Kontext vor Ort zugange sind. Das hat wasmit Macht zu tun, hat was mit Männern und Frauen zutun, mit denen, die zuerst da waren, mit denen, die nochdazu kommen und die Geschichte von fünfzehn Jahrennicht kennen und trotzdem dabei sein möchten. Anderefühlen sich dann angepinkelt und sagen, nein, du nicht.

O< Nutzer und Nutzerinnen,Ehrenamt,das scheint miralles ein bisschen verwischt zu sein. Bürgerbeteiligungund Partizipation muss man jetzt in jeden Antrag rein-schreiben, sonst kriegt man kein Geld mehr. Wenn mandas aber dann auch tatsächlich macht,dann spielen wie-der andere Mechanismen nicht mit. In Nordrhein-West-falen gibt es das Programm »Stadtteile mit besonderemErneuerungsbedarf«. Organisationen müssen da heran-geholt werden aus dem Stadtteil,die Bürger sollen parti-zipieren,sollen mitentscheiden,wie ihr Wohnumfeld ge-staltet wird. Das läuft ganz toll bei den Bürgern, bei denOrganisationen, die daran beteiligt sind.Und es läuft ge-nau bis zu dem Punkt,an dem Politik und Verwaltung insSpiel kommen,da bricht sich das Ganze.Weil die nämlichlängst nicht so fortschrittlich sind,wie z.B.das Land NRW.Dann sitzt da auf einmal die Kommune,da sitzen die Ver-waltungsleute, die eine Historie haben in ihrer eigenenBerufsbiografie, die sich auf einmal miteinander vernet-zen und Informationen austauschen sollen.Da gibt es soviele Widerstände. Und jetzt soll ich als Sozialarbeiterindie Leute bei der Stange halten,teilweise über Jahre hin-weg und bei Entscheidungsprozessen, die sie überhauptnicht mehr nachvollziehen können.Da kann ich die Leute

gut verstehen, die dann der Reihe nach sagen – undtschüß! Meine Frage ist,nimmt man die Bürger auf dieseWeise wirklich ernst?

O> Die Behörden zu einer Zusammenarbeit unterein-ander zu bewegen,ist das Schwierigste bei der Quartiers-entwicklung.Das ist so gut wie unmöglich, das ist jeden-falls unsere Erfahrung. Aber eine andere Sache ist Parti-zipation und die Fragestellung, was wollen die Leute. Ichkann nur sagen, in der Aufbauphase haben wir die Leutemotiviert zu eigenen Aktivitäten, bis etwas stand. Unddann wollten alle plötzlich nur noch die Beine hochlegenund bedient werden. Plötzlich hatten wir nur noch User,unsere Angebote, d.h. die Aktivitäten brachen zusam-men. Und ich finde es dann durchaus legitim, dass ichmich frage,was will ich in meiner Arbeit.Und ich kann sa-gen,es ist mir dann vielleicht auch ein Stück weit egal,obdie Leute eine Partizipation wollen, ich will, dass sie sichbeteiligen, dass sie Apathie und Ohnmacht überwinden,dass sie dieser Atomisierung der Gesellschaft entgegen-wirken,dass sich nicht jeder in sein kleines Häuschen zu-rückzieht und abends sein Video anguckt. Sie sollen,wenn schon, dann wenigstens zusammen dasitzen undüber den neuen Video-Beamer sich gemeinsam einenFilm angucken und vielleicht hinterher darüber reden.Ich muss auch für mich, wenn ich professionell rangehe,definieren und dazu stehen, dass ich etwas von denLeuten will. Auf der anderen Seite finde ich es auch ak-zeptabel, wenn zu mir einer sagt, sag mal, du redest im-mer von Stadtteilkonferenz, ich wohne hier, du kannstgerne was machen, aber ich möchte abends zu Hausebleiben,ich arbeite den ganzen Tag,da will ich mich nichtnoch mit 100 Leuten hinsetzen und labern.Ich finde,bei-des hat durchaus seine Berechtigung. Ich fordere sogarauch von den Mitarbeitern,dass sie sagen,was sie selberwollen, dass wir unser Ziel definieren, wenn wir tätigwerden. Und davor darf man nicht zurückschrecken undimmer nur fragen, was wollen die Leute.

Scherer: These zu der Frage, was wollen die Leute: Siewollen, dass nicht jemand anderes bestimmt, sonderndass sie das, was sie machen wollen, tun können. Dasheißt jetzt nicht Partizipation, das heißt Interessendurchsetzen.Aber jetzt versuche ich noch mal, Partizipa-tion zu übersetzen:Mitwirkung,es geht um »teilnehmenan«. Was ist jetzt aber Mitwirkung? Wir haben aus Bre-men gehört, die »Quatschbude« wurde abgeschafft, dieso zusammengesetzt war, dass jede Nutzergruppe imVorstand vertreten war,um dort ihre Interessen durchzu-setzen.Ist das Partizipation oder Mitwirkung? Möglicher-weise ist es etwas ganz anderes, nämlich Interessenge-rangel. Mitwirkung würde irgendetwas Gemeinsamesvoraussetzen,an dem die einen und die anderen sich be-teiligen. Und das führt mich zu der Frage: Ist es möglich,ohne ein gemeinsames Ziel zu haben und sich darüber zuverständigen, wirklich Mitwirkung zu haben? Oder wer-den nicht alle demokratischen Strukturen zu Interessen-gerangel-Gremien? Das als kleine Anregung für die wei-tere Diskussion.Und dann würde ich gerne zurückkommen zu der Frage,die ganz zentral war – Umbrüche. Da können wir dieje-nigen noch mal befragen, die Umbrüche erlebt habenoder vor Umbrüchen stehen.Wir haben das eine gehabt,wo es wegen der Verantwortlichkeiten und der Haftungs-

19Wer hat hier den Hut auf?

frage vom Verein zur GmbH geht. Wir haben aber auchverschiedene experimentelle Überlegungen angestellt,wie können wir mehr Beteiligung haben, als pädagogi-sches Ziel möglicherweise, aber vielleicht auch, um denLeuten noch mehr das Gefühl zu geben oder die wirklicheSituation zu geben,dass sie mehr mit dabei sind.Bei euchwar das so,im Mittelhof,vielleicht kann der Mittelhof malberichten, was eure Überlegungen waren oder wie derAuftrag aussah, von wo er gekommen ist.

O< Der Auftrag kam aus zwei Richtungen.Einerseits istes so,dass der ehrenamtliche Vorstand immer sehr vehe-ment fordert, die Hauptamtlichen sollen sich mehr da-rum kümmern, dass ehrenamtliche Mitarbeiter ins Hausgeholt werden. Daraufhin wurden dann aus dem Nach-barschaftshaushalt vor zwei Jahren zehn Stunden freige-macht für den Arbeitsbereich Werbung und Betreuungvon ehrenamtlichen Mitarbeitern. Andererseits habenwir durch den Vertrag ganz klar seit dem 1.1.1999 dieAufgabe der Förderung von bürgerschaftlichem Engage-ment.Im Zuge der Umstrukturierung zu Stadtteilzentrenist das ein Aufgabenschwerpunkt, der auch Förderungs-bedingung geworden ist.Diese beiden Interessen gibt es.Der Vorstand fordert also einserseits, da solle mehr pas-sieren,hält sich aber andererseits aus allem,was in dieseRichtung geht, sehr raus.Alles was ich anbiete und wozuich einlade – es kommt nie ein Vorstand.

Scherer: Kommt denn sonst jemand?

Vorrednerin: Ja,es kommen mittlerweile Interessenten,es gibt auch schon eine ganze Menge Ehrenamtliche,also es funktioniert langsam.

Scherer: Kannst du denn sagen, was die Leute wollen?

Vorrednerin: Die Leute, mit denen ich viel zu tun habe,wollen Angebote machen. Was gut funktioniert bei unsist die Idee Wissensbörse,also Kurse,und mehr wollen dienicht, sage ich mal ganz krass. Sei es das Einbinden inStrukturen,sei es ein eigenes Gremium zu kriegen,all daswird nicht unbedingt gewollt.Das ist aber doch schon un-ser Anspruch, Strukturen zu schaffen, in denen sich dieEhrenamtlichen wiederfinden und einen eigenen Bodenkriegen in so einer Einrichtung. Und das wird nicht be-sonders gut angenommen. Es gibt inzwischen z.B. einenEhrenamtlichen, der in der Öffentlichkeits-AG mitarbei-tet, und es funktioniert wunderbar auf so einer Berater-ebene und auch Entscheidungsebene, das ist also auchein Entscheidungsgremium.

Scherer: Das hatten wir übrigens in der letzten Wochediskutiert mit anderen Kollegen. Eine unbezahlte engli-sche Kollegin sagte, bei uns gibt es nur Mitarbeiter undals Mitarbeiter haben wir Unbezahlten ein gleiches Rechtwie die Hauptamtlichen,an Entscheidungen der inhaltli-chen Arbeit mitzuwirken und brauchen nicht ein Extra-gremium, einen Zoo, ein Reservat.

Vorrednerin: Ich verstehe das ein bisschen anders. Wirwollen uns nicht ehrenamtliche Helfer ranziehen,wie dasfrüher war,es gab halt eine große Gruppe von Ehrenamt-lichen,die wollten für »die armen Kinder« was tun – die-ses ganz heroische Ziel. Sondern wir wollen eher Struk-

turen schaffen, die Nutzer und Nutzerinnen befähigen,die Arbeit mitzugestalten, indem sie uns ganz klare Auf-träge geben. Die Kinder sagen, wir wollen dieses, jenesund das, und entscheiden, wenn sie das machen, dannmuss vielleicht auch das und das wegfallen, also dass sielernen,aha,es gibt eine gewisse Kapazität und einen ge-wissen Rahmen.In dem ist aber auch viel gestaltbar.Ge-nauso gilt das bei den Erwachsenen.Ich kann eine Forde-rung stellen, aber ich muss sie dann auch mittragen. Ichkann nicht sagen, macht mal was für mich und nehmedann gar nicht selbst dran teil. Eigentlich geht es eherwieder um dieses »zurück zur Basis«. Dann ist auch ent-scheidend, dass projektorientiert gedacht wird. Ich glau-be,die würden nicht kommen zu einer Versammlung, so,wir sprechen jetzt mal über das ganze Paket,über diesenVerein als solchen. Das wurde mir jetzt gerade wiederdeutlich. Es gibt einen Ehrenamtlichen, der stellt seinWissen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung.Punkt. Mehr will er nicht. Wir haben alles Mögliche ver-sucht, auch dass wir dachten, das ist eine zu nüchterneAtmosphäre,man sitzt immer so in einem Raum.Gut,wirtreffen uns also mal in der Kneipe,machen einen Stamm-tisch für Ehrenamtliche.Wer saß da? Da saßen die Haupt-amtlichen,die Ehrenamtlichen waren nicht gesehen.Undich denke, das sind so Sachen, wo man auch wieder überseine eigenen Ansprüche nachdenken sollte.

Scherer: Welche Begrifflichkeit benutzt ihr denn bei demProzess, den ihr anstrebt?

Vorrednerin:Wir nennen es bedürfnisorientiertes Arbei-ten.Das steht auch in der Konzeption.

Scherer: Das ist aber die Frage,wie spricht man die Leutean, wenn ihr sagt, ich möchte mit euch bedürfnisorien-tiert arbeiten?

O< Genau dieses Problem möchte ich ansprechen.Wirstehen jetzt,Gott sei Dank,nicht in der Pflicht,zehn Stun-den unserer hauptamtlichen Tätigkeit abzuzwacken, umEhrenamtliche zu rekrutieren,fortzubilden oder ihnen zusagen, was für Ziele sie haben sollen oder was für sie gutist. Das ist auch teilweise so eine Erinnerung an die DDR,die wir tunlichst vermeiden. Sie wissen sehr genau, wassie wollen,wir müssen sie auch nicht befähigen – das istvielleicht auch eine Definitionsfrage. Auch in unserenKreisen reden wir so nicht.Wir bezeichnen unsere Arbeitals hauptamtlich, nebenamtlich, ehrenamtlich, bezahltund unbezahlt, also es gibt ganz verschiedene Definitio-nen.Die Ehrenamtlichen sehen das aber noch anders, siehaben teilweise ganz unterschiedliche Ziele, sie könnensich auch jederzeit aus ihrer Arbeit wieder ausklinken.Aber das gemeinsame Ziel ist, dass es unser Haus gibt,dass diese Möglichkeit bestehen bleibt, dass jeder, wannund wie er will,etwas tun kann.Wir haben eine ganz tol-le Erfahrung gemacht während unseres Umzuges. Wirhatten kein Geld,den Umzug zu bezahlen,neue Möbel zukaufen oder Malerzeug.Wir hatten über 800 ehrenamtli-che Stunden. Und wir haben etwas ganz Tolles erfahren,wir wussten nicht, wie die Beteiligung sein wird, es ka-men mehr als wir uns je erhofft hatten,und es ist jetzt ihrHaus. Es ist ein anderes Kiezgefühl. Wir haben seitdemauch einen anderen Zuspruch, dass Leute z.B. sagen, ichhabe zwar keine Zeit, das ist mir auch alles viel zu kom-

pliziert, verstehe ich nicht, aber ich möchte das einfachunterstützen, ich werde Mitglied und biete euch meineHilfe an,und es gibt wieder andere,die wollen mehr mit-bestimmen. Also dieses zielgerichtete »um zu« – ich tueetwas als Pädagoge »um zu« – wer sind wir denn, dasswir ihnen sagen, was ihre Interessen sind. Das finde ichsehr problematisch.

O< Ich möchte mal ein Beispiel erzählen, wie wirBeteiligung geschafft haben: Ein Auftrag, den ich mitmeinem Arbeitsvertrag auch unterschreiben musste,wardie Initiierung oder die Aktivierung von nachbarschaftli-cher Selbsthilfe.Das fand ich damals als Arbeitsziel ziem-lich arrogant, weil bei uns die Situation so war, dass einWestträger in einen Ostberliner Stadtteil gegangen ist.Wir haben dazu ein Modell entworfen und nach derMethode Planning for real versucht, mit den Bürgern insGespräch zu kommen. Dabei haben wir festgestellt,Planning for real geht allen am »hmm« vorbei, aber dasStadtteilmodell finden sie irre spannend, weil sich ausden Gesprächen darüber sozialraumbezogene Themenund Probleme für Informationsveranstaltungen ergebenhaben.Wir machen einmal im Monat eine Informations-veranstaltung zu den vorrangigen Themen oder Proble-men, die die Nachbarn tatsächlich interessieren. Bisherwar es so,dass das Team für diese Informationsveranstal-tungen Fachleute herangezogen hat, inzwischen habenwir auch eine Sozialraumanalyse gemacht.Ein Fazit war,die Leute besuchen die Informationsveranstaltungen,dort meckern sie erst mal ab, da übernehmen sie nichtselber Verantwortung, sondern möchten, dass jemandanderes Verantwortung übernimmt – um dann zu kon-trollieren, ob das auch gemacht wird, was sie in dieserInfo-Veranstaltung gefordert haben.Und um dann zu sa-gen,wenn es nicht geklappt hat,die da oben machen so-wieso was sie wollen.Das ist ein Prozess gewesen,das istimmer noch ein Prozess, wenn man etwas entwickelnmöchte. Ein interessantes Nebenprodukt, oder inzwi-schen eben nicht mehr Nebenprodukt, ist die Tatsache,dass bestimmte Sachen kein Ergebnis brachten.So brach-te eine Begehung zu Verkehrsproblemen in diesem Ge-biet kein Ergebnis für die Bewohner, weil sie selbst nichtbeteiligt waren. Wir nehmen als Team vor Ort eine Ver-mittlerrolle ein, also wir haben in gewisser Weise auchdiese Sandwich-Funktion: einmal haben wir die Info-Veranstaltung angeleiert, dann haben wir mitgekriegt,eine Idee wurde aufgenommen,aber eben nicht so reali-siert, wie die Bewohner das gerne hätten. Jetzt könnenwir als Vermittler hingehen und sagen,wir erkennen dasProblem auf der Seite und erkennen das Problem auf derSeite, und können die Leute, die immer nur meckern, an-sprechen und tatsächlich fragen,möchten Sie etwas ver-ändern? Wenn ja, dann können Sie sich in diese Bege-hungsgruppe einklinken. Sie haben offensichtlich einganz berechtigtes Interesse und möchten diesen Prozessauch kontrollieren. Und das nehmen die Anwohner sonach und nach wahr.Und für das Team ist noch mal wich-tig, vor Ort zu sehen, das ist unser Arbeitsplatz, das istaber nicht unser Zuhause.Diesen Unterschied zu machen,auch in bezug auf Räume vermieten, Schlüssel abgebenkönnen und delegieren können, ist wichtig.

Scherer: Könnt ihr aus Bremen das akzeptieren, dass esmanchmal anders ist als bei euch?

20 Wer hilft hier wem und warum?

O> Also ich kann allgemein etwas nicht akzeptieren:Wenn ich mir vorstelle,dass ich so angesprochen werdenwürde wie viele von euch die Leute ansprechen, würdeich mit entschiedener Abwendung weggehen.Diese Art:Jetzt machen wir ehrenamtliches Engagement, da neh-men wir zehn Stunden, da wird jemand delegiert, siehmal zu, wie du jetzt ein paar Ehrenamtliche reinkriegst.Das sind Dinge, die nicht funktionieren. Deswegen sageich:Bürgerhaus.Unser Haus steht in einem Stadtteil,Mit-telstand,Handwerker,kleine Häusl,kein Drogenproblem,wesentlich mehr Alkohol, viele Werftarbeiter usw. Jetztkommt der große Knall,Werftprobleme.Jetzt stehen aufeinmal hundert Werftarbeiter, fünfundfünfzig, achtund-

fünfzig Jahre alt,vor der Tür,die von heute auf morgen ar-beitslos sind. Da können wir uns nicht hinstellen und sa-gen, das interessiert uns alles nicht, wir haben doch un-sere Programme.Da haben wir diese Menschen ins Hausgeholt. Die kann ich nicht in die Altentagesstätte zumKaffeetrinken tun, die sind voller Saft und Kraft.Wir hat-ten noch ein paar alte Werkstätten, die wir gerade auflö-sen wollten,weil kein Mensch die benutzte.Da fingen diean zu basteln und nach zwei Monaten hatten wir wiederfunktionierende Kurse für Holzverarbeitung. Damit hat-ten die Hauptamtlichen nichts zu tun, die haben nur or-ganisiert, dass es funktionierte, denn das läuft dann vonselbst.

Vorstellungsrunde:O< Ich arbeite im Gemeinwesenverein Heerstraße-Nord in Berlin-Spandau.Wir haben seit etwa 12 oder so-gar 15 Jahren in Folge ABM-Stellen eingesetzt. Wir sindein kleiner Verein, dementsprechend haben wir keinegroßen ABM-Projekte, sondern ein bis zwei, höchstensdrei ABM-Beschäftigte bei uns gehabt.Zurzeit haben wireine SAM-Beschäftigte und eine schon seit Jahren be-schäftigte ehrenamtliche Mitarbeiterin.Meine Erfahrungist:es gelingt um so besser,je besser die ABM-Kräfte oderehrenamtlichen Kräfte ins Team integriert sind.Und je in-tensiver wir uns auch zuständig gefühlt haben, für eineVollbeschäftigung zu sorgen. Entweder bei uns, und dagab es entweder Wechsel von ABM zu Honorarstellenoder sogar in auf drei Jahre befristete Stellen; oder ebendie Möglichkeit für die ABM-Kräfte,Kontakte zu knüpfenzu anderen Trägern oder Einrichtungen, um dort weiter-beschäftigt zu werden. Insgesamt würde ich sagen, eswaren immer gute Erfahrungen. Die Beschäftigten sinddanach nie in ein richtiges Loch gefallen.

O> Ich komme von der Kiezoase in Berlin-Schöneberg.Bei uns spielt die Einbeziehung von Arbeitsförderungs-programmen eine sehr große Rolle. Seit etwa zehn Jah-ren haben wir in der Regel zwischen 20 und 25 Mitarbei-ter aus ABM, SAM und was es so an verschiedenenProgrammen gibt. Und wir sind sicherlich ein bisschenanders strukturiert, weil wir das Glück hatten, über einerelativ gute Anzahl von Stammkräften zu verfügen. Undunser Konzept war ein anderes.Wir haben Teams,die nuraus Stammkräften bestanden,umstrukturiert und habenverschiedene neue Projekte gebildet, weil wir fanden, esgab so viele neue Aufgaben, da wurden aus den Stamm-kräften Projektleiter. Wir haben jetzt eine Konstruktion,dass immer ein oder zwei Stammkräfte plus ABM, plusPraktikanten,plus SAM usw.Teams bilden in der Größen-ordnung von vier bis sieben Leuten. Insofern würde ichsagen,dass wir mit der Einbeziehung dieser Maßnahmensehr gute Erfahrungen gemacht haben.Dann gibt es nochdas Phänomen der Wiederkehrer.Wir haben welche, dieAnfang der 90er Jahre auf ABM waren, zwei Jahre späterwiedergekehrt sind auf SAM oder damals LKZ,dann spä-

ter noch mal auf ABM,so dass es für sie zwar gewisse Pau-sen gegeben hat,wir aber kaum noch mitkriegen,dass siegar keine Stammkräfte der Einrichtung sind,weil sie rich-tig mit hineingewachsen sind. Ein weiterer Vorteil war,dass durch die Differenzierung in diese verschiedenenProjekte auch neue Aufgaben wahrgenommen werdenkonnten, die dann z.T. so erfolgreich waren, dass wir inFörderungen reingekommen sind. D.h. wir konnten überABM sogar Stellen schaffen.Wir sind keine Hochburg vonEhrenamtlichen. Das hat auch was damit zu tun, dassdurch den ständigen Wechsel von Mitarbeitern aus ABMund anderen Programmen sehr viel Aufmerksamkeit aufden inneren Prozess in diesen Teams verwendet werdenmuss.Zahlenmäßig steht das in keinem Verhältnis – alsowenige Ehrenamtliche, viele ABM und immer noch eingesunder Stamm von Stammkräften. Es sind ca. 20-25,die in einer Maßnahme laufen, dazu dann noch mal 20Stammkräfte, wobei von denen sieben ein gesondertesLeben führen ohne ABM – das ist eine Familienbera-tung– und der Rest,die 13,das sind die Stammkräfte,diemit den 20 ABM-Kräften arbeiten.

O> Ich komme aus Köln, arbeite bei dem Träger Inter-nationaler Bund, Arbeitsprojekt, was ausgegliedert wur-de aus dem e.V. der Bundesverwaltung, habe da mit Ar-beitsprojekten,die über die Stadt laufen,und mit ABM zutun.Ich selber arbeite in der Jobbörse, wo wir im Auftragder Stadt Köln Langzeitarbeitslose in Arbeit vermittelnsollen, sprich auf den ersten Arbeitsmarkt. Da habe ichmit einer Vielzahl von Klienten zu tun, die alle diesenLebenslauf haben,wo man immer auf ABM kommt,dannwieder anders finanziert,dann wieder raus,dann wieder1.Abeitsmarkt.Dieses Projekt ist prämienfinanziert,letzt-lich kopfgeldmäßig, was ganz neu ist auch für die freienTräger. Das Ganze ist angesiedelt in einem Stadtteil, derdie höchste Arbeitslosigkeit in Köln hat.In diesem Projekthaben wir mehrere Gewerke,wo alle,auch die Vorarbeiterüber ABM finanziert sind.Und ich soll die Leute wieder inden 1.Arbeitsmarkt bringen.

O< Ich komme vom Kiek in e.V. Berlin. Wir haben inMarzahn ein Nachbarschaftshaus aufgebaut und ein

Jugendhilfezentrum,betreiben zwei Blockhäuser für Kin-der und Jugendliche und haben in Hellersdorf ein ProjektNachbarschaftshilfe aufgebaut. Alle Projekte unseresVereins sind über ABM begonnen worden, dann meist inSAM weitergeführt worden, so dass wir die Chance hat-ten, relativ stabil fünf Jahre Fachkräfte an der Spitze derProjekte zu haben.Wir haben alle Höhen und Tiefen derArbeitsförderung in diesen Jahren miterlebt,wir musstenmit dem Spagat leben, dass es einerseits geheißen hat,solange ihr ABM-Kräfte habt, solange eure Häuser offensind, braucht ihr keine Zuwendungsfinanzierung. Ande-rerseits mussten wir aber auch mit dem Vorurteil leben,dass man uns sagte, wenn ihr ausschließlich mit ABMund SAM arbeitet, könnt ihr ja nicht diese Fachlichkeitvorweisen, die es im Bereich der Nachbarschafts- undJugendarbeit geben muss. Wir haben es irgendwie ge-schafft, dass wir aus diesen ABM- und SAM-Projektenstabile Projekte machen konnten im Bereich der Jugend-hilfe, wo jetzt über Kostensätze eine relativ sichere Fi-nanzierung dahinter steht.

O> Ich komme aus Wiesbaden, aus einem Nachbar-schaftshaus mit etwa 40 Teilzeit- und Ganztagsbeschäf-tigten.Es gibt in dem Haus regelmäßig ABM-Stellen undBSHG 19-Stellen, die aber alle nur Ergänzungscharakterhaben. Nach meiner Beobachtung gibt es keine Durch-lässigkeit zu Beschäftigungsverhältnissen oder nur durchreinen Zufall.Und es gibt ganze Bataillone von Straffälli-gen o.ä.,die da gemeinnützige Arbeit ableisten oder vomSozialamt geschickt werden,das ist für mich nicht immerganz durchschaubar. Das ist keine Entscheidung desVorstandes oder der Hausleitung,sondern das ergibt sichaus unserem Arbeitsbereich. Mich interessiert in demZusammenhang auch über meine Funktion im Betriebs-rat die Tendenz zu untertariflicher Beschäftigung und all-gemein die Frage der Durchsetzung von Arbeitszwangüber die sozialen Arbeitsverwaltungen. Die Tendenzenim BSHG sind erheblich verstärkt worden in den letztenJahren.Parallel gibt es in der ganzen Diskussion über dieExistenzsicherung ja auch die Frage, inwieweit sich überdie Aufforderung,ehrenamtlich oder in solchen Maßnah-men tätig zu werden, dieses Existenzgeld daran zu bin-den, nicht sehr weitgehende Härten durchsetzen. Dennwer sich dem verweigert,der soll aus jeder Unterstützungrausfliegen. Das konnte man auch beobachten, wie die-ses 100.000-Stellen-Programm für Jugendliche von derneuen Bundesregierung aufgelegt worden ist.Die hattennoch nicht alle Jugendlichen angeschrieben, da wurdeschon aus Bonn geschrieen,wer jetzt nicht am Ball ist,der

»Wer hilft hier wem und warum?«Die Nutzung von Arbeitsförderprogrammen in der sozial-kulturellen Arbeit,Probleme und Lösungen

mit Stephan Wagner, Berlin

Scherer: Du beschreibst einen Zustand, nachdem be-stimmte Dinge schon gelaufen sind. Nur, andere stehenvor der Situation vor dieser Zeit, wie Du sie jetzt be-schreibst. Und die Frage ist, wie kommt man da hin, wiekriegen wir das geregelt? Und der politische Auftrag istBürgerbeteiligung,von oben gewollt,aber vielleicht nichtin der Form,wie die Bürger das wollen.Und wo stehen wirda in dieser Sandwich-Situation? Hier ist es aber von die-ser Einrichtung zumindest genauso ernst gemeint wiebei euch,nur die Situation,die geschichtliche Situation isteine andere.Deswegen sitzen wir hier zusammen,um voneinander zulernen.

21Wer hilft hier wem und warum?

kriegt keinen Pfennig mehr, keine Sozialhilfe und nichts.Das ist der Aspekt, der mich in diesem Zusammenhanginteressiert.

O> Ich arbeite als geschäftsführender Mitarbeiter imElele-Nachbarschaftsverein, der ist in Berlin-Neukölln-Nord und betreibt dort einen Nachbarschaftsladen. Dieinhaltliche Arbeit ist größtenteils offene Kinder- undJugendarbeit für die Nachbarskinder, meist für ausländi-sche Kinder, Bildungs- und Beratungsangebote haupt-sächlich für türkische Frauen aber auch andere Nationali-täten. Uns gibt es ungefähr 15 Jahre. Und die ersten Be-rührungen, die wir mit ABM hatten, entstanden so: wirhatten immer nur eine halbe Stelle und haben dann überABM tatsächlich eine zweite halbe Stelle geschaffen, diees immer noch gibt.Unsere etwas abschreckenden Erfah-rungen und auch die Situation,dass man bei ABM immerwechselnde Mitarbeiter hat, hat den Verein veranlasst,dieses Mittel nicht in größerem Stil einzusetzen.Wir ha-ben jetzt in Zusammenarbeit mit einem anderen Verein,den wir gegründet haben, um ein anderes Projekt durchzubekommen, angefangen, über die EinrichtungCombishare-Menschen zu bekommen, die von ihren Ar-beitgebern zeitweise freigesetzt werden, um in ge-meinnützigen Einrichtungen zu arbeiten.Sie bekommenalso ihr Gehalt weiter, müssen dann aber im Jahr etwa900 Stunden in Einrichtungen ableisten, die einen ge-meinnützigen Charakter haben. Das ist eine ganz inter-essante Geschichte.Wir wollen uns weiter öffnen,um fürbestimmte Projekte über die Möglichkeiten des Pro-gramms »Integration durch Arbeit« einfach noch Kräftefür bestimmte Tätigkeiten,für bestimmte Projekte zu be-kommen, die man dann ein ganzes Jahr zur Verfügunghat. Aber wir sehen da auch eine Grenze, denn kaum istdie Einarbeitungsphase vorbei,die Durcharbeitungspha-se da, steht schon wieder der Ablösungsprozess bevor.

O< Vom Sozialamt Marzahn, ich bin mit der Frage, werhilft hier wem und warum, im Sommer 1990 noch alsDDR-Bürgerin in die Senatsverwaltung für Arbeit amFehrbelliner Platz gegangen und habe mich auf demGebiet von der Verwaltungsseite her kundig machen las-sen.Und habe nach neun Jahren Arbeit in der Verwaltungder Bundesrepublik Deutschland die Frage immer noch.

O< Ich bin Geschäftsführerin des NachbarschaftsheimsMittelhof in Zehlendorf. Das ist das älteste Nachbar-schaftsheim in Berlin. Die Nachbarschaftsheime habenfast ein Jahrzehnt ohne staatliche Förderung existiert.Esgab bei uns Mittel von außen, aus Fonds der Amerikanerund der Engländer, und 90% der Mitarbeiter waren inden Einrichtungen ehrenamtlich tätig.Erst mit dem Rück-zug der ausländischen Hilfsorganisationen entschlossensich die Nachbarschaftsheime, die es damals gab, einestaatliche Förderung zu beantragen, wobei lange gezö-gert wurde, das zu tun, weil damit auch eine Einfluss-nahme auf Inhalt und Politik der Einrichtung gegebenwar. Mit der Professionalisierung der Arbeit in den fol-genden Jahrzehnten hat es dann auch feste Beschäfti-gungsverhältnisse gegeben. Das hat aber zum Rückzugvon ehrenamtlichen Mitarbeitern geführt. Im Nachbar-schaftsheim Mittelhof ist es so gewesen,dass eine großeInitiative von bürgerschaftlichem Engagement in denZeiten der Kinderladen-Bewegungen entstanden ist.Das

Nachbarschaftsheim hat diese Elterninitiativen unter-stützt. Heute beschäftigen wir nur am Rande ABM-Mitarbeiter für Aufgaben, die wir zusätzlich und vorü-bergehend machen.Allerdings sind wir da auch bemüht,feste Stellen zu schaffen. Die Frage des bürgerschaftli-chen Engagements spielt bei uns heute eine erheblicheRolle.Es war ausdrücklicher Wunsch des ehrenamtlichenVorstands und der Vereinsmitglieder, das wieder zu be-fördern.Wir haben einen Anteil einer Sozialarbeiterstelledazu eingesetzt, die Programme dazu zu entwickeln.Allerdings muss man sagen,dass die Arbeiten,die in denvergangenen Jahren geleistet wurden,nicht ohne ehren-amtliche Hilfe hätten gemacht werden können.Wenn esheute um ABM geht, fände ich es sinnvoll und wichtig,dass wir es im Nachbarschaftshausbereich schaffen wür-den, dass an zentraler Stelle die ganzen Formalitätenübernommen würden, weil sowohl die Beantragung derMittel als auch die Abrechnung,als auch die Findung vonArbeitsfeldern gerade für kleinere Einrichtungen oftmalsgar nicht zu leisten ist und dann abgewehrt wird.

O< Ich arbeite als Geschäftsleitung bei Stadtteil-VHS -Nachbarschaftsarbeit im Schöneberger Nordosten,das istder hässliche Teil, den der Fraktionsvorsitzende der CDUso sehr liebt, dass er ihn plattlegen wollte. Ich habe einehalbe Stelle, bei uns gibt es drei bis vier halbe Stellen imNachbarschaftsbereich als Kernausstattung des Projek-tes. Wir haben z.Z. 26 Mitarbeiter, die sind aber fastausschließlich im Kita-Bereich beschäftigt.Das ist inzwi-schen ein großer Arbeitsbereich,der auch recht gut läuft.Wir haben reichlich Erfahrung mit AB-Maßnahmen,weildie Anfänge des Vereins mit professioneller Arbeit auchmit Leuten aus AB-Maßnahmen entstanden,und Projek-te sind zum Teil auch von ihnen initiiert worden. Inzwi-schen gab es bei uns eine inhaltliche Veränderung dieserArbeit, denn wir versuchen nicht so sehr, die inhaltlicheArbeit und den professionellen Teil mit AB-Maßnahmenzu stützen,sondern ergänzen die wenigen festen Stellen,decken in einem Schülerladen zusätzliche Arbeitsberei-che ab, die in der Förderung nicht drin sind, die aber indiesem Stadtteil notwendig sind,machen bei der Öffent-lichkeitsarbeit mit. Mit Kernstellen sind wir nur sehrknapp ausgestattet. Wir arbeiten in einem Stadtteil, indem Arbeitslosigkeit das wichtigsteThema für einen gro-ßen Teil der Bewohner ist.Wir haben einen großen Druck,weil Ehrenamt für viele schlichtweg unbezahlte Arbeitist, die sich diese Leute kaum leisten können.Und das istin unterschiedlichen Stadtteilen halt unterschiedlich.Wirhaben trotzdem ein paar Leute, die sagen, ich bin abge-sichert,ich habe Zeit,ich möchte etwas tun,das sind aberAusnahmen.Bei uns sind es Leute, die sagen, ich halte eszu Hause nicht mehr aus,darf ich was tun.Und wir habenLeute, die kommen durch »Arbeit statt Strafe«.Von dortgibt es eine unheimliche Nachfrage,weil immer wenigergeringfügig Verdienende Geldstrafen bezahlen können.Wir haben eine große Nachfrage nach Einsätzen nachdem BSHG 19, also diese Zwangsarbeit des Sozialamtes.Viele Leute möchten das sinnvoll machen, in einem Rah-men wie bei uns.Wir haben einen Arbeitsbereich,der sichmit Arbeitslosigkeit und Perspektivfindung beschäftigt.Und es gibt immer wieder Leute,die wir dann ansprechenund sagen, wir könnten dir helfen, du könntest hier wasversuchen. Es ist wichtig, dass das Hand in Hand geht.Dass wir Leute kennen lernen, denen wir helfen sich zu

betätigen, aber auch wieder in Arbeit zu kommen undmit jedem einzelnen Perspektiven zu planen. Das beißtsich mit Tendenzen beim Arbeitsamt, Maßnahmen bittenur paketweise so an hundert Stück zu machen. Es gehtaber nur gut, wenn es individuell ist, wenn sie an Teamsangeschlossen sind.Wir haben viele Leute aus Maßnah-men des Sozialamtes und über das SAM-Programm sindes bei uns zurzeit elf.Das reicht aber auch.Wir haben nochAnträge laufen, wo wir Qualifizierungs- und Beschäfti-gungsmaßnahmen für Stadtteilbewohner planen. Undzwar sind das nicht Maßnahmen, die direkt in unsereArbeit hineingehen,sondern die mit dem Stadtteil zu tunhaben.Das ist eine neue Qualität,die wir aufgreifen müs-sen, denn im sozialen Wohnungsbau, in dem wir tätigsind, leben zwei Drittel der Haushalte ohne Arbeitsein-kommen. Wir müssen Arbeit schaffen vor Ort für Leute,die da sind. Vor allem ist es wichtig, dass Leute wiederStrukturen erfahren können. In vielen Familien sind dieKinder die einzigen, die noch einen geordneten Alltaghaben. In dieser Richtung sind deshalb große Kraftan-strengungen notwendig. Ein Problem ist dabei für uns,dass das Arbeitsamt kaum regionale Maßnahmen hat,sondern das geht stadtweit, so dass dann in den Maß-nahmen bei uns Leute von irgendwoher landen.

O< Ich komme aus Dortmund, vom Institut für Geron-tologie, und bin hier hauptsächlich als Lernende undInteressierte, weil wir ein Projekt zum freiwilligen Enga-gement Älterer durchführen mit einem Schwerpunkt aufStadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf,das ist einLandesprogramm in NRW. Und vor diesem Hintergrundbin ich auf den Ansatz der sozial-kulturellen Arbeitgestoßen. Ich habe da einmal Interesse, mich mit demArbeitsansatz vertraut zu machen und auch mit den Er-fahrungen, die gesammelt worden sind bei der Gewin-nung von Ehrenamtlichen.

Stephan Wagner: Als Sozialarbeiter hat mein Kontaktmit ABM ganz gut angefangen. Es gab so eine spezielleBeschäftigungskultur in den 80er Jahren: Du machst eine Arbeit, die machst du drei bis vier Jahre, dann wirstdu arbeitslos,dann kriegst du vielleicht wieder einen Joboder eine AB-Maßname.Gerade im Berliner Umfeld gingdas.Das hatte aber überhaupt nicht die Dimension,die esheute hat. Und ob das Auswirkungen auf ehrenamtlicheArbeit hatte, darüber habe ich mir überhaupt keineGedanken gemacht,da hatten wir eher die Diskussionen,welche Auswirkungen haben die Ehrenamtlichen aufHauptamtliche. 1991 machten wir im Rahmen einerUntersuchung ein Interview mit einem kleinen Verein.Das waren zwei Menschen, die waren in einem Pro-gramm drin,die organisierten Ehrenamtliche,die Behin-derte besuchten oder einmal in der Woche mit denenwas machten,damit die auch Kontakt zur normalen Welthatten. Die hatten zwei Festangestellte und 40 Ehren-amtliche. Der Senat zahlte diesen Ehrenamtlichen 50Mark im Monat,ein so genanntes Handgeld,aber nur die-se 40 Leute kriegten die 50 Mark. Wenn sie mehr Leutereingenommen hätten, hätten sie denen die 50 Marknicht geben können und damit wäre eine Ungleichbe-handlung der Ehrenamtlichen da.Dieses Handgeld hattealso Lohncharakter,und es fing jetzt an,das Projekt nichtnur zu festigen und anzuschieben, sondern es auch zustrukturieren und in seiner Größe festzulegen.Im Prinzip

22 Wer hilft hier wem und warum?

kann man sagen, dass AB-Maßnahmen Gesellschaftenauf allen Ebenen strukturieren, und zwar viel weiter ge-hend als wir glauben. Ein relativ neues Phänomen ist,dass wir jetzt in diesem Bereich auch noch unbezahlteArbeit haben, die über Straffälligenmaßnahmen reinge-kommen ist. Wir haben in Mecklenburg-VorpommernRegionen gefunden, wo 50, 60, 70% der Menschen ar-beitslos sind oder wären, wenn es dort keine AB-Maß-nahmen gäbe. Auch hier ist das ein zweischneidigesSchwert. Die Region würde ohne die AB-Maßnahmenüberhaupt nicht funktionieren,aber die AB-Maßnahmensetzen die Mobilität der Menschen herab.Und das heißt,es ist sehr fraglich, ob das Verbleiben der Menschen indiesen Regionen wirklich dazu führt, dass dann Wirt-schaftsräume entstehen,in denen es irgendwann wiedernichtgestützte Arbeit geben kann.Viele der von der Bosch-Stiftung geförderten Projekteberichteten, dass in der ersten Phase folgendes passier-te. Sie kriegten AB-Maßnahmen für einen bestimmtenZeitraum und dann gingen die Leute raus,es wurden wie-der neue eingestellt und die gingen wieder raus.D.h.,siehatten einen ständigen Kompetenzverlust zu verkraften,das war ein riesiges Problem. Die hatten Leute für einhalbes Jahr, für ein dreiviertel Jahr, in den ersten Jahrennach der Wende haben sie danach noch was auf demArbeitsmarkt gefunden,als die Wirtschaft sich restruktu-rierte.Dann trafen wir aber auch auf Projekte, die sagten, ja wirkennen das Problem, wir lösen das aber anders, wir sindkreativ. Die hatten einen Kreis von 10-15 Leuten, denenwar klar,am 1.Arbeitsmarkt haben wir keine Chance.Unddann haben sie irgendwelche ABM-Projekte an Land ge-zogen, oft ganz bewusst nur mit einer Stellenausstat-tung, die niedriger war als die Anzahl der interessiertenPersonen. Dann hat man gesagt: Jetzt gehst du ein Jahrin die AB-Stelle. Dann machst du ehrenamtlich weiter,dann geht der andere rein.Und in der Zwischenzeit habensie einen neuen Antrag gestellt,das ganze Projekt wurdeneu beschrieben, kriegte einen neuen Namen oder einneues Ziel, war aber dasselbe Projekt.Also man hat nichtden Kern der Arbeit verändert, sondern hat nur diesenKreislauf verändert.Das ist so eine Art Chamäleon-Taktik.Und dann gingen die Leute wieder zurück als Hauptamt-liche oder in ABM oder SAM, und die Kompetenz blieb inden Projekten. Damit ging natürlich einher, dass dasLohnniveau eindeutig unter das BAT-Niveau sank, be-rücksichtigt man die Zeiten, in denen die Leute keineArbeit haben. Das waren sozusagen die goldenen Grün-derjahre.Der innere Steuerungsaufwand dieser Projekte wächstenorm. Deshalb haben sie eine ganz andere Verteilungihrer Energie in Bezug auf Personalsteuerung, Einarbei-tung, Zeitperspektiven. Es finden also Veränderungenstatt über die ABM,die in die inhaltliche Konstruktion derArbeit wirken. Ein Teil dieser Projekte wäre völlig andersgeplant,wenn man mit hauptamtlichen Kräften arbeitenkönnte, weil man mit den Zeitbudgets anders umgehenwürde. Die Planung mit Ehrenamtlichen zwingt dieseProjekte, in kurzen Zeiträumen zu denken. und mit derSituation des ständig wechselnden Personals umzuge-hen, oder aber, wenn sie das Personal halten, beständiggegenüber dem Zuwendungsgeber die Form zu verän-dern,also dieses Chamäleon-Spiel zu treiben.Und das istdurchaus aufwendig.

Bei Ehrenamtlichen passiert jetzt folgendes. Wenn dieZusammenarbeit ein integratives Ziel hat, dann gibt eseinen festen Kreis von Ehrenamtlichen,die sich hier in ei-ner bestimmten Komplicenschaft Arbeit besorgen, nichtjeder kriegt die.Ich benutze das Wort bewusst,um zu zei-gen, dass hier ein Einverständnis existiert. Das ist aber eine besondere Sorte Ehrenamtlicher, die haben andereMotive als die Ehrenamtlichen, von denen vorher dieRede war,die unter dem Motto mitmachen:ich habe Zeit,ich bin abgesichert, ich mache das.Trotzdem haben die-se Ehrenamtlichen in der ehrenamtlichen Phase einensehr hohen Identifikationsgrad mit dem Projekt und ar-beiten dann auch bis zu 60 Stunden, damit der Ladenläuft. Dort, wo Sie klassische Ehrenamtliche haben, gibtes,wenn Sie ABM reinnehmen,dann aber einen weiterenEffekt, nämlich dass die Ehrenamtlichen nach kurzer Zeitsagen, Moment mal, bisher haben wir Ehrenamtlichendas unentgeltlich gemacht und jetzt kriegt der das be-zahlt.Warum soll ich denn hier noch weiter ehrenamtlichtätig sein?

O< Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht.Sicherlich,wenn man das vergleicht mit unserer Anfangs-zeit, wo man doch meist Hochschulabsolventen oderFachschulabsolventen in ABM bekommen hat,hat sich daeine sehr negative Entwicklung vollzogen. Wir meinenaber dennoch, dass es für bestimmte ergänzende oderzusätzliche Bereiche in der Sozialarbeit möglich ist, auchheute mit ABM-Kräften zu arbeiten,aber nur dann,wenneine Fachkraft die ABM-Mitarbeiter auch tatsächlich be-treut.D.h.es muss in jedem Projekt eine fachlich versier-te Kraft sein,die die anderen befähigt,pünktlich und oh-ne Alkoholfahne zur Arbeit zu erscheinen. Und die auchauf die Qualität der Leistungen achtet. Ohne dieseFachkräfte ist so eine Arbeit einfach nicht möglich.Und dakommen wir jetzt natürlich wieder in diesen Kreislaufrein. Wir haben vorhin gesagt, es gibt Träger, die habenganz viele ABM-Kräfte, das hat natürlich einen Grund.Erstens sind es sowieso nur 36 maximal, zweitens gehtdie Qualifizierungszeit von der regulären Arbeitszeit ab,drittens ist der Krankenstand relativ hoch und viertensmuss ein Träger,der den Anspruch für sich noch nicht ab-gelegt hat zu sagen, ich will Nachbarschaftsarbeit ma-chen, ich will niedrigschwellige Angebote für Kinder undJugendliche machen, so ein Träger muss einfach, um dieQualität der Arbeit seiner Stammkräfte abzusichern,letz-ten Endes auch eine bestimmte Anzahl von ABM-Kräftenhaben, ansonsten funktioniert das System nicht mehr.Man ist da immer irgendwo in einer Zwangssituation.

O> Wenn es so ist, dass das Thema Arbeitslosigkeit mitall seinen negativen Auswirkungen sicherlich auch imStadtteil und der Nachbarschaft zu spüren ist, warum istes dann nicht so, dass die Nachbarschaftsheime diesenAspekt, nun wirklich Beschäftigungspolitik im Stadtteilzu machen,als ihren begreifen? Warum wird die Konzep-tion der Nachbarschaftshäuser nicht dahingehend er-weitert zu sagen, o.k. das ist jetzt unser Auftrag, das istjetzt die Wirklichkeit hier im Stadtteil und der müssen wiruns annehmen.

O< Ich vergnüge mich ab und an mit Ehrenamt imSelbsthilfebeirat des Landes Berlin. Und dort ist die Dis-kussion dann immer,wie viele Stellen braucht ein Projekt

die haben ja noch ABM, die brauchen also keine Stellen.Das ist kein Ostphänomen mehr hier in Berlin. Bemühtsich ein Projekt gar noch um eine EG-Förderung,kriegt esgesagt, oh, ihr habt ja mehr Geld, dann braucht ihr hierweniger. Das ist eine neue Denkweise und die wird sich,fürchte ich, auch woanders ausbreiten.Die große Mengean ABM-Stellen geht an stadtweite Träger.Wir haben unsz.B. um eine Schulmensa bemüht, die wollten wir mit einem Beschäftigungsprojekt betreiben. Wir hatten eingutes Konzept vorgelegt. Gekriegt hat sie ein großerstadtweiter Trägerverein. Jetzt arbeiten dort nicht 20Mütter aus dem Schulumfeld, sondern es arbeiten ir-gendwelche ständig wechselnden Leute aus der Stadtvon überall her, die überhaupt keinen Bezug zu demStadtteil und zu dem Projekt haben. Und genau dieserAspekt regionaler Arbeitsmarktpolitik ist nicht bis zu demja keineswegs überregional arbeitenden Arbeitsamt Süd-west durchgedrungen.

O> Es gibt ja noch ein paar andere Sachen,die Gemein-wesenarbeit und Stadtteilarbeit ausmachen, nicht nurdie Arbeitslosigkeit.Und da muss man sich schon überle-gen, wen man unterstützt. Geht es mir wirklich um dieLeute, die arbeitslos sind und wo die Familien dranhän-gen, die in der zweiten Generation Sozialhilfe beziehen,dass die mal eine Chance haben,da rauszukommen? Dasgeht nur mit Qualifizierung, das geht nur mit Stabilisie-rung, da muss einiges passieren. Die Träger sollten wirk-lich daran interessiert sein, auf politischer Ebene immerwieder Türen zu öffnen.Wir sollten nicht beim Beschrei-ben der Probleme stehen bleiben, sondern sollten auchbestimmen, wohin wir wollen.

Wagner: Ich habe ein Modell aus Holland im Kopf. Dortmacht man folgendes, wenn Menschen arbeitslos wer-den: Man teilt sie in drei Kategorien, eine ganz brutaleMethode. Kategorie 1 sind Leute, bei denen man davonausgeht, dass sie so fit sind, dass sie innerhalb von dreiMonaten zu vermitteln sind. Kategorie 2 ist das, was wirauch in Deutschland kennen:das sind Leute,die haben inirgendeiner Weise Qualifikationen, die nicht mehr ange-messen sind,die werden qualifiziert.Und Kategorie 3,dapackt man alle rein,von denen man meint,dass sie keineChance mehr haben.Das sind Leute,die von ihrer Strukturher so viele Nachteile haben oder so runter sind, dass sienormale Arbeitsprozesse nicht mehr hinkriegen.Und die-sen Leuten bietet man dann an,ihr kriegt Unterstützung,wenn ihr ehrenamtlich arbeitet. Wo ihr das tut, ist unsegal.Aber ihr müsst eine bestimmte Anzahl von Stundenpro Woche nachweisen. Hier sind 140 Adressen, das sinddie Organisationen, die das tun in dieser Stadt.Wenn ihrdas ein Jahr lang tut,kriegt ihr ein Jahr lang Arbeitslosen-unterstützung. Das ist eine Qualifizierungsmaßnahme,weil man festgestellt hat,dass die Leute über solche Me-thoden dazu kommen.Dass wieder Struktur in die Fami-lien kommt. Und es ist ein sehr niedrigschwelliger Zu-gang. Die Leute müssen selbst aktiv werden, sie müssensich selbst etwas suchen, sie müssen aber in einemBereich aktiv werden, wo die normalen Arbeitsanforde-rungen nicht gegeben sind. Da sind auch Zwangsele-mente drin,aber auf eine andere Art und Weise und es istanders verkoppelt. Und ich glaube, dass wir mit diesenZwangselementen ein großes Problem kriegen, weil ichdavon ausgehe, dass sie zunehmen werden.

23Wer hilft hier wem und warum?

O> Mich irritiert eure Sortierung der Arbeitslosen.Wirhaben doch heute auch mit ganz anderen Arbeitslosen zutun, nämlich mit denen, die jetzt über 45 sind, die durch-aus qualifiziert sind,aber vielleicht zu teuer,zu hoch qua-lifiziert. Man kann einen Architekten nicht einfach zumParkgärtner machen, erst mal hat er die Qualifikationnicht und außerdem lässt er sich da nicht führen.Für michist das nicht einleuchtend, dass solche Ressourcen derar-tig verschleudert werden. Es sind ja nicht alles Leute, dienicht mehr in der Lage sind,morgens zur Arbeit zu findenoder wegen Alkoholproblemen zu Hause bleiben.Es gibtviele Leute, die haben eine Menge Potenzial, das sie ein-fach nicht vernünftig einbringen können, stadtteilbezo-gen oder kiezbezogen oder wo auch immer. Bloß, wiekann man diese Grenzen, diese Räume denn erweitern,verändern? Jetzt einfach nur nach dem holländischenSystem diese drei Kategorien festlegen, damit kommeich nicht klar.

Wagner: Das war nur ein Ansatz. Ich wollte nur zeigen,dass es auch anders zu organisieren ist. Dass es mehrereAuswege aus dem Desaster gibt.

O> Ein Aspekt an der Diskussion stört mich manchmal.Dass wir die Lage auf dem Arbeitsmarkt so betrachten,alsgäbe es die qualifizierten Fachkräfte und die minderqua-lifizierten defizitären ABM-Leute und andere. An einemProjekt kann man das sehr deutlich machen,am Juxirkus.Den Kinder- und Jugendzirkus gibt es seit über zehnJahren,der ist vor ‘89 entstanden,als die Töpfe im Westennoch sehr voll waren, zusammen mit dem Künstler-Dienst des Arbeitsamtes,dass nämlich arbeitslose Künst-ler mit Pädagogen zusammen für Kinder einen Zirkusaufbauten. Da haben wir festgestellt, die bringen solcheFähigkeiten und Kompetenzen ein, die kann kein Päda-goge in der Weise einbringen. Und erst die Verknüpfungvon beiden macht eine bestimmte Qualität aus. BeiHandwerkern haben wir das ähnlich erlebt. Gut ist nachunserer Erfahrung gerade diese Mischung der Bereiche.Wie muss aber die Struktur aussehen, damit durch dasReingreifen in dieses Reservoir die Qualität nicht absackt,sondern ein Mindeststandard gesichert ist? Dazu gehörtfür mich, dass man eine Einrichtung nicht auf Dauer mitrein arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aufrecht er-halten kann. Wenn deutlich wird, dass ein Projekt denDurchbruch nicht schafft, dann ist eben die Frage, sollman es am Leben erhalten, indem es dauerhaft mit ABMverlängert wird? Nach meiner Ansicht gibt es einenPunkt, an dem der Bezirk, wo das Projekt lokal verankertist, sich irgendwann fragen muss: würde uns etwasWichtiges fehlen, wenn wir dieses Projekt nicht mehrhätten? Und wenn ja, dann muss zumindest eine festePersonalstruktur geschaffen werden, damit sich dieserdauernde Erfahrungsverlust durch wechselnde ABMnicht fortschreibt.Man müsste ein paar Grundregeln ausdieser ganzen Erfahrung entwickeln.Von der EG kommtjetzt die Vorgabe,dass Arbeitsmarktpolitik in Zukunft vielstärker auf den jeweiligen Bezirk und die Region bezogensein soll.Alle Ressourcen sollen möglichst zusammenge-fasst werden,all das,was ein Bezirk einbringt,vom Sozial-amt über das Arbeitsamt bis hin zu den Trägern.Vielleichtentsteht dadurch doch ein besseres Ineinandergreifenvon Strukturpolitik und Beschäftigungspolitik. Das wäreein Fortschritt und genau da könnten nämlich Nachbar-

schaftseinrichtungen eine ganz zentrale Rolle spielen,weil sie vor Ort verankert sind.Wenn sie in der Lage sind,Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik zu ent-wickeln,dann wären sie ein ernst zu nehmender Partner.Andernfalls passiert es,dass sich die Service-Gesellschaf-ten in Berlin die einzelnen Regionen aufteilen. Deshalbwäre mein Plädoyer: wer immer diese Erfahrungen ge-macht hat,sollte diesen Bereich ausbauen und dann übereine Vernetzung nachdenken. Ich halte allerdings nichtsdavon, dass der Verband für sozial-kulturelle Arbeit dieneue große Beschäftigungsgesellschaft für das gesamteStadtgebiet von Berlin würde, aber richtig ist, es mussüber die einzelne Einrichtung hinausgehen in Richtunglokaler Einheiten.

Wagner: Ich versuche jetzt mal zusammenzufassen,wasaus dieser Organisationsdebatte herausgekommen ist.Das ist zum einen, wenn man das Problem Arbeitslosig-keit hat, dann entsteht dadurch auch ein notwendigesArbeitsfeld für die Nachbarschaftsheime, und zwar nichtnur als Ressource für die Einrichtung selber. Eine zweiteSache, die haben wir gar nicht angesprochen und dieschwingt die ganze Zeit mit: Im Prinzip sind wir geradedabei, das amerikanische Modell sozialer Arbeit zu eta-blieren. Ich habe hochbezahlte Spezialisten in Steue-rungsfunktionen, ich habe in den Projekten selber, wennes hoch kommt,ein oder zwei ausgebildete Sozialarbeiterund die leiten mehr oder minder unqualifizierte Leute an,die dann aber ihre Erfahrungen einbringen, was zu sehrkreativen Sachen führen kann. Es beginnt sich – zumin-dest in den Bereichen, wo wir stark mit ABM-Kräften ar-beiten – eine andere Form von Sozialarbeit mit anderenStrukturierungsmomenten zu formieren.Und das schafftuns im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit eine MengeProbleme. Weil die Leute zwischendurch immer wiederauch als Ehrenamtliche in unseren Projekten auftauchen,aber mit einer völlig anderen Motivlage als der Ehren-amtliche, der sein Auskommen in Form von Arbeit oderRente hat und tatsächlich ehrenamtlich arbeitet.Wir ha-ben jetzt einen Riesenbereich,in dem der Staat mit mehroder minder großen Finanzmitteln operiert, mit unter-schiedlichen Motiven – BSHG,Straffällige,Leute über 55,ABM usw. – der sich überschneidet mit dem Bereich derehrenamtlichen Arbeit. Ich sag das mal bösartig: Habenwir hier einen staatlich organisierten Billiglohn-Sektoroder was haben wir da vor uns?

O> Ich finde es nicht gut, die unterschiedlichen Grup-pen,die Sie benannt haben,zusammenzupacken.Sie ha-ben vorhin gesagt,unter ehrenamtlich engagierten Men-schen gibt es welche mit hohen Qualifikationen,währendandere möglicherweise Menschen sind, die eher Defizitemitbringen und mehr Unterstützung brauchen. Von da-her finde ich das problematisch,das alles als einen Sektorzu beschreiben.Im übrigen – wo sehen Sie denn tatsäch-lich massive Kampagnen, Finanzmittel usw. des Staates,um freiwilliges ehrenamtliches Engagement zu fördern?Ich arbeite in einer Freiwilligen-Agentur,ich übersehe diebundesdeutsche Freiwilligen-Agenturen-Szene und wirstehen jetzt vor dem Problem, dass wir unser bundes-weites Netzwerk, eine Personalstelle, die wir über Stif-tungsmittel finanziert hatten,zum Jahresende aufgebenmüssen. Und da ist auch keine Anschlussfinanzierung,keine staatliche Unterstützung für den Aufbau von so ei-

nem Netzwerk zu sehen.Und da frage ich mich,wo sehenSie da Geld oder Unterstützung oder Strukturen, die indem Bereich aufgebaut werden?

O< Für uns ist es immer ein ganz klarer Unterschied,objemand über »Arbeit statt Strafe« oder vom Sozialamtkommt oder als Ehrenamtler, der was machen will. DieMotivlage ist ganz unterschiedlich und sie binden sichauch auf unterschiedliche Art ein.Unser Umgang mit ih-nen muss deshalb auch unterschiedlich sein.Für die Leutevon »Arbeit statt Strafe« sind wir eine Anlaufstelle, es istmehr Sozialarbeit und Beratung gefragt,die haben meis-tens nicht nur das Problem, dass sie eine Strafe abarbei-ten müssen, sondern es gibt Leute, die haben halt ir-gendwas Blödsinniges angestellt, haben ein Verkehrs-delikt begangen, wollen oder können aber nicht zahlen.Und die sagen dann, das und das kann ich und sie kom-men dann und leisten ihre Stunden ab.Aber die meisten,die kommen, haben ganz massive soziale Probleme undwürden niemals in einem anderen Rahmen eine Bera-tung in Anspruch nehmen.Da ist es unsere Aufgabe dafürzu sorgen, dass sie sinnvoll beschäftigt sind, dass das fürdie keine Horrorerfahrung wird bei uns, sondern dass sieeine Startbasis kriegen, auch ihre anderen Probleme an-zusprechen und zu klären. Denn meistens ist die Arbeitbei uns der Anfang von einem Klärungsprozess, der dasProblem Arbeitslosigkeit angeht. Für die meisten Men-schen ist es auch eine Chance, wenn man sie gut berät,wenn man rausfindet, was sie können, und mit ihnenauch einen Qualifizierungs- und Karriereplan ausarbei-tet. Sie dürfen nicht verheizt werden und irgendeineArbeit aufgedrückt bekommen, die uns gerade in denKram passt,sondern eine,an der sie wachsen können.Dasgehört für mich zu unserer Verantwortung dazu. Ehren-amtliche dagegen wissen meist sehr genau,was sie wol-len, was sie können und was sie einbringen wollen. Diewollen auch was dafür haben, und zwar nicht Mark undPfennig.Die wollen Anerkennung, die wollen einen neu-en Bekanntenkreis,die wollen,dass wir an ihnen interes-siert sind.Diese klassischen Ehrenamtler möchte ich nichtvermischen mit den anderen Leuten, die über Institutio-nen zu uns geschickt werden.

O< Ich glaube, dass der Erfolg von Maßnahmen we-sentlich mit von der Kompetenz der Träger abhängt. ImOstteil der Stadt, wo so vieles weggebrochen ist, und dieMenschen versuchten,selbst über ABM Projekte zu steu-ern, ist das häufig gescheitert, weil sie alle dieselbenProbleme und Notlagen hatten.Und es gibt Träger in derStadt, Nachbarschaftsheim Kiezoase ist einer, der bei-spielgebend ist, oder das FIPP-Fortbildungsinstitut fürdie pädagogische Praxis,die im östlichen Teil der Stadt sowas wie Horte für Schulkinder entwickelt haben. DiesesProjekt wurde stadtweit nur über ABM über viele Jahre fi-nanziert, jetzt wird es teilweise von den Bezirken finan-ziert.Aufgrund ihrer Kompetenz haben sie feste Arbeits-plätze schaffen können. Solche Erfolge haben wirklichwas mit der Kompetenz der Träger zu tun,wie sicher undetabliert Träger sind.Wo solche Träger sind,sind auch po-sitive Maßnahmen gelaufen, aber leider zu wenig.

O> Euer Modell betrifft, so glaube ich, nur einen ganzbestimmten Sektor,nämlich diejenigen,die aus ABM her-aus ein Projekt entwickelt und versucht haben,es zu sta-

24 Wer hilft hier wem und warum?

bilisieren. Ich kann von uns sagen, dass bei einer ganzgroßen Zahl von Leuten kein einziger in dieses Schemapasst. Ich sprach von Wiederkehrern, da haben wir ganzklare Regeln. Wenn der Vertrag beendet ist, dann warsdas. Aber wir erinnern uns an sie, wir haben auch locke-ren Kontakt miteinander. Und wenn in zwei Jahren dieFrage ansteht, dass wir eine Finanzierung haben, fragenwir diejenigen, die wir kennen, hättest du wieder Lust,wir haben gute Erfahrungen mit dir gemacht,du mit uns,bitte entscheide dich.Deswegen gibt es in vielen Projek-ten nicht dieses Problem des Nebeneinanderher,was nor-malerweise mit ABM einhergeht. Aber Ehrenamtlichkeithat einen ganz anderen Charakter.Die Frage,die hier im-mer wieder entsteht, ist, wie steht das im Wechselver-hältnis zueinander. Ich habe vorhin von Reservaten ge-sprochen. Es ist schon so, da darf man sich nichts vorma-chen – um Ehrenamtliche zu gewinnen, muss ich nichtnur eine bestimmte Einstellung haben, sondern auch alsHauptamtlicher viel Kraft aufwenden, Bereiche zu öff-nen, Menschen anzusprechen und einzuladen.Wenn ichaber den anderen Weg gehe,für andere Gruppen – sprichBSHG und ABM usw. – Programme zu entwickeln, dannentstehen Zwänge.Ich kann dann gar nicht mehr die rich-tige Botschaft aussenden,dem Ehrenamtlichen zu sagen,du wirst gebraucht bei uns, komm zu uns; nein, ich sage,es wird zwar jemand gebraucht für die Aufgabe, aber eswürde mir besser passen, er käme über das Arbeitsamt.Denn ich habe meine Regiekräfte zu bezahlen, ich habemeinen administrativen Aufwand, ich habe im Laufe derZeit eine Verwaltungseinheit aufgebaut. Man muss alsoauch sehen,es entstehen bestimmte Zwänge,eine Logik,die eine Wiederbesetzung von Arbeit genau in diesemSinne erforderlich macht.Und von daher kann ich nur sa-gen, da wir das originäre Ehrenamt auch wichtig finden,kann ich es nur in diesen kleinen Reservaten erst malweiter betreiben.

O> Ich würde sagen, dass man einfach mal über denVerband versucht initiativ zu werden, das ist ja heutemehrfach angerissen worden.Weg von diesem typischenABM-Projekt-Denken, der Begriff der Bürgerarbeit mussneu eingebunden werden. Wenn man davon ausgeht,dass wir Kompetenz bei uns versammeln, dann mussman ganz andere Modelle entwickeln als bisher. Dannmüsste Bürgerarbeit definiert werden und es müsstenmit dem Arbeitsamt Projekte entwickelt werden,die überacht bis zehn Jahre aufgelegt werden, wo die Bezirke indie Pflicht genommen werden,wo die Kieze in die Pflichtgenommen werden, woraus sich dann Projekte ent-wickeln könnten, die sich selber tragen müssten, die sichdann in den 1. Arbeitsmarkt integrieren ließen.

Wagner: (Bericht über eine Umfrage zur Ehrenamtlich-keit) ...Es gibt bestimmte Faktoren, die Ehrenamtlichkeitbegünstigen oder nicht begünstigen. Ein Strukturele-ment ist die 55-Plus-Geschichte, die im Prinzip in allenneuen Bundesländern unter jeweils verschiedenem Na-men gemacht wird.Wir haben hier ein Element,wo Men-schen, die keine Chance haben, in den Arbeitsmarktzurückzukehren, in irgendeiner Form sozial abgesichertsind, entweder über Frühberentung oder dass sie Sozial-hilfe beziehen, sich eine bestimmte Summe – meistenssind das 200 Mark – hinzuverdienen können, wenn sie eine bestimmte Stundenmenge ehrenamtlich arbeiten.

Das hat den Projekten eine Menge ehrenamtlicher Mitar-beiter gebracht. Es ist aber auch eine versteckte Renten-zahlung. Man muss das einfach so benennen, weil dieseLeute sofort aufhören ehrenamtlich zu arbeiten oder sichanders verhalten, wenn man das Geld rausnimmt. Wirhaben im Rahmen der Befragung die Frage gestellt, wiehoch soll die Aufwandsentschädigung sein? Was haltetihr für angemessen? Und wir haben verschiedene Kate-gorien angeboten, das ging von »gar nichts«, ich glaube,eine Kategorie war bis 50 Mark,bis 100 Mark,eine war bis200 Mark,eine war mehr.Das Spannende war,die Ehren-amtlichen haben sich weitgehend eingependelt um die50 Mark-Grenze.Das wurde von denen,die selber ehren-amtlich tätig waren, wenn sie Aufwandsentschädigun-gen nicht überhaupt ablehnten, als eine angemesseneEntschädigung angesehen,was Buskosten,»Sohlengeld«usw.beinhaltet.Die Hauptamtlichen fanden 100-150 DMgut.Sie hatten hier eine andere Position.

Zwischenrede: Der Bundestag hatte unlängst 300 Markbeschlossen. Ab Januar 2000 können für EhrenamtlicheAufwandsentschädigungen bis 300 Mark steuer- und so-zialversicherungsfrei gezahlt werden.

Wagner: Ja, aber das hat noch einen anderen Hinter-grund.Das ist auch ein Teil unserer Frage »Wer nützt hierwem?« Die 200 Mark liegen jedenfalls eindeutig jenseitsdessen, was der normale Ehrenamtliche zum Zeitpunktder Befragung als angemessen angesehen hat, und siesind eindeutig als Schmiermittel in die Gesellschaft rein-gegeben worden,um Ruhe zu haben.Denn viele Leute inden neuen Bundesländern sind sehr unzufrieden überden Verlauf ihrer Karrieren und ihres Lebens,wo man mit44 Jahren auf dem Arbeitsmarkt schon als schwer ver-mittelbar gilt. In einem solchen Klima schafft das Ruhe,wenn ich mir mit einem bisschen Arbeit etwas dazuver-dienen kann, das wird aber im Programm als Ehrenamt-lichkeit behandelt.Auf der Ebene der konkreten Organisation haben wir ei-nen erhöhten Steuerungsbedarf, wir haben teilweiseKonkurrenzen, wir haben z.T. aber auch die Möglichkeit,Projekte zu betreiben, die wir vorher nicht betreibenkonnten, und wir haben die Möglichkeit, ganz vieleMenschen in die Arbeit zu integrieren.Wir haben also po-sitive und negative Effekte auf der konkreten Ebene.Wirhaben dann die gesellschaftliche Ebene mit dem Effekt,dass hier offensichtlich sozialpolitische Überlegungenreinspielen in ein Feld, das bisher bürgerschaftlichesEngagement war,wo der Staat sich rausgehalten hat,undwo jetzt mit bestimmten Programmen versucht wird –etwa im Bereich der Straffälligen, im Bereich der Sozial-hilfe – Einfluss zu nehmen. Ich glaube nicht, dass wir esdurchhalten werden, weiterhin einfach nur Unterstüt-zung zu geben an Menschen, ohne dass wir auf der an-deren Seite Druck ausüben, dass sie arbeiten. Das ist jamittlerweile auch gesellschaftlicher Konsens.Die Politik hat Ehrenamtlichkeit als Steuerungsfunktionentdeckt und benutzt sie auf verschiedenen Ebenen.Unddas bringt uns in Schwierigkeiten. Der Begriff istschwammiger geworden. Ehrenamtlichkeit hieß früher,ohne Geld zu arbeiten. Das heißt es heute nicht mehr. InEhrenamtlichkeit stecken jetzt verschiedene Formen ver-steckter Bezahlung und gekoppelt mit den Arbeitsbe-schaffungsmaßnahmen ist hier ein spezieller Arbeits-

markt entstanden,in dem verschiedene Formen von frei-williger und bezahlter Arbeit auf unterschiedliche Artund Weise kombiniert werden. Und es ist nicht klar, werhier wem nützt. Sondern das ist ein sehr verwobenerProzess, der noch sehr wenig beschrieben ist.

O< Ich würde gerne etwas sagen zu diesem Absinkenin die Ehrenamtlichkeit, wie man räumlich gesehen sa-gen könnte.Sie sinken aber nicht in die Ehrenamtlichkeitab,sondern in die »Freiwilligkeit«.Ehrenamtlich ist näm-lich aus der Verwaltungssicht ganz klar beschrieben indem Gesetz von 1978 über die Aufwandsentschädigun-gen für Bürgerdeputierte. Dort ist eben Ehrenamt nichtunentgeltlich,sondern Ehrenamt ist entgeltlich,und zwarin zig Kategorien. Und als letztes aus dieser Zeit hat sichwirklich dieser 50-Mark-Schein für die Ehrenamtlichkeitim sozialen Bereich, sprich Sozialkommission, erhalten.Diesen 50-Mark-Schein für Sozialkommissionsmitgliederbekämpfen mehr Verwaltungsleute in Berlin als Ehren-amtler in den Sozialkommissionen sind.Zurzeit wird übereine Wahnsinnsaufstockung um 10 Mark diskutiert. DerHintergrund ist schlicht folgender: Diese 152.000 Markz.B. für den Bezirk Marzahn kommen aus dem Personal-haushalt des Bezirksamtes. Sie sind also ein Haushalts-posten und als solcher zu planen. Und da gibt es eineAnweisung des Senats über den ehrenamtlichen sozialenDienst im Land Berlin und dort gibt es sogar Schlüssel-zahlen. Es heißt: 4.000-5.000 Einwohner haben eineSozialkommission von fünf bis sechs Leuten,fünf kriegen50 Mark, einer kriegt 170 Mark. Das muss man wissen,wenn man mit so einem Verwaltungsmenschen wie mirdann redet und ich eben sage, o.k., wir könnten eineMaximalausstattung im Bezirk haben, also 4.000 Ein-wohner macht 142.000:4. Dann könnten wir aber aucheine Minimalausstattung haben – 142.000:5. Dann ha-ben wir immer noch 152.000 Mark, die stückeln wir auf.Mehr ehrenamtliches Engagement im Bezirk können wiruns nicht leisten.

Wagner: Ich bin Ihnen äußerst dankbar für das, was Siejetzt gesagt haben,weil Sie einen Teil dessen,was ich vor-her versucht habe,theoretisch zu sagen,praktisch unter-legt haben.

Vorrednerin: Und jetzt geht die Tür auf und Frau...kommt rein und sagt, bei mir arbeiten aber Ehrenamt-liche. Dann sage ich, bei Ihnen arbeiten Freiwillige, ausmeiner Sicht. Und für die kann ich Ihnen nichts geben.Ehrenamtliche gibt es nur bei mir. Und die werden alledrei Jahre von der BVV gewählt.Das ist Verwaltungsrechtseit 1978.Das Leben ist zwar mit Riesenschritten weiter-gelaufen,aber das Gesetz ist da.Und an das habe ich michzu halten.Wenn einer versicherungspflichtig Schaden hatoder anrichtet,spielt das eine ganz große Rolle.Das kannsich keiner vorstellen, der diese Tortur noch nicht erlebthat. Nachbarin geholfen, auf die Schnauze gefallen –Pech gehabt. Nachbarin im bezirklichen Auftrag gehol-fen – Arbeitsunfall.

Wagner: Wir haben uns bei dieser Untersuchung genauüberlegt, wonach wir fragen sollen.Wir haben uns dannfür den, aus Ihrer Sicht falschen, aber aus unserer Sichtrichtigen Begriff der Ehrenamtlichkeit entschieden, weildas der Begriff ist, der in aller Munde ist. Wenn ich die

25Wer hilft hier wem und warum?

Oma an der Ecke frage,die ein Nachbarschaftscafé macht,was machen Sie da, dann sagt die, da arbeite ich ehren-amtlich. Und dann interessiert die überhaupt nicht, wasdie Verwaltung definiert. Sie haben aber sehr deutlichaufgezeigt,dass der Staat hier offensichtlich Steuerungenvornimmt, die sehr weitgehend sind und dass wir einfürchterliches Begriffsdurcheinander in dem Bereich ha-ben und deswegen große Schwierigkeiten, das zu be-schreiben.

O> Das ist aber nur ein kleiner Ausschnitt. Das andereist die Scheinselbständigkeit.Ich denke,wir können jetztebenso von der Scheinehrenamtlichkeit sprechen.Ich ha-be das selber mitgemacht in diesem Jahr,als im April/Maidie Unsicherheit immer größer wurde, was mit den klei-nen Honorarempfängern wird,die den Yogakurs oder wasauch immer machen. Wir haben ein Formblatt ent-wickelt, haben Aufwandsentschädigungen für ehren-amtliche Mitarbeiter gemacht,haben uns sachkundig ge-macht, 200 Mark im Monat ist das Maximum, haben unsbei der Kasse erkundigt und bei der Sozialversicherung.Wir haben also vormals kleine Honorarempfänger um-getütet in Ehrenamtliche,aber das hat natürlich mit demCharakter ihrer Arbeit gar nichts zu tun. Dann kommtnatürlich die Frage, Moment mal, der eine bekommt 194 DM – das geht nicht.Wenn,dann kann man nur pau-schal 200 Mark schreiben,weil 194 Mark auf ein geregel-tes Honorar hindeuten.Da war die nächste Frage die nachder Bemessungsgrundlage. Man muss in der Schubladedas eigentliche System haben, wie man jemanden ent-lohnen will, und muss es dann übersetzen in eine Auf-wandsentschädigungspauschale. Was jetzt die Bundes-regierung beschlossen hat, wird das natürlich noch be-schleunigen. Denn es werden viele sagen: das ist dochwunderbar für mich, da brauche ich das auch nicht demFinanzamt zu melden. Also laufen alle jetzt bei uns indiesem Limit unter Ehrenamtlichkeit.Das ist vielleicht ei-ne Randgeschichte dieser ganzen Debatte, aber sie zeigtnatürlich auch so eine Vergewaltigung dieses Begriffes.

O< Zur Definition von Ehrenamtlichkeit würde ich auchgerne etwas sagen.Unser Theater hat über 40 ehrenamt-liche Mitspieler und Mitspielerinnen,alle über 50 bis weitin die 80.Wir werden hauptsächlich finanziert aus diesemTopf »Erfahrungswissen nutzen«, der ist wahnsinniggekürzt worden, das Projekt ist auch um ein Drittel ge-kürzt worden. Diese Spieler waren immer ehrenamtlich.Jetzt kam der Senat zu Besuch vor anderthalb Jahren undsagte,diese Spieler haben doch unheimlichen Spaß.Undeigentlich werden die doch fachlich angeleitet. Sie sinddoch theaterpädagogische Kräfte, oder? Und die zahlenkeine Kursgebühr? Eigentlich müssten sie doch für jedeProbe eine Kursgebühr bezahlen, die werden angeleitet,erhalten eine gewisse Qualifizierung. Ich kann mir vor-stellen,wenn man hier 5,6,7,8,10 Jahre spielt,dann wer-den doch Spielfähigkeiten besser, das ist doch wie eineSchulung.Da hat er schwer argumentiert und meinte,diebekommen auch noch Aufwandsentschädigungen beidieser qualifizierten Schulung. Da habe ich gesagt: dasspielen sie ja selber ein, so ein Auftritt kostet 335 Markpro SpielerIn. Na, das war ja nun völlig falsch. Also dieEintrittsgelder sollten massiv erhöht werden,eingespieltwerden sollten Sachmittel, Personalmittel, Geschäftsbe-dürfnisse des Projektes und außerdem sollte dann eben

eine Kursgebühr für die ehrenamtlichen Leute erhobenwerden. Und als wir gesagt haben, wir spielen fast 150-mal in einem Jahr,es ist nicht immer nur freiwillig,es sindVerpflichtungen,wenn eine Tournee oder ein Auftritt an-genommen werden, da werden Geburtstage oder diegoldene Hochzeit abgesagt, für viele wird es manchmalschon zur freiwilligen Strapaze. Es entsteht wirklich einestarke Eingebundenheit durch die Form Theater, dennwenn die Rolle ausfällt, kann nicht gespielt werden. Undin irgendwelche Seniorenheime zu fahren,die Bühne auf-zubauen, das artet schon in Arbeit aus.Aber da hält manuns entgegen, das ist eine regelmäßige Qualifizierung –die sprach ganz stark gegen uns.

O< Mir fehlt noch eine sehr wichtige Frage in der Dis-kussion. Man sollte einmal auf die Seite derjenigenschauen, die unbezahlt oder ehrenamtlich arbeiten. Mitwelchen Motiven tun die das? Daraus ergeben sich auchbestimmte Konsequenzen, was erwünschte Bezahlungoder Nichtbezahlung angeht. Und welche Erwartungenhaben die Einrichtungen,die die Leute beschäftigen? Auswelchen Gründen beschäftigen sie sie, aus Geldmangeloder gibt es auch andere Gründe – Engagement? Undwas will der Staat eigentlich mit dieser ganzen Sache?

Wagner: Ich nehme jetzt mal so eine Einrichtung wieden Mittelhof als Beispiel. Das ist eine alte Einrichtungmit alten Prinzipien und Forderungen. Ihr habt einengroßen Kern von hauptamtlichen Mitarbeitern, mit de-nen ihr bestimmte Projekte betreiben könnt. SolcheEinrichtungen hängen in der Regel ABM-Stellen nur dortein,wo sie sinnvoll sind,und benutzen ABM höchstens alsergänzende Maßnahmen.Was viele neue Einrichtungenin den neuen Bundesländern machen,die nach 1990 ent-standen sind, ist eine völlig andere Geschichte. Es gibtdort oft gar keine hauptamtlichen Mitarbeiter,oder wennes sie gibt, entstehen sie ganz spät, und zwar als Steuer-funktion der ABM- oder SAM-Stellen. Und ansonsten istdie ganze Einrichtung nur über die staatlichen Förde-rungsprogramme mit kurzen Zeittakten organisiert.Diese Einrichtungen haben ganz andere Perspektiven,haben ganz andere innere Ökonomien.

O> Für mich dreht sich die Kernfrage um die Entwick-lung einer Organisation, die soziale Arbeit betreibt. Wiestark darf sie sich abhängig machen von den jeweiligenFinanzierungs- und Realisierungsmöglichkeiten, die jaganz anderen Gesetzen folgen? Wir erleben das mit demArbeitsamt ständig. Wir haben auf der einen Seite dieStrukturpolitik unserer Einrichtung im Kopf – währenddie aber Arbeitsmarktpolitik im Kopf haben. Es ist einständiges Aushandeln, aber manchmal geht man auchKompromisse ein, womit man sich vielleicht schon auf eine Seite begibt, die dem gar nicht mehr förderlich ist,was man eigentlich betreiben will. Das ist, so glaube ich,bei allen Programmen eine Frage, die man sich sehr ge-nau angucken muss.Wo ist die Grenze erreicht,bei der daseigene Ziel verwässert wird?

Wagner: Ich würde gerne noch einmal unsere Diskus-sionspunkte sammeln. Das eine wäre das, was du jetztangesprochen hast. Was machen diese Programme aufder Organisationsebene, also in den Projekten? Auf wel-che Logik lassen wir uns da ein, ist das immer gut, ist das

nicht gut oder wie gut ist das? Wollen wir das als Verbandder Nachbarschaftsheime überhaupt, was die Teilnahmean bestimmten Programmen politisch und gesellschaft-lich beinhaltet? Passiert hier unter Umständen gesell-schaftlich etwas während wir konkret arbeiten, was un-seren Zielen entgegen läuft? Und für mich wäreaußerdem die Frage, was ist freiwillige Arbeit oder eh-renamtliche Arbeit,brauchen wir unter Umständen neueBegriffsdefinitionen, müssen wir uns anders strukturie-ren, um dieser Offensive des Staates in der Freiwilligen-tätigkeit Herr zu werden,oder sind wir schon längst über-rannt? Oder ist das eine Chance, die wir nutzen können,die uns völlig neue Einflussmöglichkeiten bietet? Gehen wir noch mal auf die Organisationsebene.Mir sindProjekte bekannt, die nie ABM-Finanzierung haben.Undmir sind auch Projekte bekannt, wo man sich nach derSalami-Taktik seine Grundsätze verstümmelt hat. AmEnde waren sie dort,wo sie nie hin wollten.Was sind IhreErfahrungen? Gibt es Rezepte oder Ratschläge, die manweitergeben kann?

O> Ich habe keine Ratschläge,aber ich habe eine Fragezu der 630-Mark-Diskussion.Ich bin ein absoluter Gegnerdieser Jobs, weil hier ein Ausbeutungsmechanismus in-stalliert wird.Wenn man aber dann wieder sieht,dass so-ziale Projekte darauf angewiesen sind, weil Leute sonstihre Arbeit verlieren, dann ist das eine zweischneidigeSache.Denn dieser Ehrenamts- oder Freiwilligkeitsbegriffist ja denjenigen, die diese Arbeit machen wollen, erstmal schnurz.Die Frage nach der Aufwandsentschädigungist für mich erst dann relevant,wenn es darum geht,dassdahinter eine weitgefächerte öffentliche Arbeits- oderSozialverwaltung steht, um abzulenken vom Arbeits-marktproblem. Ich halte diese Aufwandsentschädigungnicht für ein Mittel, um Ehrenamt zu belohnen oderEhrenamt den richtigen Stellenwert zu geben, sondernfür mich ist das einfach ein Mittel, um Statistiken zu be-reinigen.

O> Ich glaube, es geht um mehr als um Statistiken beider Aufwandsentschädigung. Man wird kaum Ehren-

26 Wer hilft hier wem und warum?

amtliche finden, die im klassischen Sinne ehrenamtlicheArbeit machen, die direkt angelockt würden von einerAufwandsentschädigung von 50 Mark. Alles andere sindja verkappte ehrenamtliche Tätigkeiten, also alles, waswir uns als Hilfskonstruktionen gedacht haben, hat mitdem eigentlichen Thema nichts zu tun. Dafür dassMenschen soziale Arbeit machen möchten, haben siepersönliche Motive.Und wenn man denen dann sagt, dusollst aber für die Blumen,die du jemandem ins Kranken-haus mitnimmst, noch ein paar Mark als Kostenerstat-tung im Monat erhalten, dann geht es wirklich nur umKostenerstattung und nicht um eine Art von materiellerEntlohnung.Der andere Punkt bezieht sich auf deine Ausgangsfrage:Wir sind angetreten, um mit Hilfe solcher Programmewie ABM,unsere Arbeit besser,also umfangreicher,tun zukönnen, neue Projekte damit zu eröffnen. Im Laufe derZeit sind wir an den Punkt gekommen, dass heute dieHälfte unserer ABM-Kräfte gar nicht Leute sind,die unse-re Aufgaben im engeren Sinne machen, sondern es sindHandwerker, Köche usw. Und da stellt sich das Problemdann plötzlich ganz anders. Jetzt sind es also nicht nurdiejenigen, die unsere Facharbeit unterstützen, sonderndie ABM-Kräfte sind selber ein Teil des Problems.Wir ha-ben plötzlich einen neuen Arbeitszweig,der da heißt,mitMenschen,die von Langzeitarbeitslosigkeit geprägt sind,ein sinnvolles Beschäftigungs- und Qualifizierungspro-gramm zu entwickeln. Damit ist etwas entstanden, waswir gar nicht so beabsichtigt hatten. Für Einrichtungen,die in größerem Umfang solche Maßnahmen durch-führen, kommt sicher auch der Aspekt zum Tragen, dassdie Mittel reichlicher fließen, wenn sie Qualifizierungs-konzepte entwickeln. Beschäftigung und Qualifizierungwird ein eigener originärer Arbeitsbereich.Etwa 80% derLeute,die bei uns auf diese Art beschäftigt sind,haben wirnicht gewonnen aufgrund von Bewerbungsgesprächen,sondern weil sie sich bereits vorher aktiv um eine Stellegekümmert hatten und wir ihnen dann geholfen haben,dass sie die Zuweisung vom Arbeitsamt bekommen ha-ben.Das berührt die Frage der Freiwilligkeit.Es gibt ja ei-nen Zwang, sie müssen die ABM-Stelle, die sie zugewie-sen bekommen, annehmen, sonst verlieren sie ihren An-spruch. Diese 80%, von denen ich sprach, kommen aller-dings zu uns, weil sie gerne ihre Tätigkeit machenmöchten.Das ist ein Aspekt, der dem Ganzen doch einenCharakter von Freiwilligkeit gibt.

Wagner: Was du sagst, zeigt sehr gut die Doppelseitig-keit dieser Programme. Es ist in vieler Hinsicht sinnvoll,etwas zu tun, wenn staatliche Förderungen da sind –warum nicht. Das Problem ist aber, dass man das in derRegel nicht mit der Zielsetzung Qualifizierung und sozia-le Absicherung macht, sondern man will z.B.Jugendpro-jekte, einen Jugendzirkus machen. Und stellt auf einmalfest, man hat zwar seit fünf Jahren einen Jugendzirkusgemacht,aber man hat gleichzeitig angefangen,auch et-was ganz anderes zu tun.Und jetzt muss man das verän-dern.Und dann verändert sich die Institution.Auf der an-deren Seite gibt es dann in der Gesellschaft noch einmalverändernde Momente. ABM-Stellen werden ja nichtnach Notwendigkeit eingerichtet, ein ganzer Teil derKofinanzierung und anderer Sachen wird auch über sogenannte Blockverteilung gemacht. Wir hatten z.B. inBerlin zeitweise die vier »Grafschaften« Nord, Süd,West,

Ost, die Steuerstellen also, d.h. der Staat hat gar kein In-teresse, viele kleine Träger zu haben, die mal eine ABM-Stelle haben, weil der Steueraufwand unheimlich hochwird.Das ist eine Sache, auf die wir in den Untersuchungengestoßen sind, dass die Leute uns gesagt haben: wir wa-ren alle arbeitslos und dann haben wir uns überlegt, derKindergarten bei uns im Dorf ist geschlossen,wir könnenvielleicht eine ABM-Stelle kriegen und den Kindergartenwieder aufmachen. Dann sind sie zu den Steuerstellengegangen,da haben die gesagt:also mit einer Stelle kön-nen wir Ihnen nicht helfen,wollen Sie nicht zehn haben?Und dann haben die gedacht,es ist Weihnachten und ge-fragt, wieso zehn? Dann sagten die, wir fördern Projekteerst ab zehn Stellen. Die Leute hatten eine Vorstellung,was sie für ihr Dorf, für ihr Wohngebiet wollen. Und jetztgeht eine Beratung los,getrieben von den Interessen derSteuerungsstelle, wie kann ich zehn Stellen loswerden,damit ich von meinem Stundenkontingent, das ich ver-brauchen muss, möglichst viel wegkriege. Und jetzt be-ginnt etwas sich zu verändern. Die Leute finden dasnatürlich erst mal gut,weil sie gedacht hatten,wir habenalle keine Arbeit, da kriegt einer eine Stelle und zehn ar-beiten ehrenamtlich.Und auf einmal taucht die Perspek-tive auf, zehn kriegen eine Stelle und einer arbeitet eh-renamtlich, das ist wesentlich besser. Es gibt also einBeziehungsnetz zwischen den Projekten und den staat-lichen Stellen, das man nicht unterschätzen darf.

O> Vielleicht kann ich das noch unterfüttern. Im Be-reich des Arbeitsamtes Süd-West z.B.werden für das Jahr2000 die gesamten ABM-Stellen vorweggeplant. D.h.jetzt kommen bereits die Rückläufe. Das ist ein Vorteil,weil man sich auf den Bedarf einstellen kann.Auf der an-deren Seite waren zu den Versammlungen nur Träger abeiner bestimmten Größe eingeladen. Und dann hat mangesagt, 5% der Plätze bleiben noch für die kleinen übrig,die werden reserviert. Das führte in diesem Jahr dazu,dass man im Frühjahr Verschiebungen vorgenommen hatzwischen ABM und Eingliederung und Lohnkostenzu-schüssen, die dann gestrichen wurden. Das macht deut-lich, dass das Arbeitsamt an einer solchen strukturiertenPlanung mit Hilfe der Service-Gesellschaften – das ist jadann noch mal eine Größe,die dazwischen tritt – großesInteresse hat. Aber das hat aus meiner Erfahrung nur ei-nen Sinn, wenn man dieses Instrument auch langfristigsinnvoll einsetzen will. Kleine Einrichtungen, die ihre so-zialpolitischen Ziele verfolgen und nur nebenher dasInstrument der Beschäftigungsförderung nutzen, müss-ten ihre Bedarfsanmeldung delegieren an eine Organi-sation, die auch kontrolliert ist vom fachlichen Ziel, wieetwa die sozial-kulturellen Zentren.Wenn es in die Rich-tung ginge, sähe ich darin einen Sinn.

O< Aus der Not heraus haben wir in Marzahn undHellersdorf bereits so einen Versuch gestartet, der zwarnoch nicht in der Praxis existiert,aber mit Arbeitsamt undService-Gesellschaft abgestimmt ist.Wir sind anerkanntals Beschäftigungsträger vom Senat,werden für den Club74 in Hellersdorf, das ist auch eine Nachbarschaftsein-richtung,ergänzend ABM-Stellen beantragen.Wir habenerst mal positive Signale von allen Stellen erhalten. Undich denke,so eine Zusammenarbeit ist notwendig,weil esüberhaupt nicht mehr möglich ist für einen kleinen Trä-

ger, der vielleicht vier oder fünf ABM-Stellen hat, diesenganzen Verwaltungsaufwand zu beherrschen,die Qualifi-zierung abzusichern und letzten Endes auch die Quali-tätsstandards einzuhalten.

O< Bei den großen Beschäftigungsträgern ergibt sichu.U.das Problem,dass die Arbeit nicht wirklich mit Inhaltgefüllt ist. Die haben eine große Menge von ABM-Kräf-ten,ich weiß das aus eigener Erfahrung,weil wir mit zweiBeschäftigungsträgern Kontakt haben, die dann Händeringend bei uns anrufen und sagen, könnt ihr uns zweiLeute abnehmen. Und das ist für die Betroffenen über-haupt nicht gut.Wir haben das zweimal probiert und esist nicht gut gelaufen. Im Unterschied zu den Leuten, diewir selber beschäftigt hatten, sind die anderen dann beiuns nicht richtig drin, weil sie nur delegiert sind und anbestimmten Tagen aber noch beim Beschäftigungsträgerihre Zeit verbringen. Sie sind eigentlich nirgendwo sorichtig integriert und können sich nicht identifizieren mitder Arbeit.Wenn das nicht auf eine bestimmte Aufgabebezogen wird, für die tatsächlich Leute gebraucht wer-den,dann ist das wirklich eine ganz blöde Richtung,in diedas geht. Die Beschäftigungsträger wiederum braucheneine möglichst große Anzahl von ABM-Kräften, um ihreeigenen Regiestellen zu finanzieren. Das wird dann einSelbstlauf.

O< Wir haben Erfahrungen gemacht mit einem Projekt,das eine große Gesellschaft geplant hat und durchführt.Da kommen auch Arbeitsinhalte mit ins Spiel, wo ich sa-ge,das ist kontraproduktiv zu dem,was wir machen wol-len. Das Projekt bietet an, Kinder vom Kindergarten ab-zuholen. Unsere Arbeit in dem Bereich sieht so aus, dasswir Freunde oder Nachbarn vernetzen,wenn es Engpässeoder Probleme gibt.

Wagner: Das ist ein Problem,das es in der Organisation,in der ich Verantwortung trage, auch gibt.Wir haben einQualifizierungsprojekt, wo wir z.B. Leute haben, die ma-chen als Qualifizierung Vorlesen für Kinder in Kranken-häusern.Ich bin da immer ganz gespalten.Das als Qualifi-zierung zu bezeichnen, ist irgendwo schon tragisch.Jedenfalls tauchen eine Menge Projekte auf, die nichtsinnvoll sind.

Vorrednerin: Ich hatte das weniger auf die Qualifizie-rung bezogen als auf einen Arbeitsinhalt,wo ich sage,derschafft Abhängigkeiten, statt Leute bei ihren Problemenzu unterstützen, selbständig zu werden. Und das ist eineganz fatale Tendenz in solchen Projekten. Wenn wir sa-gen, wir möchten Nachbarschaftlichkeit fördern, danngehört für mich dazu, in der Kita Bescheid zu sagen, ihrmüsst euch kümmern, da gibt es ein Problem mit denSchichten, könnt ihr nicht Eltern ansprechen, ihr wisst,wer da in der Nähe wohnt oder welche der Kinder be-freundet sind.Diese Netze aufzubauen,die oft nicht mehrso von alleine funktionieren, das ist die Aufgabe, undnicht einen Service anzubieten, der die Leute abhängighält.Wenn das Projekt zu Ende ist oder gerade mal Finan-zierungspause ist für sechs Monate, ist dieses Netz näm-lich nicht da, aber die Gewöhnungseffekte der Service-Einrichtung halten sich.Sie zerstören eine Chance,Bezügeuntereinander und Verbindlichkeiten aufzubauen. Dashalte ich für etwas Wichtiges in einer großen Stadt.

27Was wollen die Kunden?

O> Wir haben in relativ kurzer Zeit eine Wachstums-und Entwicklungsphase hinter uns gebracht, und es ent-stand die Frage, wie können wir für uns Methoden undVerfahren entwickeln um festzustellen,stimmt die Quali-tät unserer Arbeit, und wie können wir aus dem, was wiran Defiziten und auch an Entwicklungsmöglichkeitenfeststellen, eine Strategie für die Zukunft ableiten, malüber das hinausgehen, was reine Existenzabsicherung,reine zahlenmäßig messbare Weiterentwicklung angeht.Also zu ermitteln,was die spezielle Qualität unserer Leis-tung ist, die uns auch gegenüber Mitbewerbern oderstaatlichen Anbietern als die Besseren dastehen lässt.

Georg Zinner: Spezielle Qualität als freigemeinnützigerund nachbarschaftsorientierter Verein, ja?

O< Das Wort,das für mich ganz wichtig war,war Stan-dard.Was ist für uns Standard? Legen wir einen fest, in-wieweit lässt er sich definieren?

O< Bei uns in der Kindertagesstätte gibt es schon regeZusammenarbeit mit den Eltern oder auch den Versuch,ihre Ideen als Mitwirkung in unser Konzept einzufügen.Trotzdem bin ich hier in der Annahme, dass es auch nochneue Anregungen gibt.

O< Ich erhoffe mir einen theoretischen Hintergrund fürmeine Öffentlichkeitsarbeit.

O< Unsere Nachbarschaftshilfen im Landkreis haltensich für bedarfs- und angebotsorientiert. Und wir habenneulich eine Umfrage unter 1.000 Senioren im Landkreisgestartet, um herauszukriegen, ob die Angebote an un-sere Alten und Kranken tatsächlich den Bedürfnissen unddem Bedarf entsprechen. Und da sind überraschendeErgebnisse herausgekommen.Ich verspreche mir hier vondem Austausch einige neue Aspekte.

O< Für mich geht es um die Verbesserung der Zusam-menarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamt-lichen innerhalb der Einrichtung, denn Ehrenamtlichesind ja auch Kunden.

O< Wir diskutieren gerade in der Landesgruppe und imVorstand des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit dieFrage von Förderkriterien und qualitativen Merkmalenfür Nachbarschaftseinrichtungen. Die Diskussionen füh-ren wir jetzt schon eine ganze Weile und ich habe heuteden Wunsch, zu lernen und mich anregen zu lassen, ausanderen Einrichtungen was mitzunehmen. In der ufa-Fabrik selber sind wir auch gerade dabei, über Kunden-orientierung zu reden.Und meine These ist,dass Kunden-orientierung unumgänglich ist, weil es interne und ex-terne Kunden gibt, also die eigenen Mitarbeiter zählenfür mich z.B. auch zu unseren Kunden – sowohl die eh-renamtlichen als auch die hauptamtlichen Mitarbeiter.Was heißt Kundenorientierung,wenn man das auf die ei-genen Mitarbeiter bezieht und wenn man das dann wei-ter bezieht auf die Menschen, die unsere Angebote nut-zen, und auch auf die öffentlichen Träger, die uns finan-zieren und von uns ja auch ganz klar Rechenschaft ver-langen? Oder auch die gesamte Öffentlichkeit, die vonuns erwartet,dass wir ihnen klar machen,ob wir das,wassie von uns wünschen und wollen, auch umsetzen. Dassind so die Stichpunkte, die für mich heute von Interessesind.

O< Ich erhoffe mir Anregungen für die Praxis und fürdie Öffentlichkeitsarbeit.Wir sind bislang ein sehr jungesHaus,wir sind vor kurzem 7 Jahre alt geworden.Und es istso, dass wir sehr bedarfsgerecht und kundenorientiertwaren in der Anfangszeit, was jetzt immer schwierigerwird durch die knapper werdenden Mittel oder durch garkeine Mittel mehr in dem Bereich. Wir haben jetzt dasProblem, dass wir die Kursgebühren nicht so gestaltenkönnen, dass wir bestimmte Sachen aufrecht erhaltenkönnen. Deswegen würde mich einfach mal interessie-ren, wie ist das in anderen Bereichen oder anderen Ein-richtungen.

O< Ich erhoffe mir auch Anregungen und neue Ideen.Unser Projekt ist auf zwei Jahre begrenzt, ein Jahr ist be-reits ins Land gegangen und zurzeit überlegen wir,wie esweitergehen kann nach Beendigung der EU-Förderung,vielleicht etwas anderes auf die Beine zu stellen.Und da-bei sehe ich das, was hier angegeben war, als einen sehrinteressanten Aspekt,weil wir auch in die Richtung über-legt haben, welche Möglichkeit man mit Dienstleistun-gen hat,die von den Leuten,die in dem Stadtteil wohnen,angeboten werden; das sind ja alles Dinge, die es schongibt, z.B. Tauschbörsen. Dass man da einfach mal guckt,was gibt es für Möglichkeiten, was machen andere Ein-richtungen bereits und wie ist der Bedarf.

O> Wir haben breit gefächert in der Kinder- undJugendarbeit, in der Seniorenarbeit, in der Selbsthilfe-tätigkeit viele Gruppen und Maßnahmen aufgebaut. Ichhabe den Eindruck – sechs Jahre mache ich das jetzt –

dass man ein bisschen auf der Stelle tritt und dass wir imeigenen Saft schmoren.Deshalb ist es natürlich sehr gün-stig, wenn man hier im Rahmen eines solchen Erfah-rungsaustausches viel Neues hört, was man in seine ei-genen Zusammenhänge einbauen kann.Unser Haus ist inMarzahn-Nordost, das ist so am letzten Ende, im nord-östlichen Teil von Berlin. Mein Prinzip ist, immer wiedermit den Leuten ins Gespräch zu kommen.Wir haben un-terschiedliche Methoden, so haben wir Befragungendurchgeführt, persönliche Unterhaltungen, die sehr er-giebig sind, wo man tatsächlich hört, dieses und jenessollte man machen. So ist bei uns das ganze Feld derStadtwanderungen und Spaziergänge geboren worden,dass wir ganz Berlin erschließen,das kommt sehr gut beiunseren Senioren an, weil das kundenorientiert ist. Undso versuchen wir immer, Schritt für Schritt den Bedarfweiter zu erfassen.

O< Wir wollten das Besondere von uns herausstellen.Ein wichtiger Punkt ist immer wieder,bürgernah,flexibelauf den neuen und vorhandenen Bedarf einzugehen.Undmeine Frage ist,wie kann ich diesen Bedarf,die Wünsche,die da sind, auch institutionalisiert ermitteln; nicht nursporadisch durch die einzelnen Mitarbeiter, die subjektivhören und entscheiden. Wie kann ich da ein systemati-sches Verfahren in der Institution aufbauen? Und wie be-werte ich dann diesen Bedarf, wie setze ich den um undwo sage ich auch ganz klar nein, hier will ich diese Wün-sche und den Bedarf gar nicht dulden, weil sie nicht insKonzept passen.

O> Mich haben bei der Arbeitsgruppe die StichworteKunde und Qualität angesprochen.In meiner beruflichenTätigkeit interessiert mich das seit längerem und ich bingespannt auf das,was hier kommt.Und ich finde es span-nend, ich habe dieses Heft vom Verband angeguckt zuden Qualitätsmerkmalen, gerade die Formulierung Zu-sammenarbeit mit Ehrenamtlichen finde ich noch ver-besserungswürdig.

O< Ich bin viele Jahre schon im Nachbarschaftshaustätig und für mich ist die Frage wichtig,was bieten wir an,entspricht das dem, was unsere Klientel möchte, wie fin-de ich Wege, das Angebot entsprechend zu gestalten.Zum anderen hat es in Bremen einen Wechsel gegebenvor einigen Jahren, dass die Nachbarschaftshäuser bzw.Bürgerhäuser einem anderen Ressort angegliedert wor-den sind, und zwar sind wir von Soziales zu Kultur ge-wandert mit einer anderen Ressort-Chefin. Und mit einem Mal ist es so,dass wir,die wir uns mehr verstandenhaben als eine soziale Einrichtung, auf einmal mehr ge-fordert sind, und zwar wegen des Zuschusses, unsereKundenorientierung und unsere Fähigkeiten dem Bürgergegenüber mehr darzustellen.

Zinner: Es geht also darum, dass der Zuwendungsgebersagt, ihr sollt mehr sozial-kulturelle, mehr kulturelle An-gebote für die Bevölkerung vorhalten, nicht so sehr klas-sische Sozialarbeit machen.

O< Mir geht es auch um Begrifflichkeiten, also welcheQualitätsstandards entwickeln wir für Nachbarschafts-einrichtungen und wie weit sind sie vergleichbar, nurdann haben sie einen Sinn. Und wie kriegen wir diesen

Was wollen die Kunden?Zur Qualität bürgernaher sozialer DienstleistungenStandards freigemeinnütziger bürger- und kieznaher sozialer Dienste inAbgrenzung zu obrigkeitlich organisierten staatlichen Leistungen auf der einenund gewerblich-kommerziellen Angeboten auf der anderen Seite

mit Georg Zinner, Berlin

28 Was wollen die Kunden?

Vergleich geregelt. Als zweites haben wir Probleme mitdem Begriff »Kunde«, der Kunde als das große Einkaufs-potenzial.Aber wer kauft sich bei uns ein oder nicht, alsowir haben Schwierigkeiten mit diesem Begriff,wir sagenBesucherIn oder NutzerIn und nicht Kunde.

Zinner: Ich habe schon darauf gewartet, dass das jetztendlich mal jemand sagt.

Vorrednerin: Und dann geht es uns auch um Marktana-lyse,wir sind auch im Projekt ProBE,haben da eine MengeBefragungen unserer Ehrenamtlichen und NutzerInnendurchgeführt,und wir sehen Ehrenamt nicht nur als Kun-den, sondern eben vor allen Dingen auch als Kundenbe-friediger. Wie erreichen wir die Anerkennung dieserArbeit, das wäre für mich noch eine Frage.

O< Was mich angesprochen hat, waren die drei Be-griffe Kunde, Qualität und Standards. Und die Frage, obman in einer Einrichtung,die ein so wahnsinnig breit ge-fächertes Angebot hat wie ein Gemeinwesenzentrumoder Nachbarschaftsheim, überhaupt Standards festle-gen kann für die Arbeit.Bei uns liegt der Schwerpunkt aufder sozialen Beratung von ganz vielen Kunden, die wirk-lich sonst durch alle Beratungslücken fallen,weil sie ebeneine sehr vertraute Atmosphäre und eine sehr persönli-che Beratung, bis hin zur Betreuung, brauchen, und zwarim Wohngebiet, also ganz nah, auch mit vielen Ängstenrauszugehen, bis hin zu den BerufsrückkehrerInnen, dieich im Projekt habe,die oft ganz anders in die Welt gehen,sehr viele Anregungen aufnehmen können. Und in die-sem breiten Feld Standards festzulegen, finde ich sehrschwierig.Darüber würde ich gerne mit anderen Einrich-tungen diskutieren.

O> Was mich bewegt hat,sind Dinge,die wir in Diskus-sionen an mehreren Stellen in den letzten Wochen ge-merkt haben. Das eine ist, egal mit wem man spricht, al-so wer auf dem Gebiet tätig ist, der engagiert sich ja ei-gentlich, um das Leben der Menschen lebenswerter zugestalten.Und deswegen reizt mich diese Diskussion,woauch eine Abgrenzung/Überschneidung stattfinden kannzwischen den Dienstleistern, von kommunalen Anliegenbis hin zu dem,was die Wohlfahrtsverbände machen undwas freie oder private Anbieter machen. Es gibt wirklichÜberangebote – oder es wird suggeriert,dass es Überan-gebote gibt. Daraus ergibt sich dann immer wieder dieFrage der Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage.Und wenn es hier um Angebote geht,entsteht wieder dieFrage der Flexibilität,also wie schnell sind wir in der Lage,Angebote,die sich jahrelang etabliert haben,mit neuemBedarf und neuen Erwartungen zu vereinbaren. Darausentsteht dann die nächste Frage: Wenn wir Angeboteweiterentwickeln oder verändern,wo setzen wir da Prio-ritäten? Haben wir nachgefragt bei den Leuten oder ma-chen wir es,weil es eben Geld gibt dafür? Oder weil es et-was sein kann, wo man wieder die Existenz der Einrich-tung abfedern kann? Das hängt auch mit der Profilbe-stimmung der Einrichtung zusammen.

O< Für uns im Ministerium ist wichtig zu sehen,ob das,was wir tun oder versuchen, auch wirklich da ankommt,wo wir es haben wollen bzw. die Rückmeldung zu be-kommen von unten,ob es wirklich die Probleme löst und

angeht, die da gesehen werden. D.h. wir nutzen solcheVeranstaltungen wie diese als Information und als Aus-tausch.

Zinner: Das ist dann die Kundenfreundlichkeit des Minis-teriums.Schön, dass Sie da sind.

O> Als Kommunale Gemeinschaftsstelle haben wir einneues Steuerungsmodell entwickelt für die Kommunen.Die Kollegin aus Frankfurt hat eben so was beschrieben,Kontraktmanagement in sozial-kulturellen Einrichtun-gen. Das ist Bestandteil von dem Versuch, strategischeSteuerung in den Kommunen zu etablieren,vor dem Hin-tergrund, die knapper werdenden Mittel halbwegs ver-nünftig einzusetzen, vor allem im breiten Konsens mitKunden.Es gibt mittlerweile einige Gesetzesänderungen,die jetzt auch von vielen sozial-kulturellen Einrichtungenverlangen, dass sie in ihrem Kontrakt selbstbestimmtestrategische Ziele darstellen und Controlling machen.Diestärkere Zielorientierung, auch in der sozial-kulturellenArbeit, führt letztlich dazu, dass auch die Effizienz derArbeit verbessert werden kann. Wir selber haben zuQualitätsmanagement verschiedene Arbeiten vorgelegt,die eine sehr starke Rollendifferenzierung von Kundenund auch von Mitarbeitern ergeben haben. Auch dieInvestoren werden als Kunden in der Stadt angesehen.Dann gibt es die hoheitlichen Verhältnisse, die Bundes-sozialhilfegesetze.Und dann gibt es noch den Bereich derfreiwilligen Aufgaben im sozio-kulturellen Bereich, auchda sind Kunden.

O> Mein Interesse hat den Hintergrund,dass der Trägervon unserem Jugend- und Freizeitzentrum ein Verein ist,der ein soziales Netzwerk aufbauen will. Dieser Vereinhatte die Idee,ein Projekt aufzubauen,bei dem es um sol-che Dinge geht wie Aufbau von Nachbarschaftshilfe,Selbsthilfestrukturen usw. Eigentlich hätte mich unterdem Gesichtspunkt jeder Workshop interessiert, aberman muss sich ja nun mal für einen entscheiden.

O> Ich gehöre vielleicht zu denjenigen, die Kundensind.Mich interessiert in erster Linie die Arbeit mit Senio-ren.Ich leite eine Seniorengruppe und habe dadurch auchsehr enge Verbindung zum Sozialamt, zum Wohnungs-anbieter, mache Öffentlichkeitsarbeit. Wir geben eineSeniorenzeitung raus, dort arbeite ich mit.Und dort tref-fen sich manche Dinge.An einem Punkt habe ich Schwie-rigkeiten,und ich erzähle mal ein Beispiel.Wir haben un-sere Seniorengruppe gegründet, wir waren noch garnicht alle im Saal drin, da waren schon die ersten da, diemir Werbeprospekte gebracht haben. Senioren wollendoch verreisen, sie wollen ihre Wohnung umbauen undsie wollen eine neue Badewanne haben und wir machenihnen den Teppich sauber. Und ich sage immer, wenn ichmich jetzt auch um diese Dinge kümmere und wenn ichdie Interessen der Senioren vertreten will,dann muss ichüberlegen,was ist denn da eigentlich richtig.Vielfach ha-be ich den Eindruck, es geht in erster Linie um die kom-merziellen Dinge, also ums Geldverdienen. Das möchteich von hier mitnehmen,welche Erfahrungen es auf demGebiet gibt,die ich für mich im Interesse der Senioren,mitdenen ich mich beschäftige, nutzen kann.

Zinner: Jetzt müssen wir aus dem Teig einen Kuchen

backen. Ich versuche mal, meine Gedanken dazu zu ent-wickeln. Es hat ja eine Veränderung gegeben, man kannschon fast sagen – einen Paradigmenwechsel, in der So-zialarbeit,seit es Sparmaßnahmen gibt.Seither muss dieöffentliche Hand genauer überlegen,wie sie ihr Geld aus-gibt. Und da sie auch viel Geld an freie Träger gibt, fragtman die genauer als in der Vergangenheit, was sie mitdiesem Geld machen.Es gibt einen weiteren Aspekt, dender Konkurrenz. In der Vergangenheit war man als freierTräger oft allein auf weiter Flur und das einzige Nachbar-schaftsheim oder die einzige sozial-kulturelle Einrich-tung weit und breit.Heute schießen diese Einrichtungen,ich übertreibe mal, wie Pilze aus dem Boden und manmuss sich der Konkurrenz erwehren. Und auch da ent-steht der Zwang, ein besseres Angebot zu machen.Darüber hinaus haben sich viele Einrichtungen zu Träger-einrichtungen entwickelt. Also sie machen nicht nur mit1,2,3 Leuten einen Treffpunkt,machen ein paar Angebo-te, zu denen sie Leute einladen, sondern sie sind richtigprofessionelle Einrichtungen und Träger von Kinderta-gesstätten, Sozialstationen, Heimen, Selbsthilfetreff-punkten usw.geworden.Und das erfordert auf der einenSeite die Behauptung auf dem Markt gegenüber anderenKonkurrenten, die vielleicht auch gerne Träger wären,aber auch professionelle Dienstleistung und die Kunden-zufriedenheit, weil z.B. Eltern, die ihre Kinder bei uns inder Kindertagesstätte abliefern,natürlich wollen,dass ihrKind optimal betreut wird. Wenn das nicht geschieht,dann beschweren sie sich oder nehmen ihr Kind raus.Und das kann heute in Berlin für die Einrichtung zumProblem werden, weil leistungsfinanziert wird, also probelegtem Platz. Es gab in Berlin schon immer einePlatzgeldfinanzierung, aber es gibt keine pauschale Zu-wendung mehr. Wir haben im Bereich der Pflegeversi-cherung zum ersten Mal die gesetzliche Grundlage für dieNichtbevorzugung der freien Wohlfahrtspflege im sozia-len Bereich. Früher galt das Subsidiaritätsprinzip mit ei-nem doppelten Vorrang, mit dem Vorrang vor dem öf-fentlichen Träger, verbunden auch mit der Förderungdurch die öffentliche Hand.Man hat den gemeinnützigenTräger auf jeden Fall gegenüber einem anderen Träger,vor allem dem kommerziellen, bevorzugt. In der Pflege-versicherung ist das zum ersten Mal bei einem ganzgroßen Komplex auf dem Gesundheitssektor, auch aufdem sozialen Sektor, aufgehoben worden. Und jedeSozialstation muss sich heute voll und ganz der privatenKonkurrenz erwehren, hat also überhaupt keinen Wett-bewerbsvorteil. Auch da muss man sich anstrengen, umder Cleverness und der Schnelligkeit Privater entsprechenzu können. Und zum ersten Mal sind im Pflegeversiche-rungsgesetz Standards festgeschrieben und Qualitäts-sicherung wird gesetzlich gefordert.Ich springe jetzt mal zurück zu der Zeit,als ich Geschäfts-führer eines Nachbarschaftsheimes wurde. Da hatte die-ses Nachbarschaftsheim so gut wie keine Besucher mehr,aber durchaus eine auskömmliche Förderung. Das hataber weiter kaum jemanden interessiert. Ähnlich sah esauch in anderen Nachbarschaftseinrichtungen aus.Vieleder Mitarbeiter waren damit recht zufrieden.Und die Öf-fentlichkeit hat das auch nicht weiter gestört.Außer dasssie eben weggeblieben ist.Die Politiker hatten zumindesthier in Berlin noch so viel Geld in den Kassen,dass sie dasstillschweigend hingenommen haben, weil sie sich ver-mutlich gedacht haben, in unseren eigenen Einrichtun-

29Was wollen die Kunden?

gen ist es ja auch nicht anders. Es gibt eine Entwicklung,eine Dynamik in den Nachbarschaftseinrichtungen, dieheute sehr kundenorientiert arbeiten.Diese Entwicklunghat sich in den öffentlichen Einrichtungen nicht ohneweiteres vollzogen, das behaupte ich. Also, ich kenneJugendfreizeitheime in der Umgebung des Nachbar-schaftsheimes Schöneberg, wo Kinder oder Jugendlichenur ausnahmsweise hinkommen, die Mitarbeiter fühlensich dort aber durchaus wohl, jedenfalls nach außen hin.Das ist auch bekannt in den zuständigen Bezirksämtern,aber es ändert sich nichts. Da hat es also eine gegenläu-fige Entwicklung gegeben,da ist etwas passiert,was denfreien Trägern doch eher Ansatzpunkte für Veränderun-gen und Entwicklungen gibt als kommunalen Einrich-tungen. Ich sage jetzt nicht, alle kommunalen Einrich-tungen sind so wie diese Jugendfreizeitheime,von denenich gesprochen habe. Die sind die wirklich privatisiertenEinrichtungen, weil die Mitarbeiter dort ihren privatenHobbys nachgehen, in einem pflegt man Rennautos vonMitarbeitern und Freunden,da würden die Jugendlichennur stören; die Räume sind immer gerade defekt, ob dasder Computerraum ist oder sonst irgendwas.Da finde ichdas wieder, was ich auch vorgefunden habe, als ich derGeschäftsführer eines Nachbarschaftsheimes wurde.Nur,bei uns gab es eine Veränderung.Und diese Veränderungversuche ich jetzt mal zu beschreiben. Die fängt meinerMeinung nach mit Qualitätssicherung an, mit der Ent-wicklung von Standards. Ich sage: in der sozialen Arbeitoder in der sozial-kulturellen Arbeit ist das gut, was denBürgern nutzt, was konkret nützlichen Wert für sie hat,was einen Gebrauchswert für sie hat. Das war die ersteÜberlegung.

O< Nach dem Prinzip, ich weiß, was gut für dich ist?

Zinner: Nein, nicht nach dem Prinzip, ich weiß, was gutfür dich ist. Danach ist es vorher nämlich gelaufen, dasind die Leute weggeblieben. Vorher war ja die sozialeArbeit ideologisiert,im Westen jedenfalls,dass wir Sozial-arbeiter wussten,was für die Bürger gut ist,dass wir wuss-ten, das sind die armen Benachteiligten, da gab es dieberühmte Randgruppenstrategie,und wir müssen denenzeigen, dass sie sich wehren müssen unter der Führungvon uns professionellen Sozialabeitern.Nur,die Leute ha-ben das nicht verstanden. Das war ein Ausfluss der 68erBewegung.Es gab aber auch schon Ansätze,in denen sichdas konkret Nützliche niedergeschlagen hat.Eine der ers-ten Sachen war, dass man Kinderbetreuung aufgebauthat,also Kinderladen-ähnliche Betreuung,mit Eltern,dieihre Kinder nicht mehr unbedingt in staatliche Kindergär-ten geben wollten, oder Schularbeitsläden eingerichtethat, die ortsnah waren, weil man eine sinnvolle Freizeit-gestaltung am Nachmittag haben wollte für Kinder. Dahaben sich die Elemente schon wiedergefunden, ohnedass einem bewusst war, was konkret nützlich war. Undwas konkret nützlich war, das kann man unter Umstän-den auch nur herausfinden,indem man Angebote macht.Wenn keine Leute mehr kommen, wenn die Einrichtungnicht mehr bekannt ist,dann muss man ja etwas tun,umbekannt zu werden. Man macht den Versuch, irgendet-was in die Bevölkerung zu werfen und wartet dieReaktion ab um zu schauen,ist es das,was die Leute wol-len oder ist es das nicht.Und so ist es bei uns auch gewe-sen. Unser erstes Programmheft war eine DIN-A 4-Seite,

vorne und hinten bedruckt, mit Programmangebotenund Veranstaltungen,ein paar Kursen,Yoga,alles was da-mals so ein bisschen modern oder auch noch nicht be-kannt war, wo man gesagt hat, da könnte man versu-chen, das mal bekannt zu machen. Aber auch Nähkurs,was es überhaupt nicht mehr gegeben hat, Gruppenan-gebote für Kinder,was verpönt war zu der Zeit.Und sieheda, die Leute haben manche Angebote gebucht und an-dere haben sie nicht gebucht.Und so haben wir uns ran-getastet.Und auf diese Art und Weise ist dieses Nachbar-schaftsheim wieder in der Bevölkerung bekannt gewor-den.Wir haben jahrelang in einer Auflage von 12.000 –15.000 Stück in alle Hausbriefkästen der Umgebung un-ser Programm eingeworfen. Und so entstand Vertrauen.Als die Leute wussten, es ist keine Eintagsfliege, sind siegekommen. Was wir versprochen hatten, mussten wirdann auch halten. Wir haben das also etwa fünf Jahrelang gemacht und dann waren wir eine bekannte Ein-

richtung.Unser größtes Problem war,immer neue Räumezu schaffen, immer neue Finanzierungsmöglichkeiten zuerschließen, um der Nachfrage der Bevölkerung gerechtzu werden. Wir haben natürlich auch Bauchlandungengemacht, weil es bestimmte Sachen gab, die die Leutenicht angenommen haben. Aber im Großen und Ganzenwar etwas in der Bevölkerung da, das uns gezeigt hat,was die Leute sich wünschen.Und diese Wünsche habenwir aufgenommen, versucht umzusetzen.Der zweite Punkt, der wichtig ist, das ist die Öffentlich-keitsarbeit. Indem man einfach darstellt,was bietet manan, man zeigt, wer man ist, wird transparent, durch-schaubar und demonstriert Verlässlichkeit. Und diesesProgrammheft-Verteilen in der Größenordnung bis zu15.000 halten wir bis heute ein.Dann gibt es noch spezi-elle Programmhefte, etwa für den Türkischen Frauen-laden oder den Arabischen Frauenladen oder die Kinder-und Jugendeinrichtungen.Die andere Sache,die wichtig ist, ist dass man sich natür-lich seinen Stadtteil oder seinen Einzugsbereich an-schaut. Das ist Markterkundung, aber vielleicht auf eineandere Art, als man es gemeinhin betreibt. In Berlin ha-ben wir zur Zeit das Projekt Quartiersmanagement, woviel Geld reingesteckt wird, was ich als eine politischeStichflamme ansehe.Da wird schnell irgendetwas ange-zündet kurz vor den Wahlen,das soll hell leuchten.Wenndie Wahlen vorbei sind, dann wird das auch wieder auf

niedrige Flamme gestellt oder ganz eingestellt. Man ar-beitet nicht mit den bekannten und bewährten Struktu-ren,baut also die vorhandenen Strukturen nicht aus,son-dern macht ein neues Modell.Der Glanz fällt auf den Poli-tiker und er hat etwas für seine Kunden, sprich dieWähler, getan und hofft, dass er es in Stimmenzahlenummünzen kann.Was ich mir wünsche, ist, dass man hinhört, mit denLeuten spricht,aufnimmt,was die Leute wollen,und ver-sucht, das dann umzusetzen, dass man in der eigenenEinrichtung und u.U. auch mit den Mitarbeitern zusam-men Geldquellen erschließt, um dann das, was die Leutewollen, zu finanzieren. Diese Öffentlichkeitsarbeit, dieseTransparenz, dieses Hinhören, das ist sehr wichtig für je-den Entwicklungsprozess. Wenn man das nicht mehrmacht, dann bleibt man an irgendeiner Stelle stehen.Ein weiterer Punkt, der sehr wichtig ist und häufig in un-seren Einrichtungen unterschätzt wird, das sind die

Räume.Wie schauen die Räume aus, wie ist die Zugäng-lichkeit der Räume,wo sind die Räume? Die Räume müs-sen einladend sein,eine Atmosphäre ausstrahlen,die denLeuten, die reinkommen, das Gefühl gibt, hier sind siewillkommen, dass sie sich entspannen und sich freifühlen können.Die Räume müssen auch so sein,dass sichsehr unterschiedliche Gruppen dort treffen können. Unddas muss nicht teuer sein. Ein Vorwurf an das Nachbar-schaftsheim Schöneberg war lange Jahre, wir würden zuviel Geld ausgeben für schöne Räume statt für Stellen.Eshat gar nicht viel Geld gekostet,es war nur in den Köpfender Leute,dass es viel Geld kosten würde.Man kann auchmit wenig Mitteln schöne Räume gestalten. Der Ge-schmack muss sozusagen etwas neutraler sein, kannnicht extrem sein.Und die Räume müssen natürlich dannzur Verfügung stehen, wenn die Leute Zeit haben, alsonicht nur, wenn unsere Arbeitszeit ist. Auch das ist einzentraler Punkt der Kundenzufriedenheit. Ich benutzedas Wort jetzt mal, die Zufriedenheit der Bürger, von de-nen ich sage,es ist ihr Steuergeld oder auch Versicherten-geld oder sonstiges Geld,das auf irgendeinem Weg,meistüber die Politik oder die Verwaltung, zu uns kommt.Undwir sind nur Treuhänder dieses Geldes, wir sind auch nurdie Treuhänder dieser Räume,die gehören uns nicht,undwir haben die so zu verwalten,dass dieses Steuergeld op-timal zu den Bürgern zurückkommt. Das muss man imKopf haben, dass es nicht unser persönliches Eigentum

30 Was wollen die Kunden?

ist, sondern dass es von den Bürgern finanziert ist. Unddamit man die richtige Haltung oder Einstellung dazubekommt, ist dieses der Standard, den man in sich drinhaben muss, sonst nützen alle anderen Standards näm-lich nichts,wenn ich diese Haltung nicht habe.Und das istein Punkt, den nicht alle Mitarbeiter mit vollziehen kön-nen.Und die das nicht können,von denen muss man sichu.U.auch trennen.Dieser Punkt ist von zentraler Bedeutung,dass die Räumedann zur Verfügung stehen,wenn sie gebraucht werden.Da gibt es auch andere Systeme,die man nutzen kann.Esheißt ja nicht, dass bei Selbsthilfegruppen, die sich zu90% abends treffen, immer der Sozialarbeiter dabei seinsoll.Das wäre dann auch wieder nicht kundenfreundlich,wenn der Sozialarbeiter immer die Selbsthilfegruppenbeobachtet und überwacht.Sondern dann gibt man haltden Schlüssel raus.Wir haben bestimmt 200–300 Schlüs-sel an irgendwelche Gruppenverantwortlichen gegebenund es hat noch nicht einen ernsthaften Zwischenfall ge-geben. Ich weiß, wie schwer es ist, öffentliche Räume imRathaus oder in einer Seniorenfreizeitstätte oder sonst ir-gendwo zu bekommen,die Leute müssen einen Hürden-lauf machen, bis sie aufgeben. Und das ist auch so ge-wollt. Neuerdings müssen sie ja auch noch Miete bezah-len dafür,dass sie ihr eigenes Rathaus nutzen.Räumlich-keit, Öffnungszeit, hat letztlich immer was mit derEinstellung der Mitarbeiter zu ihrer Aufgabe und zurBevölkerung zu tun.Ein weiterer zentraler Punkt ist die Beteiligung. Fast allevon uns, die in Nachbarschaftsvereinen, in sozial-kultu-rellen Zentren arbeiten, haben ja als Träger einen einge-tragenen gemeinnützigen Verein.Aus vielen Gesprächenweiß ich, dass manche das als notwendige Form be-trachten. Das braucht man, weil man sonst nicht hand-lungsfähig ist. Umgekehrt gibt es viele Vorstände oderVereine, die sich nicht einmischen wollen, die sagen, dasist die Sache der Hauptamtlichen,damit wollen wir nichtszu tun haben. Beides ist eine sehr fatale Einstellung.Nachbarschaftseinrichtungen haben sehr viel mit Demo-kratie und Beteiligung zu tun oder sollten es haben.Unddas ist ein Qualitätsmerkmal,ein Qualitätsvorsprung ge-genüber allen anderen Einrichtungen.Das ist etwas, waswir bis heute zu wenig nutzen,was wir als Merkmal stär-ker in unser Bewusstsein rücken müssen, damit wir bes-ser damit umgehen. Der Verein als Träger kann in vielfa-cher Weise nützlich sein. Einmal sind das vielfach Bürgeraus dem Stadtteil,aus der Umgebung,also Leute,die sehrgut informiert sind,die Informationen zu den hauptamt-lichen Mitarbeitern tragen können. Umgekehrt ist es so,dass die Mitarbeiter den Vorstand gut gebrauchen kön-nen, weil es ab einer bestimmten Entscheidungsebenevorteilhaft ist, Konflikte nicht intern regeln zu müssen,sondern jemanden an der Seite zu haben,wenn man umGeld kämpft, wenn man mit der Politik zu tun hat oderwenn man nach außen auftritt. Diese Bürgerbeteiligungmuss sich nicht auf die formale Vereinsform beschränken,sie kann weit darüber hinausgehen und empfiehlt sichvor allem dort, wo die Einrichtungen größer werden, wosie an verschiedenen Orten sind und wo sie sehr ver-schiedene Arbeiten machen. Es ist nicht leicht, Vereins-mitglieder zu gewinnen, vor allem dann nicht, wenn dieEinrichtungen offen für jeden Bürger sind und die Bürgerwissen, sie müssen nicht erst Vereinsmitglied sein, umbestimmte Angebote wahrnehmen zu können.So soll es

bei uns ja nicht sein, so darf es auf keinen Fall sein. Damuss man dann Formen von Beteiligung entwickeln. Ichwill ein paar Beispiele nennen, wie sie sich bei uns ent-wickelt haben, von denen ich glaube, dass sie sehr wich-tig sind.Bei uns gibt es z.B.einen Seniorenrat.Die ehren-amtlichen Gruppenleiter sind es im wesentlichen,die denSeniorenrat bilden und sich alle sechs bis acht Wochentreffen, zum einen um ihre eigenen Probleme, die sie inder Gruppe oder als Gruppenleiter haben,zu besprechen.Gleichzeitig ist das so etwas wie eine Schulung von eh-renamtlichen Mitarbeitern. Damit entsteht eine Quali-tätsverbesserung der Arbeit. Oder: Es gibt in den Kinder-tagesstätten Elternvertreter, die von den Eltern gewähltund bei der Einstellung von Mitarbeitern beteiligt wer-den.

O< Das ist was Besonderes, das ist das erste Mal, dassich so etwas höre.

Zinner: Oder sie werden beteiligt bei der Aufnahme vonneuen Kindern. Und die Kriterien werden da auch offen-gelegt von der Arbeit her. Da gibt es ja auch Konflikt-situationen, warum darf der sein Kind reinbringen undder nicht.

O< Ist das ähnlich, wie es in Kinderläden, in Eltern-initiativläden läuft?

Zinner: Es gibt einen großen Unterschied zu Elternini-tiativeinrichtungen, weil dort die Eltern unmittelbareArbeitgeber der Erzieher und damit in einer schwierigenRolle sind.Diese Rolle haben die Eltern bei uns nicht,son-dern da gibt es die neutraleren Träger und die Eltern sinddie Eltern,sind viel freier und unbefangener.Wenn sie einProblem haben, können sie zum Geschäftsführer oderzum Vorstand gehen und sich beschweren.

O< Aber das ändert sich ja zurzeit in Berlin ganz mas-siv, weil tatsächlich alle Kindertagesstätten, Elterninitia-tivkindertagesstätten und Kinderläden gucken müssen,dass sie ihre Läden voll kriegen. Demzufolge müssen sieauch schauen, dass ihre Angebote den Bedürfnissen derKinder und Eltern entsprechen.

Zinner: Diese Berliner Situation speziell, dass sich dieKinderläden ändern müssen, hat damit zu tun, dass eserstmals ausreichend Kita-Plätze gibt und die Eltern dieWahl haben. Es ist ja jetzt auch so, dass z.B. kirchlicheKitas Schwierigkeiten haben,ihre Plätze zu belegen,oderKitas,die ein bestimmtes Leistungsprofil nicht mehr brin-gen.Wir haben das nicht,wir haben nach wie vor eine un-endliche Warteliste. Es spricht sich natürlich rum, es istauch geschäftlich interessant, so zu handeln, weil dieEltern wissen, da haben sie Mitspracherecht, Beteili-gungsmöglichkeiten. Und man kann die Eltern natürlichauch an den eigenen Problemen beteiligen. Wenn manein Problem hat in einer Einrichtung, dann kann man sieauch dafür interessieren,es zu lösen.Und sie können auchwieder verschiedene Qualitäten mitbringen, z.B. Bezie-hungen zu Geschäftsleuten, die vielleicht Sponsor wer-den können usw. Man multipliziert seine eigenen Mög-lichkeiten, ohne dass man dafür viel tun muss, weil dieLeute, indem sie das erfahren, sich Gedanken machen.Man vervielfacht also durch die Beteiligungsform seine

Möglichkeiten und ist auch noch »geschäftlich erfolg-reich« damit.Ein anderes Beispiel: Wir versuchen, in unseren Kinder-und Jugendeinrichtungen Beteiligungsformen zu ent-wickeln, die es früher schon mal gegeben hat.Wir fassenz.B. die kleineren Kinder in Gruppen zusammen. Und inden Gruppen gibt es natürlich Funktionen,da kann einerdie Kasse verwalten,der andere hat eine andere Aufgabe.Damit die Kinder sehr frühzeitig Aufgaben bekommen,sich engagieren können und darüber ihr Selbstbewusst-sein entwickeln und Bestätigung erfahren. In unsererJugendetage haben wir einen Sprecherrat, eine Gruppevon Jugendlichen, die sich regelmäßig trifft und auchsehr verantwortlich an Planungen beteiligt wird undselbständig Aufgaben übernimmt,bis dahin,dass einzel-ne Leute selbst Öffnungszeiten übernehmen oder Reisenmachen, ältere Jugendliche mit jüngeren Jugendlichen,und richtig zum Jugendgruppenleiter ausgebildet wer-den.Das hat auch wieder eine Qualität,die sich positiv aufdie Arbeit auswirkt,weil diese Jugendlichen mit anderenJugendlichen besser und auf einer anderen Ebene umge-hen können als wir Professionelle.Überhaupt sind die Ehrenamtlichen bei uns das wichtig-ste Element der Arbeit.Wir haben für uns einen Leitfadenentwickelt oder »Goldene Regeln« zur Arbeit mit Ehren-amtlichen, die ungefähr so lauten: Wenn einer sich beiuns ehrenamtlich engagieren möchte,dann lässt du allesstehen und liegen und kümmerst dich um den. Das istkeineswegs selbstverständlich. Es war viele Jahre Be-standteil des Bewusstseins, jeder Ehrenamtliche ist einFeind, weil er dir die Arbeitsstelle wegnimmt. DieseLegende ist bei uns nicht mehr aktuell, es ist aber durch-aus auch so, dass Mitarbeiter immer noch Schwierigkei-ten haben,mit Ehrenamtlichen umzugehen.Sozialarbei-ter werden dafür nicht ausgebildet, Erzieher schon garnicht. Es ist nicht selbstverständlicher Bestandteil einersozialen Einrichtung, aber auch das verankert einen vorallem im Stadtteil. Es geht sicher um die Qualität, dieEhrenamtliche einbringen können, die freiwillige Arbeitleisten, eine Qualität, die keiner von uns erbringt, und esgeht darum,dass diese Ehrenamtlichen ja Bewohner ausder Nachbarschaft sind und Multiplikator. Und sie sindInteressenvertreter,die sich mit unserer Einrichtung oderzumindest mit der, in der sie arbeiten,identifizieren kön-nen. Das ist ein Qualitätsmerkmal, das nicht unter demGesichtspunkt von Sparsamkeit betrachtet werden darf.Wenn man ehrlich ist,kann man damit auch Geld sparen,aber eigentlich kann man in erster Linie seine Qualitätverbessern und zusätzliche Angebote machen. Und es kostet vielleicht sogar auch Geld. Also es erspart nichtGeld, in dem Sinne wie Politik in den letzten Jahren Eh-renamtlichkeit in den Vordergrund gestellt hat. DasEhrenamt, gerade die Freiwilligkeit, erfordert ein hohesMaß an Bereitschaft, auf diese Leute zuzugehen, mit ih-nen zu sprechen, ihnen Fortbildung anzubieten, ihnen»Belohnung« zu geben. Es geht nicht um Geld, es gehtauch nicht darum, dass die sozialversichert werden oderRentenversicherungszeiten angerechnet bekommenwollen. Wir haben entsprechende Umfragen gemacht.Sie haben keine Forderungen, allenfalls nach Ersatz vonAufwand, Fahrtkosten, keine weiteren finanziellen For-derungen.Aber sie wollen anerkannt werden und wollensich wohlfühlen.Und das zu Recht.Das hat noch eine weitere wichtige Dimension und das

31Was wollen die Kunden?

hat jetzt was mit Konkurrenz auch gegenüber Privaten zutun: Diese Qualität des ehrenamtlichen Engagementskönnen eigentlich nur gemeinnützige Einrichtungen ha-ben. Niemand anderes kann ehrenamtliches Engage-ment so für sich mobilisieren und damit zugleich für sichetwas tun. Man muss sich öffnen dafür. So wie man dieRäume schön macht und damit demonstriert, dass mansich öffnet, so wie man Öffentlichkeitsarbeit macht undregelmäßig Programminformationen herausgibt, so of-fensiv muss man auch um ehrenamtliche Mitarbeiterwerben. In unserem Programmheft machen wir das seiteinigen Jahren. Unsere Mitarbeiter tun sich sehr schwerdamit,bei jeder Herausgabe des Programms muss ich re-den,dass sie darüber etwas reinschreiben.Aber wenn siees dann gemacht haben, gibt es fast immer positiveRückmeldungen.

O< Ich kann mir vorstellen,dass diese Rückmeldungennicht immer nur positiv sind, sondern dass Sie z.T. auchAnfragen bekommen von Leuten, die vielleicht auchAufgaben übernehmen wollen, denen sie aber in Wirk-lichkeit gar nicht gewachsen sind.

O< Was ganz wichtig ist, wenn sich jemand meldetzum Ehrenamt, sich dann wirklich die Zeit zu nehmenund gemeinsam herauszufinden,wo sind die Interessen,wo sind Möglichkeiten und da genau hinzuhören.Natür-lich gibt es Menschen,die sich übernehmen,die fünf Tagedie Woche kommen möchten.Wenn sich jemand tatsäch-lich übernimmt,muss man eine vorsichtige und respekt-volle Art entwickeln und den Vorschlag machen,ein biss-chen kleiner anzufangen.

O< Nach einem Erstgespräch, wenn jemand kommt,der Lust hat, etwas mitzumachen, welche Möglichkeitenhabt ihr denn, den einzubeziehen? Ihr habt einen Spre-cherrat bei den Jugendlichen, dann gibt es die Eltern-vertretung und die Ehrenamtlichen.Habt ihr auch Treffenzwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, dass sie auch ins-gesamt ins Geschehen mit eingebunden sind?

Zinner: Wir haben jetzt einen Tag des Ehrenamtlichen –das haben wir in diesem Jahr zum zweiten Mal gemacht.Da haben wir die Leute geehrt mit Urkunden, z.T. überden Paritätischen Wohlfahrtsverband ehren lassen. Eswaren alte Leute dabei, es waren mittelalte Leute dabeiund es waren Jugendliche dabei, die z.T. schon fünf oderacht Jahre ehrenamtlich mitarbeiten. Die Leute warenperplex, wir selbst auch, wie das angekommen ist.Es hatdann auch einen Erfahrungsaustausch gegeben,der mo-deriert wurde. Und da saßen nun von jeder GruppierungEhrenamtliche und haben erzählt, warum sie das ge-macht haben, wie sie dazu gekommen sind, wie sie sichfühlen. Ich glaube, diese Ehrung unterschätzen wir, wel-chen Stellenwert sie für die einzelnen Personen hat. Derwichtigste Punkt ist aber nicht diese Ehrung. Wir habensehr viele ehrenamtliche Betreuer auch nach dem Be-treuungsgesetz, etwa 100 in den letzten vier bis fünfJahren, gewonnen. Da sind viele Berufstätige dabei, diedas sehr gerne machen. Da gibt es einen regelmäßigenErfahrungsaustausch einmal im Monat, das ist nochwichtiger als die Ehrungen.

O< Vor der Hierarchie,die sich zwischen den Professio-

nellen und den Ehrenamtlichen bilden kann, sollte mansich hüten.Wir sind da vielleicht ein Sonderfall, weil wireine andere Startbasis haben, alle 15 Nachbarschaftshil-fen bilden eine Bürgerinitiative, ohne Professionelle.Deshalb sind wir auch ganz anders strukturiert.Da gibt esdiese Hierarchie nicht zwischen den von der Kommuneeingesetzten Sozialarbeitern und den Ehrenamtlichen,die von denen sozusagen betreut werden.Deswegen ha-ben wir diese Schwierigkeiten nicht.Wir stellen zwar imPflegebereich professionelle Kräfte ein, aber der Dienst-leistungsbereich ist ein separates Ressort. Alle anderenBereiche und alle 15 Nachbarschaftshilfen haben ein rie-siges Spektrum an Angeboten, die nicht etwa aus Ideender Leute resultieren, die das anbieten, sondern aus ei-nem gefundenen Gedanken.Da kommt z.B.einer ins Bürooder in das Haus und meldet ein Problem an. Dann wirddas zunächst mal unter den entsprechenden Leuten in ei-nem Arbeitskreis versucht zu lösen. Wenn sich heraus-stellt,dass dieses Problem eine etwas allgemeinere Breitehat, dann wird versucht, etwas zu finden, um diesenBedarf zu decken, z.B. der Bedarf für die psychisch Kran-ken ist so gedeckt worden,aber ehrenamtlich.Deswegenfürchten wir erstens den Begriff des Kunden in demBereich,der nicht die Dienstleistung betrifft,ein Kunde istfür diese Art der Arbeit völlig unmöglich. Das Motto die-ser 15 Dienste heißt:Jeder für jeden.Da kommt z.B.einer,der will helfen,und wird übermorgen selber betreut.Daswechselt. Da gibt es Arbeitskreise, da gibt es Selbsthilfe-gruppen,die alle autark sind,die sich dann mal an einemTisch zusammensetzen und wenn es Probleme gibt, diedann lösen.Alle Dienste haben von der Kommune einge-setzte professionelle Kräfte. Wir werden zwar von derKommune unterstützt mit einer Pro-Kopf-Summe von 1 Mark oder so, trotzdem sind alle diese Initiativen abso-lut gesund.Die sind alle im Landkreis Starnberg, jede Ge-meinde hat einen solchen Dienst, und zwar entstandenaus den Bürgern selber. Und keine dieser Nachbar-schaftshilfen ist angewiesen auf eine staatliche Förde-rung, weil sie von den Bürgern auch finanziert wird. DasSpendenaufkommen ist bei allen dreimal so hoch wie dieBeitragssätze. Deswegen kann ich jetzt eigentlich garnicht mitreden, weil ich diese Probleme bei uns so nichtsehe.Wir haben andere.

Zinner: Bei uns war es ja so ähnlich.Wir hatten auch ei-nen ehrenamtlichen Verein,der dann langsam professio-nalisiert wurde,mit hauptamtlichen Kräften ausgestattetwurde, dann aber die Ehrenamtlichkeit vollkommenrausgedrängt hat. Es gab da mal eine Phase in der deut-schen Sozialarbeit, in der man Ehrenamtlichkeit als fach-lich nicht geeignet aus der Sozialarbeit verschwinden las-sen wollte,und jetzt kommt man seit einigen Jahren wie-der darauf zurück. Viele unserer Einrichtungen sind fürdieses Bürgerengagement nicht offen genug,aber das istdas, was wir erreichen müssen, ob das im Bereich derSelbsthilfe ist oder der Betreuungen oder bei den Ju-gendlichen oder in den Kitas.Wir müssen uns für diesesBürgerengagement wieder öffnen.

O< Bei uns in der Kita haben wir z.Z. drei Ehrenamt-liche. Das ist eine junge Frau, die ist Märchenerzählerin,die kommt dreimal in der Woche und macht eine Stundemit zwei Kita-Gruppen, wirklich gut vorbereitet als Pro-jekt. Dann haben wir einen Senior, der sich gerne hand-

werklich betätigen möchte, der kommt einmal in derWoche und repariert Spielzeug oder baut Regale. Unddann haben wir eine Frau, die kommt einmal in derWoche in unseren Hort, die ist u.a. auch in unserem Chorals Sängerin aktiv tätig,und die macht Schularbeiten.Dashat sich im Laufe der Zeit über die Anzeigen in unseremProgrammheft entwickelt.

O< Ich möchte das gerne ergänzen um das,was bei unsehrenamtlich die Eltern machen.Das ist ganz ähnlich.Ichglaube, dass wir Professionalität und ehrenamtlicheTätigkeit nicht gegeneinander zu stellen brauchen, son-dern ich erlebe immer wieder, dass ganz hoch professio-nelle und hervorragend ausgebildete Menschen allerAltersklassen sich ehrenamtlich betätigen,so auch in un-serem gesamten Beratungssystem.Wir haben Rechtsbe-rater, das sind Anwälte, die neben ihrem normalen Jobkommen und sagen,sie wollen ihre Fähigkeiten ins Nach-barschaftszentrum eingeben; oder auch pensionierteSozialarbeiterInnen.

Zinner: Es gehört meines Erachtens unbedingt zu denQualitäten von Mitarbeitern in solchen Einrichtungen,dass sie mit Ehrenamtlichen umgehen können und ver-stehen, was es heißt, ehrenamtlich oder freiwillig zu ar-beiten, diese Leute von der Warte des Partners, nicht alsVorgesetzte, zu betrachten, nicht als »ich bin der Fach-mann«, sondern jeder hat seine eigenen Qualitäten.Unddiese Qualitäten gilt es gegenseitig zu respektieren. DieSozialarbeiter haben mehrere Mängel. Sozialarbeiterwollen immer helfen und vergessen darüber, dass dieLeute selbst Fähigkeiten haben. Diese Fähigkeiten her-auszufinden und zur Entfaltung zu bringen, ist eine derzentralen Aufgaben von Nachbarschaftsarbeit. Mit denStärken,Fähigkeiten und kreativen Potenzialen der Leutezu arbeiten,sie zur Geltung kommen zu lassen,heißt sichselbst zurücknehmen.Ein zweiter Punkt,den Sozialarbei-ter häufig nicht können, ist: fördern durch fordern. DenLeuten etwas abverlangen heißt, den Leuten etwas zu-trauen und sie nicht in Fürsorglichkeit ersticken.Das pas-siert in vielen öffentlichen Einrichtungen,auch in kirchli-chen, die Leute werden zugeschüttet mit Kaffee, Kuchenund Torte,damit sie ihren Mund halten und der Gruppen-leiterin treu ergeben sind. Solche Strukturen haben beiuns keinen Platz und dürfen auch keinen Raum bekom-men. Es gibt Leute, die wollen nur Kaffee trinken undKuchen essen,die haben ihr gutes Recht,sich auch bei unszu treffen.Aber es geht vor allem darum,dass man in derSozialarbeit nicht nur fürsorglich auftritt, sondern dassman herausfindet,was können die Leute selbst dazu bei-tragen, dass es ein lebendiges vielfältiges Haus ist. Unddie Leute wollen auch nicht alles umsonst, es kann Geldoder was anderes sein, was sie als Gegenleistung geben.Es macht ein gutes Gefühl, dass, wenn ich etwas bekom-me,ich auch etwas gebe,und das bringt die Leute in eineandere Rolle. Nichts ist schlimmer, als Leute in Rollen zubringen, aus denen Abhängigkeit entsteht und das Ge-genteil des mündigen Bürgers das Ergebnis ist. Das ist,was unsere Einrichtungen häufig unterscheidet von öf-fentlichen Einrichtungen, aber oft auch von kirchlichenEinrichtungen oder auch der AWO.Wichtig ist auch die Vernetzung. Die kann auf verschie-dene Weise entstehen. Die Grundlage ist »Kundenorien-tierung«,die bedeutet,sich in die Lage desjenigen zu ver-

32 Was wollen die Kunden?

setzen,der etwas möchte oder etwas braucht.Wenn eineSelbsthilfegruppe einen Raum braucht und ich habe alsRegionale Kontaktstelle keinen mehr, dann ist es meineAufgabe, dass diese Gruppe einen Raum findet, dass siein eine Kirchengemeinde gehen kann, in eine staatlicheEinrichtung,in ein Jugendfreizeitheim usw.,oder wenn esmehrere sind, dass man selbst Räume anmietet und ver-sucht,diesen Gruppen einen Raum zur Verfügung zu stel-len und nicht nur einfach sagt,tut uns leid,wir haben kei-nen Raum.Wenn eine Familie ein Fest feiern möchte, wirhaben aber keine Räume für Feste, dann ist es unsereAufgabe,einen Katalog von Anbietern zu haben und denden Leuten in die Hand zu drücken und zu sagen, dahinkönnen Sie sich wenden. Oder die Frage: wie muss eineSeniorentagesstätte aussehen oder ein Altenheim –dann stelle ich mir vor, wenn ich mal alt bin, wie es dannaussehen sollte, dann weiß ich, wie es aussehen könnte.Man muss also immer von dem ausgehen, wie man esselber erwartet, um zu verstehen, was die Leute sichwünschen.Dann ist es gar nicht so schwer,einen Standardfestzulegen. Den muss man dann nur noch aufschreibenund in einen Ordner legen, aber man muss ihn auch imKopf haben, vor allem aber im Herzen.Wir haben syste-matisch Vernetzungen mit unseren eigenen Einrichtun-gen geschaffen. Es gibt quasi für jede Lebenssituation eine Möglichkeit, Angebote des Nachbarschaftsheimeszu nutzen. Und die Kinder aus unserem Hort gehen wieselbstverständlich anschließend auch in die Jugendein-richtung.Und die Eltern wissen sehr früh schon,was mög-lich ist. Wenn man Nachfolgeeinrichtungen nicht hat,kann man die vielleicht schaffen, eventuell mit anderenEinrichtungen zusammen. Wir haben unsere Sozialsta-tionen so aufgebaut, dass es inzwischen ein äußerst dif-ferenziertes Angebot gibt – von der kleinen Sozialstationbis hin zum Aufbau eines stationären Hospizes. JedesSpektrum, das man in der Pflege braucht, wird früheroder später auch realisiert,weil wir gemerkt haben,es isteine Nachfrage dafür da. Und die Finanzierung, dasWissen, das man dafür braucht, das kann man sich holenoder erwerben. Da kann man sich auch wieder andererbedienen, die das schon mal gemacht haben, Kollegenfragen,andere Einrichtungen fragen,den Spitzenverbandfragen. Man muss einen Vorstand haben, der mitmacht,ihn überzeugen, dass er mitmacht, die Vereinsmitglieder– da muss man vielleicht auch kämpfen.Vernetzung istdann auch eine Qualität,oder auch Zusammenarbeit mitder öffentlichen Hand,die bei uns immer besser wird.Diehaben uns jahrelang bekämpft, als Konkurrenz empfun-den, und inzwischen gibt es Kooperation, und immer,wenn sie ihre Einrichtungen heruntergewirtschaftet ha-ben, kommen sie zu uns und fragen, ob wir sie überneh-men.Das machen wir dann auch und in einigen Fällen istdas äußerst positiv und wesentlich preiswerter und ef-fektiver geworden.Jetzt würde ich gern zu Ihrer Umfrage kommen, die Siegemacht haben.

O< Überraschend war,dass es einen Durchschnitt durchalle Bildungsschichten gab bei den Senioren.Und da warsehr überraschend, dass bei den Anbietern die Unterhal-tungsangebote bei 60% lagen, während von den Senio-ren nur 17% Unterhaltungsangebote wollten.Die Anbie-ter sind z.B. die Altenclubs.Wir haben uns das so erklärt,dass zu diesen Nachmittagen zwar immer ein volles Haus

ist, dass aber die Anbieter nicht registrieren, dass sie nureinen ganz speziellen Teil der alten Menschen damit an-gesprochen haben. Die kommen natürlich. Und dassAngebote wie Information,auch politische oder kommu-nalpolitische Informationen, weniger angeboten als ge-wünscht werden, vor allem auch Angebote zur Mithilfe.Es hatten sich sehr viel mehr von den jungen Alten zurMithilfe gemeldet oder Wünsche geäußert mitzuwirken,als vorher angefordert wurden.Was sich bewährt hat, istdie Einrichtung z.B. von Bildungsangeboten, klassischenKonzertnachmittagen.Diese Nachbarschaftshilfen habenz.T. von den Gemeinden Häuser zur Verfügung gestelltbekommen. Da machen wir klassische Konzerte einmalim Monat oder Filmnachmittage, zu denen ganze Grup-pen gehen, die einen speziellen Film sehen wollen. Undhinterher gibt es ein Filmgespräch. Wir haben einenSeniorendienst aufgebaut, wo alte Menschen, die quali-fizierte Handwerker sind, anderen Alten helfen. DieGefahr ist natürlich, dass das ein grauer Markt wird, aberdas nehmen wir in Kauf.Die Selbsthilfegruppen sind sehrgefragt, vor allem die Gruppen der pflegenden Angehö-rigen, da halten sich Angebot und Nachfrage die Waage.Aber bei Bildungsangeboten zeigt die Umfrage, dass dieAngebote häufig als zu anspruchslos empfunden wer-den. Die, die kommen, sind zufrieden. Aber es kommteben eine ganze Gruppe von Alten nicht.

Zinner: Das passt ja in das Bild, das wir vorhin von derFürsorglichkeit gezeichnet haben. Man macht Angebotefür Senioren, denkt, die sind automatisch hilfsbedürftig,dabei sind das heute die Aktiven.Durch Ehrenamtlichkeitkann auf diese Weise Politik beeinflusst werden, da ent-steht in diesem Land politisch etwas.

Vorrednerin: Für uns ist das nur eine Zusammenarbeit,gegen eine Bevormundung durch die politische Kommu-ne würden wir uns sehr wehren.Wir werden ja auch nichtbezahlt von denen.

Zinner: Jetzt sage ich noch was zu Leitfäden, Standardsund Qualitätsentwicklungen. Das wird uns immer mehrbeschäftigen.Das hat gute Seiten,aber auch problemati-sche Seiten. Problematisch wird es dort, wo das in Büro-kratie ausartet. Und die Gefahr ist in Deutschlandregelmäßig gegeben.Standards sind durchaus von Vorteil, sind aber teilweiseauch kindisch. Jemand, der nicht versteht, mit Leuten zusprechen, wird es auch mit einem Standard nicht besserkönnen. Ich habe kein Verständnis, wenn Leute denken,sie müssten unseren Pflegekräften vorgeben, wie sie dieLeute waschen, genau den Prozessablauf beschreiben,und wenn man sich daran hält,dann hält man sich an dieQualität. Ich kann nur sagen, das ist Quatsch hoch zehn.Leuten,die vielleicht 20,30,40 Jahre im Berufsleben ste-hen, denen wird nun plötzlich ein Standard in die Handgedrückt, ihr müsst das so machen.Es gibt ja inzwischenauch viele Bücher darüber. Das Bundesministerium gibteine Arbeitshilfe heraus, wie man für sich selbst Stan-dards und Qualitätsmerkmale entwickelt.Dann gibt es ei-nen Leitfaden der EU zur Projektevaluation. Da sinddurchaus ein paar praktische Hilfen drin, wie man einenFragebogen erstellt oder Umfragen macht.Ich habe auchein Mitarbeitermerkblatt,wo ein paar Regeln drinstehen,z.B. wenn Leute anrufen und man weiß nicht Bescheid,

bietet man an zurückzurufen und sagt nicht, rufen Sienoch mal an,solche banalen Sachen machen es aus.Es istviel einfacher, als man denkt. Und man braucht keinenKatalog, kein dickes Buch.Zur Qualitätssicherung: Im Frühjahr 1998 hatten wir ei-nen holländischen Organisationsberater eingeladen, dererste Organisationsberater, mit dem ich mal zufriedenwar, und der auch alles auf niedrigem Level gebracht hatund nicht immer die Leute eingeschüchtert hat mit die-sen Standards, Qualitätsmerkmalen, Qualitätssicherung.Der sagt,es ist nützlich,wenn man ein Buch hat, wo allesgesammelt wird, aber das ist nicht so wichtig.Wichtig istder Prozess,er muss sich immer wieder ändern,anpassen.So schnell kann man es gar nicht da drin verändern, wiesich die Wirklichkeit verändert. Es ist wichtig, dass mandas im Kopf hat, dass man das richtige Gespür dafür hat,dass man sich nicht wie ein Bürokrat an dem festhält,wasin dem Buch steht. Von dieser Tagung will ich ein paarSachen wiedergeben.Henk Mensing, so heißt der Mann,hat gesagt:Der Kunde steht im Mittelpunkt und damit imWege. Er ist sozusagen das Hindernis, mit dem man sichpermanent beschäftigt, das man permanent überwin-det,an dem man sich permanent reibt und stößt,um ihndreht sich alles, er ist derjenige, der einen am bequemenLeben in der Einrichtung hindert. Man muss immer wie-der nachdenken,wie mache ich das jetzt noch besser,wieerreiche ich die Menschen am leichtesten, wie werde ichihren Bedürfnissen am ehesten gerecht.Aber es ist natür-lich immer eine Anstrengung damit verbunden, damitsteht er immer irgendwie im Wege. Das ist eine harteArbeit, Leute zu gewinnen, freiwillig in eine soziale Ein-richtung zu gehen,von einem Angebot Gebrauch zu ma-chen, und zwar nicht erst dann, wenn sie wirklich großeProbleme haben, sondern möglichst schon vorher.Herr Mensing geht also davon aus, dass im Mittelpunktjeder Qualitätssicherung der so genannte Kernprozesssteht.Es geht immer um mindestens zwei Beteiligte,denKunden, »der da im Wege steht«, und den Mitarbeiter.Kernprozesse lassen sich sehr kleinteilig definieren.JedesTelefongespräch ist ein Kernprozess,ein zentraler Prozessin der Kommunikation,auch jedes andere Gespräch,des-wegen ist es wichtig, dass man freundlich ist, man Klar-heit ausstrahlt,dass der Kunde am Ende zufrieden ist.DieWeitergabe jeder Information ist ein Kernprozess. Gebeich die Information so weiter,dass jeder Empfänger,ob in-tern oder extern,so gut informiert ist,dass er kompetenthandeln kann? Auch dann, wenn es unbequem ist, odererst recht dann.Die Pflege eines Patienten,die Anspracheeines Jugendlichen, die Raumgestaltung, die Werbung,die Darstellung nach außen,die Situation am Eingang ei-ner Einrichtung, die Gestaltung eines Werbeblattes, diePlanung und die Durchführung eines Kurses, das Schrei-ben eines Briefes, eine Raumvermietung, der Umgangmit den Geldgebern,die Präsentation eines Mittagessensusw.– das sind alles Kernprozesse,die sich detailliert dar-stellen lassen und die auf Dauer entscheidend für denErfolg eines Unternehmens sind. Ich kann auch für diePräsentation eines Mittagessens einen Standard ent-wickeln.Aber die Entwicklung des Standards ist nicht dieGewähr, dass es dann auch so umgesetzt wird. Da mussdann wieder ein anderer Prozess einsetzen, der die Um-setzung sicherstellt.Kernprozess ist praktisch jede Aktion,die die Einrichtung nach außen vertritt. Noch einmal:Kernprozesse sind entscheidend für den Erfolg eines

33Wer hat Spaß daran?

Unternehmens,und wir sind auch Unternehmen.Es reichtnicht die Einstellung: da wir gemeinnützig sind, könnenwir das alles ein bisschen lockerer machen. Oder: derKunde zahlt nichts, deswegen muss es auch nicht so gutsein.Auch deswegen war ich immer dafür,dass Besucherunserer Einrichtung Geld bezahlen, weil dann ihr An-spruch auf eine gute Leistung für alle offensichtlich ist.Esist also für die Mitarbeiter gut,die Leute an den Kosten zubeteiligen,damit man selber die Verpflichtung hat,dieseLeistungen auch optimal zu erbringen.Kernprozesse rich-ten sich an die Außenwelt, in der sich der anzusprechen-de Kunde befindet. Dagegen steht die Systemwelt desUnternehmens, des Mitarbeiters oder der Einrichtung,deren Beharrungsvermögen und deren Routine. Das istdas starre System,das sich dem sehr flexiblen Prozess derAußenwelt dauernd stellen muss.Es ist für ein System mitfestgefügten Hierarchien, Aufgaben, Zuständigkeiten,Ressourcen, naturgemäß schwer, auf jede Anforderungvon außen einzugehen. Aber es kommt sehr darauf an,das innere System so auszurichten, dass es diesen Anfor-derungen von außen so gut wie möglich gerecht werdenkann. Es ist sozusagen eine ständige Herausforderung,dem eigenen Beharrungsvermögen,der eigenen Routinedie Flexibilität gegenüber zu stellen, die es braucht, umden Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Wirermuntern unsere Mitarbeiter immer wieder, sich dienotwendige Flexibilität zu bewahren,und das können sienatürlich nur, wenn das System in sich flexibel bleibt.Noch ein Satz,den ich mir gemerkt habe:Jede Beschwer-de ist ein Geschenk, das hinweist auf Probleme, die exis-tieren. Wenn einen eine Beschwerde erreicht, dann gibtes im Hintergrund noch ganz andere Sachen, die einennicht erreicht haben, worum man sich – auch als Ge-schäftsführer – kümmern muss.Mensing ist z.B.der Auf-fassung, dass die Geschäftsführer oder Leiter einer Ein-richtung über jede einzelne Beschwerde Bescheid wissenmüssen.Das haben wir bei uns noch nicht geschafft.

O< Man muss aber auch Wichtiges von Unwichtigemtrennen, ich würde auch nicht jede Beschwerde alsGeschenk auffassen, die weisen vielleicht auch nicht nurauf interne Probleme oder Systemprobleme hin,sondernweisen auch auf Probleme in der Person hin.

Zinner: Das ist richtig, aber das kann man ja herausfin-den.Es gibt natürlich auch unbegründete Beschwerden.Wenn die Mitarbeiter einer Einrichtung eine Beschwerdebekommen, sollten sie die weitergeben an den Leiter,auch wenn sie selber betroffen sind. Das hat natürlich

was mit dem internen Umgang zu tun, wenn die Mitar-beiter wissen, das wird sofort gegen sie benutzt, dannwerden sie das nicht machen. Also muss ich eine Unter-nehmenskultur schaffen, in der Mitarbeiter Vertrauen indie Leitung haben. Man sollte im Bewusstsein haben,dass Beschwerden eine kostenlose Marktforschung sind.Wichtig sind für Leitungspersonen und Geschäftsführerauch eigene Wahrnehmungen.Ich gehe immer wieder inunsere Einrichtungen, kann es schon nicht mehr sehen,schaue trotzdem in unsere Schaukästen, an unsere Wän-de, in die Prospekte, stelle immer wieder fest, da hängtwas, was schon veraltet ist. Diese scheinbaren Belang-losigkeiten haben deshalb Bedeutung,weil ich damit de-monstriere, wie wichtig mir die Leute sind, für die dieseInformationen gedacht sind.Es ist eine Zumutung, wennich einen Schaukasten mit alten Sachen drin habe.Das isteine Verarschung der Leute. Das ist vielen Mitarbeiterngar nicht bewusst. Diese Kleinigkeiten, auch dass dieSachen lesbar sind,in einer Sprache,die die Leute verste-hen, haben was mit der Nähe zu den Menschen, denNutzern, den Kunden zu tun.Anfragen, die kommen unddenen wir nicht gerecht werden können,müssten aufge-schrieben werden.Wünsche,die man nicht erfüllen kann,darf man nicht vergessen. Man muss überlegen, ob mandas vielleicht an eine andere Einrichtung als Aufgabe ge-ben kann,ob wir mit dem Bezirk oder dem Senat darübersprechen müssen oder dergleichen. Wir haben in unse-rem Gebiet z.B. festgestellt, dass es da viele junge Fami-lien gibt, die zugezogen sind. Wir haben uns also aufFamilienarbeit ausgerichtet und gekämpft wie dieLöwen, dass es dafür einen Fördertopf gibt. Es hat ihn ir-gendwann gegeben,es hat enormer Anstrengungen be-durft mit Politik im Abgeordnetenhaus,aber es war mög-lich. Und solche Sachen haben wir schon öfter gemacht.Darauf ist Politik auch angewiesen. Da haben wir einenTransformationsprozess auf den Weg gebracht.Wir habenauch oft betroffene Leute mitgenommen zu solchenVerhandlungen,weil das niemand besser vertreten kann,und weil man uns unterstellt, wir wollen unsere Stellenerhalten. Natürlich wollen wir das, aber diejenigen, diedavon profitieren, können am allerbesten darstellen,worum es geht. Die Politiker haben auch größere Pro-bleme,dem dann zu widersprechen,das ist ein authenti-scher Eindruck, der auch in die Emotionen von Leuteneindringt.Man kann nur beschränkt planen, die Planungvon heute ist der Irrtum von morgen.Man muss natürlichin gewisser Weise dennoch vorplanen, aber man mussüber die Planung hinweg flexibel bleiben und sie immerwieder dem Bedarf anpassen.

Standards sind nur bedingt hilfreich, weil sie immer nureinen momentanen Stand festschreiben.Wenn man be-stimmte Ziele in einer Organisation hat, ist aber überlas-tet oder fühlt sich nicht als die Person,die das kann – mankann ja nicht alles können – dann ist es u.U.sinnvoll,die-se Aufgabe einer Gruppe von Leuten zu übertragen, dieinnerhalb eines begrenzten Zeitrahmens dafür die Ver-antwortung übernehmen,dass z.B.Ehrenamtlichkeit »in-stalliert« wird. Es gibt dafür auch einen Begriff aus derOrganisationsberatung – jemanden zu einem Prozess-eigentümer zu machen.Wir haben das gemacht mit demLeitfaden für Ehrenamtliche und auch beim Handbuchunserer Sozialstationen. Eine Hauspflegekraft hat dafürz.B. die Verantwortung übernommen. Es gibt immerMitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten, die findet manoder die kennt man ja auch, die machen das dann auchgerne.Erreichbarkeit, Zugänglichkeit, attraktive Räume, Trans-parenz,Kompetenz – das sind alles zentrale Faktoren fürdie Qualität. Und das wird von den Leuten dann früheroder später auch gewürdigt.Mir fiel bei unserer 50-Jahr-Feier auf, dass der Bürgermeisterin von Schöneberg unddem Stadtrat von Steglitz die Freundlichkeit unserer Mit-arbeiter besonders aufgefallen ist. Das kann ich mir gutvorstellen.Die gehen in ihre eigenen Einrichtungen (gro-ßes Gelächter) und dann gehen sie in unsere Einrichtun-gen, das ist wie ein Klimawechsel. Das hat sie derart be-eindruckt, dass sie sich bei ihren Grußworten länger alswir das wollten darüber ausgelassen haben. DieseFreundlichkeit ist also sehr wichtig und offensichtlich ha-ben wir da einen Standard erreicht – ohne Handbuch.Ichfrage mich sowieso, warum die Anforderungen immerhöher werden.Es gibt ja bestimmte Qualitätsnormen,diesich auf den Einsatz von Fachkräften beziehen. In denKitas müssen Erzieher beschäftigt sein. Ich behaupte, eswäre viel besser, es würden in der Kita neben den Erzie-hern auch andere Leute beschäftigt sein, wie Künstleroder die Leute,die einfach eine natürliche Begabung ha-ben. Die dürfen da nicht arbeiten, weil wir eine gesetzli-che Vorschrift haben.Wir schießen uns selbst ins Bein mitsolchen Vorschriften – das beweisen uns auch die Ehren-amtlichen.Wir müssen die so genannten Fachleute wie-der zurückdrängen, das ist meine persönliche Auffas-sung.Und das ist kein Verstoß gegen Qualität,das hat da-mit nichts zu tun. Dass man Qualität sichern muss, ist eine alltägliche Aufgabe, unabhängig davon, ob es dieseFachleute gibt, ob es ein Qualitätshandbuch gibt, ob esein Siegel gibt oder eine gesetzliche Regelung.

Wer hat Spaß daran?Zum Lustprinzip in der sozial-kulturellen ArbeitFreiheit, Freizeit, Fun – ohne Spaß kein Engagement

mit Ralf Jonas, Bremen

Ralf Jonas: Ich arbeite im Bürgerhaus Bremen-Oslebs-hausen seit 12 Jahren als Leiter und Geschäftsführer.Habe dort schwerpunktmäßig jahrelang mit Jugend-lichen gearbeitet.Soweit die Zeit das zulässt, auch heutenoch, besonders weil es mir am meisten Spaß macht. Ichlebe auch dort, wo ich arbeite und bin dort in einem

großen Sportverein ehrenamtlich tätig als Trainer und alsVorstandsmitglied. Der Stadtteil hat einen schlechtenRuf.Ich fühle mich da inzwischen sehr wohl,nachdem ichals Neuling ziemliche Schwierigkeiten hatte und das liegtvor allen Dingen auch daran,weil ich das Gefühl habe,in-zwischen in einem relativ guten Gemeinwesen zu arbei-

ten, in dem viele Menschen gerne zusammenarbeiten,egal, ob sie bezahlt werden oder nicht. Das hat den Aus-schlag gegeben,dass ich angefragt worden bin für diesenWorkshop. Ich habe wohl in der Vergangenheit den Ein-druck gemacht,dass das,was ich mache,mir einfach Spaßmacht und den Leuten auch, die dort in den Einrichtun-gen sind.

Vorstellungsrunde:.O< Ich arbeite in Berlin-Kreuzberg im Nachbarschafts-café des Gemeinwesenvereins Kotti e.V.Schwerpunkt un-serer Arbeit ist interkulturelle,soziokulturelle Tätigkeit inBezug auf Migrantenarbeit, weil wir im Brennpunkt

34 Wer hat Spaß daran?

arbeiten, wo es auch einen sehr großen Migrantenanteilgibt.Das Thema »Lustprinzip« hat mich besonders in letz-ter Zeit beschäftigt,weil wir in den meisten Fällen Mitar-beiterinnen vom Sozialamt, Sozialhilfeempfängerinnengeschickt bekommen. Am Anfang hatte ich große Pro-bleme damit. Habe gedacht, das ist irgendwie Ausbeu-tung,3 DM die Stunde.Mittlerweile denke ich anders dar-über, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass die Menschenauch dadurch wieder ins soziale Netz reinrücken undTätigkeiten übernehmen, die ihnen Spaß machen. Unddas stärkt natürlich auch die Arbeit im Alltag.

O> Ich komme aus Hamburg und arbeite im Stadtteil-zentrum Motte e.V. Das ist ein selbstverwaltetes Stadt-teilzentrum und ich bin dort seit 20 Jahren hauptamtlich

tätig. Wir haben zehn profimäßig ausgerüstete Werk-stätten, Werkstattbereiche, die von Ehrenamtlichen ge-leitet werden. Ich habe in dem Haus seit 15 JahrenJugendarbeit gemacht, auch eine werkstattbezogeneJugendarbeit, und habe jetzt mein Tätigkeitsfeld geän-dert. Ich bin als Werkstattkoordinator für die Ehrenamt-lichen und für die Werkstättennutzung für außerhäusigeBildungseinrichtungen, um diesen Werkstattbereich zubeleben, tätig.Wir haben trotz der 120 Ehrenamtlichen,die bei uns im Hause in den Arbeitsbereichen arbeiten,das Problem,dass dieses Lustprinzip,sich über das Hobbyhinaus zu engagieren, mit anderen Leuten im eigenenBereich wirklich zu arbeiten, schwer durchzuhalten ist.Was den Verein angeht, was Vernetzung mit denStadtteilen,was Vernetzung mit dem Haus angeht,habenwir Schwierigkeiten, neue Impulse zu bekommen. Michinteressiert ganz besonders auch im Rahmen diesesProBE-Projektes, das geänderte Freizeitverhalten vonMenschen zu ergründen und die Menschen für unsereArbeit, für unseren Verein zu gewinnen. Meine Frage istauch,wie wir uns so verändern können,dass das passiert.

O< Ich komme aus dem Nachbarschaftshaus Wiesba-den und arbeite dort seit 17 Jahren mit Altersgruppenvon 55 aufwärts. Ich habe mit ca. 40 Ehrenamtlichen zutun und mich interessiert das Thema »Lust«,weil ich den-

ke, die meisten gehen nur ehrenamtlich irgendwohin,wenn es ihnen auch Spaß macht dort zu arbeiten undwenn sie auch anerkannt werden wegen ihrer Tätigkeit.Ich arbeite mit in dem Projekt ProBE und insofern bin ichjetzt zu dem Thema »Lust« am liebsten gegangen, weilich es satt habe, überall aus Pflichtgefühl zu sitzen.

O< Ich bin eine ehrenamtliche Mitarbeiterin im Nach-barschaftshaus Wiesbaden und mehr habe ich dazu nichtzu sagen,denn ich bin ja,wie Sie sehen,schon alt. Ich binalso nicht mehr berufstätig.

Vorrednerin: Vielleicht darf ich ergänzen, wenn Sie sobescheiden sind. Sie ist Mitarbeiterin unserer Zeitung»Hallo Nachbar« in der Redaktion. Sie ist Vorleseoma beider Kita im Haus und sie arbeitet ehrenamtlich bei Tan-dem mit. Das ist eine Gruppe, die sich mit Immigrantenund Ausländern trifft,um Deutsch zu machen.Und sie hatehrenamtlich mitgearbeitet an einem Buchprojekt. Siearbeitet, wenn wir Theater spielen. Sie ist dann eben daund macht mit. Aber das sind die bescheidenen Ehren-amtlichen, die immer meinen, wenn ein Hauptamtlicherda ist, hätten sie nicht zu viel zu sagen und das finde ichbesonders schade, denn die haben was zu sagen.

O< Ich habe lange Zeit im Nachbarschaftshaus Schön-hauser in Berlin gearbeitet und jetzt bin ich beim SPI imProjekt »Anstoß«. Am Thema Lust hat mich interessiert,wie lange man über Lust mit Lust reden kann.

O< Ich arbeite in einem Nachbarschaftshaus in Berlin-Köpenick.Ich arbeite hauptamtlich und ehrenamtlich alsSozialarbeiterin und Geschäftsführerin. Wir haben vieleEhrenamtliche. Wir arbeiten mit Kindern, Jugendlichen,Erwachsenen und Senioren.Und mir macht es Spaß.Alsoich finde den Job richtig toll. Ich denke, gerade in dieserZeit ist Spaß und Lust etwas,was man nicht kaufen kannund nicht kaufen muss, und dass man damit unheimlichwas bewegen kann.

O< Ich arbeite mit Jugendlichen,mobile Jugendarbeit.Im Rahmen dieser Arbeit haben wir Anfang dieses Jahreseinen Verein gegründet,der praktisch,wenn wir mal denSozialraum oder Kiez verlassen, unsere Arbeit weiter-führt.Wenn man so einen Verein gründet, gibt es immereinen Papierwust, dann sehe ich Eltern und Anwohner,die im Verein sind,und die Jugendlichen,die auch stimm-berechtigt sind,und dann habe ich immer Angst,dass diebis zur nächsten Sitzung abspringen, weil ihnen das kei-nen Spaß macht. Immer wieder überlege ich, was kannman machen, damit das auch Spaß macht.

O> Ich arbeite bei der Bosch-Stiftung,bin jetzt Rentner.Ich habe Industriekaufmann gelernt bei der Firma Bosch,die die Stiftung speist und bin dort ehrenamtlicher Bera-ter und als solcher auch hier. Aber ich mache auch nochwas anderes, und zwar bin ich in Gerlingen bei Stuttgartzu Hause. Und da haben wir vor sechs Jahren einen Bür-gertreff gegründet.Ich bin Vorsitzender des Bürgertreffs,der ehrenamtlich betrieben wird und da ist es unser täg-liches Brot, die Menschen anzusprechen und mit ihnenetwas anzufangen, ihnen etwas möglich zu machen. Esist ein Ort der Begegnung und des bürgerlichen Engage-ments, mit sehr vielen Programmen. Gestaltet wird das

Programm von Menschen, die Spaß an der Sache haben,etwas anzubieten für andere oder etwas mit anderen zu-sammen zu machen.Die meisten sind aus dem Beruf her-aus.Das Problem ist,dass vielen dann die Ansprache fehltund Einsamkeit entstehen kann. Wir haben sehr vieleAlleinstehende und die finden bei uns Menschen,mit de-nen sie was anfangen können. Das wichtigste in demUmfeld ist meines Erachtens,dass man Freude daran be-kommt und ein paar Aufgaben hat, dass man gebrauchtwird. Und wenn man nur gebraucht wird als Gesprächs-partner für andere. Das ist der Kern- und Angelpunkt,dass man Freude hat, dass man eingebunden ist. Undjetzt wollte ich mal hören, wie es hier so geht.Wir sind inder Minderzahl,drei Ehrenamtliche und sonst nur Haupt-amtliche, die auch Spaß am Beruf haben wollen. Ich fin-de es natürlich herrlich, wenn man im Beruf auch Spaßhat.

O< Ich bin die ehrenamtliche Vorsitzende des Bürger-büros in Tübingen. Die Stadt hat Probleme, da sie inGruppen zerfällt: Universität mit 20.000 Studenten und80.000 Einwohnern. Die Uni ist wie ein Vatikanstaat in-nerhalb der Stadt. Es gibt wenig Industrie. Uns fehlt einwenig die wirtschaftliche Grundlage, solche Sachen wieNachbarschaftsheime zu finanzieren. So etwas gibt esnicht. Wir haben uns beworben beim Wettbewerb»Bürgerorientierte Kommune«, haben dort einen Preisunter elf Teilnehmern gemacht. Unser Bestreben ist eineZusammenarbeit von Verwaltung und Bürgern, Aktivie-rung von Bürgern zur Unterstützung von bürgerschaftli-chem Engagement zu fördern. Im Zusammenhang mitSpaß gibt es bei dieser Geschichte mehrere Aspekte: wieverbinde ich Spaß und Verbindlichkeit? Mit Spaß machtman was fünf Minuten und dann nicht mehr. Wie be-komme ich da Kontinuität rein? Das zweite ist mein ei-gener Spaß.Der hat ein bisschen aufgehört aus verschie-denen Gründen; wie kann ich vermitteln, dass auch mei-ne Tätigkeit Spaß machen soll? Das wäre jetzt meine per-sönliche Frage. Zu unserer Arbeit ist zu sagen, wir habenverschiedene Projekte. Das ist einmal die Freiwilligen-zentrale, das ist der Tauschring und das ist die Stadtteil-arbeit. Das Bürgerbüro ist praktisch dieser Knotenpunkt,die Anlaufstelle. Wir haben eine halbe hauptamtlicheStelle. Das ist alles. Die Stadt zahlt die Miete. Aber dieBürger müssen das Geld für Infrastruktur und Projekteselber aufbringen.

Jonas: Es sind in dieser Runde fast alle Stichworte gefal-len, die zum Thema aktuell sind. Das finde ich schon malganz interessant.Ich denke immer so:Worte vergisst manschnell. Ich möchte unsere eingebrachten Fragen nochmal stellen.Und dazu stehen wir mal auf.Wir gruppierenuns danach,wer von uns schon selber gerne mitarbeitet.Ich möchte einfach mal darstellen,wie das in der Gruppeaussieht. An diesem Punkt stellen sich die Leute auf, dieganz viel ehrenamtlich arbeiten. An diesem Punkt stehtjemand,der als Professioneller arbeitet und dessen Arbeitso viel Raum einnimmt, dass er zu nichts anderem Zeithat.Wir lernen dabei auch den Partner kennen und müs-sen uns selbst fragen, wo wir uns eigentlich hinstellenwollen.Die dritte Frage ist: Seht ihr diese ganze Diskussion umdas Ehrenamt eher als Sparstrategiediskussion oder alseine Chance für das funktionierende Gemeinwesen?

35Wer hat Spaß daran?

O< Das Diskutieren über das Ehrenamt macht über-haupt keinen Spaß. Das andauernd zu vermitteln an dieMitarbeiter, andauernd zu kämpfen, damit die endlichmal das Thema wichtig nehmen, das macht überhauptkeinen Spaß. Spaß macht nur die Arbeit mit den Ehren-amtlichen.

Jonas: Die Frage war,ob ihr diese Diskussion,die perma-nent abläuft, eher als Sparstrategie einschätzt oder als eine Chance für das funktionierende Gemeinwesen. Aufdieser Seite steht die Fraktion, die sagt, das ist eine ganzgefährliche Geschichte, auf der anderen Seite steht dieFraktion, die sagt, das ist eine große Chance. Und in derMitte stehen dann die Übrigen. Ich habe schon vieleDiskussionen zu diesem Thema erlebt und es gibt immernoch Handlangerfraktionen, die jegliche Denkansätzeüber das Sparen blockieren.Es steht immer die Angst da-hinter, es werden dadurch Arbeitsplätze eingespart unddeswegen ist die Sache von Grund auf schlecht. Es istschön, dass wir in dieser Runde die Grundsatzdiskussionnicht führen müssen.

Ich habe aus meiner Einrichtung vier Menschen mitge-bracht, allerdings nur in Form von kurzen Biographien:Der erste ist Andreas. Er ist 30 Jahre alt. Macht seineZivildienstzeit in einer sozial-kulturellen Einrichtung.Danach absolviert er ein Ingenieurstudium.Während desStudiums hilft er im Bereich Kinder- und Jugendarbeitund bei Ferienfahrten mit.Nach seinem Studium schließter einen Arbeitsvertrag mit einem Institut ab. Auf Grundder Arbeitsmarktlage kann er seinen Arbeitgeber so un-ter Druck setzen, dass der ihm erlaubt, einen Tag in derWoche frei zu haben,um weiterhin ehrenamtlich tätig zusein. Andreas arbeitet 38,5 Stunden wie jeder andereauch, allerdings auf vier Arbeitstage verteilt. Er arbeitetfür die Einrichtung 10 bis 20 Stunden in der Woche undmanchmal auch mehr.Noch mal zur Klärung: Wenn ich von Ehrenamt spreche,dann meine ich Leute, die nicht auf Honorarbasis oderEntschädigungsbasis arbeiten,sondern die wirklich ohneBezahlung arbeiten.Saheb ist eine türkische junge Frau,deren Eltern wohlha-bend sind.Saheb ist in der Ausbildung als Textilkauffrau.Sie organisiert mit anderen Frauen zusammenregelmäßig Veranstaltungen für Jugendliche oder Frauenoder deutsch-türkische Benefizveranstaltungen. DieErlöse werden eingesetzt, um Einzelpersonen inDeutschland oder in der Türkei zu unterstützen. DerArbeitseinsatz beträgt 10-20 Stunden die Woche.Die dritte Person ist Frieda, eine 70-jährige Frau, die voneiner kleinen Rente lebt.Sie ist in der Altentheatergruppeaktiv,außerdem unterstützt sie die Einrichtung als Helfe-rin, wo sie nur kann, backt Kuchen, passt auf die Kinderauf.Arbeitseinsatz 10-20 Stunden die Woche.Als viertes habe ich eine Gruppe genommen, eineElterngruppe.Sie organisieren regelmäßig Veranstaltun-gen mit dem Ziel,für Ferien und Freizeit Mittel zu erwirt-schaften.Ihre eigenen Kinder nehmen zum Großteil in ih-rer Freizeit daran teil. Außerdem sind sie an der Gestal-tung des Hauses interessiert und helfen bei Renovie-rungs- und Dekorationsarbeiten. Arbeitseinsatz fünf biszehn Stunden in der Woche. Es sind sechs oder siebenFrauen, die das machen.Jetzt die Frage an euch: Es sind ja zum Teil ganz typische

Leute, die ich beschrieben habe. Mich würde interessie-ren, was ihr den Leuten unterstellt, warum sie mitma-chen.Sie leisten ja teilweise einen enormen Einsatz.(Gründe werden auf Karten geschrieben.)Der wichtigste Punkt für diese Personen ist, dass sie ge-meinsam für eine Sache arbeiten. Siehe das jungeMädchen oder den Mann, der die Kinderarbeit macht.Aber der wichtigste Punkt für alle ist eindeutig, die Ge-meinschaft zu erleben, und das in einer Form, die auchmit Spaß und Freude verbunden ist. Ich denke, für unsProfis, die teilweise mit Ehrenamtlichen arbeiten, ist im-mer die Frage:wie kriegt man eine Gemeinschaft hin? Inunterschiedlicher Weise brauchen sie immer für diesengemeinsamen Rahmen die Einrichtung, um auch diesenSpaßeffekt zu haben.Die Aufgabe der bezahlten Kräfte in so einer Einrichtungist es, Anlässe und Zusammenkünfte zu schaffen,die da-zu führen, dass ein Gemeinschaftserlebnis überhauptmöglich wird. Normalerweise kennt in einem großenHaus mit vielleicht 40 Gruppen keiner den anderen. Daentsteht die Identifikation mit einer Einrichtung nicht.Damit ehrenamtliche Arbeit Spaß macht,muss es so seinwie ein funktionierendes Gemeinwesen in einer Stadt.Esist im Prinzip ein ganz einfacher Ansatz.Aber das bedeu-tet ganz viel Arbeit,um so etwas auch hin zu bekommen.Der zweite Punkt ist die persönliche Ansprache. Das be-deutet,die Rolle der Professionellen in der Einrichtung ist,dass die Ehrenamtlichen wissen,es gibt da jemanden,zudem sie auch einen persönlichen Kontakt haben. Damites nicht auf einer Ebene ist wie von Schreibtisch zuSchreibtisch,sondern die persönliche Ansprache stattfin-det.Bei mir geht es so weit,dass darüber Freundschaftengeschlossen worden sind.Meine Erfahrung ist,dass dieseArbeit mit den Leuten, die sich engagieren, immer vonPersonen abhängig ist.Und zwar von Personen, die in ir-gendeiner Form auch abgesichert sind und klar arbeitenkönnen,ohne sich ständig über Finanzen ärgern und hin-ter dem Geld herlaufen zu müssen. Diese Leute müssenZeit haben,sich auf andere Leute einzulassen,sie müsseneinen Teil ihrer Arbeitszeit tatsächlich für diese Ansprachereservieren.Das kann ein Gespräch am runden Tisch sein.Das wird oft als die Kaffee trinkenden Sozialpädagogenangesehen. Für mich ist das aber ein Herzstück meinerArbeit.

O< Wir haben vor zehn Jahren einen Beirat gegründet,in dem alle Gruppen vertreten sind. Das ist eine festeEinrichtung.Einmal im Monat trifft sich dieser Beirat mitmir.Das Gute daran ist:Es hängt nicht alles nur von mir ab.Wir haben ganz unterschiedliche Rückmeldungen.Wenndie meckern oder irgendwas wollen,dann hören sie auch,was die Anderen dazu denken. Es ist nicht alles nur zwi-schen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen in eine pri-vate Sache reingepresst. Das kann mal gut gehen odermal nicht.Das hat ein etwas breiteres Fundament.Ich ha-be festgestellt,dass diese Gespräche wichtig sind.Aber esgibt bei uns im Hause viele, die diesen Aufwand mitEhrenamtlichen nicht betreiben wollen, weil sie dieGesprächsebene zu viel Zeit kostet.

O< Aber die Zeit bekommt man doch wieder, indemman mit Ehrenamtlichen zusammenarbeitet.

Vorrednerin: Aber die Ehrenamtlichen machen ja nicht

unsere Arbeit,sondern sie machen andere Arbeit.Sie ma-chen Arbeit, die ihnen Spaß macht und uns vielleichtnoch mehr Arbeit macht, weil wir für die Gruppe dannauch noch einen Raum brauchen.

Jonas: Wobei bei uns der Andreas jemand ist, der einehalbe Stelle im Jugendbereich ersetzt.

O< Wir haben auch Ehrenamtliche, die sofort haupt-amtlich einsteigen könnten.

Vorrednerin: Wir arbeiten nicht mit Ehrenamtlichen,diesozusagen einen Hauptamtlichen ersetzen, denn dannwären wir Jobkiller.Sondern wir arbeiten mit Ehrenamt-lichen in einem Bereich, für den sonst kein Hauptamt-licher da wäre, weil es dafür keine Stellen gibt.Wir wol-len ja nicht eine Stelle durch ein Ehrenamt ersetzen.Wirwollen zusätzliche Angebote schaffen und nicht jemandanderem seine Stelle wegnehmen, weil der Ehrenamt-liche es billiger macht.

O< Auch wenn die Arbeit zusätzlich ist, ist es trotzdemJobkilling. Wenn man eine zusätzliche Arbeit einrichtenwürde,könnte man damit auch einen Arbeitsplatz schaf-fen.

O< Wir haben klar gesagt, die hauptamtlichen Stellenstehen nicht dafür zur Verfügung, sondern es muss einezusätzliche Nebenarbeit sein, die sonst vom Haus nichtgeleistet wird.

O< Ich gehe von unserem Bürgerschaftshaus aus, daseigentlich nichts weiter zu tun hat als Gemeinschaft zuermöglichen.Ich frage mich öfters, wozu macht man daseigentlich? Muss das denn sein? Es ist dringend notwen-dig, und das erschreckt mich, denn in einer kleinen Stadtkennt man sich eigentlich, die Nachbarschaft könntefunktionieren.Funktioniert aber nicht.Und die Menschenbrauchen dringend diesen Platz, wo sie hinkommen.Dasist ein Raum mitten in der Stadt, in dem alles stattfindet,wo Kommunikation möglich ist. In dem Raum haben 50Leute Platz, die sich drängeln oder eng sitzen. Es findetdreierlei gleichzeitig statt.Es ist immer eine Beratung daund es gibt eine Verantwortliche an jedem Tag. Auch al-les ehrenamtlich.Wenn jemand reinkommt, wird er vondiesen Leuten begrüßt. Das ist schon mal eine persönli-che Ansprache. Man kennt seine Leute, man weiß denNamen,man geht aufeinander zu,nimmt sie in Empfang,und sagt: wie geht´s denn heute? Also das Persönliche.Und die Leute, die da hinkommen, treffen sich da auchund kennen sich.Gemeinschaft erleben ist das wichtigstefür die Menschen, die etwas mitmachen. Sie sind dafürbereit, auch Aufgaben zu übernehmen. Mit denen »be-zahlen« sie die Gemeinschaft. Die Aufgabe, die sie über-nehmen, ist das Dritte. Nämlich, gebraucht zu werden.Jeder möchte irgendeine Aufgabe haben, um gebrauchtzu werden.

Jonas: Der dritte wichtige Punkt war für die Ehrenamt-lichen der Erfolg.

O> Erfolg kann es nur geben, wenn man etwas tut.

O< Ja sicher. Wenn man die renovierten Räume sieht

36 Wer hat Spaß daran?

oder sie führen ein Theaterstück auf, und man sagt: dashabt ihr toll gemacht oder die ganze Presse jubelt über die Theateraufführung. Anerkennung braucht derMensch auch.

Jonas: Oder in der Zeitung ist ein großer Bericht über dieletzte Sommerferienfahrt.Oder eine Aktion der Frauen ineinem Geschäft, wo sie Kuchen verkaufen, bringt 1.000Mark für die nächste Kinderferienfahrt. Oder eine Ver-anstaltung, die sie selber organisieren, ist sehr gut be-sucht, es kommt was für die Einrichtung. Wir haben beiuns auch Gruppen,die selbstständig Veranstaltungen or-ganisieren, wo wir nur Hilfen geben, also funktionelleHilfe bei Öffentlichkeitsarbeit, um das Gelingen ein biss-chen abzusichern. Erfolg und Spaß scheinen in unsererArbeit total eng zusammenzuhängen.

O< Haben Sie auch gefragt, was für sie ein Erfolg ist?Ich meine, nur in der Zeitung zu stehen, das kann man jaschon gleich streichen. Dann bin ich von der Zeitung ab-hängig.

Jonas: Erfolg ist für sie, wenn was für die Einrichtungrumkommt. An Geld wird ganz viel festgemacht, ob eineVeranstaltung erfolgreich ist oder nicht, ob was erwirt-schaftet worden ist,ob sich ihr Einsatz gelohnt hat.Sie be-kommen zwar kein Geld, aber sie wollen, dass durch dieGemeinschaft ein Erfolg da ist.

O> Um einen Erfolg zu registrieren, muss man ein Zielhaben. Ein Ziel, das man sich setzt und dann kann manfeststellen, ob das Ziel erreicht wurde.

O< Bei mir ist die Arbeit eher Frust.

Jonas: Wenn das so ist, ist eine Einrichtung gefährdet.Und das sehe ich als eine meiner Hauptaufgaben an,dassich an manchen Stellen Hilfen gebe. Ich versuche abermöglichst, mich im Hintergrund zu halten. Und da seheich den vierten Punkt,der muss noch unbedingt dazu:dieEigenverantwortung.

O> Es ist wichtig sich Ziele zu setzten, die erreichbarsind. Ohne erreichbare Ziele ist der Frust groß. Davonhängt der Erfolg oder Misserfolg ab.

Jonas: Wir versuchen, in größeren Abständen im Teamoder in größeren Kreisen solche Ziele wieder jedes Jahrneu zu setzen und ganz klar zu definieren.Also praktischfür ein Jahr. Im November, Dezember versuchen wir Ver-anstaltungen, die von verschiedenen Gruppen organi-siert werden, für ein Jahr im voraus zu planen und auchZiele festzusetzen, was damit erreicht werden soll undwas gemacht werden muss, wo es hapert, an welchenStellen noch Leute eingesetzt werden müssen.Wir schi-cken dann teilweise auch zusätzlich Leute los,um ein Zielzu erreichen, weil die Leute, die hier sind, nicht ausrei-chen.Wir gucken an der Uni,ob da vielleicht noch jemandLust und Spaß hat, sich ehrenamtlich zu engagieren. Ichfinde,Eigenverantwortung ist eine ganz wichtige Sache.Das ist für mich das Schwierigste an der Arbeit mit denEhrenamtlichen, also mit den Engagierten, die nicht be-zahlt werden, im Gegensatz zu mir, der teilweise aberauch ganz ähnliche Sachen macht. Sie wollen ganz klar

ihren Bereich haben, für den sie verantwortlich sind.An-dererseits wollen sie uns aber dabei haben.Und die Kunstist, jemandem nicht seine 12-jährige Erfahrung überzu-stülpen und zu sagen, das kann nur so und so gehen,sondern den Leuten auch Raum zu geben, diese Eigen-verantwortung zu lernen, vielleicht auch mal ein paarRückschläge einzustecken. Vielleicht sich selber mal zu-rückzuziehen, auch wenn man sieht, das kann eigentlichnicht so richtig gut gehen.Aber ein bisschen Risiko gehörtzur Eigenverantwortung dazu.

O> Die Eigenverantwortung ist ein ganz kritischesSpielchen.Es ist ja das, was beklagt wird, dass Menschenkaum noch bereit sind, Aufgaben zu übernehmen. Auf-gaben sind dann auch Verantwortlichkeiten.Da wird vie-les im ehrenamtlichen Bereich blockiert, weil die Men-schen sagen, ich gebe mich dafür nicht her, das Risikoübernehme ich nicht.Ich fürchte mich,als Dummer da zustehen, der etwas angefangen hat und dann nicht wei-terkommt. Eigenverantwortung zu übernehmen setztvoraus,dass ein geschützter Raum oder eine Aussicht aufErfolg vorhanden ist.Also da muss vorgearbeitet werden.Bei den Zielen muss eben der Rahmen abgesteckt wer-den. Für die, die das hinkriegen, ist das ein gutes Gefühl,manche schaffen es nicht. Manche meinen, sie müsstenalles selber tun und trauen anderen nicht genug zu. Unddas ist dann ein Anlass,viele kleine Möglichkeiten zu bie-ten, wo Eigenverantwortlichkeit übernommen wird. Dasheißt aber auch,dass Aufgaben in viele Teile zerlegt wer-den müssen,dass jeder ein bisschen Eigenverantwortunghaben kann.

O< Bei dieser persönlichen Ansprache und Eigenver-antwortung haben die Professionellen auch eine gewis-se Verantwortung zu tragen. Ehrenamtliche sind ja mitdem bürokratischen Wust,Anträge zu stellen und mit denFinanzen überfordert. Deswegen brauchen sie eine Per-son, die diese Aufgabe für sie übernimmt, den Professio-nellen.Die Eigenverantwortung liegt dann in der prakti-schen Tätigkeit.Die professionelle Person,die gewährlei-stet, dass die ehrenamtliche Person die Eigenverantwor-tung in ihrer Tätigkeit übernehmen kann, ist für ihreVerantwortung von Wichtigkeit. Ich kenne das auch beiuns.Wir haben eine Immigrantin, die ist jetzt um die 60und macht Arbeit mit türkischen Immigranten der erstenGeneration. Sie ist wirklich nicht zu bremsen. Sie machtunheimlich viel in ihrer Freizeit. Aber sobald es umFinanzen geht, braucht sie mich als Ansprechpartnerin.Ich bin da die Sicherheit für sie.

Jonas: Ich habe jetzt überlegt: was macht keinen Spaß?Bei uns hatten wir vor fünf Jahren endlose Diskussionenum Kürzungen. Da haben wir alle eindeutig gesagt: dasmacht keinen Spaß.In dem Moment,wo um den Bestandder Einrichtung diskutiert werden muss, bei uns war dasein Zeitraum von 20 Jahren, ist es so, dass sich alle Mitar-beiter in ihrer Arbeit nicht ernst genommen fühlen, undzwar von außen. Das geht den Professionellen genauso.Es entsteht das Gefühl,als hätten wir nicht genug darge-legt oder dargestellt, dass wir eine vernünftige Arbeitmachen. Wir müssen immer wieder rechtfertigen, waswir für eine Arbeit machen.Diese Geschichte hat bei vie-len dazu geführt,dass sie fast aufgehört hätten.Sie brau-chen so etwas wie einen geschützten Raum. Man kann

auch sagen, es müssen vernünftige Rahmenbedingun-gen da sein, damit ehrenamtliche Arbeit oder bürger-schaftliches Engagement funktionieren kann. Ohne ver-nünftige Rahmenbedingungen, personell und auch räumlich, kann diese Arbeit nicht funktionieren. Das isteinfach ein Irrglaube. Das ist genau diese Geschichte, dievon konservativer Seite postuliert wird: immer wenigerEinsatz von Arbeitskraft und immer mehr Pflichtarbeitvon Ehrenamtlichen.Das wird nie funktionieren.

O< Ich als ehrenamtlicher Vorstand kann mir den Spaßleider nicht aussuchen. Und dann muss ich Verantwor-tung tragen für den finanziellen Mist,den unsere Haupt-amtlichen machen. Insofern, wenn es um finanzielleDinge geht,muss ich als Ehrenamtliche vieles leisten,wo-von die Hauptamtlichen keine Ahnung haben.

O< Die Vorstände bei uns müssen sich auch mit demBestand und mit Geldern beschäftigen, und das sindEhrenamtliche. Die müssen mit der Stadt und mit demLandeswohlfahrtsverband kämpfen.Und das macht kei-nen Spaß.

Vorrednerin: Als ich dieses Amt blauäugig übernom-men habe,weil ich mich bürgerschaftlich interessiere,ha-be ich das nicht geahnt. Und deswegen macht mir dasauch keinen Spaß. Da spielen die Hauptamtlichen aucheine Rolle, weil die eigentlich die Geschäftsführung ma-chen müssten, aber das, was sie dafür brauchen, nie ge-lernt haben.

O< Bei uns ist der Vorstand nur kontrollierendes Organ für die Sachen, die nicht immer Spaß machen.Dafür sind die Hauptamtlichen da und dafür werden siebezahlt.

Jonas: Das muss man in solchen Situationen auch immerwieder sagen: Es ist einfach ein Irrglaube, dass man vielEngagement von oben verordnen kann. Wenn diesePunkte nicht erfüllt sind – persönliche Ansprache, Ge-meinschaftserleben, Erfolg, Eigenverantwortung – wirdnie ein Engagement erfolgen.Es wird einfach nichts pas-sieren.

O> Das,was Sie eben als Beispiel gebracht haben,ist janicht lebensnotwendig. Entweder sind Rahmenbedin-gungen vorhanden oder lassen sich schaffen, um dieseArbeiten zu machen, dann kann man sie machen, dannfindet man Leute.Die finden auch Spaß daran oder findeneinfach eine Aufgabe.Oder aber es ist nicht möglich unddann fallen die eben unter den Tisch.Ich kenne das Spiel,ich leide selbst darunter, dass kein Geld da ist oder nichtgenügend, aber irgendwo sind doch auch für uns Gren-zen.Wir sind in der guten Lage,dass es gerade läuft.Aberwoanders ist es eben gefährdet und eng. Aber wir müs-sen auch die Realität im Sinn behalten.Was nicht mach-bar ist, ist nicht machbar.

O< Die Schwierigkeit bei den Ehrenamts-Agenturen,die jetzt überall wie Pilze aus dem Boden schießen, wodie Leute sehr wohl willig sind,Ehrenamtliche zu vermit-teln, aber an der Basis noch nicht gearbeitet haben, istfolgende: Sie vermitteln jemand in eine Institution unddie fallen dort in ein Loch. In dieser Institution hat man

37Wer hat Spaß daran?

noch nicht gelernt, mit Ehrenamtlichen zu arbeiten.Manweiß gar nicht, dass die auch Gemeinschaft brauchen,persönliche Ansprache brauchen. Die gehen da hin undsollen irgendwas machen, z.B.in irgendwelchen MuseenAufsicht machen. Dann kommen sie hin und die Rah-menbedingungen sind schlecht. Sie wissen nicht, wo sieihre Sachen hintun sollen, um wie viel Uhr die Ablösungkommt, oder solche Dinge.Sie sind bereit, sie wollen sichkulturell einbringen, sie machen sogar die niedrigstenDienste, obwohl sie hochqualifizierte Lehrer oder sonstwas waren.Aber wenn diese Rahmenbedingungen in derInstitution,wohin man sie vermittelt,nicht da sind,ist dassehr frustrierend.Dann gehen sie einmal hin und danachnicht mehr.Die Agentur sagt dann: das liegt an der Insti-tution.Dann muss diese Agentur auch mit der Institutionarbeiten und dort fragen: Seid ihr bereit, jemanden auf-zunehmen und was bietet ihr ihm an Gemeinschafts-möglichkeiten, Gesprächen usw.?

O< Ich komme genau aus dem Bereich und es brodeltwirklich in mir.Es gibt tatsächlich viele Freiwilligenagen-turen, Ehrenamtsbörsen, Freiwilligenzentren usw., dienatürlich alle ihre eigenen Arbeitsschwerpunkte haben.Ich kann nur für den Treffpunkt Hilfsbereitschaft spre-chen,und natürlich gucke ich mir jede Einrichtung,die ichvermittle, an. Und genau die angesprochenen Sachenfrage ich auch ab.

Vorrednerin: Sie sind Hauptamtliche. Bei uns sind dieFreiwilligenagenturen nämlich auch Freiwillige,die überdiesen ganzen Mechanismus gar keine Aufklärung habenund keine Ausbildung dafür.Sie machen ein Aktivbüro fürFrauen nach dem Beruf,sind wunderbar motiviert,habenaber von Tuten und Blasen keine Ahnung. Sie sind wohlwillig, aber es ist ja nichts Professionelles dabei.

Vorrednerin: Aber die Schwierigkeit liegt in der Agentur,dass da die persönliche Ansprache fehlt, dass sie nie-manden haben, der ihnen erzählt, was man braucht, umsich wohlzufühlen,damit es ihnen Spaß macht,damit siedort kontinuierlich bleiben und hinterher sagen: es wargut, dass ich hier war.

O> Unsere Hauptamtliche arbeitet z.B. nur im zentra-len Freiwilligenbereich und den Tauschring machen wirmit Ehrenamtlichen, wo ich selber mitmache. Eine Mög-lichkeit ist,Projekte mit den Institutionen zu vereinbaren.Und da bin ich völlig Ihrer Meinung, ohne Zusammen-arbeit mit den einzelnen Initiativen für freiwillige Mitar-beit geht es nicht. Sonst ist das ganze ein Flop. In Tübin-gen ist das nicht so optimal. Aber in Eppingen weiß ich,dass die mit den Einrichtungen ganz spezielle Projektevereinbaren und genau sagen:das kostet wöchentlich fürdie Dauer von zwei Jahren die und die Zeit. Und sie krie-gen eine Fortbildung in dem Bereich und Beratung. Dasmuss ganz genau festliegen, und dann kann man dieFreiwilligen hinterher immer noch mal zusammenrufenund fragen: hat das geklappt oder nicht? Aber das ist dieAufgabe von Hauptamtlichen. Das können nicht unge-schulte Ehrenamtliche machen.

Vorrednerin: Das können sie schon machen.Sie müssendann aber selber auch unheimlich viel Zeit investieren.Denn ich arbeite da wirklich die ganze Woche über und

muss mit diesen vielen Einrichtungen zusammenarbei-ten, muss sie kennen, muss auch die Leute dahin vermit-teln. Es hat keinen Sinn, dass ich die Einrichtung kenne,aber eine Freiwillige die Vermittlung macht, die die Ein-richtung nicht kennt.Man muss also sehr viel wissen undInformationen bündeln, um sie dann weitergeben zukönnen. Das ist die Schwierigkeit, wenn man nur kurzeZeit oder wenig Zeit in einer Einrichtung verbringt. AlsFreiwillige ist das Tolle, dass ich entscheiden kann, wieviel Zeit ich investiere.

Jonas: Hier ist noch ein wichtiges Wort gefallen. Ich sa-ge mal als Beispiel: Es kommt jemand in die Einrichtungrein,und möchte gerne ehrenamtlich was machen.Dannstehst du erst einmal da: was machst du mit diesemMenschen? Mir ist es ganz selten gelungen, die Leute zugreifen und für irgendwas zu begeistern. Die sind teil-weise mit der Vorstellung gekommen,dass sie von mir ei-nen kleinen Arbeitsplatz serviert kriegen, wo sie sofortanfangen können.Und da fällt auch das Stichwort Quali-fikation. Um bestimmte Sachen machen zu können,musst du auch als Ehrenamtlicher eine gewisse Qualifi-kation haben. Du kannst nur in dem Bereich arbeiten,Spaß und Erfolg haben, wo du auch zumindest ein Stückqualifiziert bist.Es kann sehr frustrierend sein,wenn mannur, um sich irgendwie zu betätigen, irgendwas machenwill.Man macht mit,und irgendwie funktioniert es nicht.Der Erfolg fällt dann ganz schnell flach.

O> Die Menschen müssen sich erst einmal integrierenund wissen, warum was gemacht wird. Und erst dannkann aktiv was passieren. Solche Leute kommen bei mirständig. Die bitte ich dann, einfach mal dabei zu sein, zugucken wie es geht und sich mit anderen zu unterhalten.Und dann kann man darüber sprechen. Aber es muss inden Rahmen passen.

O> Das ist eben der Unterschied zwischen Klientel undMitarbeiter.Bei uns in der Einrichtung nennen wir das eh-renamtliche Mitarbeiter und hauptamtliche Mitarbeiter.Und die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind in der Haus-werkstatt, acht Leute, die verbindlich zwei Abende in derWoche mitmachen und Kindernachmittage organisieren.Die arbeiten seit zehn Jahren ohne Zuschuss. Die erwirt-schaften ihren Etat selber. Haben einen Umsatz von18.000 DM im Jahr, wovon sie Holz kaufen und andereSachen.Die kriegen das irgendwie hin, trotz veränderterFamilienverhältnisse.Der Jüngste, der da arbeitet, der istda auch schon seit zwölf Jahren ein fester ehrenamtlicherMitarbeiter. Man kriegt kaum neue Leute. Es kommenMenschen und sagen: baue mir mal ein Bett, bei Ikea istmir das zu teuer. Stell du dich mal an die Kreissäge undmach mir das mal. Und dann sagen die Ehrenamtlichenauch: Stop! Da haben sie ihre Regeln. Aber auf der einenSeite sind die Ehrenamtlichen unzufrieden, wenn keineLeute kommen.Auf der anderen Seite macht es unheim-lich Mühe, wieder jede Woche aufzutauchen und zu ar-beiten, jede Woche die Werkstatt aufzumachen, dasWerkzeug zum Schleifen zu bringen und sich um dieganze Infrastruktur zu kümmern. Es gibt zehn Gruppenbei uns im Haus. Aber die Ehrenamtlichen auch zu schu-len, Klientel zur Ehrenamtlichkeit zu führen, das ist vonhauptamtlicher Seite gar nicht zu leisten, weil wir garnicht ständig die Zeit dazu haben.Und da reicht es nicht,

wenn man sich mal ein Werbeangebot mit Holzverbin-dungskurs für Frauen oder irgendwas anderes überlegt.Das ist ein großes Problem,dass diese alten Leute sich anden Haaren herbeireißen,um weiterzumachen und nichttotzukriegen sind.Aber der Sprung,mit neuen Menschenzusammenzuarbeiten mit den alten Angeboten, istschwer.Wir haben auch Computerwerkstätten.Aber es istsehr schwer,da jetzt Anreize zu schaffen für andere Leute,die mit ihnen dann wieder Spaß haben.Weil sie nur Spaßhaben, wenn auch immer wieder neue Leute kommen.

Jonas: Die zwischenmenschliche Begegnung ist einestarke Motivation z.B.für Leute, die in hochqualifiziertentechnischen Bereichen arbeiten,wo sie all das nicht mehrfinden, es ist da ein harter Konkurrenzkampf. Und dieseganzen Teamgeschichten haben sich im Arbeitslebenauch nicht so verbreitet, wie es eigentlich wünschens-wert wäre.Und bürgerschaftliches Engagement ist dannfür diese Leute ein Ausgleich für solche Tätigkeiten. Des-wegen suche ich meine Leute aus solchen Bereichen. Ichversuche auch Kontakt zu Firmen aufzubauen, überLeute, die wiederum das Haus kennen, um an solcheLeute erst einmal heranzukommen. In Amerika kriegenManager bezahlten Urlaub, um sich ehrenamtlich zu en-gagieren. Die haben festgestellt, dass die sozialen Kom-ponenten sehr produktiv sind.Wir müssen zum Abschluss noch drei Fragen formulieren.Wobei ich finde,zwei stehen da schon fest:Warum arbei-tet man eigentlich umsonst? Bürgerschaftliches Engage-ment – ein Verantwortungssyndrom? Wir müssen unsnoch eine dritte Frage dazu überlegen.

O< Was tut die Kommune für den Spaß der Frei-willigen?

O> Die braucht nichts zu tun.Wenn du etwas machst,dann hast du Spaß

O< Genau.Dazu brauche ich die Kommune überhauptnicht Wenn ich Kindern vorlesen will, mache ich das.Kinder gibt es überall.Wenn man Spaß an so etwas hat,dann findet man das auch.Es gibt so viele Möglichkeiten.Die anderen haben sich ihre Nachbarschaftshäuser selbergeschaffen,haben sich ihre Vereine selber geschaffen,ih-re Zentren selber geschaffen.So wie Sie.Um die Rahmen-bedingungen kämpft man dann.Aber ich denke,man sollnicht alles von der Kommune abhängig machen, nachdem Motto: Der Staat soll gefälligst was tun, damit wirSpaß haben. Sondern wir müssen was tun, damit wirSpaß haben.

O< In unserer heutigen Zeit finde ich das utopisch,dassan mir alleine hängt, ob ich mir Spaß schaffe, ob ich wasauf die Beine stelle, was mir Spaß macht.

O< Das ist auch eine Frage:Schafft man überhaupt wasalleine?

O> Aufgaben entstehen auch aus Situationen heraus.Meistens ist eine Geschichte davor, bevor etwas passiert.Wenn die Rahmenbedingungen nicht da sind,wenn keinRaum vorhanden ist, man nicht die Grundausstattunghat, dann findet das eben nicht statt. Man muss dochnicht alles machen, was man machen könnte. Da kann

38 Wer hat Spaß daran?

man lieber die Dinge tun, für die sich Voraussetzungenbieten.

O< Welche Voraussetzungen brauchen Sie?

O< Man braucht Rahmenbedingungen und dann istauch die Frage zu überlegen:Wie sicher sind die?

Jonas: Das sind jetzt zwei Punkte. Der eine ist: da ist ei-ne Einrichtung,welche Rahmenbedingungen muss es fürdiese Einrichtung geben, damit sie weiter vernünftig ar-beiten kann? Und der andere ist:Wie entsteht was ganzNeues? Wir haben ja gesagt,es gibt sehr viele Menschen,die was machen wollen,auch für die Einrichtung.Es ist jaauch immer die Frage, wie man Rahmenbedingungenoder Möglichkeiten schafft,dass Leute was Neues anfan-gen, sich in neue Sachen reinbegeben.

O> Ich kann Ihnen ein paar Beispiele sagen, wo dieStadtverwaltung das gerade getan hat, was Sie einkla-gen,nämlich Räume und Möglichkeiten zur Verfügung zustellen, einen Verein zu gründen und verfolgen was pas-siert.Und die Dinge kommen nicht in Gang.Es wird nichtsdraus, weil die Leute fehlen. Da hat man die Vorausset-zungen geschaffen,und der Bürgermeister findet es auchwunderbar und dann findet er die Leute nicht. Es fehltauch die Begeisterung für irgendein Thema, weil vonoben aufgesetzt wird,hier habt ihr einen Raum und jetztmacht mal was.

Jonas: Die Frage könnte heißen: Wer schafft die Rah-menbedingungen für eine Einrichtung?

O< Wer schafft es überhaupt, dass jemand in einenRahmen reinmöchte?

O> Der Weg ist das Ziel.Wenn man sich einmal auf denWeg macht, entwickelt sich auch eine Kraft, mit der manauf das Ziel hinarbeitet.Da finden sich auch Leute,die sichdas auf ihre Fahnen schreiben, und dann wird alles inBewegung gesetzt, um das zu erreichen.Nur ist es oft so,wenn das Ziel erreicht ist, dann sind die Leute verschlis-sen, gerade im ehrenamtlichen Bereich. Ich finde, manmuss nicht immer an allem Bestehenden festhalten,son-dern man muss um was Neues ringen. Es muss ein Hun-ger nach neuen Sachen entstehen.

O< Wer schafft welche Rahmenbedingungen und wie?

O< Wer koordiniert Angebot und Bedarf? Es scheint jaalles da zu sein,dass Leute sich engagieren wollen,etwashaben wollen, wer kann das koordinieren und dann för-dern? Wer ist dafür verantwortlich? Das kann ja nicht al-les die Basis übernehmen. Die Ehrenamtlichen, die sichfür eine Sache einsetzen,sollen dann auch noch die Leutefür eine Sache motivieren.

Jonas: Viele Sachen scheitern im Vorfeld daran, dassLeute nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen.Als Beispiel: Man will eine Tierfarm für Kinder aufbauen.An wen kann man sich da wenden, wie komme ich wei-ter? Sie brauchen ja eine Menge Fachwissen heutzutage,um erst einmal bei einem solchen Thema durchzustei-gen.Dazu braucht man fast ein Leben lang.

Wie kann man da Unterstützung kriegen?

O> Das sind die alten Zentren,die sich das erkämpft ha-ben.Die müssen bereit sein, solche neuen Sachen zu för-dern.Wir haben eine Kollegin ein Jahr freigestellt von ih-rer Jugendarbeit, um den neuen Beschäftigungsträgerzu gründen. Wir sind ein Freizeitzentrum und machenbisher keine Ausbildung. Aber das war nötig. Und dannhaben wir gesagt, die Frau gründet einen neuen Verein.Die lässt die alten Sachen sein und kümmert sich um wasNeues. Die Notwendigkeit dazu zu erkennen und dafürdie Ressourcen zur Verfügung zu stellen, das bringtErfahrungen auch mit diesem Behördenkram. Die Leutekommen zu uns und sagen, ich habe da eine Maschinegefunden. Ich will eine Buchdruckwerkstatt machen.Dann sagen wir o.k. Oder einen Hühnerhof mitten inAltona, wo morgens früh der Hahn kräht mitten in derStadt. Das sind verrückte Sachen, die müssen aber mög-lich sein.Wenn man die gespeicherte Erfahrung mit ver-rückten Geschichten verbindet mit den Vorteilen freierTräger, die mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit nicht in die-ser Behördenglocke stecken, dann kann man wirklichverrückte Sachen denken und ausprobieren und auch mitder Wirtschaft zusammenarbeiten.Das ist dann ein Pott,wo Neues gekocht wird.

Jonas: Die Frage müsste sein:Sind sozial-kulturelle Zen-tren Keimzellen für neue Ideen und Projekte?

Vorredner: Man muss auch mal bereit sein, an dem Astzu sägen, auf dem man selber sitzt, um etwas Neues zuschaffen.

O> Wir haben bei uns viele Beispiele,wie kleine Pflänz-chen, Ideen, gepflegt worden sind, aus denen manchmalwas geworden ist oder auch nicht. Aber da ist eben rich-tig Breitenarbeit vorhanden.Der Sozialminister gibt stän-dig irgendwelche Programme raus, wo dannschwerpunktmäßig dies oder das gefördert wird, nichtnur mit Geld, sondern auch mit Ideen. Aber es ist immernötig, dass dafür Menschen gefunden werden, die dasDing lebendig machen. Ich habe den Eindruck, dass wirRahmen-bedingungen genügend haben. DasWesentliche an den Einrichtungen,die man da schafft,ist,dass man möglichst ehrenamtliche Menschen findet,diedas dann auch betreiben und bewegen. Es gibt zweiSorten von Men-schen.Die einen finden es prima, etwasNeues auf die Schiene zu setzen. Wenn das dann läuft,braucht man die andere Gruppe von Menschen,die so et-was tragen und durchhalten,die den langen Atem haben.Es muss immer eine Idee da sein, die den Leuten Appetitund Tatendrang gibt. Eine Idee, die auf jeden Fall umge-setzt werden sollte, weil es ihnen wichtig erscheint.

O< Der Bedarf muss aber von unten kommen.

Jonas: Die Frage, die ich eben gestellt habe: Müssen so-zial-kulturelle Einrichtungen Keimzellen für neue Ideenund Projekte sein?

O> Da sitzt jedenfalls die Kompetenz und das muss an-erkannt werden.

O< Wie sieht so eine Keimzelle wirklich aus?

O> Kann eine bestehende Einrichtung Keimzelle fürneue Ideen und Einrichtungen sein und erkennt man sieauf Behördenebene als kompetenten Gesprächspartnerbzw.Verhandlungspartner an? Gibt es überprüfbare Nor-men für Einrichtungen, wo gesagt wird, das sind kompe-tente Leute, da gehen wir ran? Bewegen sich die Behör-denleute mal von sich aus in die Zentren rein? Müssen wirda immer hinterherkriechen? Der zweite Schritt ist:Wie können wir die Fähigkeit ent-wickeln,unsere Qualität nach außen zu tragen,um dieseQualität deutlich werden zu lassen auch in Behörden,mitdenen wir zusammenhängen? Und da sind die Behörden,gerade im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen, mei-lenweit entfernt.

O< Das kann ich von Tübingen gar nicht sagen.Wir ha-ben Verwaltungslotsen. In jeder Abteilung gibt es einenAnsprechpartner, der namentlich bekannt ist. Der ist fürbestimmte Stadtteile oder Bereiche zuständig und derweiß, wer im Bürgerbüro oder in der Altenbegegnungs-stätte als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Das ha-ben wir im Bürgerbüro geschafft. Aber auf der Wirt-schaftsseite stimmt es bei uns überhaupt nicht.

O> Gerade der Gerling-Konzern, mit dem wir zusam-mengearbeitet haben,hat sich als fachlich kompetent er-wiesen,nachzuprüfen,ob Einrichtungen kompetent sind,ihre ausgelobten Stiftungsvorhaben auch wirklich in denEinrichtungen durchführen zu können. Die haben sichFachleute rangeholt für diese Sache und damit auchInteresse und ein Wissen um die Qualität dieser Arbeitbewiesen. Das ist bei den Behörden in Hamburg ganzschlecht.

O< Es gibt ein großes Desinteresse bei den Behörden.

O< Wir können noch Elemente sammeln, die in einem»idealen« Nachbarschaftshaus drin sein müssten.

Alle: Eingangsbereich, großer freundlicher Raum mitCafeteria mit Selbstbedienung,Empfang mit einer Thekeaber auch die Möglichkeit einen Kaffee zu trinken, undmit kleinen, runden Tischen, wo man auch mit mehrerensprechen kann, Licht und Transparenz, gläserne Schau-fenster,dass man auch nach draußen gucken kann.Trans-parenz von außen und innen,Kinderspielecke,Büroraummit Fax, Kopierer, PC mit Internet, eine Abhängecke fürJugendliche, verschiedene Eingänge für verschiedeneBereiche,Garten mit Terrasse,Vernetzung der Gruppen imHaus, gemeinsame Projekte.

Jonas: Das ist z.B.ein Arbeitsprinzip von uns,dass wir je-des Jahr bestimmte Punkte setzen, an denen tatsächlichauch verschiedene Gruppen gemeinsam arbeiten.Wir ge-hen dann auch in Gruppen rein,um sie zu motivieren.Wirwollen die starren Gruppen öffnen, damit man erlebenkann: wir sind gemeinsam eine Einrichtung.

O> Da haben wir eine Motte-Gala,wo alle Werkstättenund Kurse eine kurze Darbietung machen.Das läuft überden ganzen Abend, wo dann einer Motorrad fährt aufdem Drahtseil oder andere verrückte Geschichten.

Jonas: Bei uns heißt das Stadtteilvarieté.

39Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem Rechtsanspruch

Der Begriff »Auslaufmodell« setzt eine industrielle Pro-duktion von Konsumgütern voraus,die für eine meist kur-ze Zeit »in Mode« (en vogue) sind und danach aufSchlussverkäufen verramscht werden. Dabei gibt es im-mer noch den feinen Unterschied zwischen »in sein« und»out sein« einerseits und »Auslaufmodellen« anderer-seits. Was »out« ist, das muss noch kein Auslaufmodellsein – es ist nur innerhalb der geschmacksbildendenKreise der Trendsetter und Avantgardisten kein Ge-sprächsthema mehr. Das heißt aber nicht, dass es schonein Auslaufmodell wäre. Winterschuhe mit den Spitzeneines Breitmaulfrosches sind zwar nicht mehr »in«. DieModels tragen sie nicht mehr im Defilee, aber in denSchaufenstern sind sie noch zu sehen. Erst wenn einKraftfahrzeug endgültig aus der Produktion herausge-nommen worden ist und es auch keine fabrikneuenErsatzteile mehr dafür gibt, dann ist es »ausgelaufen« –der Wiederverkaufswert sinkt gegen Null, und dasGleiche gilt für die Wahrscheinlichkeit,dass es jemals ge-klaut werden wird.Der Begriff »Auslaufmodell« setzt also das Vorhanden-sein von »Moden« voraus, die vorübergehen und einekünstliche »Veralterung« von Produkten und Dienstleis-tungen bewirken. Moden in unserem industriellen Zeit-alter sind eine Folge der Umwandlung unserer ursprüng-lichen Bedarfsdeckungsgesellschaft in eine modische

Bedarfsweckungsgesellschaft, die unsere Wintermäntelin die AWO-Kleiderkammer lockt,obwohl sie immer nochvoll intakt sind und keine Mottenlöcher zeigen.

Gibt es Moden in der Sozialen Arbeit?

Es scheint so, als würden die Arbeitsweisen von Sozial-pädagogInnen und SozialarbeiterInnen,von Kommunal-politikerInnen und Gemeinderäten anderen Gesetzenfolgen als denen launischer spätkapitalistischer Markt-

beherrschung. Demnach hat es auch in der SozialenArbeit – großräumig betrachtet – so etwas wie Entwick-lungsphasen gegeben, die dem jeweiligen Zeitgeist ge-schuldet waren.Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches hatten wireine Phase der »Demokratisierung durch Methoden-lehre«,die in der Einzelhilfe im Vier-Augen-Gespräch undder anleitenden Arbeit in der kleinen, überschaubarenGruppe eine dominante Rolle spielten. Nach 1970 kamGemeinwesenarbeit als »dritte der klassischen Metho-den« hinzu. Sie kam vergleichsweise spät, weil die kom-munalpolitischen Verhältnisse in den USA, in England, inden Niederlanden und später auch in anderen westlichenLändern prinzipiell andere waren als in der Bundes-republik.Bei uns gab es keine Regelungslücke im Hinblickauf die infrastrukturelle Ausstattung von Dörfern, Land-kreisen und Städten – wir mussten uns vielmehr,ähnlichwie Italiener und Franzosen, von der Übermacht kom-munaler Verregelungen befreien und mobilisierbareBürger auf die Straße bitten, damit sie einen Teil ihrerInteressen im Wohnquartier wieder selber in die Handnehmen oder im Rathaus vertreten würden.Dazu kamendie ehrwürdigen Organisationsprinzipien »linker« Par-teien, die aus guten Gründen den Schwerpunkt ihrerOrganisations- und Mobilisierungsarbeit am »Arbeits-platz«, das heißt im Betrieb sahen und die Arbeit im»Wohnquartier« – im »Reproduktionsbereich« als nach-rangig betrachteten. Gemeinwesenarbeit wurde also inWestdeutschland vergleichsweise spät entdeckt.Und sie hatte eine zunächst kurze Blütezeit in den siebzi-ger Jahren. Aus zwei Gründen. Einmal entdeckten poli-tisch-ökonomisch orientierte Studentenbewegte dasWohngebiet als Agitations- und Mobilisierungsplatt-form,nachdem ihnen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer dieTore zu den Fabriken versperrt hatten, weil sie sie fürSpinner hielten. Der zweite Grund war, dass anspruchs-volle SozialarbeiterInnen bei ihrer lebensweltorientier-ten Arbeit in Krippe und Kindergarten,in Jugendamt undErziehungsberatung, beim ASD und im Jugendclub er-kannten, dass die Probleme, unter denen ihre Klienten litten, nicht überwiegend individuelle Probleme warenund auch nicht nur »gesamtgesellschaftliche«. Sonderndass sie mit den infrastrukturellen blinden Flecken undDisfunktionalitäten ihres Wohngebietes zusammenhin-gen. Und dass es vernünftig wäre, sie nicht nur individu-ell therapieren zu wollen.Und auch nicht warten zu müs-sen, bis eine neue Gesellschaftsordnung uns mit neuenkommunalen Infrastrukturen beglücken würde.Sondernin solidarischer Zusammenarbeit eine Geschwindigkeits-begrenzung vor einer Grundschule durchzusetzen odereine Verkehrsberuhigung, den Heizkostenanteil an derMiete nachzuprüfen, den die marktbestimmende Woh-nungsbaugesellschaft auf die Jahresabrechnung setzteoder auf eine Verlängerung der Öffnungszeiten der be-nachbarten Kita zu drängen.Nebenbei: Ich bekenne, dass ich ursprünglich diese

Formen der kleinteiligen Gemeinwesenarbeit als »unpo-litisch« belächelt habe. Inzwischen habe ich gelernt, dieSorgen der BürgerInnen, vor allem auch in den neuenBundesländern, ernst zu nehmen, die sich von einer bes-seren Straßenbeleuchtung einen Schutz vor der zuneh-menden Alltagskriminalität erhoffen.Gemeinwesenabeit als Mobilisierungsstrategie derWohnbevölkerung im Stadtteil gegen die zunehmendenWidersprüche spätkapitalistischer Stadtpolitik – vor al-lem in heruntergewirtschafteten innerstädtischen Alt-baugebieten,aber auch in den neuen Satellitenstädten inWest und Ost – hatte eine vergleichsweise kurze Blüte inden siebziger und frühen achtziger Jahren. Aber nur aufder Oberfläche. Mein Freund und Kollege Dieter Oel-schlägel vermittelte durch seine praktische Arbeit in derBerliner Heerstr.Nord und durch seine theoretische Arbeitmit Jaak Boulet und E.Jürgen Krauss zwischen der (alten)Gemeinwesenarbeit als Methode und der (neuen) Ge-meinwesenarbeit als Prinzip (Bielefeld: AJZ 1980). DieKollegInnen suchten auf ihre Weise, GWA von ihrer Ein-engung als spezifische Methode Sozialer Arbeit im Stadt-teil zu befreien und sie als zeitgenössisches Prinzip desZusammendenkens von unterschiedlichen Ansätzen So-zialer Arbeit als Ressourcenarbeit zu erweitern. So, wiebeispielsweise auch die alte Gruppenpädagogik durchneuere Entwicklungen von Gruppendynamik, themen-zentrierte Interaktion, Referenzgruppenarbeit und Stra-ßensozialarbeit erweitert und bereichert worden ist unddie alte soziale Einzelhilfe durch mannigfaltige neue For-men von Beratung, Gruppentherapie und Case Manage-ment.Es ist richtig,dass Spaßvögel im Herbst 1975 auf einer Ta-gung über konfliktorientierte Gemeinwesenarbeit in Ber-lin eine Todesanzeige formulierten, die anzeigen sollte,dass »nach einem kurzen, aber arbeitsreichen Leben un-ser liebstes und eigenwilligstes Kind GWA verstarb undzwar an• Allzuständigkeit, Eigenbrötelei und Profilierungs-

neurose• methodischer Schwäche und theoretischer

Schwindsucht• politischer Disziplinierung und finanzieller

Auszehrung.Wir, die Hinterbliebenen, fragen uns verzweifelt, ob die-ser frühe Tod nicht hätte verhindert werden können?«(siehe Müller 1997, 249, Fußnote 69).

Die Todesanzeige derGemeinwesenarbeit war verfrüht.

Ich denke, es ist immer so, wenn kurzfristige Trends fürden Atem der Geschichte gehalten werden.Dann werdenneue Zeiten ausgerufen und neue Denkmodelle entwor-fen.Dann rufen alle Neuerer nach »Visionen« und bietengleichzeitig ihre häufig kleinkarierten Tageslösungen an.Neues erscheint häufig nur jenen neu,die sich kein histo-

Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem RechtsanspruchGemeinwesenarbeit als Auslaufmodell und Alternative

C.Wolfgang Müller, Berlin

R E F E R A T E

40 Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem Rechtsanspruch

risches Gedächtnis aneignen konnten und die deshalbSchwierigkeiten haben,in Jahrzehnten zu denken statt inEtatjahren.Wer die gegenwärtig aktuelle Fachliteratur verfolgt undnicht auf eingefahrene Begriffe fixiert ist,der wird immerwieder neue (und »modische«) Begrifflichkeiten finden,die unschwer in die Tradition etablierter Gemeinwesen-arbeit einzuordnen sind.Ich erinnere daran, dass Hans Tiersch in den achtzigerJahren das Prinzip der Lebensweltorientierung in die so-zialpädagogische Diskussion einführte und damit aucheinem der Jugendberichte der Bundesregierung Grund-lage und Richtung gab. Diese Lebensweltorientierungwurde zwar von vielen (und nicht zu Unrecht) als eineAbkehr vom alten Prinzip der Orientierung an derKlassenlage unterschiedlicher Bevölkerungsschichtenverstanden – und damit als eine Umorientierung von

Marx auf Husserl. Aber richtig war doch, dass dieLebensweltorientierung eine alte Grundrichtung sozial-pädagogischen und sozialarbeiterischen Denkens wie-der in Erinnerung brachte: die Zielgruppenorientierung,das Prinzip,anzufangen,wo die Klienten stehen,und dasGebot, Menschen, die in Schwierigkeiten sind, nicht not-wendig aus ihren alten Loyalitäten und Bezügen zu lösen,sondern ihnen zu helfen, die Stärken und die Hilfen zunutzen,die ihnen »vor Ort« zur Verfügung stehen oder zurVerfügung stehen könnten.Eng mit dem Prinzip der Lebensweltorientierung ist dasPrinzip der Ressourcenarbeit verbunden.In vielen Krisen-situationen und bei vielerlei Mangelerscheinungen ist eswenig angemessen, die Hilfesuchenden an ferne Orte zuverpflanzen oder für sie weit entfernte Helfer zu suchen.Häufig ist es sinnvoller, mit ihnen gemeinsam Hilfsquel-len in ihrer Nähe zu erschließen, die sie bisher nicht ge-sehen haben und die zu sehen ihnen Scham bereitet hät-te. Ressourcenarbeit ist in den meisten Fällen Nachbar-schaftsarbeit und Nachbarschaftsmobilisierung.Ich weiß,dass diesem Prinzip eine moderne Erscheinungsformentgegensteht, die Ulrich Beck und andere mit Individu-

alisierung umschrieben haben, mit dem Verlust der Be-reitschaft, sich wieder auf die Traditionen und auf dieNetzwerke zu besinnen, aus denen wir gekommen sind.Das mag richtig sein,aber gerade deshalb ist die Rückbin-dung von Hilfesuchenden an ihr Gemeinwesen die Neu-formulierung einer alten sozialarbeiterischen Aufgabe.Eng verwandt mit Lebensweltorientierung und Ressour-cenarbeit ist sicher auch ein neues Modewort,das in die-sen Jahren Karriere gemacht hat und das sich »Case ma-nagement« nennt. Insbesondere in einem Land wie denUSA,wo es ein unterentwickeltes und in viele Winde zer-streutes System Sozialer Dienste und Sozialer Hilfen gibt,erscheint es immer notwendiger, die unterschiedlichen,partiellen Hilfemöglichkeiten für den »Einzelfall« durchjemanden zu bündeln und zu koordinieren, der denÜberblick hat oder behält. In Deutschland ist es in vielenFällen der Allgemeine Soziale Dienst, und gerade auchdieser ASD wird mehr und mehr auf eine Sichtweise ori-entiert, die weniger von der Fixierung auf den Einzelfallausgeht, sondern mehr auf den Panoramablick über dieMöglichkeiten des gesamten Gemeinwesens. Case ma-nagement,so könnte man sagen,ist die Beheimatung ei-ner gemeinwesenorientierten Sichtweise bei der Bear-beitung von so genannten Einzelfällen.Die Organisationsentwicklungen in der Sozialen Arbeitder letzten zwanzig Jahre haben deutliche Dezentralisie-rungstendenzen gezeigt. Die klassischen »Ämter«, diesich häufig in ihren Rathäusern einmauerten,haben sichin die Stadtteile geöffnet und dezentrale Stützpunkte ge-schaffen, die mehr und mehr Unabhängigkeit von denVorgaben der Zentrale beanspruchen. In einigen (nochwenigen) Kommunen hat das zu einer vorsichtigenEinführung von »Sozialraumbudgets« geführt, in denendie Einzeletats aller sozialen Dienstleistungen für ein be-stimmtes geografisch wie sozial genau umschriebenesGebiet zusammengefasst und vor Ort »gemanagt« wer-den. Das klingt erst einmal verlockend. Der Charme die-ser neuen Verfahrensweise hängt aber letztlich davon ab,welche der unterschiedlichen sozialen, kulturellen, bil-dungsspezifischen und kommerziellen Interessen imStadtteil so artikulations- und durchsetzungsfähig sind,dass sie nicht gegenüber publikumswirksamen Ansprü-chen schwächeln. In der Sozialen Arbeit vertreten wirhäufig Interessen,die in der konkurrenzorientierten »frei-en« Marktwirtschaft nicht immer auf euphorische Ge-genliebe stoßen.Eine neue Version dessen,was wir früherunter Gemeinwesenarbeit verstanden haben, hat PeterStrieder,der Berliner Senator für Stadtentwicklung,unterdem Begriff »Quartiersmanagement« erfunden. In vier,durch eine aufwändige Untersuchung von ProfessorHartmut Häußermann (Humboldt-Universität) identifi-zierten Berliner Wohnquartieren sollen eigens einge-setzte Quartiersmanager in Zusammenarbeit mit denBürgerInnen, HändlerInnen, PolitikerInnen und denVertreterInnen ethnischer Gruppen den Versuch machen,Ressourcen zu bündeln und destruktive Tendenzen zu-rückzudrängen. Das scheint mir ein gutes Beispiel nord-amerikanischer,integrativer Gemeinwesenarbeit zu sein,vor allem,wenn es funktioniert.Und nicht allzu weit ent-fernt von den Enkeln Saul Alinskys und seiner »IndustrialAreas Foundation«, die ja auch auf der Zusammenarbeitmit kapitalkräftigen Unternehmern im Stadtteil beruht –und auf ihrem »natürlichen« Interesse, die Loyalität derBewohnerInnen (die ja KundInnen sind) nicht völlig in

den Wind zu schießen.Nebenbei: Ich bekenne, dass ich nach meinen Erfahrun-gen an der nordamerikanischen Westküste in den frühensechziger Jahren nicht sehr bereit war, die Zusammen-arbeit mit »Wirtschaft und Handel im Stadtteil« als we-sentliches Element von GWA zu propagieren. Ich habe indieser Frage meine Position revidiert. Ich denke heute –so wie viele progressive GemeinwesenarbeiterInnen inden USA, in England und in den Niederlanden es be-schrieben haben – dass die Aufwertung und die Befrie-dung eines problematischen Wohngebietes nicht ohnedie aktive Mitarbeit der dort ihr Gewerbe betreibendenHandwer-kerInnen, HändlerInnen und Dienstleiste-rInnen zu machen ist. Deshalb heißt für mich heute»Quartiersmanagement« in sozialen Brennpunkten nichtdie Konflikte hochkochen, bis sie explodieren. Sondern:Gegenkräfte mobilisieren und stärken, die verhindern,dass die Gegend auseinander fliegt.Das vorerst letzte Beispiel, das mir einfällt, wenn ich mitder Frage konfrontiert werde,ob Gemeinwesenarbeit einAuslaufmodell sei und gleichzeitig eine Alternative, istdas Grazer Modell zur Befriedung von »Gewalt in derStadt«,das Rainer Steinweg 1994 in einem lesenswertenBuch dokumentiert hat. Dabei geht es um die alte GWA-Frage:Wo finde ich ein Thema (einen issue),das stark undmobilisierend genug ist, um die wichtigsten Meinungs-führerInnen in einem Gemeinwesen zu mobilisieren undum einen »runden Tisch« zu versammeln? Am Beispielder Wahrnehmung von Gewalt durch Grazer Bürgerinnenund Bürger dokumentiert Steinweg einen mehrjährigenProzess von – in der Tat – Gemeinwesenarbeit am Bei-spiel eines »runden Tisches« – nicht um Schuldige zu fin-den, sondern um das Thema »Gewalt in der Stadt« zu er-weitern und eine allgemeine Sensibilität herzustellen,»was wir in Graz eigentlich uns in Graz antun«. Und umdaraus vom runden Tisch entwickelte und vom rundenTisch verantwortete Lösungen zu suchen,durchzusetzenund zu verantworten.Dieses Beispiel ist für mich eigentlich das beste Beispielbei der Beantwortung der Frage,ob Gemeinwesenarbeitein Auslaufmodell sei und gleichzeitig eine Alternative.

Auslaufmodell und Alternative

Es mag Leser geben,die sich über die merkwürdige Über-schrift dieses Beitrags gewundert haben:»Auslaufmodellund Perspektive«. Sie mögen an der Formulierung vonAlternativfragen orientiert sein: »Entweder oder«, »Aus-laufmodell« oder »Alternative«.Ich bin seit einiger Zeit beeindruckt von dem Satz WassiliKandinskis, dieses Jahrhundert der »Alternativen«! Ermeinte dies in der Auseinandersetzung zwischen derkonservativen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts undder »Moderne«, die ja keine einheitliche Richtung war,wie sie gern dargestellt wurde,sondern ein Ensemble vonAlternativen.Gemeinwesenarbeit nicht gegen, sondern zusammenmit den anderen Formen Sozialen Handelns in derSozialen Arbeit.Deshalb denke ich im Hinblick auf die Entwicklung me-thodischen Arbeitens in der Sozialen Arbeit,dass eine all-zu enge, fast schon dogmatische Sichtweise auf dieseMethoden und ihren genau definierten Geltungsbereichin der Tat »out« ist – wenn nicht sogar eine Art »Auslauf-

41Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem Rechtsanspruch

modell«. Gleichzeitig aber denke ich, dass die Methodenin ihrer Gesamtheit eine sinnvolle Alternative zu jenerunprofessionellen Werkelei darstellen, bei der alles er-laubt ist, was mit den Begriffen von »Zielgruppe«, »Be-troffenheit« und »Empathie« auch nur einigermaßen zurDeckung zu bringen ist. Gemeinwesenarbeit erscheintmir immer noch und immer wieder als eine sinnvolleAlternative zur unvernünftigen, prinzipienlosen Hand-werkelei.Und zwar nicht gegen, sondern zusammen mitden anderen Spezialformen Sozialen Handelns in derSozialen Arbeit.Es gibt in der Tat individuell verursachte und individuellzu bearbeitende Probleme von Menschen. Einzelfallhilfeund Beratung mögen hier eine hilfreiche Rolle spielen.Es gibt in der Tat kleingruppen- und bezugsgruppen-spe-zifische Probleme von Menschen,die auch in der Bezugs-gruppe bearbeitet werden können.

Und es gibt Probleme,die vom gesamtgesellschaftlichenKontext bestimmt werden und nur in diesem Kontext zuvermeiden, zu dämpfen, zu lösen sind. Dazwischen aberliegen Probleme,die in der Lebenswelt und im Alltag vonMenschen entstehen und in der Lebenswelt und imAlltag dieser Menschen bearbeitet und gelöst werdenkönnen. Nicht durch Zähnezusammenbeißen und durchden Amoklauf einsamer Wölfe,sondern durch gemeinsa-mes,solidarisches Handeln in den Netzwerken von Men-schen,die ich kenne und die mir vertraut sind.Im Hinblickauf solche Probleme – und die gibt es zuhauf – ist Ge-meinwesenarbeit eine Alternative zum Achselzuckenebenso wie zum Kurzschlusshandeln.

Aus der Diskussion:

Frage nicht zu verstehen, dafür heftiges Gelächter

Müller: Auf jeden Fall hat Allinski (USA) eine Wandlungdurchgemacht, hat dann sehr stark die Notwendigkeitder Zusammenarbeit mit den strukturbestimmendenKräften im Stadtteil betont.Und in dieser Richtung hat er

doch die Organisation von Fondsbetrieben vorange-bracht, die dann in der Tat durch relativ unabhängigeBürgerkomitees verwaltet und benutzt worden sind.Dashat er in Amerika tun können aus mehreren Gründen,weil die amerikanische Gemeindeverfassung eben ande-re Möglichkeiten sieht, weil sie wesentlich weniger Re-gelungen haben; z.B. die amerikanischen Gemeindenkönnen eigene Steuern erheben, was in Deutschlandnicht möglich ist. In dieser Entwicklung von Allinski seheich durchaus Parallelen zu dem, was im Quartiersmana-gement in Berlin angedacht worden ist.Man muss aller-dings sehen, dass es nur angedacht worden ist. Wie esweitergeht, weiß keiner.Die Manager sind ja gerade ersteingestellt worden. Und die Art und Weise, wie sie mitMitteln nicht ausgestattet worden sind, lässt eigentlichbefürchten oder hoffen,dass es sich wieder um eine eherkosmetische Maßnahme handelt.Man muss auch Entwicklungen sehen,die stattgefundenhaben;und dass viele der Gegenmachtpositionen,die wirvertreten haben in den siebziger Jahren,im Moment kei-ne von Mehrheiten der Bevölkerung, nicht mal von mei-nungsführenden Gruppen getragene Heimat haben.Dassehe ich einfach, das kann in zwanzig Jahren wieder anders sein.

Georg Zinner: Die Euphorie zu den Quartiersmanagernkann ich nicht teilen, das zeigt sich schon an dem ge-wählten Begriff Quartier und Manager.Das ist ein Begriff,der in der Bevölkerung nicht verwandt wird, der nur ir-gendwo im Überbau erfunden werden kann und dersachlich kühl, wie er klingt, bestimmt nicht mit denMenschen in einem Stadtteil oder einem Stadtgebiet ver-bunden ist. Das zweite ist, man muss den Hintergrunddieses Quartiersmanagements betrachten,insofern ist esschon auch irgendwie wieder diese etwas merkwürdigetechnokratische Idee von Gemeinwesenarbeit,dass Leutevon außen kommen mit einem bestimmten Auftrag, umirgendwelche vermeintlichen oder wirklichen Problemein einem Kiez oder in einem Stadtteil zu lösen.Die Struk-turen, die es in einem Stadtteil oder einem Stadtgebietgibt, werden parallel dazu ausgehöhlt. Gut ist für einenStadtteil oder die Bevölkerung, was den Leuten konkretnützt, was die nutzen können. Die Quartiersmanagerkönnen keine Jugendfreizeiteinrichtung auf Vordermannbringen,die haben in der Regel keine eigenen Räume zurVerfügung, die können also eigentlich das, was die Be-völkerung vielleicht braucht,gar nicht zur Verfügung stel-len, statt dessen berufen sie Versammlungen ein, nochmal ‘ne Versammlung, noch ‘ne Versammlung, solange,bis die Leute wegbleiben.

Zwischenruf: Haben wir auch gemacht! (Lachen)

Weiter Zinner: Ja, genau. Und die Politiker können sa-gen, wir haben ja jetzt Quartiersmanager, die lösen IhreProbleme. Also, ich glaube, in dem Maße, in dem sozialeStrukturen und Grundeinrichtungen in Berlin (ist ja eineBerliner Geschichte) ausgehöhlt werden, schafft manwieder irgendetwas,was als Alibi dient um zu sagen,wirtun ja was für euch, für die Bevölkerung. Es kommt da-rauf an, die vorhandenen Strukturen, die vorhandenenNachbarschaftszentren,die vorhandenen Stadtteilläden,die vorhandenen Einrichtungen zum Funktionieren zubringen und der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Und was die Quartiersmanager machen, was viele vonuns ja auch beruflich erleben, ist, dass sie sich erst malüber uns sachkundig machen, was ist eigentlich hier indem Bezirk los. Also dass die erst mal ein Jahr lang oderzwei Jahre lang nichts anderes tun, als uns mit Fragebö-gen zu drangsalieren, mit Interviews zu drangsalierenum zu sagen,was ist hier in diesem Stadtteil los.Also dasist nicht das, was ich mir unter Gemeinwesenarbeit,Stadtteilarbeit vorstelle.

Müller: Ich will Ihnen da gar nicht widersprechen. Ihrletzter Satz ist aber gerade eine Illustration dessen, wasich zum Schluss versucht habe zu sagen. Jeder von unsdefiniert sich seinen methodischen Ansatz – und das istvöllig in Ordnung. Nur, es muss möglich sein, unter-schiedliche Ansätze nebeneinander stehen zu haben.Und der Streit darf nicht auf Konferenzen darum gehen,wer den richtigen Ansatz hat, sondern wer die wirksa-mere Arbeit macht.Das denke ich mir.

O< Ich möchte noch mal auf dieses Quartiersmanage-ment kommen. Ich bin vollends Ihrer Meinung, dass einStreit nicht um Methodik gehen kann, aber gemeinnüt-zige Arbeit – oder alle Methoden – sollten doch das Zielhaben,was mit den Bürgern gemeinsam zu machen unddie Bedürfnisse, das sage ich jetzt mal ganz platt, derBürger, der Bürgerinnen aufzunehmen.Und ein Beispiel:In Kreuzberg, in SO 36, gibt es Initiativen gegen dieseQuartiersmanager. Und da kann doch irgendetwas nichtmehr stimmen.Wenn Quartiersmanager oder Quartiers-managerinnen eingesetzt werden,die Leute aber, für dieda was gemacht werden soll,ganz klar sagen,das wollenwir nicht, trotzdem bleiben die Quartiersmanager, bleibtdiese Struktur und es wird versucht, die Leute in dieseStruktur reinzuzwängen. Hier sollen dann die Bürge-rinnen und Bürger passend gemacht werden. Das kannnicht stimmen.

Müller: Sehe ich genauso. In Kreuzberg ist der Quar-tiersmanager wirklich zynisch.

Aus dem Publikum: Oder die Bürger.

Müller: Ja, vielleicht beides.

Herbert Scherer: Man kann das ja auch anders sehen.Die Tatsache, dass sich eine Bürgerinitiativbewegung inKreuzberg bildet, um den Quartiersmanagern zu zeigen,was besser ist als das was sie tun, ist ja vielleicht schon eine erste positive Reaktion auf das Wirken des Quar-tiersmanagers. Was kann denn eigentlich besseres pas-sieren?

Lachen im Saal

Hartmut Gustmann, Kommunale Gemeinschafts-stelle in Köln: Die Diskussion provoziert mich jetzt, waszum Quartiersmanagement zu sagen. Die Idee ist jagrundsätzlich gar nicht so schlecht.Was dahinter steckt,ist ja, eine Kooperation von Akteuren auf lokaler Ebeneanzuschieben. Es ist also nicht nur eine Idee, die es inBerlin gibt, sondern die in verschiedenen Orten auch un-ter verschiedenen Namen aufkeimt, ob das jetzt bedroh-te Nachbarschaften sind oder wie auch immer Sie das

42 Zwischen individuellen Almosen und sozialstaatlichem Rechtsanspruch

nennen wollen,diese Idee vor Ort von der Politik initiiert,so was anzubieten.Die Frage ist doch,warum geht Politikmit so einem Instrument heran, wenn es offensichtlich eine Gemeinwohlarbeit gibt,die sich damit in Konkurrenzsieht? Warum ist Gemeinwohlarbeit im Denken derBürger bei Vorortproblemen nicht so präsent, dass diePolitik von sich aus dieses Quartiersmanagement zu-sammen mit Gemeinwohlarbeit macht? Da scheint alsodas Problem enthalten zu sein: wie politiknah positio-niert sich Gemeinwohlarbeit? Und die zweite Geschichteist,Quartiersmanagement jetzt als Konkurrenz zu sehen,scheint mir ein gewisses Problem einer Szene zu sein,diesich ganz gerne in sich selber dreht, anstatt das, was da-mit an guten Ideen gemeint ist, aufzugreifen, nämlich eine Kooperation aller Akteure; und warum denn nichtauch Wirtschaft und Handel da zu integrieren.

O< Für mich ist das Problem – wie entdeckt man einenBedarf? Entdeckt man ihn so,dass man einen konstruiertund dann mit Versuch und Irrtum ausprobiert,ob das,wasman konstruiert hat, auch ankommt? Oder muss einBedarf von unten nach oben wachsen? Der Widerstandetwa in Kreuzberg ist ein Widerstand gegen dieses Initi-ieren von oben nach unten.Und der ist ganz gesund.

O> Also ich würde die Diskussion mal ein bisschen vonKreuzberg abrücken, ich kenne die Diskussion aus ver-gleichbaren Stadtteilen auch in Hannover. Es gibt Stadt-

teile, in denen sich von unten nichts formuliert und wodie Frage ist,wie geht man denn da mit BürgerInnen um.In solchen Stadtteilen wurde auch vorher schon Gemein-wesenarbeit, quasi von oben herab, hineingegeben. Undnun nennt sich das Ganze Stadtteilmanagement oderQuartiersmanagement – da muss man im Grunde ge-nommen die Frage nach der Qualität der Arbeit stellenund nicht so sehr danach, wo kommt sie her.

Zinner: Das Problem, das damit angesprochen wird, istein anderes.Quartiersmanager ist ein Modewort – und eswird auch irgendwann wieder verschwinden. Das Pro-blem, was ich hierbei sehe, ist, dass vorhandene Struktu-ren nicht gestärkt,sondern ausgehöhlt werden,dass vor-

handene Strukturen nicht genutzt und einbezogen wer-den, sondern dass man an ihnen vorbei etwas Aufge-setztes politisch gut Verkaufbares danebensetzt, egal obes effektiv ist und es den Bürgern nützt oder nicht,das istdas Problem. Das ist das Gegenteil von Gemeinwesen-arbeit,weil es neben den vorhandenen Strukturen etwasNeues schafft,was sich mühsam erst mal den Weg in dasGemeinwesen suchen muss. Und ich bin dafür, die vor-handenen Strukturen so auszustatten und so zu gestal-ten,dass die vorhandenen Einrichtungen in der Lage sind,das,was mit Quartiersmanagement gemeint ist,in ihremStadtgebiet mitzumachen. Dort, wo es noch nichts gibt,kann es sinnvoll sein, Quartiersmanagement aufzubau-en, damit man Einrichtungen schafft, die den Bürgernnützen.

Müller: Also da kann ich mich anschließen,weil ich auchein bisschen weiß, wie die Identifizierung der vierProblemzonen für Quartiersmanagement zustande ge-kommen ist. Früher gab es den Sozialatlas Berlin – derVersuch, mit bestimmten Indexzahlen die Qualität einesWohngebietes zu erfassen, und eine dieser Indexzahlenwar die Frage,wer zieht dort weg,wer zieht dort hin undgibt es so etwas wie das Ausbluten von Eliten – Elitenmeint Leute, die sich und anderen selber helfen können.Und ein Teil der Identifizierung dieser vier Bezirke war inder Vokabel gefasst:diejenigen,die sich und anderen hel-fen können, ziehen laufend weg und in dieses Vakuumkommen Fremde, die einfach noch nicht den Überblickhaben,um sich selber zu organisieren,und von daher hät-te der Manager schon eine gewisse Bedeutung. Das Ent-scheidende ist, dass wir aus gutem Grunde misstrauischsind gegenüber Reformbestrebungen, die aufgrund vonsehr allgemeinen empirischen Untersuchungen und de-ren Ergebnissen von oben installiert werden. Also da se-he ich schon, dass der Ansatz schwierig ist, selbst wenndas gute Leute wären und selbst wenn sie das Richtigemachen würden, werden sie erst mal ein Jahr brauchen,um gegen die Schwierigkeiten, die sie durch ihre Inthro-nisierung selber hergestellt haben, anzugehen.

O> Ich habe das Bedürfnis, erst mal eine Kritik loszu-werden, weil das ein Spleen von mir ist. Ich halte das füreine Unart, eine Veranstaltung mitzuschneiden, und daserst mittendrin anzukündigen. Ich finde, mitgeschnitte-ne Dinge sollten angekündigt werden.Und ich hoffe,dassdas in der Tagungsdokumentation auftaucht. Inhaltlichglaube ich, dass die Frage, ob man bei Gemeinwesen-arbeit mit Kommerz und Handel zusammenarbeiten soll-te, für mich ziemlich eindeutig ist, denn ich glaube, derentscheidende Wandel in den Vereinigten Staaten kam,als man wirklich gesehen hat: in dem Moment, wo es ei-nem Stadtteil schlecht geht, geht es auch Handel undKommerz schlecht, und insofern gibt es partielle ge-meinsame Interessen und man wäre relativ dumm, die-se nicht auszunutzen. Und ich stimme Wolfgang Noackvoll zu, dass man heutzutage wirklich sehr tolerant Me-thodenpluralismus dulden sollte – allerdings denke ich,dass sehr viel Skepsis angebracht ist, wenn der Staat, derja sehr viele Methoden schon zur Hand hat,versucht,sichauch in der Gemeinwesenarbeit zu betätigen, denn ersollte erst mal das richtig machen, was er schon an Mög-lichkeiten hat, die ausschöpfen, und dann könnte mandarüber reden, ob wir nicht seine Dienste auch bei der

Gemeinwesenarbeit benötigen. Ich halte es in der Ten-denz für ein Ablenkungsmanöver, das der Staat da ver-anstaltet und das schließt nicht aus,dass da nicht jemandhier oder dort gute Arbeit leistet,aber prinzipielle Skepsisist aus meiner Sicht angebracht.

O< Was ich an Quartiersmanagement eigentlich gutund wichtig und richtig finde – ich arbeite in Kreuzberg,ich war auch erst beleidigt,das gebe ich durchaus zu,weilwir nicht adäquat in einen Prozess einbezogen wordensind – die Quartiersmanager kommen jetzt auf uns zu,siehaben ein Stück Chance verschenkt, aber sie werden esnoch lernen, mit wem sie wohl zusammenarbeiten soll-ten. Was für mich, wenn es gut klappt, neu an Quar-tiersmanagement ist, ist eine Professionalität von vielenverschiedenen beruflichen Disziplinen,die es vorher nichtgab.Was wir auch vorher versäumt haben,ist eine Öffent-lichkeit herzustellen, die gar nicht an uns vorbeikommt,hinterher sagen wir alle, warum berücksichtigt uns kei-ner, aber ich denke, das haben wir uns ein Stückchen sel-ber zuzuschreiben, insbesondere in Berlin. Das andere,was ich vielleicht auch als einen Erklärungsfaktor mit ein-beziehen würde,weshalb der eine oder andere nicht be-rücksichtigt worden ist, ist,dass wir in den letzten Jahrenauch immer sehr aufmüpfig waren und vielen auf dieFüße getreten sind, gerade auch Politikern und großenWohnungsbaugesellschaften. Und wenn ich das ernstmeinte, dann kann ich mich jetzt auch nicht hinstellenund sagen, ja warum wollt ihr mit uns nicht zusammen-arbeiten? Ich bin mir immer nicht ganz sicher: bin ich in-zwischen froh, dass ich nicht gefragt worden bin, odervielleicht ist es auch eine Ehre,dass ich nicht gefragt wor-den bin.Weil ich denke,es ist ein anderer Ansatz,aber ichhoffe natürlich. Aber auch Wohnungsbaugesellschaftenverkaufen Wohnungen als Ware, auch sie besinnen sichauf neue Werte, weil sie ihre Wohnungen nicht loswer-den.Wir sollten die Chance der Stunde nutzen, vielleichtauch,indem wir mit dem Quartiersmanagement zusam-menarbeiten und aufzeigen,was daraus werden könnte.Ich sehe da durchaus auch eine Chance für uns alle, nochmal zu gucken: wo haben wir auch wirklich Gemeinwe-senarbeit so gemacht, wie sie den veränderten gesell-schaftlichen Verhältnissen nicht ganz entspricht? Die Ar-beitslosigkeit steigt,wir haben neue ethnische Kulturen,wir haben ganz neue Auseinandersetzungen, die wir vorzehn Jahren noch nicht hatten und ich denke,wir sind danoch nicht adäquat drauf eingestiegen.

O> Mir hat ein kleiner Versprecher, der sich in IhremVortrag eingeschlichen hatte,gut gefallen:Sie hatten vonGemeinwesenarbeit als Auslaufmodell gesprochen unddann rutschte ihnen raus, Gemeinwesenarbeit als Aus-lauschmodell.Wenn wir uns gerade mit Quartiersmana-gement auseinandersetzen, finden wir immer wiederAspekte heraus, die kritikwürdig sind, aber woher neh-men wir die Kritik? Ich nehme diese Kritik aus meinerArbeit und aus der Ausbildung als Gemeinwesenarbeiter.Ich denke, uns hat damals die Gemeinwesenarbeit eingutes Rüstzeug dazugegeben, um auch Kriterien zu fin-den, und diese Kriterien sind für mich nach wie vor gül-tig,und ich bin auch sehr überzeugt davon,dass wir jetztnicht ein verbissenes Vokabular tradieren. Aber es istschon bedenklich, wenn wir sagen, es kommt eigentlichnicht darauf an,wie man unsere Arbeit benennt,sondern

43Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

nur, wie sie wirkt. Dann tun wir uns natürlich schonschwer mit unserem Austausch hier und dann braucht esviele solcher Tagungen,um auch die Sprache des anderenzu lernen und nachzuvollziehen, wie er es versteht undwas er darunter versteht.

Müller: Diese Art von postmoderner Beliebigkeit magich auch nicht. Nur, ich bin dagegen, dass Leute sich umBegriffe streiten, bevor sie geguckt haben, ob die Sache,die hinter den Begriffen steht, nicht sehr ähnlich ist, alsodarum gehts mir.Und deshalb bin ich eher katholisch undguck auf die Wirkung und weniger protestantisch undguck weniger auf die Absichten und Ziele. Gerade unterProfis sollte man nicht so sehr um Begriffe streiten, son-dern um die Praxis,die dahinter steht.Und dabei spielt si-cher auch eine Rolle, ob sie wirksam ist. Aber ansonstenbin ich völlig Ihrer Meinung, das ist ein professionellesGeschäft, und das muss man gelernt haben und manmuss bereit sein,aus der eigenen Praxis und aus fremderPraxis lebenslang zu lernen, sonst geht es einfach nicht.Amateure sind was anderes, sind Liebhaber, aber Profissollen nicht lieb haben, sondern sollen es gut machen.

O> Mir hat der Satz gut gefallen zu sagen, wir orien-tieren uns an den Wirkungen, daran, was dabei raus-kommt. Das ist ja eine Provokation in beide Richtungen.Das ist eine Provokation hier an den überwiegendenAdressatenkreis, auf andere zu gucken, das ist aber aucheine Provokation in die Richtung der klassischen Verwal-tung zu sagen, guck mal drauf, was wirkt da.Trennt auchihr euch von euren lieb gewordenen Ideologien undguckt mal, ob nicht andere Sachen genauso erfolgreichsind, insoweit habe ich das verstanden als Plädoyer für eine Interdisziplinarität,also ein Kooperieren der Akteurefür eine gemeinsame Sache, auf die man sich allerdingsverständigen muss,und auf Werte,auf die man sich ebenauch verständigen muss, das ist unabdingbar in demZusammenhang.

O> Es ist ja richtig und notwendig,dass diejenigen,dieim Stadtteil schon seit Jahren die klassische Gemeinwe-senarbeit machen, die die Kulturtreffs leiten oderNachbarschaftsheime, notwendig zusammenarbeiten

müssen mit denen, die jetzt als Projektleiter, als Koordi-natoren oder Stadtteilmanager eingesetzt worden sind –zum Besten des Stadtteils. Aber es gibt dort ein struktu-relles Problem.Die Projektleiter,Manager oder Koordina-toren sind meistens in der Administration viel höher an-gesiedelt.Das heißt,sie wissen auch einiges,was dort be-reits angedacht, geplant ist, was aber noch nicht öffent-lich gesagt werden darf, weil es so etwas gibt wie eineinheitliches Verwaltungshandeln, es darf also das, wasin internen Leitungszirkeln bereits besprochen wordenist, nicht ausgeplaudert werden von den Managern.Undjetzt ist da ein Team, eine Zusammenarbeit zwischenLeuten,die etwas wissen,es aber nicht sagen dürfen unddenen, die das fordern und artikulieren, was in derBevölkerung gedacht wird. Das macht die Zusammen-arbeit oft schwierig. Wenn also z.B. die Leute aus demStadtteil sagen, wir fordern die Ausstattung diesesJugendzentrums und die Manager wissen, dieses Ju-gendzentrum wird sowieso in zwei Jahren gestrichenund kann gar nicht ausgebaut werden, aber das dürfenwir jetzt nicht sagen,dann ist diese Zusammenarbeit miteinem strukturellen Problem belastet,und das zeigt mei-nes Erachtens, dass es dann doch schwierig ist, dieseProjektleitung als eine neue Form der Gemeinwesen-arbeit zu verstehen, ein neuer Name für eine sehr alteSache, denn da spielt die Interesseneinbindung doch eine sehr große Rolle. Wenn man deren Ziele und dieWünsche ansieht, dann ist das sehr gleich. Wenn mansich jedoch die Interessen beguckt, dann ist es wiedersehr unterschiedlich, und ich gehöre zu der Generation,die gelernt hat, auf die Interessen zu achten.

O< Ich wackle die ganze Zeit hier schon rum,weil michdas auch so furchtbar aufregt.Ich war zu einer der erstenVeranstaltungen, als es das Quartiersmanagement nochnicht gab, da war Peter Strieder da und Frau Ahlisch ausHamburg.In Hamburg gab es auch das Projekt Quartiers-management, und es wurde erzählt:es hat doch nicht sogeklappt, wie man eigentlich gedacht hat. Das Interes-sante für mich war, dass Herr Strieder gesagt hat:Oh, dassind also nicht die Leute, die im Strickpullover zu denMenschen vor Ort gehen, sondern das muss schon einerin Schlips und Kragen sein. Und diese Aussage war für

mich schon ungeheuerlich. Und ich kann das, was GeorgZinner vom Nachbarschaftsheim Schöneberg sagt, ei-gentlich nur unterstützen.Was machen wir denn vor Ort,es ergibt sich doch einfach, dass wir mit den Leuten vorOrt zusammenarbeiten,wer das auch immer ist.Wir wis-sen, dass es Arbeitslosigkeit gibt, wir wissen, dass esGewalt gibt, wir haben unsere Stadtteilkonferenzen, wirarbeiten doch daran,nur das Problem ist natürlich:Quar-tiersmanagement, prima – 6 Mio. Mark gab es dafür –würden wir auch ganz gerne haben wollen.Was glaubendie Politiker denn,was wir für Arbeit leisten? Das Problemist doch, dass die Ausstattung so gering ist, sie fehlt uns,um überall tätig zu werden.Wir wissen, was vor Ort not-wendig ist, und da ärgert mich dieses aufgesetzte Quar-tiersmanagement total, und in Kreuzberg ist es heuteschlimm oder in Neukölln, obwohl es die Quartiersma-nagements gibt, aber kommen sie doch mal in die ande-ren Bezirke, da fängt es auch an.Wir reden doch seit Jah-ren über Prävention, wir wollen vorbeugen, bloß, wennwir nicht genug ausgestattet sind, können wir das nicht.

O> Ich halte nichts davon zu sagen, es funktioniert,wenn wir mehr Ressourcen haben.Das haben wir immergemacht und es hat nie funktioniert, weil wir nie dieRessourcen gekriegt haben, die wir verlangt haben undweil wir in der Regel nicht in der Lage waren,das,was wirversprochen haben, umzusetzen, wenn wir die Ressour-cen hatten, weil die Wirklichkeit widerspenstiger war alsunsere Theorie. Ich gehe davon aus, dass, wenn wir wasverändern wollen, dann müssen wir so arbeiten, wie esfür mich sehr vorbildhaft das Nachbarschaftsheim Lank-witz gemacht hat. Die haben gesagt, wir haben keineRessourcen und wir fangen mit dem an,was wir haben –mit den Ressourcen, die vorhanden sind und mit denMenschen,die kommen.Und mittlerweile haben sie eineMenge Ressourcen, denn wenn man nämlich was be-wegt, kommen die Ressourcen auch. Und ich denke, wirmüssen lernen, so rum anzusetzen.Wir müssen nicht sa-gen, für unsere Arbeit ist das und das notwendig, undwenn wir das haben, dann funktioniert es. Sondern wirmüssen sagen, für unsere Arbeit sind Menschen, dieProbleme haben, notwendig und wir werden versuchen,die zu vernetzen und ihre Interessen zu organisieren.

Ich habe mich in meinen Vorüberlegungen etwas stärkerauf das eigentliche Thema der Tagung bezogen, nämlichBürgergesellschaft und Sozialstaat.Das hat was damit zutun, dass mich dieses Thema auch aus eigener Erfahrunganspricht. Ich habe zu Beginn der 90er Jahre für die da-malige Landtagsfraktion in Thüringen in der Bürgerbe-wegung gearbeitet,als sozialpolitischer Referent.Ich kamrecht fachfremd zur Sozialpolitik,das damalige Interessean DDR,an Wende,an Bürgerbewegung war stärker als anSozialpolitik, und ich habe damals lebenspraktisch vorOrt erfahren, wie das ist, wenn durch ein Institutions-system versucht wird, etwas auf gesellschaftliche Ver-hältnisse zu übertragen, die dazu eigentlich nicht ganzpassen. Vom Aufbau der Wohlfahrtsverbände, wie vom

Vorhandensein und Nichtvorhandensein von Selbsthilfe-gruppen,wie nehmen Leute was wahr,das wird alles sehrstark auch dadurch geprägt, was für alltagskulturelleVorerfahrungen es gibt. Ich glaube, wenn man über So-zialstaat spricht,spricht man im Allgemeinen viel zu we-nig darüber, was das eigentlich für gesellschaftlicheVerhältnisse sind, die er hervorbringt; und was sind dasfür gesellschaftliche Verhältnisse,die da sein müssen,da-mit so etwas wie Sozialstaat überhaupt existieren kann.Dieses Wechselverhältnis von Sozialstaat und Bürgerge-sellschaft ist etwas, was mich seitdem sehr stark be-schäftigt.Darauf möchte ich jetzt etwas näher eingehen.

Ich habe in den 80er Jahren vor allem Friedenspolitik ge-

macht,hatte mit Sozialpolitik,mit sozial-politischen Aus-einandersetzungen, eigentlich weniger zu tun. Aber et-was, was sich mir damals auch als allgemein politischInteressiertem mitgeteilt hat, war, dass es in Berlin einegroße Auseinandersetzung gab um das Selbsthilfeför-derprogramm, das Sozialsenator Ulf Fink Mitte der 80erJahre auflegte, mit dem Selbsthilfegruppen und Selbst-hilfeprojekte in Berlin gefördert werden sollten. Darauf-hin brach dann auf Seiten der Projekte eine heftigeDiskussion darüber aus, ob man diese Gelder, diese»Staatsknete«,überhaupt annehmen dürfe.Der Verdachtwar groß, der Staat wolle die Selbsthilfe nur als Alibi fürden Rückzug aus seiner Verantwortung benutzen. Mankönnte sicherlich sagen, o.k., das Ganze war in den 80erJahren, das ist damals anders diskutiert worden als esheute diskutiert würde,und letztendlich ist es auch so ge-wesen, dass die meisten Projekte die Gelder angenom-men haben.Aber ich glaube, dass diese Auseinanderset-zung auch exemplarischen Charakter hatte für etwas,was

Das soziale Gemeinwesen der ZukunftAndreas Brandhorst, Bonn – Berlin

noch bis heute in den Diskussionen zumindest mit-schwingt,dass nämlich in Deutschland das Verhältnis vonindividuellem Bürgerengagement einerseits und sozial-staatlicher Versorgung andererseits oft als problematischund oft sogar als gegensätzlich gesehen wird. Die einenbefürchten als Verfechter sozialstaatlicher Solidarität,dass durch die Arbeiten in Familien, im Ehrenamt, durchviele andere freiwillige Tätigkeiten, professionelle sozia-le Arbeit ersetzt und der Abbau sozialer Anrechte legiti-miert werden soll. Die anderen klagen, dass der ver-meintliche Vollversorgungsstaat die Eigenverantwor-tung und Selbsttätigkeit seiner Bürger untergrabe. Sehrinstruktiv waren in den vergangenen Jahren einigeVorträge aus dem konservativen Spektrum, etwa vonWolfgang Schäuble,wo dies immer wieder ein tragenderGedanke gewesen ist. Ich denke aber, dass diese Gegen-überstellung von individueller Selbsttätigkeit einerseits

und sozialstaatlich organisierter Solidarität andererseitseiner Überprüfung nicht standhält.Wenn man sich zumeinen Untersuchungen anguckt, wenn man sich Befra-gungen anguckt, wer engagiert sich eigentlich, wer en-gagiert sich ehrenamtlich,wer engagiert sich in selbstor-ganisierten Projekten und Selbsthilfegruppen usw.,dannstellt man immer wieder fest, dass es gerade die Bevöl-kerungsgruppen sind, die im Erwerbsleben am bestenabgesichert sind und auch über eine entsprechende so-ziale Absicherung verfügen, die sich überdurchschnitt-lich häufig engagieren, und dass dagegen Personen, dieeher in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen leben,und Erwerbslose eher unterrepräsentiert sind. Das istwichtig bei dieser ganzen Debatte, die es in den letztenJahren immer wieder um den 3. Sektor und die Bürger-arbeit gegeben hat,wo auch von wissenschaftlicher Seiteaus etwa vorgeschlagen wurde, man möge doch dieErwerbslosen in Bürgerarbeit integrieren und wo man einem Fehlschluss aufsitzt über die Kompetenzen unddie Voraussetzungen, die da sein müssen, um sich zu en-gagieren.Offensichtlich ist es so, dass die Leute eine ver-nünftige Absicherung auf dem Arbeitsmarkt und auch eine vernünftige Absicherung in dem System kollektiverDaseinsvorsorge brauchen, um überhaupt die Möglich-keiten und Neigungen auszubilden, auch die Bereit-schaft, sich zu engagieren. Man kann auch mit anderenWorten sagen, der Sozialstaat hält seinen Bürgern denRücken frei,damit sie sich überhaupt engagieren können.Aber ich denke, dass man auch in der umgekehrten

Richtung, nämlich vom Sozialengagement zum Sozial-staat hin, einen engen Zusammenhang herstellen kann.Seit jeher ist es so, dass den Sozialstaat nur dasjenigeauszumachen scheint,was sichtbar über der Wasserober-fläche liegt. Tatsächlich aber ruht er auf einem breitenSockel familiärer, auch ehrenamtlicher Hilfs- und Sorge-leistungen, vorrangig von Frauen erbracht. Ein Großteilder Leistungen in der Pflege, in der Kindererziehung undder Behandlung einfacher Krankheiten wird in Familien,Nachbarschaft oder Freundeskreisen erbracht. Allein dasehrenamtliche Engagement erreicht nach Berechnungendes Statistischen Bundesamtes ein jährliches Arbeitsvo-lumen von 2,8 Milliarden Stunden. Wenn man das malumrechnen würde in bezahlte Arbeit, kämen dabei rund50 Milliarden Mark jährlich heraus. Das heißt, zum einenkann man sagen, freiwillige, familiäre, auch ehrenamtli-che Arbeit ist so etwas wie ein Leistungserbringer inner-halb des Sozialstaates, ohne den die sozialen Siche-rungssysteme längst überfordert und in sich zusammen-gebrochen wären.Ein zweiter Punkt, den man sicherlich nachweisen kann,ist,dass das Sozialengagement sich historisch als Pionierfür die Entdeckung und berufliche Bearbeitung sozialerProblemlagen herausgestellt hat. Angefangen bei dengroßen Laienbewegungen und wohltätigen Vereinen im19. Jahrhundert, also praktisch in der Gründungs- undEntstehungsphase des Sozialstaates, bis hin zu denselbstorganisierten Initiativen, Vereinen und Projektenund den neuen sozialen Bewegungen in den 70er, 80erund 90er Jahren, sind durch das ehrenamtliche und frei-willige soziale Engagement neue und bis dahin vernach-lässigte soziale Problemlagen auf die Tagesordnung ge-setzt worden. Ein in den letzten 20 bis 25 Jahren enormbeschleunigter Trend auf Verberuflichung der sozialenArbeit war eine Folge. So hat sich z.B. alleine in denWohlfahrtsverbänden die Zahl der Beschäftigten vonrund 380.000 1970 auf rund 1,1 Millionen zurzeit ver-dreifacht. Das wäre ohne derartige zivilgesellschaftlicheImpulse undenkbar gewesen.Das reicht von den Frauen-zentren bis hin zur Schuldnerberatung,Einrichtungen,dieaus dem freiwilligen Engagement heraus gewachsensind und wo dann auch Professionalisierungsschrittestattgefunden haben, die ohne dieses Entstehen aus derZivilgesellschaft heraus nicht zustande gekommenwären.

Ein dritter Punkt, was das Verhältnis von Bürgerengage-ment und Sozialstaat angeht, ist sicherlich, dass sozialesEngagement ein Innovationsfaktor für die professionelleHilfe ist.Aus den Kulturläden,selbstorganisierten Kinder-tagesstätten und Selbsthilfezusammenschlüssen sind inden letzten Jahrzehnten wichtige Anstöße für die pro-fessionellen Versorgungssysteme entstanden. Ich denkeauch, dass das Berufsbild der professionellen Helfer sichbei allen Defiziten,die es noch geben mag,in den letztenzwei bis drei Jahrzehnten erheblich verändert hat. Wassich in der Sozialarbeit verändert hat in dieser Zeit, hatganz stark mit diesen externen Impulsen zu tun.

Und ein vierter Punkt,der in der Diskussion systematischausgeblendet wird, liegt auch in einer Art mechanisti-schem Fehlverständnis des Sozialstaates.Das Sozialenga-gement sorgt für das moralische Unterfutter sozialstaat-licher Systeme. Im Unterschied zu Privatversicherungen

haben Sozialversicherungssysteme immer auch starkumverteilende Wirkungen zwischen Jungen und Alten,Erwerbstätigen und Erwerbslosen, Kranken und Gesun-den, Familien und Singles, sowie auch besser undschlechter Verdienenden.Und diese umverteilenden Wir-kungen der Sozialversicherungssysteme,die sich nun malvon Privatversicherungssystemen unterscheiden, dieseUmverteilungswirkungen sind immer auch auf solidari-sche Haltungen angewiesen,die diese Systeme nicht aussich selbst hervorbringen.Das ist auch ein Problem zurzeit in der Diskussion, dass etwa die ganze Kritik am Sozialstaat sehr stark mit einemPrivatversicherungsverständnis verbunden ist,nach demMotto,man bekommt nicht das raus,was man eingezahlthat. Aber das ist ja gerade der Clou der ganzen Angele-genheit, dass es nämlich in solchen Systemen immerauch Leute geben muss, die nicht mehr rausbekommen,die vielleicht weniger rausbekommen,als sie reingezahlthaben, damit alle vernünftig abgesichert sind. D.h. also,hier braucht es so etwas wie moralische Voraussetzungenauch sozialstaatlicher Systeme, ich denke das gilt nochstärker als für die Sozialversicherungssysteme für steuer-finanzierte,an Bedürftigkeitskriterien organisierte Berei-che. Man denke nur etwa an die Sozialhilfe, die ja auchimmer wieder Missbrauchskampagnen ausgesetzt ist.Dass in diesem Bereich diese Kampagnen gefahren wer-den, hat ja was damit zu tun, dass hier von der Mehrzahlder Bürger,die von diesen Systemen nicht profitieren,et-was verlangt wird, auch moralisch etwas verlangt wird,was natürlich angreifbarer ist als ein System, bei demman auch etwas rausbekommt.Das heißt,der Sozialstaat baut seit jeher auf Solidaritäts-haltungen auf,die sich nicht staatlich erzeugen lassen,erbraucht Solidarnormen, die sich in sozialen Zusammen-hängen entwickeln, in denen Solidarität auch erlebt underlernt werden kann. Das ist ja nichts, was im Frontal-unterricht laufen kann, sondern so etwas müssen dieLeute auch erlebt und erfahren haben, um es zum eige-nen Verhalten zu machen.

Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels wird dieseswechselseitige Verhältnis von Sozialstaat und sozialemEngagement zugleich voraussetzungsvoller und zer-brechlicher. Durch die gewachsenen Selbstbestim-mungsansprüche von Frauen, die sich nicht mehr um-standslos als unentgeltliche »Sozialarbeiterinnen« zurVerfügung stellen,sowie durch die Veränderung und denBedeutungsverlust traditioneller Gemeinschaftsformensteht der Sozialstaat nicht nur vor dem Problem, helfen-de Hände zu verlieren. Auf dem Spiel stehen auch seinemoralischen Grundlagen. Das bedeutet für den moder-nen Sozialstaat: da er sich immer weniger darauf verlas-sen kann, von überlieferten Gewohnheiten und Wertbe-ständen zehren zu können, wird für ihn der Schutz unddie stete Reproduktion seiner lebensweltlichen und mo-ralischen Grundlagen zu einer eigenständigen Aufgabe.Besonders wichtig für solch ein gewissermaßen sich-selbst-Erzeugen des Sozialstaates ist der Aufbau und dieFörderung einer »moralischen Infrastruktur«, in der dieSozialstaatsbürger aktiv werden und soziale Kompeten-zen entwickeln können.Der Umbau und die Veränderungsozialstaatlicher Strukturen und Verfahren mit dem Ziel,soziale Selbsttätigkeit herauszufordern und zu ermögli-chen, erhält damit einen völlig neuen Stellenwert.

44 Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

45Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

Wenn man sich anguckt, wie eigentlich heute mit dieserneuen sozialstaatlichen Aufgabe umgegangen wird undwas für theoretische und rechtliche Möglichkeiten esgibt, diesen Aufgaben gerecht zu werden, kann man sa-gen: grundsätzlich stehen Bund und Ländern drei Wegeoffen, um dort fördernd einzugreifen. Als Gesetzgeberhaben sie die Möglichkeit, über das Sozialrecht bundes-oder landesweit günstige Rahmenbedingungen für dasfreiwillige soziale Engagement zu schaffen. So misst derBund etwa im Kinder- und Jugendhilfegesetz der öffent-lichen Förderung selbstorganisierten Engagements vonJugendlichen und Kindern besondere Bedeutung bei, imPflegeversicherungsgesetz werden ehrenamtliche Pfle-geleistungen mit Geld, Stichwort Pflegegeld, Anwart-schaften der Rentenversicherung und Fortbildungsange-boten für die Pflegepersonen unterstützt.

Zweitens ist es so,dass zur Umsetzung und Ergänzung ge-setzgeberischer Maßnahmen der Bund verschiedeneFördermaßnahmen und Programme aufgelegt hat.Besonders hervorzuheben ist hier natürlich zum einendie institutionelle Förderung der Wohlfahrts- und Ju-gendverbände, mit all den Problemen und Ungerechtig-keiten, die damit auch verbunden sind. Darüber hinauswerden seit einigen Jahren ausgewählte Bereiche undFormen des freiwilligen sozialen Engagements durch sogenannte Modellprogramme gefördert, so wurden imganzen Bundesgebiet Selbsthilfekontaktsstellen, Senio-renbüros und in den neuen Bundesländern der Aufbaufreier Träger gefördert.

Ein dritter Förderungsweg, der möglich ist, der häufigaber in der Diskussion bisher noch keine Rolle spielt,ist si-cherlich, mittels empirischer Bestandserhebungen denStand und die Entwicklung des sozialen Engagements imBundesgebiet zu beschreiben und politisch zu bewerten.Das hat es in der letzten Legislaturperiode gegeben.Damals hat es eine große Anfrage der CDU/CSU gegebenzum Stand der ehrenamtlichen Arbeit in Deutschland,dahat damals dann das zuständige Bundesfamilienminis-terium drauf geantwortet. Die Anfrage und vor allemauch die Antwort auf die Anfrage hat dann für einigeDiskussionen gesorgt.Darüber hinaus befassen sich auchandere Berichte der Bundesregierung,Jugend- und Sozi-alberichte,eingehender mit Aspekten und Fragen des eh-renamtlichen Engagements. Das heißt, in ihrer Rolle alsGesetzgeber und Förderinstanzen haben Bund und Län-der eine erhebliche Bedeutung für die Bestands- undEntwicklungsbedingungen traditioneller und auch neu-er Formen sozialer Selbsttätigkeit.Trotzdem ist die Wirksamkeit einer zentralstaatlich-hier-archischen von-oben-nach-unten-Förderung freiwilligensozialen Engagements mit den klassischen Förderinstru-menten Geld und Recht eher begrenzt.Bund und Länderkönnen positive sozialrechtliche und finanzielle Rahmen-bedingungen schaffen.Die konkrete Ausgestaltung dafürist aber eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft,was sicherlich auch sehr viel damit zu tun hat, dass eseben nicht nur um Geld und Recht geht,sondern um kon-krete Bereitschaft und darum, konkrete Gelegenheitenbereitzustellen. Wo eine gewisse lebensweltliche Näheerforderlich ist und einfach auch die Fähigkeit und dasWissen, das in Verhältnissen vor Ort erforderlich ist, wasin zentralen Bund- und Länderadministrationen nicht

vorausgesetzt werden kann. Bisher ist es aber so, dass –dies werden viele der hier Beteiligten tagtäglich erleben– nur wenige Kommunen der Förderung des sozialenEngagements politische Priorität beimessen,in der Regelbeschränkt sich die kommunalpolitische Unterstützungdes Engagements auf die institutionelle Förderung deretablierten Sportverbände und der Kultur- und Jugend-arbeit, der etablierten Wohlfahrts- und Jugendpflege.Darüber hinaus versuchen einige wenige Kommunen,dielokale Infrastruktur des sozialen Engagements durchKontaktstellen wie Seniorenbüros und Selbsthilfezent-ren,eine stärkere Beteiligung in kommunalen Planungs-und Entscheidungsprozessen und bürgerorientierte Ver-waltungsstrukturen zu fördern.

Alles in allem ist aber zu konstatieren,dass angesichts derwachsenden sachlichen und legitimatorischen Bedeu-tung des sozialen Engagements für den Sozialstaat derbisherige Umgang mit dem Bürgerengagement ehernachlässig ist.Allzu oft beschränken sich die Verantwort-lichen auf eine Politik der warmen Worte, die dasEngagement der Bürger nicht hoch genug loben kann,ohne daraus hinreichend praktische Konsequenzen zuziehen.Als eigenständige politische Aufgabe kommt dieFörderung der Bürgergesellschaft in den großen Reform-debatten,wie etwa über die Zukunft der Alterssicherung,die Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Beschäfti-gungspolitik oder auch die Reform in der öffentlichenVerwaltung, allenfalls am Rande vor. Die Eigenverant-wortung der Bürger wird auf steigende finanzielle Eigen-beteiligung reduziert,als Aktivbürger werden Menschenim Sozialstaat kaum wahrgenommen.Ich denke, wenn man künftig die Selbsttätigkeit vonBürgern stärker und umfassender in Rechnung stellenmöchte, ihr auch den Stellenwert geben will, wie es er-forderlich ist, dann wird man sehr stark auf den Abbausanktioneller und rechtlicher Barrieren setzen müssen.Man wird vor allem auf die Schaffung von Gelegenheits-strukturen setzen müssen, die soziales Engagement er-möglichen. Ich glaube, dass dabei auch die zentralstaat-lichen Bewegungsspielräume eher begrenzt sind. Ichmöchte dabei auf zwei Bereiche eingehen. Im eher sozi-al- und arbeitspolitischen und arbeitsrechtlichen Bereich,wo etwas machbar wäre, betrifft das zum einen die ar-beitszeitrechtlichen Rahmenbedingungen für die Ver-knüpfung von Erwerbsarbeit mit sozialem Engagement.Verglichen mit anderen europäischen Ländern sind dieRahmenbedingungen in der Bundesrepublik immer nocheher schlecht, außerhalb des Erziehungs- und des Bil-dungsurlaubs bestehen kaum überbetriebliche,rechtlichund sozial abgesicherte Übergänge zwischen sozialemEngagement einerseits und Erwerbsarbeit andererseits.Zu den wenigen Ausnahmen, die es gibt, zählen dieFreistellungsregelungen, die es in verschiedenen Bun-desländern für die Arbeit in der Jugendhilfe gibt. Es hatauch in den letzten Jahren etwa aus der katholischenJugend heraus Versuche gegeben,über Kampagnen die-se Freistellungsregelungen auch auf andere Bereicheauszudehnen.Ich habe allerdings den Eindruck,dass auf-grund der Diskussion um die Lohnnebenkosten zurzeitdie Aussichten der Förderung relativ gering sind. Aus-sichtsreiche Ansätze für die Schaffung von mehr Sozial-zeit könnte ich mir bei der Diskussion über die Flexibili-sierung von Arbeitszeiten vorstellen.Das Problem ist,dass

wir in den letzten Jahren eigentlich eine Flexibilisie-rungsdiskussion gehabt haben,die immer zwischen zweiPolen lief. Auf der einen Seite die Verfechter alter Zeit-strukturen und auf der anderen Seite diejenigen, dieFlexibilität nur immer als Arbeitnehmerflexibilität buch-stabiert haben,d.h.als Anforderung an die Beschäftigten,sie mögen sich an die Betriebszeiten, an die zeitlichenVorgaben der Unternehmen anpassen.Ich denke allerdings,dass man an ausländischen Beispie-len zeigen kann, dass es eine Alternative zu dieserAuseinandersetzung zwischen diesen beiden Polen gibt,und dass auch innerhalb des Erwerbslebens Zeitstruktu-ren denkbar sind, bei denen die Öffnung der tariflichen,der gesetzlichen Arbeitszeitregelung so vonstatten geht,dass für die Beschäftigten mehr Zeitsouveränität ent-steht und damit auch ein erweiterter Spielraum für frei-williges soziales Engagement. Und das ist eben sehrwichtig, besonders wenn man daran denkt, dass es ganzoffensichtlich einen engen Zusammenhang zwischenIntegration in Arbeitsmarkt und Sozialstaat und derBereitschaft und der Möglichkeit, sich sozial zu engagie-ren gibt. So gibt es seit einigen Jahren in Dänemark undSchweden Job-Rotationsmodelle, in denen der Lebens-unterhalt der freigestellten Arbeitnehmer auch über län-gere Phasen durch Lohnersatzleistungen der Arbeitslo-senversicherung finanziert wird.In Dänemark gibt es z.B.seit 1994 ein Urlaubsgesetz, das allen abhängig Be-schäftigten garantiert, für ein halbes oder auch einganzes Jahr zur Fortbildung, zur Kinderbetreuung odereinfach auch ohne besondere Begründung (StichwortSabattical) aus dem Berufsleben auszuscheiden; für dieZeit ihres Ausscheidens haben die Urlauber Anspruch aufArbeitslosengeld. Da sie während dieser Urlaubszeitdurch Erwerbslose vertreten werden, die eben in dieserZeit auf kein Arbeitslosengeld angewiesen sind,fallen fürdie öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungskas-sen keine nennenswerten Zusatzkosten an. In Deutsch-land gibt es seit der letzten Reform des Arbeitsförde-rungsrechts vor zwei Jahren die Möglichkeit für Personen,die zeitweise ihre Vollzeit- zugunsten einer Teilzeitbe-schäftigung zurückstellen, den Anspruch auf ein vollesArbeitslosengeld zu behalten.Das ist es aber auch.

Alles in allem steckt die soziale Absicherung im Falle vonFreistellungsregelungen und Arbeitszeitvariabilität inDeutschland noch in den Kinderschuhen. Die Umwand-lung von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld, Unterstüt-zung während frei gewählter Freistellungsphasen oderauch vergleichsweise Urlaubs- und Stellvertretermodel-le, wie es sie in Schweden gibt, spielen in Deutschlandnoch keine besondere Rolle. Besonders ernüchternd indiesem Zusammenhang war etwas,das ich in der letztenLegislaturperiode erlebt habe, als ich in der Grünen Bun-destagsfraktion gearbeitet habe.Dort war ein Thema,mitdem wir immer wieder konfrontiert waren, die Verfüg-barkeitsregelungen des Arbeitsförderungsrechts,die be-sagen, dass Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeits-losenhilfe,die einer zeitintensiven ehrenamtlichen Tätig-keit nachgehen,als für die Arbeitsvermittlung nicht mehrverfügbar gelten und deshalb ihren Leistungsanspruchverlieren können.Hier spitzt sich dieses Problem und die-ses deutsche Defizit besonders zu.Ähnlich unzureichendwie die arbeitszeitrechtliche Flankierung ist die renten-rechtliche Flankierung flexibler Arbeitszeiten und

Arbeitsverhältnisse. Das deutsche Rentenrecht folgt im-mer noch dem Bild des vollbeschäftigten männlichenFamili-enernährers, der acht Stunden am Tag und fünfTage in der Woche möglichst 40-50 Jahre am Stück er-werbstätig ist.Eine Rentenreform,die die Veränderungender Arbeitswelt wahrnimmt und das System der gesetz-lichen Alterssicherung entsprechend neu ausrichtet,könnte Übergänge zwischen Erwerbstätigkeit und sozia-lem Engagement besser als bisher absichern. Zu einersolchen Reform würde z.B.eine bessere rentenrechtlicheBewertung von Teilzeitarbeit gehören, außerdem wäresicherzustellen, dass durch Zeiten, in denen z.B. wegenArbeitslosigkeit, familiärer Verpflichtungen oder auch eines umfangreichen sozialen Engagements keine odernur geringe Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wer-den, das spätere Rentenniveau weniger stark als heutebelastet wird. Aber auch das spielt in der derzeitigenDiskussion um die Zukunft des Alterssicherungssystemskeine besondere Rolle. Es gibt von Seiten der Grünen einentsprechendes Konzept dazu, aber tatsächlich ist dieDiskussion sehr stark auf die Frage von zusätzlichenBelastungen durch den demografischen Wandel redu-ziert.Eine darüber hinausgehende Diskussion,auch übernotwendige Strukturveränderungen innerhalb des Sys-tems, findet zurzeit kaum statt.Ich glaube aber, dass durch diese beiden Bereiche, alsodurch Veränderungen im Arbeitszeit- und Sozialversi-cherungsrecht, tatsächlich von Bundesseite aus dieBedingungen,die Gelegenheitsstrukturen für freiwilligesEngagement verbessert werden könnten.Das führt nichtdazu, dass Leute es dann automatisch machen, aber es

würde dazu führen, dass diejenigen, die sich auch zeitin-tensiver engagieren,nicht mehr das Gefühl haben müss-ten, sie müssten dafür noch bezahlen. Ich denke aber,dass das entgegen aller kulturpessimistischen Behaup-tungen steigende Interesse an sozialem Engagementsich erst entfalten kann, wenn es tatsächlich auch kon-krete Angebote und Gelegenheiten gibt und eine ent-

sprechende öffentliche Infrastruktur, und dass hier vorallem die Kommunen gefordert sind. Die traditionellenStrukturen des sozialen Engagements wie die Vereine,Verbände und Kirchengemeinden,in denen man sich zu-sammenschloss und gemeinsam aktiv wurde, werdeninsbesondere von vielen jüngeren Menschen nicht mehrals geeignete Ansprechpartner wahrgenommen. DieErwartungen an soziales Engagement haben sich erheb-lich verändert. Es geht nicht mehr um die traditionelleOpfermentalität, die damit vielleicht auch verbundenwar, die sehr stark in christlichen Diskursen wurzelt, son-dern es geht schon seit einiger Zeit viel stärker um Fragenvon Selbsterfahrung, von Selbstentfaltung, darum, neueDinge lernen und erledigen zu können.Und das ist etwas,was bei einigen der traditionellen Großorganisationen,die sehr stark auf dem ehrenamtlichen Engagement auf-bauen, so vielleicht nicht hinreichend angeboten wird,und von denen, die sich engagieren, auch nicht erwartetwird. Das heißt, man braucht eigentlich so etwas wieneue und zusätzliche Zugänge zum Engagement, manbraucht Stellen,an die die Leute sich wenden können,da-mit sie sich überhaupt, ohne schon in eine ganz be-stimmte Szene integriert zu sein, engagieren können.

Ich habe das selbst in den letzten Jahren mehrfach mit-erlebt. Ich bin relativ oft umgezogen und ich war es ei-gentlich immer gewohnt,mich irgendwo zu engagieren.Früher in der Friedensbewegung, da habe ich was in derBewegung gegen die Wohnungsnot gemacht, und dannbei der Beratung von Sozialhilfeempfängern. Ich kannteja alle möglichen Leute,wo ich gewohnt habe,und es er-gab sich dann halt. Nachdem ich aber in den letztenJahren ein paar mal umgezogen bin, stand ichregelmäßig vor dem Problem,wo gibt es denn hier über-haupt die Möglichkeit, etwas zu tun. Dann mache ichauch noch hauptberuflich Sozialpolitik, man sollte alsoerwarten, dass sich die Gelegenheiten zum Engagementfür mich hinreichend stapeln.Trotzdem ist es dann vor Ortoft schwierig, einen Anknüpfungspunkt zu finden.Einen Ort zu finden, wo man anfangen kann, ist ein ganzgroßes Problem,mit dem man immer wieder zu tun hat.Die Orte sind für die Leute, trotz der Vielzahl an Engage-ment-Möglichkeiten, die es durchaus geben mag, nichthinreichend transparent.Das ist sicherlich etwas, woraufman in einer kommunalen Infrastrukturpolitik für Bür-gerengagement sehr stark zu achten hat. Ich bin von da-her in den letzten Jahren immer sehr angetan gewesenvon der Entstehung von Freiwilligen-Agenturen undVermittlungsbüros, Freiwilligen-Zentralen, wie sie in an-deren Ländern,Niederlanden,Großbritannien,USA,auchschon sehr viel verbreiteter sind als hier. Ich habe mir vorzwei Jahren einige dieser Vermittlungszentralen inHolland angeguckt. Ich fand es ganz fantastisch, wie dieFreiwilligen-Organisationen dort praktisch in die Verwal-tung vor Ort integriert waren.Nicht in dem Sinne,dass sieim selben Gebäude sind,das würde zu Schwellenängstenführen, aber in dem Sinne, dass sie da mit bedacht undmit unterstützt werden und so was wie Freiwilligenzen-tralen vor Ort sind, wo Leute sich relativ unkompliziertund auch zeitlich befristet – vielleicht,weil sie keine Lusthaben,sich für ihr Leben lang da zu binden – engagierenkönnen. Sei es in einem Sportverein, sei es in einemAltenheim, oder sei es auch bei der Arbeit mit Jugend-lichen.Und wo ihnen entsprechende Angebote gemacht

werden und wo sie während der Zeit, in der sie sich en-gagieren, auch immer wieder Beratung finden könnenund gegebenenfalls auch mal anwaltschaftliche Vertre-tung finden, also »parteiliche« Vertretung.Weil es ja na-türlich mit den Professionellen in den Verbänden, in denZusammenschlüssen,mit denen man da arbeitet, immerwieder zu Problemen kommen kann. Solche Infrastruk-tureinrichtungen, Vermittlungseinrichtungen, sind inDeutschland bisher eher selten, aber seit einigen Jahrennehmen die Diskussionen darum zu.Dazu kommt, dass seit einigen Jahren bestehende neueFormen, neue Zusammenschlüsse sozialen Engage-ments, von den Frauenhäusern über die Tafeln für Woh-nungslose bis zu den Kinderläden usw.,dass diese neuenInfrastrukturen sozialen Engagements trotz der erhebli-chen Bedeutung, die sie vor allem in Großstädten inzwi-schen haben, als regulärer Kostenfaktor in den öffentli-chen Haushalten kaum berücksichtigt werden. Ich habemal eine Zeit lang in einer ostdeutschen Großstadt alssachkundiger Bürger in einem Sozialausschuss gesessenund da war das dann immer klar, dass die Einrichtungenetwa der großen Verbände regelmäßig in der Förderungdrin waren.Für das selbstverwaltete Jugendzentrum gabes z.B.nur dann Geld,wenn am Jahresende vielleicht nochetwas übrig war. Das Geld war nicht erwartbar, mankonnte nicht damit kalkulieren und seine Arbeit halb-wegs vernünftig aufbauen,anders als bei den etabliertenEinrichtungen.So eine Kultur sozialen Engagements entsteht aber nurdann, wenn den sozial Engagierten mehr als nur allge-meine Wertschätzung durch diverse Ehrennadeln entge-

gengebracht wird. Sondern sie müssen in diesen selbstgewählten Tätigkeitsfeldern auch mitgestalten könnenund Gestaltungsspielräume erhalten, für viele neue so-zial Engagierte ist die Chance zur Partizipation fast daswichtigste Motiv. Und dieses basisdemokratische Anlie-gen stößt in Deutschland mal wieder an enge Grenzen,das deutsche Ehrenamt gründet in starkem Maße auf den

46 Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

47Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

konventionellen christlichen Traditionen.Im Sinne tätigerNächstenliebe ging es vor allem darum,Gutes für anderezu tun, ihnen zu helfen und dabei gleich seinen eigenenStatus als guter Christenmensch im nachirdischen Lebenzu festigen. In Deutschland wurde das soziale Engage-ment bisher nachhaltig durch derartige Traditionen ge-prägt,während republikanische Tugenden,das heißt de-mokratische Mitentscheidungs- und Gestaltungsmög-lichkeiten, dem deutschen Ehrenamt im Sozialsektornach wie vor eher wesensfremd sind.Somit überrascht esnicht, wenn sozial engagierte Bürger mit basisdemokra-tischen Vorstellungen und Erfahrungen in etabliertenInstitutionen des Ehrenamtes auf kein Verständnis sto-ßen. Aber auch kommunale Verwaltungen und Politikerreagieren, wenn sie um ihre Entscheidungsmacht fürch-ten, nicht selten mit Ablehnung gegenüber derartigenPartizipationsforderungen. In Deutschland kommt es al-so nicht nur darauf an, hinreichend Angebote für dasBürgerengagement zu schaffen, sondern vor allem auchdas soziale Engagement politisch aufzuwerten. Zur bes-seren Unterstützung des sozialen Engagements werdenStaat und Kommune dabei in einigen Bereichen auch dieTugenden des Unterlassens lernen müssen – durch dieSelbstbeschränkung auf öffentliche Kernaufgaben, da,wo das vertretbar ist. Und durch den Verzicht auf Versu-che,bürgerschaftliche Selbsttätigkeit direkt zu stören,zuadministrieren, soll das soziale Engagement die Spiel-räume erhalten, die es zu seiner Entfaltung braucht.Konkret stelle ich mir darunter vor allem drei Anforde-rungen vor.Zum einen müssen die Bürger stärker als bis-her in Entscheidungsprozesse vor Ort einbezogen wer-

den, denn engagierte Bürger sollen bei der Schul- undStadtentwicklung oder Verkehrs- und Sozialplanungnicht nur mittun, sondern auch mitreden und mitent-scheiden können. Die durch die 89er Revolution in derDDR auch in den alten Bundesländern angestoßenenVeränderungen in den Kommunalverfassungen (Stich-wort Direktwahl von Bürgermeistern,Landräten,Bürger-

begehren,Bürgerentscheide) sind ein erster Schritt hin zumehr direkt-demokratischen Verfahren in Kommunen,wo weitere folgen müssen.Das betrifft insbesondere diePlanungsverfahren.Zweitens: Die Bürger sollen stärker als bisher die Gele-genheit erhalten, öffentliche Aufgaben zu übernehmen,dafür gibt es eine ganze Palette von Ideen und vereinzeltauch schon in die Realität umgesetzte Beispiele, ange-fangen bei den selbst organisierten sozio-kulturellenZentren über die Schulgemeinde bis hin zur Übertragungz.B. von Sportstätten und Schwimmbädern an Vereine,hier sind dann verschiedene Varianten denkbar.Und drittens:Dort, wo Bürger selbst organisierte Zusam-menschlüsse bilden und öffentliche Angebote schaffen,sind Kommunalpolitik und Verwaltung auch in derPflicht,die dafür notwendigen Ressourcen, Infrastruktur,fachliche Beratung,Organisationshilfen – gerade auch inden Bereichen, in denen man nicht davon ausgehenkann,dass die Leute auch das soziale Kapital mitbringen,was sie zur Selbstorganisation per se befähigt – entspre-chend bereitzustellen. Interessant finde ich in diesemZusammenhang auch diese Ansätze,darüber hat es aucheine heftige Diskussion in der Selbsthilfebewegungschon in den 80er Jahren gegeben, auch die Ressourcen-verantwortung dorthin zu übergeben, wo es entspre-chende Zusammenhänge gibt.In Berlin gab es damals ei-ne Diskussion, die dann auch in vielen anderen Städtenstattgefunden hat, über den so genannten Selbsthilfe-topf, wo die Ressourcen, die für die Selbsthilfeförderungda waren, in die Verantwortung und Mitverantwortungder Projekte und Gruppen gegangen sind, die dann dar-über entscheiden sollten.Das ist natürlich ein durchsich-tiger Versuch der Politik, ihren eigenen Legitimations-nöten zu entfliehen. Auf der anderen Seite ist es aberauch – das macht den Doppelcharakter der Geschichteaus – ein Beitrag zur Aufwertung bürgergesellschaftli-cher Strukturen. Ich bekam das zuletzt in Potsdam mit,wo die Mittel,die dort für die Kulturarbeit in der Stadt zurVerfügung gestellt werden, jetzt in die Verantwortungder Träger übergegangen sind, wo das sozio-kulturelleZentrum, die diversen Initiativen und Projekte, gemein-sam darüber entscheiden. Das heißt, Übertragung vonöffentlichen Aufgaben, mehr Eigenverantwortung dort,wo sie möglich ist. Das bedeutet aber auch, dass Leis-tungsstandards und Angebote vor Ort nicht davon ab-hängig werden dürfen, ob sich genügend Bürger finden,die hinreichend eigene Ressourcen, Kreativität und so-ziales Kapital mitbringen.Das ist z.B.ein Problem,das ichin den USA mehrfach gesehen habe, dort ist es so, dassman sehr viel stärker auf die Gemeinschaft vor Ort hin or-ganisiert ist, dass die zentralstaatlichen Interventions-möglichkeiten und Direktionsabsichten viel geringersind. Das führt aber auch dazu, dass Schulen etwa in guten Teilen der Städte weitaus besser sind als in den be-nachteiligten Quartieren, d.h. die Qualität öffentlicherEinrichtungen, soweit vorhanden, wird unmittelbar ab-hängig davon,wie viel Geld und auch soziales Kapital dieLeute vor Ort mitbringen. Das ist natürlich ein riesigesProblem. Es wird immer so sein, wenn man den Leutendie Möglichkeit gibt,sich vor Ort zu engagieren,z.B.in ih-rer Schulgemeinde, dass dann natürlich das, was da zu-sätzlich geschieht, davon abhängig ist, dass entspre-chende Leute da sind. Aber es muss sichergestellt sein –darauf muss man beharren – dass bestimmte Mindest-

standards,bestimmte Richtlinien,bestimmte Ressourcengleichmäßig da sind und überall gelten. Das, was dannnoch dazukommt, mag die Sahne obendrauf sein, aberder Kuchen hat für alle zu reichen.

Das heißt, Staat und Kommunen als Gesetzgeber undKostenträger stehen in der Verantwortung dafür,dass ge-setzlich festgeschriebene Aufgaben erbracht werden,entsprechende Mengen- und Qualitätsstandards einge-halten und notwendige öffentliche Gelder zur Verfügungstehen. Bei der stärkeren Einbeziehung bürgerschaftli-cher Selbsttätigkeit in die vor allem lokale Daseins-sicherung geht es also nicht darum, einem Sozialabbaudas Wort zu reden, sondern Partizipationschancen aus-zubauen und politisch deutlich zu machen, dass Bürgerviele ihrer Angelegenheiten weitgehend selbst regelnkönnen, wenn sie die hierfür notwendigen Freiräumeund Ressourcen erhalten. Staat und Kommunen habenunter diesen Bedingungen ein neues Selbstverständnis –weg von der Vorstellung einer staatlichen kommunalenAllzuständigkeit hin zu einem Selbstverständnis als ge-währleistende, moderierende und ermöglichende In-stanzen. Bundes- und Landesgesetzgeber tragen dieVerantwortung dafür, dass die Mindeststandards öffent-licher Versorgung gewährleistet sind, durch Veränderun-gen im Arbeitszeit- und Sozialversicherungsrecht sichernsie Übergänge zwischen Erwerbsrecht und sozialemEngagement kollektiv ab. Durch Modellprojekte undregelmäßige Berichterstattungen tragen sie zurFörderung einer innovativen politischen Kultur sozialenEngage-ments bei.Die Kommunen ermöglichen wieder-

um durch die Förderung von Vermittlungsagenturen undanderen Infrastruktureinrichtungen einen lokalen Marktder Engagement-Möglichkeiten, auf dem engagement-bereite Bürger und freie Träger des sozialen Engagementsmiteinander in Kontakt treten können.Durch die Öffnungder lokalen Versorgungsstrukturen,die Bereitstellung dernotwendigen Ressourcen und neue Formen der Bürger-

beteiligung unterstützen sie das soziale Engagement.AlsModeratoren regen sie soziale Innovationen an und stif-ten Kooperationen zwischen den Bürgern.

Die jetzt skizzierte, für viele vielleicht idealtypische bes-sere Verknüpfung von eigenständiger Existenzsicherung,gemeinschaftlicher sozialer Sicherung und sozialem En-gagement wäre sicherlich gleichbedeutend mit einempolitischen Paradigmenwechsel. Keine bloße Projekte-förderung, sondern Aufwertung einer zivilgesellschaftli-chen Perspektive auch innerhalb des Sozialstaates, ichdenke, wir haben in Deutschland noch viel nachzuholen.

Aus der Diskussion:

O> In Ihrem Referat haben Sie an einigen Stellen tra-ditionelle Möglichkeiten des Engagements vor Ort er-wähnt, Kirchengemeinden und Kirchen haben Sie insbe-sondere genannt. Sehen Sie eigentlich eine Möglichkeit,dass diese traditionellen Bereiche noch mal in Schwungkommen,um da auch in dem Sinne eine Rolle zu spielen,wie Sie sie beschrieben haben?

Brandhorst: Ich glaube, dass diese traditionellen For-men nie mehr die dominierende Rolle spielen werden,wie sie sie mal gespielt haben.Ich denke,das ist auch gutso. Also, diese Gesellschaft ist wesentlich verschiedenar-tiger geworden, die Erwartungen, die die Leute an ihrEngagement stellen,sind auch sehr verschiedenartig ge-worden und von daher muss das Angebot hierfür, um esmal so zu nennen, auch plural sein. Das zum einen. Zumzweiten muss man sich darüber klar sein,dass,wenn sichdie Erwartungen an das Engagement verändert haben,es sowohl neue als auch traditionelle Erwartungen gibt,d.h.die Menschen,die sich im traditionellen Sinne enga-gieren wollen, die vielleicht auch sehr stark immer nochim traditionellen Sinne weltanschaulich geprägt sind,diegibt es natürlich auch weiterhin. Bei der ganzenDiskussion,die wir in den letzten Jahren um das traditio-nelle und das neue Ehrenamt hatten, ist mir sehr oft un-terbelichtet geblieben, dass es um die Diversifizierunggeht und dass es nicht darum geht, dass das eine durchdas andere ersetzt wird. Es muss auch weiterhin ver-schiedene Formen geben. Und ein dritter Punkt, der mirimmer wieder auffällt, ist: Ich habe in den letzten Jahreneiniges mit Wohlfahrtsverbänden zu tun gehabt und ge-rade auch mit konfessionellen Wohlfahrtsverbänden,sprich Caritas und Diakonie.Und es gibt dort eine recht in-tensive Diskussion,gerade auch in den Landesverbänden,wie man damit umgehen soll,dass einem die Ehrenamt-lichen wegbleiben, oder dass die große Zahl der Ehren-amtlichen, die man eigentlich braucht, um seine Diensteauf dem bisherigen Niveau zu halten, zunehmend ge-fährdet ist.Und da habe ich viele interessante Ansätze er-lebt, wie versucht wird, vor Ort in diesen traditionellenInstitutionen neue Formen des Umgangs mit Engagier-ten zu finden – das reicht bis dahin,dass man alles etwasprofessioneller angeht als bisher.Das ist ja in Deutschlandimmer so eine Geschichte gewesen, entweder die Leuteorganisieren sich selbst, gründen einen Zusammen-schluss und haben dann Schwierigkeiten, sich gegen dieAdministration durchzusetzen; oder sie gehen in so eingroßes Wohlfahrtsunternehmen oder in die Kirche undlaufen da so mit. Man kann sich aber natürlich auch vor-

stellen, dass Engagierte so viel Wertschätzung erfahren,dass in diesen großen Unternehmen auch Leute sind,diesich speziell um sie kümmern.Das ist auch wieder in denUSA ganz interessant, wo es in solchen Organisationendurchaus üblich ist,dass man eine Art Personalabteilunghat, die sich um nichts anderes kümmert als um dieGewinnung, Unterstützung und Beratung von Ehren-amtlichen und freiwillig Engagierten. Das ist auch einWeg, den ich in Verbänden an der einen oder anderenStelle sehe – wie gesagt,noch nicht flächendeckend,aberdafür gibt es Ansätze.Also insofern wäre ich noch nicht soweit, die abzuschreiben.

O> Ich spreche aus der Erfahrung eines Landesnetz-werkes in Baden-Württemberg, wo wir uns darum be-mühen, eben kein isoliertes Programm zu machen, son-dern vernetzte Programme. Sie sagen: Partizipation,Teilhabe.Auch dort,da haben Sie völlig Recht,sind Caritasund Freiwilligenzentren auf dem Weg.Allerdings sind siegerade wieder dabei, ihre Bemühungen einzustellen,weil das Programm zu Ende geht. Andere sind auf demWeg, holländische Erfahrungen haben Sie erwähnt. Beider Teilhabe haben wir in Deutschland eine reicheTradition von Bürgerbeteiligung, Stadtplanung etc. Icherlebe Stadtplaner zurzeit eher als suchend, weil dieStadtplanung-Bürgerbeteiligung auch an Grenzenkommt. Wir hatten vorher die Quartiersmanager-Dis-kussion,weil die schlechte Wahlbeteiligung z.B.auch da-rauf hinweist, dass Bürger nicht nur in Heerscharen da-herkommen, sondern sie wollen im Kleinen, im Lokalen,Mitwirkung, während im Großen eher durchaus Miss-trauen da ist.Zusammengefasst drei Wege:Infrastruktur,Alimentierung und Teilhabe.Eigentlich müssten Sie dochsagen, Politik muss die Kunst fertig bringen, eine Kulturdes Engagements zu schaffen. Dort sehe ich allerdingskeinerlei Ansätze,wo die Bundesregierung für eine solcheKultur Zeichen setzt. Ich hätte gerne ein paar Hinweise,wo Sie Ansätze einer Politik sehen für eine Art Kultur derFörderung.

Brandhorst: Ich gehe mal diese drei Punkte durch:Stichwort Alimentierung: Ja, damit hängt es natürlichauch zusammen. Aber ich glaube, wenn es tatsächlichdarauf hinausläuft,dass man sagt,da legen wir jetzt haltnoch mal Geld drauf – Stichwort rentenrechtliche Ab-sicherung ehrenamtlicher Tätigkeit – dann ist das tat-sächlich nett gemeint,aber kaum in absehbarer Zeit rea-lisierbar. Wir haben ein Sozialversicherungssystem, undgerade im Rentensystem macht sich das besonders be-merkbar,das sehr stark an einem Leistungsbegriff hängt,an einem vor allem auf die Erwerbsarbeit bezogenenLeistungsbegriff. Das bedeutet für diejenigen, die relativlange kontinuierlich einer bezahlten Tätigkeit nachgin-gen,dass sie davon ausgehen konnten,ein ausreichendesAlterseinkommen zu bekommen. Ich glaube, dass aberpraktisch alle diejenigen, die mit Unterbrechungen zutun hatten, die familiären Tätigkeiten nachgegangensind, die lange Zeit nicht in dieses System integriert wa-ren, immer das Problem hatten, eine entsprechendeAbsicherung auf einem vernünftigen Niveau zu erlangenund vernünftig behandelt zu werden – die Sozialhilfezähle ich nicht dazu. Sie mussten eigentlich das Gefühlhaben:verdammt,meine Leistung,die auch eine ist,wirdda nicht anerkannt.Das ist für mich das Dilemma,in dem

man steckt. Auf der einen Seite bin ich mir darüber imKlaren,dass wir nicht einfach das Leistungsvolumen,dasGesamtvolumen, ausweiten können, jedenfalls nichtnennenswert, wie ich befürchte. Auf der anderen Seitemöchte ich, dass die unterschiedliche Leistung auch an-erkannt wird, das wird nicht anders gehen, als dass manin einem derartigen System sehr viel stärker auf Grund-sicherungselemente setzen muss als bisher und damitim Gegenzug weniger stark auf Lebensstandard sichern-de Elemente. Stichwort: Staatsbürgerabsicherung, wiewir sie aus den skandinavischen Ländern und auch ausHolland kennen, würde meines Erachtens in einer derar-tigen Perspektive eine wesentlich größere Rolle spielen.Zum Stichwort Infrastruktur.Ja,ich glaube auch,dass das,was in Infrastrukturen erforderlich und möglich ist,natürlich sehr stark mit den Gegebenheiten vor Ort zu-sammenhängt.Das war auch der Grund,wieso ich an demPunkt immer wieder die Kommunen ins Spiel gebrachthabe. Das ist tatsächlich nur bedingt zentralstaatlich zumachen.Bei aller Kritik am Detail sind die Programme,dieunter der letzten Regierung gelaufen sind, wie etwa zurFörderung der Selbsthilfe-Kontaktstellen und Senioren-büros, positiv zu sehen.Dritter Punkt: Teilhabe, Partizipation. Das ist mir jetztnicht so ganz klar,weil Sie ja auch gesagt haben,dass dieLeute durchaus bereit sind, sich zu engagieren, wenn siesehen, dass was dabei herauskommt, wenn es zeitlichund sachlich überschaubar ist,wenn es um sie herum ge-schieht, wenn sie es konkret auf etwas beziehen, so stel-le ich mir das auch vor.Auch das habe ich in den Jahren inOstdeutschland sehr schön erfahren, was dieser Begriff»verordnete Demokratie« heißt – das war früher für michimmer so ein Gemeinschaftskunde-Begriff.In den fünfzi-ger und frühen sechziger Jahren in der alten Bundesre-publik konnte ein großer Teil der Bevölkerung mitDemokratie nichts anfangen, das war dann eben verord-net,also ein Institutionensystem.Es wurde eigentlich erstin dem Moment lebendiger,in dem so etwas wie Bürger-gesellschaft anfing sich zu regen, wenn auch erst malüber Minderheiten. Das ist etwas, womit ich in diesenJahren immer wieder konfrontiert war, dass im Grundeein großer Teil der Menschen, mit denen ich dort zu tunhatte, zwar aus einer Geschichte kam, wo man diesemInstitutionensystem gleichgültig gegenüberstand. Manfand gut,dass es da war,aber man hatte dann keine wei-tere Bindung dazu. Und ich glaube auch nicht, dass sichsolche Bindungen darüber herstellen lassen, dass mandie Leute vielleicht,zusätzlich zur Bundestagswahl,nochan irgendeiner Volksbefragung teilnehmen lässt zu die-sem oder jenem Thema.Das halte ich im Grundsatz zwarfür richtig, solche Elemente stärker einzuführen, aber ichglaube nicht, dass sie per se schon zu einer Demokrati-sierung führen.Daher halte ich konkrete Teilhabechancenfür wichtig.Was kann Politik zu einem Klima von Bürgerengagementbeitragen? Ehrlich gesagt, da bin ich etwas vorsichtig.Vielleicht ist das ja auch ganz gut so,dass sich bei solchenFormen von Alltags- und Lebenskultur die politischenMöglichkeiten der Intervention in Grenzen halten. Wasman aber tun kann, ist, vernünftige Rahmenbedingun-gen zu setzen. Dass man vor Ort guckt, was steht über-haupt an, was sollte wie unterstützt werden.Das aber zuverordnen,gegenüber so einer Politik bin ich immer sehrskeptisch.

48 Das soziale Gemeinwesen der Zukunft

49Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA

Hans-Georg Rennert: Welches sind wesentliche Punkte,die Gemeinwesenarbeit ausmachen und die nach IhrerMeinung im Zusammenhang mit lokaler Beschäftigungstehen?

O< Beteiligung.O> Orientiert an Ressourcen.O> Schafft Arbeitsplätze für Menschen im Stadtteil.

Rennert: Gemeinwesenarbeit?

O> Es könnte auch um lokale Ökonomie gehen.

Rennert: Gut, das wäre eine Frage: Welches kann derBeitrag von Gemeinwesenarbeit im Zusammenhang mitder Schaffung von Arbeitsplätzen im Stadtteil sein. Wassind die Stärken, wo ist Gemeinwesenarbeit vielleichtauch überfordert? Fahren wir fort mit der Charakterisie-rung von Gemeinwesenarbeit.

O< Vernetzung.O> Soziale Dienstleistung.O< Integration von Professionellen vor Ort.O> Zielgruppenübergreifend.O< Hilfe zur Selbsthilfe.Multikulturelle Integration.O> Gemeinwesenorientierung oder Sozialraumorien-

tierung.O> Interessenvertretung im Stadtteil.O> Frühwarnsystem.O< Analyse von Sozial- und Wohnraum.O> Ja, Stadtteil ist ein komplexes Wesen.

Rennert: Ich stelle jetzt mal das Kommunale ForumWedding bzw. das Konzept »Arbeit und Nachbarschaft«in Berlin vor. Da würde mich interessieren, ist das ein al-ter Hut oder nicht, machen Sie das auch in Ihrer Arbeit,eine Rückkopplung, eine Einordnung. Ich selber kommenicht aus dem Bereich Gemeinwesenarbeit, sondern ausdem Bereich Planung, ich habe Landschaftsplanung stu-diert, habe aber tatsächlich nie in diesem Bereich gear-beitet.Das Kommunale Forum Wedding e.V.ist auch nichtvon Gemeinwesenarbeitern gegründet worden,sondernvon Personen, die im Stadtteil Wedding hier in Berlin tä-tig waren in unterschiedlichen Arbeitsbereichen,und dieeinen Ort zum ressortübergreifenden Austausch über dieEntwicklung im Wedding haben wollten. Das Selbstver-ständnis, von dem die Leute ausgegangen sind, war alsonicht begründet aus einem sozialarbeiterischen Zusam-menhang, sondern kam aus einer Selbsthilfe-Initiative,daraus ist das Kommunale Forum Wedding entstanden.Deswegen steht auch ökonomische Selbsthilfe und loka-le Entwicklung als Quasiüberschrift für das Selbstver-ständnis.Ein wesentlicher Punkt ist,dass Arbeitslosigkeit,öffentliche und private Armut, eben keine vorüberge-henden Phänomene sind,sondern längerfristig andauernwerden, dass sich also Krisenregionen herausbilden. Inbestimmten Regionen oder Stadtteilen bündeln sich

ökonomische und soziale Probleme.Und in diesen so ge-nannten Krisenregionen herrscht trotz hoher Arbeitslo-sigkeit kein Arbeitsmangel, gibt es viel zu tun. Es ist nurdie Frage, wie kann man Beschäftigungsmöglichkeitenund auch bezahlte Arbeitsplätze schaffen? Dieses Neben-einander erst mal zu skandalisieren, ist ein wichtigerPunkt. Dann meinen wir, dass solche Regionen eigen-ständige Entwicklungskonzepte benötigen, die sich anden lokal vorhandenen Bedarfen und Möglichkeiten ori-entieren. Das ist eine Frage der Lebensfähigkeit oder

Überlebensfähigkeit des Gemeinwesens:Was gibt es amOrt für Möglichkeiten, wo kann man ansetzen? Dahintersteht die These, dass die Fähigkeiten und Kenntnisse derBevölkerung eigentlich das bedeutendste Potenzial sind,das oftmals nicht gefragt ist.Für die Entwicklung eigenständiger Konzepte werdenneue Formen der Zusammenarbeit, mobilisierende Vor-gehensweisen, Planungsverfahren, auch neue Finanzie-rungs- und Unternehmensformen und Unterstützungs-einrichtungen benötigt.In krisenbetroffenen Stadtteilennimmt die Bedeutung von nicht gewinnorientierten undnicht staatlichen Aktivitäten zu. Das ist der Hintergrund,das Selbstverständnis des Kommunalen Forums Wed-ding.Es ist mit aktiven Personen aus dem Bezirk Weddingaus unterschiedlichen Arbeitsbereichen entstanden, ausder Mieterberatung, Mitarbeitern vom Bezirksamt, aller-dings als interessierte Einzelpersonen, nicht mit Auftragdes Bezirksamtes, aus Kirchengemeinden, Arbeitslosen-Selbsthilfe-Initiativen. Ein wichtiger Punkt war dann,neue Formen der Zusammenarbeit im Wedding zu fin-den.Wir haben in den ersten Jahren – also von 1988 bis1993 – ein informelles Netzwerk aufgebaut, indem wirVeranstaltungen mit wechselnden Themen, die denWedding betreffen, organisiert haben über Fragen wieDienstleistungszentrum,Gesundbrunnen-Center,Dienst-leistungen für wen,wem nützt es,wem nützt es nicht,wieist die Wohnsituation usw.Wichtig war dabei,dass wir alsMitarbeiter vom Kommunalen Forum sehr viele Kontakte

bekommen haben. Wir haben seit 1993 dann in einemGebiet mit Nachbarschaftsarbeit begonnen,um auch Be-wohnerInnen direkt in die Arbeit des Vereins einzubezie-hen.Vorher war es ein informelles Netzwerk,das sich aufden Wedding bezogen hat, der 165.000 Einwohner hat.Für diese Arbeit gibt es,z.B.für den Nachbarschaftsladen,bislang keine Förderung, nur eine Anschubfinanzierung.Wir haben über ABM und viel ehrenamtliche Arbeit ver-sucht,etwas auf die Beine zu stellen.Wir haben dann mitVereinen Kooperationsverbünde geschlossen und ar-

beitsmarkttechnische Instrumente genutzt. Das war einwichtiger Punkt. Wir machen auch europäischen Aus-tausch, um auch über den Tellerrand zu gucken. Dabeihaben wir viele Anregungen für unsere Arbeit bekom-men.Wir haben Kooperationsverbünde mit Vereinen ge-gründet,um es über die Nutzung von arbeitsmarktpoliti-schen Instrumenten und Förderketten eventuell zu schaf-fen, die soziale Infrastruktur im Stadtteil zu verbessern.Da sind wir aber an Grenzen gestoßen und gescheitert.Die Konsequenz war zu sagen, wenn wir so etwas versu-chen, müssen wir von vornherein versuchen, große Part-ner auch aus anderen Bereichen mit ins Boot zu bekom-men. Das ist dann die lokale Partnerschaft Wedding, diewir seit 1997 aufgebaut haben. Bisher ohne Förderung,aber ich denke,es war wichtig,überhaupt die Initiative zuergreifen,auch diese Art von Netzwerk in Angriff zu neh-men für Beschäftigung, Lebensqualität und sozialenZusammenhalt.Das Kommunale Forum Wedding ist seit April ‘99 Junior-partner im Quartiersmanagement am Sparrplatz undgleichzeitig Hauptauftragnehmer.Die Aufgabe ist aufge-teilt auf zwei Auftragnehmer am Sparrplatz, zwei Dritteldes Auftrages sind an das SPI gegangen und ein Drittel andas Kommunale Forum Wedding. Wir haben ein Hand-lungskonzept »Arbeit und Nachbarschaft« erarbeitet fürdie Arbeit im Sprengel-Kiez und wir sind im Augenblickauch wieder dabei, die Integration von Sozialhilfeemp-fängerInnen über Orientierungskurse zu kombinieren

W O R K S H O P S

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und Gemeinwesenarbeitmit Hans-Georg Rennert, Berlin und Achim Richter, Leipzig

50 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA

mit Arbeitsmöglichkeiten im Sprengel-Kiez, durch dieUnterstützung von anderen Nachbarschaftseinrichtun-gen und über die Nutzung von Hilfe-zur-Arbeit-Verträ-gen einen Stadtteilbetrieb aufzubauen.Dann wollen wirnoch ein europäisches Netzwerk aufbauen.Es ist wichtig, ein bezirksweites oder -übergreifendesNetzwerk aufzubauen und zu nutzen,um in bestimmtenGebieten, in kleineren Einheiten, tätig zu werden. Undwir haben, das war Ende ‘97/Anfang ‘98, dieses gebiets-bezogene Handlungskonzept im Sprengel-Kiez erarbei-tet.Das war gerade fertig,als die Diskussion um das Quar-tiersmanagement losging und es wurde dann auch indiesem Rahmen von Entscheidungsträgern aufgegriffen.Wir hatten dieses Konzept auch deshalb entwickelt, umunsere Nachbarschaftsarbeit,die wir bisher gemacht ha-ben,auf eine bessere inhaltliche Basis zu stellen und bes-ser auf andere Kooperationspartner zugehen zu können.Wir haben gesagt,dass es vier wesentliche Bereiche gibt,wo eine Unterstützungseinrichtung wie der Nachbar-schaftsladen tätig sein soll und auch andere unterstüt-zend tätig sein sollen, um Selbsthilfe und sozialen Zu-sammenhalt zu fördern. Tauschring, Mittagstisch usw.sind zwar zum Teil nur Vorhaben gewesen,das meiste exis-tiert aber.Gleichzeitig war für uns wichtig,Mobilisierungund Mitwirkung zu fördern über Nachbarschaftszeitung,Kiezgespräche,einen Freundes- und Förderkreis usw.Wirwollten versuchen, die Kooperation der lokalen Akteurezu fördern, Interessengemeinschaften von lokalen Ge-werbetreibenden, von Jugendeinrichtungen – ebenStadtteilpartnerschaft – das haben wir aber so nochnicht verwirklicht.Und dann der Punkt Beschäftigung amOrt, wobei wir Beschäftigung weiter fassen, also vonsinnvoller Betätigung bis hin zu bezahlten Arbeitsplät-zen.Und dass man die Beschäftigung am Ort über Orien-tierungskurse, über Qualifizierung auf dem lokalen Ar-beitsmarkt und eben auch über einen Stadtteilbetriebschaffen kann.

O< Kiezgespräche – wer ist dabei? Sind das jetzt wie-der die Insider oder sind das auch andere, auch Bürger?

Rennert: Wir haben solche Kiezgespräche seit ́ 93 orga-nisiert in unregelmäßigen Abständen.Das war immer soangelegt, dass da neben BewohnerInnen, die wir breitgestreut eingeladen haben, auch Leute aus Einrichtun-gen, vom lokalen Gewerbe und Mitarbeiter aus Verwal-tungen vertreten waren. Es gab sehr kleine Runden, z.B.zur Pflegeversicherung,da haben wir dann speziell Seni-oren eingeladen,dann gab es auch riesige Runden.Als esum die Berliner Kinderfarm ging, die ein lokaler Streit-punkt ist, da waren dann ein paar Hundert Leute aus derKirche und ganz viele Leute aus dem Kiez. Es gibt be-stimmte Leute,die besonders aktiv sind,die man da auchimmer wieder sieht, aber ich denke, wir haben darüberauch andere Personen erreicht.Was aber wichtig war undist für unsere Arbeit, ist eben auch, immer wieder da hin-zugehen, wo die Leute sind.Beschäftigungsmöglichkeiten – da meinen wir alles vonsinnvoller Betätigung über unterschiedliche Formen vonÜbergängen bis hin zu bezahlter Beschäftigung. Es istwichtig, diese Kooperationsbasis der unterschiedlichenGruppen zu ermöglichen, überhaupt Beteiligungsmög-lichkeiten zu entwickeln und anzubieten. Der Stadtteil-betrieb ist schon länger ein Vorhaben vom Kommunalen

Forum Wedding.Wir haben dort auch wieder versucht,in-ternationale Kontakte zu nutzen und uns schlau zu ma-chen.Wir sind nach Holland gefahren, wo es Stadtteibe-triebe gibt. Wir haben vor zwei Jahren erste KontakteRichtung Aachen geknüpft,wo so etwas auch entstandenist. In Herzogenrath hat die Kommune wesentlich dieEntstehung eines Stadtteilbetriebes »Tatendrang GmbH«unterstützt. Das hat uns für unsere eigenen konzeptio-nellen Überlegungen genützt. Die Zielrichtung von demStadtteilbetrieb ist, Beschäftigungsmöglichkeiten fürMenschen aus dem Stadtteil zu schaffen, indem Dienst-leistungen erbracht werden,die dem Stadtteil nützen,dieauch auf eine Nachfrage stoßen. Und das können Tätig-keiten in der Wohnumfeldverbesserung sein, es kann imBereich Soziale Dienste sein, das sind auch kleinereReparaturen in Wohnungen. Wir haben auch Orientie-rungskurse für SozialhilfeempfängerInnen gemacht.Dasist zum einen Berufsorientierung, Berufswegplanung, esgibt intensive Beratung mit den Sozialhilfeempfänge-rInnen. In diesen Kursen gibt es neben der beruflichenOrientierung auch die Förderung von Selbsthilfe als einFach.Die Menschen nehmen an diesen Kursen ein halbesJahr lang freiwillig teil, sie werden in der Zeit vomArbeitsamt unterstützt. Über diese Orientierungskursehaben wir schon eine Menge Personen kennen gelerntmit ihren Fähigkeiten, ihren Ausbildungen,mit ihren be-ruflichen Planungen und haben dann das Instrument der»Hilfe zur Arbeit« genutzt. Fünf Personen sind daüberbeim Kommunalen Forum beschäftigt, sie erhalten klei-nere Aufträge im Bereich Wohnraumsanierung oderRenovierung.Es gibt hier eine Anleitung,eine Regiekraft,die Aufträge akquiriert.Es werden für diese Arbeiten bis-her nur Aufwandsentschädigungen gezahlt. Wir habenuns aber vorgestellt,das ist ein Schritt in die gewünschteRichtung um zu testen, was können wir bisher leisten,was müssen wir zukünftig leisten und ausbauen, umdann entsprechend unsere Ressourcen zu organisieren.Zum anderen haben wir vor,eine besondere Trägerschaftzu entwickeln für diesen Stadtteilbetrieb. Hierfür gibt esjetzt die Unterstützung durch das Quartiersmanage-ment, da ist auch eine Unternehmensberatung beteiligt,um dann die entsprechende juristische Form und weite-re Schritte beim Aufbau des Betriebes festzulegen.

O> Was sagt denn das Handwerk zu so einem Unter-nehmen?

Rennert: Es ist so, dass z.B. im Bereich Wohnumfeldver-besserung eine Kooperationsvereinbarung abgeschlos-sen wurde, sie ist allerdings noch nicht praktisch gewor-den, und zwar mit einem Gartenlandschaftsbaubetrieb.Die haben sich bereit erklärt, wenn sie Aufträge bekom-men, auch mit dem Stadtteilbetrieb, mit den Sozialhilfe-empfängern zu arbeiten.Das ist ein wichtiger Punkt.Wirmüssen schauen, wie wir lokales Gewerbe, Handwerkspeziell, einbinden können, damit nicht eine unnötigeKonkurrenz-Situation entsteht. Die Kollegen aus denNiederlanden haben erzählt, dass es durchaus gute Ko-operationsmöglichkeiten gibt,wenn man sich rechtzeitigdarüber verständigt, dass sich die verschiedenen Mög-lichkeiten durchaus ergänzen können.Man könnte sich sicher auch andere Formen des Aufbausvon einem Stadtteilbetrieb vorstellen. In den Niederlan-den, aber auch in Nordrhein-Westfalen, in Herzogen-

rath, war es so, dass die Stadtteilbetriebe erst einmal eine Förderung bekommen haben für Geschäftsführungund für den langsamen Aufbau von Geschäftsbereichen,ich denke, das ist im Grunde genommen auch besser, alswenn man so einen Betrieb auf die vorhandenen För-dertöpfe hin ausrichtet.

Achim Richter (Stadtteilgenossenschaft StötteritzerMargerite, Leipzig): Von der ersten Idee der Genossen-schaft bis zur Eintragung ins Genossenschaftsregister ha-ben wir ein dreiviertel Jahr gebraucht.Dann waren wir al-so Genossenschaft, Alternative WohngenossenschaftConnewitz.Das ist der erste Weg gewesen,das haben wirohne die Stadt gemacht. Das hat bei der Stadt ein biss-chen länger gedauert, bis die sich zu einer Verwaltungs-vorlage durchgerungen hatten,die hieß dann »Erhaltungalternativer Wohn- und Lebensformen in Connewitz«.Alses schließlich so weit war, da waren 16 Projekte in Con-newitz drin,die sollten mit 17 Millionen unterstützt wer-den,und zwar nach dem Prinzip:die Stadt kauft die altenHäuser auf und gibt sie über Erbpacht weiter an dieGenossenschaft und die bauen dann in Selbsthilfe durch.Dann hatten wir das also durch, aber es passierte garnichts. Das ist oft so gewesen, dass die Stadt sich keinStück bewegt hat, wir müssen einfach was Eigenes ma-chen. Die Konsequenz, die wir damals gezogen haben,hieß Selbstorganisation als Weg aus dieser Krise derStadtentwicklung, vor allem für innenstadtnahe Wohn-gebiete. Wir haben dann ein arbeitsmarktpolitischesNetzwerk auf lokaler Ebene entwickelt, an dem fünfProjekte beteiligt sind.Das erste Projekt heißt »Netzwerkder Eigeninitiative«,das zweite »Kompetenzentwicklungvon Gemeinwohlprojekt-ManagerInnen«, das dritte»Profiler«, ein Fort- und Weiterbildungsinstitut vor Ort,das vierte »Entwicklungsagentur« und das fünfte »Stadt-teilgenossenschaft«.Ich habe eine Annonce geschaltet im Stötteritzer Orts-blatt und im Amtsblatt:»Stötteritzer gesucht für Projekte,die Fähigkeiten haben, bereit sind Existenzgründer zuwerden, das, was Sie immer schon machen wollten, ge-meinsam mit anderen zu machen«. Und dann habe ichgedacht,jetzt kommen da 20 oder 30 Leute,es waren sie-ben. Aus diesen sieben Leuten haben wir dann vier ABMgebastelt,die gut bezahlt werden und seit dem 1.April bisEnde März 2000 arbeiten. Das Ganze heißt »Nachbar-schaftsladen Stötteritz«. Und dann habe ich gesagt, ichbrauche 54.000 Mark, das habe ich dem Arbeitsamt ge-schrieben, und dann haben sie mir gesagt, Sie können18.000 Mark kriegen. Ich hatte auch Kontakt mit demWirtschaftsministerium in Dresden, das hat gesagt, IhrKonzept ist rund, das ist ganzheitlich, das unterstützenwir, bei denen heißt das zurzeit »Pilotprojekt – lokaleÖkonomie – neue Arbeit«. Dann hatte ich also meine54.000 Mark. Ich brauche keine Stadt, wir machen allesselbst, die Abrechnung, die Buchhaltung, und das ist un-heimlich schön.Wir haben unsere Stadtteilgenossenschaft am Muttertaggegründet, am 9. Mai. Unsere Überlegung war: dann ge-hen alle schön Kaffee trinken und wir machen Jazz-Frühschoppen. Dann haben wir eine Aktie gemacht, dasist ein Genossenschaftsanteil – 30 Mark,also 15,34 Euro.Dann war am 9. Mai die erste Veranstaltung, die ersteMargerite haben wir dann versteigert, die ist für 140 DMüber den Tisch gegangen. Wir hatten 200 Blumentöpfe

51Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA

mit Margeriten, wir hatten gedacht, 200 verkaufen wir,also wir haben 20 verkauft oder 21.Dafür hatten wir dannaber die erste Seite am Samstag in der Leipziger Volks-zeitung, war super, und damit sind wir auf die Bühne ge-treten. Stötteritz und Margerite ist ein Begriff gewordenin Leipzig.Dann haben wir die Dienstleistungsagentur gemacht,was können wir bieten, was können wir selbst machen,was können andere bieten.Wir haben Visitenkarten ge-sammelt, Leute angesprochen, was bietest du an usw.Jeder konnte reinkommen und sagen, gibst du mir maleine Schreibmaschine, kann ich mal faxen und so was.Dann haben wir einen Internet-Anschluss gemacht –www.stoetteritz.de – gemeinsam mit der Handwerks-kammer und der IHK haben wir einen Teleport einge-richtet und gesagt, ihr könnt ins Internet reingehen, ihrkönnt chatten, ihr könnt bestellen und alles mögliche.Darin stecken noch weitere Perspektiven.Dann haben wir einen Talentebogen. Wir möchten dagerne die Leute ansprechen und die Nachbarschaftshilfewieder so entwickeln, wie sie früher war. Aber es ist un-endlich schwer, die Leute anzusprechen. Wir haben also5.000 von diesen DIN A4-Seiten verteilt, in die Zeitungengelegt.Und es kamen 29 zurück.29 Leute, die sagten, ichwürde ganz gerne was machen.Aber sie bieten nur an,siewollen nichts haben,wollen nur rausgehen,finde ich sehrinteressant.Wir haben auch 460 Betriebe für eine grobeErfassung der wirtschaftlichen Situation befragt, wovoninzwischen viele nicht mehr am Markt sind.Die erzählenlieber eine Stunde lang über ihre Probleme, als einmaldiesen Fragebogen auszufüllen. Es ist unendlich schwer,wir haben also gerade mal 10% zurück bekommen. Dabin ich sehr enttäuscht.Dann kam eine Frau zu uns, die sagte: ich habe nebenanein Grundstück.Ich habe eine Baugenehmigung,aber ichkann das wirtschaftlich nicht bebauen,haben Sie irgend-eine Idee, was wir damit machen können? Und alsStadtteilgenossenschaft können wir ja nichts machen,wir können einfach nur Geld einsammeln, wir könnendie Aktien verkaufen für Stötteritz und Margerite, aberwir haben nichts Konkretes.Und jetzt haben wir also die-se 1.000 qm Baulücke, da machen wir einen betreutenKinderspielplatz drauf. Der Entwurf für den Vertrag liegtjetzt vor, wir werden den provisorisch übernehmen undwerden den in einen betreuten Kinderspielplatz umbau-en. Es kommt ein Zaun davor, es kommen zwei Betreuerrauf, da haben wir auch schon mit dem Jugendamt ge-sprochen, eine wird angestellt werden und eine werdenwir als ABM nehmen, wir wissen ganz genau, ohne ABMläuft nichts. Ich habe versucht, zwölf Menschen zu be-kommen auf ABM-Basis für zwei Jahre, die diese zahlrei-chen Projekte vor Ort realisieren sollen, auch über EU-Mittel finanziert, weil die Aufgaben uns schon fast überden Kopf wachsen. Sie sollen eine fachliche Begleitungund Qualifizierung bekommen.

O> Ich habe eine Frage zum Selbstverständnis. LokaleÖkonomie ist das Thema, Beschäftigungsverhältnisse zuentwickeln, und trotzdem, jeder kennt das Beispiel derfindigen Leute, wo sich sieben Vereinsmitglieder zusam-menfinden und beantragen sieben ABM-Stellen, das istdann der Klassiker. Und bekommen sie dann auch für ei-gentlich nichts, also da ist kein Aufgabenbereich dahin-ter,der ist nur frei erfunden gewesen und dann waren die

Leute einige Zeit beschäftigt mit nichts. Für mich klangdas jetzt auch so, erst mal eine Genossenschaft gründen,erst mal gucken,dass man Leute in irgendeiner Form un-terkriegt und dann können wir mal überlegen, was wirmachen. Man muss auch immer ein bisschen vorsichtigsein, dass es nicht nur eine Arbeitsbeschaffung ist, son-dern die Vernetzung in einem Kiez. Wenn wir die Leutenur in ABM beschäftigen, sie dann sinnlos auf dem Spa-ten rumstehen,dann bringt das ja auch keinen weiter.Dassollte nicht zum Selbstzweck werden.

Richter: Wir haben natürlich auch das Ziel vor Augen,dass sich die einzelnen Abteilungen selbständig machenund so auf Dauer echte Arbeitsplätze schaffen. Ich willauch wirklich keine ABM – ich finde das furchtbar – dienur Selbstbeschäftigung ist. Diese Stadtteilgenossen-schaft soll auch für andere Projekte Grundlage sein,für ei-nen Stadtteilbetrieb.Ich bin im Gespräch mit der LWB,diehat ein paar Häuser, die sollen modernisiert werden. Dabin ich dabei, eine Handwerker-Genossenschaft zu ma-chen. Aber unter Einbeziehung der lokalen Meisterhir-sche. Die sind alle so am Existenzminimum, die Meister.Wenn ich eine Handwerker-Genossenschaft mache, eineProduktivgenossenschaft, da habe ich mit der IHK schongesprochen, die gehen sofort darauf ein, die sind happy.Ich hole mir sechs Meisterbetriebe, ich mache sechsGewerke, der kriegt einen Vertrag für 20 Stunden in derWoche. Der ist in der Meisterrolle drin, wir dürfen dieArbeit machen. In Connewitz habe ich über 50 Leute aufder Liste, die das machen wollen.Was total schwierig ist,wir kriegen keine Finanzierung dafür. Das Jugendsofort-programm war schon ausgeschöpft, das ArbeitsamtLeipzig hatte keine ABM mehr,wir haben keine Mark ge-kriegt. Wir haben also nur gearbeitet, gearbeitet. Da mussten wir eine Genossenschaft gründen, nun habenwir eine Handwerker-Genossenschaft gegründet, sindaber nicht einen Schritt weiter gekommen.Nirgends gibtes Geld.Jetzt bin ich mit der LWB im Gespräch,wir habenein Gutachten gemacht für zwei Häuser,die leer stehen –zwanzig Wohnungseinheiten, die kosten modernisiert2,8 Mio. Mark. Die Genossenschaft macht die Gebäude-hülle und das Treppenhaus und die Mieter fliesen dannselbst, bringen die Dusche an und all das, was es so gibt.Dafür haben sie eine Miete von max. 5,80 Mark für zehnJahre gesichert.

O> Ich glaube, du musst noch mal zur Handwerker-Genossenschaft was sagen. Also ihr kennt Leute, dieFähigkeiten haben, die was tun wollen, es aber nicht al-leine können.Deshalb dieser Rahmen,in dem auch Meis-terbetriebe sind. Und ihr wollt diese zusammenbringen,damit sie dann auch Aufträge ausführen können, wo-durch die Leute Arbeit bekommen, und zwar bezahlteArbeit.

O> Ich muss noch mal zur Handwerkskammer kom-men, Sie sagen, Sie sind begeistert über deren Zustim-mung.Ich komme aus Köln und die sind dort gar nicht be-geistert und fragen mich, was mit ihren Aufträgen ist,und vor allem auch die Meister, die ja die Aufträge auchselbständig ausführen könnten und damit gutes Geldverdienen, ohne sich in eine Genossenschaft einzuglie-dern. Ich sehe, ehrlich gesagt, noch gar nicht, warum dasbei Ihnen so unheimlich konfliktfrei ist. Ich finde es fan-

tastisch, aber ich verstehe es noch nicht ganz.

Rennert: Ich denke, dass die Meister oder die Hand-werkskammer da in Köln noch auf einem ganz anderenRoss sitzt, und die sind in Leipzig inzwischen von demRoss runtergekommen. D.h. sie verlieren nur noch Mit-glieder, viele Betriebe machen zu und das wollen sienicht.Dagegen können sie jede ABM durchkriegen,wennin dem Antrag steht, die Maßnahme ist gemeinnützig.Und wenn ich dann noch Handwerksbetriebe reinnehme,die dadurch tatsächlich gesichert werden, dass sie einzweites Standbein kriegen – das ist doch ideal.

O> Also,so ein bisschen schwindlig fühle ich mich jetztdoch geredet. Zumal, weil ich ein bisschen Zweifel habean dem, was wir selber gemacht haben. Ich habe u.a.dieRycke-Straße-Selbstbau e.G. in Berlin-Prenzlauer Bergmit gegründet, eines der ersten Projekte in Berlin in die-sem Mietergenossenschaftsbereich. Und wir wären garnicht in der Lage, einen typischen Gründerzeitbau, 5-ge-schossig, sehr runtergekommen aber in der Substanznoch erhaltenswert, wieder herzurichten, hätten wir danicht etwa 80% der Kosten über Städtebaufördermittelbekommen.Dann hätten wir dieses Projekt nicht machenkönnen, und da sind wir nicht auf 5,40 Mark Einstiegs-miete gekommen. Und dieses Projekt hatte alle Unter-stützung der Welt.Wir haben die Stadtpolitik hinter unsgehabt,es ist auch ein Habitat-Projekt geworden.Und dahatten wir alle die gerade genannten Schwierigkeitenmit der Handwerkskammer. Berlin ist nicht Leipzig, aberwenn so etwas ein Erfolg wird, dann bauen wir nämlichnicht einen dritten Arbeitsmarkt auf, sondern dann bau-en wir wieder einen grauen Arbeitsmarkt auf, der großeProbleme verursacht. Das ist aber nicht der Bereich, umden es hier eigentlich geht, soweit ich das bisher ver-standen habe.

Richter: Es ist lokale Ökonomie. Es ist nicht Gemeinwe-senarbeit.Das stimmt.

Vorredner: Ich finde das sehr sympathisch,ich habe die-se Arbeit sehr gerne gemacht und ich weiß,wovon ich darede,bloß wir sind immer im Grenzbereich von Schwarz-arbeit gewesen und hätten es auf jeden Fall dann mit denHandwerkskammern und der IHK in hohem Maße zu tungehabt, wenn dieses ein Erfolgssystem gewesen wäre.Und die Konzessionsträger im gewerblichen Bereich sindnur so lange dazu bereit, so lange sie ihre eigene Arbeitnicht anders verkaufen können. Wer hat sonst Interessedaran,sich Stunden-Konzessionsverträge zu leisten.Undda stellt sich auch für den die Frage, warum soll ich jetztmeine Konzession verkaufen, wenn ich es doch selbermachen kann.Wo bleibt für den der genossenschaftlicheNutzen?

Richter: Ich sag ja,die LWB würde es sonst nicht machen.Das Haus verfällt. Ich weiß nicht, ob das dann ein grauerMarkt ist, jedenfalls wird keine Schwarzarbeit geleistet.

Rennert.: Was mich an dem Beispiel der Margerite in-teressiert hat, ist,dass dieses Instrument Stadtteilgenos-senschaft sehr flexibel ist für unterschiedliche Projekteoder Zielsetzungen,die man verfolgen kann.Es ist einmalmobilisierend, Bürger können sich beteiligen, man kann

52 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA

darüber auch Menschen mobilisieren für verschiedeneProjekte,also der Spielplatzbau,da wird versucht,Anteils-scheine zu verkaufen,darüber also konkrete Projekte an-zuschieben und Gelder und Unterstützung zu bekom-men. Oder der Aspekt, wie das lokale Gewerbe einge-bunden werden kann auf unterschiedliche Art und Weise.Und dann eben auch die Verbindung, worüber wir jetztdiskutiert haben,diese Handwerker-Genossenschaft,dieHandwerker und Arbeitslose zusammenfasst, wie auchdie Unterstützung für Leute,die sich selbständig machenwollen.Also eine Vielfalt von Möglichkeiten wird dadurcheröffnet und das finde ich wirklich eine tolle Sache.

O< Ich habe noch mal eine Frage zu der Darstellung voneben. Ich bin natürlich auch ganz begeistert, obwohl dasauch Verwirrung gestiftet hat. Ich weiß nicht, ob da auchSozialarbeit in Richtung Gemeinwesenarbeit geleistetwird.

Richter: Es gibt schon genügend Leute, die sich umSozialarbeit im Stadtteil kümmern. Deswegen ist es un-interessant für uns, dort einzusteigen. Wir versuchenauch, die anderen Vereine zusammenzubekommen, da-mit wir eine Vernetzung kriegen, damit wir wissen, wermacht was und wie können wir uns ergänzen. MeinGebiet ist nur die lokale ökonomie, Unterstützung, Reak-tivierung lokaler Wirtschaftskreisläufe,Wertschöpfungs-ketten vor Ort wieder zu installieren, mehr nicht.

O> Wie ist denn das mit einer Marktanalyse? Ich hatteeben den Eindruck, das kommt so ein bisschen aus demBauch heraus. Machen Sie vorher eine Bedarfsanalyse?Oder wie ist es mit der Bedürfnislage der Bewohner? Wiewird die festgestellt, wollen die Bewohner das über-haupt?

Richter: Die Wirtschaftsbefragung machen wir zusam-men mit der IHK und der Handwerkskammer.

O> Was Sie geschildert haben, ist ja nichts anderes alsdie Gelben Seiten von Stötteritz. Was für Unternehmenhaben wir und wo sind die angesiedelt? Das ist ja keineAnalyse, das ist der Beginn einer Analyse.

Richter: Nein, was ich möchte, ist etwas anderes. DieLeute sollen über ihre eigene Situation nachdenken. Dasist wichtig. Die sollen nachdenken und sagen, wo bin ichdenn eigentlich. Ich habe eine ganz schlechte Perspek-tive,aber habe ich eine bessere,wenn ich Ressourcen ha-be,wenn ich Möglichkeiten habe,was zu machen.Sie sol-len einfach über ihre eigene Situation nachdenken. Daswollte ich erreichen.Aber wie gesagt, die stellen sich hinund erzählen eine Stunde lang, wie schlecht es ihnengeht, Depressionen bis dort hinaus, dass der Interviewerauch bald anfängt zu heulen, aber der Firmeninhaber istnicht bereit, die drei Seiten, die vorgelesen werden, aus-zufüllen.Das verstehe ich nicht.

Rennert: Was bedeutet denn »orientiert an Ressour-cen«? Hier sind doch bestimmt einige Stichpunkte odereinige Stadtteile oder Elemente aufgegriffen, die beieuch sehr wichtig sind.Orientiert an Ressourcen,ich wür-de doch sagen, der Punkt Vernetzung, Integration vonProfessionellen, wenn man das weiter fasst, der Beteili-

gungsaspekt, Hilfe zur Selbsthilfe – das sind doch lauterPunkte aus deiner Schilderung, die ich hier zuordnenkann. Ihr macht aber nicht Gemeinwesenarbeit insge-samt.

O< Aber Vernetzung im Stadtteil.

Rennert: Ihr versteht Euch auch nicht als Gemeinwesen-arbeiter?

Richter: Nein.Uns kann jeder ansprechen.

Rennert: Für das Kommunale Forum als Träger entste-hen Rollenkonflikte, weil wir gleichzeitig beim Quar-tiersmanagement beteiligt sind, viele Informationenmitkriegen,die uns selber Vorteile verschaffen.Quartiers-management soll auch Projekte anschieben, unterstüt-zen usw., da kann man schnell in den Geruch kommen,Selbstbedienungsladen zu sein, indem wir uns über dasQuartiersmanagement immer selber die besten Aufträgezuschieben. Über das Quartiersmanagement sind dieOrganisationen sehr genau informiert, welche Program-me gibt es, welche Fristen gibt es, was ist zu beachten.Und was steht demnächst an, was sind Handlungsfelder,die demnächst kommen,was will der Bezirk,was will derSenat, also von daher sind wir sehr gut informiert, unddann kann man natürlich Projekte drumrum stricken.

O> Den Informationsvorsprung zum eigenen Vorteil re-lativ gut ausnutzen.

Rennert: Man kann jedenfalls bestimmte Vorhaben,ABM oder so, um die Vorgaben herum stricken, dazu gibtes dann weitere Förderung vom Arbeitsamt oder von ESFund so kann man den eigenen Träger stärken. Und wo-möglich bedeutet das dann, dass bestimmte Organisa-tionen dadurch gestärkt werden und andere dadurchnicht mehr an die Töpfe rankommen und dadurch ge-schwächt werden.Was aber über Quartiersmanagementgefördert werden soll, nämlich die Potenziale in denGebieten, entsprechende Strukturen aufzubauen, woLücken sind, das kann dadurch zu kurz kommen.

O> Ich verstehe das nicht.Wenn man von seiner Arbeitüberzeugt ist und gute Stadtteilarbeit macht,dann kannman auch ehrlich mit seinen Partnern darüber sprechen,dass man teilhaben will an diesem Konzept Quartiersma-nagement.Nur muss das dann auf einer breiten Basis dis-kutiert werden, dass eben andere Träger sich nicht aus-gegrenzt fühlen. Aber jetzt zu sagen, man ist, nur weilman die Informationsflüsse nutzt, schon unredlich, dasfinde ich auch nicht richtig. Da macht man sich ja eherverdächtig, dass man nicht genau weiß, in welche Rich-tung man will.Also,wenn man eine klare Zielsetzung hat,dann darf man sich aus den Töpfen,die dafür notwendigsind, doch durchaus bedienen. Da soll man nicht schein-heilig sein.

Rennert: Noch einmal anders ausgedrückt, es ist vorge-sehen, dass die Organisationen, die Quartiersmanage-ment machen, nicht zugleich Träger sind.Wenn wir jetztaber schon in einem Gebiet als Träger tätig sind, ist daskompliziert.Wir haben vor, für den Nachbarschaftsladeneine andere, eigenständige Trägerschaft zu entwickeln.

Bisher ist das Kommunale Forum Träger des Nachbar-schaftsladens in der Torstraße, also im Quartiersmana-gement-Gebiet, und uns schwebt vor, eine Trägerschaftzu entwickeln, dass auch Bewohner stärker einbezogenwerden.Von daher würde das schon wieder passen.Abererst mal besteht da, gerade im Hinblick auf die Auftrag-geber, eine Schwierigkeit.Ein anderer Punkt ist: ich war davon ausgegangen, dasses ein Leistungsvertrag ist,ein Werk,es also keine Zuwen-dung ist und man also relativ frei ist – ist aber nicht so.Die Auftraggeber engen den Spielraum von Projektensehr ein,da sie sehr viel von dem bestimmen wollen,wasim Rahmen von Quartiersmanagement läuft. Und vondaher ist unsere Rolle jetzt eine andere.Das KommunaleForum wird teilweise eher wahrgenommen als ein»Gegner«. Und die Teilnehmer in diesen Steuerungsrun-den, also Bezirksamt und Senat, gucken da auch nochmisstrauisch.Ich habe jetzt eher die Rolle,den Dialog zwi-schen den unterschiedlichen Gruppen zu befördern, weildurchaus auch unterschiedliche Interessen im Stadtteilvorhanden sind. Meine Aufgabe ist also auch, Konfliktezur Sprache zu bringen. Aber das wird von Bezirksamts-seite oftmals als ein Agieren gegen sie aufgefasst.Das hatwas, denke ich, mit den alten Traditionen im Wedding zutun.Da werden Sachen nicht offen ausgetragen.Und dasist für mich persönlich eine Schwierigkeit, wie auch fürdie Organisation. Denn eigentlich sollte sich Quartiers-management nicht an einzelnen Personen fest machen,sondern die Beteiligten müssen lernen, ein neues Ver-hältnis zu einander zu entwickeln. Aber das auszuhan-deln, das bedarf der Zeit und des Rückgrats. Das ist auchpersönlich ziemlich anstrengend.

O> Es reizt mich jetzt ungemein, auf den Fragenkom-plex einzugehen,ob Sie da sozusagen naiv an den neuenVertrag rangegangen sind.Ich würde gerne noch einmalfragen im Hinblick auf das, was Sie vorhaben oder auchschon gemacht haben,welchen Beitrag Sie für das Forumsehen,an der lokalen Ökonomie etwas zu verändern oderdazu etwas beizutragen.Wo sehen Sie das Besondere fürdiesen Teilaspekt?

O< Ich denke, Quartiersmanagement kann nicht erstdamit anfangen, die Träger zu qualifizieren. Und bei derOrganisierung von Vernetzung muss einfach gesundeKonkurrenz im Stadtteil vorhanden sein.Quartiersmana-gement entdeckt doch ganz bestimmte weiße Flecken.Mit Nachbarschaft oder mit anderen Feldern muss mandann sehr schnell nach Vernetzung gucken – also werkann es. Ich habe letzte Woche so eine Sache erlebt, weilwir probieren, für Jugend etwas zu machen, da ist inner-halb von zwei Tagen mit drei Trägern hin- und herdisku-tiert worden und am zweiten Tag wurde dann die Ent-scheidung getroffen,weil es für die Maßnahme so schnellgehen musste. Ja, und dieser Träger macht schon ganzviele Sachen. Aber ich glaube, Quartiersmanagementkann es sich nicht leisten zu warten,bis der eine oder an-dere auch so weit ist. Und ich glaube, über Quartiersma-nagement wird eine ganz gesunde Sondierung passie-ren, so hart es klingt. Aber einige, die sich immer an be-stimmten althergebrachten Programmen festgehaltenhaben und nicht nach neuen Ideen suchen, kommenauch nicht in diese Vernetzung, in diese neue Stufe mitrein.Es ist so,dass man jetzt nach kreativen Ideen suchen

53Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Lokale Ökonomie und GWA

muss, weil es ja eigentlich kein Geld gibt. Denn diesesQuartiersmanagement bei uns hat im Prinzip außerPersonalkosten nicht viel an Geld reingeholt. Das führtschon zu Ärger bei den Behörden, weil die ganz andereWunschvorstellungen hatten. Aber mittlerweile kriegensie es hin, die Bürgerbeteiligung stärker zu organisieren.Und insofern finde ich das sehr spannend. Ich denke mir,damit ist eine neue Kraft entstanden, dass man tatsäch-lich ganz andere, neue Wege geht. Diese Konkurrenzkriegt man nicht weg.Wir haben jetzt ganz stark an derVernetzung gearbeitet. Wenn z.B. ein Träger für Weiter-bildungsmaßnahmen ganz wenig Geld hat,hat er bisherimmer nur seine eigenen Leute qualifiziert. Dazu habenwir jetzt eine große Runde gemacht. Und schon kriegenwir eine bessere Qualität in der Qualifizierung für be-stimmte Bereiche hin.

Rennert: Zur Frage:Welches ist der Beitrag vom Kommu-nalen Forum zur lokalen Ökonomie, zur lokalen Beschäf-tigungsförderung? Eine wichtige Funktion vom Forumwar und ist,gebietsbezogenes Vorgehen zu propagieren,also gebietsbezogen verschiedene Akteure zusammen-zubringen aus dem privaten, öffentlichen und gemein-nützigen Sektor. Ein weiterer spezifischer Beitrag desForums ist, neue Wege zu suchen für berufliche Orientie-rung,Selbsthilfe und Beschäftigungsförderung,wie mandas zusammenbringen kann.Ein weiterer Beitrag ist,sichzu überlegen, dass es neben privaten Unternehmen, öf-fentlichem Dienst eben auch gemeinwesenorientierteUnternehmen gibt, Sozialökonomie, und da Formen zuentwickeln, damit solche Unternehmen entstehen undbekannt zu machen,dass es sie gibt.Und dieses zu beför-dern,solche Wege zu beschreiten,gehört mit zum Selbst-verständnis vom Kommunalen Forum.Was ich als sehr in-teressantes Feld empfinde, ist, was bedeutet die engeKooperation mit dem Bezirk, mit Betrieben und unter-schiedlichen sozialen Einrichtungen im Rahmen von ei-ner Partnerschaft, im Rahmen von bestimmten Projek-ten, im Rahmen von Quartiersmanagement? Wer hat ei-gentlich welchen Beitrag zu leisten und auch welcheVerantwortung und was bedeutet das für die Zukunft?Hier ist ein Feld, da gibt es unheimlich viel zu lernen füralle Beteiligten,da entsteht etwas Neues,aber was es ist,kann man heute noch nicht sagen.

O> Haben Sie denn konkret schon mal was gemacht,was wirklich ein Beispiel ist im Rahmen der Ökonomie imStadtteil? Der andere Punkt:Haben die Leute im StadtteilSie selber schon angesprochen,dass sie aus ihrer Arbeits-losigkeit rauswollen? Oder sind sie da mutlos?

O< Was ist denn der qualitative Sprung von Beschäfti-gungsförderung für Sie hin zu lokaler Ökonomie? Ich binsehr beeindruckt von einem Beispiel, das hier noch garnicht gebracht wurde. Das Bürgerhaus in Trier Nord hat,mit allen Schwierigkeiten, die da so dranhängen, einenStadtteil gekauft. Die haben eine Genossenschaft über-nommen. Da läuft man durch einen Stadtteil, wo ganzviele Wohnungen von der französischen Armee warenund die hat das Bürgerhaus jetzt übernommen.Sie habeneine Initiative gegründet und haben,so ähnlich auch wieSie das vorhaben, modernisiert, die Bewohner in diesemStadtteil haben selbst eine Beschäftigungsgesellschaftgegründet,haben dann diese Wohnungen modernisiert.

Und da habe ich so gedacht, das ist ein Unterschied zureiner Beschäftigungsförderung,wie ich sie kenne.Das istein sehr gelungenes Beispiel, weil da mehrere glücklicheUmstände zueinander gekommen sind.Und mich würdemal interessieren, wo ist der qualitative Sprung, wennman das nicht nur auf Wohnen bezieht.

Rennert: Das Kommunale Forum Wedding ist im Bezirkein Netzwerk, eine Unterstützungseinrichtung, die ver-sucht, bestimmte Strukturen für die Kooperation aufzu-bauen.Gleichzeitig wurde immer an uns herangetragen,auch etwas im ökonomischen Bereich zu machen. Es istaber schwierig, das parallel zu machen.Was wir versuchthaben, war über Kooperationsverbünde im Rahmen derNutzung von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten einesoziale Infrastruktur, aber auch sinnvolle Projekte imWedding anzuschieben.

Erstaunen im Publikum: Beispiele!

Rennert: Also, bei der Verbesserung der sozialen Infra-struktur sind wir an Grenzen gestoßen. Es gibt Ausbil-dungs- und Berufsberatung für Jugendliche im Kiez, dasgibt es auch weiterhin, jetzt über SAM, über einen ande-ren Träger, ist aber über diesen Kooperationsverbundmöglich geworden. Im Zusammenhang mit der Prinzen-allee 58 ging es um die Weiterentwicklung des Genos-senschaftskonzeptes. Wir haben häufig nur die Strukturgeliefert und andere haben es gemacht – z.B. die Öko-märkte.Der,der am Leopoldplatz entstanden ist,ist durchuns wesentlich mit entstanden. Nicht nur dort, die orga-nisieren inzwischen auch andere Ökomärkte.Darüber ha-ben sich ein paar Leute selbständig gemacht, über dieKooperationsverbünde ist es ihnen möglich geworden,über ABM und andere Sachen, das weiter auszubauenund hinterher haben sie allein weitergearbeitet. Also soetwas haben wir mit angeschoben,aber andere haben esdann gemacht.Wir haben da nur die Unterstützung ge-liefert. Gescheitert sind wir im Bereich Senioren-Hilfs-dienst,Haushaltshilfen für Senioren,dort tätig zu werdenund uns zu etablieren.Das haben wir auch in Kooperationmit anderen Trägern gemacht, und dann haben wir eineGmbH gegründet,die wollten wir nutzen zur Fortführungvon dem Ganzen. Daran sind wir gescheitert, weil maneben keine vernünftigen Preise erzielen kann, jedenfallsnicht,wenn man im Wedding arbeitet,ohne einen Finan-zierungsmix oder eine andere Art von Förderung von sol-chen Tätigkeiten.Soziale Dienste sind im Augenblick tot.Es treten nicht sehr viele Leute an uns heran und sagen,gebt uns einen Job, das gibt es auch, aber uns wird nichtdie Bude eingerannt,weil eigentlich auch klar ist,dass esnicht so einfach ist.

O> Die Frage bei Qualifizierungs- und Orientierungs-kursen und Maßnahmen ist doch,wie kommt man davonmehr zu regulären Jobs, zu Betrieben usw.?

Rennert: Oder auch nur zur Stabilisierung oder Verbes-serung der Situation.Ich weiß nicht,bei wie vielen dieserMenschen es tatsächlich realistisch ist, in den ersten Ar-beitsmarkt zu orientieren. Was benötigt wird und wasden Leuten hilft, ist eine Bandbreite von Möglichkeiten,die sinnvoll und nützlich für die Leute sein können. DieZielrichtung ist,dauerhafte Verbesserungen zu erreichen,

also weg von Drehtürmaßnahmen. Die Strukturen müs-sen verbessert werden, es müssen Angebote geschaffenwerden,die im Stadtteil notwendig sind.Das ist nicht un-bedingt immer ein Dauerarbeitsplatz auf dem erstenArbeitsmarkt, sondern sinnvolle Betätigungsmöglich-keiten, Integration. Dafür suchen wir nach Wegen. Ichweiß nicht,ob das dann der qualitative Sprung ist.Was si-cherlich wichtig oder eine günstige Bedingung wäre,wä-re z.B.Besitz von Immobilien, um dann damit etwas ma-chen zu können.Wir besitzen aber keine Immobilien.

O> Bleiben wir mal bei Immobilien, bei dieser Fabrik-idee, ist das eine Vorstellung von Ihnen beim Forum, soetwas anzupacken oder nicht, auch in Richtung des qua-litativen Sprungs? Will ich mal Immobilien erwerben,umweitere Dinge zu machen, oder nicht?

O> Ich drängle mich mal dazwischen. Hier sind ja vie-le, die Gemeinwesenarbeit machen.Mich würde interes-sieren, warum wir bisher in den ökonomischen Bereichnoch nicht reingegangen sind. Gerade Pflegedienst lägeja nahe, darüber ist, glaube ich, jeder schon mal gestol-pert, dem kann man ja gar nicht entgehen. Liegt es da-ran,dass man Berührungsängste hat,gar nicht rein will indie Wirtschaft? Oder sagt man,es gibt schon Pflegediens-te, und die sollen das machen, Gemeinwesenarbeit ver-stehen wir bis zu dieser wirtschaftlichen Grenze.Tausch-ring ja,vergütete Arbeit nein, das wollen wir nicht orga-nisieren.Und wir sind sicher nicht auf den Kopf gefallen,sag ich mal hier von diesen Gemeinwesenarbeitern, hiersind hochintelligente Leute, die könnten das wirtschaft-lich sicherlich bewerkstelligen. Ist nur die Frage, wollensie das überhaupt?

O< Ich verstehe mich nicht als Ausbader einer völligverfehlten Wirtschaftspolitik.Ich habe auch keine Berüh-rungsängste, das ist es nicht. Ich könnte mir schon vor-stellen,da was anzuleiern,aber erst mal denke ich,das istso gar nicht mein Job.Eher vermitteln,Berührungsängsteabbauen, Anstöße geben, das könnte ich mir auch vor-stellen,aber ich möchte nicht den x-ten Pflegedienst ne-ben den vielen anderen aufbauen.

Rennert: Mit der Immobilie, das haben wir im Weddingverfolgt,das ruht im Augenblick,aber das kann auch wie-der kommen.Es gibt da eine große Industriebrachfläche,wo vorher Druckmaschinen hergestellt worden sind, derRota-Print-Block,der steht jetzt seit zehn Jahren leer,wirsind vor einigen Jahren von der Senatsverwaltung abge-speist worden,hatten zwar Geld gekriegt für eine Studie,da ging es darum, Beschäftigungsfelder zu ermitteln amBeispiel vom Rota-Print-Block, das haben wir gemacht.Unser Vorschlag war, in dem Zusammenhang zu versu-chen, diesen Gewerbeblock gezielt wiederzubeleben.Dafür gab es aber kein politisches Interesse und mankommt dann nicht ran an den Block. Es ist immer noch eine Brachfläche.Die Räume,die vermietbar sind,werdenvermietet,aber es tut sich da auch nichts.Es wird erst malpolitisch nicht unterstützt. Im Augenblick liegt diesesProjekt also brach.Das ist ein zentraler Punkt – die Verfü-gung über Ressourcen, über Immobilien eben auch, umdort langfristig gesichert agieren zu können.

O< Wir sind ein Verein vor Ort, der auch in einem

Ich möchte mich dem vorgegebenen Thema dieses Work-shops nähern, indem ich einige Ergebnisse referierenwerde, die die wissenschaftliche Beschäftigung mit demSelbstverständnis der freiwillig Tätigen hervorgebrachthat.Hierbei werde ich weitgehend eine bestimmte diszi-plinäre Position beziehen,nämlich die der Soziologie,diesich mit einer spezifischen Perspektive dem freiwilligengemeinwohlorientierten Engagement annähert. Bösar-tig ließe sich sagen,dass damit aus dem »Elfenbeinturm«der Wissenschaft berichtet wird,der die Praxis der sozial-kulturellen Einrichtungen nicht kennt. Ich bin allerdings

der Meinung, dass die analytisch gewonnenen Befundeuns in die Lage versetzen,gewissermaßen eine Landkar-te für das unübersichtliche und facettenreiche Terrain desfreiwilligen Engagements zu liefern und somit eine In-terpretationshilfe für die eigene Wahrnehmung anbie-ten.

Wenn ich sage, dass ich eine soziologische Perspektiveeinnehme, dann bedeutet dies, dass ich etwa Ergebnisseder psychologischen Motivationsforschung1 weitgehendvernachlässige, auch wenn dieser Strang wissenschaftli-

cher Forschung – in einem eher quantitativen Sinne –viel zum Selbstverständnis der Engagierten beizutragenvermag. Für mich ist die Ausgangsfeststellung konstitu-tiv, dass auch sich freiwillig engagierende Menschen so-ziale Wesen nach dem Bild des »homo sociologicus«2

sind. Deren Handeln ist in äußerliche hemmende oder befördernde Umweltbedingungen eingebunden. DieSelbstverständnisse und die Motivationen dieser Men-schen sind nicht allein als das Produkt von inneren An-triebskräften zu verstehen. Notwendig ist ebenso – unddies werde ich teilweise in meinen folgenden Ausfüh-rungen erläutern – die Abhängigkeiten des Engage-ments etwa von biographischen Aspekten, von gesamt-gesellschaftlichen Entwicklungen, von situativen Gele-genheitsstrukturen oder von organisatorischen Settingszu berücksichtigen.

Die Aktivitäten der sich freiwillig und gemeinwohlorien-tiert engagierenden Menschen finden fast ausschließlich

54 Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

Entwicklungsstadtteil arbeitet,Wasserstadt in Berlin.Undich frage mich wirklich, ob ich alles selber machen muss.Das betrifft auch die Pflegedienste. Es gibt schon ganzviele Leute,die das machen.Was für uns wichtig ist,ist dieVernetzung.Wenn ich einen Stadtplaner kennen würde,der aktiv ist und Ideen hat, dann wäre das toll für mich,den heranzuziehen und zu sagen, wo kannst du uns hel-fen, wo kannst du uns unterstützen. Aber wenn ich allesdas, was heute aufgezählt worden ist, selber machenmuss, das geht überhaupt nicht, wir haben ja gar nichtdas Personal.Und wenn die Sozialarbeiter,die bei uns ar-beiten, sich auch noch mit diesen Sachen beschäftigensollten, dann wären sie für die Arbeit, für die sie einge-stellt waren,nicht mehr da.Und dann ist auch wirklich dieFrage,wie groß soll so ein Nachbarschaftsheim sein,war-um geht es nicht miteinander, warum geht es nicht ne-beneinander? Warum muss ich alles machen? Wir habenjetzt z.B.das Angebot gehabt vom Bezirksamt,Hilfen zurErziehung zu übernehmen. Was bedeutet das für einenNachbarschaftsverein? Das bedeutet,er muss sich grund-sätzlich verändern in seiner Struktur. Ich brauche alsoschon wieder extra Kräfte dafür.Darum hatte ich eigent-lich heute so ein bisschen erhofft, dass ich etwas erfahredarüber,wie kann es verknüpft werden,wie kann ich da-von profitieren, um auch weiter Bestand zu haben, umauch vielleicht ein bisschen an Ressourcen zu kommen.

Richter: Aber Sie haben doch Ihre Antwort schon for-muliert: Wie kommen Sie an Leute ran, die mitziehen?Das ist doch der Punkt.

O> Wie kriegt man die Kurve hin – also immer ausge-hend von den Menschen, die zu uns kommen, die in be-stimmten Maßnahmen waren und von denen wir sagen,die sind sehr qualifiziert und könnten bestimmte Dingetun und wollen es auch – wie findet man die Ballance aufder einen Seite zwischen Nichtstun, Sinnieren, Sagen:dakönnen wir nichts machen, und auf der anderen Seite ei-ner bestimmten Überschätzung der eigenen Profession.Die Fantasie,die müssen wir alle in die Arbeit einbringen.Es gibt bestimmte Bereiche, da haben wir es gemacht,nämlich da, wo unsere ureigensten Stärken liegen, alsoim Bereich der Jugend- und Sozialarbeit haben wir im

Verlaufe der letzten Jahre Arbeitsplätze schaffen könnenin Nachfolge von ABM und anderen Maßnahmen. Da istes allerdings auch stimmig, da gehört es zum Konzept.Unser entscheidender Ansatzpunkt ist die Vernetzung,also wie können wir die Menschen mit ihren spezifischenFähigkeiten mit denen in Verbindung bringen, die ent-sprechende Ideen haben, die auch Ressourcen haben imStadtteil? Und vielleicht noch,wo können wir bescheidenmithelfen, etwas zur Verfügung zu stellen?

O> Mich würde noch einmal das Selbstverständnis in-teressieren, diese Anknüpfungspunkte zwischen sozia-len Trägern, und der freien Marktwirtschaft, dies gibt esja eher selten oder nur punktuell. Und da ist bei dem ei-nen oder anderen von uns auch noch eine Scheu vorhan-den.Aber trotzdem ist das ja ein wichtiges Thema.Ich willes mal beispielhaft machen, da ist eine Jugendeinrich-tung, die ist leer. Zwei Straßen weiter ist ein großes Ein-kaufszentrum und da sind die Jugendlichen wiederum,obwohl sie kein Geld haben. Da sagt mir ein Amtsleiterder Jugendförderung in Schwedt: ich fände es Klasse,wenn sich irgendein Projekt mal bereit erklären würde,eine Eisdiele in so einem Ding aufzumachen. Denn dortbeschäftigen sich die Sicherheitskräfte mit den Jugend-lichen.Ihr kennt die – bei der Polizei rausgeflogen und dakümmern sie sich um die Jugend. Und der Sozialarbeiterwartet in der Einrichtung, dass die Jugendlichen dochkommen mögen und dann würde man was Nettes mit ih-nen machen. Man müsste noch mehr an die Wirtschaftrangehen und sagen, ich möchte partizipieren. Ich bin jaauch Teil eines lokalen Gebietes. Neben Leuten, die daGeld verdienen, habe ich ja auch einen Zugang, habe ichja auch eine Berechtigung dort hinzugehen. Über diesesSelbstverständnis ist zu wenig geredet worden, auchüber die Scheu – warum machen wir nicht Eisdielen auf,wenn das notwendig ist?

O< Ich meine nicht, dass wir das selber machen müs-sen.Wir kommen aber am Thema Arbeit und am Themamaterielle Ressourcen nicht vorbei. Wir müssen neueWege gehen,auch in dem Sinne von Arbeit erfinden.Dasmüssen wir nicht alles selber tragen.Aber man muss sichan bestimmten Punkten einmischen und da fallen mir

auch Sachen ein, wofür es Geld gibt, wo es auch einenErfolg hat. Es geht nicht darum, einen Pflegedienst auf-zumachen, sondern vielleicht eine Perspektive für Leutezu finden und gemeinsam mit denen etwas zu finden,das sie dann übernehmen können.

O> Vielleicht klingt das jetzt banal oder es ist jedemklar, aber durch die Gründung von Nachbarschaftsinsti-tutionen, Nachbarschaftsheimen, wenn die sich lebens-fähig gestalten durch ihre Arbeit, die sie leisten, tragenwir ja schon wieder zur lokalen Ökonomie bei, wenn dazwei oder drei Leute arbeiten und dann meinetwegennoch eine ABM-Kraft. Es gäbe sicherlich ein Feld, woBürgerarbeit kostenneutral geschaffen werden könnte,ohne Leuten das Gefühl von Alimentierung zu geben.Und das sind Leute,die jetzt auf dem ersten und zweitenArbeitsmarkt letztlich keine Chance mehr haben, nichtweil sie nicht fähig sind,sondern weil sie einfach in dieseWirtschaftsstrukturen nicht mehr reinpassen.Es müsstenModelle entwickelt werden, solchen Leuten Arbeit zuschaffen,und die sind dann sicherlich auch in der Lage,lo-kale Arbeitsmärkte am Leben zu erhalten. Ob das nun eine Teestube ist oder eine Eisdiele,ob man Puppen spie-len lässt oder Kino zeigt, ist doch völlig wurscht, ich mei-ne da gibt es Möglichkeiten,das macht ihr ja auch,ihr seidja nicht nur alimentiert.

O> Ich habe noch eine Frage zum Begriff Sozialbetrie-be.Was will man denn damit erreichen? Das Ziel ist ja,aufden ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Und wenn Men-schen so fähig sind, dass sie einen sozialen Betrieb grün-den können und ihre Produkte dann auch loswerden,könnte man doch sagen, ja warum ist das nicht ein Wegin den ersten Arbeitsmarkt, warum schafft man da nochmal einen eigenen Sektor, der möglicherweise eine ArtSchonraum ist und letztendlich nur für bestimmte Grup-pen mit bestimmten Behinderungen ist?

Richter: Das sind ja nicht nur Behinderte, das sind ar-beitslose Jugendliche, das sind Langzeitarbeitslose über40 oder 50 und da kriegt man vier Jahre lang eineFörderung. Aber gibt es wirklich noch die Chance für einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt?

Soziales, ehrenamtliches und BürgerengagementZum Selbstverständnis freiwillig Tätigermit Reinhard Liebig, Dortmund

55Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

in institutionellen Rahmen statt.Ehrenamtliche* sind nuräußerst selten »Einzeltäter«,die keines organisatorischenDaches, etwa eines Wohlfahrts- oder Sportvereins, einerPartei oder Bürgerinitiative,eines Schulvereins oder einerKirchengemeinde, bedürfen. Die Organisationen stellenden Verwirklichungsraum für das ehrenamtliche Engage-ment dar. Vor dem konkreten gemeinwohlorientiertenTun steht in der Regel ein Angebot der Mitarbeit, zumin-dest eine wahrnehmbare Option, sich in irgendeinerRichtung innerhalb einer bestehenden Organisation ander Aufgabenerfüllung zu beteiligen. Ehrenamtlichkeitist dementsprechend »organisierte Nächstenliebe«3.Weilfür die Verwirklichung des ehrenamtlichen Engagementszumeist ein organisatorischer Rahmen notwendig ist,lassen sich daraus bereits (mit Vorbehalten) einige Rück-schlüsse auf das Selbstverständnis der Ehrenamtlichenziehen. Eine individuell getroffene Entscheidung, sich ineiner konkreten Organisation zu engagieren, bedeutetgleichzeitig, sich für diese Organisation einzusetzen.Insofern ist davon auszugehen, dass das Selbstverständ-nis der Ehrenamtlichen – zumindest bei denjenigen Per-sonen, deren Engagement kein einmaliges Geschehenbleibt – normalerweise mit den Zielen und Werten desinstitutionellen Rahmens weitgehend übereinstimmt.Wenn dies in der gerade allgemein hergeleiteten Weisezutrifft, dann ist daraus im Umkehrschluss zu folgern,dass die normativen Dimensionen einer Organisation,de-ren Zielsetzungen, die Art und Weise der Aufgabenerfül-lung, deren Organisationskultur und Kommunikations-verhalten auch etwas über das Selbstverständnis der sichdort engagierenden Menschen aussagen.

Diese generelle Feststellung kann durch Untersuchungenund einige Indizien präzisiert werden. So bestätigt sichnach einer Studie von Bierhoff/Burkart/Wörsdörfer(1995), in der freiwillig Tätige von vier unterschiedlichenHilfsorganisationen – der Freiwilligen Feuerwehr, demDeutschen Roten Kreuz (DRK), der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und amnesty interna-tional – interviewt wurden, ein Zusammenhang zwi-schen den Motivbündeln der Ehrenamtlichen und denAufgabenstellungen und Arbeitsweisen bestimmter Or-ganisationen. In dieser Studie wird grundsätzlich zwi-schen zwei Einstellungsbereichen ehrenamtlich Tätigerunterschieden, die beide zusammen – allerdings in ver-schiedenen Zusammensetzungen – durchgängig vor-handen sind:»Traditionell humanitäre Einstellungen,diedurch den Begriff der Verantwortung für andere gekenn-zeichnet sind, und hedonistische Einstellungen, die un-mittelbar der eigenen Bedürfnisbefriedigung dienen.Von den hedonistischen Einstellungen wird angenom-men, dass sie sich verschiedenen inhaltlichen Bereichenzuordnen lassen (z.B. Abenteuer, gesellschaftliche An-erkennung und soziale Einbindung), die untereinanderpositiv korrelieren.«4 Für Menschen mit hedonistischerEinstellung steht die Orientierung am Lustprinzip im Vor-dergrund. Sie erwarten vom eigenen Engagement ein

für sie luststeigerndes, gewinnbringendes Feedback.

In der Tabelle werden neben den beiden Einstellungsbe-reichen und den vier Einstellungsdimensionen in einerdritten Spalte beispielhafte abgefragte Statements auf-geführt.Die Zustimmung zu einem Block gleichgerichte-ter Statements hat zur Folge, dass eine Zuschreibung zuder entsprechenden Einstellungsdimension erfolgt.Nachdieser Untersuchung ist die Einstellung, die die Verant-wortung im Sinne einer Verpflichtung betont, Menschenin Not helfen zu wollen, für die Ehrenamtlichen aller un-

tersuchten Hilfsorganisationen von großer Bedeutung.**

Diese Orientierung war bei allen Ehrenamtlichen – un-abhängig von der spezifischen Organisation – in ähnli-cher Weise ausgeprägt, so dass die humanitäre Einstel-lung gewissermaßen als ein durchgängig vorhandenesFundament für jegliche Form ehrenamtlicher Arbeit an-gesehen werden kann.Das andere Motivbündel, das als hedonistische Einstel-lung etikettiert wurde,variiert deutlich zwischen den un-tersuchten Hilfsorganisationen.Das spricht dafür,dass die

ehrenamtliche Tätigkeit auch spezifische Motive der frei-willigen Helfer anspricht, die mit dem Inhalt und denBedingungen der Tätigkeit zusammenhängen. Es wirdaber ebenso deutlich, dass sich das Motiv, welches sichauf der Verpflichtung gründet, anderen zu helfen – alsodie humanitäre Einstellung – sehr gut mit hedonisti-schen Einstellungen verträgt. Altruistische Orientierun-gen schließen Orientierungen,die auf die Verwirklichungeigener Bedürfnisse gerichtet sind,nicht aus,sondern sieergänzen sich geradezu. Insgesamt kann festgestelltwerden, dass die verschiedenen untersuchten Hilfsorga-

nisationen ein erkennbares Motivprofil aufweisen. Mitanderen Worten:Während eine gewisse humanitäre Ein-stellung durchgehend bei allen Ehrenamtlichen vonHilfsorganisationen vorhanden ist – als Kennzeichen derEhrenamtlichen insgesamt – korrespondieren bestimm-te Organisationstypen mit bestimmten Ausprägungender hedonistischen Einstellung, die als spezifizierendeKennzeichen der Organisation zu werten sind.*** Etwasallgemeiner ausgedrückt: Die Einstellungen der Ehren-amtlichen lassen sich unterscheiden und diese Differen-

Typologie von Einstellungen Ehrenamtlicher

Einstellungsbereich Einstellungsdimension entsprechende Statements mit hoher Zustimmung (Beispiele)

Humanitäre Einstellung Verantwortung im Sinne • Ich fühlte mich verpflichtet, gesundheitlich oder in der Verpflichtung, anderer Weise in Not geratenen Menschen zu helfen.Menschen in Not zu helfen • Die sinnvolle Tätigkeit in dieser Organisation war für

mich das Entscheidende.• Ich wollte mich für die Gemeinschaft nützlich machen.

Hedonistische Einstellung Abenteuer im Sinne von • Die Erfahrung mit schwierigen Situationen undNeugier auf Unbekanntes wie ich in solchen reagiere, reizt mich.und »Sensation Seeking« • Ich wollte durch aktives Handeln Erfahrungen über

mich sammeln, insbesondere im Hinblick auf mein soziales Engagement.

• Ich wünschte mir, dass andere meinen Einsatz anerkennen.

Anerkennung durch • Berichte über mutige Einsätze und Aktivitäten dieser Freunde und Gesellschaft oder ähnlicher Organisationen haben mein Interesse

geweckt .• Ich wollte mit Menschen zusammenkommen, die

Courage beweisen.• Ich stelle es mir angenehm vor, meinen Freunden von

meiner Mitarbeit zu berichten.

Soziale Bindung im Sinne • Ich wollte eine nette Gemeinschaft finden.von sozialer Integration • Ich freute mich darauf, Menschen kennen zu lernen

und Bekanntschaften zu schließen.• Geselligkeit ist mir wichtig; in meiner Organisation

glaubte ich, diese zu finden.

Quelle: Bierhoff/Burkart/Wörsdörfer (1995)

* Die in der vorgegebenen Hauptüberschrift vollzogene Aufzählung von drei alternativen und miteinander konkurrierenden Begriffen könnte fortgeführt werden. In der Diskussion sind ebenfalls: Freiwilligenarbeit, Bürgerarbeit, Laienhelfer oder etwa

Nicht-Hauptberuflichkeit. Ich werde im Folgenden nicht immer alle möglichen Begriffe in additiver Weise aufzählen, sondern mich auf den beschränken, der immer noch am gebräuchlichsten ist – Ehrenamt.

** »Diese moralische Verpflichtung zur Hilfeleistung ... lässt sich im wesentlichen nicht auf Antworttendenzen im Sinne einer sozialen Erwünschtheit zurückführen.Sie stellt vermutlich ein genuines Motiv der Hilfeleistung in Alltagssituationen dar und

dient als Grundlage der altruistischen Motivation« (Bierhoff/Burkart/Wörsdörfer 1995, S.382).

*** Zu vermuten ist weiterhin, dass die Zufriedenheit der ehrenamtlich Tätigen von dem Entsprechungsverhältnis der eigenen hedonistischen Einstellungen und der Angebotsstruktur der Organisation abhängig ist.Je stärker diese Einstellungen durch die

Organisation angesprochen und bestätigt werden, desto größer wird die Zufriedenheit und die Wahrscheinlichkeit eines kontinuierlichen Engagements ausfallen.

56 Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

zen spiegeln sich in dem Spektrum der unterschiedlichenOrganisationstypen wider.

Es ist also von einem Entsprechungsverhältnis, einemPassungsverhältnis zwischen der zum Engagement be-reiten Person und der Institution auszugehen,die das Eh-renamt organisiert und einsetzt. Dabei sind allerdingsheute – auf der Seite der Ehrenamtlichen – nicht nur de-ren Einstellungen und Motive von Wichtigkeit, die sichauf den Zeitpunkt des Engagements beziehen, sondernebenso die Frage, welche grundsätzlichen biographi-schen Voraussetzungen mitgebracht werden.Damit wirddie eher oberflächliche Frage nach Motiven bzw.Einstel-lungen verlassen und ein breiteres Fundament der Analy-se gesucht.Gefragt wird,inwieweit die Gelegenheiten zueinem freiwilligen,unentgeltlichen Engagement und dietatsächlichen Ehrenamtlichen-Karrieren in einem Zu-sammenhang mit der eigenen Lebenssituation sowie mitbiographischen Anhaltspunkten und Verläufen stehen.Es geht dabei um den erklärenden Charakter der je eige-nen Biographie, aus der sich Sinnorientierungen desEngagements ergeben. Damit kann aufgezeigt werden,wie ehrenamtliches Handeln in Biographien eingebettetist,wie es sich individuell im Lebensverlauf verändert und– nicht zuletzt – welche allgemeinen Prozesse des Wan-dels das ehrenamtliche Engagement insgesamt durch-macht.Durch diese Schwerpunktsetzung wird wiederumdeutlich,dass es nicht den einen Ehrenamtlichen bzw.dieeine Ehrenamtliche gibt, sondern ein breites Spektrumexistiert.Es wird davon ausgegangen,dass ein dauerhaf-tes bzw. langfristiges ehrenamtliches Engagement nurdann zustande kommt,wenn biographische Bezüge,alsoParallelen zur Lebensgeschichte herstellbar sind.

Auch mit dieser Perspektive, die biographische Bezügedes ehrenamtlichen Engagements thematisiert, lassensich Typen von Ehrenamtlichen differenzieren.Jakob un-terscheidet auf der Grundlage von Interviews,mittels de-rer Sinnmuster und Verlaufsformen ehrenamtlichen Han-delns untersucht worden sind,mehrere Typen des ehren-amtlichen Engagements5. In diese Abbildung sind dreiTypen des ehrenamtlichen Engagements eingeflossen,deren Anordnung und deren einzelne Bedeutung ich kurzerläutern möchte.

Ich habe die Typen als die Eckpunkte eines hierdurch ge-bildeten Dreiecks bestimmt. Dies soll deutlich machen,dass die Eckpunkte analytisch gewonnene Idealtypendarstellen und ein mögliches konkretes Engagementdurchaus von jedem Erklärungsmuster ein Teil in sichbirgt.Die drei Typen schließen sich nicht gegenseitig aus,ihre Gewichtung wird allerdings unterschiedlich ausfal-len. So könnte im konkreten Fall innerhalb des Dreieckseine Position eingenommen werden,die die Verhältnisseund die individuellen Wertigkeiten der drei Muster in dif-ferenzierter Weise verdeutlicht.Zu den drei Idealtypen:

1. Die erste Variante (auf der rechten Seite des Dreiecks)sieht ehrenamtliches Engagement als ein Handlungs-muster, das innerhalb der jeweiligen familiären Struktu-ren oder des Milieus bereits existent ist. Ehrenamt kann

an etwas anknüpfen, stellt eine Fortsetzung dessen dar,was im bisherigen Lebensverlauf eine Rolle gespielt hat.Sich zu engagieren heißt, im eigenen Handeln ein hohesMaß an Kontinuität und Stabilität zu verwirklichen. DieBiographien dieses Typs verlaufen in traditionsbewuss-ten sozialen bzw. religiösen Gemeinschaften und in Ver-bindung etwa mit Kirchengemeinden oder sozialdemo-kratischen Organisationen. Mit dem Engagement sindvielfach die Vokabeln des Dienstes oder der Pflicht ver-bunden, ehrenamtliche Tätigkeit erscheint als eine»Aufgabe«.

2. Für den zweiten Typ ist mit den ehrenamtlichenTätigkeiten die Verwirklichung eigener Vorstellungenund Pläne von Wichtigkeit. Mit dem eigenen Engage-ment wird vielfach ein neuartiges Handlungsfeld er-schlossen, in dem Aspekte des eigenen Lebensentwurfsselbstbewusst realisiert werden können. Es geht darum,selbst Einfluss zu nehmen, selbst gestalten zu können.Mit dem Ehrenamt eröffnen sich für diesen Typ Möglich-keiten der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung.Vor diesem Hintergrund kann etwa für die so genannten»neuen Alten«6 der Eintritt in eine neue Lebensphasenach Berufstätigkeit oder Kindererziehung und -versor-gung einen Anlass darstellen, lange gehegte Wünscheund Pläne im Ehrenamt anzugehen.* Oder aber die eige-ne ehrenamtliche Tätigkeit wird als eine bewusste Stra-tegie für einen geplanten Einstieg bzw.Wiedereinstieg inden ersten Arbeitsmarkt angesehen.

Biographische Bezüge des ehrenamtlichen Engagements

* Viele Anzeichen sprechen dafür, dass die Organisation des eigenen nachbe-

ruflichen Lebens vor allem durch Momente biographischer Kontinuität dominiert

wird. »Im Zuge solcher Biographiearbeit ‘produzieren’ und gestalten die Ruhe-

ständler heute ein neues Lebensalter: nämlich das Lebensalter zwischen der in-

stitutionalisierten Erwerbsphase und dem Altsein«

(Langehennig/Kohli 1989, Seite 220).

Ehrenamt-liches

Engagement

Ehrenamtliches Engagement als Schaffungeines Handlungsfeldes zur Verwirklichung

eigener Vorstellungen und Pläne

Ehrenamtliches Engagement als Bearbeitungsstrategiefür biographische Verletzungs- und Verlusterfahrungen

EhrenamtlichesEngagement alsFortsetzung eines familiärenHandlungsschemasund milieugebundeneAktivität

Quelle: Jakob (1999)

57Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

3. Die letzte Variante versteht ehrenamtliche Aktivitätenals eine Bearbeitungsstrategie, die auf biographischeVerletzungs- und Verlusterfahrungen reagiert. Persönli-che Krisenerfahrungen oder biographische Brüche stel-len häufig den Anlass für das Engagement dar. Die mitdem ehrenamtlichen Arbeitsfeld verbundenen Erfahrun-gen können für die Suche nach Sinngehalten und für dieSelbsterfahrung genutzt werden.Dieser Engagementtypwurde bei MitarbeiterInnen in Hospizgruppen oder derTelefonseelsorge identifiziert.Dort können durch die eh-renamtlich ausgeführte Tätigkeit etwa neue Handlungs-muster für die Verarbeitung eigener Krisenerfahrungenkennen gelernt und erprobt werden.

Dieses durch die drei Idealtypen gebildete Dreieck hatnicht nur die Funktion, individuelle biographische Bezü-ge des ehrenamtlichen Engagements zu typologisierenbzw.im Mischbereich zu verorten,sondern es ist auch da-zu dienlich,allgemeine,das Ehrenamt betreffende Wand-lungstendenzen deutlich zu machen.Aufgrund mehrererBefunde empirischer Forschung und zahlreicher Erfah-rungsberichte von Organisationsvertretern lässt sich be-reits seit einiger Zeit ein »Strukturwandel des Ehren-amts«7 verfolgen. Es ist die Rede davon, dass sich in denletzten Jahrzehnten mehrere Aspekte, die mit dem Eh-renamt in Verbindung stehen,deutlich verändert haben.Mit diesem Strukturwandel modifizieren sich neben denErscheinungsformen des Ehrenamts auch die typischenSelbstverständnisse, die Einstellungsmuster, die Erwar-tungen der Ehrenamtlichen selbst8. Um diese Entwick-lung begrifflich zu fassen, wird u.a.dem »traditionellen«bzw. »alten« Ehrenamt das »moderne« bzw. »neue«Ehrenamt entgegengestellt9.

Übertragen in die eben dargestellte Terminologie bzw.indas von den Idealtypen geprägte Bild des Dreiecks be-deutet dieser Wandel, dass davon auszugehen ist, dassder Strang, an dessen Ende sich die zuerst dargestellteVariante befindet,langsam zu verdorren droht.Mit ande-ren Worten:Das ehrenamtliche Engagement ist heute im-mer weniger als eine Fortsetzung eines familiären Hand-lungsschemas oder einer milieugeprägten Aktivität zuverstehen.Statt dessen gewinnen Handlungsweisen und-strategien an Gewicht, die auf Selbstentfaltung undSelbsterfahrung zielen. Bei den Fragen, ob Ehrenamtüberhaupt zustande kommt, in welchem organisatori-schen Rahmen, in welcher Form und mit welchem zeitli-chen Aufwand es angegangen wird, erweist sich heutedie Kopplung an eigene Erfahrungen, an eigene Fähig-keiten und Erwartungen als entscheidender als die Zuge-hörigkeit zu einem bestimmten Milieu.Als eine Folge die-ser Entwicklung lässt sich beobachten, dass große Teiledes Engagements zunehmend an Konstanz verlieren.DerIdealtyp des »modernisierten« Ehrenamts ist kaum nochfest in die Bürokratie eines Verbandes bzw. eines Vereinseingebunden, die »neuen« Ehrenamtler stellen ihreArbeitskraft einer Organisation nicht mehr pauschal zurVerfügung und warten auf Einsätze,sondern sie arbeitennur noch relativ autonom und selbständig in befristetenProjekten10.Bei der Ausgestaltung des Ehrenamts verlie-ren die Notwendigkeiten der Organisation zugunsten derindividuellen Präferenzen an Wertigkeit. Diese Entwick-lungen lassen sich – in einer etwas vereinfachendenWeise – in der Gestalt einer Vierfeldertafel visualisieren11.

In dem vollständig weißen Feld befindet sich das »tradi-tionelle« Ehrenamt, das den Dienst für andere als eineAufgabe betrachtet. Es realisiert sich durch eine feste,langfristig kalkulierbare Bindung an eine bestimmte,dem eigenen Milieu nahestehende Organisation. DiesesEhrenamt ist nach wie vor anzutreffen, es verliert aller-dings zunehmend an Relevanz. Die Pfeile symbolisierendie Entwicklungsrichtung: Nicht mehr nur die Erforder-nisse der ehrenamtlichen Arbeit, nicht mehr nur dieBedürfnisse der Adressaten sind konstitutiv für das frei-willige Engagement, sondern – mit gleicher Berechti-gung – ebenso die eigenen Erwartungen und positiv be-werteten Konsequenzen.Wie bereits in der ersten Tabelleverdeutlicht, werden humanitäre Grundeinstellungendurch selbstbezogene Motive bzw.Einstellungen überla-gert, d.h. Wünsche nach Selbstverwirklichung, Spaß,Geselligkeit, Abenteuer oder Anerkennung werden fürdie eigenen Entscheidungen zum Ehrenamt wichtig undgegenüber Organisationen als Erwartungen formuliert.Dabei wird das eigene Geben,der individuelle Nutzen desEngagements eher handlungsleitend als die traditionel-le Norm des selbstlosen Handelns. Zudem orientiert sichdas Engagement immer mehr an bestimmten Aufgaben,die projekthaft – also mit definiertem zeitlichen und per-sonellen Einsatz – durchgeführt werden.

Diese Art der Analyse lässt sich nicht eindeutig beweisenund nicht ohne Zweifel quantifizieren. Dazu ist dieDatenlage zum Ehrenamt insgesamt nicht ausreichend,zu wenig kontinuierlich und zu unzusammenhängend12.Dennoch lassen sich mittlerweile zur Bestätigung diesesTrends einige (wenige) empirische Anhaltspunkte an-führen. Auf drei dieser Anhaltspunkte möchte ich imFolgenden kurz eingehen: Dabei richtet sich der Blick alserstes auf Einzelorganisationen (1),anschließend auf dasKonstrukt des »Dritten Sektors« (2) und zuletzt auf diespezifische (wohlfahrtsverbandliche) Situation in Ost-deutschland (3).

(1) Selbst innerhalb von Organisationen, die eine langemilieugebundene Tradition aufweisen und in deren Rei-hen vor allem ältere Menschen tätig sind*, lässt sich einTrend aufzeigen: Aufgrund einer der wenigen kontinu-ierlich durchgeführten Befragungen zeigt sich etwa imDiözesan-Caritasverband Köln, dass dort der Anteil derEhrenamtlichen, die nicht regelmäßig in Einrichtungenoder Gruppen tätig sind, steigt und heute 33,4 Prozentbeträgt13.Jede dritte Frau und jeder dritte Mann,die bzw.der die Arbeit des Diözesan-Caritasverbands durch eige-ne Arbeit unterstützt, ist nicht in einen regelmäßigen,

wöchentlich wiederkehrenden Turnus eingebunden,son-dern die Mitarbeit findet sporadisch und/oder projektbe-zogen statt. Empirische Ergebnisse, die für das Stadtde-kanat Freiburg ermittelt wurden, stellen eine solche ak-tuelle Bestandsaufnahme in den Zusammenhang vonEntwicklungstrends. Aufgrund von Vergleichen der Ar-beits- und Personalstruktur von jungen und alten Grup-pen konnte ein Trend zur Spezialisierung der Gruppenidentifiziert werden. Die neuen, also die aktuell attrakti-ven Gruppen, realisieren ein individualisierteres und fle-xibleres Ehrenamt,d.h.die jeweiligen Tätigkeiten sind aufdie einzelnen Ehrenamtlichen, auf ihre Begabungen,Möglichkeiten und Wünsche zugeschnitten. Bei denAntworten auf die Frage nach den Modalitäten bei derGewinnung neuer Ehrenamtlicher zeigt sich: Für befris-tete Einzelaktionen oder einen überschaubaren Einsatzlassen sich auch heute durchaus Mitarbeiter/innen ge-winnen, für ein kontinuierliches Engagement dagegenimmer weniger; und für ein absolutes Sich-zur-Verfü-gung-Stellen überhaupt nicht14.

(2) Auch eine erweiterte – über Einzelorganisationenhinausgehende – Perspektive scheint diesen Entwick-lungstrend zu bestätigen: In dem so genannten »DrittenSektor« zwischen Staat und Markt, in dem sich die Re-krutierung und der Einsatz von Ehrenamtlichkeit haupt-sächlich abspielt, sind Prozesse der Verlagerung zu er-kennen.Vor allem auf der Grundlage eines längerfristigenVergleichs der Mitgliedszahlen von Verbänden und Verei-nen, zeigt sich eine Verschiebung des Interesses und derAttraktivität.Dabei erscheinen viele traditionelle Mitglie-derverbände,wie Parteien,Gewerkschaften oder Kirchen,als die »Verliererorganisationen«, für die es immerschwieriger wird, Mitglieder und ehrenamtliche Mitar-beiterInnen zu gewinnen.Dagegen gibt es auf der ande-ren Seite andere Mitgliederverbände, Initiativen undBewegungen, die einen Zuwachs an Personen undAttraktivität zu verzeichnen haben. Die Gewinner dieserVerlagerung der »Ehrenamtlichen-Ressourcen« sind einerseits »unpolitische« Organisationen des Freizeitbe-reichs – etwa Sport- und Gesangsvereine – und ande-rerseits Gruppen und Initiativen, die in einem direktenund basisorientierten Sinn der Organisation von Betrof-feneninteressen dienen, wie Selbsthilfegruppen, Eltern-initiativen oder Nachbarschaftsvereinigungen15.

* Es zeigt sich – an dem Beispiel des Diözesan-Caritasverbands orientiert –,dass

dort der Großteil der ehrenamtlich engagierten Menschen zwischen 50 und 69

Jahre alt ist; dieser Altersspanne sind fast 60 Prozent aller Ehrenamtlichen zuzu-

rechnen.

Aspekte der Entwicklung vom »traditionellen« zum »modernen« Ehrenamt

Zeitaufwendung Zeitaufwendungfür sich für andere

einmalig (eher aufgaben-bezogen)

Engagementregelmäßig (eher organisations-bezogen)

58 Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

(3) Eine Folge dieser Verlagerungstendenzen der »Ehren-amtlichen-Ressourcen« wäre,dass bestimmte Typen vonOrganisationen zukünftig weitgehend ohne Ehrenamtli-che auskommen müssten.Dieses Szenario trifft vor allemauf solche Organisationen zu,die über einen formalisier-ten hierarchischen Aufbau verfügen,durch den Aufgabenvon oben delegiert werden und der Anteil der beruflicharbeitenden Kräfte relativ hoch ist. Beispielhaft lassensich hier etwa die ostdeutschen Einrichtungen der Dia-konie (DW) und der Caritas (DCV) anführen.Die Betrach-tung der Wohlfahrtsverbände in Ostdeutschland ist auf-schlussreich, weil einige Merkmale dieser verbandlichenEinrichtungen und Dienste gewissermaßen den allge-meinen Wandel von einer Wertgemeinschaft zu einemDienstleistungsunternehmen16 in besonderer Weise ver-deutlichen können. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Eini-ge sich allgemein abzeichnende Trends im Zusammen-hang mit der »Ökonomisierung des Sozialsektors« schei-nen im Osten Deutschlands weiter fortgeschritten zu seinals im Westen. Insofern können diese verbandlichenEinrichtungen und Dienste – obwohl oder gerade weil siebesondere Ausgangs- und Umweltbedingungen aufwei-sen – in vielerlei Hinsicht den Wandel der Organisations-struktur und der Arbeitsweise in besonders ausdrückli-cher Form veranschaulichen.* Aufgrund einer relativgroßen Befragung** in den Einrichtungen des DCV unddes DW ergibt sich dort das folgende Bild zur Bedeutungdes Ehrenamts und zum Bedarf an Ehrenamtlichen.

Bei dieser Erhebung stellte sich heraus, dass insgesamtnur 35,2 Prozent der Einrichtungen über ehrenamtlicheMitarbeiterInnen verfügen können.Fast 2/3 aller Einrich-tungen arbeiten ohne Ehrenamtliche,wobei davon etwa3 von 5 einen Bedarf an Ehrenamtlichen anmelden. Dieostdeutschen Einrichtungen erscheinen vornehmlich alsOrganisationen, die eindeutig von beruflich geleisteterArbeit getragen werden, das Ehrenamt hat – was dieArbeitsleistung angeht – nur eine marginale Bedeutung.

So beträgt der Anteil der Ehrenamtlichen an der geleis-teten Gesamtstundenzahl aller Beschäftigten in denEinrichtungen, die Ehrenamtliche einsetzen, nur ca. 2,5Prozent.Der Blick auf die ostdeutschen Einrichtungen derbeiden größten Wohlfahrtsverbände, die programma-tisch das Ehrenamt weiterhin als wichtige Säule ihrerArbeit betrachten, verdeutlicht, dass die Praxis dieserOrganisationen nicht immer mit deren Selbstverständnisübereinstimmt. Obwohl – nach einer anderen Untersu-chung17 – fast jeder 3.Ostdeutsche bereit ist,sich in Orga-nisationen mit sozialer Ausrichtung ehrenamtlich zu en-gagieren,scheinen die wohlfahrtsverbandlichen Einrich-tungen, die im Osten nach dem westdeutschen Musteraufgebaut wurden, eher unattraktiv zu sein.

Diese wenigen Ausführungen zum Strukturwandel desEhrenamts verdeutlichen einige Aspekte der Veränderun-gen aus verschiedenen empirischen Perspektiven unddeuten somit auch auf die Konsequenzen sowie auf dieUrsachen der Veränderungen auf der individuellen Ebe-ne.Die Wandlungsprozesse,die das Selbstverständnis derEhrenamtlichen betreffen, und die gesellschaftlicheEntwicklung verlaufen nicht nur parallel,sondern sie be-einflussen sich gegenseitig und erlauben nur in derZusammenschau die Konstruktion eines halbwegs ver-ständlichen Bildes vom Ehrenamt. Auf die Frage, welchegesellschaftlichen Prozesse das Selbstverständnis derEhrenamtlichen beeinflussen,finden sich in der Literaturvor allem zwei Antwortstränge,die gewissermaßen Ent-wicklungen hinter dem »Strukturwandel des Ehrenamts«ins Blickfeld rücken:Die favorisierten Konzepte sammelnsich einerseits unter dem Stichwort »Wertewandel« (1)und andererseits unter der Überschrift »Individualisie-rung« (2).Diese beiden Konzepte und deren Konsequen-zen für das Ehrenamt will ich ganz kurz darstellen:

(1) Wenn von Werten die Rede ist, werden immer zweiFunktionen, zwei Bedeutungsgehalte dieses Begriffesgleichzeitig angesprochen. Es gibt gewissermaßen einedoppelte Verankerung von Werten: sowohl in der Sozial-struktur einer Gesellschaft als auch in der Persönlichkeits-struktur der Einzelnen.Werte besitzen somit immer eineneher objektiven und einen eher subjektiven Aspekt. Sierepräsentieren auf der einen Seite eine mehr oder weni-ger umfassende und anerkannte Bedeutung im Kontexteines kulturellen,kollektiv gültigen Wertsystems.Sie be-sitzen damit eine integrative bzw. systemstabilisierendeFunktion. Auf der anderen Seite sind Werte bedeutsamfür individuelle psychische, handlungsleitende Struktu-ren,die die Individuen befähigen,das »richtige« Handeln,Erleben und Denken, aber auch die Abweichungen vomErstrebenswerten zu identifizieren.Über die Werte ist dieGesellschaft mit den Individuen verzahnt. Wandlungs-prozesse auf der gesellschaftlichen Ebene sind somit indirekter Weise mit den Selbstverständnissen der Ehren-amtlichen in Verbindung zu bringen.

Mit dem Beginn der 70er Jahre lässt sich eine verstärkteThematisierung des Begriffs »Wert« in verschiedenenKonzepten verfolgen, die dem zuvor geäußerten Tenorwidersprachen, dass in unserer Gesellschaft bestimmteWerte ersatzlos fortfallen. Die neuere empirische Sozial-forschung geht davon aus, dass kein genereller Werte-verlust stattfindet, sondern ein Werteaustausch bzw. einWertewandel zu beobachten ist.In Deutschland wird derdurch sozialwissenschaftliche Umfrageforschung identi-fizierte Wandel der Werte u.a. damit beschrieben, dass eine Tendenz zur Selbstverwirklichung auszumachen ist.Noelle-Neumann schreibt: »Die Überzeugung schlugWurzeln, das richtige Leben sei eine Selbstverwirkli-chung, bei der eigene Wünsche, Neigungen und Bedürf-nisse den Vorrang hätten. Vorrang vor der Behinderungdurch Bindungen welcher Art immer, seien es menschli-che, familiäre Bindungen, Bindungen an den Betrieb, aneine Aufgabe, an Institutionen wie Kirche oder Partei,Übernahme von Verantwortung«18. Nach der so genann-ten »Speyerer Werteforschung« betrifft der Wandel nichtnur einzelne Wertorientierungen, sondern einen über-wiegenden Teil aller Werte insgesamt und weist eineübergreifende und vorherrschende Gesamtrichtung auf.Die zentrale These lautet, dass ein Wechsel von denPflicht- und Akzeptanzwerten zu den Selbstentfaltungs-werten stattgefunden hat bzw. stattfindet19. Gesamtge-sellschaftliche Entwicklungen – so wird argumentiert –machen auf der individuellen Ebene bestimmte Wertenotwendig.Und – in umgekehrter Richtung formuliert –deren Vorhandensein ist eine Prämisse für die aktuellegesellschaftliche Modernisierung.

(2) Ein prominentes Etikett zur Beschreibung und Inter-pretation der gesellschaftlichen Weiterentwicklung lie-fern bereits seit einiger Zeit die so genannten Moderni-sierungstheoretiker.Neben den Kennzeichnungen für dasglobale Geschehen – wie Risikogesellschaft20 oder reflex-ive Modernisierung21 – nimmt dort der Begriff der Indivi-dualisierung als »Komplementärbegriff auf der Ebenedes Subjekts«22 – einen zentralen Stellenwert ein. DieseIndividualisierung besitzt ein Doppelgesicht: Einerseitssind damit Prozesse angesprochen, die die »ehemalswegweisenden und kollektiv abgesicherten Geländer derLebensführung«23 auflösen sowie die Einzelnen einempermanenten Zwang zur risikohaften Entscheidung undAuswahl aussetzen.*** Andererseits eröffnen sich durchdie Auflösung vormals vorhandener wegweisender Struk-turen neuartige Freiheiten, nach eigenen Vorstellungenzu leben.Als Konsequenzen dieser Freiheit sind etwa diePluralisierung der Lebenswelten oder die Schaffung neu-er Subkulturen bzw.Gemeinschaftsformen anzusehen.

Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses – so wirdvielfach behauptet – lässt sich die These von der Indivi-dualisierung nicht mit einem generellen Abbau von Soli-darbeziehungen in unserer Gesellschaft gleichsetzen24.

Bedeutung des Ehrenamts undBedarf an Ehrenamtlichen in ost-deutschen Einrichtungen derDiakonie und der Caritas

70

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30

20

10

0Einrichtungen mitehrenamtlichenMitarbeiterInnen

Quelle: Hübinger (1997); eigene Berechnungen

Pro

zen

t

Bedarf anEhrenamtlichen

Kein (weiterer)Bedarf anEhrenamtlichen

Einrichtungen ohneehrenamtlicheMitarbeiterInnen

* Ein spezifisches ostdeutsches Beziehungsgeflecht, in dem sowohl die einmalige Entstehungs- bzw.Transfergeschichte der Verbände, die besonderen Lebenslagen,

Einstellungen und Traditionslinien der Bevölkerung als auch eigenständige Bedingungen des »Sozialmarkts« sich gegenseitig beeinflussen,führen (beispielhaft bei

DW und DCV) zu einer Situation, in der dem Ehrenamt – im Vergleich zu westdeutschen Strukturen – eine eher randständige Position zukommt und sich das orga-

nisatorische Selbstverständnis vielfach erheblich v.d.westdeutschen »Mainstream« unterscheidet (vgl.Angerhausen u.a.´98; Neumann/Brockmann ´97; Olk ´96).

** Vgl.Hübinger (1997).Es konnten die Antworten von über 1.500 Einrichtungen berücksichtigt werden.

*** »Biographische Verläufe, verstanden als eine Kette von Entscheidungen, werden per se zu einer selbsttragenden, riskanten Struktur, deren kognitiver Horizont sich

vor allem durch eines auszeichnet: eine unbekannt bleibende, zwischen Gelingen und Scheitern oszillierende Zukunft« (Nassehi 1997, S.260).

59Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

Aber die neuen,auf der persönlichen Entscheidung beru-henden Gemeinschaftsformen unterscheiden sich in ei-nigen Aspekten von den traditionellen. Der individuali-sierte Mensch ist kaum mehr »naturwüchsig« in einertraditionsbeladenen Organisation Mitglied, sondern erist ausgebettet aus Selbstverständlichkeiten und vorge-gebenen Plausibilitätsstrukturen.Er bzw.sie ist gezwun-gen, auf der Suche nach Gemeinschaft und Selbstver-wirklichung irgendwo selbstbestimmt Mitglied zu wer-den. Etwas verkürzt formuliert: Die Individuen könnenheute nicht mehr vorgegebenen, gesetzten Interessenfolgen,sondern sie müssen sie weitgehend selbst erzeu-gen.Diese auf individuellen Wahlentscheidungen basie-renden Gemeinschaften können sich nicht an einemGefühl der Verpflichtung orientieren, das persönlicheEngagement erhält vielmehr den Charakter des Punktu-ellen und Begrenzten. Engagement ist gekoppelt mit ei-nem gewissen Vorbehalt der Änderbarkeit und Unsicher-heit25. Solidarbeziehungen werden in zunehmendemMaße nicht mehr auf der Grundlage eines Verpflichtungs-gefühls erbracht, das aus traditionellen Gemeinschafts-bindungen folgt. »Der neue Typus von Sozialbeziehungerweist sich im Vergleich zu der traditionellen Formzwangloser,vielseitiger,zeitlich und sachlich eingegrenz-ter und beweglicher. Er ist weniger von einem moralischaufgeladenen Helferpathos geprägt.«26

Diese identifizierten Veränderungen in der Nachfolge desIndividualisierungstheorems deuten darauf, dass – mitBlick auf das Ehrenamt – einiges in Zukunft anders ge-staltet werden muss, als es in der Vergangenheit der Fallwar.Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Modernisie-rungsprozesse sind allerdings nicht nur Phänomene aus-zumachen, die ein Zustandekommen des Ehrenamts er-schweren, sondern ebenso solche, die die Ausgangs-situation prinzipiell günstig erscheinen lassen27. Mit an-deren Worten,es lässt sich sowohl eine Negativ- als aucheine Positivliste der Individualisierungsfolgen erstellen.

Neben den bereits erwähnten und ausgeführten Folgender Individualisierung wird auf der Negativseite daraufhingewiesen, dass im Zuge der Modernisierung religiöseInstitutionen ihren Einfluss auf die Gesellschaft verlieren.Die von ihnen tradierten Sinngehalte und Plausibilitäts-strukturen werden nur noch als ein Angebot unter vielenwahrgenommen und verlieren an Glaubwürdigkeit28.Von

dieser Krise der Glaubwürdigkeit sind entsprechend auchdie kirchlichen Institutionen und ihre Einrichtungen undDienste betroffen. Im letzten Punkt wird auf die zuneh-mende Instabilität von Ehen, auf sinkende Haushalts-größen und auf die Erosion der so genannten Normalfa-milie hingewiesen. Diese Prozesse haben Folgen für dasEhrenamt, da nach einigen Untersuchungen sich vor al-lem diejenigen Menschen in der sozialen Arbeit freiwil-lig und unentgeltlich einsetzen, die in Mehrpersonen-haushalten leben.29

Auf der Positivseite der Individualisierungsfolgen sindEntwicklungen schlagwortartig aufgeführt, die in derGrundannahme ihre Gemeinsamkeit haben, dass Indivi-dualisierung nicht nur Altes auflöst, sondern ebensoNeues entstehen lässt. Neue Formen der »Vergesell-schaftung« und der Selbstorganisation jenseits der tradi-tionsgeleiteten und haushaltsnahen Netzwerke sind alsChancen für modernisierte gesellschaftliche Solidaritäts-potenziale zu betrachten. Solidarität und Gemeinsinnsind nicht verschwunden,sondern sie äußern sich in neu-artigen Ausdrucksformen.Als schillerndes und bekanntesBeispiel dieser modernen Typen kann etwa das breiteSpektrum der Selbsthilfe angeführt werden, deren Be-deutung in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommenhat.30

Auf der Grundlage von Konzepten des Wertewandels undder Individualisierung werden – wie gerade in kürzesterForm beschrieben – einige Ausprägungen des Struktur-wandels plausibilisiert. Im Zusammenhang mit meinenanfänglichen Ausführungen schält sich die Grobrichtungder Veränderungen,die das Selbstverständnis der Ehren-amtlichen und zum Teil auch der potenziell sich Engagie-renden betreffen, allmählich heraus. Sowohl die Einzel-befunde empirischer Untersuchungen zum Selbstver-ständnis der Ehrenamtlichen als auch die genannten ge-sellschaftstheoretischen Konzepte ergeben ein relativ

homogenes Bild. Dabei kann zurzeit weniger über diequantitative Verteilung verschiedener Typen, Einstellun-gen oder Erwartungen ausgesagt,sondern ausschließlichdie Veränderungsrichtung durch einige Wegmarkierun-gen bestimmt werden.

Diese Erscheinungen des Wandels, diese Verschiebungs-

tendenzen werden bereits seit einigen Jahren von derWissenschaft, den Vereinen und Verbänden sowie derPolitik punktuell wahrgenommen. Dieses Erkennen hatzur Folge, dass z.T. von Seiten der etablierten Organisa-tionen und staatlicher Agenturen modernisierte Pro-gramme und Strategien entworfen werden.31 Immergeht es dabei um die Frage,wie neue Organisationsstruk-turen,neuartige Konzepte der Förderung und Würdigungdes Ehrenamts oder neue Vermittlungsmöglichkeitendem veränderten Selbstverständnis der (potenziellen)Ehrenamtlichen gerecht werden können.Diese Frage ge-winnt heute auch deshalb an Relevanz,da die strukturel-len Problemlagen des beruflich gestützten, »kostenin-tensiven« Wohlfahrtsstaats vermehrt erfasst und disku-tiert werden – wie ebenfalls auf dieser Tagung.Auf einereher analytischen Makroebene wird in der Folge etwavon »Sozialkapital«* gesprochen und eine »neue Kulturdes Sozialen«32 oder eine »aktivierende Politik«33 einge-fordert. Doch für bestehende Initiativen, Gruppen undOrganisationen stellt sich unterhalb dieser Analyseebenediese Aufgabe viel konkreter. Hier wird in Zukunft eineMenge an Ideenreichtum und ein Ausbrechen aus einge-fahrenen »Spurrillen« notwendig sein.

Die Literaturliste finden Sie auf Seite 99

Aus der Diskussion:

O< Wenn Sie in die Wohlfahrtsverbände die ostdeut-sche Volkssolidarität reinnehmen würden, würde es inBezug auf das Ehrenamt ganz anders aussehen.Das sindzwar Wohlfahrtsverbände, die aufgrund der atheisti-schen Gesellschaftsordnung in der DDR sicher großenNachholbedarf haben.Sie nicht einzubeziehen verfälschtaber aus meiner Sicht das Bild von der ehrenamtlichensozialen Arbeit in Wohlfahrtsverbänden.

Liebig: Ich habe deutlich betont,dass es nur das DW undden DCV betrifft, nicht die anderen Wohlfahrtsverbände.

O< Ich denke, wenn man Erhebungen macht zumEhrenamt in Ostdeutschland,gehört einfach die Volksso-lidarität dazu, ansonsten ist das nicht richtig.

Liebig: Die Grundlage dieses Schaubilds und dieserBefragung ist eine Umfrage,die in Auftrag gegeben wor-den ist von der Diakonie und der Caritas. Insofern habensich die nur mit ihren eigenen Organisationen befasst.

O> Aber das ist doch nicht sauber. Die Darstellung desEhrenamtes auf dem Gebiet der DDR kann man dochnicht so darstellen.

Konsequenzen des Individualisierungsprozesses für gesellschaftliche Solidaritätspotenziale

Negativ-Liste der Individualisierungsfolgen Positiv-Liste der Individualisierungsfolgen(Beispiele) (Beispiele)

• Erosion von Pflicht- und Akzeptanzwerten • Suche nach neuen Formen der • Glaubwürdigkeitskrise der »Institutionen »Vergesellschaftung«

der Sinnvermittlung« • Herausbildung von neuen Motiven für das • Zuwachs an Handlungs- und Gestaltungs- Ehrenamt

alternativen des Lebenslaufs • Entstehung neuer Formen der Selbstorganisation• Auflösung traditioneller Verwurzelung durch • Aufwertung von weniger traditionsgeleiteten

Mobilität Netzwerken• Abnehmende Verlässlichkeit sozialer • Bedeutungszuwachs haushaltsübergreifender

Bindungen Netzwerke

Quelle: Heinze/Bucksteeg (1996)* Obwohl der Begriff Sozialkapital nicht auf eine einheitlich gebrauchte

Definition noch auf einen konsensusfähigen Entwurf verweist, lässt sich in den

konkurrierenden Konzepten eine gemeinsam geteilte Plattform ausmachen.

»Sozialkapital wird allgemein als eine Ressource verstanden, die sich aus den so-

zialen Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren ergibt. Je enger und ver-

bindlicher das Netzwerk von gegenseitigen Beziehungen geknüpft ist, um so

größer ist die Menge des Kapitals, das der Einzelne, die Gruppe oder auch die ge-

samte Gesellschaft nutzen kann… Die entscheidende Gemeinsamkeit der ver-

schiedenen Ansätze besteht darin,dass sie einen ‘Utilitarismus des Alltags’unter-

stellen« (Dörner/Vogt 1999, S.22 f.); vgl.auch Immerfall (1999).

60 Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

O< Wenn Sie über Wohlfahrtsverbände in Ostdeutsch-land sprechen und Sie lassen die größte ostdeutscheOrganisation raus, dann ist das schief.

Liebig: Ich habe gesagt, dass es vor allem die Organisa-tionen betrifft,die nach dem westdeutschen Muster auf-gebaut worden sind.Und die Volkssolidarität ist ja etwas,was schon existent war vor diesem Prozess.Und wenn ichmir eine Untersuchung zum DPWV in Berlin von Kramerund Wagner von ‘93 anschaue, dann haben die ganz an-dere Zahlen.Aber diese Zahlen haben sie tatsächlich nur,weil sie die Volkssolidarität als eine Organisation mit ein-gerechnet haben, was auch nicht ganz sauber ist. In derVolkssolidarität ist das ehrenamtliche Engagement we-sentlich höher als in allen anderen Einrichtungen, dieebenfalls berücksichtigt worden sind. Und insofern ver-schönen diese Zahlen die Statistik.

O< Auf dem Gebiet reagieren wahrscheinlich Ostdeut-sche etwas zickig, weil in der jüngsten Diskussion zu denRentenfragen die Volkssolidarität als der größte Verbandnicht geladen war. Und deswegen sollte man das viel-leicht doch sprachlich etwas anders darstellen. Ich glau-be, da gibt es jedes Mal die gleichen Einwürfe und dasmüsste eigentlich im Jahre 10 bei so einem sensiblenThema nicht mehr sein.

Liebig: Es war nicht meine Absicht,über Ostdeutschland,sondern von Deutschland insgesamt zu reden.

O> Es entsteht insgesamt ein falsches Bild zum Ehren-amt.

O> Der Kollege,der hier referiert hat,hat ganz eindeu-tig nicht Ost gegen West gestellt, sondern er hat die tra-ditionellen großen Träger in der Bundesrepublik ange-führt,die in ihrem Selbstverständnis sagen,wir leben da-von, dass wir alle unsere Mitglieder zu ehrenamtlicherMitarbeit heranziehen können.Das hat er hier überprüft.Es wäre eine ganz andere Diskussion, Ost gegen West zudiskutieren, das haben Sie nicht getan. Ich möchte nocheinmal auf etwas anderes eingehen. Sie haben gesagt,die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, diestimmen überein mit den Zielen und der Identität derOrganisationen,in denen sie tätig werden.Gilt das z.B.fürdie Kirche noch? Ist es nicht so, dass sich auch in kirchli-cher Jugendarbeit sehr viele jugendliche Mitarbeiter en-gagieren, die sagen, ich habe ein eher gebrochenesVerhältnis zur Kirche, aber diese Jugendgruppe hier, diemache ich mit. Die Identifikation mit ihrer OrganisationKirche – erst recht bei der Diakonie ist sie sehr hoch – istdiese Aussage,die Ehrenamtlichen identifizieren sich mitihrem Träger, nicht eher kritisch zu betrachten?

Liebig: Das war von mir als einleitende Bemerkung, alsHinführung zu meiner eigentlichen Fragestellung ge-dacht. Und ich möchte es auch relativieren in der Form,wie Sie es getan haben.

O> Ich habe eine Frage zur Begriffsbestimmung. Siesagten, es gibt bei den Einstellungen zum einen die hu-manitäre Einstellung und zum anderen die humanisti-sche Einstellung, die zur ehrenamtlichen Betätigungführt. Die humanitäre Einstellung ist eigentlich durch-

gängig bei allen Ehrenamtlichen da. Dann stellt sich fürmich die Frage, ist das eine Abgrenzung z.B. von Selbst-hilfegruppen, die ja dem Worte nach schon dazu dienen,sich selber glücklich zu machen und eben nicht andere.Wäre dann die Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe etwasanderes als Ehrenamtlichkeit nach dieser Definition?

Liebig: Jetzt gibt es wohl doch wieder ein Definitions-problem. Ich denke, auch in einer Selbsthilfegruppe fin-det so genannte ehrenamtliche Arbeit statt. Eine Selbst-hilfegruppe,auch eine,die keine Hauptamtlichen beher-bergt in ihren Reihen, ist darauf angewiesen, dass Men-schen sich für andere Menschen einsetzen. Dazu gehörtder ganze Verwaltungskram, der mit einer Selbsthilfe-gruppe zu tun hat. Auch da sind Menschen für andereMenschen tätig, auch wenn das andere Motiv, für sichselbst etwas zu tun, wesentlich größer erscheint.

O> Für mich selber kann ich es klären,wo fängt Ehren-amtlichkeit an, wo hört sie auf. Ich arbeite ja auch nichtfür die Gesellschaft, auch wenn das, was ich mache, viel-leicht irgendwie gesellschaftlich notwendig ist. Ich den-ke mir,wenn ich in einer Selbsthilfeorganisation,z.B.in ei-ner Elterninitiative, in einer Kinderladengruppe, mitar-beite, dann arbeite ich zu allererst da mit, weil ich fürmein Kind eine andere Unterbringungsmöglichkeit su-che.Und dafür muss ich in dieser Organisation bestimm-te gemeinschaftliche Arbeiten übernehmen, sei es tape-zieren,reinigen.Das liegt aber in hohem Maße in meinemganz privaten Interesse. Eine humanitäre Einstellung istnicht unbedingt eine auf andere gerichtete Einstellung,nicht unbedingt Grundlage für ehrenamtliche Arbeit.

Liebig: Für mich sind das Komplexe, die nicht eindeutigzu trennen sind. Und deshalb gibt es hier auch Über-schneidungsbereiche. Und ein typischer Fall im Über-schneidungsbereich wäre ein Engagement als Mitgliedeiner so genannten außenorientierten Selbsthilfegrup-pe, also einer Selbsthilfegruppe, die auch einen Auftragnach außen gibt. Natürlich könnte man sagen, dieseaußenorientierte Selbsthilfegruppe ist keine Selbsthilfemehr im engeren Sinne.Man muss es aber nicht so sehen.

O> Ich habe eine Frage zum empirischen Teil.Wie hochist der Anteil der Bevölkerung,der bereit ist,ein Ehrenamtzu übernehmen? Sie haben bisher davon gesprochen,dass es zu einer Überlagerung von Einstellungen kommt.Werden es nun insgesamt mehr oder weniger? Kann mandavon ausgehen, dass eine größere Zahl von Menschenbereit ist, so ein projektbezogenes hedonistisch moti-viertes Ehrenamt anzunehmen, so dass wir von einemvergrößerten Anteil der Bevölkerung in diesem Bereichreden können?

Liebig: Ich sagte bereits,dass sich diese Äußerungen ei-gentlich gar nicht beweisen lassen, weil es auch anZahlen mangelt. Ich kann anhand von mehreren Zahlenverdeutlichen, dass die Frage, unter welchen Bedingun-gen sich welche Menschen ehrenamtlich betätigen wol-len,kaum gestellt wird.Von daher kann man sie nicht be-antworten. Die Frage, wie viele Menschen sich ehren-amtlich engagieren,findet sich in vielen Untersuchungenwieder. Die Zahlen fallen ganz unterschiedlich aus. Dashat was mit den unterschiedlichen methodischen Anla-

gen dieser Untersuchungen zu tun und damit, dass esschwierig ist, Ehrenamt überhaupt zu definieren. Die ei-nen definieren es so, die anderen definieren es anders.Insofern haben die einen ein eingeschränktes Verständ-nis, die anderen ein eher weites Verständnis. Das sindmögliche Ursachen für die großen Differenzen.

Vorredner: Ich finde es nicht richtig zu sagen, die Moti-vation beim Ehrenamtlichen verlagert sich in Richtungauf eigene Ziele, auf Eigennutz. Sollte man nicht stattdessen besser sagen, sie verlagert sich von Ehrenamt-lichkeit auf Selbsthilfe?

Liebig: Selbsthilfe ist für mich ein Pol und das traditio-nelle Ehrenamt ist der andere Pol. Es gibt breite Über-schneidungsbereiche. Und ich kann aufgrund der empi-rischen Datenlage nur einen Trend ausmachen. Der gehteben vom traditionellen Ehrenamt weg hin zur Selbst-hilfe.Aber das Spektrum ist unheimlich breit und es wirdauch noch breiter. Es ist tatsächlich so, dass die altenFormen noch existieren, dass aber immer mehr neue da-zukommen. Insofern wird es auch immer schwieriger,Selbsthilfe und Ehrenamt voneinander zu trennen. Ichglaube aber, dass die traditionellen Organisationen sichviele Aspekte dieser Selbsthilfebewegung zu eigen ma-chen. Ein Aspekt ist, dass in Selbsthilfegruppen die Hie-rarchien recht flach sind, weil kaum Hauptamtliche dasind, weil die Strukturen über der Gruppe oder Initiativerecht dünn gesät sind. Insofern ist diese Form der Akti-vierung nichts für den Wohlfahrtsverband, wo Aufgabenauch von oben nach unten delegiert werden.Und genaudiese nicht-hierarchischen, loseren Strukturen sind mitt-lerweile auch Zielperspektive für die Wohlfahrtsverbän-de, die auch versuchen, flache Hierarchien einzuführen,gerade um den Ehrenamtlichen mit den neuen Motiva-tionen Möglichkeiten zu geben, sich dort zu verwirkli-chen.Also Selbsthilfe sozusagen als Idealbild,dem das al-te Ehrenamt nahe kommt.

O< Ich bin hier als Ehrenamtliche. Das ist alles theore-tisch ja ganz interessant. Aber wenn ich was tue, dannmöchte ich eigentlich nicht über meine Einstellung dis-kutieren, sondern über das, was ich tun kann. Ich wolltedamit sagen, Partizipation ist für mich eine gemein-schaftsorientierte Arbeit, die für mich, aber auch für an-dere ist. Denn wenn ich partizipiere, bringe ich ein Sozi-algefüge in Schwung, das Rückwirkungen hat auf sozia-le Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft. Wenn jetzthier mehrere Ehrenamtliche wären, ich glaube, die wür-den sich wehren gegen diese Diskussion der Definition.Ich tue etwas ohne Geld – aber warum ich das tue, istmanchmal vielleicht auch ganz gut zu wissen. Dass manreflektiert, dass es nicht nur altruistisch ist, was ja diemeisten Ehrenamtlichen so sehen – ich tue was Gutes.Aber sie vergessen immer, dass sie sehr viele eigennützi-ge Gründe dahinter haben, die sie selber gar nicht sowahrnehmen.Wenn man mal mit denen spricht,dann sa-gen sie,sie wollen was für andere tun,und im Grunde ge-nommen weiß man, sie wollen Kontakte haben, sie wol-len ihre Isolation überwinden. Das steht hauptsächlichdahinter. Deswegen denke ich, sollten wir nicht zu langedarüber diskutieren,ob das jetzt Ehrenamt ist oder nicht.

O< In dieser Diskussion Ehrenamt-Hauptamt habe ich

61Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

mich in manchen Dingen wiedergefunden.Trotzdem er-scheint mir die Diskussion auf dieser Ebene oder dieVorträge manchmal auch widersinnig. Man kommt niean das, was eigentlich schwierig ist. Diese Arbeit, die wirals Ehrenamtliche machen, wird ja von allen möglichenInstitutionen genutzt,und ich frage mich,wo nehmen wirdenn durch unsere Arbeit den Hauptamtlichen die Arbeitweg? Und da sitze ich dann auf so einer Tagung, aber esgeht nie darum, dass wir im Alltag auch Ängste habenoder uns auch gegenseitig blockieren,weil ja jeder denkt,ich brauche keinen Arbeitsplatz, ich komme wieder underledige das einfach. Es kommt so langsam wieder dasGefühl in mir hoch, dass wir hier ganz viel Zeit mit theo-retischen Abhandlungen verbrauchen, die ich ja auchsehr interessant finde, das bringt vielleicht auch etwas,damit man argumentieren kann.Aber ich denke, eigent-lich ist was anderes notwendig.

O> Wer aus einer hedonistischen Motivation heraus,aus Spaß und Lust, ehrenamtliche Tätigkeit betreibt,braucht eigentlich keine Aufwertung. Ist das dann mehrwert,wenn es bezahlt wird oder eine Anerkennung kriegtvom Bürgermeister oder so? Ist hedonistische Motivationnicht stark genug zu sagen,ich tue es für mich und tue essolange,wie es mir Spaß macht.Wenn ich das Gefühl ha-be, es bringt mir nichts, dann tue ich es nicht mehr.Braucht man bei hedonistischer Motivation noch eine ge-sellschaftliche Aufwertung? Das ist die Frage an Sie.Ehrenamt und Partizipation wurde vorhin angesprochen.Der Kollege heute Vormittag hat gesagt, wir müssen da-hin kommen, dass die Ehrenamtlichen in ihren Einrich-tungen mitreden, mitentscheiden können, dass sie alsozur Partizipation Gelegenheit bekommen.Wenn ich dasjetzt aber höre, frage ich mich, wollen das die Ehrenamt-lichen überhaupt, für die ganze Institution – Diakoni-sches Werk oder Sportverein – insgesamt Verantwortungtragen, mitreden und mitentscheiden? Gerade wennman von den zunehmend hedonistischen Motivationenausgeht,ist es dann nicht so,dass die Leute sagen,ich ma-che hier die Gruppe, die macht mir Spaß, die mache ichsolange sie mir Spaß macht. Was den Verein insgesamtbetrifft, mich dafür einzusetzen, habe ich keine Zeit. Unddas zeigt doch eigentlich auch, wie es in vielen Einrich-tungen zugeht. Man bittet immer noch die Mitarbeiter,nun kommt doch zur Mitarbeiterbesprechung und nehmtdoch teil an den Leitungszirkeln.Und die sagen,nein,dasnicht auch noch, ich will hier nur meine Gruppe, meineAufgabe übernehmen. Das betrifft den Zusammenhangzwischen Ehrenamt und Partizipation.Gibt es da nicht ei-nen Graben, je stärker die hedonistische Motivationwächst? Und ist es nicht eine Überforderung, wenn manden Leuten, die Lust haben, eine bestimmte begrenzteAufgabe für eine begrenzte Zeit zu machen, sagt, jetztmüsst ihr auch noch Verantwortung übernehmen für diesozial-kulturelle Einrichtung oder für das DiakonischeWerk. Zwei Fragen. Die eine ist, braucht man, wenn manaus hedonistischen Motiven ehrenamtlich arbeitet,überhaupt noch eine Aufwertung? Und die andere ist,überfordern wir die hedonistischen Ehrenamtlichennicht, wenn wir sagen, nun dürft ihr, nun sollt ihr auch bitte gefälligst in die Leitungszirkel kommen?

Liebig: Diese Frage deutet auf die für mich ganz not-wendige Unterscheidung zwischen dem so genannten

sozialen Ehrenamt und dem politischen Ehrenamt. So-bald ich einen Vorstandsposten übernehme, unterschei-det sich meine Arbeit als Ehrenamtlicher natürlich vondenjenigen,die im so genannten sozialen Ehrenamt tätigsind. Und sobald ich ein politisches Ehrenamt überneh-me,bin ich eingebunden in vorgegebene Strukturen,vielmehr als es vorher der Fall war. Das heißt, ich muss jetztviel mehr Verlässlichkeit zeigen, muss viel mehr Verant-wortung tragen.

Zwischenfrage: Auch bei sozialen Ehrenämtern?

Liebig: In gewissem Grade ja. Aber ich denke, dass poli-tisches Ehrenamt noch viel stärker diesen Erwartungenausgesetzt ist.

O< Aber es gibt doch kleine Vereine im sozialen Be-reich, wo die Vorstände das gleiche machen müssen, dasbetrifft doch nicht nur die politischen Vorstände.

Liebig: Das meinte ich ja auch mit politischem Ehren-amt.Es geht vor allen Dingen um diejenigen, die sich umVerwaltungsaufgaben, Führungsaufgaben in Vereinenkümmern. So definiere ich das einfach mal. Deshalb ha-ben Sportvereine auch zunehmend Schwierigkeiten,Leute zu finden,die sich in die Führung eines Vereins ein-binden lassen.

O> Das hat doch die Konsequenz, dass wir die Leuteauch nicht überfordern dürfen. Frage: Ist das die Konse-quenz?

Liebig: Das wäre eine der Fragen, die ich auch gernekonkret beantwortet haben möchte.

O< Zur Anerkennung habe ich eine Frage.Es geht nichtum meine persönliche Anerkennung. Ich habe Lust ander Arbeit,sonst würde ich das nicht machen.Aber ich ha-be erlebt, dass in der Zeit, als ich erwerbstätig war in dergleichen Arbeit,in dem gleichen Verein,in der Öffentlich-keit meine Arbeit mehr anerkannt war, obwohl ich diegleiche Arbeit als Ehrenamtliche mache. Und das stelleich infrage.

O< Das ist der Machtfaktor. Das ist ein ganz entschei-dender Punkt.Sie haben Macht,wenn Sie Geld dafür krie-

gen, dann sind Sie angesehen. Es geht nicht um IhrePerson oder um die Arbeit, die Sie machen in der Öffent-lichkeit. Anerkennung kriegen Sie, wenn Sie dafür be-zahlt werden. Und das ist auch der Grund, warum wirFrauen immer missbraucht werden für diese Sachen, diekeine Macht haben. Männer lassen sich nur dahin wäh-len, wo sie Machteinflüsse haben. Und deswegen sitzenwir immer an diesem Punkt und kämpfen wie die Ver-rückten, aber unsere Arbeit bewirkt nichts, im Kleinenschon, aber nicht gesellschaftlich.

Liebig: Was ich versucht habe,als Input reinzugeben, istja erst mal losgelöst von praktischen Gegebenheiten,vonorganisatorischen Dingen, auch losgelöst von der sozial-kulturellen Arbeit. Was jetzt im zweiten Teil meinesErachtens passieren muss, ist, das Ganze zu übertragenauf die in der Praxis vorfindbaren Realitäten. Mein Vor-schlag wäre, dass Sie sich in kleinen Gruppen zusam-mentun und den Abgleich durchführen zwischen dem,

was ich eher auf einem theoretisch-analytischenHintergrund versucht habe deutlich zu machen, und derPraxis. Die Aufgabenstellung wäre einerseits, dass Siediesen Abgleich,diese Übertragung versuchen,und dannim zweiten Schritt überlegen, was muss ich in den orga-nisatorischen Strukturen, Konzepten und Programmenändern, damit diese Ehrenamtlichen, von denen ich ge-redet habe, besser integriert werden können.

Nach der Kleingruppenarbeit:

Liebig: Es gibt zwei Fragen, die mir vorliegen. Erste Fra-ge: Ist es legitim, Aktivitäten der Bürger zu fördern undgleichzeitig Verantwortung und Pflichten einzufordern?Die zweite Frage: Welche Rahmenbedingungen müssenin den Einrichtungen gegeben sein, damit die Zusam-menarbeit zwischen Hauptamt und unterschiedlich en-gagierten Ehrenamtlichen gelingen kann? Ein Symbolhabe ich,eine Blume,umgeben von einem Schuh und ei-ner Gießkanne.Wer gibt die Erklärung?

O< Das ist das zarte Pflänzchen der Eigeninitiative vonBürgern. Mit der Gießkanne wird versucht, sie auch zugießen.Der Schuh ist der Schuh der Verwaltung oder desStaates, der manchmal dieses Pflänzchen niedertram-pelt.

62 Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

Eva-Maria Antz: Dieser Workshop zeichnet sich dadurchaus, dass hier ein großer Teil der Einrichtungen sitzt, diebei dem Projekt ProBE mitmachen und einige Neugieri-ge, die z.T. gar nichts darüber wissen oder nur Schlag-worte dazu gehört haben. Das macht den Reiz dieserGruppe aus, das macht vielleicht auch ein bisschen dieSchwierigkeit aus. Es ist nämlich so, dass die Einrichtun-gen, die mitmachen, sich in der Zusammensetzung auchnoch nicht alle gesehen haben, und von daher ist das eine Chance,die Gesichter zu den Namen der Einrichtun-gen zu sehen, die Leute kennen zu lernen und in einenAustausch miteinander zu kommen.Wir sollten eine kur-ze Vorstellungsrunde machen,damit Sie wissen,wer hierist. Dann sage ich ein paar Stichpunkte dazu, wie dasProjekt entstanden ist,was es will,wie die Hauptlinie ist,und daran schließen wir dann eine ausführlichere Vor-stellung der Einrichtungen an, die daran beteiligt sind.Und es soll um die Frage gehen, was ist eigentlich derWert von Ehrenamt und wann wird Ehrenamt oder bür-gerschaftliches Engagement auch missbraucht.

Vorstellungsrunde:O< Ich bin zu der Tagung gekommen, weil unser Pro-jekt sich auch soziales Stadtteilmanagement nennt.

O> Ich arbeite im Bereich Stadtteil- und Gemeinwe-senarbeit im Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Berlin-Kreuzberg.Wir sind im ProBE-Projekt mit dabei;die Moti-vation war, die jahrzehntelange Arbeit, die es im Bereichmit Freiwilligen auch im Haus gibt,zu beleuchten und zugucken, was hat sich verändert, und wie können wir zu-künftig die Qualität in der Arbeit verbessern.

O> Ich bin Mitarbeiter im Projekt »Initiativenverbundfür Bürgerarbeit« und war bis vor kurzem auch Mitar-beiter in einem Nachbarschaftshaus. An diesem Initiati-venverbund für Bürgerarbeit beteiligen sich fünf Einrich-tungen in Berlin,unter anderen auch das Nachbarschafts-haus Urbanstraße.Für jede dieser fünf Einrichtungen gibtes eine Unterstützerstelle und ich bin sozusagen dieUnterstützerstelle für das Nachbarschaftshaus.Der Bezugzu ProBe besteht darin,dass wir von unserem Projekt ausauch Fragestellungen haben zum bürgerschaftlichenEngagement und dass wir da zusammenarbeiten.

O< Ich arbeite in dem gleichen Forschungsprojekt, binin der Freiwilligenagentur »Treffpunkt Hilfsbereitschaft«angesiedelt und ich arbeite außerdem als Journalistin ineiner europäischen Presseagentur.

O< Ich arbeite im Nachbarschaftshaus am Berl inBerlin-Hohenschönhausen. Uns gibt es als Verein seit1991, seit einem Jahr haben wir dieses Nachbarschafts-haus.Wir machen ProBE eigentlich aus zwei Gründen mit.

Wir wollen für das Haus nach einem Jahr prüfen,wie weitwir sind, wie gehen wir selber mit Ehrenamt um, was fürFormen von gesellschaftlichem Engagement finden wirbei uns. Was mich auch sehr motiviert hat, waren dieseUnterschiede bei den Einrichtungen und die Tatsache,dass unsere Erfahrungen zum bürgerschaftlichen Enga-gement in den neuen Bundesländern sich stark unter-scheiden von dem, was man in einigen Untersuchungendarüber liest.Das wollen wir gerne einbringen.

O< Ich komme aus dem Nachbarschaftshaus Bremen.Unser Haus ist in den fünfziger Jahren entstanden,ich ar-beite da schon eine ganze Weile und mir ist der Zugangzu diesem Projekt auch deswegen sehr wichtig, weil ichgemerkt habe, dass bestimmte Haltungen in der Fragedes Verhältnisses zwischen Ehrenamtlichen und Haupt-amtlichen überprüft werden müssen und dass das einanderes Profil ergeben muss – was erwarten wir, waskönnen wir erwarten, wann sind Bürger bereit, ehren-amtlich einzusteigen in bestimmte Tätigkeiten und wiegehen wir damit um.

O< Ich bin seit zweieinhalb Monaten als Nachbar-schaftshelferin in der Rollberg-Siedlung in Berlin-Neu-kölln tätig und arbeite eng mit dem Quartiersbüro Pro-Rollberge zusammen. Und da das eine ganz neue Stelleist und ich aus einem ganz anderen Beruf komme, zwarauch soziale Schiene, aber mehr aus dem medizinischenBereich, hoffe ich, mir auf dieser Tagung einige Tipps ho-len zu können.

O< Ich komme aus Wiesbaden und arbeite dort imNachbarschaftshaus als Leiterin der Kindertagesstätte.Die Motivation für das Projekt ProBE war, dass wir amAnfang gesagt haben, wir wollen ein Hauskonzept ent-wickeln und überprüfen. Und im Rahmen dessen habenwir festgestellt,dass wir sehr viele Ehrenamtliche haben,insbesondere im Seniorenbereich.In den anderen Abtei-lungen sind kaum Ehrenamtliche vertreten und darauskristallisieren sich viele Fragestellungen. Wir wollenEhrenamtliche auch in anderen Bereichen haben. Wiesollte das vernetzt werden? Soll Ehrenamt eine be-stimmte Position im Konzept erhalten, soll es da festge-schrieben werden und ähnliches?

O> Ich komme aus Potsdam, Bürgerhaus am Schlaatz,eine Einrichtung in der drittgrößten Plattenbausiedlungin Potsdam. Ich bin dort Mitarbeiter für Gemeinwesen-arbeit und gehöre zu dem Kreis der Neugierigen hier.

O> Ich arbeite in der Geschäftsführung der Volkssoli-darität Spree-Neiße e.V.und im Mitgliederverband spieltinsbesondere im Seniorenbereich ehrenamtliches Enga-gement eine ganz große Rolle.

O> Ich komme aus Wien,leite ein Nachbarschaftszent-rum.Bei uns ist es üblich,mit Ehrenamtlichen zu arbeiten.Den Verein gibt es seit 50 Jahren, er ist aus einer ehren-amtlichen Struktur heraus aufgebaut worden und des-halb haben wir auch bis heute sehr gute ehrenamtlicheStrukturen.Was bei uns mangelt ist,junge Ehrenamtlichezu finden, dazu haben wir jetzt ein eigenes Projekt ent-wickelt. Es heißt »Help and fun«, wo man jungen Leutenauch was anbietet, was sie bei uns nutzen können anInfrastruktur und Einrichtungen und Ausflügen, aberdafür auch einen Deal mit ihnen macht,dass sie kurzfris-tig mitmachen bei Projekten und dann wieder ausstei-gen können.

O> Ich komme vom Paritätischen Wohlfahrtsverbandin Heidelberg. Wir haben in der Geschäftsstelle denSchwerpunkt in der Förderung von bürgerschaftlichemEngagement. So bin ich u.a. für die Freiwilligenbörse inHeidelberg verantwortlich. Wir haben aber auch eineganze Reihe von anderen Anlaufstellen für bürgerschaft-liches Engagement, von der Selbsthilfekontaktstelle biszu Anlaufstellen für Menschen im dritten Lebensab-schnitt, das ist ein Hauptschwerpunkt der ParitätischenGeschäftsstelle in Heidelberg.

O< Ich gehöre zum Theater der Erfahrungen,das ist einProjekt von, für und mit Senioren.Das Theater der Erfah-rungen gehört zum Nachbarschaftsheim Schöneberg.Mein Motiv, hierher zu kommen, war eigentlich dieUnterzeile im Titel des Workshops zum Selbstverständnisvon sozial-kulturellen Einrichtungen und da habe ich dieFrage, was ist mit den kulturellen Anteilen in sozial-kul-turellen Einrichtungen? Ich habe die Befürchtung, dassder ein bisschen wegsackt in den letzten Jahren.

O< Ich arbeite im Nachbarschaftsheim Mittelhof inBerlin und da in der Selbsthilfekontaktstelle.Wir nehmenteil an ProBE. Im Nachbarschaftsheim Mittelhof gibt esschon immer ehrenamtliche Beteiligung verschiedensterArt, im Laufe der Zeit mit wechselnden Schwerpunkten.Wir haben seit 1. Januar 1999 auch wieder den Auftrag,bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Das ist einArbeitsauftrag, eine Förderungsauflage für die zukünfti-gen Stadtteilzentren. Das war für uns Auslöser zu sagen,wir wollen gerne für diesen Arbeitsbereich, für diesenArbeitsschwerpunkt »Förderung von bürgerschaftlichemEngagement« ein handhabbares Konzept entwickeln.Und wir haben die Chance ergriffen, mit diesem Projektwieder in die Diskussion zu kommen.

O< Ich bin aus dem Nachbarschaftshaus Wiesbadenund zuständig für den Bereich der Älteren ab 55. Und daich da seit 17 Jahren in der Hauptsache mit ehrenamtlichoder freiwillig engagierten oder bürgerschaftlich enga-

Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement:Zum Selbstverständnis sozial-kultureller EinrichtungenZwischenbilanz des Projektes ProBE – ein Projekt zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagments in sozial-kulturellenEinrichtungen

mit Eva-Maria Antz, Köln

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gierten Personen arbeite,habe ich mir gedacht, ich über-prüfe die ganze Konzeption mal daraufhin, ob die Arbeitqualitätsmäßig in Ordnung ist oder ob man da nicht nocheiniges verbessern kann. Ich habe mich zu dem Projektentschieden, um die Qualität der Arbeit, die Zusammen-arbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen im Haus zuverbessern.

O> Ich komme aus Hamburg-Ottensen,aus dem Stadt-teilzentrum Motte e.V. Wir haben elf Werkstattprojekteim Haus,wo bis zu 150 Menschen ehrenamtlich arbeiten.Daneben haben wir 14 Hauptamtliche mit den entspre-chenden hauptamtlichen Bereichen. Unser Verein, jetzt24 Jahre alt, ist ehrenamtlich selbstverwaltet entstan-den.Und diese ganze Entwicklung über zwei Jahrzehntehinweg hat praktisch die Selbstverwaltung ad acta ge-legt, was die Anforderungen an die Ehrenamtlichen be-trifft.Es sind z.T.immer noch Leute da,die von Anfang anda sind, wie ich auch, auch im ehrenamtlichen Bereich.Und wir machen mit ProBE zusammen einen exemplari-schen Versuch,die Holzwerkstatt mit den alten Holzwür-mern, die da noch rumkriechen, wieder zu beleben undmit uns Hauptamtlichen und mit ihnen zusammen Wegezu erarbeiten, wie man neue Menschen mit neuenKonzepten ins Haus bekommt.Es ist nicht so,dass da nunkeiner kommt, aber wir überprüfen damit auch die altenWerkstattstrukturen, die alten ehrenamtlichen undSelbstverwaltungsstrukturen.Das wird auch von der Be-hörde verlangt und es zeigt ja auch die Zeit, dass dasnachgefragt wird. Deswegen entstehen ja solche Pro-jekte.

O> Ich bin mit Sicherheit Neuling und kann nicht überdiese vielfältigen Erfahrungen berichten, wie Sie sie ha-ben. Ich bin Geschäftsführer des Instituts für sozial-wis-senschaftliche Analysen und Beratungen in Köln, kurz ISAB-Institut, und bin hier einfach dazugekommen, umein bisschen zuzuhören.Drei Aspekte würden mich vor al-lem interessieren:Zum einen,wie sieht das aus,wenn so-zial-kulturelle Einrichtungen bürgerschaftliches Engage-ment fördern,wie kann man sich das konkret vorstellen?Das zweite ist, wie Mitarbeiter in diesen EinrichtungenEngagement fördern – sehen sie einen Änderungsbedarfin ihrer Arbeitskonzeption,soll da irgendetwas geändertoder verbessert werden zur Förderung von Engagement?Und das Ganze interessiert mich vor dem Hintergrund,mir darüber klar zu werden, wie sich Ihre Förderung vonbürgerschaftlichem Engagement unterscheidet z.B. vondem,was Freiwilligenagenturen oder Selbsthilfekontakt-stellen oder Seniorenbüros machen. Die sagen auch, siefördern bürgerschaftliches Engagement. Was ist da derUnterschied?

O< Ich bin Projektleiterin für Familienbildung im Nach-barschaftshaus »Donizetti« in Mahlsdorf, Berlin-Hellers-dorf. Ich gehöre auch zur Gruppe der Neugierigen, ichmöchte mich informieren, was sich hinter ProBE genauverbirgt, weil wir uns in unserem Haus den Schwerpunktgesetzt haben, bürgerschaftliches Engagement in Zu-kunft stärker zu fördern und ich erhoffe mir Anregungenfür die Arbeit in dieser Hinsicht.

O< Ich arbeite in einem Projekt in Köln-Chorweiler.Dasist ein Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf, da

stehen viele Hochhäuser und wir sitzen mit unseremProjekt quasi mittendrin in einem Hochhaus.Wir habenzwei Schwerpunkte, das ist einmal das Beschäftigungs-projekt, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt,und das zweite ist, vor Ort mit den Bewohnern neueAnsätze, neue Nachbarschaftshilfe zu initiieren. Das warauch der Grund, warum wir bei ProBE mitmachen, weilwir gesagt haben, wir möchten gerne evaluieren, was istüberhaupt da, also gibt es vielleicht sogar irgendwelcheLeute, die sich schon engagieren, wovon wir aber nichtsmitbekommen. Es ist ein multikulturelles Hochhaus, wirhaben fast 90% Ausländeranteil, und wie ist das Ver-ständnis von den einzelnen Kulturen zu diesem Thema,können wir die Leute motivieren?

Birgit Weber: Ich leite dieses Projekt und bin Geschäfts-führerin vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Bun-desverband, Köln.

Eva-Maria Antz: Ich bin ebenfalls in der Projektleitungund möchte erst mal ein paar Sachen zum Projekt allge-mein sagen. Es läuft jetzt seit einem Jahr und ist ent-standen in der Zeit,als die Debatte um bürgerschaftlichesEngagement sehr aktuell war,mit großer Beteiligung vonVerbänden, die sagen: Ehrenamt ändert sich, die Leutesind nicht mehr da, es ändern sich Strukturen, es ändernsich Motivationen. Von der wissenschaftlichen Seite herwurde das intensiv beleuchtet und versucht, es differen-ziert zu erfassen. Es gibt von der Politik, von der Wirt-schaft,eigentlich von allen Seiten diese Diskussion,die zuso einem Thema führt, aber auch natürlich ganz klar zuder Frage:Was heißt die konkrete Arbeit mit Bürgern undBürgerinnen und was heißt es, Bürger und Bürgerinnenzu aktivieren? Die Motivation für den Verband war, ge-nauer hinzugucken,was das in sozial-kulturellen Einrich-tungen heißt. Und wir haben damals schon angenom-men, dass die Palette der Einrichtungen sehr breit ist.Diese Vorstellungsrunde hat schon ein bisschen davongezeigt, wie wenig vergleichbar zum Teil Einrichtungensind,wie bunt Hintergründe sind,wie unterschiedlich dieStrukturen sind,wie unterschiedlich auch die Ausrichtun-gen dieser Einrichtungen sind.Und damit diese Differen-ziertheit der Einrichtungen nicht verloren geht, sondernfassbarer wird, entstand dieses Projekt. Es entstand alsein sehr praxisorientiertes Projekt,wo mit Einrichtungender Frage nachgegangen wird: was sind in unserer Ein-richtung fördernde Bedingungen für bürgerschaftlichesEngagement? D.h., die Einrichtungen sind nicht nur be-teiligt als Befragte, sondern gehen selber diesen Fragenin ihrem Kontext nach und sind aufgefordert, sich anzu-schauen, was für sie fördernde Bedingungen sind, wasdazu gehört,um als Einrichtung Bürger und Bürgerinnenzu aktivieren und mit Ehrenamtlichen zu arbeiten. DerAufbau des Projektes ist so vonstatten gegangen, dasswir erst mal zehn Einrichtungen besucht haben, die sichzurzeit daran beteiligen.Wir suchen aber auch noch neueEinrichtungen für die nächste Zeit, für einen kürzerenProjektrahmen.Wir haben für die Einrichtungen Materialentwickelt,mit dessen Hilfe sie sich in ihrer Arbeit auf denWeg machen können.In den Vorstellungen ist schon verschiedentlich ange-klungen,dass es zunächst einmal zu überprüfen gilt,wasist bei uns da,was ist mit unserem Auftrag,welche Struk-turen haben wir uns gegeben,wie sieht unser Alltag aus,

wie können wir diese Dinge,die oft so selbstverständlichim Arbeitsalltag untergehen, in Angriff nehmen?Diese Phase,dass jede Einrichtung für sich geklärt hat,un-ter welchem Blickwinkel,unter welcher Fragestellung sieihre Arbeit anschaut und dazu eine Bestandsaufnahmemacht, hat eigentlich erst begonnen. Im zweiten Schrittwird dann ihre Position neu bestimmt: das sind diePunkte, an denen wir uns verändern können, an denenwir was verändern wollen oder auch an denen wir be-wusst den Weg so beibehalten, wie er ist. Es muss nichtunbedingt immer darum gehen, alles umzustellen, son-dern zu gucken,was ist gut und wo gibt es einen Verände-rungsbedarf. Diese Phase wird wahrscheinlich bis April/Mai 2000 dauern. Dann werden wir von der Projektlei-tung aus die Ergebnisse, die Bestandsaufnahme undPositionsbestimmung zusammenfassen und daraus einHandbuch erarbeiten. So können die Erfahrungen, diehier gemacht werden, auch anderen zur Verfügung ge-stellt werden und deutlich machen, wie solche Prozesselaufen können. Das heißt jetzt nicht, dass über jede Ein-richtung eine eigene Broschüre erscheint, sondern dassdie grundlegenden Dinge darin sichtbar werden und dassdie Vorgehensweise und die Erarbeitung der eigenenPosition für andere nachvollziehbar und nutzbar wird.Soweit zu dieser Grundidee.Ich möchte jetzt die Anwesenden bitten,etwas aus ihrembisherigen Weg zu erzählen.Das Projekt besteht jetzt ge-nau ein Jahr und das ist für alle Einrichtungen ein gewis-ser Zeitraum, in dem neue Erfahrungen gemacht undvielleicht auch schon verarbeitet werden konnten. Ichmöchte die beteiligten Einrichtungen bitten, zumindesteinen kleinen Spot zu zeigen,in dem sie eine Sache schil-dern, die eher eine Bremse in ihrer Arbeit ist und einBeispiel für ein besonderes Highlight.Das kann entwedereine Entwicklung oder eine Erkenntnis sein,etwas,was indieser Zeit schon sichtbar geworden ist, was ihr als posi-tive Überraschungen ansehen würdet.

O< Unser Projekt ist ein bisschen später eingestiegenals die anderen, wir gehören zu dem äußeren Kreis. Esgibt einen inneren und einen äußeren Kreis. Vielleichtwillst du noch was dazu sagen.

Antz: Wir haben den Einrichtungen den Grad der Betei-ligung selbst überlassen, d.h. dass jede Einrichtung denZeitraum bestimmten kann, ob sie z.B.zwei Monate dar-an arbeitet oder ein halbes Jahr.Wir haben mit einem Teilder Einrichtungen vereinbart, dass wir dort noch einmalWorkshops machen mit Hauptamtlichen und Ehrenamt-lichen oder mit wem auch immer das gewünscht ist.Dasswir also den Prozess mit einem Workshop unterstützen.Während andere gesagt haben,das sprengt unseren Rah-men, wir machen das als interne Geschichte; das hat dieBezeichnungen »innerer Kreis«, d.h. mit Workshops, und»äußerer Kreis« ohne Workshop,gebracht.Aber inhaltlichist kein Unterschied da.

Vorrednerin: Also, wir sind etwas später eingestiegenund deswegen ging das so ein bisschen hoppla-hopp,auch aufgrund der mangelnden Mitarbeiter, wir habennur zwei volle Stellen.Es standen nicht so viele Leute zurVerfügung, die sich bereit erklärt hatten, daran intensivmitzuarbeiten.Insofern hatte ich mich mit einer Kolleginaus einem anderen Gemeinwesenbüro, was auch mit

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dem Projekt zu tun hat, offiziell zusammengetan. Undwir haben uns erst mal auf den Weg gemacht, unsereSchwerpunkte zu erfassen, und haben dann aus denFragen, die auch von ProBE kamen, einen ganzen Teilrausschmeißen müssen,weil wir einfach auf keine Histo-rie zurückschauen können. Uns gibt es erst seit Oktober‘98 und wir haben angefangen in einem völlig neuenMitarbeiter-Team,es ist noch nicht so viel Greifbares vor-handen. Und ich denke, dass so eine Entwicklung immerein Prozess ist, den wir auch begleitend mit ProBE ma-chen können. Aber deswegen kann ich an diesem Punktnoch nicht allzu viel sagen.Wir haben uns einen Schwer-punkt gesetzt,auf den wir uns auch bald stürzen müssen,weil wir ja bis Ende des Jahres die Bestandsaufnahmeabgeschlossen haben sollen – und das ist der multikul-turelle Aspekt,den ich ja schon angesprochen habe.Es istganz wichtig zu gucken, was ist vor Ort vorhanden, wasversteht jeder Einzelne darunter und was gibt es bereitsfür Formen von Ehrenamt.Und da das Projekt ja nach ei-nem Jahr quasi schon wieder ausläuft, befassen wir unsjetzt mit so ganz fundamentalen Dingen wie Finanzenu.ä. Das macht das Ganze ein bisschen schwierig. DasPositive ist, dass wir auf diese Weise angefangen haben,endlich mal unsere Arbeit zu dokumentieren, also auchmit diesem zeitlichen Druck, und das nicht erst alles amEnde des Projektes machen müssen.

Antz: Die Bremse ist die Tatsache,dass dieses EU-Projektsehr jung ist, noch keine entwickelte Struktur hat undnun fast schon zu Ende ist.

Vorrednerin: Wir überlegen, wie es weitergehen kannund ob es überhaupt weitergehen kann. Und wir versu-chen, uns alle Visionen, die man sich vorstellen kann, an-zuschauen, um herauszufinden, wo man das Geld her-kriegt. Es ist finanziert durch EU-Gelder und vom LandNordrhein-Westfalen. Und das beinhaltet eine zeitlicheBegrenzung von jeweils zwei Jahren.So sind die meistendieser Projekte limitiert.

O> Und ihr als Mitarbeiter, seid ihr ABM, oder?

Vorrednerin: Ja. Im positivsten Fall sollten alle zwölfTeilnehmer unserer Maßnahme nach einem Jahr in Ar-beit sein – und wir werden dann arbeitslos. Aber wirschauen, ob wir für uns selber auch eine Arbeit schaffenkönnen. Unserer Ansicht nach ist es so, dass die Teilneh-mer am Projekt auch ganz klar Interesse zeigen, was sietun wollen,aber erst mal über die ehrenamtliche Schieneversuchen, dies als Sprungbrett zu nutzen, um sich wie-der eine eigene Arbeit zu kreieren.Was völlig legitim ist,meiner Meinung nach.

O> Bei uns in der Motte ist es so,dass wir exemplarischdie Holzwerkstatt rausgesucht haben. Stichpunkte zurEntwicklung bei uns sind eben selbstverwaltetes Zen-trum, ‘76 gegründet mit ausschließlich ehrenamtlicherBeteiligung, dann Anfang der 80er Jahre Stellen einge-worben, offene Türen bei den Behörden gefunden, toll.Wir müssen mit unserem gesamten Verein fast 3.000 qmbespielen, was dazu führt, dass auch eine Pflicht für dieEhrenamtlichen besteht, in ihren Bereichen offeneTermine anzubieten.Und sie gewährleisten diese Grund-versorgung auch. Aber es hat sich im Laufe der Zeit auch

eine Unzufriedenheit der Ehrenamtlichen entwickelt.Siewerden ihren Ansprüchen an sich selbst nicht gerecht,weil sie nichts Innovatives aus den alten Arbeitsansätzenheraus entwickeln.Dazu kommt das veränderte Freizeit-verhalten.Ottensen in Hamburg ist ein Stadtteil,der ähn-lich wie Berlin-Kreuzberg mittlerweile die Kinder derRevolution von damals frisst, also es wird ein absoluterSchickimicki-Stadtteil. Die Fabrik in Hamburg ist be-stimmt ein Begriff,die ist nur ein paar Meter von uns ent-fernt.Es sind dort ganz viele Theater, Filmindustrie, mitt-lerweile ist das Kleingewerbe verdrängt durch Werbefir-men, Computerfirmen, die normalen Leute können sichdiesen Stadtteil nicht mehr leisten. Wir können dasGebäude aber nicht auf den Rücken nehmen und weg-gehen, sondern wir müssen mit den Menschen, die hierleben, versuchen andere Konzepte zu entwickeln. Wirkriegen Probleme mit der Behörde,die uns evaluiert,zweiProjekte im Jahr müssen dargelegt werden, das ist

Bedingung der Mittelvergabe. Wir haben insofern nochSelbstverwaltung, weil wir hauptamtlich die Finanzenund alles selber machen. Diese Veränderung des Stadt-teils auf der einen Seite,und auf der anderen Seite das ge-speicherte Wissen der vielen alten Hauptamtlichen imHaus, was damals möglich war, was heute unter ihrengeänderten persönlichen Verhältnissen nicht mehr mög-lich ist, sie aber immer noch diesen alten Anspruch vorsich her tragen:bei uns ist alles am schönsten und am bes-ten und alle Leute kommen von selber in dieses Haus –diese Widersprüche sind eine riesige Bürde.Deshalb hat-te ich versucht,neue innovative Ansätze zu entwickeln.Esreicht auch nicht,anstatt einer Hobelbank einen Compu-ter hinzustellen,sondern dazu gehört noch viel mehr.Wirbegreifen auch diese Werkstatt als Mittel zum Zweck inRichtung Gemeinwesenarbeit, Arbeit mit Menschen imStadtteil zu machen. Jetzt ist es so, dass wir in Zusam-menhang mit ProBE gezwungen wurden, uns zu bewe-gen, und die Ehrenamtlichen sind unter diesem Druckauch bereit dazu. Wir haben jetzt ganz konkret einenStadtteil, der neu entsteht in Altona-Ottensen. Das gibtuns die Möglichkeit, in Wohnprojekten neu zu werben.

Und da lebt auch die alte Idee wieder auf, Dinge mitKindern und Eltern zusammen zu machen.Die Menschen,die da neu hinziehen, suchen natürlich Beschäftigungs-möglichkeiten für sich und ihre Kinder,die bewerben wirfür unser Projekt Holzwerkstatt. Das Positive daran ist,dass dieses Projekt auch bei den acht Leuten in derHolzwerkstatt angenommen wird.Sie haben auch schoneinen Entwurf für einen neuen Flyer gemacht,organisie-ren einen Tag der Offenen Tür,wo sie sich im Stadtteil beiden Menschen bekannt machen wollen. Das ist ein klei-nes Pflänzchen auf diesem Gebiet, für die Werkstatt-gruppe auch, wir hoffen aber, dass das auch Auswirkun-gen auf die anderen Werkstattprojekte hat.

Antz: Kann man sagen, dass die Bremse eher das alteVerständnis ist und positiv ist, dass jetzt auch die Ehren-amtlichen eine neue Initiative ergreifen und nicht nur dieHauptamtlichen?

Vorredner: Das sind sowieso autonome Werkstattgrup-pen. Die Hauptamtlichen haben sich sehr wenig darumgekümmert. Ich habe im Verein jahrelang Jugendarbeitgemacht und bin jetzt als Werkstattkoordinator »umge-widmet« worden, um als fester Ansprechpartner mit ih-nen zusammenzuarbeiten.Die Bremse ist,wir haben im-mer am Tag der Offenen Tür Stelzen gebaut und wir ha-ben keine Lust mehr, Stelzen zu bauen. Wir wollen wasNeues machen.Aber häufig fehlt einfach die Zeit.Und esfehlt praktisch so eine Transmission von Kontinuität.

O< Nachbarschaftshaus Wiesbaden. Das Positivemöchte ich vielleicht mal zuerst sagen, dass sich die Ab-teilungsleiter doch positiv dazu stellen, dass wir uns ge-meldet haben für dieses Projekt. Denn es ist bei uns imHaus außerordentlich schwer, mit Ehrenamtlichen zu ar-beiten, außer in meiner Abteilung, aber die Bereitschaftwar positiv. Positiv war auch, dass wir im Haus einenSchaukasten von allen Abteilungen fertig gekriegt ha-ben, wo die Arbeit in ihren Abteilungen, die mit Ehren-amtlichen läuft,dokumentiert wird und gleichzeitig fest-gestellt wird, wo suchen wir überhaupt Leute, die sich

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bürgerschaftlich engagieren und welche Möglichkeitengibt es in den verschiedenen Abteilungen, wobei die Eh-renamtlichen selber meinten, dieser Schaukasten ist ander völlig falschen Stelle, der ist nicht da, wo die meistenLeute laufen, der wird gar nicht genug beachtet und istauch nicht peppig genug aufgemacht. Das zum Schwie-rigen an der Geschichte. Deswegen habe ich mir dieMühe gemacht, von den Ehrenamtlichen Fotos in eineFoto-Collage zu binden und daneben zu schreiben, inwelchen Positionen Ehrenamtliche bei uns tätig sind, seies,dass sie eine Bibliothek neu ordnen,eine Gruppe odereinen Kurs leiten oder eine Zeitung herstellen.Alle Ehren-amtlichen haben eine institutionalisierte Form, wo siesich äußern können und wo sie eine feste Ansprechpart-nerin haben,zumindest in meiner Abteilung.Das ist einemonatliche Beiratssitzung, wo alle gewählten Vertreterdrin sind,vor allem auch alle Ehrenamtlichen,die mit mirrechnen können.Eine Schwierigkeit im Haus ist,dass dasin anderen Abteilungen noch nicht so geklärt ist und dassdas jetzt ein Thema ist, wie kann eine Abteilungsleiterines sich zumuten,mit Ehrenamtlichen zusätzlich zu arbei-ten,denn Arbeiten mit Ehrenamtlichen heißt Mehrarbeitund nicht weniger Arbeit, weil Ehrenamtliche für einenArbeit machen. Die machen nämlich eine ganz andereArbeit als man selber und ersetzen auch die eigene Arbeitnicht, sondern sie verlangen, dass mit ihnen gearbeitetwird,dass man Ansprechpartner für sie ist.Und wofür wiruns entschieden haben, ist, zumindest mal einen Neu-jahrsempfang für alle Ehrenamtlichen im Hause zu ma-chen,um ihnen die Möglichkeit zu geben,auch die Aner-kennung zu sehen, nicht eine Ehrennadel, sondern eineoffizielle Anerkennung neben den Kursleitern. Was wiruns wünschen, ist ein Tag mit Seminarcharakter, wie wires mit ProBE und der Projektleitung zusammen machen.

O< Nachbarschaftsheim Mittelhof. Du hattest vorhingesagt, seit einem Jahr läuft das Projekt. Also für unsereEinrichtung läuft es seit Mai.Im Mai haben wir uns das er-ste Mal getroffen. Ich habe mir drei Highlights aufge-schrieben und sag mal das eine zuerst, weil mich das soein bisschen belastet. Ich bin jetzt an dem Punkt derBefragungen,habe auch schon mehrere Befragungen ge-macht, und durch unsere Einrichtung geistert immer soein Mythos. Es gab Mitte der 80er Jahre eine Zeit, in dersehr viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde, da warunser ganzes Café noch ehrenamtlich, es gab sehr vielmehr im Vergleich zu heute, es gab auch viele Kurse, dieehrenamtlich angeboten wurden und es gab einfach soeine große Familie von Ehrenamtlichen,die ganz viel ge-tragen haben.Und für uns Hauptamtliche heute geistertdas immer so rum.Es war eine total gute Zeit, alle habenganz viel bewirkt und miteinander gemacht und amWochenende auch. Mittlerweile habe ich mitgekriegt,dass das alles irgendwie doch nicht so klasse war unddass es ganz vielen in dieser Zeit auch nicht so gut ging.Und es gab z.B.keinen, den sie ansprechen konnten, kei-ne professionelle Struktur da drüber. Das ist doch auchentlastend, wie es heute ist. Die Bremse, kann ich ganzklar sagen, ist mein Arbeitsalltag.Alles,was wir nicht ge-schafft haben, was ich nicht geschafft habe, was auch inmeinem Arbeitszusammenhang nicht möglich ist – zusagen,ich nehme mir fünf Stunden pro Woche nur für die-ses Projekt – das geht nicht. Sondern das läuft alles ne-benher und meine normale Arbeit ist da. Im Moment

passiert im Bereich Ehrenamt, also nicht bürgerschaftli-ches Engagement, ganz viel Neues, es melden sich viele,die sich einbringen wollen.

Antz: Kam da noch eine Bremse?

Vorrednerin: Wir haben sehr viele Bremsen. z.B., dassEhrenamtliche kommen und eine völlig falsche Einschät-zung von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit haben.Das istdann auch was,wo es einen Konflikt geben kann oder woman gucken muss, wie kann man das auf eine gute Artund Weise angehen. Dass sie lernen, ihre eigenen Mög-lichkeiten real einzuschätzen.Es kam z.B.eine Ehrenamt-liche,um in der Erziehungsberatung tätig zu werden,undda gibt es ja bestimmte Anforderungen, die an die pro-fessionellen Helfer gestellt werden. Da kann man nichteinfach jemanden, der im Grundberuf etwas ganz ande-res gelernt hat,schnell in eine Profession einbinden – dasgeht nur in begrenzten Bereichen.

O< Highlight:Wir leben in einem Sanierungsgebiet inBremen, und ich habe erreicht, dass an unser Haus zu-mindest im Sommer ein Café angebaut werden kann.Dasind ein paar Hunderttausend Mark geflossen, das warschon ein besonderes Highlight für mich.Und dieses Café,das da mal entstehen wird,wird auch über ehrenamtlicheMitarbeiter betrieben werden. Es soll ein Dielendiensteingerichtet werden.Wenn man in das Haus reinkommt,gibt es einen runden Tisch, da wird man empfangen.Dasist ein ehrenamtlicher Dienst, der dort verrichtet wird,um dann in die entsprechenden Räume zu geleiten oderabzukassieren usw. Die Aufgaben, die zukünftig auf die-se Gruppe von Menschen zukommen wird, wird anderssein als ich sie mir vorgestellt hatte, als ich hier mitma-chen wollte. Ich muss mir auch jetzt noch für mich selbstwas Neues überlegen, um mein Profil herauszukriegen,muss auch überlegen,was brauche ich für Mitarbeiter imehrenamtlichen Bereich, was müssen sie können, womuss ich ihnen Hilfestellung geben, damit sie die Arbeitbewältigen.Der Hemmschuh ist die Alltagsarbeit.Vor dreiTagen, bevor ich hierher kam, kriegten wir einen Briefvom Finanzamt. Das Finanzamt erwartet jetzt, dass wirdarlegen, warum wir Jugenddiscos machen, die seiendoch gewerbesteuerpflichtig. Die allgemeine Lebensbe-ratung, die nachbarschaftliche Beratung sei nicht Ge-genstand unserer Tätigkeit,das sei also mittlerweile allesgewerbesteuerpflichtig und wir müssten doch bitteschön mal darlegen, was wir für Einnahmen hätten, wiedas abzugrenzen sei – Verkauf von Getränken und solcheGeschichten.Das sind Dinge, die halten auf.

O< Wir machen dieses Projekt ProBE nicht nur alsNachbarschaftshaus mit,sondern als Verein,der sehr vie-le ehrenamtliche Projekte hat.Und dass alle Projekte ge-sagt haben,sie wollen da ebenfalls mitmachen,das ist fürmich das Schönste.D.h.,wir können nicht nur sagen,waspassiert in dem Haus, sondern was passiert in den ein-zelnen Projekten, vom Konzept angefangen bis hin zurArbeit Hauptamtlicher und Ehrenamtlicher. Das ist ersteinmal für uns eine gute Sache gewesen. Die zweiteSache,durch die ich mich bestätigt fühle,ist,dass die ers-ten Menschen, die wir befragt haben, sagten, sie wollenkein Geld für gesellschaftliches Engagement, sie wollenkeine Auszeichnung für ihr Engagement, ihre Motivation

ist eindeutig der Spaß an der Sache, eine eigene Betäti-gung zu finden,eigene Weiterbildung damit zu verknüp-fen,das sind die wichtigsten Dinge.Und die ersten Befra-gungen, die wir gemacht haben, zeigen auch, dass wirneue Menschen angesprochen haben,sich stärker zu en-gagieren. Das sind für mich ganz tolle Bestätigungen.Andererseits ist auch deutlich,dass viele das Wort Ehren-amt ablehnen, gerade jüngere Menschen wollen nichteinmal gesellschaftlich aktiv genannt werden, sie ma-chen es in erster Linie nicht für die Gesellschaft, sie ma-chen es für sich.Also freiwillige Arbeit,Engagement – ja,weil sie es immer schon gemacht haben und weil sie esselber wollen.Da müssen wir uns gut überlegen,wie stel-len wir dar, dass wir an zusätzlichem Engagement inter-essiert sind, und wir werden diesen Begriff Ehrenamt si-cherlich aus unserem Sprachgebrauch streichen. Das istder Stand. Noch ein Highlight: Unsere eine Kita ist rechtinteressant in das Projekt eingestiegen, weil sie erst ein-mal festgestellt hat,seit sie in die freie Trägerschaft über-nommen wurde,ging die ehrenamtliche Arbeit ruckartigzurück. Es wurde sofort alles dem Träger zugeschoben,man konnte gut sofort meckern, aber auch Problemeklären, Lösungen finden, ohne dass andere Leute not-wendig waren. Über die Befragung haben wir jetzt wie-der einen Schub gekriegt:Eltern wollen sich engagieren,Eltern wollen gefragt werden,und Kinder wollen sich en-gagieren, Kinder wollen gefragt werden. Also auch ausunterschiedlichen Altersgruppen gibt es ein Potenzial,sich engagieren zu wollen. Das Problem ist die zeitlicheBelastung, die sich daraus logischerweise ergibt, alleine30 Befragungen usw., alle Konzepte durchzulesen, daskostet einfach Zeit, aber es macht Spaß. Manche sagenschon mal:du nervst.Aber es hat sich noch keiner zurück-gezogen, sondern die Spannung bleibt erhalten, wasauch nützlich ist für das eigene Projekt, dies zu ent-decken.

O> Die größte Bremse bei uns war bisher, dass wir dasProjekt nicht in alle Arbeitsbereiche reintragen und seineWichtigkeit auch nicht vermitteln konnten. Alle sind so-wieso schon so belastet und sich jetzt noch mit so einemProjekt beschäftigen,kostet viel Kraft und Mühe.Deshalbmeine Hoffnung,dass ich mir durch Zusammenarbeit miteinem anderen Projekt da vielleicht mehr Unterstützungholen kann. Als Highlight kann ich sagen, dass wir imRahmen des Aufbaus einer Freiwilligenagentur konkretin alle Arbeitsbereiche gehen und nach den Rahmenbe-dingungen für freiwilliges Engagement fragen.Wir neh-men auch die eigenen Projekte auf und die Projekte, indie vermittelt wurde und somit werden da Fragen abge-klopft und benannt und das ist schon mal positiv zu se-hen. Aber auch der Prozess, Hauptamtliche und Ehren-amtliche in einen Dialog zu bringen, den Schritt zu ma-chen, ist ein unheimlicher Aufwand.Aber dass was dabeirauskommt, davon bin ich überzeugt.

Antz: Ich möchte, dass wir jetzt ins Gespräch kommen,nachfragen oder auch Probleme rausfiltern. Ich hatte eine Reihe von Themengegenständen mitgebracht. Zujedem wollte ich was erzählen.Aber damit ich mich jetztnicht verheddere, mache ich eine Miniauswahl.Klemmzwinge:Sie ist einer der Gegenstände, der für Schwierigkeitensteht, die zum Teil sehr massiv sind. Sie steht dafür, dass

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die, die das Projekt durchführen, auch eingeklemmt sindzwischen den Anforderungen des Alltags, angefangenvon Jahresplanung, über Finanzsachen bis zu Teambe-sprechungen, das ist ja in mehreren Beispielen ange-klungen. All dies ist eine massive Größe, die diesenProzess auch schwierig macht und beeinflusst und mitder man umgehen muss.Blatt mit Punkt in der Mitte und Pfeilen in alle Richtun-gen:Das ist ein Bild, das die Vorgehensweise ausdrücken soll.Wir haben am Anfang alle Einrichtungen aufgefordert,ihre Frage, mit der sie das Thema bürgerschaftlichesEngagement anpacken wollen,in einer Fragestellung aufden Punkt zu bringen. Jeder muss das für sich machen,und das ist in der Tat schon ein wichtiger Prozess gewe-sen.Bei manchen ist er auch noch im Gange,die erst spä-ter dazu gekommen sind. Es bringt intern etwas inBewegung. Es erfordert bestimmte Formen der Konzep-tionsarbeit, der Bewegung, der Teamarbeit, der fachbe-reichsübergreifenden Kommunikation und das war undist eine sehr wesentliche Anforderung. Bei diesem Auf-den-Punkt-Bringen – das sind die Pfeile – gibt es Fragen,die hin- und hergehen. Bei der Formulierung einer zen-tralen Frage tun sich viele neue auf, es entsteht manch-mal eher eine Verwirrung und Fülle, als dass es leicht ist,die Mitte zu treffen.Manche haben schon ganz konkreteFragen, wie das Stichwort Mitbestimmung, aber so einStichwort bringt ja auch wieder Neues, allein die Frage,wie fallen überhaupt Entscheidungen? Was sind über-haupt Mitbestimmungsstrukturen? Es gibt sicher aucheinen Spagat in der Anforderung,die inhaltlichen Fragenund die Projektplanung voranzutreiben, also sich inhalt-lich auf die Spurensuche zu machen, wer macht mit, wiekriege ich das in andere Fachbereiche, wie kriege ich dasin Präferenzen, das ist ja dann oft auch eine Doppelrolle,die eine zusätzliche Anforderung darstellt.Buntstifte und Liste der beteiligten Einrichtungen:Das Dritte ist die Buntheit, die bei diesen Einrichtungenentstanden ist. Da es uns, und das ist ein selbstkritischerPunkt,bisher nicht in ausreichendem Maße gelungen ist,den Querschnitt zu bekommen, wie er in dem Projekt ei-gentlich geplant war, machen wir in den neuen Ländernnoch mal einen neuen Schritt und beziehen zusätzlicheEinrichtungen mit ein. Bei denen, die dann letztendlichbei der Stange geblieben sind und die es auch in ihrenKapazitäten untergebracht haben, haben diese Frage-stellungen sehr unterschiedliche Färbungen, sehr unter-schiedliche Richtungen.Es fällt auf,dass unterschiedlicheBegrifflichkeiten benutzt werden. Hier in der Runde istsehr oft das Wort Ehrenamt gefallen.Das ist nicht für alleEinrichtungen so.Wir haben uns entschlossen, wir spre-chen von unserer Seite aus von bürgerschaftlichemEngagement und Ehrenamtlichen- und Freiwilligenar-beit,weil in den Einrichtungen die Grenzen fließend sindund manche sich sehr stark mit der Frage beschäftigen,was heißt bürgerschaftliches Engagement, während an-dere eher an dem Punkt sind,was heißt für uns die Arbeitmit Ehrenamtlichen.In Baden-Baden ist ein Stadtteilzentrum, das in einemStadtteil mit einem sehr hohen Ausländeranteil liegt.DasStadtteilzentrum hat ehrenamtliche Mitarbeiter undMitarbeiterinnen, ist aber an dem Punkt zu fragen, washeißt dann darüber hinaus bürgerschaftliches Engage-ment mit anderen Mitbewohnern des Stadtteils,die zum

Teil noch nicht einmal normale bürgerliche Rechte ha-ben. Es ist die Frage: was für Strukturen von Nachbar-schaftshilfe gibt es schon,die vielleicht gar nicht bekanntsind, die gar nicht sichtbar werden. Und da ist die Über-prüfung des eigenen Konzeptes notwendig, ebenso wiedie Frage, wie erweitern wir es in Richtung auf ganz be-stimmte Zielgruppen. In Berlin-Hohenschönhausen istder Begriff Ehrenamt noch drin. Du sagtest gerade, ihrwerdet ihn wahrscheinlich streichen.Auch die Frage,wiekönnen wir neue Gruppen aktivieren, ist angeklungen.Das Bürgerzentrum Ehrenfeld ist ein Bürgerzentrum inKöln,das ursprünglich auch von Ehrenamtlichen gegrün-det wurde, das aber eine Phase von Professionalisierungerlebt hat. So fragen sich die Mitarbeiter: was heißt füruns heute, uns zu öffnen durch bürgerschaftliches Enga-gement; aber auch diesen Dienstleistungsgedanken zuüberprüfen, ob der alles ist oder ob es da nicht eine neueZielrichtung gibt. Die Motte in Hamburg hat sich geradeselber vorgestellt,da ist mittlerweile der Ausschnitt nochkleiner geworden, als es hier in dieser Fragestellungsteht.Da geht es jetzt um den Werkstattbereich als einenexemplarischen Bereich. Sie ist davon weggekommen,die ganze Einrichtung zu überprüfen, sondern will dieÖffnung und neue Wege in einem Bereich exemplarischausprobieren und das dann in die Breite geben.Was irri-tiert uns daran, wie die Arbeit bisher war, und wo gibt eswas, was uns in Bewegung bringt oder verändert?

O> Mich würde mal interessieren bei der Motte: vonwem geht der Aktivierungswunsch aus? Von den Haupt-amtlichen oder von den Ehrenamtlichen?

O> Für mich ist die Begriffsdiskussion um das WortEhrenamt interessant, die führen wir ja europaweit. Ichglaube,wenn man einen neuen Begriff schafft,ist man inzehn Jahren wieder so weit,dass der konservativ ist,dassdie Leute sich damit nicht identifizieren können. Viel-leicht kann man viele Begriffe nehmen dafür – oder ein-fach Mitarbeiter.Man merkt, dass gerade die Jugend mitEhrenamt nichts anfängt; es gibt aber auch sehr vieleFreiwillige,die wirklich das Ehrenamt wollen,die Leute inden Vorständen z.B., ich kann das nicht abschaffen, diesind wichtig.

Antz: Die Begrifflichkeit ist interessant, wie sehen dieEinzelnen das, oder wer definiert sie sehr deutlich undwer geht mit unterschiedlichen Begriffen um? Steigenwir doch mal ein mit der Frage, von wem geht die Akti-vierung aus?

O> Es ist ihr eigener Anspruch,der sie treibt,die Vorstel-lung:ich gehe da hin,ich mache die Werkstatt auf,ich ver-mittle mein Wissen an andere, ich habe Spaß mit denenzusammen. Aber dann kommen die Ehrenamtlichen ge-nauso wie die Hauptamtlichen in so einen Alltagstrottund das reicht ihnen irgendwann nicht mehr. Sie habenauch schon seit Jahren gefordert, der Verein möge einenHauptamtlichen als Ansprechpartner für sie zur Verfü-gung stellen, der freigestellt ist, um neue Ideen auszu-hecken.Und das hat der Verein jetzt möglich gemacht.Ichdenke, die Triebfeder für Veränderung ist die eigeneUnzufriedenheit.

Antz: Geht so eine Öffnung,Aktivierung von der Einrich-

tung aus oder ist es auch eine Unzufriedenheit derEhrenamtlichen, die etwas in Bewegung bringt? Wie ak-tiviere ich die Bürgerinnen und Bürger, oder kommt dawas Neues von allein von außen? Die Quäker z.B. habenüber die Vermittlung einer Freiwilligenagentur plötzlichneue Leute im Haus gehabt,die gesagt haben,sie wollenwas tun und dann standen diese fremden, neuen, nichtim Haus aufgewachsenen Menschen,die z.T.nicht mal imStadtteil wohnen, plötzlich vor diesem klassischenNachbarschaftsheim und sagten, was können wir hiertun? Und da wurde erst deutlich, dass es mit so einemSatz – wir brauchen, wir suchen – noch nicht getan ist.Sondern das ist auch eine ganz besondere Herausforde-rung an die Einrichtung, nicht nur an Hauptamtliche.

O> Wer hat denn eigentlich diese Fragestellung in denEinrichtungen formuliert? Waren das die Hauptamtlichenoder waren das gemischte Teams aus freiwillig Enga-gierten und Hauptamtlichen? Wie sind diese Fragestel-lungen zustande gekommen?

O< Wir haben versucht, die Arbeit im Haus paritätischzu verteilen, zwei Hauptamtliche und zwei Engagierte.Eine ist im Vorstand und eine macht andere engagierteArbeit, so dass wir denken, dass wir da mehrere Sicht-weisen koordinieren konnten.Und da ging es bei uns spe-ziell um die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehren-amtlichen. Wir haben jetzt noch die alte Bezeichnung,aber eine dieser Ehrenamtlichen lehnt diese Bezeichnungtotal ab und bezeichnet sich als engagierte Frau, abernicht als ehrenamtlich tätig. Auf dem Feld der Ehre ster-ben, sagt sie, da hat sie negative Assoziationen.

Antz: Bei der Hälfte der Einrichtungen gibt es von derOrganisationsform her gemischte Teams, eine Haupt-amtliche und ein Ehrenamtlicher aus dem Vorstand,manchmal gibt´s so richtige Arbeitsteams oder Initiati-ven,hier gibt´s auch einen Dreierkreis.Also bei der Hälftesind Ehrenamtliche in diesen Prozess schon einbezogenworden, bei der anderen Hälfte nicht, weil es sie entwe-der nicht gibt oder das irgendwie anders gelaufen ist.

O> Also Teams heißt sozusagen Projektgruppen fürProBE.

O< Aufgrund der Tatsache, dass unsere Einrichtungnicht auf eine Tradition von Ehrenamt zurückblicken kannund wir auch zurzeit keine Ehrenamtlichen haben, wür-de mich interessieren, wie das in den anderen Einrich-tungen ist. Sind Ehrenamtliche eigentlich Leute, die ein-gebunden sind, die eine Arbeitsstelle haben und irgend-wo sozial abgesichert sind und eigentlich eine Aufgabehätten, sich aber zusätzlich noch ehrenamtlich engagie-ren? Oder geht der Trend eher dahin,dass es immer mehrLeute gibt,die arbeitslos sind,nicht wissen,was sie mit ih-rer Zeit anfangen sollen und sich deshalb engagieren?

O> Es geht durch eine Vielzahl von Studien, dass dieMehrzahl Leute sind,die über einen Job abgesichert sind.

O< Oder Rentner, und zwar ausreichend gut bezahlteRentner, also nicht unbedingt Sozialhilfeempfänger.

O< Bei uns ist die Mehrzahl entweder durch Rente,Vor-

67Soziales, ehrenamtliches und Bürgerengagement

ruhestandsregelung oder dadurch abgesichert, dass derEhemann was verdient und die Hausfrau es sich leistenkann, sich zu engagieren. Aber es ist keine einzige ar-beitslose 25-Jährige dabei.Die arbeitet dann im Arbeits-kreis Soziale Dienste und verdient sich ein Zubrot. Aberdas ist dann eben was anderes.Oder die 630-Mark-Jobs.

O< Das ist für mich ein neuer Aspekt und ich denke,vielleicht ist das auch die Schwierigkeit bei uns, Leute zumotivieren, weil wir es ausschließlich mit Sozialhilfe-empfängern oder Arbeitslosen zu tun haben.

O> Das ist bei uns ähnlich, wobei aber durch Betrof-fenheit in dem Sinne,dass es um die eigenen Kinder geht,wieder Bereitschaft entsteht, sich einzubringen und zuengagieren.

O< Das klassische Ehrenamt ist offenbar nicht mehr sosehr gefragt. Aber Engagement, dass man Müttergrup-pen oder Bürger- oder Mietergruppen gründet, auch ineiner Obdachlosensiedlung, das ist durchaus möglich.

O> Was ist bei euch klassisches Ehrenamt?

Allgemeines Gelächter und: Das ist vielleicht die Haupt-frage!

Antz: Wer benutzt den Begriff bürgerschaftliches Enga-gement für das,was bisher läuft oder für was Neues oderfür was anderes?

Vorredner: Wir benutzen beides.

O> Freiwilliges oder bürgerschaftliches Engagementist eher der Begriff,der von den Hauptamtlichen benutztwird. Weil die, die sich gesellschaftlich engagieren, ehersagen würden, ich engagiere mich gesellschaftlich oderpolitisch.Ich hätte früher selbst in so einer Gruppe nie ge-sagt, ich würde mich bürgerschaftlich engagieren. Undwenn ich jetzt die Leute im Haus frage,engagiert ihr euchbürgerschaftlich, dann würden die sagen, nein, wir wol-len in der Gesellschaft was verändern.

Antz: Die Definition geht also eher nicht über das Amtund auch nicht über das Bürger-Sein, sondern über dieZielrichtung, über das Engagement,ob nun gesellschaft-lich, politisch, sozial oder kulturell.

O> Bei uns im Verein in Wien ist dadurch, dass das seit50 Jahren so entstanden ist, das Ehrenamt ganz klar de-finiert.Was ein Ehrenamtlicher bei uns darf und wie er eskann. Es gibt Aufnahmegespräche, Ausweis, Screenings,was er machen kann und wie viele Stunden er das in derWoche macht. Das ist auch zu seinem Schutz, dass seinEngagement nicht überstrapaziert wird.Die Arbeit ist gutstrukturiert, aber es gibt nebenher in den Nachbar-schaftszentren bei uns dieses Modell der bürgerschaftli-chen Partizipation,so nennen wir das.Da kommen Leute,die machen mit bei einer Veranstaltung, die wollen sichaber nicht als Ehrenamtliche eintragen lassen.Es möchtez.B. jemand eine Theatergruppe gründen und macht dasfreiwillig fürs Gemeinwesen,das sind Freiwillige,die pas-sen überhaupt nicht in unser Schema. Deswegen habenwir ja jetzt nachgefragt zum klassischen Ehrenamt.Weil

solche Leute ja auch Ehrenamtliche sind oder Freiwilligeoder was auch immer.Da haben wir das Begriffsproblem.Aber ich bin draufgekommen, dass es gut ist, ganz vieleBegriffe zu haben, weil es Leute bei uns gibt, die wollendie alten Begriffe und die damit verbundene Wertschät-zung, die gehen auch herum mit Sticker »Ich bin Ehren-amtlicher«,ja,warum nicht,es gibt ja auch die Sticker »Ichbin Friedensbewegter«.

O< Ich empfinde diesen Begriff immer ein bisschen alsEtikettenschwindel. Weil die Leute, die bei uns ehren-amtlich spielen,seit fast 20 Jahren dabei sind und Theatermachen. Das Ehrenamtliche daran ist eben, dass sie ihreStücke selber erfinden und dann in weit entfernte Ein-richtungen wandern und dort spielen,das ist eben der so-ziale Charakter. Sie spielen in Senioreneinrichtungen,Kulturhäusern und Krankenhäusern usw.Da ist ihnen kei-ne Mühe zu groß,dahin zu fahren und ihre Stücke zu zei-gen. Und irgendwann haben wir ihnen eben dieses Eti-kett Ehrenamt rangeklebt wegen der Versicherung undwas weiß ich,damit sie,wenn sie von der Bühne stürzen,versichert sind.Dann haben sie gesagt,o.k.,dann sind wireben Ehrenamtler, aber ihnen war das im Prinzip schonsehr wurscht.Das sind einfach Leute,die was tun wollen,Kultur machen wollen, und das wars, Ende aus. Und vondaher ist es auch egal, ob man sie Ehrenamtliche, Frei-willige oder Volunteers oder was sonst noch in derDebatte war, nennt.

Vorredner: Aber es ist eine versicherungstechnischeFrage und auch eine Geldfrage für uns von der GemeindeWien, weil wir ja diese Arbeit auch abrechnen.Wenn ihrsagt, ihr habt 2.500 Ehrenamtliche, dann schaut es bes-ser aus, als zu sagen, wir haben 500 und die anderen, jadie nenne ich irgendwie anders.Dann wird´s schwierig.

O< Ich wollte noch einen Zusatz loswerden.In den letz-ten 10-15 Jahren, seit wir das Etikett des Ehrenamtlershaben, bemühen sie sich mehr, sie fühlen sich honoriertfür eine Sache, die sie früher nur aus Spaß gemacht ha-ben, jetzt sind sie wer. Es ist ganz komisch, dass sie dasSoziale erst am Begriff Ehrenamt gemerkt haben,was siewirklich einbringen und leisten, das haben sie erst durchdiese Zuordnung begriffen. Und ich finde, sie leisten oh-nehin viel dabei. Und da war der Begriff und ab und zueine Ehrennadel auch nicht schlecht,um das einfach auf-zuwerten.

Antz: Auf den ersten Blick kann man sagen, es ist egaloder man kann sich in theoretischen Diskussionen verlie-ren. Auf den zweiten Blick ist es aber doch wichtig zuklären, was meine ich damit. Und wenn ich sage, ich su-che Ehrenamtliche, was für eine Erwartung steckt darin.Wenn ich sie als Ehrenamtliche bezeichne, was erfordertdas für eine Haltung bei einem Hauptamtlichen,bei einerEinrichtung? Geht´s da um Mitarbeit? Was ist Aktivie-rung? Von daher ist es überhaupt nicht egal und auchnicht beliebig,sondern der Begriff ist immer ein Ausdruckvon bestimmten Zielen, Anforderungen und Vorstellun-gen.Und das zu klären lohnt sich.

O< Ein Beispiel:Wenn ich jemanden zur lokalen Agen-da vermittle, denke ich eher an bürgerschaftliches Enga-gement. Suche ich aber jemanden, der die Fahrradgrup-

pe,die keinen Leiter mehr hat,am Leben erhält,dann su-che ich eine engagierte Person, die bereit ist, das inZukunft zu übernehmen. Und da würde ich nie den Be-griff »bürgerschaftliches Engagement« benutzen,weil eswirklich hinter jedem dieser Begriffe eine andere Ziel-vorstellung gibt. Dagegen würde ich jeden, der gewähl-ter Vertreter in einem Beirat oder im Vorstand ist, mitdem Wort »Ehrenamtlicher« bezeichnen.

O> Aber auf der anderen Seite spreche ich auch vonmeinen Mitarbeitern als engagierten Menschen.

O> Bei dem Wort »engagiert« muss ich noch mal aufwas zurückkommen. Gibt es denn für die Nachbar-schaftszentren eine unterschiedliche Wertigkeit imEngagement? Gehört die Förderung von kleinen Eltern-initiativen, Müttern und Krabbelgruppen nicht auch zuihrem Auftrag? Oder geht es nur darum,die Betriebsteile,die man so hat,mit Ehrenamtlichen am Laufen zu halten?Ich frage das jetzt nicht ketzerisch, ich weiß es einfachnicht.

O< Auch die alleinerziehenden Mütter z.B.so zu unter-stützen, dass sie Räume finden und Möglichkeiten, sichals Selbsthilfegruppe zu organisieren, das ist doch unserAuftrag als Nachbarschaftshäuser.Allen Selbsthilfegrup-pen, die so einigermaßen ins Konzept passen, wenn sienicht rechtsradikale Ideen haben, in unserem Haus aucheine Chance zu geben, das ist doch eine Aufgabe derNachbarschaftsbewegung.

O> Aber in dem Beitrag kam da so eine unterschiedli-che Gewichtung.

Vorrednerin: Vielleicht durch das Wort »Ehrenamt«.

O< Ich denke, das sind auch einfach unterschiedlicheBenennungen, die sich die Menschen, die sich engagie-ren, selber geben. Mein Tauschring ist für mich eineInitiative,in der Bürgerschaft was für sich zu tun.Und wirtragen gleichzeitig dazu bei, Strukturen im Wohngebietzu verändern. Da gibt es auch wieder welche, die sindgern klassisch aktiv, weil sie die Zeitung oder dieses undjenes machen. Sie würden nie von sich behaupten, dasssie ehrenamtlich tätig sind. Sie sind aber im Höchstmaßaktiv.Also sie sind noch nicht einmal gesellschaftlich ak-tiv. Dann gibt es aber auch Leute, die eine Selbsthilfe-gruppe unterstützen,die würden sich schon gerne als ge-sellschaftlich aktiv bezeichnen,weil sie eben mehr tun alsnur für sich,sie tun es auch für die Gruppen oder darüberhinaus.Diese Unterschiede sind bei uns sehr deutlich undwir versuchen, diese Begrifflichkeiten daraufhin abzu-klopfen,wer welchen Begriff für sich benutzt.Und das istin jeder Gruppe, die aktiv ist oder sich bei uns im Haustrifft, sehr unterschiedlich. Und dann gibt es eben auchLeute, die wollen nicht das Ehrenamt in dem Sinne, diewollen klassische Helfer sein. Sind die nun deshalbschlechter, weil sie »nur« Helfer sind? Nein, sie sind ei-gentlich immer da, wenn der Terminkalender des Nach-barschaftshauses steht,man kann sich hundertprozentigdarauf verlassen. Und was mir bei den wirklich aktivenMenschen aufgefallen ist, diese Leute sind auch bei unsin den Kindereinrichtungen in erster Linie diejenigen,diein Arbeit sind oder zumindest finanziell abgesichert sind.

Mein Name ist David Kramer, ich bin Professor für Sozial-politik und der Prorektor der Alice-Salomon-Fachhoch-schule in Berlin-Hellersdorf. Wir sollten jetzt ein paarStunden miteinander verbringen und die Frage diskutie-ren: Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage. MeinVorschlag ist, dass wir das untergliedern in einige Frage-stellungen, z.B.: Was heißt hier Staat? Mir geht es nichtdarum, einen Staat gegen den anderen aufzuwiegenoder hochzujubeln, sondern ein bisschen nachzufragen,was stellen wir uns unter Staat vor und warum denkenwir uns den Staat so. Ich glaube, das hat weitestgehendauch historische Gründe. Ich habe ein bisschen recher-chiert und einige Zeichnungen zusammengesucht, dennich glaube, es ist erst mal schon ganz anregend, dass seitfast 200 Jahren der Staat in den Vereinigten Staaten als»Onkel«, sowohl verbal gehandelt wie auch gezeichnetwird. Und dem möchte ich gegenüber stellen diese be-griffliche Figur »Vater Staat« und erst mal fragen,warumsagt man Vater Staat und nicht Bruder, Onkel oder sonstwas für ein Staat. Ich glaube, das hat sowohl in derSprachgeschichte seine Gründe und, das hat für unsereDiskussion auch in sozialarbeiterischen Zusammen-hängen bestimmte Gründe. Wir fangen mit GeorgeWashington an.Wie Sie wissen, war George Washingtonder Führer der rebellischen Armee der 13 Ursprungsko-lonien in den Vereinigten Staaten, die gegen die engli-sche Krone rebelliert haben, dann wurde er zum ersten

Präsidenten gewählt.Es gab auch ernsthafte Bestrebun-gen damals,ihn zum König der unabhängig gewordenenKolonien zu machen. Das kam nicht zustande, sondernman hat dieses neue Amt erfunden, Präsident. Und die-ses Amt hat schon einige königliche Merkmale. AberWashington hat es ausdrücklich abgelehnt, sich zumKönig ernennen zu lassen, und natürlich waren auchgroße Teile der ehemaligen Revolutionäre dagegen.Alsoist er nicht König geworden. In jedem amerikanischenSchulbuch werden Sie das immer noch sehen, er wird alsVater von Amerika gehandelt.Also diese Figur – Vater alspolitische Obrigkeit – war schon auch in den VereinigtenStaaten vorhanden.

Statt dessen ist in dem Krieg von 1812 eine Figur aufge-taucht, Uncle Sam. Onkel Sam war die Verkörperung derVereinigten Staaten. 1812 haben die Engländer im Rah-men der napoleonischen Kriege versucht, Amerika wie-der zu erobern. Und die dachten, wenn wir schon Kriegführen, dann bereinigen wir dieses ärgerliche Ding da inAmerika. Sie haben eine Armee geschickt, die die neueHauptstadt Washington niedergebrannt hat, die war ge-rade gebaut,überhaupt noch nicht bezogen.Also mussteneu gebaut werden. Und diese Figur hat eine Zeit langkonkurriert mit einer anderen Figur und diese Bebilde-rung des Staates der Vereinigten Staaten hieß entwederOnkel Sam oder Bruder Sam. Nicht Vater. Und um 1870,

d.h. kurz nach dem Bürgerkrieg in Amerika, fing OnkelSam an, so auszusehen, wie wir ihn heute kennen.OnkelSam ist alles andere als eine Instanz, die man erstensernst nimmt, die zweitens verspricht, jemanden umfas-send zu befürsorgen.Und das erwartet auch niemand.

Auf der anderen Seite ist interessant zu bemerken, dasses in Deutschland keine ähnliche Bebilderung des Staatesgibt – es gibt kein Image. Ich glaube, das hängt auch einbisschen damit zusammen, dass man seit Alters her an-dere,auch sprachlich andere,Staatsvorstellungen hat.Ichhabe ein bisschen nachgeguckt bei den Brüdern Grimm.Der Erklärungszusammenhang für das Wort Vater kommtnämlich von Fürsten und anderen Vorstehern von staat-lichen Gemeinwesen und Gemeinschaften, die mit derFamilie verglichen werden. Man hat von Alters her dieLandesherren Väter und die Untertanen Luder oderKinder genannt,wie noch die Kriegsleute ihre Feldherrenund Obristen Vater und die Herren ihre Kriegsleute liebeSöhne nannten. Es gibt auch ältere Aussagen aus demfrüheren Mittelalter, die in ähnliche Richtungen gehen.Diese Begriffe stehen direkt neben – und das ist der drit-te Erklärungsversuch – der Biologie: der tatsächlicheVater, Erzeuger. Die geistige Obrigkeit, Papst – Papa –Vater – usw., und dann gleich der Landesfürst. DieseSprach- und Denkfiguren sind nicht nur sehr alt,sondernauch zählebig. Karl Marx war sich ganz klar über zwei

68 Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

Die anderen wenden sich meist anderen Formen zu,wie Selbsthilfegruppen oder Selbsthilfeinitiativen wieTauschring, weil da Leistung gegen Leistung geht.

Zwischengeflüster: Aber das ist doch keine Aktivität.

Antz: Das war interessant, weil es noch mal zeigt, dassbestimmte Formen des Engagements wichtig sein kön-nen für bestimmte Gruppen,dass es da nicht nur so einenEinheitsbrei geben muss und darf.

O< Nachbarschaftshäuser sind ja sozial-kulturelle Ein-richtungen. Es geht darum, Menschen eine sinnvolleAufgabe,eine Beschäftigungsmöglichkeit oder ein Betä-tigungsfeld zu geben. Und wenn Leute, aus welchenGründen auch immer, aus Arbeitsbereichen rausfallen,dann ist es gerade für Nachbarschaftshäuser wichtig her-auszufinden, wie man den Menschen gesellschaftlichwieder einbinden oder ihm Möglichkeiten des sozialenZusammenhalts geben kann.

O> Wir haben bei uns im Haus den DGB-Arbeitslosen-kreis. Daraus ist eine Gruppe entstanden, die Müllbesei-tigungsmaschinen konstruierten und bauten mit ihremWissen,angeleitet von Leuten,die in Arbeit sind,aber wosich über diese Werkstattstruktur,die wir im Haus haben,wieder Neues ergibt. Die Ehrenamtlichen bei uns sagen,

sie sind ehrenamtliche Mitarbeiter und wir sind haupt-amtliche Mitarbeiter.Und das ist die alte Hassliebe, nichtob sie bezahlt oder unbezahlt sind. Sie haben ja auchfrüher selbstverwaltet bestimmt, dass wir Hauptamtli-chen dort überhaupt in Arbeit kommen.Und die Mitglie-derversammlung, wo die Ehrenamtlichen die Mehrheithaben, ist das oberste Beschlussorgan des Vereins. Aberdie Hassliebe ergibt sich daraus, dass sie fast alle in Lohnund Brot sind und ihre andere Welt um sich rum habenund nicht so viel Zeit reingeben können in den Laden wiewir Hauptamtlichen. Das ist der Widerspruch, der sienervt,dass wir einen Informationsvorsprung haben,dasswir da immer sein können, sie würden da auch gerne öf-ters sein.

O< Habt ihr regelmäßige Sitzungen, wo dieser Ärgersich Luft machen kann, wo man ganz klar weiß, hier ha-ben die Nichthauptamtlichen genauso ihr Recht,sich aus-zudrücken?

Vorredner: Das schaffen sie gar nicht mehr,Gruppenrätezu machen, wo sie sich treffen, das haben sie früher ge-macht.

Nach der Pause wird eine Übung mit »bewegten Körper-bildern« durchgeführt, die sich nicht aufzeichnen lässt.Hier eine Zusammenfassung:

Die TeilnehmerInnen teilen sich nach einer Aufwärm-übung in zwei Gruppen und überlegen und stellen Kör-perhaltungen und -bilder zu zwei Fragen:a) Was wird durch Ehrenamtliche/bürgerschaftlich Enga-gierte an »Mehrarbeit« in eine Einrichtung eingebracht?b) Was auf Seiten von Hauptamtlichen verhindert solche»Mehrarbeit«?Die Bilder:a) eingebrachte MehrarbeitTeilnehmer (TN) öffnet eine Ziermetallkiste: »ich öffneden Schatz alter Erfahrungen«TN drückt das Wachsen einer Pflanze aus: »ich wachse«TN halten sich an den Händen gegenseitig fest: »Ver-netzung«TN stößt eine andere an: »Anstöße geben«b) VerhinderungenTN schüttelt tanzend mit einem Schlüsselbund: »ich ge-be die Verantwortung nicht ab«TN wiederholt laufend den Satz: ich will etwas tun:»Zuständigkeiten«TN zieht symbolisch Grenzen um sich: »ich grenze ab«TN symbolisiert hektisches Telefonieren: »ich habe keine Zeit«

Nach einer kurzen Phase des Kontaktes zwischen diesenBildern wird in der Reflektion vor allem die Themen»Macht« und »Vernetzung« angesprochen.

Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage:Überlegungen zu einer neuen Aufgaben- und Gewaltenteilungmit David Kramer, Berlin

69Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

Dinge.Erstens wollte er die Familie abschaffen und zwei-tens ganz konsequent auch den Staat,also praktisch die-ses Väterliche. Interessant ist, dass der Staat in Deutsch-land sich sehr ausdrücklich auf Karl Marx bezogen hat,das zitiere ich aus dem philosophischen Wörterbuch derDDR von 1971:»Sowohl in Bezug auf die gegenwärtigenund bevorstehenden Aufgaben des sozialistischen Auf-baus als auch in Bezug auf den späteren Übergang zumKommunismus ergibt sich somit die Notwendigkeit, diesozialistische Staatlichkeit im Rahmen der Gestaltungdes entwickelten sozialistischen Gesellschaftssystemsallseitig zu stärken.« D.h.um den Staat abzuschaffen,denStaat erst zu stärken – darauf muss man schon kommen.

Ich bin der Meinung, dass es eigentlich notwendig wäre,in einem komplizierteren demokratischen Deutschlandvon diesem Begriff und der Denkfigur – der Staat als Va-ter, als allumsorgend und letztlich allmächtig – wegzu-kommen.Kein Mensch glaubt es mehr.Es ist wirklich not-wendig, sich davon frei zu machen, denn es entsprichtnach meiner festen Überzeugung überhaupt keiner Wirk-lichkeit. Und wenn man das tut, kann man den Weg frei-machen für eine ernsthafte Diskussion darüber,was kannder Staat tatsächlich machen, was soll er machen undwas soll er lieber nicht machen.Ich glaube,dass es an sichganz förderlich war und ist für die Vereinigten Staaten,dass man nie die Vorstellung gehabt hat, dass der Staatalles machen kann oder sollte. Und ich denke, es wäreauch in diesem Land nicht schädlich,wenn man ein Stückweit von diesen wirklich jahrhundertealten Figuren ab-rückt,dass der Staat,ähnlich dem tatsächlichen Vater undähnlich dem Papst,ganz umfassende Möglichkeiten hat,die man ins Wunschbuch nehmen sollte. Aber als letztesmöchte ich meinen Vorschlag zeigen, wie der jetzigeStaat bebildert werden könnte: Ein bisschen überge-wichtig. Das waren einige Ideen, die ich erst mal vorne-weg stellen wollte. Was verstehen wir unter Staat? Waskann der Staat besser tun als andere,was sollte der Staatlieber nicht tun? Was machen wir als Sozialarbeiter, alsLeute,die in sozialer Arbeit,sei es ehrenamtlich oder pro-fessionell,tätig sind.Was sollen wir machen,d.h.was ma-chen wir unabhängig davon, was der Staat macht odernicht macht?

O> Man kann ja vielleicht noch einmal ein bisschenprovokativ vorgehen. Das Beispiel, das du gebracht hastin Bezug auf die DDR, lässt sich auch ein Stück weit aufden alten GWA-Ansatz in Deutschland ummünzen.Es gabmal die Randgruppen-Strategie, so hat das angefangenin Deutschland in den 70er Jahren, und das war mit denVorstellungen verbunden, dass man auf der einen SeiteGeld kriegt vom Staat, um auf der anderen Seite dieRandgruppen des Staates gegen ihn zu mobilisieren unddas Zentrum zu erobern und dann die Verhältnisse zu ver-ändern.Wenn man sich die Bewegung anguckt, war daseine Strategie, die nicht den Staat und seine Funktions-weisen ersetzen wollte, sondern die auf Eroberung vonApparaten oder Teilstücken des Staates ausgerichtet war.Die sollten nur von anderen Leuten kontrolliert werdenals von denen, die jetzt den Staat in der Hand haben.

Kramer: Worauf ich hinauswollte ist zu zeigen,dass die-se Sprachwendung vom Vater Staat nicht zufällig ist.Undwie man sieht,es gab Bestrebungen,auch in einem Land

wie den USA, den George Washington nach der gewon-nenen Revolution sozusagen zum Vater zu machen. Diekamen nicht durch, aber die Bestrebungen waren da. Ichdenke, so lange man nicht ausdrücklich solche Figurenhinterfragt,haben sie eine gewisse Wirkung.Das Problemist heutzutage, den Staat als was Wichtiges und was po-tenziell Positives zu sehen, aber nicht von vornherein,man muss kritisch damit umgehen. Das erste, was manvom Staat einfordern muss, sind nicht irgendwelchetheoretischen Sachen, sondern was er tut. Und zwar gut– zufriedenstellend. Das, was er schon längst verspro-chen hat.Statt ständig nach neuen staatlichen Einsätzenzu rufen,sollte man sagen,erst einmal muss der Staat dasordentlich machen, was er machen soll, wo wir uns einigsind.Warum macht er was Neues, wenn er nicht mal dasordentlich macht, was er längst versprochen hat? Ich binfür ein realistisches und auch leistungsbezogenes Beur-teilen vom Staat. Wenn wir dahin kämen, wäre die Dis-kussion hier in Deutschland viel weiter.Ich vergleiche dasimmer mit Amerika.In Amerika hat man einen relativ in-effizienten,schlechten Staat,das weiß jeder.Das einzige,was das ein bisschen ausgleicht, keiner erwartet mehroder allzu viel mehr.

O> Ich kann antworten, warum mir zu dem erstenStatement zunächst mal nichts eingefallen ist. Ich findedie These oder die Forderung »eher etwas weniger Staat«so allgemein gesetzt, die ist natürlich immer zu untersu-chen.Was leistet der Staat in welchem Zusammenhang,wie ist es mit Rechtssicherheit,mit Existenzsicherung? Daist ja immer wieder der Staat dazwischen.Ob diese Dingenun so eher zu erreichen sind oder ob das dem gesell-schaftlichen Geschehen zu überlassen ist. Aber die ab-strakte Aussage – etwas weniger Staat – die ist schondiskutierbar. Da kann jemand anderes sagen, ich hättegern etwas mehr Staat, da sehe ich bestimmte Vorteile.Ich denke, so kommt man da auch nicht zu einer Ausein-andersetzung. Deswegen finde ich es auch nicht überra-schend, dass niemand reagiert hat auf diese Einleitung.

O> Wir sollten darüber sprechen, was hat das für eineBedeutung – Vater Staat oder Onkel Sam.Deutschland istein Obrigkeitsstaat, also ein Staat, der für alles zu sorgenhat in der Geschichte. In Amerika ist es theoretisch eherso,dass der Staat auf Bedarf interveniert.Die Wirklichkeitsieht vielleicht noch etwas anders aus.

O< Bei weniger Staat ist mir als erstes eingefallen:wie-so eigentlich weniger Staat, was wollen wir denn vomStaat? Wir wollen Geld und Unterstützung vom Staat,warum sollten wir davon weniger wollen? Ganz imGegenteil, wir wollen vielleicht höchstens, dass dieseUnterstützung effektiver ist, auch zielgerichteter, positi-ver ist. Es stimmt, dass solange man dieses umsorgendeund autoritäre Vaterbild hat,da auch Negatives und nochwas anderes mit drin ist. Aber wenn man sich vorstellt,dass in diesem Wort »Staat« allein schon immer etwasVäterliches drin ist, dann ist das auch nicht nur dasAutoritäre,sondern so eine Wunschvorstellung,finde ich.Die Wunschvorstellung, dass es eben auch bessere Vätergibt, dass es welche sind, die auch unterstützen und dieauch fragen: wie habt ihr euch das denn vorgestellt, fin-de ich ganz prima, das könnt ihr jetzt ausprobieren undda unterstütze ich euch auch.

O< Was mir durch den Kopf ging,war ein Gespräch,wasich belauscht habe unter Jugendlichen.Der eine sagte,dubist ja jetzt nächstes Jahr fertig, hast mittlere Reife, wasmachst du dann? Ja, ich suche mir eine Lehrstelle alsKoch. Und was machst du? Im Jahr darauf werde ich 18und da muss ich zur Bundeswehr. Dann kriegst du dochgar kein Geld,was machst du in dem Jahr? Ja,da kann derStaat doch was für mich tun. Da war ich wirklich sprach-los.Also die Vorstellung von Jugendlichen,sie haben dochschon was getan,also lehne ich mich jetzt zurück und einStaat oder so ein Vater, also jetzt mach mal was für mich.Sie denken,der Staat muss immer was für sie tun.Und siesind nicht bereit, selber auch mal eine Initiative zu ma-chen.

O< Was Sie gesagt haben, bestätigt mir eigentlich nurdas Vater-Kind-Bild.Ich habe das Problem unseres Staats-bildes nie ganz so gesehen.Denn wir haben nie einen an-deren Staat als den Vater Staat gehabt. Vom römischenReich deutscher Nation bis über die Fürstentümer und diedeutschen Kaiser haben wir eigentlich immer einen Vatergehabt. Deswegen ist es für mich persönlich überhauptgar keine Alternative zu sagen, Vater Staat oder OnkelSam. Sondern es geht darum, diesen Vater Staat zu defi-nieren, um dann zu überlegen, was kann ich aus diesemVater Staat machen,ich kann ihn nicht ummodellieren ineinen Onkel Sam,sondern was kann ich daraus als Bürgermachen.

O> Die soziale Bewegung, die aus den 68ern hervor-gegangen ist, hat gesagt, wir wollen keinen Obrigkeits-staat.Weg von diesem Staat.

O< Dann müssen Sie eine Revolution machen.

Vorredner: Beispielsweise. Was ´68 stattgefunden hat,das hat auch in Amerika stattgefunden. Nur das, was anVater Staat über die Jahrhunderte wirklich da war, dassollte weg.Es sollte etwas von den Menschen sein,es soll-te nicht der Apparat für die Menschen sein,der auch nochden Menschen sagt, ihr habt das und das zu tun,sonderndie Menschen sollten sagen, der Apparat hat für uns zuarbeiten. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied.Hier in Europa ist es Tradition, dass der Staat den Leutensagt,was sie zu tun haben auf der einen Seite und auf deranderen Seite die Leute gleichzeitig versorgt. Und dieLeute warten darauf,dass sie versorgt werden.Ja, ich ha-be das gleiche Beispiel gehört von einem DDR-Jugendli-chen,der keine Ausbildung hatte.Der sagte zu einem an-deren:Ich habe drei Bewerbungen geschrieben, jetzt ha-be ich keinen Bock mehr, der Staat soll jetzt für mich wasmachen.

O> Es stimmt,dass Deutschland immer ein Obrigkeits-staat gewesen ist, dass es dieses Vater-Staat-Bild, diesesVater-Kind-Bild gegeben hat. Ich glaube aber, dass wirleicht vergessen, dass es auch in Deutschland eineTradition gegeben hat,wo es nicht so gewesen ist.Als diebürgerliche Reform angefangen hat, durchaus mit einerForm von Selbstverwaltung. Ich komme nicht aus demsozialen Bereich, sondern aus dem Kulturbereich. Dortnimmt man selbstverständlich an, dass ein Großteil derKultureinrichtungen, die wir als staatliche, kommunaleoder landeseigene betreiben, dass das Einrichtungen in

70 Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

Staatshand seien. Das ist nicht so. Gucken wir bei denBibliotheken.Es gab immer einerseits den Streit der fürst-lichen Einrichtungen,die kommunalen Bibliotheken wa-ren ursprünglich Einrichtungen,die das Bürgertum selbstgeschaffen hat. Auch die Hälfte der Theater in derBundesrepublik sind Gründungen des Bürgertums ge-wesen. Museen, Kunstvereine, alles selbst organisiert im18. und 19. Jahrhundert durch das Bürgertum, und erstEnde des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts fand ein Pro-zess der Rekommunalisierung statt. Im Kulturbereichkann man das sehr gut nachweisen. Das kann man auchnoch ergänzen:Auch ein Teil der Volksbildung,wie wir sieheute wahrnehmen, ist aus der Arbeiterbewegung ent-standen, ein Teil der Bibliotheken, Volkshäuser, Kultur-häuser etc. Da sind Einrichtungen, die aus der genossen-schaftlichen Bewegung entstanden sind. Im Gemeinwe-sen oder in der Sozialarbeit gab es am Anfang auchUrsprünge davon, die selbstverwaltet gewesen sind, dieim karitativen Bereich entstanden sind und dann hat eine Verstaatlichung stattgefunden. Ich will überhauptnicht den Unterschied leugnen zu der Entstehung inAmerika. Dass alles verstaatlicht ist in Deutschland undimmer staatlich gewesen ist – das würde ich erst einmalinfrage stellen.Und dann gab es einen starken Impuls ausdem sozialen Bereich,vor allem auch aus dem kulturellenBereich – eine Entstaatlichung oder eine Selbsttätigkeit,die teilweise um sich gegriffen hat,wie auch Impulse desvergangenen Jahrhunderts, wie aus der Arbeiterbewe-gung und dem bürgerschaftlichen Engagement. Der

ganze Bereich sozial-kultureller Arbeit ist entstanden alseine Selbsttätigkeit von Menschen, die nicht in Institu-tionen gearbeitet haben.

O> Wenn man fragt, mehr oder weniger Staat, dannsollte man zwei Bereiche trennen: Staat einerseits alsSteuerung, als Verwaltung, die sagt, wo es lang geht, an-dererseits als Instanz der Versorgung, der Verteilung vonMitteln.Hier wird es für die sozial-kulturelle Arbeit inter-essant.Ich sehe hier,dass bürgerschaftliches Engagementsehr kontrovers diskutiert wird, oder auch Selbsthilfe.Immer wenn die Verwaltung Selbsthilfe gefördert hat,hat sie damit nur Selbstversorgung und das Abwälzen ih-rer Aufgaben auf Leute bezweckt. Sie sollen sich selbstversorgen.Sie sollen die Gelder nicht mehr benutzen,diein der Staatskasse sind.

O> Der Staat war von seiner Idee her gedacht als der

moderne Staat,als ein Organisationskonzept,was das all-gemeine Interesse vertritt jenseits der Gruppeninteres-sen. Real haben sich aber immer partikulare Interessenauch über den Staat durchgesetzt.Es war keineswegs so,dass der Staat im 18.,19.,20.Jahrhundert nur fürsorglichwar. Das ganze industrielle Elend, Kinderarmut, Kinder-arbeit, ist ja eher auf industriellen Druck mit staatlichenMitteln reguliert worden. Auch die Institutionalisierungder Sozialpolitik,die noch eine Abstrahlung hat bis in dieheutigen Strukturen, war ja eher eine Reaktion, diesesInstrument Staat zur Lösung von gesellschaftlichen Kon-flikten und Problemen zu benutzen.Diese Fürsorglichkeitist eigentlich eher eine Erwartung an den Staat. Heutehaben wir eher das Phänomen, dass einige Staatsleis-tungen weitgehend nur noch Umverteilungen sind, weilsich die großen Einkommen aus der Beteiligung an denallgemeinen Kosten herausgezogen haben. Die Unter-nehmer kriegen heute mehr Subventionen als sie demStaatshaushalt Steuern erbringen. Und wenn heute dieDiskussion aufkommt,staatliche Regulierung abzuschaf-fen – so wie die Rahmenbedingungen sind, führt jederAbbau staatlicher Leistungen dazu, sich individuellesLeben als Rennbahn zu denken oder sich selbst als Figurauf dieser Rennbahn. Ich denke, es gibt keine Entstaatli-chung in der jetzigen Situation, die nicht zu einer Ver-schlechterung der sozialen Situation führt.

Kramer: Was mir als Sozialhistoriker auffällt ist,wie wan-delbar die Staatswirklichkeit oder auch die Begrifflichkeit

ist.Was die wenigsten wissen:Wie in Amerika war auchin Deutschland die soziale Entwicklung bestimmt vonprivaten Wohltätigkeitsstiftungen, und zwar bis 1923.Und was diese Breite von nichtstaatlichem sozialenEngagement vernichtet hat auf unterschiedlichen Gebie-ten wie Kultur, aber auch Sozialarbeit, das war die großeInflation, d.h. die Tatsache, dass das Geld einfach nichtsmehr wert war.Sämtliche Stiftungen waren plötzlich aufNull gefahren. Da hat, vielleicht notgedrungen in dieserSituation, der Staat weite Bereiche übernommen. DerStaat ist wirklich eine relativ komplizierte Einrichtung.Und er wandelt sich.Aber was mich interessiert, ist nichtder Staat und was er macht.Mich interessiert,was habenwir für Bilder in uns drin, sind die produktiv, bringen sieuns weiter oder verhindern sie, dass wir weiterkommen.Ich behaupte,dass dieses Bild vom Staat als Vater unpro-duktiv ist, weil nicht einlösbar und, im schlimmsten Fall,bedrohlich.Das ist meine Idee und wir können uns davon

frei machen. Darüber kann man lange diskutieren, waserwarten wir vom Staat, was kann er gut machen, waskann er schlecht machen.Was Sie sagen, dass der Staatzuständig ist für langfristige Grundsicherung – bis vorkurzem hätte ich dem unumwunden zugestimmt. Nunaber sage ich etwas, was vielleicht die letzten hier er-schreckt: wir werden erleben, dass gerade die Grundsi-cherung dabei ist,maßlos in den Sand gesetzt zu werdenvom Staat.Warten Sie mal ab,was von der Politik kommt.Wir sind nicht auch nur annähernd am Ende, das ist nurder Anfang von dem sukzessiven Sichtbarwerden einesstaatlichen Versagens riesigen Ausmaßes.Wollen Sie mirsagen, dass man nicht die Geburtenrate seit 30 Jahrenkennt? Gibt es irgendetwas in der Rentenpolitik,was neuist? Ich möchte, dass jemand mir sagt, was neu ist, war-um plötzlich diese Hektik. Deswegen sage ich, bis vorkurzem hätte ich gesagt, ja, das muss so sein, heute sageich es anders.

O< In meiner sozialen Arbeit habe ich in den letzten 30Jahren festgestellt, dass in den Köpfen der Leute, mit de-nen ich zu tun habe, sowohl bei den Jungen als auch beiden Alten, das Bild nicht nur vom Vater Staat herrscht,sondern vom Versorgungsstaat. Der Vater als der Versor-ger, als der Behüter. Ich denke, da gibt es zwei Faktoren,die diesen Gedanken auflösen werden. Auf der einenSeite sind für mich die industriellen Multis ein sehr ne-gativer Faktor, weil sie den Staat überhaupt schon daranhindern, politisch so tätig zu werden, wie er das alsVersorgungsstaat möchte. Und auf der anderen Seite istes aber auch der innere Widerstand der Bürger, z.B. derKinder oder der Jugendlichen,mit denen ich zu tun habe,die nämlich vom Staat nichts mehr wissen wollen. Daszählt für mich zunächst mal zu den undefinierten nega-tiven Faktoren. Aber es kommt auch noch ein andererFaktor dazu, den ich für sehr positiv halte, nämlich alsBürgerinitiative nicht sofort vom Staat etwas zu fordern,sondern zunächst einmal in der Gesellschaft etwas zumachen. Und das hat mir sehr gut gefallen, was Sie ge-sagt haben heute Morgen, dass man nicht grundsätzlichdavon ausgehen sollte, wir brauchen die Gelder, dieFinanzen, die Ressourcen vom Staat, um was zu machen.Sondern umgekehrt, wenn wir in unserer Gesellschaftwas verändern wollen, dann müssen wir erst mal tätigwerden, auch ohne Geld, und wir werden das Geld dannschon kriegen.Wir haben es bekommen – seit 30 Jahrenvon den Bürgern.Die wissen,dass wir was machen,als wirden Bedarf erst mal entdeckt hatten, der in der Gesell-schaft da war, den man vorher nicht gesehen hat, denauch der Staat nicht gesehen hat.Wir haben versucht,mitBürgern diesen Bedarf zu decken mit den primitivstenMitteln.Und als diese Tatsache wirklich mal nachweisbarwar,haben wir uns um Fördermittel auch nicht mehr sor-gen müssen. Ich habe z.B. im Sozialhilfeausschuss nochnie einen Antrag auf eine Förderung gestellt, der nichtgenehmigt wurde,und zwar deshalb,weil die Vorleistun-gen der Bürger so massiv waren, dass die Behörde über-haupt nicht mehr anders konnte als zu sagen,ja,da ist einBedarf, den müssen wir fördern. Und das ist genau derumgekehrte Vorgang wie der Anspruch an den Staat,ver-sorge mich mal.

O< Ich knüpfe da gleich an den Aspekt an, dass Vor-leistungen erbracht werden. Dann ist der Bedarf und die

71Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

erbrachte Leistung so deutlich,dass der Staat sagt,ja,dassollten wir unterstützen. Ich sehe das als einen dynami-schen Prozess.Wie so eine Art Wellenbewegung und daskann man auch verfolgen. Es gab immer Initiativen undBürgerbewegungen und z.B.auch die Systeme der sozia-len Sicherung, da hat der Staat reagiert auf etwas, waspassiert ist in der Gesellschaft, in Form von Arbeiterbe-wegung oder Protesten oder sozialem Engagement, woder Staat aus Gründen der Selbsterhaltung darauf rea-giert hat. Das Bild »Vater« muss nicht unbedingt etwasBevormundendes haben, wenn es gut verstanden ist.Und wenn es auch vom Staat und von den Bürgern ver-nünftig verstanden wird, kann der Vater auch für einengewissen Ausgleich sorgen zwischen stärkeren undschwächeren Familienmitgliedern.Ich weiß also nicht sogenau, was daran so negativ sein soll.

O< Wir sollten die Diskussion anhand konkreter Berei-che führen, sonst sagen die einen, der Staat ist doch gut,wenn er das richtig macht. Die anderen sagen, er machtviel zu viel, Bevormundung und Entmündigung. Dannmüssen wir wirklich konkret sagen, aus welchen Berei-chen sollte der Staat sich tunlichst zurückziehen oder we-niger machen und wo hat er seine Kernaufgaben.Wo soll-te er sich denn zurückziehen? Soll er die Schulpflicht ab-schaffen? Soll er den Beamtenstatus abschaffen? Soll ersich aus den sozialen Sicherungssystemen zurückziehen?Also, wo sind die Bereiche, über die wir diskutieren wol-len und wo wir sagen, da ist zuviel, da ist zu wenig?

O< Wir müssen vielleicht erst mal klären, was ist ei-gentlich Staat und wie kommt Staat zustande.Hier sitzenMenschen im Raum, die haben unterschiedliche Staats-formen und Staatssysteme erlebt und ganz unterschied-liche Eindrücke. Ich bin ein Kind der DDR, habe bestimmtandere Vorstellungen von Staat,die mich geprägt haben,und andere Vorstellungen von der 68er Bewegung undvon der Obrigkeit im Westen.Aber ich bin schon sehr lan-ge im Westen. Das zweite ist die Frage, die für mich ganzwichtig ist:Für welche Werte steht der Staat? Daraus ab-geleitet, welche Aufgaben soll er haben, muss er habenim Sinne eines Regulationssystems? Welche Gemein-schaften haben wir, welche sollen da noch rein, welchesollen darauf Einfluss nehmen? Ich finde historisch zudiskutieren hervorragend, aber die Aufgabe ist dannauch, beim Jetzt und Heute anzukommen. Ich finde esschon interessant, uns mit Amerika zu vergleichen. Aberdas ist im Grunde genommen auch ein Stückchen aufok-troyiert.Wir in Deutschland haben die Jeans angezogenals schicke Arbeitsklamotten, wir trinken Coca-Cola, wirmachen alles amerikanisch,wir sind da immer sehr offen.Es gibt aber sicher europäische Beispiele, die uns nähersind, wo man auch hingucken müsste. Wie wird das innordischen Ländern geregelt? Wie wird das in den neuenöstlichen Staaten geregelt? Onkel Sam hat eben nur eine200-jährige Geschichte, Europa hat eine viel längereGeschichte, England ist sehr interessant. Mein Vorschlagwäre also,etwas konkreter auch andere Regionen mitzu-betrachten.

O> Die Frage wäre für mich jetzt noch, wenn nicht derStaat soziale Aufgaben übernimmt, wer dann?

O> Sie haben vorhin Karl Marx zitiert.Was wollte man

vom Staat? Er sollte sich überflüssig machen, sollte ten-denziell abgeschafft werden. Und bevor er abgeschafftwird, wird er noch einmal gestärkt. Ich finde, das klingtaußerordentlich kurios und genau das ist die DDR gewe-sen,ein absolutes Kuriosum,das sich auf den Staat fixierthat. Gut, ich will mich nicht auf die DDR konzentrieren.Aber es geht doch darum, dass dieser Übervater erst malverschwindet. Und deshalb auch dieser Verweis auf dieUSA, von denen ich eigentlich denke, dass da so einigesschief läuft. Aber das Gedankenkonstrukt im Kopf derMenschen,dass man sagt,es gibt immer den Vater Staat,an den ich mich wenden kann, das ist das, was dieLähmung hervorbringt, was die Passivität der einzelnenMenschen produziert. Das läuft in Amerika anders, derGrad der Selbstbestimmung, der Grad der Selbstorgani-sierung ist dort wahrscheinlich größer.Wenn auch auf deranderen Seite gerade die soziale Unsicherheit da drübensehr groß ist.

O< Eine Besonderheit beim DDR-Staat war, dass er dieIdee hatte, die Menschen nach einem Ideal zu erziehen.Und da ist meine Frage, darf ein Staat das tun? Das istManipulation und das ist Vergewaltigung meiner indivi-duellen Potenzen.

O> Ich bin ein Kind des westdeutschen Sozialstaates,bin in ihm geboren, in ihm groß geworden. Mir ist amAnfang überhaupt nicht die Idee gekommen,dass ich fürmich selbst verantwortlich bin,sondern ich habe das völ-lig selbstverständlich gesehen, dass es bestimmte Berei-che gibt, wo der Staat die Verantwortung hat, für seineBürger zu sorgen. Ich habe mir auch gar nicht so Sorgengemacht, dass die Ressourcen nicht reichen könnten. Ichhabe gedacht,der Staat hat ja genug Ressourcen,da läuftdas. Ich bin dann in der Auseinandersetzung mit derWirklichkeit darauf gestoßen – je mehr Menschen manversorgen muss und je weitgehender man sie versorgt,um so größere Apparate braucht man. Man muss das jaalles verwalten, das soll ja gerecht sein, soll funktionie-ren. Und das Problem ist, dass man dabei an bürokrati-sche Grenzen stößt.D.h.mit dieser Anspruchshaltung aufeine weitgehende Versorgung stößt man sehr schnelldarauf, dass der Staat das nicht leisten kann, weil er es inder konkreten Steuerung nicht hinkriegt, und weil sichdie Dinge in das Gegenteil dessen verwandeln,was sie er-reichen wollen. Die Dinge werden nämlich immer nurnach der Seite der Notwendigkeit durchkonstruiert. Unddas Ergebnis ist, dass dann die Versorgung in einem ho-hen Maß zu Inflexibilität führt.

O< Was erwarte ich vom Staat, will ich, dass der StaatSchulen schafft oder will ich Privatschulen? Wir haben ei-nen Wandel in Deutschland zu verzeichnen, wo es mehrPrivatschulen gibt. Will ich Kindergärten, die staatlichsind,oder will ich die privat organisiert haben? Will ich dieAlten versorgt wissen und in welchen Versorgungsstruk-turen will ich sie haben? Also da, wo es wirklich jedentrifft. Und was steckt dahinter? Ich will nicht für meinKind ein Kindermädchen, nur weil ich ein bisschen mehrGeld verdiene,sondern da steckt eine Idee dahinter.Auchwenn ich selbst bezahle, will ich, dass Kinder in einerGemeinschaft aufwachsen, und davon habe ich be-stimmte Vorstellungen. Die Frage ist, muss der Staat da-hinter stehen, der das alles straff organisiert und mit ei-

ner Staatsideologie wie im Osten? Oder will ich da eineVielfalt, weil ich weiß, die Menschen haben unterschied-liche Ideen,die Kinder haben unterschiedliche Begabun-gen, das möchte ich in einer Vielfalt gefördert wissen.Und daran müssen sich viele Menschen beteiligen. Unddas muss in meinen Augen z.B. nicht der Staat tun, erkann es tun, er kann es auch ganz gut in manchen Berei-chen tun, aber das Geld von uns allen, das er verwaltet,soll er wieder zurückführen an die,die es machen wollenund die es genauso gut machen wollen.

O> Diese Polarisierung, die Sie da reingebracht habenam Beispiel von Kindergärten, würde ich gar nicht so se-hen. Ich würde sagen, der Staat, in dem Fall die kommu-nale Verwaltung oder Landesgesetze, sind dafür verant-wortlich, dass jeder sein Recht auf einen Kindergarten-platz wahrnehmen kann.Und in dem Maße,wie das nichtgewährleistet wird durch freie Träger, durch andere, damuss der Staat dann auch Vorsorge leisten und ein An-gebot schaffen. Ich hätte da ein Problem, nur staatlicheKindergärten oder nur konfessionelle oder nur freieTräger. Der Mix macht ja für mich als Bürger die Wahl-möglichkeit aus, dass ich mich entscheiden kann zwi-schen einem traditionellen oder freien Träger. Nur wenndie Angebote von der Gesellschaft nicht vorhanden sind,dann muss der Staat dafür einstehen, dann muss er er-möglichen,dass sich solche gesellschaftlichen Initiativenentwickeln können und muss diese dann auch vielleichtfinanziell unterstützen.

Kramer: Aus meiner Sicht ist das wirklich ein Problemmit dieser Figur vom Vater Staat. Denn der Vater setztnatürlich Kinder voraus.D.h.dadurch,dass ich auch an ei-nen guten Vater diese Erwartungshaltung habe, ent-machte ich mich selbst ein Stück weit. Wir reden jetztnicht vom schlechten Vater. Ich glaube, dass dieses Bildvon der Gesellschaft als einer irgendwie gearteten Fami-lie überhaupt nicht zeitgemäß ist,sogar schädlich ist.Undwenn ich frage, was sollte der Staat nicht tun? Was ernicht tun sollte,ist sich aufspielen als die letzte Instanz fürSinngebung, wo die Sinngebung aus Religion oder son-stigen Traditionen oder Zusammenhängen zusammen-bricht, das ist nämlich hoch gefährlich. Es gibt eine ge-wisse Sehnsucht nach Ordnung und geklärten Verhält-nissen, die Menschen sagen, ich erkenne diese Gesell-schaft nicht mehr,was ist hier los,irgendwer muss hier fürOrdnung sorgen.

O> In Berlin sind 70% der Kindergärten staatlich.Jetzthaben wir eine Situation, dass die Eltern mehr privateKindergärten wollen. Wir haben die Situation, dass inBerlin 2.000 Plätze für private Kindergärten nachgefragtwerden. Und jetzt sagt der Staat: gibt es nicht. Gebt dieKinder in staatliche Kindergärten, wir halten das vor, wirlösen die staatlichen Kindergärten nicht auf.Diese Appa-rate haben eine eigene Logik, die sich verselbständigt.

O> Nochmal zurück zum Versorgungsstaat.Was da ge-sagt wurde, hat mich am meisten geärgert. Ich bin inWestdeutschland aufgewachsen. Und wir haben keinenVersorgungsstaat. Ich bin aufgewachsen, habe meineAusbildung beendet und bin nicht davon ausgegangen,dass der Staat für mich sorgt.Du musst schon aus reichemElternhaus kommen, wenn du so redest.

72 Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

Gegenrede: Ich komme aus einem armen Elternhaus.

Vorredner: Ich bin aus einem Elternhaus gekommen,woich mir gesagt habe, mein Gott, wenn ich keine Ausbil-dung bekomme oder irgendeine Möglichkeit,dann müs-sen meine Eltern für mich aufkommen.Weil, Sozialhilfe-Ansprüche hatte ich auch nicht. Das ist völlig anders. Inder DDR gab es einen fließenden Übergang von der Fa-milie in Ausbildung und in Arbeit. Das war eine Art vonVersorgungsstaat, den es im Westen so nicht gegebenhat.Das ist ein ganz gravierender Unterschied.Man mussauch sagen, der Sozialhilfe-Anspruch ist ein Anspruch,das ist keine Leistung, die automatisch in Kraft tritt, manmuss hingehen zum Amt. Auch für Arbeitslosenhilfe, fürArbeitslosengeld. Man muss seinen Anspruch selber be-antragen.Man muss selber aktiv werden.

O> Das ist doch auch der Grund, warum es bei uns inDeutschland Armut gibt,weil die Leute nicht zu den Äm-tern gehen. Das ist die so genannte verschämte Armut.Und darüber redet keiner.

Gegenrede: Aber es ist doch ein Problem in der Gesell-schaft. Da gibt es Familien, die haben eine Schwelle zuüberwinden,die offensichtlich viele Leute nicht mehr se-hen.

O< Wir haben sehr wohl einen Versorgungsstaat. Ichkenne eine ganze Menge Leute,die sich auf diese Versor-gung spezialisiert haben. Und je mehr ich für die allein-erziehenden Frauen arbeite,desto tiefer gucke ich auch inihre Verhältnisse rein.Gerade bei Alleinerziehenden wirddie Sozialhilfe gründlich ausgenutzt. Und dieses Versor-gungsdenken! Die werden dann vom Sozialamt nach dreiJahren Kindererziehungszeit aufgefordert, sich eine Ar-beit zu suchen, was da alles für Argumente gefundenwerden, diese Arbeit nicht annehmen zu müssen, das istfür mich, so leid mir auch die Frau im Einzelfall tut, imGrunde ein Skandal.

O< Bei einer Frau, die Kinder alleine erzieht, wo derMann sich verabschiedet hat, oder die Frau sagt, das passt mir nicht mehr, ich will nicht mehr, da entsteht eine Lücke. Und da tritt an dieser Stelle z.T. heute derStaat ein.

O> In Berlin-Neukölln z.B. – und ich weiß das vonKollegen,die dort Lehrer sind – wenn die in ihren Klassendie 14-, 15-, 16-Jährigen nach ihrem Berufswunsch fra-gen, dann sagen die: Sozialhilfeempfänger. Weil dieFamilie in der dritten Generation Sozialhilfeempfängerist. Und die haben überhaupt kein Problem, zum Amt zugehen und ihren Anspruch geltend zu machen.

O< Aber woran liegt das denn? Das ist mir zu ober-flächlich.Als ich die Schule abgeschlossen habe,da warenArbeitsplätze und Ausbildungsplätze da, und da mussteman hin.Fertig.Die Frage tauchte gar nicht auf,dass maneventuell auch gar nichts tun könnte.Auch wenn das we-der von der Schule noch vom Staat vorgeschrieben war.

O< Der Staat im Osten hat anders gesteuert als derStaat im Westen.Die Schwerpunkte,die hier gesetzt sind,sind andere als im Osten.Und die wirtschaftlichen Bedin-

gungen im Osten waren andere als im Westen.Das mussman erst mal feststellen.Das Geld hast du auch nicht vonaußen gekriegt, sondern von dem, was aus dem Landkam.Und dann legt der Staat fest, worauf kommt es ihman,was will er finanzieren.Und dann frage ich immer,waskönnen wir davon beeinflussen? Also,das Kita-Gesetz istja ganz was Neues,dass die 3-6-Jährigen einen Anspruchauf einen Platz haben. Der Staat könnte aber auch über-morgen wieder sagen, die Frauen sind ja sowieso zuHause, und das Kita-Gesetz setzen wir mal aufgrund derwirtschaftlichen Situation aus.Da geht es auch um Werteund da nimmt der Staat Einfluss mit dem, was er macht.

Kramer: Darf man das alles wirklich für bare Münze neh-men, was behauptet wird über irgendwelche staatlicheTätigkeit? Auch die extrem lange Studienzeit in Deutsch-land, und das ist keine ideologische Aussage, das ist einematerielle Aussage: wer bis zum 30. Lebensjahr in derSchule hockt, ist weitestgehend berufsunfähig.

O< Das ist aber eine ideologische Aussage.Hier sitzt einHaufen Leute im Raum, die einen zweiten Bildungsweghinter sich haben. Die erst berufstätig waren und dann eine Ausbildung gemacht haben.

Kramer: Das ist was ganz anderes als diese ziellose,schlecht organisierte Herumstudiererei, die nur deshalbgeduldet wird, um die Leute vom Arbeitsmarkt fernzu-halten. Das Studium wird immer verkauft als eine Quali-fizierungsmaßnahme, dabei ist es genau das Gegenteil,und dazu noch sehr teuer. Ich meine, man muss immerzumindest nachfragen,was hier tatsächlich gespielt wird.Ich bin wirklich in keinster Weise gegen sozial subventio-nierte Hochschulbildung.Ich habe selbst davon profitiert,meine Frau auch, wir hätten nicht studieren können oh-ne Stipendien. Nur, die kostenlosen Studienplätze sindeine massive Umverteilung von unten, wo die Steuernbezahlt werden, nach oben, wo die Kinder studieren.Dasist wahrscheinlich die größte Umverteilung in den letz-ten 20 Jahren in Deutschland gewesen.Und dass die blö-den Sozialdemokraten nicht dahinter kommen,wundertmich sehr.

O> Diese Umverteilung von unten nach oben ist abereine,von der auch die da unten profitieren,weil die durchdie kostenlosen Studienplätze einen Zugang zu Einrich-tungen bekommen haben, von denen sie bis Anfang der70er Jahre faktisch ausgeschlossen waren.Also von daherist das Argument der Umverteilung vielleicht mit Vorsichtzu genießen.

O> Ich hätte aufgrund meiner familiären Verhältnissenicht studieren können, weil das System für mich ver-schlossen gewesen wäre, also ich bin über den zweitenBildungsweg gekommen und diese Mechanismen undBafög haben mir das Studium ermöglicht.Nur,das Öffnender Universitäten mit diesen Instrumenten hat trotzdemnicht unbedingt zu verbesserten Chancen von Menschenaus den unteren Schichten geführt.Es gibt Querschnitts-untersuchungen, die zeigen, dass nur 15-20% der Stu-denten in den Sozialwissenschaften aus den arbeitendenBevölkerungsschichten kommen.

O> Vor 1970 waren es nur 3 oder 5% bei einem Bevöl-

kerungsanteil mit niedrigem Einkommen von 40-45%.

Vorredner: Und deshalb gebe ich Ihnen ja Recht.Das isteine Verbesserung, aber sie hat das Problem nicht besei-tigt. Die gesellschaftliche Ungleichheit ist damit nichtaufgehoben worden.Das Ziel,Universität zu öffnen für in-telligente Leute aus ärmeren Bevölkerungsschichten, sieloszukoppeln vom sozialen Schicksal,halte ich für richtig.Ich glaube nur, dass man dieses Ziel mit anderen Mecha-nismen auch erreichen kann und dazu nicht alles kosten-los anbieten muss.

Kramer: Die Lösung ist ganz einfach.Mit der Bewerbungzur Universität, wenn man unter 25 ist, gilt die Steuerer-klärung der Eltern,ist man über 25,gilt die eigene Steuer-erklärung. Stehen unten über 150.000 DM, dann zahltman volle Studiengebühren in Richtung 5.000 DM. Ste-hen zwischen 80.000 und 150.000 da drauf, geht es auf1.500 DM. Und steht weniger als 80.000 DM drauf, gehtes auf Null und die Universitäten finanzieren das. Dannhat man alle Vorteile des alten Systems, man hat auchkeinen großen bürokratischen Aufwand,denn die Finanz-ämter haben sich schon einige Mühe gemacht, um dieLeute zu erfassen. Und das Ganze liefe dann sehr sozial.Bloß es wird nicht kommen.Aber das wäre die Lösung.

O> Aber das würde voraussetzen,dass der Staat ein sol-ches Gesetz erlässt.

Kramer: Ja. Deswegen sage ich, der Staat ist der Aus-gangspunkt.Das wäre schöpferisch.

O< Ich finde das völlig o.k.,was Herr Kramer gesagt hat.Ich glaube nur,dass das Problem,warum die Leute immerlänger studieren,damit nicht gelöst ist.Vielleicht sind sieschneller von der Uni runter, aber diese langen Studien-zeiten haben sich ja daraus ergeben, dass die Absolven-ten keine Arbeitsplätze mehr finden.

Zwischenrufe: Oder arbeiten müssen zwischendurch.

Vorrednerin: Und das ist natürlich auch eine Folge derDemokratisierung der Hochschulen.Je mehr Leute an dieHochschulen gedrängt sind – ich habe auch über denzweiten Bildungsweg studiert – umso mehr sind dieStudienabschlüsse entwertet worden in puncto Arbeits-platzchancen. Früher haben eben die Kinder von Elitenstudiert und die Arbeitsplätze waren sicher.Dann hat eingrößerer Teil der Bevölkerung studiert, aber entspre-chend waren die Arbeitsplatzchancen nicht mehr da.Alsosind die Leute,wenn sie konnten,so lange wie möglich ander Uni geblieben. Also, was will man? Will man wiederzurück,die Studentenzahlen so klein wie möglich halten,damit die wieder mehr Arbeit finden?

O< Eine Möglichkeit des Staates wäre, die Universitä-ten in höherem Maße privatrechtlich zu betreiben. Daszeigen ja die privaten Universitäten,die es schon gibt,dieanders finanziert werden, dass sie z.B. auch mit verkürz-ten Zeiten so gute Ausbildungen machen, dass sie denLeuten, die dort studiert haben, auch noch Arbeitsplätzegarantieren können.

O> Mich hat eine Sache sehr alarmiert, nämlich dass

73Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

gesagt wurde, der Staat muss irgendetwas machen, weildie Leute keine Arbeitsplätze finden. Das ist ja das, wasdahinter steckt,wenn wir sagen,was machen wir mit je-mandem, der mit seiner Ausbildung fertig ist, der seineFamilie verlässt, der also für sich selbst verantwortlichwerden soll. Und jetzt klappt das nicht, weil die gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen fehlen, dann mussdoch der Staat intervenieren. Das ist ein scheinbar sehrvernünftiges Argument. Ich habe mir in den letztenJahren sehr genau angeguckt, was die verschiedenenStaaten unternommen haben und welches Dilemma siehaben. Die sind ja alle reingeraten. Auch die USA hattenihr Problem. Sie hatten 1990 7% Arbeitslose. Ich kannIhnen sagen, da ist bei den Arbeitslosen in Amerika ab-soluter Alarm,weil die staatlichen Versicherungssystemeeben nicht in dem Maße da sind.Und das heißt,Armut istsofort massiv sichtbar.Alle wussten,wir sind in einer tie-fen gesellschaftlichen Krise,es muss etwas passieren.Wirhaben es in England, in Holland, in den skandinavischenLändern gehabt. Alle diese Staaten haben die Staatsan-teile runtergefahren, sie haben bestimmte Bereiche ent-staatlicht und zurückgegeben an die Gesellschaft. InAmerika hat man sich teilweise aus bestimmten Sozial-programmen zurückgezogen. In England ist es teilweiseim Versicherungsbereich gelaufen, in Dänemark ist derKündigungsschutz im Prinzip außer Kraft gesetzt wor-den, in den Niederlanden hat man ein Mischsystem ausgarantierter Sozialhilfe und Arbeitspflicht eingeführt.Man hat mit unterschiedlichen Systemen gearbeitet,aberder Staat hat sich in seinem Anteil an der Ökonomie zu-rückgezogen. Und interessanterweise haben die Länder,die das getan haben, die Arbeitslosigkeit runtergekriegt.Und nicht die Länder, die immer weiter staatliche Hilfenreingegeben haben. Und das hat mich sehr misstrauischgemacht, wenn die Fragestellung nur eine Lösung zu-lässt, diese Lösung aber das Problem neu produziert.

O> Ich habe Bedenken bei dieser Problembeschrei-bung. Nicht, dass ich dagegen wäre zu sagen, der Staatmuss sich aus mehr gesellschaftlichen Bereichen zurück-ziehen bzw.sie an die Gesellschaft zurückgeben.Nur,wasbei mir ankam, als wäre das Dilemma die ewige Schuldder Einzelnen und man muss nur das Elend erhöhen, da-mit die Gesellschaft dann wieder funktioniert.Sie habengesagt,der Staat hat sich zurückgezogen aus bestimmtenFormen von sozialer Sicherung.Bei uns geht es denen ei-gentlich noch zu gut, die müssen erfahren, wie schlimmdas Elend ist, damit die Gesellschaft endlich anfängt zuarbeiten.Vielleicht kann man bei der positiven Förderungvon Beschäftigungsalternativen anfangen.Dass man ver-sucht, neue Systeme zu schaffen, wie wir das bei uns inverschiedenen Bereichen diskutieren.BürgerschaftlichesEngagement, du hast den Begriff von Bürgerarbeit ge-nannt, verschiedene Modelle, die sich gerade in den Nie-derlanden oder in den skandinavischen Ländern durch-gesetzt haben, um andere Formen von Arbeit zu unter-stützen. Wer sagt denn eigentlich, dass es nur dieErwerbsarbeit ist, die dem Menschen Sinn und Arbeitschafft?

O> Tatsächlich orientieren sich die,die das Geld haben,daran,wo die Kapitalverwertung am günstigsten ist.Undzwar ganz einfach an der Börse.Da kriegt man am meis-ten für sein Geld.

O> Nein,das ist so nicht richtig.Das ist wesentlich kom-plizierter. Ich bilde jetzt seit zehn Jahren betrieblicheSozialarbeiter aus. Und wir gehen in einem Abstand vonzwei Jahren mit denen in die Betriebe und lassen sie dortarbeiten, 70 Tage im Rahmen der Ausbildung.Von daherkenne ich eine ganze Menge Betriebe im Berliner Raum.Bei Siemens gibt es ein Industriemuseum, das Dynamo-Werk.Weil die Firma Siemens irgendwann einmal einengroßen Standort in Berlin hatte, und man sich verpflich-tet fühlt,eine bestimmte Menge Arbeitsplätze vorrätig zuhalten, werden seit 15 Jahren die Dynamos, die für100.000 Mark produziert werden, für 50.000 Mark ver-kauft, weil man sie sonst nicht los wird.Und das wird ge-genfinanziert, weil diese Firma über einen langen Zeit-raum sehr viel Geld gemacht hat und 700 Milliarden inden Banken hat und daraus so viel Gewinn zieht,dass siedieses Museum unterhalten kann, das Menschen in Ar-beit hält. D.h., wo Geld auftaucht oder nicht auftaucht,das folgt natürlich Kapitalverwertungsinteressen, abernicht nur. Und es gibt eine Bandbreite von Verknüpfun-gen.

Kramer: Wenn ein Mann 5 Mio.Mark hat,dann kann manan dieses Geld mit einem 40%-Steuersatz ran, weil dasgerecht wäre. Und dafür verschwindet das Geld dann,und der Ertrag für den Staat und für die Gesellschaft istNull. Oder man kann sagen, wir geben bei einer 40 oder30%-igen Steuer noch einen Nachlass für bestimmte so-ziale, kulturelle oder sonstige Zwecke, die er selbst aus-suchen kann.Und dann macht dieser Mann eine Spendeund reduziert so seinen Steuersatz, statt dass das Geldspurlos verschwindet.

O> Wir können aber nicht im Unterschied zu denVereinigten Staaten das gesamte Kultur- oder Sozialsys-tem auf Stiftungen aufbauen. Das daraus resultierendeProblem haben wir doch in Amerika gesehen,dort gibt esso gut wie kein öffentliches Museum, und dann ent-scheidet der Stifter, was angeboten wird. Ich bin unbe-dingt dafür, dass Entstaatlichung stattfindet, nur gibt esdennoch eine Art von staatlicher Verpflichtung zu kultu-reller, sozialer Grundversorgung. Die Stifter setzen sichdann natürlich da ein, wo es lukrativ ist, gerade die sozi-al-kulturelle Arbeit wird dadurch aber nicht unterstützt.Deshalb ein Plädoyer für eine staatliche Rahmengesetz-gebung zur Verbesserung des Stiftungswesens beigleichzeitiger Warnung vor der Annahme,dass damit dasProblem generell gelöst wird.

O< Ich würde gerne noch einmal auf unser sozialesProblem zurückkommen und mal erzählen, was ich er-fahren habe mit einer staatlichen Förderung – damit istja auch häufig eine Steuerung verbunden. Man machtsich abhängig. Und was ich in meiner Arbeit auch mitmeinen Kolleginnen immer wieder bespreche,wann leh-nen wir eine Förderung ab? Wenn sie bedeutet, dass wirnicht mehr frei sind. Und meine Frage wäre:Wie könntedas Problem gelöst werden,dass man die Förderung vonder Macht abkoppelt und eine Selbständigkeit der Bürgerfördert – auch mit finanzieller Förderung?

O> Jemanden fähig machen, ein produktives Leben zuleben und sich selbst zu versorgen, das ist das Ziel. Jetzthabe ich folgendes Problem:Wenn ich Hilfen austeile und

dabei nicht in irgendeiner Form Druck ausübe, dass dieLeute aus der Hilfe wieder rausgehen, dann bleiben dieLeute in den Hilfen sitzen. Die Gefahr ist zumindest da.Wir wissen das z.B. bei der Sozialhilfe. Das Geld, das voneiner ungelernten Familie mit kleinen Kindern am Ar-beitsmarkt erwirtschaftet werden kann, ist immer weni-ger als das Geld, das sie vom Staat an Hilfsleistungen be-kommt. Wenn ich solche Voraussetzungen habe, danndrohen Verstetigungen in Hilfssystemen. Das wird auchdie Wohlfahrtsfalle genannt.Das ist für mich ein riesigesProblem, wie gehe ich damit um.Wie gebe ich Hilfen so,dass sie nicht zur Falle werden,sondern die Menschen be-fähigen, selbständig zu werden? Und die andere Seite,wie organisiere ich Hilfssysteme so, dass sie nicht brutalwerden?

O> Das Verharren in Hilfesystemen ist sicher einProblem. Aber wenn man das diskutiert, ohne zu sagen,dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Bundesrepublikverringert hat, dann führt man auch eine verkürzte Dis-kussion.Wenn die Zahl der Arbeitsplätze verringert wird,erscheint das auf den ersten Blick als ein Problem vonEinzelpersonen, aber dann gibt es natürlich auch die er-höhte Arbeitslosenstatistik.Und dass man gerade zu demZeitpunkt anfängt, darüber zu reden, wer die Hilfssyste-me missbraucht,das muss hinterfragt werden.Ansonstenfinde ich das nicht solide argumentiert. Natürlich gibt esVerfestigungstendenzen und echte Armutskreisläufe,und dieser Teil der Arbeitslosen wäre fast in gleicherMenge vorhanden, wenn es mehr Arbeit gäbe. Aber dasist nicht das Hauptproblem. Ich sehe eine Gefahr darin,sich ausschließlich auf die Vermittelbarkeit der Leute zukonzentrieren, denn dadurch steigt natürlich nicht dieZahl der Arbeitsplätze.

Vorredner: Wie kann man die Leute, z.B. im Bau, unter-stützen, sich selbständig zu machen? Wie helfe ich Leu-ten, von der Sozialhilfe oder vom 3. Arbeitsmarkt in den1. Arbeitsmarkt zu kommen? Dann sind wir in einer an-deren Falle, nämlich, dass man der Illusion nachläuft, eskönnte tatsächlich noch Vollbeschäftigung geben. Alswäre es das individuelle Schicksal von Leuten, die heutenicht arbeiten.Weil die ökonomische und die technologi-sche Entwicklung,die der Produktivkräfte und die Globa-lisierung dazu geführt haben oder dazu führen werden,dass die Produktivitätssteigerung nicht mehr so vieleArbeitsplätze bringt. Das Hoffen auf den Dienstleis-tungssektor, der das auffangen soll, da zeigen die west-europäischen und auch die Untersuchungen in der Bun-desrepublik, dass das eine Illusion ist.

O> Wenn ich mir ökonomische Daten von England,Niederlande,Dänemark,USA und Bundesrepublik für dieletzten vier Jahre ansehe, dann hat nur eine einzige die-ser Gesellschaften keine Vollbeschäftigung. Das ist dieBundesrepublik. Alle anderen Gesellschaften erreichen,teilweise mit staatlichen Fördermodellen,wieder Vollbe-schäftigung.Das kann nicht sein.

Vorredner: Sie müssen sich diese Studien genauer an-sehen,was da eingeht.Unter der Kohl-Regierung gingenauch die Arbeitslosenzahlen runter. Aber das, was alsVollbeschäftigung läuft, das ist vielleicht gar keine Voll-beschäftigung mehr.Viele Frauen sind schon wieder aus

74 Staat oder nicht Staat, das ist hier die Frage

dem Arbeitsmarkt rausgegangen und werden aus denZahlen rausgerechnet.Von der ökonomischen, technolo-gischen Entwicklung her ist es zumindest sehr unwahr-scheinlich, dass wir wieder zu einer Situation kommen,wo wir 1-2% Arbeitslosigkeit haben. Und auch der Hin-weis, den Sie gegeben haben, dieser Witz aus Amerika,»na ja, in der letzten Regierung ist es wieder so hochge-gangen, so viel mehr Arbeitsplätze – kein Wunder, ichhab allein drei«, also dass man da einfach genauer hin-sieht. Die Fixierung auf Sozialhilfe, die Fixierung aufErwerbsarbeit,das ist die Crux.Der Weg zu einer traditio-nellen Erwerbsarbeits-Gesellschaft oder Vollbeschäfti-gung ist mittlerweile verschlossen. Wir müssen Ansatz-punkte finden, die Eigenarbeit und Bürgerarbeit undFormen von gesellschaftlichen Tätigkeiten,bis hin zu kul-tureller und sozialer Arbeit oder Stiftungen oder 3.Sektor,höher zu bewerten. Also eine andere Wertigkeit vonArbeit zu verankern, die eben nicht mehr nur an die Er-werbsarbeit gekoppelt ist, das halte ich für gut.

O< In Holland z.B., wo die Arbeitslosenquote ganzniedrig ist, hat sich die Lohnsumme überhaupt nicht er-höht, sondern die Arbeit und die Einkommen wurdenumverteilt. Also viel mehr Teilzeitbeschäftigungen. Wa-rum nicht, wenn entsprechend viele sich mit wenigerEinkommen zufrieden geben, kann das ein vernünftigesModell sein. Für die Bundesrepublik gilt das Gleiche. Inden letzten zehn Jahren sind 600.000 Jobs geschaffenworden, so wurde behauptet. Das Volumen an Arbeits-stunden hatte sich aber nicht erhöht, sondern auch dawaren diese 600.000 zusätzlichen Jobs darauf zurückzu-führen, dass Arbeit aufgeteilt wurde, dass ganz vieleVollzeitstellen in 30- oder 25-Stunden-Jobs umgewan-delt wurden.Wie könnte man Empowerment erreichen,damit sich Sozialhilfe und andere Leistungen nicht ver-festigen? Ich glaube,es müsste ein Mix sein aus verschie-denen Maßnahmen. Ein ganz zentrales Element wäre:Arbeitsämter, Sozialämter, müssten dazu übergehen, dieLeute zu fördern oder zu unterstützen, mit denen Per-spektiven zu erarbeiten, die eindeutig arbeiten wollen.Und das sind ganz viele, vielleicht sind das sogar 70%.Und nicht Arbeit als Bestrafung zu benutzen für diejeni-gen,von denen vermutet wird,die arbeiten offensichtlichnoch schwarz nebenher oder haben sich gut eingerichtetund haben keine Lust mehr, also werden die zur Arbeitverdonnert. Das ist aus meiner Sicht ein ganz verhäng-nisvoller Ansatz. Der andere Punkt wäre, dass viel mehrgefördert wird, was die Leute für sich selber tun. Mankann hingehen und sagen,ich möchte einen EDV-Kurs ander Volkshochschule belegen oder ich möchte die und dieQualifizierung machen,aber selbst anerkannte Bildungs-träger werden nicht ohne weiteres unterstützt. Also wä-re ein unheimlich starkes Unterstützungs-System not-wendig, wenn die Leute selber aktiv werden im BereichQualifizierung und Bildung. Ganz davon zu schweigen,dass es tatsächlich junge Frauen gibt,für die Kinder zu be-kommen inzwischen die Existenzgrundlage ist.Wenn dasErziehungsgeld ausläuft, dann sind die schwanger mitdem nächsten Kind,damit die Anschlussfinanzierung ge-sichert ist. Aber ich fände es viel besser, wenn z.B. hono-riert würde, wenn junge Menschen was für ihre Ausbil-dung tun, wenn sie einen Ausbildungsplatz finden.Auchdie Möglichkeit von Jobrotation müsste es geben,dass je-mand für gewisse Zeit seinen Arbeitsplatz verlässt und

dafür ein anderer reinkommt. Das ist für die Gesellschaftkostenneutral und hat den Vorteil,dass sich Arbeitslosig-keit nicht verfestigt. Außerdem gibt es eine unwahr-scheinliche Undurchlässigkeit zwischen den einzelnenTöpfen, die Leistungen erbringen in puncto Fördermaß-nahmen, Sozial- und Arbeitsamt.Wer einen Mix hat ausArbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, der kann nicht an einem Programm teilnehmen im Sozialamt, weil da dasArbeitsamt zuständig ist. Da ist eine totale Bürokratisie-rung.

O> Ich glaube nicht,dass nicht auch neue Arbeitsplätzeentstehen.Ich habe in den DienstleistungsgesellschaftenAmerikas, die weiter sind als wir, eine Menge von Tätig-keiten entdeckt, die bezahlt werden, die bei uns keinMensch bezahlen würde, wodurch also neue Arbeits-plätze in ganz vielen Bereichen auftauchen.

Kramer: Meine Wahrnehmung von der Bundesrepublikist, dass wirklich die Flexibilität auf fast allen Ebenenfehlt, das finde ich schädlich. Ich bin der Meinung, dasssich die Lebensentwürfe und Lebensläufe sehr flexibili-sieren werden und es wird Kombinationen geben vonPhasen, wo man 60 Stunden in der Woche arbeitet, undPhasen, wo man gar nicht arbeitet oder arbeitslos ist. Soetwas gab es vor 20 Jahren nicht – undenkbar. Dass einManager zwei Jahre lang um die Welt bummelt und dannfragt, wo finde ich wieder Anschluss. Ich sage folgendeszu den sozialen Betrieben: Es gibt zwei Dinge, die ganzernsthaft diskutiert werden müssen. Das erste ist, dasssubventionierte Arbeitsplätze grundsätzlich von euro-päischen Regelungen jetzt schon verboten sind.

Zwischenruf: Die werden gefördert,die werden von derEuropäischen Kommission gefördert.

Kramer: Sie sollten den europäischen Vertrag malgründlich durchlesen. Dass es noch nicht durchgesetztist, ist eine andere Frage – es ist aber ausdrücklich ver-boten.

O> Es ist sogar im Weißbuch erwähnt, dass dieseFormen von Unternehmen gefördert werden, und siewerden gefördert,das ist Tatsache.Und in nicht unerheb-lichem Maße entstehen da Arbeitsplätze,und zwar in ei-nem Maße,wie es der 1.und 2.Sektor,der private und deröffentliche, überhaupt nicht mehr können. Es gibt zu je-der EU-Förderung eine staatliche Kofinanzierung. Dasmuss man erwähnen.In welchem Verhältnis sie zueinan-der stehen, hängt vom jeweiligen Programm ab.

Kramer: Wir müssen uns aus meiner Sicht über eines imKlaren sein: All das, was über die reine Ehrenamtlichkeithinaus geht, und das gilt auch für Sozialbetriebe, mussbezahlt werden. Und diese Bezahlung kommt letztend-lich doch aus der gewerblichen Wirtschaft.Und das ist dasProblem.Aus meiner Sicht ist das Problem des Staates inder Bundesrepublik nicht nur, dass er ein bisschen zuvielan alten Strukturen behält.Wir haben z.B.zu viele Beam-te.Ich bin dafür, dass die lieber zu Hause bleiben und dasGeld bekommen, als dass sie die Gesellschaft behindern,denn das ist die Realität.

O> Dann schaffen wir doch den Beamtenstatus ab.

Ist doch viel einfacher.

Kramer: Ich meine das wirklich ganz ernst. Es ist eineFrage von Behinderung – das sieht man bei allen mögli-chen Sachen. Ich habe das so richtig plastisch erlebt, alsich früher in Charlottenburg lebte. So um die Wendezeitgab es am Bahnhof Charlottenburg eine ziemlich antipol-nische Stimmung,weil die polnischen Busse da früh mor-gens angefahren sind und dann sind die Leute da rum-geirrt,und wie es so ist beim Menschen,hat der eine oderandere seine menschlichen Bedürfnisse in Vorgärten,Hinterhöfen oder sonst wo befriedigt,das hat die Anwoh-ner ziemlich aufgebracht. Nun gibt es eine Pizzeria aufdem S-Bahn-Gelände. Und diese Pizzeria hat auf eigeneKosten ein behindertengerechtes Plumpsklo angeschafftund in einem Park aufgestellt. Das hat das Problem ge-löst, alle waren tief zufrieden. Nur, das Ding ist geschlos-sen worden vom Bezirksamt Charlottenburg und diePizzeria ist zu 12.000 Mark Strafe verurteilt worden. Dashat zu einer ziemlichen Bewegung dort geführt, aber eswird nicht geduldet, dass ein Bürger ein dringendesSozialproblem löst, auf eigene Kosten ein behinderten-gerechtes Plumpsklo aufstellt und auch in dem Momentfür die Ordnung sorgt. Dafür haben sie eine Strafe be-kommen, das muss man sich mal überlegen.

O> Bei uns im Wohngebiet,wo es ein ganz gut organi-siertes Gemeinwesen gibt, gibt es einen künstlichenBach, und die Leute waren der Meinung, dass an diesemBach Weiden stehen sollten. Und dann haben sie sichWeidensprösslinge besorgt und an diesem Bach Weideneingepflanzt.Vier Tage später ist das Grünflächenamt ge-kommen und hat die alle wieder rausgerissen.

O< Ich glaube,an diesen Beispielen werden wir uns be-stimmt schnell einig. Da herrscht zuviel Bürokratie. Aberwas mir aus der Diskussion rausgekommen zu seinscheint: Für mich steht fest, sobald die Menschen eineLeistung erhalten oder ihre Grundsicherung oder ihnen inder Not geholfen wird, dann legen sie sich die in die so-ziale Hängematte. Lösen wir dieses Problem, indem wirdas alles abschaffen, damit die Leute wieder kreativ, ak-tiv und energiereich werden? Oder arbeite ich lieber mitden Leuten,die wirklich was machen wollen? Davon gibtes genug. Und dann gucke ich, welche Möglichkeitenkann ich schaffen oder dazu beitragen oder entbürokra-tisieren oder flexibilisieren, ohne aber außer Betracht zulassen, dass es soziale Mindeststandards gibt, dass wirnicht unbedingt durch das Tal der Tränen und des Elendsmüssen,damit die Gesellschaft wieder aufblüht,sonderndass wir endlich Jobs schaffen.

Kramer: Ich habe großen Respekt vor dem Gedanken,wir wollen nicht durch das Tal der Tränen. Aber ich sageIhnen: In den letzten zehn Jahren sind die sozialen Zu-stände derart schlechter geworden, aber man redet im-mer noch so,als wäre das nicht der Fall.Irgendwas stimmthier nicht. Der Zustand der öffentlichen Plätze, geradehier in Berlin, ist so was von schlecht, es gibt regelrechteSlums. Gab es früher nicht. Es passiert etwas, was wirnicht wollen, und es kommt trotzdem. Und das ist meinProblem.Die Zustände werden immer schlimmer und dieganze Zeit reden wir darüber,wir wollen sie nicht schlim-mer werden lassen!

75Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene

Werner Matthes: Etwa um 1990 hatten die Bürger-Ge-nossenschaften bei uns die Idee der Hilfe zur Selbsthilfe,also sich gegenseitig zu helfen. Das hat sich fruchtbarweiterentwickelt, war aber die Basis. Und danach ent-standen alle möglichen Projekte,die zum Teil vom Sozial-ministerium gefördert wurden.Und damit ist eine ziem-lich lebendige Landschaft bürgerschaftlichen Engage-ments in Baden-Württemberg entstanden, etwas, waswohl in dieser Form woanders nicht zu finden ist.Wir sindein bisschen stolz darauf, das bringt aber natürlich auchVerpflichtungen für alle,die daran beteiligt sind.Ich leiteeinen Bürgertreff, den ich vor sechs Jahren auch mit auf-gebaut habe. Zur Vernetzung der verschiedenen Initiati-ven haben wir dann eine Arbeitsgemeinschaft aufLandesebene gegründet, die ARBES, Arbeitsgemein-schaft für bürgerschaftliches Engagement/Seniorenge-nossenschaften.Es entstand ein Ansatz, den wir bis heu-te sehr stark in Württemberg pflegen, miteinander insGespräch zu kommen,sich kennen zu lernen und mit denInitiativen vor Ort Erfahrungsaustausch zu systematisie-ren,Fortbildungen zu gestalten.In der ARBES sind inzwi-schen mehr als 50 Initiativen zusammengeschlossen. Esgibt darüber hinaus alle möglichen anderen Netzwerkezwischen Kommunen, zwischen Landkreisen. Die kom-munalen Spitzenverbände, Kreistag, Gemeindetag undStädtetag,sind in einem Verbund mit dem Sozialministe-rium,so dass das auch von dort her unterstützt wird.Undes ist das Bestreben, flächendeckend bürgerschaftlichesEngagement in vielen Orten, bei großen Städten auch inOrtsteilen, zu entwickeln. Dafür gibt es auch in den grö-ßeren Städten wie Ulm, Freiburg, Mannheim, KarlsruheVerbünde, die sich da entwickelt haben. Und das Bestre-ben ist, möglichst sehr viel ehrenamtlich zu gestalten,also das bürgerschaftliche Engagement tatsächlich beiden Bürgern anzusiedeln. Zum großen Teil klappt das.Herr Wezel ist einer der Pioniere mit einem Bürgertreff inNürtingen, der allerdings von ihm als Hauptamtlichemgestaltet wurde.Nürtingen ist eine Art Mekka für alle,dieetwas ähnliches einrichten wollen. Mittlerweile gibt esweit mehr Mekkas, unser Bürgerzentrum ist auch einesdavon.

Hannes Wezel: Bleibt natürlich die Frage, wie wir ausdem Schwäbischen,einem kleinen ländlichen Raum,unsanmaßen können,nach Berlin zu kommen und überwie-gend mit Kolleginnen und Kollegen hier aus der Groß-stadt zusammenzusitzen und denen was erzählen zuwollen.Die Frage sei erlaubt,aber so,wie wir Bürgerenga-gement in Baden-Württemberg begreifen und auch tag-täglich machen, heißt das für uns: Kann man Bürgeren-gagement lernen? Deshalb stellen wir Ihnen jetzt einenkleinräumigen Ansatz vor. Kleinräumig heißt, wir gehenvon der Landesgeschichte weg und machen einen Fokusauf die Stadt Nürtingen, wo ich herkomme. 40.000Einwohner, ganz idyllisch gelegen, halbwegs zwischenStuttgart und Tübingen.

Die Geschichte hat bei uns so angefangen, dass vor un-gefähr zehn Jahren Innenstadtsanierung anstand. Sehrviele alte Häuser, die kaum mehr bewohnbar waren, unddas Rathaus bedurfte dringend einer Erweiterung.Und eswar die Frage, kann man die Innenstadt so verändern,dass Bürger wieder hineingehen. Die Bürger waren dar-aus so ziemlich verschwunden, weil es zuviel verrotteteBausubstanz gab.Man hat also ein neues Rathaus gebautund es war die Frage, soll es ein herkömmliches Rathaussein,wo nur der Rat regiert,die Verwaltungsspitze thront,oder aber schafft man durch eine solche Quartiersent-wicklung mit einem neuen Rathaus einen Ort neuer so-zialer Kultur. Es ging darum, die Innenstadt wiederzuge-winnen für die Bürger. Der Gemeinderat entschied sichdafür, dass man, um Nachbarschaftlichkeit, Gemeinsinnzu beleben, die Bürger an der Planung und der Realisie-rung beteiligt hat. Wichtigster Punkt war, einen Ort zuschaffen, wo alle Generationen ein- und ausgehen kön-nen. Und so entstand damals als Anbau neben einemgroßen Rathaus ein Bürgertreff, mit Stadtbücherei,großem Innenhof und Spielmöglichkeiten. Von Anfangan wurde die Infrastruktur ganz gezielt so angelegt,dassBürger und Bürgerinnen in das Rathaus kommen undsich nicht nur verwalten lassen, sondern dass sie hierauch ein Freiwilligen-Zentrum für sich aufbauen können.Ursprünglich war dieser Bürgertreff geplant als Senioren-Begegnungsstätte. Man hat gesagt, wir packen hier dieälteren Leute rein, die Jugend bleibt im Jugendhaus, dieKinder gehen ins Haus der Familie.Und in letzter Sekundehat man sich ein Konzept überlegt,auch im Gemeinderatund gemeinsam mit den Bürgern, dass es ein generati-onsübergreifendes Zentrum werden soll,das wirklich vonKleinkindern bis zu den Greisen alle nutzen können. Esgab auch die Überlegung, ein Zentrum für Notare, fürGericht, nur für Verwaltung zu bauen. Das hättegeheißen, um 16.00 Uhr wären die Rollläden runterge-gangen, in der Innenstadt wäre tote Hose gewesen. DerNeubau wäre wirklich ein Palazzo geworden, wie auchvon einigen politischen Fraktionen befürchtet wurde,aber dem wurde ganz bewusst entgegengesteuert. Indiesem Freiwilligen-Zentrum ist es nun wichtig, dass ei-nerseits die Rathausnähe ganz bewusst gesucht wurde,sprich die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und derBürgerschaft.Etwas flapsig gesagt, sieht es heute so aus,wenn die Bürger einen Strafzettel oder ein Knöllchen be-kommen haben,dann tauchen sie des öfteren bei uns auf.Es wird zunächst mal heftig diskutiert, wird was getrun-ken und dann gehen sie mürrisch aufs Ordnungsamt undbezahlen oder aber sie haben dann auch mal den Mut zusagen, nein, so einfach geht das nicht. Auf der anderenSeite ist das Rathaus ein Ort, an dem auch geheiratetwird, und viele Feste werden anschließend unmittelbarim Haus gefeiert.In diesem Freiwilligen-Zentrum haben sich nun über dieJahre hinweg die unterschiedlichsten Gruppen eingefun-den. Ganz stark sind bei uns die Selbsthilfegruppen ver-

ankert,in einem Selbsthilfenetzwerk,genauso wie Grup-pen von behinderten Jugendlichen. Immer unter demGesichtspunkt, finden wir Bürger für solche Projekte, dieunter Anleitung von uns als Fachkräften, in dem Fall mitbehinderten Jugendlichen, arbeiten? Es ist nicht so, dasswir Bürgerinnen und Bürger anwerben, sie danach ein-fach ins kalte Wasser schmeißen und dann mal schauen,wie sie zurechtkommen. Sondern wir versuchen, dieArbeit mit Ehrenamtlichen sehr systematisch anzugehen.Es gibt bestimmte Module,nach denen Freiwillige,Ehren-amtliche geschult werden für ganz bestimmte Bereiche.Als dieser Treff und das Rathausareal immer mehr belebtwurden, konnte man deutlich eine Tendenz sehen. Es istdurch die Ansiedlung dieses Treffpunkts in dieser zentra-len Lage gelungen,dass sich um uns herum in der Innen-stadt eine regelrechte Freiwilligen-Meile entwickelt hat.Dazu gehören Projekte, wie das Theater im Schlosskeller,von Bürgern verwaltet und organisiert, genauso wie derWeltladen, der auch in unmittelbarer Nachbarschaft istund mit dem es eine Zusammenarbeit gibt, natürlichauch mit finanzieller Unterstützung durch die Stadt.Um das Bild noch ein bisschen abzurunden,wo sich Men-schen engagieren: Wir haben einen Kirchturm, wie jedeStadt, nur war unserer über Jahrzehnte hinweg nichtmehr zugänglich. Und so hat sich eine Bürgergruppe vordrei Jahren gefunden bei einem Dämmerschoppen, wiewir es nennen, bei dem Kommunalpolitiker die Fragenstellen und die Bürger die Antworten geben. So einfachkann eine zuhörende Demokratie sein. Das sind für unsauch Formen von Beteiligung jenseits von Planverfahrenund klassischen Bürgergesprächen, dass wir vier bis fünfMal im Jahr zusammenkommen unter dem Titel »Esdämmert beim Schoppen – Gemeinderäte fragen,Bürgerantworten«.Wir haben dabei die Funktion von Modera-toren, damit es tatsächlich die Bürger sind, die die Ant-worten geben. Meine Erfahrung ist, Kommunalpolitikerhalten das meistens eine halbe Stunde durch und danngeben sie sich selber die Antworten auf ihre Fragen. DerNürtinger Rundblick ist ein Freiwilligen-Projekt, das ein-mal im Monat den Kirchturm für einen schönen Rund-blick öffnet. Es geht weniger um die Historie des Kirch-turms,viel mehr geht es um die Selbstorganisation einersolchen Gruppe.Es sind 12-15 Frauen und Männer,die sa-gen, jawohl das ist unser Ding, das machen wir zu unse-rer Aufgabe, den Kirchturm für alle zugänglich zu ma-chen.Es ist ein ganz simples Projekt, aber die Menschen,die darin arbeiten, tun was für sich selber, sie haben un-heimlichen Spaß dabei und sie tun auch was für andere.Im letzten Jahr hatten wir an einem Sonntag einen Zulaufvon 800 Leuten,die auf den Kirchturm wollten.Und zu je-der Jahreszeit gibt es ja eine andere Art von Rundblick.Indiesem Projekt sind einige Menschen zu finden,die klas-sischerweise in die Zielgruppe von Arbeitslosenprojektenfallen würden.Man hätte auch so rangehen können undsagen, wir initiieren hier ein Arbeitslosenprojekt, denKirchturm müssten wir mal wieder sauber machen,außerdem könnten wir dann noch einen Rundgang ma-chen,also suchen wir mal fünf oder sechs Arbeitslose.Wirfragen grundsätzlich nicht danach, ob jemand einen Jobhat oder nicht.Da ist z.B.einer wie der Wolfgang, der seitdrei Jahren arbeitslos ist.Und er sagt,das gibt mir Selbst-bestätigung, da hab ich was von, mir macht es Spaß.Selbstverständlich ist die Freiwilligenarbeit kein Ersatzfür Lohnarbeit, gar keine Frage. Aber ihm stärkt das

Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene mit Hannes Wezel, Nürtingen und Werner Matthes, Gerlingen

76 Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene

unheimlich sein Selbstbewusstsein und er tut auch nochetwas für andere.Und er kriegt eine gute Portion Bestäti-gung.Wir achten natürlich auch drauf,dass wir Jugendliche undKinder in die Projektlandschaft mit einbeziehen.Wir ar-beiten sehr eng mit dem Jugendrat unserer Stadt zu-sammen und haben mit denen Projekte auf die Beine ge-stellt, wo es nicht darum geht, dass die jetzt lernen, wiehat ein Rat zu funktionieren – also am Tisch zu sitzen,Pa-piere zu stößeln,sich zu Wort zu melden und Brötchen zuessen – sondern wir haben mit dem Jugendrat jetzt überzwei Jahre ganz konkrete Projekte angestoßen,Stadtteil-projekte im sportlichen Bereich vor allem, wo der Ju-gendrat als Multiplikator ganz wichtig war.Die sprechendie Sprache der Jugendlichen,nicht wir als Berufsjugend-liche und Alt-68er.Wir brauchen die Jugendlichen, wennwir andere Jugendliche erreichen wollen.Darum geht beiuns immer wieder die heftige Debatte zwischen Kolle-gen,die in den Jugendhäusern arbeiten,und uns.Die Kol-legen in den Jugendhäusern sagen häufig, die Jugendli-chen können nichts,wir müssen für die alles machen.Alsich früher in einem Jugendhaus gearbeitet habe, da sindwir auch schon hinterm Tresen gestanden und haben Bierverkauft. Es kann aber nicht sein, dass heutzutage nurnoch Bier verkauft wird in den Jugendzentren. Es gibtauch Jugendliche,denen geht es gar nicht ums Getränke-verkaufen, sondern um selbstorganisierte Formen vonFreiwilligenarbeit. Und da gehört Thekendienst z.B. als eine niederschwellige Geschichte dazu. Deshalb versu-chen wir auch, neue Wege zu gehen, den Jugendrat ein-zubinden in Projekte.In unmittelbarer Nachbarschaft gibt es eine Wohnanlagevon Senioren und direkt dabei ein Kinderhaus, in demKinder tageweise betreut werden,und hier entsteht eineganz enge Nachbarschaftlichkeit. Die Kinder essen ge-meinsam mit den Alten, und es ist ganz wichtig, dass dieAlten nicht auf der rosa Wolke nur ihre wunderschöneSenioren-Wohnanlage genießen, sondern dass sie auchnoch miterleben,was passiert,wenn Kinder da reinkom-men.Auch einen Tauschring gibt es seit Neuestem, dessenFunktion auch darin besteht, Kontakte zu schaffen. Bei40.000 Einwohnern ist es noch überschaubar.Ein anderesschönes Projekt kommt wieder von der Gruppe »Kirch-turm«.Bürger hatten sich der Idee angenommen,wiedereine Bootspartie zu organisieren. In Nürtingen gab esfrüher Ruderboote, aber einen Verleih gab es lange Zeitnicht. Und da haben sich Leute gefunden, übrigens aucheinige Langzeitarbeitslose, die gesagt haben, genau dasist unser Ding, wir haben ein Boot am Neckar liegen unddas bieten wir den ganzen Sommer über an. Das wirdsehr viel in Anspruch genommen.

Was heißt nun Quartiersentwicklung außerhalb der In-nenstadt? Ich will es am Beispiel eines Stadtteils deutlichmachen.Der Stadtteil,ganz puppenstubenmäßig für Ber-liner Verhältnisse, 4.000 Einwohner ungefähr. Dort hattesich eine sehr starke Überalterung ergeben in den letzenJahren. Und man hat ganz bewusst gesagt, wir nehmenein Stückchen weit bürgerschaftliches Engagement inAnspruch und setzen dort vor allem junge Familien alsStadtentwicklungsfaktor ein. Man hat dort ein Quartiergeschaffen, eine Holzhaussiedlung, kosten-, flächen-,nutzensparend entsprechend den Energievoraussetzun-

gen, und hat in dieses Quartier vor allem junge Familienmit insgesamt 50 Kindern einziehen lassen.Und mit die-sen Familien arbeiten wir. Wir arbeiten bei dieser Quar-tiersentwicklung, genau wie in der Innenstadt, mit demForum »Politiker fragen – Bürger antworten« und mitKonferenzen. Zukunftskonferenz war das Stichwort, wirhatten drei in diesem Jahr und lassen die immer externmoderieren von der Stiftung Mitarbeit.Wir haben damitsehr gute Erfahrungen gemacht, wenn es darum geht,Stadtteile mit den Menschen zu entwickeln.Es kann nichtnur darum gehen, dass man eine tolle Holzhaussiedlunghinstellt und dann die Leute einziehen lässt mit vielenKindern. Denn dann ist der Knatsch mit den Alten schonvorprogrammiert,die drum herum wohnen.Es geht dar-um, Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen über dieklassische Beteiligung hinaus,also es geht um Dialogfor-men, und das sind z.B.Zukunftswerkstätten.Das Quartier ist wunderschön, infrastrukturell hat esideale Voraussetzungen. Dass in jedem Quartier aller-dings ein Bürgertreff gebaut werden kann, das ist nichtmöglich. Da sind wir natürlich noch lange nicht so weitwie Sie hier in Berlin. Aber wir sagen uns, es gibt öffent-liche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Gemein-dehäuser von Kirchen,und es geht jetzt darum,das habenwir bei der letzten Sozialkonferenz angestoßen,dass manin die bestehenden infrastrukturellen Voraussetzungeneinzieht.Also – Schule,öffne dich gefälligst,Lehrer fangtmal an, dran zu denken, was eure Schule noch kann undbietet außerhalb des Unterrichts.Die Turnhalle zu nutzen,die Gemeindehäuser zu nutzen, da gibt es viele Ansätze.Wir hatten uns überlegt, dass eine Schule normalerwei-se zwei Drittel vom Tag leer steht,und es ist doch schade,wenn man diese Räume nicht nutzt.Wir haben eine Veranstaltung, die heißt Bolz-Platz, denwir gemeinsam mit dem Jugendrat veranstalten.Wir ge-hen ganz gezielt in die Stadtteile und beteiligen Kinderund Jugendliche, indem wir im Sommer Basketball- undBolzplatz-Blitzturniere veranstalten, aber nicht wir, son-dern der Jugendrat, Jugendliche aus Schülermitverwal-tungen und eben die Kids aus den Quartieren.Die werdenangeheuert, dann setzt man sich zusammen und schaffteine Struktur für so einen Nachmittag.So ein Blitzturnierdauert von 14.00 – 18.00 Uhr, deswegen heißt es Blitz-turnier, weil es ganz schnell geht. Und die Kinder undJugendlichen sollen das selber organisieren. Wir stellennur die Infrastruktur zur Verfügung. Und natürlich sindwir da,wenn es mal Fragen oder Probleme gibt,aber ganzbewusst setzen wir auf die Kompetenz von denjenigen,die immer auf den Bolzplätzen zu finden sind.Was steckt bei uns dahinter? Wir haben uns Module über-legt,Systemfaktoren,die man braucht,um Freiwillige ei-nerseits zu bekommen,andererseits über längere Zeit zuhalten.Dabei ist ganz klar,die Menschen bestimmen im-mer selber die Dauer ihres Engagements. Das ist andersals beim klassischen Ehrenamt,wo man sich aufgeopferthat für alle, vom Herrn Pfarrer noch einen Dankeschön-Handschlag am Jahresende bekommen hat, und daswar´s dann.Bei uns spielen die drei »W« eine ganz wich-tige Rolle, nämlich W wie Wertschätzung, W wie Würdi-gung und W wie Weiterbildung. Wertschätzung heißt,den Bürgern Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, undzwar unter solchen Bedingungen, dass sie sich täglichvon morgens bis abends engagieren können. Und nichtnur Mittwoch nachmittags von halb drei bis halb fünf.

D.h. wir sind die Ermöglicher und die Akteure sind dieBürger.Wir schließen denen im wahrsten Sinne des Wor-tes die Räume auf,die Räume müssen offen sein,dass siekommen können und ihr Ding machen können.Aber wir haben auch noch andere Dinge. In unserem»Praxiskoffer« ist ein Freiwilligen-Stadtplan. So etwasÄhnliches gibt es auch bei den Freiwilligen-Agenturen imkleinen Stil, da können die Bürgerinnen und Bürgerschauen,wo sie gebraucht werden,und sich vielleicht ei-nen Bereich aussuchen, in dem sie sich engagieren. DerWunsch nach Engagement kann einem auch abends umhalb zehn einfallen und dann kann man nachschauen aufdem Stadtplan.Wir haben – zum zweiten Mal in diesemJahr – einen Freiwilligenpass entwickelt. Das ist einScheckheft, letztes Jahr waren 38 Schecks drin, diesesJahr haben wir 66 Schecks. Damit wird das Engagementvon Freiwilligen belohnt.Natürlich wollen wir auch, dassmit so einer Arbeit z.B. Rentenanwartschaft erworbenwerden kann, dass entsprechende politische Entschei-dungen getroffen werden.Aber wenn wir darauf warten,laufen uns die Freiwilligen in der Zwischenzeit hundert-mal davon,deswegen haben wir gesagt,wir brauchen einlokales Bonussystem. Und das ist zum einen diesesScheckheft, in dem ganz einfache Dinge drin sind,von 50Brötchen vom Bäcker Meier an der Ecke über 50 roteWürste vom Metzger bis hin zu kostenlosen Eintrittskar-ten für Bäder, Kulturveranstaltungen, fürs Kino usw.

Zwischenfrage: Soll einer dann 50 Brötchen essen?

Antwort: Nein, eine Gruppe hat das Anrecht auf einenScheck. Die Gruppe nimmt sich die 50 Brötchen und 30Würste für ihre Sommerparty, kostenlos. Klar kann manjetzt wieder sagen,ein Tropfen auf den heißen Stein.Aberwir haben gute Erfahrungen mit dieser Art von kleinenAnerkennungen gemacht,dass sich die Leute was aussu-chen dürfen und z.B. ins Thermalbad gehen können.Wirhaben aber auch die Freiwilligen-Seminare und wir ha-ben Wohnzimmer-Agenturen, da sind wir gerade dran.Und wir legen Wert auf Zertifizierung. Der Freiwilligen-pass heißt »Bingo«.Bingo heißt »Bürger in Nürtingen ge-meinschaftlich orientiert«. Von den 66 Schecks sind un-gefähr die Hälfte von Geschäften – Bäckerei, Metzgerei,Kaufhäuser, Sportartikelfirmen – die andere Hälfte istvom Kulturamt,von der Stadt,von Stadtleuten,von Kran-kenkassen.Auf jeden Fall legen wir großen Wert darauf, dass es beiBürger-Engagement auch um Qualifizierung geht. Wirhaben angefangen, Basiskurse zu entwickeln, in diesemJahr waren es vier, in denen wir Selbsthilfegruppen ei-nerseits, aber auch Elternvertreter aus Kindergärten undSchulen beisammen hatten. Die werden an zwei Semi-narabenden auf ihre Aufgaben vorbereitet, unter demMotto »Lust und Frust der Freiwilligenarbeit«. Im kom-menden Jahr steigen wir dann in Bereiche ein wieTrainingskurse, Öffentlichkeitsarbeit, Moderationsme-thoden, also speziellere Dinge. Wir haben vor, vielleichtmal so was wie Bürgeragenten auszubilden.Wichtig sindeinfach auch Visionen und Träume. Ob es den jemals ge-ben wird,wollen wir sehen.Viel wichtiger ist uns,dass dieSeminare zertifiziert werden. Die Zertifizierung ist eineReaktion darauf, dass uns viele Personalchefs aus unse-rem Städtle gesagt haben,wenn sich Frauen während ih-rer Familienphase engagieren in Form von Kindergarten-

77Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene

Elternbeiräten oder in der Schule, dann hat das was mitsozialer Kompetenz zu tun und die ist wichtig, wennFrauen wieder in den Beruf einsteigen wollen.

O> Wer macht die Kurse?

Wezel: Die Kurse machen wir – das sind ein paar Profis,unter anderem die Familienbildungsstätte – bei uns imBürgertreff.Und wir haben einige freie MitarbeiterInnen,die wir speziell dafür beschäftigen.

O< Was kann man mit den Zertifikaten hinterher ma-chen?

Wezel: Die Zielgruppe aus Kindergarten-Elternbeirätenund von Schulen waren meistens Frauen. Und wenn diewieder einsteigen wollen und zeigen,dass sie parallel zurFamilienarbeit auch noch was anderes gemacht haben,gefällt das offensichtlich den Personalchefs, zumindestbei uns.

O> Es ist für die Leute sicher sehr gut, mal einen Zettelin der Hand zu haben,wo endlich mal draufsteht,du hastwas gelernt,du hast was gemacht,du hast das auch nochfreiwillig gemacht. Denn ihre Zeugnisse, die sie aus derSchule hatten,sind ja eher so gestaltet,dass man sie nichtunbedingt zeigen sollte. Das war für das Selbstwertge-fühl ungeheuer wichtig, dass es ein Zertifikat gab.

Wezel: Genauso ist auch unsere Erfahrung. Nun zurFrage:was ist eine Wohnzimmer-Agentur? Ich hatte vor-hin gesagt,wir können nicht überall Bürgerzentren schaf-fen. Die Idee entstand ganz einfach in Anlehnung an diePraxis von Versandhäusern.Warum sollen nicht die Leutein diesem Stadtteil, speziell in diesem neuen Quartier, inihrem Wohnzimmer eine Art Agentur betreiben können,bei der es nicht um Quelle-Produkte geht und nicht umTupperwaren, sondern bei der es um Freiwilligenarbeitim Stadtteil geht? Wir werden jetzt ganz konkret in zweiStadtteilen,die wir im Oktober auf der Zukunftswerkstattmit den Bürgern geplant haben, mit zwei Agenturen an-fangen. Das ist Zukunftsmusik, aber das soll nur heißen:Es gibt nicht nur die öffentlichen Räume als möglicheTreffpunkte, auch im privaten Bereich können wir unsvorstellen, dass die Leute sich zusammenfinden, Nach-barschaft geprägt wird und darüber hinaus auch nochwas für andere organisiert wird. Ja, das wäre mal so dergroße Bogen,wie es bei uns läuft.Mich würde interessie-ren, wie wirkt so etwas auf Großstädter?

Matthes: Ich wollte nur nicht den Neid aufkommen las-sen,dass alles so schön ist in Württemberg.Das ist HannesWezel und das ist Nürtingen, es ist einfach modellhaft,was dort passiert.Aber die Kultur,die da geschaffen wor-den ist und immer weiter wachsen sollte, nämlich derUmgang mit Bürgern, der Umgang der Bürger unterein-ander und das Bewusstsein, wir Bürger schaffen etwasvor Ort und nehmen Dinge in die Hand, das ist auch wo-anders möglich.Was dann daraus wird, das kann so aus-sehen,wie es hier ist.Aber das gibt es in Variationen auchan vielen anderen Orten.

O> Ich würde mir wünschen, dass sich bürgerschaftli-ches Engagement auch in Partnerschaften zwischen ein-

zelnen Stadtteilen in Großstädten entwickeln würde,zwischen einem Stadtteil,der wirklich besser gestellt ist,und einem Stadtteil, in dem es schlecht aussieht, unddass vielleicht die Möglichkeit entsteht,Solidarität zu zei-gen.Die Talente sind auch in schwierigen Stadtteilen vor-handen.Nur die Möglichkeiten,sich da einzubringen,sindnoch nicht so gut entwickelt. Wie kriegt man eine Ver-bindung zwischen so einem Schmelztiegel Großstadtund so einer Kleinstadtidylle wie Nürtingen?

O< Ich war bei der Sommerakademie in Bad Herrenalpund deshalb kenne ich mich ein bisschen aus mit demschwäbischen bürgerschaftlichen Engagement.Und die-se Gemeinde, die wir besichtigt haben, ist sehr ein-drucksvoll. Mir ist aufgefallen, dass der Unterschied zuBerlin einfach der ist,dass es in Berlin mehr oder wenigeralles gibt. Also die Konsumentenhaltung ist darum im-mens groß. In Straubenhardt kann man jetzt ganz vielmachen, sie wollen ein Bürgerzentrum und ein Gemein-dehaus bauen, das gibt es alles in der Form noch nicht,das ist ganz toll, also auch das Engagement, was dahin-tersteckt. Aber was ich in Berlin, im Stadtteil Friedenau,häufig erlebe, ist:ach,das gibt es hier nicht? Dann gibt esdas woanders. Man ist also gar nicht so sehr darauf an-gewiesen. Und trotzdem gibt es natürlich immer wiederden Wunsch, auch dazuzugehören. In Berlin kann man,wenn man eine halbe Stunde Fahrtzeit in Kauf nimmt,ei-gentlich alles an Angebotsstruktur haben.Der Preis dafürist,dass man dann eben nirgendwo richtig eingebundenist. Und das hat ja auch was für sich.Wenn ich das unterdem Aspekt sehe,ich will ein bestimmtes Angebot habenoder ich will eine bestimmte Gruppe besuchen,das kannich hier überall haben, da muss ich nicht selber was aufdie Beine stellen, aber ich gehöre dann eben nirgendworichtig dazu. Mein Anliegen ist, mit dem Angebot derFamilienbildung etwas zu schaffen,wo die Leute auch in-tegriert sind und sich untereinander kennen und einAustausch stattfindet.

O> Es geht ja nicht darum, das zu kopieren, was beieuch möglich ist. Aber ich denke, es gibt mit SicherheitSachen, die man sehr gut übernehmen und anpassenkann auf die eigenen Belange.Was Partnerschaften an-geht, das geht auch in unterschiedlichen Stadtteilen inder Großstadt ganz gut. Wir machen das so, dass wir zudrei Stadtteilen in Hamburg sehr enge Kontakte haben,uns gegenseitig beraten für den Umgang mit sehr unter-schiedlichen Bezirksämtern.Die Finessen im Umgang mitder Verwaltung zu lernen oder Projekte zu übernehmenund anzupassen, das klappt ganz gut. Ein bisschen überden eigenen Schüsselrand zu gucken,schon verankert zusein im eigenen Stadtteil, aber auch in andere Stadtteilezu gucken und von den Erfahrungen dort zu profitieren,das ist ganz hilfreich. Und das trägt auch zum Selbst-wertgefühl bei,seine Arbeit selber darstellen zu können,wie macht ihr das, ich helfe euch in anderen Punkten,dann habe ich auch weniger Hemmungen, mir Hilfe zuholen.Ich habe aber noch eine Frage zu den Stadtteilkon-ferenzen.Wer plant sie, gründet sie, führt sie durch, wer-den sie übergeben, dass die Bürger das selber machen,und welche Kompetenzen haben sie?

Wezel: Das machen Politikverwaltung auf der einenSeite, die Bürger auf der anderen Seite und wir als Fach-

kräfte. Das Interessante bei uns ist eben, dass unser Zen-trum, das seit zehn Jahren besteht, seit drei Jahren einewichtige Planungsaufgabe in der Verwaltung hat. UnserErster Beigeordneter hat den Bürgertreff als Stabsstellezu sich geholt.Eine Stabsstelle ist direkt dem Beigeordne-ten unterstellt, ohne Amt dazwischen. Ich habe da ganzdirekte kurze Wege, wenn es Dinge zu regeln gibt. Undseit es das gibt, gibt es auch die Stadtteilkonferenzen.Also,der Beigeordnete hat gesagt,dieses Bürgerengage-ment muss näher ran an Politik und Verwaltung.Norma-lerweise macht die Nähe zur Verwaltung nur Schwierig-keiten.Wenn wir als Bürgertreff nämlich eine Zukunfts-werkstatt veranstalten würden und ich wäre dem Sozial-amt zugeordnet, wie es früher war, dann hätte ich erstmal meinen Amtsleiter davon überzeugen müssen, dermüsste zum Bürgermeister und der zum Oberbürger-meister.Weil aber diese Sache bei uns auf ganz direkterLinie läuft, überlegen wir uns, in dem Fall Bürgermeister,ich und die Stadtteilbewohner,welcher Stadtteil brauchteine Zukunftswerkstatt,braucht eine Stadtteilkonferenz?Diese Dinge organisiere ich dann gleich als Stabsstelle,bombardiert von beiden Seiten. Der Bürgermeister sagt,denken Sie auch an alle Vereine,die in dem Stadtteil sind.Und die Bürger sagen, wir haben jetzt eine ganz neueInitiative, die sich mit Solarenergie befasst, vergesst dienicht. Das heißt also, das Organisatorische muss ich ma-chen,aber die Akteure sind auf der einen Seite Politik undVerwaltung und auf der anderen Seite die Bürger.

O> Da fällt mir gleich ein Unterschied auf zu dem, wieman das hier bei uns in Berlin fantasieren würde.Da wür-de der Bürgermeister, wenn er davon Wind bekäme, alserstes sagen,wer nicht dabei sein darf,und nicht,wer un-bedingt noch mit dazukommen soll.Ich fand zwei Sachensehr interessant. Zu der These, dass es in manchen bür-gerlichen Stadtteilen leichter sei, bürgerschaftliches En-gagement zu wecken, gibt es auch Gegenbeispiele. Soz.B.aus Leipzig, wo in ein und demselben Stadtteil sozu-sagen die gehobenen Kreise wohnen und die anderenKreise,und wo die anderen wohnen,da ist die Bewegung,da gibt es überhaupt auch das Bedürfnis,etwas gemein-sam zu tun.Da gibt es anscheinend andere Ansatzpunkte.Vielleicht kann man mal vom Bild des Bürgeragentenausgehen.Da habe ich ein bisschen das Gefühl, dass hiermit sehr viel Raffinesse die Bürger zu etwas gebrachtwerden sollen,was sie anscheinend von sich aus gar nichtunbedingt wollen. Und die Frage ist dann, wer will esdenn eigentlich? Wenn der Bürgermeister will, dass sichseine Bürger engagieren, das finde ich ganz toll. Aber esgibt wirklich Situationen,wo Bürgermeister ganz andersstrukturiert sind und das nicht immer unbedingt wollen,sondern wollen,dass die Bürger sich möglichst nicht ein-mischen, sondern lediglich ihre Stimme bei den Wahlenabgeben.

Wezel: Ich will etwas zur Begrifflichkeit sagen.Wir habenzwar beide von bürgerschaftlichem Engagement gespro-chen, aber wir meinen was anderes. Für mich geht esnicht um eine schichtspezifische Geschichte, an der Aus-erlesene mitwirken können. Sondern Bürgerschaft istwas Breites,Machtvolles und so komme ich zu der Frage,können wir als Ermöglicher den Akteuren ein Stück direktzu dieser Macht verhelfen? Ich sehe mich nicht mehr alsAnwalt wie früher im Jugendbereich.Aber ich sehe mich

78 Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene

auch nicht als Verwirklicher der Verwaltung.Das sind diezwei Stühle, zwischen diesen Stühlen sitze ich, also vondaher dreht es sich nicht nur um die bürgerschaftlichEngagierten.

Vorredner: Dann ist die Frage, wer ist ein Bürger.Bürgersind sicherlich nicht nur die bürgerlichen Kreise in einerStadt, sondern der Bürger ist ja ein Begriff, das sind dieMenschen,die zusammen wohnen.Und indem sie Bürgergenannt werden, haben sie einen bestimmten Status, istes eine bestimmte Sichtweise darauf,dass sie selbständighandelnde Menschen sind und nicht nur irgendwelcheEinwohner. Aber ich habe ja die Frage gestellt, ob derBürgeragent derjenige ist,der mit List und Tücke Leute ir-gendwo hinschleppt, wo sie erst mal von alleine niehinkämen, oder was ist er denn eigentlich? Ist er einErwecker, der Spezialist des Bürgermeisters?

Wezel: Ganz bestimmt nicht.Das ist vielleicht auch nichtganz deutlich rausgekommen. Ob es den »Bürgeragen-ten« mal geben wird, wissen wir noch nicht.Wenn es ihnmal gibt, dann wird es ein Bürger sein aus dem Quartieroder es könnten auch drei Frauen sein aus den Qualifizie-rungsmaßnahmen.

O< Ich bin in Baden-Württemberg aufgewachsen, ha-be auch jahrelang in einer Kleinstadt gelebt, und ich fin-de, die Strukturen sind einfach überschaubar. Das ist einLand, wo es noch relativ gut geht. Hier in Berlin heißt es:ihr müsst Projekte machen,wo ihr die Letzten der Gesell-schaft auffangt.Wo uns quasi was aufgedrückt wird, in-dem man uns sagt, wenn ihr da nicht erfolgreich seid,dann könnt ihr es nicht machen. Auf Strukturen zu ant-worten, die schon völlig kaputt sind, finde ich totalschwierig, und noch dazu in Großstädten wie Berlin. Daüberhaupt Strukturen zu schaffen, die einigermaßenüberschaubar sind, das fände ich schon phänomenal.

O< Die Großstadt kann einen schon mitunter verrücktmachen.Meine persönliche Auffassung ist,dass egal wel-che Idee irgendwo entstanden ist,die oft nicht übertrag-bar ist. Ich arbeite zurzeit im Ostteil der Stadt, in Hellers-dorf.Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich,sich in ei-nen Stadtteil zu begeben und erst einmal die Geschichte,nicht nur der Menschen, sondern auch des Stadtteils zuerfassen. Das ist ein Prozess, du musst dich da reinbege-ben, du musst zuhören können, musst mal von deinenbisherigen Methoden Abstand nehmen können und dieSache einfach auf dich wirken lassen, musst dich in dieNetzwerke einbringen.Interessant wird es an dem Punkt,wenn man erkennt,was den Stadtteil, in dem man arbei-tet, unterscheidet von anderen. Worin besteht das Spe-zielle,das Besondere dieses Stadtteils? Diese Unterschie-de kann man eventuell anpacken, die Menschen sind jaauch nicht überall gleich. Insbesondere die Problematikin den Ostberliner Bezirken, wenn man als Westler dahinkommt, ist auch erst mal zu bearbeiten. Aber zu gucken,egal mit welcher Klientel man es zu tun hat, dieseMenschen in ihrer Art und Weise zu leben,ob sie arbeits-los sind, alleinstehend mit Kind, wie auch immer, alleinedenen zuzuhören, bringt schon Ansatzpunkte. Denn siehaben was zu erzählen, und daraus was zu entwickeln,wird meiner Meinung nach oft vergessen. Es gibt diese fixe Idee von Fachleuten und Experten,die einem manch-

mal sehr hinderlich im Weg steht. Ein bürgerschaftlichesEngagement zu packen oder sich entwickeln zu lassen,darauf kommen viele nicht. Wir haben z.B. im Stadtteil-treff eine Besucherin, das ist die ehemalige U-Bahnpla-nerin von Hellersdorf, sie ist seit der Wende arbeitslos.Zuerst kam sie zum Kaffeetrinken, inzwischen engagiertsie sich am Stadtteilmodell. Und das wächst dann so,wenn du den Kontakt hältst und wenn du zulässt, dassz.B. die Arbeitszeiten in den Abendbereich rutschen.Alleine durch die Verschiebung der Öffnungszeiten er-reichst du manchmal was Neues. Dazu muss man aberauch bereit sein.

Wezel: Es geht immer darum, unsere Fähigkeit zu akti-vieren, zu schauen, weshalb die Leute eigentlich zu unskommen. Also nicht die arbeitslose Ingenieurin der U-Bahn zu sein,sondern die Frau mit den Fähigkeiten,diesich bei der Stadtplanung einsetzt oder im Tauschring.Esgeht darum,die Fähigkeiten und Talente,die jeder hat,zuTage zu fördern. Biografisch zu arbeiten ist sehr viel-schichtig.

O> Ich will noch mal an das Thema von vorhin an-knüpfen, welche Entscheidungsmöglichkeiten in Stadt-teilkonferenzen bestehen. Hat denn der Stadtrat einerStadtteilkonferenz die Kompetenz gegeben, bestimmteDinge zu entscheiden? Und wenn ja, wie setzt sich dieseKonferenz zusammen und wodurch ist sie überhaupt le-gitimiert? Wenn da tatsächlich reale Entscheidungen ge-troffen werden,dann habe ich das noch nie anders erlebt,als dass das partikulare Interessen sind. Und unter sol-chen Umständen lasse ich es lieber den Gemeinderat ent-scheiden als eine Stadtteilkonferenz.

O> Wir haben genau dieses Problem. Wir haben eineStadtteilkonferenz, die eine Geschäftsordnung hat, diesich irgendwann gegründet hat. Und wir stellen fest, essitzen da sehr viele Multiplikatoren, es wird dort ein sehrelaborierter Sprachcode benutzt.Da sitzen sehr viele So-zialpädagogen und dazwischen kommt ein Bürger unddann wird gelächelt,wenn er sich nicht so richtig äußernkann.Das ist ein großes Problem,und wir haben überlegt,wie wir das ändern.Es kam jetzt ein Vorschlag,gegen denich vehement stimme, dass Einzelmitgliedschaften ein-geführt werden sollen, also man muss Mitglied sein, dasgeht mit Stimmkarten. Das ist ein Verwaltungssystemvom Feinsten, dagegen ist Verwaltung richtig flüssig! Eswar bisher so, dass gewisse Mieter- oder Bewohner-gruppen Mitglied werden können und als Gruppe eineStimme hatten in dieser Stadtteilkonferenz. Jetzt ist derVorschlag Einzelmitgliedschaft.Ich sehe da aber ein Prob-lem bei einem politisch zerstrittenen oder mit unter-schiedlichen Interessen ausgestatteten Stadtteil. Wennich also etwas umsetzen will – es geht meinetwegen umStadtentwicklungsmittel, Neubau oder einen Anbau anunser Gebäude,kostet 200.000 Mark – hatten wir als Ver-ein bisher nur eine Stimme in dieser Stadtteilkonferenz.Wenn ich was durchsetzen will, lege ich nach dem vorge-schlagenen Modell einfach die Mitgliederliste aus, dannkönnen Leute Mitglied nur für die eine Abstimmung wer-den,und schon habe ich 80 Stimmen,weil an dem Tag 80Mitglieder da sind.Meine Frage also:Wodurch legitimiertsich die Stadtteilkonferenz,wer hat Stimmrecht und wel-che Einflussmöglichkeiten hat diese Konferenz? Gibt sie

ein Votum ab, fällt sie Entscheidungen und wo sind dieGrenzen der Entscheidungen?

O> Ich finde das sehr interessant. Es gibt ja auch dasBeispiel der runden Tische. Die sind relativ schnell denBach runtergegangen,als sie versucht haben,bestimmteDinge,die für eine gewisse Übergangsphase funktionierthaben,zu formalisieren und dann Macht auszuüben übernicht legitimierte Strukturen.Im Grunde kann man ja nurdavor warnen im Interesse der Beteiligung, dass solcheGremien eine formelle Macht kriegen.

O> Aber dann ist doch das alles nur Makulatur, warumsitzt man denn dann noch zusammen?

Vorredner: In der ganz alten Zeit gab es den Berufspro-letarier,das war der,der immer Freibier gekriegt hat,weiler als Beweis dienen musste, dass das revolutionäreSubjekt selber dabei ist. Und heute gibt es teilweise dieBerufsbetroffenen,die dann genauso hofiert werden vondenjenigen, die sie sozialpädagogisch einsetzen wollen.

Wezel: Wir haben in drei Stadtteilen Zukunftswerkstät-ten durchgeführt.Aber wir haben es nicht selber gemachtals Verwaltung,auch nicht als Fachkräfte,sondern habendie Kollegen der Stiftung Mitarbeit bemüht. Und die ha-ben uns vorgegeben, wen wir einladen, also nach einembestimmten Schlüssel. Politik muss dabei sein, Verwal-tung muss dabei sein, Jugendliche, Vereine, Initiativen,freie Bürgerinnen und Bürger. Und dem können wir uns,wenn wir diese Zukunftswerkstatt wollen,auch nicht wi-dersetzen,deshalb lassen wir sie von außen moderieren.Die erste Zukunftswerkstatt lief als Jugendforum ab.Danach kam die Frage, was haben wir rausgekriegt, washaben wir umgesetzt? Am Schluss stehen ja immer diekonkreten Arbeitsschritte, Arbeitspläne. Und eine Ge-schichte war, die Jugendlichen haben z.B. gesagt, dasletzte Taxi fährt samstags abends um 23.00 Uhr, das istunmöglich,wir wollen in die Disco,das muss mindestensbis 1.00 Uhr laufen. Und es war dann klar, dass dieseGeschichte durch den Rat musste.Und danach wurde dasvon der Zukunftswerkstatt als Ergebnis und als konkretesProjekt dem Jugendrat gegeben,der Jugendrat ist offizi-ell und kann Anträge stellen an den Gemeinderat und dasging durch – als ein Beispiel. Es wird selbstverständlichversucht, die Dinge umzusetzen und nicht in derVisionsphase stecken zu bleiben. Die Zukunftswerkstattist jetzt abgeschlossen, und es gibt viele konkreteProjekte,die angegangen werden.Das nächste wird sein,einen runden Tisch oder ein Forum als formalen Kreis zubilden. Da gibt es bisher kein Gremium, keine Interes-senvertretung, aber das war ein Wunsch der Zukunfts-werkstatt und das wird jetzt nachgearbeitet. Da werdenwir wieder die Moderatorenfunktion übernehmen.

O> Ich habe immer noch Probleme damit. Ich lade dieLeute ein oder die Leute versammeln sich und artikulie-ren ihre Interessen.Aber was verbindet sich damit? Das istja nicht nur Freizeitgestaltung,sondern ein Grundzug beiGemeinwesenarbeit ist, dass ich die Leute ernst nehmenmuss, dass ich unterschiedliche Interessen zusammen-bringen oder das vielleicht auch moderieren muss. Aberwenn die Leute sich zusammensetzen und einen Be-schluss fassen und die Stadt sagt, wir wollen eine Stadt-

79Bürgerengagement und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen bzw. Stadtteilebene

teilkonferenz, wir wollen eine Zukunftswerkstatt, egalwie wir es nennen, dann muss damit irgendwas passie-ren und die Leute müssen merken,dass sie ernst genom-men werden,weil es sonst nur Makulatur ist.Dann gehensie wieder nach Hause und sagen, das bringt eh nichts.Klassisches Beispiel – Bebauungspläne.Die Leute ringenmit sich und ringen mit der Verwaltung und kriegendurch, höher als zwei Stockwerke wird nicht gebaut. Esdauert ein Jahr, bis gebaut wird, dann sind es vierStockwerke. Sie sagen, wir werden sowieso nur auf denArm genommen und sind nie wieder aus der Wohnung zukriegen. Welche Kompetenzen kann man den Leutenwirklich geben und wo kann man ihnen auch klar sagen,hier sind Grenzen eurer Kompetenzen? Bis dahin kann dieVerwaltung ihnen entgegen kommen. Aber sie müssenwissen, in welchem Rahmen sie sich bewegen, das istganz wichtig.

Wezel: Ich möchte noch mal sagen, was Zukunftswerk-statt ist.Die Leute kommen zusammen,einen Tag lang ar-beiten die gemeinsam, 30-40 Leute, zunächst Bestands-aufnahme, was ist wo und was ist schlecht in meinemStadtteil. Dann kommt die Visionsphase und in der drit-ten Phase die Umsetzung. Und selbstverständlich gehendie nicht nur mit dem Gedanken nach Hause, ach ja, daswar ein schöner Tag, die Schüler freuen sich, besonders

die Jugendlichen,weil sie schulfrei haben und Pizza krie-gen. Das allein würde für sie nicht ausreichen, selbstver-ständlich geht es danach in die Vollen. Dann geht es mitkonkreten Schritten weiter. Und in erster Linie geht esdann um den Dialog, dass z.B. Anwohner, die sich überden Krach aufregen, den Jugendliche machen, auch malins Jugendzentrum reinkommen und mit denen reden.So eine Konferenz ist immer ein Anfang,aber sie ist natür-lich kein Ersatz für klassische Planverfahren.

O> Ist es ein Entscheidungsgremium oder ist es ein Be-ratungsgremium? Oder wird da ein Antrag formuliert,den jeder stellen kann?

Wezel: Es geht nicht immer um einen Antrag. Es gehtauch viel um Formen sozialer Kultur,dass die wieder mit-reden, dass man ihnen Orte eröffnet, nicht nur zum Ab-stimmen und zum Beraten, sondern dass sie das Gefühlhaben,ernst genommen zu werden.Wenn sie dann einenTag mit dem Bürgermeister oder mit dem Stadtplanerplanen, und auch sehen wie z.B. das Taxi jetzt läuft unddie Jugendlichen bis um 1.00 Uhr in die Disco gehen kön-

nen, dann sind das zwar nur kleine Schritte, aber es ent-steht eine neue soziale Kultur.

O> Es geht eigentlich darum, sich durchzusetzen mitArgumenten und nicht mit irgendwelchen Pseudo-Machtgeschichten. Und dabei muss man nur Klarheitwalten lassen. Wenn die beteiligten Bürger das Gefühlhaben, nachdem sie einen Beschluss gefasst haben, dassder auch umgesetzt wird,obwohl jemand anderes letztenEndes entscheidet, dann läge das Ernstnehmen ja nichtunbedingt darin, dass es so passiert, wie sie das wollen,sondern dass diejenige Instanz, die die Entscheidungtrifft, sich mit ihnen auseinandersetzt und ihnen dannauch noch mal gegenüber tritt. Diejenigen, die den Pro-zess organisieren, dürfen da keine Illusionen erwecken.

Wezel: Deshalb organisieren wir es ja nicht,sondern las-sen es extern moderieren.

O< Wir haben auch eine Zukunftswerkstatt gemacht inKonstanz, in einem Stadtteil, wo ungefähr 30.000 Ein-wohner leben. Moderiert wurde das von Zürich aus, alsoauch von auswärts.Wir haben uns da in den Supermarktgestellt und Leute angesprochen aus dem Stadtteil, ech-te BürgerInnen, ob sie Lust haben mitzumachen. Alsonicht nur Lehrer, Lehrerinnen und SozialarbeiterInnen,die sowieso in der Stadtteilkonferenz sitzen,und das warunheimlich mühsam. Erst mal hatten wir die ganze Ver-waltung gegen uns. Es war sehr mühsam, allein nur einVorwort zu schreiben,das der Oberbürgermeister und diebeiden Dezernenten unterschreiben sollten. Wir habendarauf bestanden, dass sie sich das anhören und zumin-dest prüfen, was da an Vorschlägen kommt. Das heißt janun nicht viel,und noch lange nicht,dass da irgendetwasumgesetzt wird. Allein diese Unterschrift zu kriegen, hatein halbes Jahr gedauert, dann haben sie uns die wiederabgesagt. Ich hatte die ganze Zeit über ein ungutesGefühl.Wir hatten dann 30 Leute mühsamst zusammen-gekratzt, es ist schließlich nicht so, dass einem die Bür-gerInnen die Bude einrennen.Die Werkstatt lief dann gut.Ich hatte befürchtet, da geht es wieder nur um Hunde-scheiße und um fehlende Parkplätze im Stadtteil.Es waraber nicht so, es war ein unheimlich kreativer Prozess. Esgibt ein Gelände direkt am Rhein, das neu beplant wird,und die vom Planungsamt waren auch ganz aufge-schlossen,sie wollten Vorschläge von den Bürgern hören,was sie da haben wollen. Das lief ganz toll, obwohl dieLeute mit einer großen Skepsis gekommen waren, undsie sind relativ zufrieden gegangen, mit dem Gefühl,Mensch, wir können ja doch mitreden. Ich sehe das jetztnicht ganz so optimistisch,weil die Arbeit eigentlich jetzterst anfängt und die BürgerInnen erst mal alle wiederweit weg sind. Bis das Protokoll und die Dokumentationdann stehen, sind wieder sechs Wochen ins Land gegan-gen, das ist eine lange Zeit. Zu der Stadtteilkonferenz: dasind bei uns alle zusammengeschlossen aus sozialen,pädagogischen und kulturellen Einrichtungen im Stadt-teil, das sind etwa 20-25 Leute, alles Professionelle, alsoMultiplikatorInnen sozusagen. Da geht es dann um Ver-kehrsprobleme,um Kindergartenbelegung,um fehlendeSpielplätze, um fehlende Treffpunkte für Jugendliche.Und damit gehen wir dann zum Sozial- und Jugendhilfe-ausschuss und tragen das da rein oder auch zum Technik-und Umweltausschuss.Und da haben wir schon so man-

ches durchgesetzt. Aber da sind keine BürgerInnen indem Sinne. Da würden wir ja wahnsinnig. Wenn da allemit ihrem ganz individuellen,vor ihrer Haustür liegendenProblem ankommen, dann kommen wir da auf keinengrünen Zweig.

O< Wir wagen das Experiment, wegzukommen vondiesen übergestülpten,auf Paragraphen beruhenden bis-herigen Sozialraumkonferenzen, die sicherlich ihre Be-rechtigung haben, weil bestimmte Arbeitsgruppen sichauch regelmäßig treffen und austauschen müssen. Aberwir wagen das Experiment von unserem Verein aus,wirk-lich ein Bürgerforum einzurichten, weil es uns geradedarum geht,dass Lieschen Müller mit am Tisch sitzt.Es istnicht nur eine Frage der Zusammensetzung, sondern esist eine Frage, ob man die richtige Tageszeit wählt, obman tatsächlich den Puls der Zeit spürt, nämlich genaudas ernst zu nehmen, worüber der Nachbar meckert.Dasist auf den Sozialraum bezogen,in dem ich arbeite.Da istein Quartiersverfahren gelaufen, da ist Rekonstruktiongelaufen, von außen sieht das total schau aus, die Fassa-den sind neu, dieser Bezirk ist grün, es gibt fast aus-schließlich sechsgeschossige Häuser,ganz wenige Hoch-häuser, du hast schöne Parks, Anlagen, die Strukturstimmt, überall sind Einkaufsmöglichkeiten, im Grundeist alles erst mal sehr in Ordnung.Alles ist nach der Wendeziemlich schnell neu gemacht worden. Fakt ist aber, dassauf diese Quartiersverfahren zwar Einfluss genommenwerden konnte,aber eine Bürgerbeteiligung ist im Grun-de genommen trotzdem nicht gelaufen. Und im Nach-hinein stellt man fest, dass z.B. altersgerechtes Wohnennicht mit einbezogen wurde, es gibt keine Fahrstühle anden Häusern, es gibt keine abgesenkten Bürgersteigeusw. Wir haben keine Zukunftswerkstatt gemacht, aberwir haben Informationsveranstaltungen gemacht, wowir die zuständigen Leute aus der Verwaltung und dieAnwohner an einen Tisch geholt haben. Denn nur wenndie sich tatsächlich mal treffen außerhalb irgendwelcherAmtsgeschichten, dann ist das eine Möglichkeit, wo sieauch miteinander ins Gespräch kommen. Am Ende derVeranstaltung gab es immer eine Aufgabe, und dieUmsetzung haben die Nachbarn auch kontrolliert.Sie ha-ben aber inzwischen gemerkt, dass wenn sie die Verant-wortung abgeben und selber keinen Kiezspaziergangmitmachen, sie dann auch nicht kontrollieren können.Sie stehen anschließend wieder nur da und meckern,weilnicht das passiert ist, was sie gefordert und sich ge-wünscht haben,und dann wieder mit dem Argument,dieda oben machen sowieso,was sie wollen.Unsere Aufgabebei dem Prozess ist eine Vermittlungsrolle, das macht ihrwahrscheinlich in Nürtingen ähnlich. Wir können danndem Amt sagen,ihr habt hier was zugesagt und habt dasnicht eingehalten. Und den Bürgern können wir sagen,ihr wolltet das, warum klinkt ihr euch da nicht mit ein?Und beim nächsten Mal könnte das anders aussehen.

O< Vorhin kam das Beispiel mit der Fortbildung für dieElternvertreter aus den Kitas und Schulen. Kommen diezu euch und sagen, wir möchten gerne so eine Fortbil-dung, wir fühlen uns nicht kompetent genug, oder ist esanders herum, dass ihr euch denkt, so was könnten diegebrauchen, das machen wir jetzt mal?

Wezel: Ja, wir haben diese Veranstaltung angeboten.

80 Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Porto Alegre (PoA), Brasilien: Der BürgerhaushaltDemokratie entwickeln – Bürgerbeteiligung bei derHaushaltsaufstellung vor dem Ratsbeschluss

I. Arbeitsmaterial

Viel Vertrauen in ihre Politik und Verwaltung hatten dieBürgerinnen und Bürger von PoA nicht, als sie 1989 vonden Plänen der neuen Stadtverwaltung hörten, sie soll-ten bei der Aufstellung des Haushalts, des wichtigstenInstruments kommunaler Politik, beteiligt werden. Heu-te, elf Jahre später, sieht alles anders aus. Porto Alegre»Die Hauptstadt der Demokratie« (Eigenwerbung) hatein partizipatives Modell der Haushaltsaufstellung (orça-mento participativo,OP):Die Bürger sind an den Entschei-dungen beteiligt und setzen die Prioritäten für den Inves-titionshaushalt der von fast 0% auf rund 17% angestie-gen ist. Zunehmend entscheiden die Bürger auch überFragen des Verwaltungshaushalts und sind z.B. auch anPersonalfragen beteiligt.

Das vielfach prämierte Modell (Weltbank/Habitat-Konfe-renz) stößt in ganz Brasilien (über 70 Kommunen) undinsbesondere auch in Europa (Paris/Barcelona) auf regesInteresse. In Deutschland haben im Rahmen des Netz-werks »Kommunen der Zukunft«* 1998 die StädteMönchweiler und Blumberg ein bürgerorientiertes Haus-haltsaufstellungsverfahren vor Ratsbeschluss auspro-

biert, mit positiven Ergebnissen. Erlangen, Passau, Duis-burg und Münster haben Interesse an diesem Verfahren,das es ähnlich auch in Christchurch/Neuseeland gibt.

Doch wie haben es die Bürger,die Politik und die Verwal-tung in PoA (1,3 Mio Einw.) geschafft, dem »gläsernen«Rathaus und einem transparenten, für die Bürger ver-ständlichen Haushalt ein Stück näher zu kommen? • Erfolgsbedingung Nr.1: Immer mehr Bürger betei-

ligten sich an dem OP, 1999 waren es über 35.000 Bürger.

• Erfolgsbedingung Nr.2: Die Stadtverwaltung hat diesen Prozess unterstützt, gefördert, begleitet, ge-steuert.Diese Leistung der Verwaltung, zu fördern und zu steuern, ohne den Bürger zu bevormunden,ist das

• Erfolgskriterium Nr.3: Porto Alegre ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung zur ermöglichenden Verwaltung.

Nun werden, so beobachtet Claudio Moser, seit 1995 beiMisereor Brasilienreferent und Unterstützer der NRO CIDADE, auch Themen wie Bildung und Gesundheit stärkerangesprochen.Dabei ergeben sich neue Spannungen mitder Stadtverwaltung und Politik, da es sich meistens umpersonalintensive soziale Programme handelt.Sie belas-ten jedoch den Haushalt nicht nur für ein Jahr, sondernlangfristig.Die elfjährige Erfahrung der Zusammenarbeithat jedoch eine Vertrauensbasis für konstruktiven Um-gang mit Spannungen und unterschiedlichen Interessengeschaffen.Sie hat die politische Kultur in PoA verändert.

Das Modell Porto Alegre zieht nun auch in Deutschlandseine Kreise, wie eingangs bemerkt. Seit Ende 1998 gibtes erste Überlegungen in den nordrhein-westfälischenStädten Münster und Duisburg, über die guten Verbin-dungen, die das DGB-Nord-Süd-Bildungswerk zu brasi-lianischen Gewerkschaften in Porto Alegre und zwei wei-teren Städten hat, eine neue Agenda-Partnerschaft auf-zubauen.Neben dem Bürgerhaushalt wollen die Gewerk-schaftler über internationale Arbeitsstandards beraten,Konzepte nachhaltiger Stadtentwicklung austauschenund über unterschiedliche Erfahrungen der Beschäfti-gungsförderung angesichts des Strukturwandels disku-tieren.Das Stadtentwicklungsministerium NRW hat einefinanzielle Beteiligung an dem Zweijahresprojekt bereitszugesagt, so dass der erste Austauschbesuch im Oktober1999 in Münster und Duisburg stattfinden kann.ManfredBrinkmann, Mitarbeiter des Bildungswerks, erhofft sichvon dem Programm, »dass dadurch nicht nur Gewerk-schaften endlich mehr Zugang zu der Agenda-Arbeit fin-den, sondern auch die Kommunen einen konkretenAnlaß haben, Nord-Süd-Arbeit vor Ort als Chance für in-ternationales Lernen zu erkennen«. Hermann Dietz,Bürgermeister des kleinen Örtchens Mönchweiler, weiß

zu berichten,dass die Erfahrungen aus Porto Alegre auchin Deutschland gemacht werden.Mitte 1998 ließ er eineBroschüre an alle Haushalte verteilen und lud die Bürge-rinnen und Bürger ein, sich gemeinsam Gedanken überdie Finanzierung kommunaler Aufgaben wie der Fried-hofsgestaltung,der Straßenreinigung,der Feuerwehr,deröffentlichen Veranstaltungshalle und der Bücherei zumachen. Überraschend viele Bürger (25%) beteiligtensich an diesem Verfahren, das auch von der Politik inMönchweiler unterstützt wurde.Hermann Dietz: »Am schönsten ist aber der Effekt, dasssich die Bürgerinnen und Bürger, die den Fragebogennach den Investitionsschwerpunkten ausgefüllt haben,auch mehr für die kommunalen Fragen engagieren«.(Auszug aus: KGSt Info 17/1999, Hartmut Gustmann und Ulrich Nitschke »Der

Bürgerhaushalt – Das Beispiel Porto Alegre «)

II.Vortrag: Der Orçamento Participativo (OP)(Partizipativer Haushalt)

1. Das Verfahren wird durch die Bürger bestimmtAusgangspunkt war die Entscheidung,die Bürger dort zubeteiligen, wo sie wohnen.Die Bürger sollten »Herr« desVerfahrens bleiben, daher wurde zunächst von derStadtverwaltung mit den Bürgern eine Geschäftsord-nung (GO) entwickelt,die dem Verfahren eine Autonomievon Politik und Verwaltung sichert. Diese GO wird seitüber zehn Jahren kontinuierlich von den Bürgern mitUnterstützung der Verwaltung weiterentwickelt und andas Verfahren angepasst.

2. Der Zyklus des OPDer Zyklus des OP-Verfahrens beginnt im März einesJahres, dauert zehn Monate und wird jedes Jahr wieder-holt. Die Basis der Beratung war die in der statistischenBerichterstattung bewährte Unterteilung der Stadt in 16Stadtteile (Regionen).In den 16 Regionen der Stadt wur-den Bürgerversammlungen einberufen, zu der durch-schnittlich mehrere Hundert Bürger erschienen.Entspre-chend der Anzahl der erschienenen Bürger berechnensich die Delegierten, die entsprechend den für ein be-stimmtes Interesse eingeschriebenen Bürgern auf dieInteressengruppen verteilt werden.

Die Sitzungen beginnen zunächst mit einem Rechen-schaftsbericht der gewählten OP-Räte und des direkt ge-wählten Oberbürgermeisters, seit 1998 Raul Pont, odereines Bürgermeisters, die auf jeder dieser 16 Versamm-lungen anwesend sind und Rechenschaft geben.Auf die-sen Versammlungen stellt die Stadtverwaltung ihre bis-herige Arbeit vor, ein Vertreter der Kämmerei informiertüber die finanziellen Möglichkeiten der Kommune, stelltdas Programm der Stadtverwaltung vor und legt dieSpielregeln der Stadtverwaltung offen.Diese Spielregelnbetreffen bestimmte Standards (z.B. bei Baumaßnah-men) und Verantwortlichkeiten (z.B. bei Einstellung vonProjektgeldern die Diskussion mit bestimmten Ämtern)und sind mit den OP-Gremien abgestimmt.

Seit 1994 werden zudem fünf thematische Plenarien an-geboten,in denen nach dem gleichen Verfahren Themender Kommunalentwicklung wie: »Transport und Ver-kehr«; »Gesundheit und Soziales«; »Wirtschaftliche Ent-wicklung und kommunale Steuerpolitik«; »Erziehung,

Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung –mit dem Bürgerhaushalt zur Bürgerkommune?mit Hartmut Gustmann, Köln

* Kommunen der Zukunft ist eine Gemeinschaftsaktion der KGST (Kommunale

Gemeinschaftsstelle), der Bertelsmann-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung.

Internet: Kommunen-der-Zukunft.de

81Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Kultur und Freizeit« und »Kommunalorganisation undStadtentwicklung« diskutiert werden.

Die aus den Bürgerversammlungen hervorgegangenenDelegierten sind meist Vertreter von Bürgerorganisatio-nen wie Bewohnervereinen, Frauenorganisationen, Um-weltschützern, Klein- und Mittelbetrieben, Landwirten,Straßenhändlern, Lehrern, Sportvereinen, Behinderten-verbänden, Gewerkschaften, aber auch wenige Einzel-personen.

Die Delegierten beraten im März/April und Mai ihre An-liegen und Anträge aus der Bevölkerung und harmoni-sieren diese mit der Haushaltsplanung der Stadtverwal-tung.Sie entscheiden über die Priorisierung der Vorhabennach einem im Vorjahr in der GO abgestimmten Proze-dere. Die Delegiertenversammlungen tagen dann überzwei Monate wöchentlich, zumeist abends, und öffent-lich.Die Arbeit der Delegierten in den Regionen und denthematischen Plenarien wird dann durch einen Rat derOP-Räte (COP), der von den Delgierten gewählt wird, aufstädtischer Ebene koordiniert und dabei in enger Zusam-menarbeit mit der Kämmerei und dem Stadtplanungs-amt verzahnt (Juli/August).

Den hohen organisatorischen Koordinations- und Kom-munikationsaufwand unterstützen 20 zum Teil dezentraleingesetzte Mitarbeiter des zentralen Bürgeramts.DieseMitarbeiter sind in Moderation ausgebildet.Die fachlicheKoordinierung wird aus den Fachämtern zum Teil direktvon den Amtsleitern geleistet. Im September wird der soaufgestellte Haushalt vom COP dem Oberbürgermeisterübergeben. Seine Behörde koordiniert dann die Abstim-mung der strittigen Fragen.

Im Oktober wird dem Stadtrat (33 Mitglieder aus neunParteien) der Haushaltsentwurf überstellt, der im No-vember darüber beschließt.In den letzten elf Jahren wur-den vom Rat lediglich geringe Änderungen am so zu-stande gekommenen Haushaltsentwurf vorgenommen.Der Haushalt wurde so meist ohne Änderung vom Rat be-schlossen.

3. Erfahrungen bewertenDie anfangs bestehende Skepsis der Ratsmitglieder hatsich mittlerweile überwiegend gelegt. Die die Stadtver-waltung tragenden Parteien haben sich bereits vonAnfang an am OP beteiligt. Die den Oberbürgermeisterstellende Arbeiterpartei (PT) stellt die stärkste Fraktion,verfügt aber über keine Mehrheit und muss den Haushaltmit wechselnden Mehrheiten zustande bringen.Über dieJahre haben sich auch Oppositionsparteien an dem OPbeteiligt.

Bei den Landtagswahlen Ende 1998 hat die damals imLande regierende bürgerliche Oppositionspartei (PMDB)ihrerseits mit einer eigenen Variante des OP Wahlkampfgemacht. Die Landtagswahl wurde von der PT gewon-nen,die seit Anfang 1999 auch auf Landesebene das Ver-fahren des OP verbreitet und durch Kommunalisierungweiterer Aufgaben den OP stärkt.

Durch den OP kann ein verstärktes Interesse der Bürgeran der langfristigen Entwicklung ihrer Kommune ver-

zeichnet werden. Die Parteien erreichen über die im OPengagierten Bürger neue Mitgliederpotenziale.Durch dieRechenschaftslegung, die Transparenz und die neueVerantwortlichkeit der Bürger wurde die kommunaleIdentität der Bürger in PoA gestärkt.Auch die Korruptionist merklich zurückgegangen. Bisher nicht an der Politikin der Stadt beteiligte Bürgergruppen konnten durch dasVerfahren des OP zum »Mitmachen« gewonnen werden.

Ein weiterer Effekt, die Bürgerinnen und Bürger kontrol-lieren sehr genau, ob die beschlossenen Maßnahmenauch umgesetzt worden sind, auch indem sie z.B. Bau-maßnahmen in ihren Wohnvierteln selber abnehmen.

Die anfangs geäußerte Befürchtung, dass die Bürger zuwenig Wissen über Verwaltung und Haushaltsaufstel-lung haben,konnte durch eine enge Kooperation der NRO(Nichtregierungsorganisation) CIDADE und der Kämme-rei gelöst werden. In den letzten elf Jahren wurden über2.000 Bürger in Sachen Haushaltsrecht, Haushaltsauf-stellung und Moderationsmethoden qualifiziert.

4. Das Verfahren nicht in die Verwaltung integrierenEine Erfahrung des brasilianischen Beispiels Porto Alegreist, dass die Institutionalisierung des OP, also seine Ein-bindung als Verwaltungsverfahren, das Ende des OP wäre.Auch der Oberbürgermeister Raul Pont spricht sichfür eine weitere Autonomie des Verfahrens aus. Eine po-sitive Auswirkung dieses Modells sieht er in der gerech-teren Verteilung städtischer Ressourcen und Finanzen.Die Armenviertel haben inzwischen fast alle fließendesWasser und befahrbare Straßen.

Aus der Diskussion:

Frage: Warum Bürgerhaushalt?

Hartmut Gustmann: Das Beispiel Bürgerhaushalt habeich ganz bewusst ausgesucht, weil das Besondere daranist, dass dort die Nachbarschaftsvereine/Bürgervereineeine sehr tragende Rolle spielen.Und deshalb dachte ich,im Rahmen der Neuorientierung, Neubestimmung, auch

strategischer Überlegungen für den Bereich sozial-kultu-reller Arbeit könnte das ganz interessant sein, einfachmal zu gucken, ist da was für uns neu, können wir unsvielleicht auch anders positionieren? Anfang der 90er Jahre gab es eine neue Reformdiskus-sion in den Kommunen. Die jetzt aufliegende Folie, dassogenannte Kommunale Reformhaus, besteht vor allenDingen aus betriebswirtschaftlichen Elementen.Die Idee,die dahinter steckt, ist erst mal aus den traditionellenKommunen gekommen, die so was machen wie Dienst-leistungskommune,wo also ein Dienstleistungsbewusst-sein auch bei den Mitarbeitern entsteht,eine Kundenori-entierung.

Wobei wir als KGSt ein sehr differenziertes Kundenmodellhaben,das verschiedenste Rollen umfasst.Wir haben ver-sucht,output-orientierte Steuerung einzuführen.Und al-le Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, haben wiram eigenen Leibe erfahren.Wenn man neues Denken inalte Strukturen einspeist, dann hat man in der Regel dasProblem, dass bewährte Problemlösungsmechanismenweiterhin benutzt werden.Und das hat in der Umsetzungoft zu mehr Bürokratie geführt.Soweit wir das steuern können, haben wir versucht, daeher ein spielerisches Element einzuführen, weil Pro-dukte ja nicht etwas sein sollen, was man einmal defi-niert, woran man sich dann starr festklammert, sondernaufgabenkritisch, kundenkritisch das Instrument seinsollen, mit dem man eben output-orientiert, wirkungs-orientiert versucht, die Kommune zu steuern. Wenn dasdann nicht erreicht wird, braucht man auch keine Pro-dukt-Philosophie. Und wer das nicht will, der soll sichauch erst gar nicht an die Produkt-Definition machen.DieWandlung zu einer – im guten Sinne gemeinten – wett-bewerbsorientierten Dienstleistungskommune,wo ebenauch ein ökonomischer Fokus neben dem juristischenFokus und dem Verwaltungsfokus angewendet wurde,istein vielschichtiger und langwieriger Prozess.Die Idee,diedahintersteht, ist nicht: ich kaufe einen Anteil der Ge-meinde dadurch, dass ich Steuern abgebe, sondern ichbin Besitzer,also Miteigentümer der Kommune als Bürgerund gestalte das, was mir gehört, mit.

»Das KGSt-Haus«Strategische Steuerung

durch ehrenamtliches hauptamtliches Management(Kontraktmanagement)

Zukunftsorientierte Personalwirtschaft, Modernes Personalmanagement(Personalentwicklung, kurze Entscheidungswege, Delegation von Verantwortung,

Mitarbeitergespräche, Flexible Arbeitszeiten)

Zusammenführung von Fach-, Ergebnis- und Ressourcenverantwortungdurch Dezentralisierung

(Trennung in strategische Aufgaben der Managementunterstützung und Serviceaufgaben)

Budgetierung auf der Basis von Produkt-und Ressourcenplanungen einschließlichder Flexibilisierung des Budgetvollzugs

(Kontraktmanagement)

Systematisiertes, regelmäßigesBerichtswesen als Bestandteil

von Controlling

Flächendeckende Produkt- und Kostenorientierung; Optimierung der Geschäftsprozesse

Prinzip des Haushalts- und Rechnungswesens; Ressourcenverbrauchskonzept

Outputorientierte Steuerung auf der Basis bürger- und kundenorientierter Produkte

82 Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Wir haben also ein Kundenmodell,das verschiedene Rol-len umfasst, eine Vielzahl von Kundenmodellen. Daswichtigste ist der Bürger als Teil der örtlichen Gemein-schaft. Wobei es uns nicht darum geht, sich an demBegriff »Kunde« festzuklammern und den Bürger in eineKundenrolle reinzuzwingen, sondern dass man bei denMitarbeitern – und das ist die Hauptzielrichtung – undbei der Politik eine gewisse Kundenorientierung erzielt.Man kann sehen,dass die Selbstverwaltung der Kommu-nen, die Behörden von ihren ersten Anfängen bis heute,über 150 Jahre gebraucht hat, sich so zu entwickeln.Das Thema Bürgerkommunen ist das erste Mal um dieJahrhundertwende diskutiert worden.Wir haben da alsoeine Ungleichzeitigkeit in den Leitbildern, die das kom-munale Geschehen beherrschen. Wir haben auch eineUngleichgewichtigkeit. Es ist also wie eine Waage, diemal zur einen Seite ausschlägt,mal zur anderen,die abergrundsätzlich beweglich ist.Wir sehen das als einen offe-nen Prozess, den man, wenn man sich in das Verfahreneinmischt, durchaus auch sehr wirksam umgestaltenkann.Wenn ich das in einen historischen Rahmen einordne,sieht man, wenn man sich die Umweltbewegung an-guckt, wie in wenigen Jahren fast revolutionäre Verän-derungen möglich sind. Dort hat sich in 20 Jahren vielesdadurch verändert, dass eben viele mitgemischt habenund dass ein bestimmtes Bedürfnis von verschiedenenSeiten in diese Bewegung eingeflossen ist. Auf dieseWeise kann man eine Gesellschaft in einem relativ kurzenZeitraum fast revolutionär umwälzen.

Unser Ziel ist der betriebswirtschaftliche, der effektiveEinsatz von Ressourcen.Was nicht heißen soll, dass nichtvorher eine intensive Zieldiskussion stattfinden muss,woman hin will. Aber wenn das alles stattgefunden hat,wenn man sich über die Ziele verständigt hat,dann ist derRessourcen-Einsatz immer eine zentrale Frage, die zumessen und zu verantworten ist, es handelt sichschließlich um öffentliche Mittel.Und diese Reform wirdPolitik und Verwaltung nachhaltig verändern. Und dannsind wir auch bei so was wie der Agenda-Diskussion,denn wenn wir nachhaltige Änderungen von

Lebensgrundlagen in der Gemeinschaft erreichen wol-len, dann müssen wir auch an diesen Institutionen undStrukturen ansetzen.Da sind wir dann bei einem wirklichsehr interessanten Aspekt, der uns auch wesentlich vondem unterscheidet, was in der Wirtschaft im Moment anModernisierungs-richtungen läuft.In den letzten 40 Jahren wurden sehr detailliert ver-schiedene Daten ausgewertet, u.a. auch von ProfessorKlages, von der Hochschule in Speyer, der uns nämlichsagt: wir haben keinen Werteverfall, sondern wir habeneinen Wertewandel in unserer Gesellschaft.Und man hö-re und staune:Einer der Kernpunkte dieses Wertewandelsist ein höheres politisches Interesse in unserer Bevölke-rung,empirisch nachgewiesen.Was aber nicht heißt,dassdieses höhere politische Interesse auch ein höheres poli-tisches Engagement nach sich zieht.Und Klages sagt uns,warum das so ist und dass das seine Ursachen nicht in denBürgern habe, sondern dass die Antwort in den Institu-tionen liegt, die da heißen Parteien, Gewerkschaften,Vereine,Verbände,eben auch Kommunen,und auch Bundund Länder. Die Bürger sind schon längst zu einem Wer-tewandel bereit, während wir als Kommunen erst lang-sam anfangen darüber nachzudenken.Es gibt bei den Leuten veränderte Auffassungen des Mit-machenwollens und des Mitmachens, und wir als Kom-mune und als Institution haben noch keine befriedigen-den Antworten. Das fällt ja auch in eine betriebswirt-schaftliche Kategorie, dass wir einen Wandel haben vonAnbietermärkten zu Kundenmärkten, und wir haben imGrunde, wenn Sie Bürger als Kunden betrachten, einen

entwickelten Kundenmarkt, aber keine entwickelteStruktur der Institutionen, darauf Antworten zu geben.Wir haben mangelnde Wahlbeteiligung, wir habenStaatsverdrossenheit, wir haben auch eine Kommunal-verdrossenheit. Das geht ja nicht erst seit vier oder fünfJahren so, sondern seit 15, 20 Jahren, dass es einen riesi-gen Reformstau in diesem Bereich gibt.Es ist aus meinerErfahrung wahnsinnig schwierig,die Masse an Großorga-nisationen, wie Kommunen, überhaupt in Bewegung zusetzen und dann auch in der Bewegung zu einer konti-nuierlichen Reform zu halten. Wir haben das geschafft,

die Verwaltungsrefom der Kommunen. Der politischeAspekt führt zu erheblichen politischen Veränderungen.

Jetzt kommen wir zum Bürgerhaushalt.Diese Diskussionist nicht neu, sie ist Ende der 40er, Anfang der 50er Jahrein der BRD bereits geführt worden, und zwar mit densel-ben Argumenten, die häufig auch heute kommen. Argu-ment Nr.1:Der Bürger ist Laie und mischt sich ein.Da sinddie Profis, die tolle haushaltsrechtliche Ahnung haben,und da ist der Bürger,der Forderungen hat,diese werdendann als überzogene Forderungen bezeichnet und wer-den so diskreditiert. Das sind Standardargumente, diedann in der weiteren Ausdifferenzierung im Grunde im-mer in verschiedenen Varianten vorgebracht werden.Argument Nr. 2 ist:Wir haben uns einmal für das Systemder repräsentativen Demokratie entschieden,das was ihrjetzt machen wollt,einen Bürgerhaushalt oder ein Betei-ligungsverfahren,ist am Ende direkte Demokratie und istinkompatibel zum bestehenden System.Und dann ist es oft so,dass wenn man eine sachlich-fach-liche Auseinandersetzung über neue Horizonte beginnt,dass man gut beraten ist, diese Diskussion nicht anhandeiner zu konkreten Betroffenheitslage zu führen,sondernden Blick möglicherweise außerhalb Deutschlands zurichten,wo bereits seit elf Jahren solche Erfahrungen vor-liegen.Brasilien hat sich, als 1988 das Ende der Militärdiktaturwar, eine neue Verfassung gegeben. Und da sie der Ent-wicklung nicht recht trauten, sondern die Gefahr sahen,dass das Militär wieder intervenieren könnte in diesemDemokratisierungsprozess, versuchten sie vorzubauen.Dazu muss man wissen, dass Brasilien bis 1964 ein ent-wickeltes demokratisches Land war, jedenfalls für süd-amerikanische Verhältnisse, und sie hatten eine demo-kratische Tradition, so dass sie ganz großen Wert darauflegen mussten, in ganz kurzer Zeit eine breite Legitima-tion ihrer politischen Arbeit zu haben und dementspre-chend die Mobilisierung ihrer Bürger und auch Unterstüt-zung durch die Bürger für ihre Arbeit suchten. Und des-halb gaben sie 1988 der Partizipation Verfassungsrang.Dazu muss man weiter wissen, dass sowohl die alte alsauch die neue Verfassung von Brasilien im Prinzip demGrundgesetz ähnlich ist. Es gibt eine sehr enge Verbin-dung zwischen der brasilianischen und der deutschenStruktur. Das gilt auch für die Haushaltsordnung, dieHaushaltssatzung, für Verwaltungsverfahren, den Zoll.

O> Woher kommt diese Affinität?

Gustmann: Das scheint eine ganz banale Sache. In RioGrande du Sul, das ist der südlichste Bundesstaat vonBrasilien, und in den braslianischen Südstaaten gibt esu.a. zwei größere ethnische Bevölkerungsgruppen, dieItaliener und die Deutschen, und viele Auswanderer mitsehr ähnlichen Rechtssystemen in ihrer Heimat. Es gibtdort auch heute noch eine größere Bevölkerungsgruppe,wo die Leute einen bestimmten Dialekt aus Pommernsprechen, auch Donauschwaben.

O> Ich war da mal in einer Stadt, ich glaube die heißtFriedenau.

Gustmann: Die Stadt heißt Blumenau. Es gibt dort auchein Oktoberfest.

Entwicklung kommunaler Leitbilder

BürgerkommuneZiel: sozialer Zusammenhalt / GemeinwohlFokus: Bürgerschaft / örtliche Gemeinschaft

Argumentation: politisch / kooperativ

DienstleistungskommuneZiel:Wettbewerbsfähigkeit

Fokus: Markt / Abnehmer / KundenArgumentation: Ökonomisch

BehördeZiel: Rechtsstaatlichkeit

Fokus: Untertan / Durchsetzung behördlichen WillensArgumentation: Juristisch

83Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Ende der 80er,Anfang der 90er,als das neue Steuerungs-modell aufkam, zeigten sich verschiedene wichtige poli-tische Lücken in diesem System der kommunalen oderwirtschaftlichen Selbstverwaltung, eine davon ist diewachsende Legitimationslücke. Sie sagt etwas über dasVerhältnis der Bürger zu ihren Kommunen oder der Kom-munen zu ihren Bürgern aus.Dieses Verhältnis ist schwie-riger geworden. Und wenn wir sehen, dass die Basis un-serer Demokratie und unseres Systems und damit auchder effektivste Ansatz der Weiterentwicklung dieses Sys-tems in den Kommunen liegt, dann ist das genau derPunkt, an dem man ansetzen muss bei der Legitimität.Wenn dann aber die Wahlbeteiligungen so drastisch sin-ken, wie uns das in den letzten Jahren so offensichtlichvor Augen geführt wird,dann kommen wir in immer stär-keren Legitimitätsdruck.Diese Entwicklung war aber vor10, 15 Jahren schon absehbar. Das heißt, schon Anfangder 90er Jahre war es so weit wissenschaftlich unter-mauert, dass diese Entwicklungen auf uns zukommen,dass wir uns getraut haben, die Notwendigkeit sehr ein-deutig zu formulieren.Bei jeder strukturellen Veränderung ist ein sehr langerAtem geboten.Und da sind wir an dem Punkt: Der Haus-halt ist das wichtigste Steuerungsinstrument in denKommunen.Und dann passiert dieses: Sie als Rat sitzen als jemand,der etwas bewegen und erreichen will, in x Ausschüssen,sitzen sich den Hintern platt und latschen sich die Füßeab, wissen aber eigentlich ganz genau, dass das, was Sieda so schön entwickelt haben, nicht unbedingt auch zustichhaltigen Ergebnissen führt, weil es einen Unter-schied gibt zwischen inhaltlicher Diskussion und derDiskussion um die Ressourcen.Und das, was wir über dieIdee der Bürgerhaushalte einführen, ist eben die Zusam-menführung der inhaltlichen Diskussion mit der Diskus-sion um die Ressourcen, die Finanzen, um diese Einheit-lichkeit der Diskussion wieder zu erreichen, die irgend-wann einmal abhanden gekommen ist. Wenn wir daskonkretisieren, dann sehen wir, dass wir nicht etwaNeuland beschreiten, sondern dass wir historisch gese-hen immer wieder eine ähnliche Diskussion führen, diesjetzt aber hoffentlich auf einem anderen Qualitätsniveau.Die Diskussion des Bürgerhaushalts und der Bürgerkom-mune gab es,wie gesagt,auch schon.Nur waren das bür-gerlich-patriziergeprägte Strukturen, wo sehr demokra-tisch – unter Patriziern demokratisch und dann unter denBürgern demokratisch – über Haushaltsverwendung,über Inhalte und Geld, die Entscheidungen getroffenwurden. Dazwischen liegt ungefähr ein Jahrhundert. Indiesem Jahrhundert haben wir eine Entwicklung, die soaussieht, dass nicht nur die Bourgeoisie, nicht nur diePatrizier, ein Entscheidungsrecht haben, sondern dasssich diese Entscheidung auf wesentlich breitere Kreisestützt. Und damit sind wir auf einem anderen Qualitäts-niveau und deshalb müssen auch die Prozesse, die dementsprechen, viel komplexer ausfallen. Die müssen wirneu organisieren.Das ist nicht leicht,weil Verwaltung re-lativ behäbig und damit auch relativ nachhaltig in ihremWirken ist,aber es hat ja alles eine gute und eine schlech-te Seite. Ich kann mich über eine Verwaltung auf der ei-nen Seite aufregen, dass sie so schrecklich unbeweglichist,auf der anderen Seite ist es natürlich auch so,dass die-se Unbeweglichkeit Ausdruck eines Status quo ist, dereinmal erreicht worden ist und der auch nicht wieder so

einfach zurückgedreht werden kann.Diese Idee vom Bürgerhaushalt bedeutet in diesemZusammenhang:die Bürgerinnen und Bürger werden alsBerater von der Verwaltung ernst genommen, es gibt al-so ein Beratungsverfahren der Verwaltung,in dem Bürgerdie Verwaltung beraten, bevor der Rat beschließt.Das istder kommunalverfassungsrechtliche Begründungszu-sammenhang dafür.Es gibt eine Plattform zur Diskussionzwischen Bürgern, Verwaltung und Politik. Das ganzeVerfahren fängt im Februar an und dauert bis Dezember.Die haben also dort eine über das ganze Jahr laufendeDiskussion und wir werden noch zu dem Punkt kommen,dass das Interessante daran ist,dass sich jemand nicht aufJahre hinaus verpflichten muss,an so einem Verfahren alsBürger teilzunehmen, sondern dass man sein eigenesbürgerschaftliches Engagement in diesem Apparat aufein Jahr und mit einer Vielzahl von zu übernehmendenAufgaben auch auf kleine Portionen dieses Systems zu-schneiden kann,was übrigens selbstorganisiert läuft undnicht von Staat oder Verwaltung organisiert ist.

Jetzt noch ein paar Daten,damit Sie eine Vorstellung krie-gen,was wir hier bereden.Wir reden hier über eine Stadt,die die Hauptstadt dieses brasilianischen Bundeslandesist,etwas kleiner als die Bundesrepublik Deutschland,dieStadt hat 1,3 Mio. Einwohner, ist eine große Metropole.Die Stadt liegt an einer großen Lagune, hat einen jährli-chen Bevölkerungszuwachs von 0,4% und gewinnt sehrstark an Zuwachs aus dem ländlichen Raum.Der Haushaltist ungefähr 1 Milliarde,wenn man das mal vergleicht miteiner Stadt wie München, die etwa genauso groß ist, diehat einen Haushalt von ungefähr 7 Milliarden Mark. Dasehen Sie also,dass es trotz der gleichen Größe schon er-hebliche Unterschiede gibt.In der Stadtverwaltung PortoAlegre sind etwa 21.000 Mitarbeiter beschäftigt. Wennman das vergleicht mit München,da sind es etwa 50.000Mitarbeiter inclusive der indirekten Verwaltung,das sindz.B.in München die Stadtwerke oder die Bäder GmbH.InPorto Alegre gibt es 20 Ämter. Und das ist etwas, was fürunsere Verhältnisse revolutionär ist.Der Oberbürgermeis-ter und der Rat werden als eigener Haushaltsposten mitAmt geführt, werden also budgetiert und vom Rat ge-nehmigt.Das heißt,die können aus ihrem Haushalt auchdie Politikkosten ableiten. 33 Stadträte, ein Oberbürger-meister – der ist seit 1997 im Amt,für vier Jahre gewählt.Und die machen seit elf Jahren diese partizipative Haus-haltsaufstellung.Dieser relativ lange Zeitraum macht dasGanze als Modell interessant. Das ist ein Großstadt-Ver-fahren, das seit elf Jahren funktioniert. Sie haben diver-seste Preise gekriegt,Paris und Barcelona versuchen jetztauch gerade, das bei sich zu implementieren, Duisburgund Münster sind große Städte,die diesen Weg jetzt auchin Deutschland als erste gehen.

O> Haben die Bürger oder die Deputierten nur über 15oder 20% vom Gesamthaushalt zu entscheiden oder wieist das?

Gustmann: Entscheidend ist für Entwicklungsländer derStrukturwandel. Die haben in der Regel 0% ihres Haus-haltes an Investitionsvolumen oder vielleicht höchstensmal 1 oder 2%. Das heißt also, der Anteil von 15 bis 20%Investitionen am Haushalt, also von investiven Ausga-ben, das ist riesig. Die Bürger entscheiden über alle

Geschicke ihrer Kommune. Das sind Investitionen fürStraßen, für Abwasser, für Kulturläden, Abfallbeseiti-gungsunternehmen.

Zwischenfrage: Wie würde das bei uns aussehen imVergleich?

Gustmann: Bei uns ist der investive Anteil wesentlichhöher. Der ist auch in den anderen westlichen Industrie-ländern höher. Wenn Sie die Anfangszeiten in den 70erJahren sehen, wo die großen Infrastruktur-Investitionengemacht wurden wie Abwasser, U-Bahn usw., dann wa-ren das schon große Teile des Haushaltes, etwa in Mün-chen.In Brasilien ist dieses Modell ein kleines Erfolgsmo-dell geworden. In jedem Jahr wirken dort 33.000 Bürgeran der Haushaltsabstimmung mit. Wir haben diesenBürgerhaushalt 1998 zum ersten Mal in Münchwalde imSchwarzwald ausprobiert.Von den 3.500 Einwohnern ha-ben sich zwischen 250 und 300 Leute über das ganze Jahrbeteiligt, das waren 10%. Aber die Erfahrungen zeigen,dass man von 3-5% der Bevölkerung bei solchen partizi-patorischen Verfahren ausgehen kann. Die Begleitfor-schungen dazu sind von einer Nicht-Regierungsorgani-sation gemacht worden; und was interessant ist, fürBrasilien kann man es im Internet abrufen, den ganzenHaushalt kann man abrufen, die ganze Diskussion, alleTermine.Jetzt konkret zu dem,wie es abläuft.Das ist ein Verfahren,das geht jährlich von Februar bis zur Beschlussfassungdes Rates im Dezember – auch hier beschließt nach wievor der Rat den Haushalt in letzter Instanz. Es ist aller-dings nur einmal vorgekommen,dass der Rat nach dieserBeschlussfassung noch Sachen rausgeholt hat und ge-sagt hat, ihr habt hier die Belange der Stadtentwick-lungsplanung nicht genügend berücksichtigt. Dort gibtes seit der Jahrhundertwende einen Stadtentwicklungs-plan, der in 20-Jahres-Abständen kontinuierlich fortge-schrieben wird, mit einer sehr zukunftsweisendenVerkehrsplanung, mit ökologischen Aspekten, Haupt-windrichtungen, Flussrichtungen, Grundwasserspiegelnund weiteren Aspekten der Stadtplanung. Es gibt ja ge-nug brasilianische Städte, die überhaupt keine Stadtpla-nung haben, wie Sao Paulo. Dabei ist so eine Stadt mit 18 Millionen Einwohnern im Grunde unverwaltbar. Bo-denspekulationen diktieren der Verwaltung den Takt.Dasist auch das Problem in Porto Alegre gewesen. Und dasHauptproblem, was dort viele Städte kennzeichnet, ist,dass mit der Bodenspekulation sehr viel Unordnung indie Stadt reingekommen ist. Es gibt große Flächen, dienicht in ein Bauplanungsverfahren einbezogen sind, woaber Tausende, Zehntausende Parzellen für einen Appelund ein Ei, unerschlossen, ungeplant verscherbelt wer-den.So werden über Nacht Wohnorte durch illegale Spe-kulation geschaffen. Seit den 60er Jahren versucht dieStadtverwaltung,Schritt für Schritt dieses Problem in denGriff zu bekommen.Sie ziehen die Planungsdiskussion indie Bezirke runter. Da sind dann die Bürger, Bürgerver-eine, Nachbarschaftsheime, die Einfluss nehmen. Diespielen bei der Organisierung von Bürgerinteressen eineentscheidende Rolle.In Porto Alegre haben sie dann 1994 beim OP gemerkt,nachdem sie das fünf Jahre gemacht hatten, dass dieseOrtsplanung,d.h.die regionale Planung alleine nicht aus-reicht,sondern dass sie auch themenorientierte Planung

84 Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

machen müssen, weil sie ansonsten die Zielsetzungenihres Stadtentwicklungsplanes nicht mit in das Ganzeeingebaut kriegen.Also, es müssen gemeinwohlbezoge-ne Interessen und gemeinschaftsbezogene Interessendort eingebaut werden. über Themen wie Sport, Kultur,Gesundheit oder Soziales, Infrastruktur, Abwasser, Müll-abfuhr bis zu Hausbau und Straßenbau. Interessant ist,dass bei Eröffnung des Verfahrens in jedem Jahr dieStadtverwaltung eine Informationspflicht hat. D.h., diemachen eine Vielzahl von Versammlungen, auf denenVerantwortliche der Region reden, wo der Haushalts-vollzug des letzten Jahres dargelegt wird, wo überEntwicklungen berichtet wird,wie der Bürgermeister sei-ne Zeit genutzt hat, wie bestimmte Gelder, die für Infra-struktur oder Instandhaltungsarbeiten vorgesehen wa-ren, eingesetzt worden sind. Da wird über die jetzigePlanung der Stadtverwaltung berichtet.Ein Detailaspekt:bei Ausschreibungen, wenn eine Straße gebaut wird,übernehmen die Nachbarschaftsheime z.B. die Abnah-men der Bauvorhaben.Das ist deshalb interessant,weil inder deutschen Stadtverwaltung die Verwaltungen oft nurnoch Pauschalabnahmen von ganzen Gewerken durch-führen, weil man einfach die Leute nicht hat, die zu jederkleinen Baumaßnahme hingehen könnten, die ein klei-ner Unternehmer irgendwo macht: da wird mal ein Lochzugemacht,da mal eine Leitung verlegt,da mal ein Gullyverlegt. Da kommt am Ende der Baumaßnahme über-haupt kein städtischer Angestellter hin, der das Ding ab-nimmt, sondern es wird pauschal abgenommen. D.h. ir-gendwann in den nächsten Jahren kommt dann mal je-mand vorbei und kontrolliert das vielleicht. Das ist auchein Punkt, warum in Deutschland Bauen so wahnsinnigteuer geworden ist.Diese Aufgabe wurde in Porto Alegreauch auf die Bürgervereine übertragen. Sie kriegen dortBaustandsunterlagen,welcher Qualitätsstandard z.B.beieinem Bürgersteig vorgesehen ist,dann geht ein Komiteeaus dem Bürgerverein dorthin und guckt nach, misstnach – die wissen dann sehr genau, ob das ordentlichdurchgeführt worden ist oder nicht – und schicken dannihren Bericht. So haben sie qualitativ gute Abnahmen.Wenn es Probleme gibt, rufen sie jemanden von derStadtverwaltung an und der kommt dann.

O< Da gibt es dann wahrscheinlich auch weniger Kor-ruption – wenn man jetzt hier in Berlin den Betonskandalsieht,mit den Preisabsprachen,auf sowas haben ja sicherdie Bürger auch ein Auge.

Gustmann: Also, wenig Korruption gibt es da nicht ge-rade,da gibt es noch eine Menge Korruption,aber sie ha-ben es über dieses System der Transparenz geschafft,Korruptionsfälle um weit über die Hälfte zu senken. Esgibt jedenfalls immer genügend Bürger, die bereit sind,sich in so etwas einzuarbeiten und so etwas auch zu kon-trollieren.Im OP kann jeder kommen und Anträge stellenan die Kommission,also an dieses selbstorganisierte Gre-mium. Die Stadtverwaltung hat mal eine Grundsatzungaufgestellt,die kann aber jederzeit verändert werden,dieselbstorganisierten Gremien werden unterstützt durchein Bürgeramt der Stadt.Dort arbeiten ca.30 Mitarbeiter,mindestens einer pro Stadtteil, der nur die Funktion hat,den Bürgern Moderationsfähigkeiten beizubringen,Räu-me zu beschaffen, Infrastruktur zu stellen.Wenn die Bür-ger sagen,sie wollen jemanden da haben,der ihnen was

über Finanzen erzählt,dann hat er den herbeizuschaffen;oder sie brauchen jemanden, der etwas über Ingenieur-wesen oder Technik sagt, dann schafft er den heran.Übrigens,unsere holländischen Freunde in Tilburg habenihr System weiterentwickelt, da haben Nachbarschaftenkleine Kontingente, also Budgets, die sie abrufen kön-nen. Dann hätte also beispielsweise der BürgervereinNeukölln 500 Stunden bei den Technischen Diensten derStadt Berlin,die er abrufen kann.Sie könnten sich also sa-gen, wir wollen jetzt mit 50 Stunden eine Halfpipe fürSkater erstellt haben. Dann muss man das Projekt defi-nieren und das muss die Stadtverwaltung dann abarbei-ten, und zwar unter der gleichen Priorität wie alle ande-ren Sachen, weil das auch im Kontrakt festgelegt ist. InHolland wurde so etwas präzise in das System eingebaut,so dass auch keiner von der Stadtverwaltung oder vonder Politik ein schlechtes Gewissen haben muss oder et-was anderes dafür aufgeben muss. Sondern das ist einganz alltäglicher Bestandteil seiner Arbeit. Wenn etwasschlecht durchgeführt wird, dann hat er sozusagen nichtin seinem Engagement schlecht gehandelt, sondern sei-ne Arbeit schlecht gemacht. Das ist dann abmahnfähigund geht dann auch in die ganz normale arbeitsrechtli-che Maschinerie ein.

O> Noch mal eine Frage zu den 16 Stadtteilvereinen inPorto Alegre. Werden die nur zu dem Zweck der Haus-haltsaufstellung einberufen oder sind das sowieso schonexistierende Vereinigungen?

Gustmann: Diese Plenarien des OP werden nur zumZwecke der Haushaltsaufstellung einberufen.Es gibt dortauch seit eh und je Bürgervereine.Die kümmern sich z.B.auch um Probleme der Favelas (illegale Wohnsiedlungen)oder um die Interessen der Bewohner vor Ort oder ma-chen Angebote von Tauschbörsen oder so – so wie wirdas hier auch eingeführt haben,das stammt ja eigentlichaus den Entwicklungsländern, von der Tauschwirtschaft.Das haben die Leute dort natürlich auch,das organisierendie Bürgervereine. Also nach wie vor gibt es noch diesebürgerschaftlichen Vereinigungen, die ganz klar Interes-sen für ihren Stadtteil formulieren und die auch jenseitsvon der Einflussnahme auf den kommunalen Haushalttätig sind.

O< Wie funktioniert das, wenn die Kommune ein Vor-haben hat,das von diesen Plenarien verworfen wird bzw.anders gewünscht wird?

Gustmann: Dann setzen sich die Plenarien durch und dieStadt hat die Chance, sich mit ihrem Plan beim nächstenMal einzubringen.Und das tut die Stadtverwaltung dannmeistens auch. Die fahren dann halt für drei oder vierJahre mit ihren Prioritäten runter.Ein Beispiel,das ich sel-ber miterlebt habe: Die Verkehrsverwaltung wollte eineverkehrstechnische Tangente haben zwischen zwei Aus-fallstraßen, um den Inner-Wohnviertel-Verkehr zu redu-zieren. Das wurde erst nach vielen Jahren verwirklicht,weil es immer wieder weggestimmt wurde. So ein Ver-fahren, so diffus oder so schwierig es uns jetzt erscheint,ist durch und durch pragmatisch und vernünftig von denErgebnissen, die dabei herauskommen, dass da wirklichwichtige Maßnahmen nicht auf Dauer hinten runterfal-len. Das ist nicht erstaunlich. Die Bürger sind ja letztend-

lich viel einsichtiger, wenn man sie in den praktischenProzess einbindet, als wir das vielleicht als Verwaltungoder Institution glauben wollen.Bei uns gibt es nicht nurin der Verwaltung,sondern auch bei vielen Vereinen einegewisse Angst, was haben wir da für Ergebnisse zu er-warten, was für ein Chaos läuft da ab, wenn alle mitbe-stimmen.Dieses Verfahren hat sich dort für die Region –ob das nun so einfach zu übertragen ist,lassen wir mal of-fen – aber es hat sich dort bewährt und ist für die Ent-wicklung der Stadt eine ganz tolle Sache.Vor allem auchdeshalb, weil die Stadt mittlerweile weltweite Aufmerk-samkeit hat.Und dann passiert das, was immer passiert.Dann fließen Investitionen in die Stadt,die Stadt wird at-traktiver, es kommen immer mehr Leute, wenn immermehr Leute kommen, wird es noch attraktiver und dannfließt wieder mehr Geld rein. Das ist dann so eine ArtWunderspirale.

O> Dürfen Kinder und Jugendliche da mitreden oder istdas abhängig vom Wahlalter?

Gustmann: Das Problem stellt sich gar nicht, es ist eineviel jüngere Gesellschaft, es gibt aus unserer Sicht eherdas Problem, dass sich daran viel zu wenig Alte beteili-gen. Sie sehen es ja auch an den Bildern (Fotos, die rum-gereicht werden),was für Menschen dort anwesend sind.Und die Leute,die ich für 45 halten würde,stellt sich dannheraus,die sind 25.Das muss man bedenken.Und Kinderund Jugendliche unter 18 – ja, ich habe welche im OP-Prozess gesehen mit ihren Lehrern, aber die haben danicht zum OP geredet.Im OP mussten die Bürger, und das ist ja auch für unserePlanungsprozesse von der betriebswirtschaftlilchenMethodik her notwendig,Prioritäten setzen.Die Bevölke-rung muss in ihren Äußerungen, ihren Wünschen Prio-ritäten setzen. Die Leute vor Ort diskutieren über diePrioritäten,die sie in bestimmten Kategorien setzen wol-len.Man einigt sich vorher,macht dann der Stadtverwal-tung einen Vorschlag.Die legen dann in den 16 Regional-veranstaltungen in den Bezirken Prioritäten fest,das wirddann auf die nächste Ebene weitergegeben. So wird daszu einem Gesamthaushaltsprozess verzahnt.Immer wie-der findet ein interaktiver Rückkoppelungsprozess statt,wo die letztes Jahr aufgestellten Standards und die ad-ministrativen Kriterien überprüft werden. Wenn eineRegion etwas vorschlägt, was in die Vorjahresstandardsnicht reinpasst, dann muss diese Region zunächst ihreProjekte so verändern,dass sie da reinpassen.Die könnendann aber fürs nächste Jahr die Standards verändern,wenn es nicht reinpasst. So kommt eine gewisse Konti-nuität rein, eine bestimmte Zuverlässigkeit gegenüberspontanen Dingen. Eine Geschichte aus der Anfangszeit,als sie das eingeführt haben:Da haben sich einige diesemVerfahren verweigert. Da hat die Stadtverwaltung ge-sagt, wenn ihr da nicht mitspielt, dann zieht ihr denKürzeren. Und dann passierte folgendes: Dann habendort Minderheiten in einem reichen Stadtbezirk dasganze zur Verfügung stehende Geld in die Favela reinge-geben, in Infrastrukturmaßnahmen, in Bauprojekte inden gutbürgerlichen Wohnvierteln. Dann haben die an-deren Bewohner des Stadtviertels versucht, auf dem be-kannten Wege über ihre vertrauten,meist konservativenStadtverordneten,über Handwerkskammern und Indus-trieverbände, über föderale Abgeordnete, über Minister

85Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Einfluss zu nehmen auf dieses Verfahren – und das ist dereigentlich kritische Punkt für so ein Verfahren. Es gibt indem Verfahren nachher Stadtteilbudgets,wo man sagenkann, in den Stadtteil fließt jetzt nicht 1/16, sondern esfließt ein festgelegter Bestandteil in das Stadtviertelzurück von den Einnahmen der Stadt. Sie haben aberauch einen Förderwürdigkeitsschlüssel.D.h.die gesamteBevölkerung stimmt darüber ab, welche Maßnahmen inwelchen Stadtteilen besonders förderungswürdig sind.Und so wird auch die Einheitlichkeit der Verhältnisse her-gestellt, entsprechend dem Verfassungsrahmen, wo derAuftrag lautet Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse her-zustellen.

O> Können Bezirke auch eigene Steuern erheben?

Gustmann: Nein. Nur in ganz bescheidenem Umfang.Wie auch in vielen mittel- und osteuropäischen Länderngibt es so etwas wie Marktgebühren, Standgebühren.Sowie das bei uns auch der Fall ist. Und ansonsten ist dasSteuersystem ähnlich wie bei uns. Da gibt es Einkom-menssteuer, Körperschaftssteuer, dann haben sie so wasähnliches wie eine Mehrwertsteuer, dann gibt es so wasähnliches wie eine Gewerbesteuer für die Gewerbetrei-benden, aber auch für Rechtsanwälte, Steuerberater,Ärzte, die ja bei uns rausfallen.Dann gibt es Amtsblätter.Und die informieren monatlichüber den Stand des Haushalts. Sie erreichen dadurchTransparenz.Die Nichtregierungsorganisationen schulenLeute,die sich als Delegierte und dann als Räte an diesemVerfahren beteiligen, mit Haushaltskenntnissen. DieStadt hat jetzt etwa 2.000 Leute,die im Prinzip den Haus-halt hoch- und runterdefinieren können, die auch dieKosten-Leistungsrechnungen beherrschen und die daTransparenz reinbringen können,weil sie das System ver-standen haben. Wenn man sich mal vorstellt, wie vielKnow-how die Leute da reinbringen,die brauchen natür-lich auch erst mal eine gewisse Zeit, ehe sie da richtigreinkommen.Wenn Sie 70 Abgeordnete im Abgeordne-tenhaus haben, dann weiß die Verwaltung ganz genau,dass da vielleicht zwei oder drei den Haushalt komplettlesen und in allen Details verstehen können, der Restkann ihn nicht lesen. Der Rest weiß auch nicht, wo wasversteckt ist oder wo Freiräume sind. So ist das in dieserbrasilianischen Stadt nicht mehr. Der Haushalt ist ein öf-fentliches Thema.Spätestens nach einem halben Jahr hatsich auch der Allerletzte da durchgekämpft und kenntdie Handlungsspielräume.Und das Spiel geht da genau-so wie bei uns. Politik versucht, sich Freiräume zu schaf-fen, die Verwaltung versucht es auch. Und die Stadtteileversuchen genauso, sich mit ihrem Budget Freiräume zuverschaffen. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden.Das muss nur halbwegs ausbalanciert werden.Noch etwas zu den Menschen: Man kann wählen, mitwelchem zeitlichen Aufwand man sich engagieren will.Ich kann z.B.als Bürger wählen,ob ich zu einer Veranstal-tung hingehe, zu der ersten, einen Auftrag formuliere,den in ein Gremium reingebe und darauf vertraue, dasssich früher oder später jemand damit beschäftigt unddass das dann seinen Niederschlag findet.Dann ist meinEinsatz eine Veranstaltung von vier Stunden. Oder ichkann sagen, ich bin bereit, als Delegierter oder als Ratmitzutun, dann steigert sich mein Einsatz von zwölfWochen mit je drei Stunden bis hin zum Delegierten mit

einem Jahr und vier Sitzungen pro Monat von je vierStunden bis hin zu einem fast Stadtrat-Engagement. Ichkann aber auch sagen,ich will nur ein bestimmtes Projektverfolgen, dann brauche ich mich praktisch nur bei derAuftragsvergabe bei der Behörde sehen zu lassen. Ichkontrolliere das dann, wenn die Maßnahme abgeschlos-sen ist,schreibe einen kleinen Report und schicke den andie Verwaltung. Also sie haben eine Vielzahl von Ange-boten,die von der Verwaltung topmäßig aufbereitet sind,aus denen der Bürger auswählen kann.

Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zu meiner Bewer-tung sagen.Wenn so viele Menschen sich ernsthaft überein ganzes Jahr daran beteiligen, dann kommt es nichtdazu, dass Politik oder Verwaltung ein Vorhaben inBausch und Bogen beerdigen können. Das macht keinermehr.Was passiert z.B., wenn die so »einen Unsinn« ma-chen wie in München? Die Bürger beschließen dort plötz-lich in Mehrheit (Volksentscheid) einen Tunnel.Die einenwollten den Tunnel, die anderen nicht. Da wird also dasganze freie Geld vieler Jahre in so ein Tunnelprojekt ge-zogen. Ja, das kann eben immer passieren. Es kann auchpassieren, dass sie sagen, wir wollen die Schnellstraßehaben. Das sind populistische Themen. Es kann immerKonstellationen geben, wo in bestimmten StadtteilenZufallsmehrheiten zustande kommen, es wird etwas ge-mildert durch das System, aber es kann passieren. Dasmuss man wissen,damit muss man ganz offen umgehen.Das wird aber in München nie wieder passieren, das istjetzt die Erfahrung der Leute. Die ganzen Sportvereinehaben z.B.gemerkt,dass wegen des Tunnels ihre Etats fürviele Jahre um die Hälfte gekürzt werden. Und das be-deutet für einen Sportverein das Aufbrauchen nahezuder gesamten Grundlagen.Ein drittes,viertes,fünftes Jahrsteht das niemand durch.Und die werden aufpassen,dassihnen so etwas nicht noch mal passiert,dass nämlich einProjekt alles infrage stellt.Transparenz schaffen, das ist ein gemeinsamer Lernpro-zess. Ich hatte anfangs diesen Bürger zitiert, der gesagthat,bei solchen Veränderungen gibt es Bedenken,dass daLaien mitmischen und die Professionalität durcheinan-derbringen.Das andere ist,dass einem vorgehalten wird,hier wird unser System entscheidend infrage gestellt.Es gibt schon lange Diskussionen um solche Elemente.Esgab in Hamburg und in Nürnberg nach dem Krieg Beirätevon Bürgern, die bestimmte Sachen vorbereitet haben,die dann vom Stadtrat so beschlossen wurden.Wenn Sieso wollen, direkte demokratische Elemente. Anders hät-te man Großstädte gar nicht mehr zusammenbauen kön-nen nach dem 2. Weltkrieg, mit den Verwaltungen garnicht mehr arbeiten können. Man hat schon damals dasbegonnen,was wir im Grunde jetzt auch brauchen.Wennwir das System weiterentwickeln wollen, stehen wir vorder gleichen Frage. Wir haben einen relativ hohen Re-formstau.Wenn in Brasilien z.B. ein größeres Einkaufszentrum imStadtteil gebaut wird, müssen die Investoren in dieBürgergruppen rein und ihr Investitionsmodell vorstel-len. Es wird diskutiert bis zur Klärung. Und obwohl siegutwillig waren,ging es bis an die Grenze dessen,was einUnternehmer an Zeit hat oder an gutem Willen gegen-über der Akzeptanz durch seine zukünftigen Kunden. Erwird in Prozesse reingedrückt, die für ihn sehr schwierigsind.Hier bei uns,wo die Verwaltung nicht so schnell han-

delt, wird das Ding auf die grüne Wiese gesetzt, und dieBürger fahren hin, weil sie eben Autos haben. Schon da-durch wird eine bestimmte Klientel bevorzugt. In Brasi-lien wird die breite Masse der armen Bürger z.Z.begüns-tigt. Das hat also auch einen emanzipatorischen Effekt.Die Reichen lernen zu akzeptieren, dass nicht nur für sieetwas getan wird, sondern auch für die Randgruppen,und dass bestimmte wichtige Grundversorgungsge-schichten – Wasserstraßenbau,Wohnungsbau – im Mo-ment Vorrang haben.Es gibt ein Beschwerdetelefon, wo der Bürger sagenkann:ich zahle Steuern,deshalb habe ich einen Anspruchdarauf, dass die Straßenlaterne in meiner Straße brenntund nicht ein halbes Jahr die durchgebrannte Birne nichtausgewechselt wird. Also Dienstleistung funktioniertdort.Budgetierung:70% wird in die Verfahren budgetiertund 30% kriegt die Verwaltung zur allgemeinen Verfü-gung. Dieses Verfahren der Bürgerhaushalte schlägt aufDauer auch auf die Stadtplanung durch. Es werden alsoauch die gesamtstädtischen Interessen berücksichtigt.Und es bildet sich eine Diskussionskultur in der Stadt.Dashat eine unglaubliche Politisierung auch des bürger-schaftlichen Engagements hervorgebracht und das dar-unter liegende Prinzip der Partizipation ist »teile undherrsche«.Verwaltungen und Politik verzichten auf einenTeil ihrer Macht, aber nicht auf den Wettbewerb der Pro-jekte und der politischen Programme, Überzeugungenund Letztentscheidungen. Das hat also nicht dazu ge-führt,dass es keine politischen Differenzen mehr gibt.ImGegenteil, das hat nur dazu geführt, dass die Leute, diediese Transparenz und die politische Diskussion herge-stellt haben, bei Wahlen belohnt worden sind, weil sieüber mehr als eine Legislaturperiode bewiesen haben,dass es funktioniert.Wenn es jetzt zu einem politischenWandel kommen würde,würde ich sagen,die Grundideeist nach elf Jahren gesichert.

Ich habe noch was mitgebracht zu Deutschland. 1998wurde zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung unddem DGB ein Netzwerk gegründet – »Kommune derZukunft« – wo innovative Projekte von Kommunalent-wicklung aufgelegt wurden. Eines davon war auch Bür-gerhaushalt. Da gab es eine Arbeitsgruppe mit zweiGemeinden im Schwarzwald, Warstein, Stauffenberg –das ist Hessen, die Stadt Passau. Mönchweiler imSchwarzwald hat, sehr vorsichtig, erst einmal vier Berei-che in diesen Bürgerhaushalt eingegeben – den Friedhof,die Mehrzweckhalle, die Stadtbücherei und die Feuer-wehr. Das klingt alles harmlos. Aber wenn wir wissen,dass in Kommunalverwaltungen Strukturen bestehen,z.B. bei der Feuerwehr, wo Sie überhaupt nichts bewegtkriegen, dann sehen Sie, wie mutig dieses Projekt ist, dadie Feuerwehr mit reinzunehmen und zu versuchen,eine Reform zu machen.Das sind gerade in Kleinstädtendie kritischen Punkte, an denen auch ein Bürgermeisterfortgefegt werden kann.In Mönchweiler hat der Bürger-meister den Gemeinderat und die Parteien komplett hin-ter sich gehabt und auch seine Amtsleiter und Dezer-nenten in der Stadtverwaltung. Die hatten am 25. Okto-ber Wahl, der Bürgermeister ist wiedergewählt worden,und der Stadtrat ist zur Hälfte mit neuen Leuten besetzt,die mehrheitlich damit geworben haben, dass sie für eine neue Transparenz und Offenheit stehen. Das heißtalso, man kann mit solchen Dingen auch in Deutschland

86 Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

Wahlen gewinnen und man kann sich mit Sachen wieTransparenz und Information gegenüber den Bürgern sopositionieren – parteienunabhängig – dass man dafürgewählt wird. Man muss vorsichtig sein, ob das jetztschon eine hohe Aussagekraft hat, aber immerhin – dasist das Modellprojekt und da hat es auch geklappt. Manstaune über so eine kleine Gemeinde, da kommen dannregelrechte Lawinen an Engagement heraus. Die habenjetzt ein Projekt aufgelegt – eine 3.000-Einwohner-Ge-meinde - und zwar die Entwicklung eines Stadtparks, ei-ner Schule, unter Agendagesichtspunkten mit Einbezie-hung eines neuen Wohnviertels.Da werden Wohnviertel,Stadtpark, Schule und Agenda in einem konzertiertenProjekt zusammengefasst, und von der Bürgerschaft,vom Rat, von der Verwaltung und von der Industrie ge-meinschaftlich geplant. Wenn man so zusammenarbei-tet,geht gerade in kleinen Kommunen viel mehr als manvorher gedacht hat.

O> Das ging doch auch durch die Presse, dass der Bür-germeister jedem Bewohner 100 DM zurückgezahlt hat.

Gustmann: Das war eine Gemeinde in Bayern. Der An-satz dort heißt dann Shareholder- oder Anteilseigner-Prinzip. Man kriegt dann eine Dividende ausgezahlt, dassind die 100 Mark. Das hat aber nichts zu tun mit demGemeinschaftsansatz, das sind zwei unterschiedlicheModelle.

O> Noch mal zurück zu Porto Alegre.Wie ist das dennjetzt nach elf Jahren? Das fing ja alles basisdemokratischan,ich kann mir vorstellen,dass bestimmte Blockverbän-de oder Interessengruppen von Anwohnern, die jahre-lang was angeschoben haben, was erreicht haben undjetzt immer noch da sitzen.Und dass die Leute,die wenigInteresse haben, ihr Wohnumfeld zu verbessern, außenvor bleiben.

Gustmann: Nein,nach diesen elf Jahren gibt es mehr po-litisch Aktive oder bürgerschaftlich Aktive. Das ist relativgut nachvollziehbar,weil die eine prima Begleitforschunghaben, also soziologisch und psychologisch begleitet. Eswurden auch Untersuchungen darüber gemacht,wie dieLeute ihre eigene Lernerfahrung beschreiben, die sie indiesen Prozessen gemacht haben. Es wurde dokumen-tiert, dass Hausfrauen, die mitgemacht haben, dassMinderheiten, Leute aus den Armenvierteln zum erstenMal Erfahrungen gemacht haben, dass sie auch was ge-stalten können. Das hat dazu geführt, dass man jetzt einMehr an engagierten Leuten hat. Nicht, wie das bei unsvielfach im kommunalen Bereich ist – da gibt es die Kin-derengagierten, die Wohnheimengagierten, das Städte-netzwerk, jetzt kommen die Agendaengagierten usw.Und im Prinzip ist das ein kleiner Haufen von Aktiven,dieimmer einem Trend nach dem anderen hinterherlaufen.In Brandenburg ist es so gewesen, dass sie in vielen Ge-meinden die ehrenamtlichen Bürgermeisterposten unddie Stadträte nicht besetzen konnten,weil sich keiner fin-det, der es machen will. Und irgendwann kommt mandann an die Grenze, wo es nicht mehr kommunal ge-staltbar ist, sondern nur noch auf Landesebene.In Porto Alegre gibt es so eine Art Stadtteilbudgets,die esbei uns auch gibt.Das heißt,die Grundmechanismen ha-ben wir hier auch, wir haben mit den Schöffen-Regelun-

gen z.B. auch Aufwandsersatz für Berufstätige für ge-meinschaftliche Arbeit – es gibt ein System.Wenn ich einSystem einmal etabliert habe,dann brauche ich es nur zuerweitern auf einen anderen Anwendungsfall. Ich brau-che es aber nicht neu zu erfinden,sondern ich kann michbestehender Mechanismen bedienen.Nachbarschaften/Stadtbezirke haben in München sogar ein direkt gewähl-tes Parlament.Es gibt Hunderte von Beispielen.

O> Ich glaube,dass die überwiegende Anzahl der deut-schen Kommunalpolitiker Leute sind, die was für ihrGemeinwesen verändern wollen. Niemand schafft sichsolche horrenden Arbeitsbelastungen, wenn er nichtauch von einer gewissen Vision überzeugt ist.Die wollenwas verändern. Sie wollen aber auch, dass sie in derGemeinschaft einen bestimmten Wert darstellen, dasssie gewürdigt werden.Das sind die zwei Punkte,an denenwir bisher Politik nicht ernst nehmen. Und sie werdenauch nicht ernst genommen vom eigenen Parteien-Sys-tem, wo sie in den Fraktionszwang reingequetscht wer-den. Sie werden von der Verwaltung nicht ernst genom-men, weil sie dort als Störfaktor angesehen werden undsie werden von den Bürgern nicht ernst genommen.Im Grunde haben die Politiker hier in Deutschland mental die »Arschkarte« gezogen. Darunter leiden auchviele.

Gustmann: Kommunale Selbstverwaltung ist ja aucherkämpft worden. Stadträte sind Vertreter der Bürger-schaft, die in der Verwaltung mitarbeiten und Verwal-tung kontrollieren – historisch gesehen. Und was wirjetzt machen, ist ein Versuch, die nächste Interventions-stufe zu erklimmen. Dass man sagt, alle vier Jahre reichteben nicht,sondern man muss die Legitimation,wie mandas Anfang der 90er Jahre gesagt hat, täglich neu er-kämpfen, d.h. man müsste die Akzeptanz der Bürger alsVerwaltung täglich neu erkämpfen und eben auch alsPolitiker. Was das Ganze für Politiker attraktiv macht, istdie Belohnung durch die Bevölkerung. Denn im selbenMoment, wo mehrere Bürgermeister und mehrere Rätegemeinsam eine Reform gemacht haben,werden sie vonder Bevölkerung dadurch belohnt, dass sich das von al-leine durchsetzt. Manchmal müssen mehrere Dinge zu-sammenkommen, um eine Bewegung in Gang zu brin-gen. Die Aktiven z.B. – es gibt Bürger, Nachbarschafts-vereine, einen Haufen von Initiativen – die leiden seitJahr und Tag darunter, dass sie in diesem System wieFremdkörper wohnen. Und das ist ein Ansatzpunkt, umInteressen zu formulieren und zu sagen, wir wollen dasjetzt verändern. Das trifft dann vielleicht auf einen Poli-tiker, der sich neu positionieren will. Das trifft auf eineVerwaltung, die in eingefahrenen Gleisen läuft und be-merkt, dass sie sich in einer Reformwelle befindet. Undmanchmal gibt es dann eine Situation,wo so ein Gedankewie Bürgerhaushalt aufgenommen wird und dann zu ei-ner Welle wird.Das muss aber nicht so sein,man muss nurdranbleiben und es versuchen.

O< Das ist schon eine große Chance. Ich erlebe bei unsim Bezirk, dass da auf Seiten der Verwaltung, auf demHintergrund der Verwaltungsreform, jetzt eineverhältnismäßig große Hilflosigkeit herrscht – alsoUmdenken wohin,Leitbilder entwickeln – im Prinzip sinddie auch auf uns von außen angewiesen.

Gustmann: Es herrscht im Moment eine gewisse Ratlo-sigkeit, die Sinnfrage stellt sich, warum machen wir das?Der Sinn unseres Handelns kann sein, unser System zustärken, Demokratieformen und Partizipation zu ent-wickeln oder als Gemeinschaft zusammenzuwachsenoder bestimmte Werte umzusetzen. Und damit sind wirbei ganz banalen Themen wie Sicherheit, bei Fragen wieSchule, Kindergarten und Alterssicherung. Das sind auchdie Punkte, wo wir das kommunale System weiterent-wickeln wollen,wo wir rangehen müssen.Die politischenAuseinandersetzungen müssen greifen,der Wettbewerbum die besseren Ideen.

O< Wie ist das mit Führerungspersönlichkeiten? Es gibtLeute in Kreuzberg, die arbeiten hier seit 20 Jahren undsind sehr eingefahren. Solche Leute sind Sprecher undfühlen sich als Repräsentanten für andere, also auch alsMeinungsführer. Werden die in so einem Konzept nichtauch meinungsführend sein und den Prozess sehr stark inihre eigene Richtung lenken? Darin sehe ich eine Gefahr.

Gustmann: Im Gegenteil, das ist eine riesige Chance.Wenn Sie die überzeugen oder die Gruppe,die da mittut,dann geht das viel schneller bei der Durchsetzung.

Vorrednerin: Genau, die werden wieder das durchset-zen, was sie schon ganz lange tun.

Gustmann: Nein,viele von denen sind auch am Suchen.Das ist etwas, was mich gewundert hat, als ich auch indieser Veranstaltung gesehen habe,wie viel Angst solcheProzesse bei der Verwaltung erzeugen,aber auch bei denAktiven. Die Deutschen scheinen eine Begabung zu ha-ben, die Chancen nicht zu sehen, sondern mehr die Risi-ken. Die Zeiten, wo wir auf Widerständler einreden undsie dann plattreden, sind vorbei.Wenn ein Stadtteil odereine Gruppe nicht will, dann wollen sie nicht. Ist doch inOrdnung. Die müssen vielleicht erst mal sehen, dass dasin anderen Stadtteilen funktioniert, bevor sie sich mit soeiner Idee anfreunden können.Das muss man dann auchakzeptieren können.

O< Ich glaube,dass das in Kreuzberg grundsätzlich gutfunktionieren könnte, ich weiß auch, dass da eine großeBereitschaft ist vom Bürgermeister, also wirklich vonoben. Von daher jetzt auch meine ganz konkrete Frage:Wie würden Sie so eine Veränderung umsetzen? Sie sag-ten vorhin, die Leute neugierig machen.

Gustmann: Das hat immer ganz viel mit Kommunikationzu tun, mit Überzeugen, gucken, dass man gemeinsameWertvorstellungen bildet und auf der Basis dieser Ver-ständigung ein gemeinsames Ziel formuliert und dieSchritte überlegt.Was man braucht, ist nicht eine punk-tuelle Aktivität, sondern ein Plan, dass man ein be-stimmtes Ziel erreichen will. So gibt es grundsätzlicheSteuerungshebel,die für Modernisierungsprozesse wich-tig sind. Einer davon ist Transparenz und Ehrlichkeit imUmgang miteinander. Das ist doch das, was uns alle är-gert bei Politik,bei Verwaltung oder auch bei einem frei-en Träger. Wir müssen transparent miteinander umge-hen, das ist die Voraussetzung.Aber anfangen kann manheute, kann man morgen, mit kleinen Schritten, die mansich vornimmt. Aber allein die Tatsache, dass man sagen

87Beteiligung an der kommunalen Haushaltsplanung

kann, die in Kreuzberg setzen sich zusammen, ist positiv.Wo setzt sich denn schon mal jemand zusammen mit derIntention,sich Ziele zu setzen und diese Ziele zu verwirk-lichen? Das passiert doch eher selten, das passiert dochoft nur in den Köpfen der Fraktionsvorsitzenden,die dannoft keine Austauschbasis mit anderen Menschen haben.

O> Ich würde gerne noch mal auf eine grundsätzlicheFrage der Bürgerbeteiligung zurückkommen.In unseremStadtteil gibt es sehr unterschiedliche Bedürfnisse undProbleme, wie Wohnraumförderung, wie Gestaltung desRheinufers als Repräsentationsbereich, Straßenzüge, indenen die Geschäfte kaputtgehen,weil keine Leute mehrhinkommen.Viele befürchten einen zu hohen Ausländer-anteil. Also es gibt Interessen auf sehr unterschiedlichenEbenen. Sie nannten das Beispiel vom Tunnel, der durcheinen Stadtbezirk durchgeht, der möglicherweise ausüberregionalen Gesichtspunkten unbedingt sein muss,aber aus Stadtteilinteressen völlig unmöglich ist.Mir fälltes so schwer, eine Bürgerbeteiligung hinzukriegen, dieanders ist als die jetzige.Die Stadtpolitiker würden sagen,es gibt doch jetzt auch Bürgerbeteiligung, nämlich überdie Fraktionen, und die sind dann stadtweit gebündelt.Ich kann mir aber auch keine direktere Bürgerbeteiligungvorstellen,weil die einzelnen Leute ja sehr unterschiedli-che Teilinteressen haben.Und wenn dann Strukturfragenund einzelne kleinräumliche Fragen zusammenstoßen,kann ich mir nicht vorstellen, wie da Entscheidungspro-zesse laufen können.

Gustmann: Es gibt in diesem Bereich haufenweise Bei-spiele.In Essen wird es Perspektiven-Werkstatt genannt.Ein Stadtteil,wo die eine Gruppe eine Philharmonie – einGroßprojekt – und die andere Gruppe Quartiersgestal-tung haben wollte. Und sie sind dann in diesem Prozessvon der Philharmonie-Geschichte weggekommen zu ei-ner neuen Stadtteilgestaltung. Man muss dann seine ei-genen Ideen flexibel handhaben, sie vielleicht hintenanstellen und sich fragen, kann ich die Philharmonie nichtan einem besseren Standort oder anders, vielleicht klei-ner,realisieren.Und diejenigen,die sagen,wir wollen denStadtteil pur haben, so nach dem Sankt-Florians-Prinzip– also bei uns nicht, meinetwegen in der Nordstadt –auch die müssen von ihrer Absolutheit runter. Wenn Siedas hinkriegen, dass man sich zusammensetzt, dannkriegt man auch gute Lösungen, z.B. Sportgelände, woman eher traditionelle Interessen der Sportvereine ver-mischt mit neuer Freizeitkultur, also dem Wunsch, eineTennisanlage zu haben,Roller-Blade-Plätze zu haben,einGymnastik- oder Body-Builder-Zentrum zu integrieren.Da haben sich die Vereine zusammengetan, und dieStadt, die kein Geld mehr hatte, das Stadtbad zu betrei-ben, hat das den Vereinen übergeben. Und der Witz ist,heute haben die ein Mehr an Sportstätten und auch dasHallenbad wird betrieben, und zwar als Vereinsbad, manmuss Vereinsmitglied werden, zahlt 10 Mark im Monatund kann kostenlos den Rest des Jahres dort baden.Waskommunal überhaupt nicht mehr ging,geht auf Vereins-basis. Man muss nur neue Wege finden und dann auchmit betriebswirtschaftlichem Sachverstand durchkalku-lieren,und dann auch den Mut haben,das als Projekt an-zugehen. Solche Pilotprojekte müssen aber gut ausge-sucht sein und auch eine hohe Wahrscheinlichkeit ha-ben,im ersten Schritt zum Erfolg zu führen.Das ist immer

auch von der Prozessgestaltung abhängig. Es gibt be-stimmte Phasen, Fieberkurven eines Transformations-prozesses, die auf fast alle Transformationsprozesse zu-treffen. Begeisterung, Zweifel, Pessimismus, Vertrauenschöpfen, Optimismus, Formtief – und irgendwann,wenn Sie dann in der Stolzphase sind, wenn Sie es ge-schafft haben, ist das Projekt durch. Das muss man auchwissen, dass diese Prozesse so ablaufen und gleich ein-kalkulieren. Viele verausgaben sich schon in der An-fangsphase zu 90%.

O> Ich freue mich über den Optimismus, den Sie aus-strahlen,und auch die Zielrichtung ist ja nicht uninteres-sant. Das ist ein wesentlicher Motor der kommunalenEntwicklungen, so sehe ich das im Augenblick. Ich be-dauere nur ein bisschen, dass das nicht vor der Produkt-beschreibung kam.

Gustmann: Wahrscheinlich konnte es nicht vor derProduktbeschreibung kommen.Wir haben uns das auchüberlegt.Hätte das eine Akzeptanz gehabt,wenn wir vorder betriebswirtschaftlichen Effizienz,vor der Dienstleis-tungsorientierung mit so was gekommen wären? Vor 20Jahren wurde so etwas ja auch noch sehr abgehoben ge-träumt,aber man muss manchmal Sachen lassen könnenund sagen, da warten wir jetzt noch mal zehn oder 15Jahre, weil sie sonst verbrennen oder wir sie kaputt ma-chen.Und deshalb war es wichtig, erst über die betriebs-wirtschaftlichen Elemente zu reden und diese einzu-führen und darüber,dass ich nicht nachweisen kann,wel-che Effekte das hat. Ich muss ja die Leute überzeugenkönnen – die kaufen doch nicht die Katze im Sack. Undwenn ich nachweisen kann, dass ich einen Kindergartenauch anders betreiben kann,ohne dass er mehr Geld kos-tet, weil ich eine Kosten- und Leistungsrechnung habe,weil ich über Instrumentarien wie Kontrakt-Manage-ment und Controlling verfüge, dann kann ich sowas vieleffektiver durchsetzen.Und aus dieser Sichtweise war dieDienstleistungskommune ein notwendiges Durchgangs-stadium hin zu einer Bürgerkommune. Die Verwaltungwäre von sich aus nie in der Lage gewesen,diesen Sprungin einem Satz zu machen, auch deshalb muss man inEtappen springen. Und das mit den Produkten müssenwir alle lernen. Wahrscheinlich hätte sich das in derHauptamts- und Personalamts-Zeit in den 80er Jahrenniemand erträumt, dass wir heute an diesem Punkt ste-hen, das war undenkbar.Unser Vorteil als KGSt ist,dass wir 50 Jahre nachgewiesenhaben, dass wir ordentliche Arbeit leisten, dass es funk-tioniert, und wir haben Vertrauensvorschuss. Das ist derPunkt. Und die Leute, die jetzt ein Unternehmen wirt-schaftlich ordentlich führen können, haben so viel Ver-trauen und Erfahrungen,dass man auch als Politiker oderBürgermeister weiß,man geht kein großes Risiko ein.Diewissen,der kann einen Laden ordentlich führen,der kannauch einen gewinnbringenden Laden führen,also warumsoll er nicht auch einen Beteiligungsprozess mit Gewinnund Erfolg durchführen. Aber wenn ich meinen Ladennicht ordentlich führen kann,dann brauche ich auch überdie Risiken eines solchen Beteiligungsprozesses nichtweiter zu phantasieren. Da ist jedem Entscheider dasRisiko viel zu groß, dass er das ganze System aufs Spielsetzt. Deshalb sind einzelne Schritte einfach notwendig,um so etwas durchzuziehen.

O> Ich hätte nie für möglich gehalten, dass die KGStjetzt wirklich Bürgerbeteiligung forciert.Aber diese letz-te Möglichkeit der Bürgerbeteiligung, wie Jugendhilfe-ausschuss,war ja keine echte Bürgerbeteiligung,sonderneine Fachleute-Beteiligung.

Gustmann: Wenn man sich das aus dem Steuerungs-aspekt ansieht,kann man kritisieren,dass der Jugendhil-feausschuss eine Fachseilschaften-Gruppe ist, in der bestimmte Berufsgruppen, bestimmte Interessengrup-pen ihre Politik durchsetzen, mal unabhängig davon, obich die sympathisch oder unsympathisch finde. Selbstwenn ein Gremium gut gedacht ist, aber nicht gut funk-tioniert,dann muss man so frech sein,es auch grundsätz-lich infrage zu stellen und vielleicht auch den Fehler ma-chen, dass man im Endeffekt wirklich was Gutes ab-schafft.

O> Ich sehe auf der einen Seite,dass die Fachseilschaftabgebaut wird, aber es sind ja eher regionale Seilschaf-ten, die möglicherweise wesentlich stärkere Partikular-interessen haben.Die Jugendhilfe bezieht sich ja nur aufden Jugendhilfeaspekt und hier geht es um ganz regio-nale Aspekte. Und hier ist keine Scheu vor möglichenFachseilschaften?

Gustmann: Es gibt bestimmte Seilschaften,die nicht im-mer sehr sachdienlich aufgefallen sind, aber man darf jadas Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Sie dürfennicht das eine abschaffen und gleichzeitig Bürgerbeteili-gung auf der allgemeinen Ebene einführen,dann wäre esja letztendlich ein Weniger. Und Sie würden Ihre gutenErfahrungen missachten. Sie haben ja ein KreuzbergerModell entwickelt, das können Sie nicht wegwerfen unddann nichts dahin setzen. Darin ist eine gewisse Gefahr,das haben wir ja bei den Produkten auch festgestellt,dassinteressierte Kreise jetzt beispielsweise die Jugendhilfe-ausschüsse auflösen wollen und sich damit die freienTräger vom Hals schaffen und dann nach oben hin verän-dern, dass sozusagen neue Strukturen entstehen. Das istnicht im Sinne des Erfinders. Es ist ein Risiko und eineGefahr dabei. Aber die haben Sie in jedem Verände-rungsprozess.

O> Die KGSt war für mich immer anders besetzt. Mitdem Bürgerhaus, Bertelsmann-Stiftung, habe ich dasnicht in Verbindung gebracht.

Gustmann: Es ist für uns natürlich auch eine Steuerungeines Bereiches. Wenn Sie so wollen, hat ja auch dasInstrument der Frauenförderung den Sinn, einen be-stimmten Bereich zu übersteuern,bis man wieder auf ei-ner ausgewogenen Ebene angekommen ist.Das ist auchnicht das perfekte Instrument.Genauso ist es eine Über-steuerung, wie wir jetzt eine Strategie fahren, umPartizipation und Beteiligung auf eine höhere Ebene zubringen.Aber ich sehe keine Alternative.Ich will das auchnicht als ausschließliche Alternative haben.Die Kommu-nen, die meinen, sie kriegen auf die klassische Weisehochakzeptierte und legitime Prozesse,wo alle zufriedensind, die sollen es so machen. Und Leute, die meinen, siekönnen mit Bürgerhaushalten neue Leute gewinnen undPolitik wieder attraktiv,transparent und ehrlich machen,die sollen das machen und es beweisen.

88 Fragen aus den Workshops

1. Zur freiwilligen bzw. ehrenamtlichen Arbeit1.1 Gibt es eine »besondere Spezies« von Menschen, die zu freiwilliger bzw.ehrenamtlicher Arbeit bereit sind?

Warum arbeiten Menschen freiwillig und umsonst? Weil es eigene Vorteile bringt und Spaß macht? Ist Verantwortungsbewußtsein die treibende Motivation?

1.2 Ist es legitim, Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger zu fördern und gleichzeitig Pflichten und Verantwortung von ihnen einzufordern?

1.3 »Was nichts kostet, ist nichts wert« –?– Kann freiwilliges bzw.ehrenamtliches Engagement durch eine Honorierung gesellschaftlich aufgewertet werden?Wenn ja, an welche Form der Honorierung ist dann zu denken?

1.4 Eignen sich Teilnehmerbeiträge und Kostenbeteiligung der »Kunden« sozial-kultureller Arbeit als Instrument der Qualitätssicherung?

1.5 Gibt es in den östlichen Bundesländern spezifische Strukturen zur Förderung ehrenamtlicher Arbeit?

1.6 Gibt es Erfahrungen, dass ehrenamtliche Mitarbeiter bzw.Mitarbeiterinnen im Verlauf ihrer Tätigkeit selbst zu Klienten sozialer Arbeit werden?

2. Zum Leitbegriff Partizipation2.1 Gibt es Erfolgsaussichten, wenn man bürgerschaftliches Engagement in solchen Stadtteilen »wecken« will, wo bislang keine Bereitschaft dazu erkennbar ist?

Inwieweit lassen sich Strategien zur Weckung bürgerschaftlicher Beteiligung, wie sie z.B. in Baden-Württemberg entwickelt worden sind, auch auf soziale Brennpunkte in Großstädten übertragen?

2.2 Welche Vorstellungen von Partizipation sind geeignete Leitbilder:Bürgerinnen und Bürger vertreten öffentlich ihre jeweiligen spezifischen Interessen (z.B.als Autofahrer,Radfahrer,Fußgänger,Rollstuhlfahrer) – oder gehört zur Partizipationauch die Arbeit an etwas Gemeinsamem, also der Entwicklung eines sozialen Raumes, in dem die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt sind?Muss ein interessenübergreifendes »Verantwortungssyndrom« entstehen?

2.3 Sollen Gremien der Bürgerbeteiligung in Stadtteilen bzw.Kommunen (z.B.Stadtteilkonferenzen) formalisierte Beteiligungsrechte bekommen oder ist es besser, wenn sie im informellen Bereich bleiben?

2.4 Wie müssen sich Kommunalverwaltungen ändern, um die Entwicklung einer »Bürgerkommune« zu unterstützen?

2.5 Bei der Förderung von Projekten der Bürgerbeteiligung gebrauchen staatliche Instanzen ihre Steuerungsmacht (z.B.bei der Auswahl förderungswürdiger Projekte oder durchAuflagen bei der Finanzierung). Ist es sinnvoll – wenn ja, wie ist es möglich – staatliche Steuerung zu begrenzen, um die Eigenverantwortung der Projekte zu stärken?

2.6 Was können Sie jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich dazu beitragen,um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern?

3. Zur Rolle und den Aufgaben der sozial-kulturellen Einrichtungen3.1 Welche Rahmenbedingungen müssen in den Einrichtungen gegeben sein, damit die Zusammenarbeit zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern und

Mitarbeiterinnen gelingen kann?

3.2 Nachbarschaftszentren und vergleichbare Einrichtungen stehen bei der Vergabe staatlicher Mittel im Wettbewerb mit anderen,z.T.neuen Akteueren der Quartiersentwicklung.Warum bringen Nachbarschaftsheime nicht selbstbewusster ihre Erfahrungen und Stärken ein,z.B.im Blick auf Bürgerbeteiligung und freiwilliges Engagement,Vernetzungund Kooperation im Stadtteil, Anpassungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft für neue Nachfragen und Interessen von Bürgerinnen und Bürgern, einschließlich der Interessenvertretung gegenüber der Politik?Aber: Können die bestehenden Einrichtungen wirklich Keimzellen für neue Ideen sein?

3.3 Für die Entwicklung von Stadtteilen unter besonderer Berücksichtigung der Bürgerbeteiligung sind neue Zuständigkeiten entstanden, neben die Gemeinwesenarbeit ist Quartiersmanagement, Stadtteilkoordination, Anwaltsplanung und Sozialplanung getreten.Welche professionelle Kompetenz wird hier gebraucht und sollte in Aus- und Weiterbildung vermittelt werden?Welche Erfahrungen gibt es bei der Kooperation der unterschiedlichen Professionen?

3.4 Ist ein spezifisches professionelles Ethos bei denjenigen erforderlich, die als Teil ihrer beruflichen Aufgabe Bürgerbeteiligung fördern?Bedarf es ethischer Kriterien, um sich ggf.bestimmten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger oder der Auftraggeber zu widersetzen?

3.5 In den sozial-kulturellen Einrichtungen tritt die kulturelle Arbeit zunehmend zurück und der Anteil an genuiner Sozialarbeit wird größer.Wie kann es gelingen, dem kulturellen Aspekt wieder mehr Raum zu geben?

3.6 In welcher Rolle wird Gemeinwesenarbeit bei der Entwicklung einer lokalen Ökonomie gebraucht – als Unternehmerin, als Moderatorin oder als Lobbyistin?

In den Workshops erarbeitete Fragestellungen für die weitere Debatte, vorgelegt den Experten im Podium des »großen Ratschlags«

89Der große Ratschlag

Dieter von Kietzell: Wir haben uns vorgenommen,dasswir zum Ende der Veranstaltung noch einmal Sachver-stand von außen heranholen, um auf Fragen, die sich inden Workshops ergeben haben,Auskunft und Antwort zugeben.Wir haben die Fragen zu drei Themenblöcken zu-sammengefasst, die wir nacheinander besprechen wol-len. Sie, verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer derTagung, bitte ich, am Gelingen dieses großen Ratschlagsmitzuwirken. Wie Sie sehen, sind hier im Podium zweiStühle frei geblieben.Sie sind ja auch Experten,Sie habenErfahrung in der Arbeit, die hier verhandelt wird, undkönnen während des Gespräches nach vorne kommen,auf einem der Stühle Platz nehmen, wenn Sie anderePositionen, andere Meinungen, andere Antworten aufFragen geben wollen. Sie können aber auch mitwirken,indem Sie Fragen vertiefen und präzisieren. Ich bitte Siezu prüfen, was hier vom Podium gesagt wird, ob Sie da-mit zufrieden sind,ob die Auskünfte übertragbar sind aufIhre Arbeitsgebiete.Die Gäste auf dem Podium haben dieSchwierigkeit, dass sie zwar das Thema dieser Tagungkennen, aber dass sie die Fragen erst heute morgen be-

kommen haben. Das heißt, sie müssen so flexibel sein,sich auf Fragen spontan einzustellen.Als erstes wenden wir uns Fragen zur freiwilligen bzw.ehrenamtlichen Arbeit zu.

Stefan Nährlich: Gibt es eine besondere Spezies vonMenschen,die zu freiwilliger oder ehrenamtlicher Arbeitbereit sind? Es gibt Untersuchungen zum freiwilligen,zum bürgerschaftlichen Engagement, die zeigen, dassstatistisch gesehen eher gut verdienende Menschen mitrelativ wenig Zeit, die sozial und beruflich finanziell ab-gesichert sind, es sich quasi leisten können, engagiert zusein.Der kleine Annex ist, dass Verantwortungsbewusst-sein die tragende Kraft dabei sei.Ich glaube aber,es ist einbisschen idealisierend, von Verantwortungsbewusstseinals tragender Kraft zu sprechen, ich glaube eher, dass dietragende Kraft ein Mangelempfinden ist. Ich engagieremich, wenn ich irgendetwas in meinem Umfeld als un-befriedigend empfinde oder wenn ich der Meinung bin,die Kommune entscheidet über meinen Kopf hinweg.Dassind Anlässe sich zu engagieren,und nicht so sehr das ab-strakte Pflichtgefühl, einem Bürgerverantwortungsbe-wusstsein nachkommen zu müssen.

Joachim Braun: Wir haben im Projektverbund von vierInstituten eine repräsentative Befragung durchgeführtvon 15.000 Deutschen zu bürgerschaftlichem Engage-ment, Ehrenamt und Selbsthilfe. Etwa jeder dritte Bun-desbürger über 14 Jahren ist in irgendeiner Form inVereinen, in Selbsthilfegruppen, in Projekten oder beiEinrichtungen engagiert. Das sind 34%, also eine relativgroße Gruppe der Bevölkerung, von daher kann man sa-gen, dass die Engagierten nicht eine ganz besondereSpezies sind. Wichtig ist, sich klar zu machen, worüberman redet, wenn man über Bürgerengagement, Ehren-amt und Selbsthilfe spricht.Es geht hier nicht nur um densozialen Bereich, der ist nicht der größte Bereich, in demsich Menschen ehrenamtlich engagieren, andere Berei-che wie der Sport sind größer. Wir haben insgesamt 14Tätigkeitsbereiche unterschieden in dieser Umfrage,vomEngagement in der Schulpflegschaft bis zu Schöffen bei

Gericht, Naturschutz usw. Das Spektrum, in dem Men-schen sich bürgerschaftlich engagieren, ist deutlichgrößer als der soziale Bereich, der allerdings hier in die-sem Kreis stark im Vordergrund steht.

Ralf Baumgarth: Nach der Erfahrung bei uns in derFreiwilligenagentur kommt es sehr darauf an, dass es ei-nen biografischen Berührungspunkt gibt.Das heißt,dassich in meiner aktuellen Lebenssituation tatsächlich einBedürfnis oder eine Erkenntnis habe in dem Sinn,dass icheinen Mangel sehe, dass ich denke, ich müsste was fürmich,für die Gesellschaft oder für das Gemeinwesen tun.Von daher ist die Gruppe der ehrenamtlich Engagiertensicher keine besondere Spezies, sondern es ist vielleichtein besonderer Lebensabschnitt, in dem sich Menscheneher zu Engagement berufen fühlen, als dass materielleGrundlagen der allein ausschlaggebende Punkt sind.

Wolfgang Thiel: Ich war zunächst auch in der Versu-chung, keine besondere Spezies hervorzuheben, tue esaber jetzt in Reaktion auf die Vorredner.Die Erfahrung desSelbsthilfebereiches zeigt, dass doch etwas Besonderesdazu gehört, diesen Schritt zu machen. Es muss Men-schen auch gepackt haben, egal aus welchen Motivenheraus. Und damit erklärt sich aus meiner Sicht diesesgroße Missverhältnis zwischen aktivem bürgerschaftli-chen Engagement und Selbsthilfe und dem Potenzial,das sich daraus erschließt.Eine repräsentative Befragungder Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik imletzten Jahr hat ergeben, dass drei Viertel es sich vorstel-len können, sich in einer entsprechenden Situation einerSelbsthilfegruppe anzuschließen. Das ist ein enormesPotenzial.

O> Ja,die Engagierten sind eine besondere Spezies vonMenschen.Aber ich schränke das auch wieder ein und sa-ge, es gibt nur besondere Spezies von Menschen. AlleGruppen sind besonders und alle Einzelpersonen sind be-sonders.Und das ist das Entscheidende und Wichtige.Wirhaben sehr unterschiedliche Motive, warum Menschenaktiv werden oder auch nicht aktiv werden.Es gibt Leute,die machen das aus gesellschaftlichem Verantwortungs-bewusstsein, andere wollen die Gesellschaft gestalten,andere wollen einfach nur, indem sie aktiv werden, an-dere Leute kennen lernen und wieder andere tun es zu ih-rer Selbstverwirklichung. Deswegen brauchen wir auchdifferenzierte Unterstützungsformen. Das kann sicher-lich durch Honorierung gesellschaftlich aufgewertet wer-den, aber das bedeutet nicht, dass es für alle, die aktivsind, gleichermaßen wichtig ist, dass es gesellschaftlichaufgewertet wird.Ich bin sehr kritisch,sehr skeptisch ge-genüber allen Versuchen, das gesellschaftliche Engage-ment zu organisieren, denn das ist die Organisation desUnorganisierbaren.Die Lebendigkeit besteht gerade dar-in, dass es so verschiedenartig ist.

Adrian Reinert: Zu der Frage, warum sich Menschenfreiwillig engagieren und bereit sind,ohne Bezahlung zuarbeiten, können wir aus dem kommunalen Bereich dieErfahrung beisteuern, dass es dort einen Wertewandelgab in den letzten 30 Jahren.Während das ursprünglicheehrenamtliche Engagement eher altruistisch motiviert

D E R G R O S S E R A T S C H L A G

Der große Ratschlagmit:Micheline Andreae, Bürgerstiftung BerlinRalf Baumgarth, Freiwilligenbörse Heidelberg Joachim Braun, Institut für Sozialwissenschaftliche Analysen und Beratung (ISAB) Köln, LeipzigDaniel Dettling, Sächsisches Modellprojekt zur Integration Langzeitarbeitsloser Hartmut Gustmann, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) Köln Konrad Hummel, Sozialministerium Baden-Württemberg, StuttgartWerner Matthes, Robert Bosch Stiftung, StuttgartStefan Nährlich, Aktive Bürgerschaft Münster Adrian Reinert, Stiftung MITARBEIT, Bonn Monika Schneider, Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V., KölnWendelin Szalai, Aktion Gemeinsinn, BonnWolfgang Thiel, NAKOS, Berlin Bernd Wagner, Kulturpolitische Gesellschaft e.V.Bonn Stephan Wagner, Paritätische Akademie, Berlin

Moderation:Dieter von Kietzell

90 Der große Ratschlag

war, können wir jetzt feststellen, dass mittlerweile einMix an Motivationen eine Rolle spielt,sowohl altruistischmotivierte als auch selbstverwirklichungsorientierteGründe,aber eben auch solche Gründe wie Anerkennungoder einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Da kom-men wir dann auch an den Punkt der Honorierung.Es gibtja durchaus Systeme der Honorierung ehrenamtlicherArbeit, wie der Aufwendungsersatz in der Kommunal-politik oder die Freistellungsregelung für Schöffen oderfür bestimmte Tätigkeiten in großen Organisationen.Undauch hier gilt es, von Fall zu Fall zu prüfen, wo man dieseRegelung vielleicht der Zeitentwicklung anpasst. Abergrundsätzlich halte ich eine Honorierung ehrenamtlicherArbeit für nicht angebracht.

Werner Matthes: Ich kann ergänzen, dass nach derGeisslingen-Studie ungefähr ein Drittel der Menschenbereit ist, sich bürgerschaftlich zu engagieren. Ich habeein paar Stichworte aufgeschrieben:Es braucht Anstöße,um eine Aufgabe zu übernehmen.Es braucht persönlicheAnsprache,Kristallisationspunkte oder Gelegenheiten,esbraucht manchmal Betroffenheit und es braucht dieBereitschaft, Aufgaben zu übernehmen.

Stephan Wagner: Aus zwei Untersuchungen, die DavidKramer und ich in den neuen Bundesländern gemachthaben,geht hervor,dass man von einem sozio-ökonomi-schen Muster sprechen kann. Wer aus einer Familie

kommt, in der ehrenamtlich gearbeitet worden ist vonVater oder Mutter, neigt eher dazu, ebenfalls ehrenamt-lich zu arbeiten.Zweitens,wer als Jugendlicher schon malehrenamtlich tätig war, neigt eher dazu, im Alter wiederehrenamtlich tätig zu sein. Drittens, solange in FamilienKinder sind, sind eher kurze Einsatzzeiten zu erwartenvon ein, zwei Stunden die Woche. Wenn die Kinder dieFamilie verlassen haben, dann gibt es zwei unterschied-liche Muster. Die Frauen, die nicht in den Beruf zurück-kehren, neigen dann schon zu sehr hohen Einsatzzeiten,die zwischen 20 und 30 Stunden in der Woche liegen kön-nen,spätestens bei Berufsende neigen Männer wie Frau-

en zu sehr hohen Einsatzzeiten, die ein arbeitsähnlichesVerhältnis abbilden. Und auch Sozialarbeiter neigen insehr hohem Maße dazu, neben ihrer Tätigkeit in einemzweiten Feld ehrenamtlich tätig zu sein.

Wendelin Szalai: Aus meiner Sicht ist es legitim, Aktivi-täten der Bürgerinnen und Bürger zu fördern und gleich-zeitig Pflichten und Verantwortung von ihnen einzufor-dern. Bürger sein heißt, ich bin aktives Mitglied einerGemeinschaft. Das bedeutet automatisch Pflicht undMitverantwortung für die Mitbürger und für das Gemein-wesen. Wenn ich diese Pflichten und diese Verantwor-tungen vernachlässige, bin ich kein Bürger, sondern nurBewohner. Die Frage der Honorierung sehe ich ähnlichwie Herr Dr. Reinert. Ich spitze es mal zu: Bürgerschaftli-ches Engagement muss sich für den Engagierten aus-zahlen, aber die Währungen sind sehr unterschiedlich.Und die Hauptwährung ist eben nicht die D-Mark, son-dern das Erlebnis des Gebrauchtwerdens, die Freude desAktivseins mit Gleichgesinnten.Das Problem ist,ob mög-lichst viele Bürgerinnen und Bürger andere Währungenanerkennen neben der D-Mark.Und das hängt unter an-derem davon ab, wie man »erzogen« wird. Zu Gemein-geist zu »erziehen«,zu Ehrenamt zu »erziehen«,da hängtsehr viel von der Vorbildwirkung ab.

Micheline Andreae: Die Bürgerstiftung Berlin ist relativjung und wir haben nur wenige Projekte,aber wir haben

die Erfahrung gemacht, dass die Leute aus Mittelstandund Oberschicht,die finanziell abgesichert sind,auf jedenFall Interesse haben, ihr Können einzubringen, und zwarin dem Bereich, wo sie tätig sind. Die Rechtsanwälte mitehrenamtlicher Rechtsberatung bei Vereinen oder ebenauch in der Stiftung, ein Steuerberater, der die Steuerge-schichten macht etc., die brauchen sicherlich kein Geld.Sie arbeiten den ganzen Tag und tun dann auch noch et-was für sich und ihr gutes Gewissen. Dann gibt es natür-lich die, die in den Projekten selber rein ehrenamtlich ar-beiten. Die würden häufig gerne Geld kriegen, nur vonuns kriegen sie keines, weil wir erstens keins haben und

zweitens denken, dass damit die Idee einer Bürgerstif-tung nicht getragen werden kann,wenn man finanzielleUnterstützung gewährt.Sachmittel schon.Es sind häufigLeute,die schon in Projekten waren,wo sie Geld verdienthaben, und es trotzdem weiter machen, obwohl sie auseiner Finanzierung herausgefallen sind, weil das Projekteinfach schön ist für sie.

Hartmut Gustmann: Aus kommunaler Erfahrung sageich:Honorierung, grundsätzlich nein, Ehrung, grundsätz-lich ja. Unsere Erfahrungen sind, dass im Freiwilligen-Engagement in Sportvereinen, Gesundheit, Selbsthilfe-gruppen und dem, was im kommunalen Bereich beson-ders im Vordergrund steht, die Ehrung eine wichtigeFunktion hat und auch von vielen, die sich dort engagie-ren, als selbstverständlicher Bestandteil eines gewissenArbeitseinsatzes betrachtet wird. Zu dem Thema Teil-nehmerbeiträge und Kostenbeteiligung:Ich habe in mei-ner Tätigkeit als Geschäftsführer des Instituts für präven-tive Medizin in Nürnberg mal eine repräsentative Befra-gung gemacht und habe Kostenbeteiligung z.B. anVortragsveranstaltungen für gesundheitliche Selbsthilfeabgefragt.Ungefähr ein Drittel der Leute war bereit, sichan den Kosten zu beteiligen, wenn man dafür Fachleuteeinkaufen kann oder sich in den Selbsthilfegruppen be-sondere Leistungen einkauft. Aber grundsätzlich gehenSelbsthilfegruppen davon aus,dass es keine Teilnehmer-beiträge für solche Veranstaltungen gibt.

Bernd Wagner: Ich würde gern noch mal auf die ersteFrage zurückkommen.Ich glaube,man kann nicht von ei-ner einheitlichen oder von einer besonderen Spezies vonfreiwillig Engagierten sprechen. Wenn man sich die un-terschiedlichen Tätigkeitsfelder ansieht, wird die Ver-schiedenartigkeit deutlich. Ich will das an einem kleinenBeispiel aus meinem Sektor zeigen. Jemand, der sich alsehrenamtlicher Leiter eines Laienchors betätigt,hat einebesondere Motivation, dies zu machen, besonders wenner im ländlichen Raum lebt. Jemand, der in den Förder-verein eines renommierten Museums in einer Großstadtgeht,hat eine andere Interessenlage und andere Motive,die er damit verbindet.Eltern, die die Stadtteilbibliothekehrenamtlich übernehmen,die von der Kommunalpolitikgeschlossen wurde, haben wieder andere Motive undInteressen. Diejenigen, die im sozio-kulturellen Zentrumarbeiten und dort den gesamten Unterhalt übernehmen,haben ebenfalls wieder andere, sehr differenzierteMotivstrukturen. Wenn ich den Kulturbereich mit demSozialbereich, mit dem Gesundheits- oder Sportbereichvergleiche, kommen weitere Differenzierungen hinzu.Bezogen auf die mögliche Einbindung von Arbeitslosenist übereinstimmend die Erfahrung, dass sie unterpro-portional bereit sind, sich ehrenamtlich zu betätigen.Wenn wir ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engage-ment diskutieren im Zusammenhang mit der Zukunft derArbeitsgesellschaft, dann ist es ein zentrales Problem,dass gerade diese Gruppe, auch in diesen gesellschaftli-chen Zusammenhängen, am geringsten beteiligt ist.Zumindest im Kulturbereich kann man das so sagen.

Daniel Dettling: Bürgerschaftliches Engagement setztein gewisses bürgerliches Selbstbewusstsein voraus,unddas ist gerade bei den Leuten, die wirklich draußen sind,das sind Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Mütter

91Der große Ratschlag

usw., nicht vorhanden. Sie leiden an multiplen Depriva-tionen, wie das Sozialwissenschaftler ausdrücken, undsind weniger bereit, sich ehrenamtlich oder freiwillig zuengagieren. Das sind ja gerade die Grenzen der Bürger-gesellschaft.Und darum versuchen wir in Sachsen, diesebeiden Felder – neue Arbeitsgesellschaft und Bürgerge-sellschaft – zu verbinden, indem wir Langzeitarbeitslo-sen eine gewisse Aufwandsentschädigung, einen Gut-schein,geben im Wert von 150 Mark im Monat,damit siesich einerseits ehrenamtlich engagieren können, aberandererseits auch eine gewisse Gegenleistung bekom-men. Wir nennen das nicht Arbeit in Sachsen, sondernAufgaben und Tätigkeiten. Und das wird auch sehrbegrüßt.Allerdings wollen die Leute in den Regionen derneuen Länder, wo eine Arbeitslosigkeit von teilweise 30-40% herrscht, vor allen Dingen arbeiten. Sie definie-ren sich primär über Arbeit und nicht, wie im Westen,teilweise über Selbstverwirklichung.Das ist natürlich einganz neues Feld. Zur Honorierung von freiwilligen Tätig-keiten:Das beste Beispiel ist immer die Blutspende.WennSie Leuten Geld geben fürs Blutspenden,dann kriegen Siequalitativ schlechtes Blut,dann gehen nämlich die Leutehin, die das Geld wirklich nötig haben. Und das ist ebendas Problem:Wie entlohnt man öffentliche Güter? Denndurch die Entlohnung werden diese öffentlichen Güterhäufig schlechter.Dessen müssen wir uns bewusst sein.

Dieter von Kietzell: Sie haben das gesellschaftliche Be-wusstsein angesprochen. Vorher war ein Verantwor-tungsbewusstsein als Motiv eher abgelehnt worden.Wasfür eine Art von Bewusstsein meinen Sie?

Daniel Dettling: In der Vergangenheit haben wir Soli-darität und Sozialpolitik immer sehr einseitig definiert.Die einen geben Geld und die anderen haben Ansprüche,also Sozialpolitik als Einbahnstraße.Das kann nicht mehrdie neue Sozialpolitik sein.Wir müssen eine Gesellschaftvon gegenseitigen und wechselseitigen Verpflichtungenund Verantwortungen fördern. Auch Leute, die Geld be-kommen, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosenhilfebezie-her,wollen gebraucht werden,wollen sich sinnvoll enga-gieren.Aber es kann nicht sein,dass diese Leute quasi un-attraktive Angebote bekommen. Und die Erfahrung, diewir in Sachsen gemacht haben,ist:damit diese Leute sichauch wirklich in dem Bereich engagieren, muss die An-reizstruktur vorhanden sein,da muss die Bereitschaft derKommunen da sein,sich um diese Leute zu kümmern.Daskann nicht nur in den tradierten Bahnen vonstatten ge-hen, sondern das muss ein Mix sein von Anreiz und Ent-lohnung und auch von Engagement und Förderung.

Wolfgang Hahn: Über die Langzeitarbeitslosen lässt sichja diskutieren,inwieweit sie ehrenamtlich engagiert sind.Aber wogegen ich mich wehren möchte, ist, dass allein-erziehende Mütter nicht bereit sind, sich gesellschaftlichzu betätigen.Ich mache die gegenteilige Erfahrung,dassgerade diese Frauen,die unter sehr harten Bedingungenihre Kinder erziehen, Beruf, Sozialhilfe oder andere Sa-chen miteinander verknüpfen müssen, in hohem Maßebereit sind,sich in unseren Einrichtungen zu engagieren.

Daniel Dettling: Ein Drittel der Sozialhilfeempfänger inSachsen sind alleinerziehende Mütter. Sie können nichtarbeiten,können sich auch nicht bürgerschaftlich betäti-

gen, weil sie keine Infrastruktur haben in den Kommu-nen, die sich um ihre Kinder kümmert.Es ist sehr einfachund teilweise auch öffentlicher Zynismus zu sagen, dassdiese Frauen sich bürgerschaftlich engagieren wollenoder können.Dann sprechen wir vielleicht über zwei un-terschiedliche Gesellschaften – ich habe über Sachsengesprochen,und Sie sprechen vielleicht über Westberlin.

Wolfgang Thiel: Ich schließe an die Frage der Verant-wortung und der Pflichten an. Ich könnte aus der Sichtder Selbsthilfe sehr viel damit anfangen, wenn damitSelbstverpflichtung und Selbstverantwortung gemeintwäre. Natürlich ist es legitim, Forderungen zu stellen,Pflichten zu formulieren, an Verantwortung zu appellie-ren. Aber es geht ja auch um ein neues, partnerschaftli-ches Verständnis und eben nicht um hierarchischesVerständnis des Umgangs zwischen Staat, Gemeinwohl,Bürgeraktivität und Selbsthilfe, sondern um ein neuesMischungsverhältnis.Probleme tauchen immer dann auf,wenn geklärt werden muss, wer definiert eigentlich diePflichten und das,was die richtige Verantwortung ist.Dasist eigentlich der Kern der aktuellen Fragen. Und es ist janicht zufällig, dass dieses Thema von der Politik erst inden letzten Jahren entdeckt worden ist und dabei Bür-gerengagement in unterschiedlichsten Facetten eineAusprägung und Entwicklung gefunden hat – in der al-ten Bundesrepublik – seit der Protestbewegung und derÖkologie-, Alternativ-, Bürgerinitiativ-Bewegung in den

70er Jahren, das hat ja eine bestimmte Geschichte. Undviele,die diese Geschichte noch erlebt haben,können sichgut daran erinnern, dass dieses Thema und die Bürger-aktivität überhaupt nicht staatlich hoffähig gewesensind,sondern einen enormen gesellschaftskritischen,po-litisch-kritischen Stachel hatten und in die Richtung vonTerrorismus und Subversion getrieben wurden.Ich will anzwei kleinen Beispielen verdeutlichen, wie das für dieSelbsthilfe von Bedeutung ist, dass die Logik staatlicherFörderung sehr oft Vorgaben beinhaltet. Natürlich wer-den Vorgaben mit gutem Grund auf dem Hintergrund ge-macht, dass mit der Förderung eine Gemeinwohlver-

pflichtung einher geht. Dennoch passen zu diesemBereich Vorgaben nicht. Ich habe bei der Diskussion umFörderrichtlinien mitbekommen, dass solche entwickeltworden sind, in denen z.B. der Satz stand: Die Gruppenmüssen für alle Interessierten offen sein. Eine Formulie-rung, an der nichts zu mäkeln ist aus der Logik derFörderung durch die öffentliche Hand.Aber für die Grup-pe passte das überhaupt nicht.Eine andere Formulierungwar, dass sie Beratungsleistungen für sozial Benachtei-ligte anbieten müssen, weil das in der Logik dieser mög-lichen kommunalen Förderung ein besonderer Schwer-punkt gewesen ist und aus der Logik der politischenDurchsetzbarkeit war das das Nadelöhr. Für die Gruppeselbst passte das aber nicht. Aber was heißt das für dasEngagement,für das Potenzial von Aktivitäten von Grup-pen unter dem Aspekt Pflichten und Verantwortung? Esgeht um ein freies partnerschaftliches Aushandeln undauch um kritische Dimensionen, die das beinhaltet.

Joachim Braun: Für mich ist die Ost-West-Debatte hiersehr interessant,die Unterschiede zwischen Ost und Westim Engagement, aber auch bei den Strukturen. Es gibtsehr deutliche Unterschiede in der Engagement-Bereit-schaft und dem tatsächlichen Engagement.Wenn ich aufdie Befragung zurückgehe, die ich vorhin ansprach, en-gagieren sich in den alten Bundesländern 35%, in denneuen Bundesländern 28%.Das ist ein erheblicher Unter-schied. Was die Förderstrukturen betrifft, heißt hier die

Frage: gibt es spezifische Förderstrukturen in den östli-chen Bundesländern? Wir haben längere Erfahrungen inden alten Bundesländern im Aufbau von Förderstruktu-ren, jüngere in den neuen Bundesländern,es gibt gewis-se Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Das ist eine Debatte, die weitergeführt werden muss, aber ichkann nicht von vornherein dafür plädieren,eine ganz spe-zifische Ost-Besonderheit zu kreieren,die auf historische,vorübergehende Erscheinungen zurückgeht. Noch einAspekt,der die Honorierung betrifft:Dahinter steht ja dieFrage, wie eigentlich Engagement gefördert werdenkann. Wenn man die Menschen fragt, was für sie am

92 Der große Ratschlag

wichtigsten ist,dann sieht man,dass der Hauptbedarf de-rer,die noch nicht engagiert sind und die sich engagierenmöchten, bessere Informationen und Beratung über Ge-legenheiten und Möglichkeiten zum Engagement ist. Eswäre wichtig, die Engagement unterstützende Infra-struktur in Kommunen besser auszubauen. Das ist die beste Möglichkeit,Engagement anzuerkennen,das ist dieWährung, die die Menschen wünschen, angemesseneInformation und Beratung durch Selbsthilfekontaktstel-len, Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros oder ähnlicheEinrichtungen.

Hartmut Gustmann: Ich möchte noch auf diejenigeneingehen,die wir nicht erreichen.Umfragen zeigen,dasswir ein hohes Engagement, eine hohe Engagementbe-reitschaft haben, dass aber eben nicht alle Leute, die da-zu bereit wären, das auch tatsächlich tun. Das hat auchwas mit dem Wertewandel, den ich vorhin schon ange-sprochen hatte, zu tun.Wenn das stimmt, was uns Sozio-logen sagen, dann erreichen wir nahezu ebenso vieleMenschen nicht wie die Anzahl derer, die bereits aktivsind. Und das ist das Problem. So sagt z.B. der SoziologeKlages:Dieser Wertewandel,der bei dem potenziell akti-ven Teil der Bevölkerung in den letzten 30 Jahren statt-gefunden hat,ist von den Institutionen – und das sind so-wohl die Kommunen wie auch Vereine oder Nachbar-schaftshäuser – nicht nachvollzogen worden. Was kannman nun tun, um diese Menschen zu erreichen? Wir ha-ben eine gutachterliche Arbeit dazu mit unseren Kom-munen in diesem Sommer erarbeitet, das ist der KGSt-Bericht 6/99 zur Förderung von ehrenamtlichem Enga-gement.Wir versuchen damit, die kommunalen Struktu-ren insoweit zu verändern, dass wir ehrenamtlichesEngagement so aufbereiten, dass die Leute sich quasiPakete zur Umsetzung abholen können. In Kontraktenmit freien Trägern dringen wir darauf, dass wir geradeauch Angebote für diejenigen machen, die wir bishernoch nicht erreicht haben. Denn die Erfahrung zeigt, dieLeute wollen ein übersichtliches Engagement,sie wollensich nicht auf längere Zeit binden, sie wollen ein Projektauch abschließen. Sie wollen den Erfolg ihrer Arbeit se-hen. Zugänge müssen also verbreitert werden.Wir bau-en die Kommunen zu einer ermöglichenden Verwaltungum.Was heißt das konkret? Wir installieren Engagement-Ermutigung,indem wir eine bisherige »Holschuld« zu ei-ner »Bringeschuld« der Verwaltung umwandeln. Das istein schwieriger Prozess, denn das bedeutet, auf allenEbenen der Verwaltungen Entwicklungen voranzutrei-ben und zu befördern, die dazu führen, dass die Mitar-beiter und auch die Strukturen so was eher von sich ausbefördern, als dass man sie dazu drücken muss. Das er-fordert einen Mentalitätswandel, einen Kulturwandel,wenn Sie so wollen.

Micheline Andreae: Die Bürgerstiftung hat sich in An-lehnung an die Community Foundations in Amerika ge-bildet.Dort waren sie früher lange Zeit nur Geldverwalterfür die Spenden und Stiftungen, die Projekte bezahlt ha-ben.Da hat sich in Amerika ein Wertewandel eingestellt.Es sind nicht mehr Stiftungen aus Testamenten, sondernes werden Stiftungen gerade von jungen Menschen, diez.B. in der Internet-Branche wahnsinnig viel Geld ver-dient haben. Die wollen das Geld nicht nur abgeben undmal sehen,was daraus wird,sondern die haben ganz spe-

zielle Ideen, was damit gemacht werden kann im sozia-len Bereich in ihrer Kommune, in ihrer Region. So etwassollte man in Deutschland auch versuchen zu befördern,dass eine andere Denkweise von Unternehmern entsteht,die ein soziales Gewissen haben, woran man anknüpfen

kann.Wir haben sicherlich kein Silicon Valley hier,aber imKleinen gibt es eine ganze Menge Geld von Leuten mitt-leren Alters, die sicherlich nicht erst warten wollen, dasGeld loszuwerden im sozialen oder kulturellen Bereich.Das haben wir bei unseren Gesprächen mit Leuten fest-gestellt,die eine ganze Menge Geld verdienen.Sie wollenGeld geben, sie wollen aber auch sehen, was damit pas-siert.

Adrian Reinert: Ich möchte zur Frage der Teilnehmer-beiträge und Kostenbeteiligungen etwas sagen, vor al-lem,weil das Wort »Qualitätssicherung« hier auftauchte.Ich finde es teilweise erschreckend,wie willfährig solcheModewörter übernommen werden.Gegen Sicherung vonQualität kann ja niemand etwas haben, aber auf der an-deren Seite ist der Begriff im Grunde genommen einSynonym für Einsparen. Und wenn man einsparen will,dann soll man es so sagen, dann soll man das nichtQualitätssicherung nennen. Bezüglich der Teilnehmer-beiträge und Kostenbeteiligungen gilt das gleiche.Es gibtGruppen in unserer Gesellschaft,die können sich das leis-ten, etwas zu zahlen, es gibt aber andere Gruppen, diekönnen das eben nicht. Deswegen kann man auf dieseFrage nicht so pauschal antworten.Gleichzeitig vermisseich einen anderen Begriff in dem gesamten Fragenkata-log, und das ist der Begriff der Solidarität, der früher zu-mindest im Bereich der sozial-kulturellen Arbeit eine sehrviel größere Rolle spielte.Solidarität ist nicht Altruismus,Solidarität ist etwas,was ich in der Hoffnung übe,dass ichgegebenenfalls mal von einem anderen etwas zurückbe-komme. Und dieses Solidaritätsbewusstsein ist in unse-rer Gesellschaft etwas verloren gegangen. Wir solltenüberlegen: Wie können wir es wieder fördern und wei-terentwickeln. Das wird die Schlüsselfrage für unsereGesellschaft und auch für die Entwicklung bürgerschaft-lichen Engagements sein.Dazu gehört dann auch,neu zuhinterfragen,wie ist das denn mit unserem Verhältnis zu

Arbeit und Erwerbsarbeit? Brauchen wir nicht eine ganzneue Idee von Arbeit und ganz andere Formen derVereinbarkeit von heute bezahlter Arbeit mit heute un-bezahlter Arbeit? Das ist ja sehr, sehr ungerecht, wie dasin der Gesellschaft verteilt ist.Und ich will zum Begriff der

Solidarität noch etwas sagen. Diese Bürgerstiftungensind sicherlich eine vorzügliche Idee.Nur,man kann nichtsagen, wir übernehmen das jetzt einfach aus den USA,denn dort hat das Stiftungswesen einen ganz klarenHintergrund, und zwar die massive Vermögensbesteue-rung.Es ist in den USA sehr unrationell,wenn man mit ei-nem großen Vermögen keine Stiftung gründet.Währendin Deutschland die Gesellschaft nicht darauf setzen kann,dass sich das Stiftungswesen von selbst entwickelt,denndann würden wir auch eine solidarische Besteuerung vonVermögen und Einkommen brauchen.

Stephan Wagner: Im Rahmen der Untersuchungen,diewir für Bosch gemacht haben,sind wir in Schwerin auf einProjekt gestoßen – Meganopolis – bei dem auch Teilneh-merbeiträge erhoben wurden, allerdings von Leuten, diesich das leisten können.Man zahlt 20 Mark für sozial-kul-turelle Angebote und das läuft hervorragend. Das gehtaber nur bei bestimmten Zielgruppen,das wird für Sozial-hilfeempfänger oder unter anderen Bedingungen nichtfunktionieren. Insofern muss man das sehr differenziertbetrachten. Ich möchte noch auf einen anderen Aspekteingehen. Es kommen immer Sätze wie: wir müssenArbeit verteilen, wir müssen mit einem anderen Be-wusstsein arbeiten und dann können wir auch ehren-amtlich arbeiten. Ich habe damit Schwierigkeiten, weilder Gegenstand, der entsteht, janusköpfig ist: auf der ei-nen Seite ehrenamtliche Arbeit, da gibt es eine MengeFormen, wo Leute tätig sind und dann in irgendeinerForm einen Gegenwert kriegen, der auch finanziellenCharakter haben kann. Man kann das aber auch einenstaatlich organisierten Billiglohn-Sektor nennen.Es ent-steht hier ein Bereich, der beides gleichzeitig ist. Ich willdas nicht kritisieren, ich bin mir sehr unsicher, was darichtig ist. Aber ich weiß, dass unter dieser Schale zweiKüken hocken. Und es ist nicht entschieden, welches amEnde schlüpfen wird.

93Der große Ratschlag

Dieter von Kietzell: Vielen Dank zunächst einmal andiese Runde. Ich möchte jetzt einen Schnitt machen, Siekommen dann gleich noch mal wieder dran, damit dieTeilnehmer der Veranstaltung auch dran kommen. Ichmöchte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bitten, sichfür einen Augenblick mit ihren Nachbarn auszutauschen,wo Ihrer Meinung nach Nachfragen gestellt werden müs-sen,wo Sie mit den Auskünften nicht einverstanden sind,wo die Antworten nicht übertragbar sind.

O> Stephan Wagner sprach von Janusköpfigkeit. Ichwürde sagen, die steckt in der Akquise von ehrenamtli-chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch. Wir sen-den permanent doppelte Botschaften in diesem Zusam-menhang aus, auf der einen Seite möchten wir ehren-amtliche MitarbeiterInnen finden, die für von uns ent-wickelte Ziele arbeiten, auf der anderen Seite sagen wir:wir unterstützen euch bei eurer Emanzipation und dazugehört, dass ihr euch nicht durch unbezahlte Arbeit aus-nutzen lasst. Diese doppelte Botschaft kommt perma-nent und kann natürlich dann weder zu einem klaren Zielnoch zu einem klaren Ergebnis führen.

O< Als Volkswirtin habe ich einen ganz anderen Blick-winkel auf diese Themen.Was ich spannend finde an die-ser Diskussion, ist z.B., dass Ehrenamtlichkeit immer imVerhältnis zur Arbeitstätigkeit diskutiert wird. Was ichschwierig finde,ist:Ihr müsst ehrenamtlich arbeiten,aberes wird nicht anerkannt.Gesellschaftlich anerkannt wirdLohnarbeit, und zwar die traditionelle männliche Lohn-arbeit, Kindererziehung wird quasi gar nicht als Arbeitgesehen.Ich denke,dass man auch mal diskutieren muss,was wirklich gesellschaftlich an Arbeit geleistet wird.Dasist nämlich zum größten Teil unbezahlte Arbeit und einnoch größerer Teil ist wahrscheinlich Frauenarbeit.Außerdem habe ich manchmal das Gefühl, dass dieSportvereinsvorsitzenden in einer Kommune ein höheresAnsehen haben als Leute, die wirklich was für dieBevölkerung tun.

O> Was mir hier fehlt, ist das, was auch in der Gesell-schaft ständig moniert wird, dass nämlich die Jugend

nicht dabei ist. Die kommt hier auch nicht vor. Aber diewird man nicht mit solchen Mitteln,wie ich es im Augen-blick höre, zu ehrenamtlichem Engagement bringen.

O> Ich komme aus der Jugendarbeit,habe in Emden imCVJM gearbeitet, in einem Heim der offenen Tür.Sie hat-ten kein Personal da und ich war Praktikant. Wir warensehr darauf angewiesen, dass Jugendliche eigenständigGruppen machen.Das wichtigste war für uns,dass wir sie

umhegt,umpflegt,versorgt haben,belobigt haben usw.,die wollten keinen finanziellen Anreiz. Dann habe ich inBerlin-Hellersdorf als Streetworker gearbeitet. Da habeich Jugendliche gefragt, ob sie Räume brauchen, die sieselber verwalten können.Und da bin ich echt gescheitert.Die erste Frage der Jugendlichen war:Wie viel Kohle krie-ge ich dafür. In gewissen Bereichen läuft das sozialeEngagement bei Jugendlichen nur über die Kohle.Gibt esErfahrungswerte aus der Praxis,wie man Jugendliche an-ders als über Kohle motivieren kann,sich zu beteiligen ander Gesellschaft?

Dieter von Kietzell: Damit die Antworten zu den Fragenpassen, gebe ich zunächst das Wort wieder in dasPodium.

Hartmut Gustmann: Ich möchte zu einer offensichtlichunterschiedlichen Wertigkeit von ehrenamtlicher Arbeitwas sagen.Wir sollten jetzt nicht anfangen, in der Weisezu differenzieren, wer mehr oder weniger für Menschentut. Aus meiner Sicht arbeitet jemand, der sich im Sport-verein engagiert und unter Umständen dadurch hilft,Jugendkriminalität zu senken, genauso viel für dasGemeinwesen wie jemand, der in der sozialen Arbeittätig ist.Also an dieser Stelle bitte nicht Ehrenamtlichkeitder 1.und 2.Klasse definieren.Das zweite,wir haben ganzandere Erfahrungen, als dass Jugendliche nur über Geldzu gewinnen sind, sondern es gibt da ein hohes sozialesEngagement und eine große Bereitschaft. Ich glaube,dass wir als Institutionen noch nicht so weit sind,dass wirauf den geänderten Wertewandel bei Jugendlichen, aufdie damit verbundenen Anforderungen an Angebote eh-renamtlicher Tätigkeit, Antworten geben können. DasProblem liegt nicht bei den Jugendlichen, sondern es istunser Problem als Kommunen, als Vereine, als Institutio-nen. Was die Solidarität angeht, meine Informationenüber den Wertewandel sind genau andere, Solidaritätbrauchen wir nicht zu entwickeln. Auch hier gilt, dieSolidarität in der Bevölkerung als Wert hat sich in denletzten 30 Jahren kontinuierlich entwickelt und,was viel-leicht viele überraschen wird, auch das politische Inter-esse hat sich in den letzten 30 Jahren erheblich ent-

wickelt. Das heißt, was wir an mangelnder Wahlbeteili-gung und an Rückzug aus politischen Institutionen se-hen, ist nicht sinkendes politisches Interesse, sondernsinkendes politisches Engagement.Und auch da sind wirwieder bei den Institutionen, die keine adäquaten Ant-worten auf den in unserer Gesellschaft verändertenWertewandel geben können. Das heißt, nicht die Leute,die Menschen sind das Problem, sondern wir sind dasProblem.(- Beifall -)

Daniel Dettling: Noch etwas zur Familienpolitik:Es gibtja zwei oder drei oder sogar vier Antworten in der Gesell-schaft,was die Schwierigkeiten in der Frauen- und Fami-lienpolitik angeht.Da gibt es eine konservative Politik,diesagt: Erziehungsgehalt, Frauen sollen ruhig zu Hausebleiben und wir zahlen denen das in bar aus, meinetwe-gen 1.000 Mark pro Kind,egal wie viel Einkommen da ist,ob sie Sozialhilfeempfängerin ist oder Millionärserbin.Die zweite Antwort ist die sozialdemokratische Antwort,die Kinderaufzucht nicht nur als ein Privatvergnügen an-zusehen.Sondern die Sozialdemokratie hat zwar eigent-lich keine Vorstellungen von Familie, das sollen der Vaterund die Mutter irgendwie intern regeln, wir machen damöglichst wenig, machen lediglich Infrastruktur-Ange-bote und das wars dann. Die dritte Antwort ist die neo-liberale. Kinder sind Privatvergnügen. Zwischen Kindernund Eltern besteht ein Gesellschaftsvertrag, ein Genera-tionenvertrag – beide haben Pflichten. Und es gibt keinstaatliches Interesse daran, dass eine Mutter die ganzeZeit zu Hause ist. Gerade auch alleinerziehende Mütterwollen arbeiten, sie sollen arbeiten. Tony Blair gibt bei-spielsweise im alleinerziehenden Bereich den Familienbis zu 400 Mark in der Woche zusätzlich,damit die Mütterarbeiten können. Das wäre ein neuer Gesellschaftsver-trag.Kindererziehung ja, aber gleichzeitig diesen Frauenauch die Möglichkeit zur Weiterqualifikation, zum Ein-stieg in das Berufs- und Arbeitsleben zu bieten, weilnichts gefährlicher ist,als lange Zeit nicht erwerbstätig zusein. Dann kommen sie nämlich in den Arbeitsprozessnicht mehr rein.Das eigentliche Problem in diesem Landist, draußen zu sein und nicht mehr reinzukommen.

Stephan Wagner: Ich will noch mal auf das Problem derdoppelten Botschaft eingehen,die wir senden.Ich denkedabei an jemanden, von dem ich viel gelernt habe, näm-lich George Eberle in den USA, Saint Louis, der in einemvöllig kaputten Viertel arbeitet. Die Menschen sind sehrarm. Ich bin damals auf etwas gestoßen, was mich sehrseltsam berührt hat,er hat den Armen,die dort leben,fürSeminare, in denen sie skills, wie das im Amerikanischenheißt,also Fähigkeiten bekamen,im Leben besser klarzu-kommen, Geld bezahlt. Er hat nicht den Dozenten Geld

bezahlt,das waren angestellte Sozialarbeiter oder Ehren-amtliche, sondern er hat den Teilnehmern Geld bezahlt.Nur, wenn ich ihnen Geld gebe, erlangen sie irgendwanndie Fähigkeit, dass sie auch ohne Geld zu den Seminarenkommen können und dabei etwas gewinnen. Ich würdeden ganzen Bereich, wo wir diese Botschaften sendenund wo wir auch teilweise Mikro-Ökonomien entwickeln,als einen Bereich der Selbstorganisation fassen,wo ArmeHilfe brauchen, aber auch ganz viele eigene Ressourcen

94 Der große Ratschlag

einbringen. Und hier muss mit ökonomischen Mischfor-men gearbeitet werden. Ich habe nur Bauchschmerzen,wenn dieser Bereich dem Bereich ehrenamtlicher Arbeitzugeschlagen wird – und zwar der klassischen ehren-amtlichen Arbeit, die wirklich eher aus Mittelschichtenund mit anderen Motivlagen kommt.Und wir müssen alsdiejenigen, die arbeiten, lernen, diese Dinge zu trennen,ohne beleidigend zu werden. Das ist ein Problem in un-seren Köpfen und nicht ein Problem der Menschen, dietätig sind.

Joachim Braun: Zu der Einschätzung,Jugendliche seienweniger aktiv oder schlechter zu akquirieren: Tatsacheist, dass sich Jugendliche deutlich mehr engagieren alsdie Älteren, die 14-24-Jährigen sind zu 37% engagiert,von den über 60-Jährigen sind es 26%.Tatsache ist auch,dass das Engagement in Millionenstädten geringer ist alsin anderen Teilen dieser Republik. Aber wichtig ist beiJugendlichen, dass sie sich auf keinen Fall für fremdbe-stimmte Ziele, vordefinierte Aufgaben und Zwecke ak-quirieren lassen,die vielleicht Sozialarbeiter in sozio-kul-turellen Zentren für sie definieren. So wird man Jugend-liche nicht erreichen. Hier liegt eine große Herausforde-rung. Man wird Jugendliche für selbst definierteAufgaben gewinnen.Man wird sich dafür öffnen müssenund möglicherweise Ziele, die man sich bisher gesetzthatte, ändern müssen.

Wolfgang Thiel: Im Selbsthilfebereich sind ca. 75% derMitwirkenden Frauen.In aller Regel ist es auch hier aller-dings noch genauso,wie es sich in der Gesellschaft abbil-det: für die Männer die Ehre, für die Frauen die Arbeitoder das Soziale. Damit ist jetzt keine Wertung verbun-den, sondern das zeigt doch nur, dass sich diese gesell-schaftlichen Vorgaben und Strukturen auch in die Enga-gementsfelder hinein fortsetzen. Dass sie dort auch sobegriffen und diskutiert werden müssen, ist auch eineHerausforderung für die gesamte Selbsthilfe,wo oftmalsdie Vorstandspositionen oder Gremienposten von Män-nern besetzt sind und die Frauen auf einer unteren Ebenewirken.

Monika Schneider: Das Thema Ehrenamtlichkeit ist jaein ganz großes Thema in unseren Einrichtungen, vielewerden hauptsächlich von Ehrenamtlern getragen.Den-noch habe ich in den einzelnen Workshops eine Ratlosig-keit dazu erlebt.Hier höre ich jetzt auch sehr viel über die-se Ehrenamtlichen.Und ich kriege noch nicht so ganz zu-sammen, wie wir eine Verbindung herstellen könnenzwischen den zahlreichen Erkenntnissen,die es dazu gibt,und der Verunsicherung der Einrichtungen gegenüberdiesem Bereich.Vielleicht können wir mal versuchen,die-sen Bogen zu schlagen.

Adrian Reinert: Es ist eine Schwierigkeit der Form, dasswir ziemlich undiszipliniert und durcheinander auf Fra-gen antworten.

Werner Matthes: Ich bin ja ein Ehrenamtler und habe re-lativ viele Aufgaben. Aber ich habe ja auch Zeit dafür. Esmacht Spaß, etwas zu tun, es ist ganz wichtig, gebrauchtzu werden, als älterer Mensch vor allem, der nicht mehrim Beruf steht, aber noch munter und lebendig ist, Zeithat und Interesse für viele Dinge.Es ist ganz einfach eine

wichtige Erfahrung,dass man sich noch einbringen kann,dass man etwas mitmachen darf,dass man irgendwo ge-braucht wird und Interessantes erlebt. Es ist ja nicht so,wie jetzt hier oft geklagt wurde,dass die Menschen nichterreicht werden. Die Frage ist nur, wie erreicht man sie,wie ermöglichen wir es Menschen, die interessiert sindund etwas machen wollen,dass sie mitmachen dürfen.Esgeht um die Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen undauch Spaß zu haben.

Wendelin Szalai: Noch eine Bemerkung zu Jugendli-chen und Ehrenamt.Ich habe da eine viel positivere Sicht,als das vorhin geklungen hat, und zwar nicht nur in demquantitativen Hauptfeld von ehrenamtlichem Engage-ment,also sportlicher Tätigkeit,sondern auch in anderenBereichen, auch was soziales Ehrenamt betrifft. Ich findees gut, dass man in der letzten Zeit dazu übergegangenist,auch an den Schulen diese Dinge stärker zu beachten.Es gibt so was wie ein soziales Lernen an den Schulen. Ineiner ganzen Reihe von Bundesländern vermerkt manjetzt sogar in Zeugnissen, wenn sich Schülerinnen undSchüler engagiert haben oder man legt ein Beiblatt da-zu, wenn sie sich außerhalb der Schule engagiert haben.Und ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genom-men, was das Projekt »Soziales Lernen« in Baden-Würt-temberg gemacht hat,bei dem Schülerinnen und Schülersich in Vereinen und Verbänden in einem Praktikum en-gagiert haben. Als das beendet war, sind die Kontakte invielen Fällen bestehen geblieben. Da hat funktioniert,und zwar außerhalb von irgendwelchen Geldern und öf-fentlicher Anerkennung.

Hartmut Gustmann: Wir scheinen offensichtlich hierein unterschiedliches Verständnis von Ehrenamt zu ha-ben. Ich möchte Ihnen aus dem kommunalen BereichKennzahlen sagen:So eine Gemeinde mit 3.000 Einwoh-nern, davon gibt es ungefähr 16.000 in Deutschland, hatdurchschnittlich 40, 50, 60 Vereine. Darin können auchschon mal 2.000 von den 3.000 Leuten aktiv sein. Kom-

munen mit 10.000 Einwohnern haben durchaus nichtselten 100, 120, 150 Vereine, wo auch mehrere tausendMenschen aktiv sind. Und aus dieser Sicht kann ich nichtbestätigen, dass 75% der ehrenamtlich Tätigen Frauensind, sondern es gibt bestimmte Bereiche der ehrenamt-lichen Tätigkeit,die ganz klar von Frauen dominiert sind,und solche,die ganz klar männerdominiert sind.Wir ver-stehen im kommunalen Bereich unter Ehrenamt und un-ter freiwilliger Tätigkeit die Mitwirkung in Sportverei-nen, Geschichtsvereinen, das Engagement für Umwelt,Abfall, Mieter, Schuldner, Arbeitsloseninitiativen, ge-sundheitliche Selbsthilfegeschichten, Bürgervereine, diemittlerweile in Deutschland 30% aller Stadträte stellen,also politisches bürgerschaftliches Engagement usw.Unddas ist der Bereich des bürgerschaftlichen Engagements.Und nicht nur,wie vielleicht auch aus Ihrer eigenen Tätig-keit klar wird, der soziale Bereich, der bei Ihnen natürlichim Vordergrund steht.

Dieter von Kietzell: Schwerpunkt der zweiten Runde istjetzt der Leitbegriff Partizipation.Was ist zu tun oder waskann nicht getan werden, wenn es darum geht, Partizi-pation zu ermöglichen?

O< aus dem Saal: Ich möchte vor allem eine Antwortfür mein Team mitnehmen, und zwar auf die Frage, wiesich die Gesamtgesellschaft verändern wird, wie der ge-samtgesellschaftliche Wandel vollzogen wird, wie dieUmverteilung von Arbeit erfolgen wird und wie es unsdann gelingt, bezahlte Arbeitsplätze nicht durch unbe-zahlte Arbeitskräfte zu gefährden.

Daniel Dettling: Die Grenzen zwischen bezahlter undunbezahlter Arbeit werden immer fließender,ebenso dieGrenzen zwischen Wissen und Kapital. Die ganzen Be-griffe, die wir jetzt gewohnt sind, Arbeitslosigkeit, Ar-beitsplatz,Arbeitgeber,Arbeitnehmer usw.,wird es in 20Jahren nicht mehr in der heutigen Form geben.Das heißtfür die Professionellen, dass gerade die festen Arbeits-plätze weniger bezahlt werden, dafür aber Leute, die garnicht bezahlt werden und bisher ausgeschlossen sind,eine Chance haben, wieder mehr an dieser Gesellschaftteilzunehmen.

O> Ich glaube nicht, dass bezahlte Arbeit durch unbe-zahlte Arbeit ersetzt werden kann, weil bezahlte Arbeiteine ganz spezifische Struktur hat. Sie ist in der Regelzielgerichtet und hat ein Produkt oder ein Ergebnis zumZiel, das zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter be-stimmten Bedingungen erstellt werden muss und wo ichbestimmte Kenntnisse brauche. Und ehrenamtliche Ar-beit ist in der Regel nicht in der Lage,diese Kenntnisse sospezifisch zur Verfügung zu stellen.

O< Aber es wird zunehmend unbezahlte Arbeitskräftegeben,die durchaus professionell sind.Wie können die inProzesse eingebunden werden? Ich denke gerade auchan Rentner mit hohen Qualifikationen,die durchaus nochvital sind und ihre Kenntnisse und ihre Energie auch nochirgendwo einbringen wollen.

Bernd Wagner: Ehrenamt gleich unprofessionell, Er-werbsarbeit gleich professionell – das ist eine falscheGleichsetzung ebenso wie es problematisch ist zu sagen,

95Der große Ratschlag

dass Erwerbsarbeit eine bestimmte Zielrichtung habe,ehrenamtliche Arbeit dagegen weniger zielgerichtet sei.Im Kultursektor wird ehrenamtliche Arbeit verstärkt ein-gesetzt zur Rationalisierung und zur Übernahme vonArbeiten, die andere bisher als bezahlte Tätigkeit ge-macht haben.Das ist eine Tendenz z.B.im Bibliotheksbe-reich, in den Volkshochschulen und Museen sowie ver-schiedenen anderen Sektoren.Von daher verstehe ich dieBefürchtungen hauptamtlich Beschäftigter in bestimm-ten Arbeitsfeldern,dass ihre Arbeit wegrationalisiert oderentprofessionalisiert wird. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir bereits sowas wie einen Be-schäftigungs-Mix in einem ganzen Bereich von Tätigkei-ten haben. Wenn ich mir ein sozial-kulturelles Zentrumansehe, die sind vielfach aus bürgerschaftlichem Enga-gement entstanden,dann wurde eine ABM-Stelle einge-richtet, oder es konnte eine Stelle finanziert werden. Diegleichen Tätigkeiten werden dort teilweise von Leutenwahrgenommen mit ganz unterschiedlichen Formenvon Arbeit wie Ehrenamt,Erwerbsarbeit,Eigenarbeit etc.Wir werden uns zunehmend in verschiedenen gesell-schaftlichen Bereichen damit auseinandersetzen müs-sen, dass unser Verständnis von Erwerbsarbeit in derForm der bezahlten männlichen Normalbiografie nichtmehr gängige Norm sein wird.Und von daher glaube ichauch, dass wir diese Begrifflichkeiten in eine andereRichtung diskutieren müssen, dass die Gegenüberstel-lung – früher war es Arbeit und Freizeit und heute ist esErwerbsarbeit und Ehrenamt oder bürgerschaftlichesEngagement – dass diese Begriffe fließend werden undwir uns auch bewusst darum bemühen müssen, diesestraditionelle Verständnis von Arbeit und Erwerbsarbeitaufzubrechen.

Stephan Wagner: Wir haben in der Bosch-Untersu-chung Nutzer von ehrenamtlichen Projekten gefragt:Warum geht ihr in ehrenamtliche Projekte und nicht inprofessionelle Projekte? Und dahinter stand auch dieFrage,wann wollt ihr in der Sozialarbeit Profis haben undwann Ehrenamtliche.Die Antworten waren teilweise völ-lig anders, als wir das erwartet hatten. Im Wesentlichenhaben die Leute gesagt, wir wollen Profis dann haben,wenn es um hoheitsstaatliche Maßnahmen geht,z.B.einKind wird aus der Familie genommen, ein Rentenbe-scheid wird erteilt,wenn also etwas passiert,wo der Staatmassiv in die Privatsphäre eingreift – das soll von Haupt-amtlichen gemacht werden. Wir wollen Hauptamtlichehaben, wenn wir Klienten haben, die Spezialkenntnisseerfordern, die bei Ehrenamtlichen in der Regel nicht vor-handen sind.Wir wollen Ehrenamtliche immer dann ha-ben,wenn wir beraten werden wollen,insbesondere,wiewir mit dem Staat umgehen sollen. Und wir haben dieProjekte gefragt,wofür braucht ihr Hauptamtliche,wofürbraucht ihr Ehrenamtliche? Die Antwort war überra-schend: wir brauchen die Hauptamtlichen, um mit demStaat umzugehen. Das ist so kompliziert, das kriegenEhrenamtliche nicht hin.

Herbert Scherer: Ich möchte eine Generalklausel vor-schlagen, die dieses Problem, das die Kollegin angespro-chen hat, vielleicht lösen kann und gleichzeitig hier Be-griffsklärung schafft. Also, bezahlte Arbeit ist Arbeit, diejemand kaufen will. Andere Arbeit ist Arbeit, die jemandfreiwillig tut.Weil ihm irgendetwas Spaß macht, weil er

irgendetwas will.Wenn wir diesen Begriff ganz klar ha-ben und uns als Einrichtung davon verabschieden, dasswir ehrenamtliche Helfer für von uns vordefinierte Auf-gaben rekrutieren wollen, haben wir gar kein Problem.

Bernd Wagner: Wenn wir das so strikt handhaben, wieSie das gesagt haben,würde etwa die Hälfte unserer kul-turellen Angebote eingestellt werden müssen. Weil dieHälfte der kulturellen Angebote in der Kommune und vorallem auf dem Land durch ehrenamtliche Arbeit sehr ziel-gerichtet geleistet wird, dass ein Produkt entsteht, undzwar geleistet wird von Leuten, die kein Geld dafür be-kommen.

Herbert Scherer: Ich habe doch gar nicht gesagt,dass sieGeld dafür kriegen sollen, sondern dass sie selber be-stimmen sollen,dass sie selber in der Verantwortung sindund nicht jemand anders ihnen die Aufträge gibt – die-ses Prinzip in der Einrichtung verankert als Kultur.

Monika Schneider: Die tun das doch,weil sie das selbertun wollen.

Bernd Wagner: Natürlich wollen sie es selbst tun. Auchwenn ich einen Beruf habe, will ich ihn selbst tun. DieseUnterscheidung leuchtet mir nicht ein. Wenn ich z.B.weiß, in meinem Stadtteil wird die Bibliothek von derKommunalpolitik geschlossen,ich möchte sie aber erhal-ten, dann schließen die Eltern sich zusammen, bilden ei-nen Verein und übernehmen diese Bibliothek in eigenemEngagement, meist noch in Partnerschaft mit der Kom-mune.Sie wollen was tun und es ist eine Arbeit im Sinnebürgerschaftlichen Engagements, das durchaus die glei-chen Kennzeichen hat wie bezahlte Erwerbsarbeit, diefrüher die hauptamtliche Bibliothekarin gemacht hat.Ichsage nicht, dass das durchgängig eine gute Entwicklungist.Aber ich sage, dass das eine Realität ist.

Georg Zinner: Ich wende mich gegen alle Großstrategenund Definierer, die Ehrenamtlichkeit definieren wollen.Ehrenamtlichkeit ist das, was Bürger wollen.Unsere Auf-gabe ist, den Bürgern die Möglichkeiten anzubieten.Vonwelchen Möglichkeiten die Bürger Gebrauch machen,dasist einzig und allein ihnen überlassen.Und zu definieren,was ist hauptamtlich, was ist nebenamtlich oder sonstwelche Arbeit, ist völlig überflüssig. Ich wehre mich auchgegen dieses gigantische Vorurteil,das ich seit 30 Jahrenkenne, Ehrenamtliche nehmen Hauptamtlichen Arbeitweg.Seit ich Sozialarbeiter bin,höre ich,es werden immerunsere Stellen gestrichen, uns werden immer Gelderweggenommen, aber gleichzeitig hat sich die Sozialar-beiter-Profession verfünffacht oder verzehnfacht in die-ser Zeit. Und trotzdem ist die Wahrnehmung so. Dastimmt doch bei uns irgendetwas nicht.

O> aus dem Saal:Das Thema Ehrenamt muss heute vieldifferenzierter betrachtet werden. Für viele ist ja einEhrenamt eigentlich nur verbrämte und geduldete Ar-beitslosigkeit. Dass man sich aber als Arbeitsloser überdas Ehrenamt auch den Zugang zum ersten oder zweitenArbeitsmarkt in irgendeiner Form erhofft, das wird im-mer ziemlich schamhaft diskutiert.Da müsste man wirk-lich absehen z.B.von Sportverbänden und -vereinen, wotatsächlich noch die Ehrennadel das Ergebnis sein kann.

Man sollte sich genau ansehen, was erwartet der eineoder andere vom Ehrenamt. Der gesellschaftliche Wan-del,der hier angesprochen ist,der Paradigmenwechsel –das ist nicht nur die Frage von Institutionen, das ist eineFrage von gesellschaftlichem Verständnis von Bürger-arbeit.

Adrian Reinert: Die Annahme,je mehr Ehrenamtliche esgibt, desto weniger professionelle Jobs gibt es, stimmtnicht. Ebenso wenig wie die Annahme, je mehr öffentli-che Leistungen gegeben werden, desto passiver werdendie Leute. Das sind Argumente, die oft in der Diskussionsind. Aber das Interessante ist, wenn man internationaleVergleichsstudien anguckt,dass die Länder, in denen dasWohlfahrtssystem am ausgeprägtesten ist, Niederlande,Schweden, Dänemark, den höchsten Anteil an ehren-amtlichem,bürgerschaftlichem Engagement haben.Unddie Länder,die die höchste Sozialquote haben,sind inter-essanterweise auch die Länder,die das höchste Spenden-aufkommen für allgemeine soziale Ziele in Europa haben.Also, die Gleichung, entweder man hat einen ausgebau-ten Freiwilligen-Sektor oder man hat einen ausgebautenprofessionellen Sektor, ist einfach zu simpel. Ich möchtenoch auf die Frage eingehen:Wie soll sich die Gesellschaftweiterentwickeln, wie ist der gesellschaftliche Wandeleinzuschätzen? Es gibt das Drei-Schichten-Modell derArbeit,also herkömmliche Erwerbsarbeit,bürgerschaftli-ches Engagement und Eigenarbeit bzw. private Arbeit.Dadurch wird eine existentielle Grundversorgung sicher-gestellt – ein tolles Modell, nur, es steht nicht drin, wieman es umsetzen kann. Und deswegen glaube ich, dasswir auf lokaler Ebene Experimente brauchen. Und einAnsatz dazu ist das so genannte Münchener Modell,nachdem Erwerbstätige auf einen Teil ihrer Arbeitszeit ver-zichten und sagen, ich ziehe mich jetzt für einen gewis-sen Zeitraum zurück und nutze diese Zeit entweder fürbürgerschaftliches Engagement oder für meine persön-liche Weiterbildung oder für private Arbeit oder für dieFamilie und ähnliches. Und die Idee ist – heute hat manja dabei mit schwerwiegenden Nachteilen zu rechnen,gerade was Sozialversicherung und ähnliches betrifft,wenn man sich so zurückzieht – dass die Parteien des Ar-beitsmarktes eine gemeinsame Stiftung dafür gründenund ermöglichen, dass man sich aus der Erwerbsarbeitzurückziehen kann, ohne Nachteile für die Sozialversi-cherungen zu haben.Und von diesen freigestellten Stun-den werden wieder neue Arbeitsplätze für diejenigen ge-schaffen, die bisher keine Arbeit haben oder ehrenamt-lich tätig sind. Wir brauchen Experimente für ein neuesVerhältnis zwischen bisheriger Erwerbsarbeit und bishernicht bezahlter Arbeit.

Hartmut Gustmann: Es gibt und gab schon immer einNebeneinander von gleichen Tätigkeiten, die hauptamt-lich, schlecht oder die gar nicht bezahlt worden sind, vonLeuten, die die gleiche Arbeit machen. Das wird es auchweiter geben.Und das ist auch nicht schlecht.Diese Tren-nung zwischen Profi und Laie empfinde ich persönlich alseine sehr unselige Diskussion, weil wir uns seit ungefähr20 Jahren um die Professionalisierung von ehrenamtli-cher Tätigkeit in Vereinen und Nicht-Regierungsorgani-sationen bemühen.Deshalb finde ich es heute schon fastselbstverständlich, dass alle ehrenamtliche Tätigkeit aufeinem möglichst hohen professionellen Niveau stattfin-

96 Der große Ratschlag

det, mit einem von den Teilnehmern selber erarbeitetenKonzept von Qualitätsmanagement. Ein Beispiel aus derStadt München:Dort gab es in den 80er Jahren zahlreicheMüllinitiativen, die über Jahre Beratung und konkreteArbeit im Müllsektor neben dem Amt für Abfallwirt-schaft gemacht haben. Heute sind in diesem Amt sehrviele hauptamtliche Mitarbeiter,die ehemalige Freiwilli-ge und ehrenamtlich Tätige waren. Wichtig ist eine ge-wisse Durchlässigkeit,dass ein Wechsel stattfinden kann,dass Leute aus der ehrenamtlichen Tätigkeit in die haupt-amtliche Tätigkeit wechseln können und von der haupt-amtlichen Tätigkeit auch wieder in die Ehrenamtlichkeitzurückgehen können. Es ist eines der permanenten Ge-rüchte, dass ehrenamtliche Arbeit hauptamtliche Arbeitwegnimmt.Ein Beispiel von einer Entwicklung,die in dennächsten Jahren eine Dynamik schaffen wird:Das Baden-Württembergische Kindergartengesetz ist gerade inso-weit geändert worden,dass im Kindergarten auch enga-gierte Mütter mitarbeiten können.Das wurde von vielen

Kindergärtnerinnen als eine Existenzgefährdung ihrerArbeitsstellen bezeichnet. Natürlich gibt es ein gewissesRisiko dabei,dass das im Einzelfall tatsächlich passiert.Esgibt aber eine viel größere Chance dabei, nämlich dassdas Leistungsangebot von Kindergärten nicht mehr aufdie Arbeitszeiten der Mitarbeiter zugeschnitten wird,sondern auf die Ansprüche der Kunden, nämlich derMütter, der Familien, um damit einen ganz anderen undwichtigen Effekt zu erreichen,nämlich überhaupt Berufs-tätigkeit von alleinerziehenden Müttern zu ermöglichen.

Wendelin Szalai: Ich glaube nicht, dass es jemandengibt, der weiß, wie sich die Gesellschaft in den nächsten20 oder 25 Jahren genau entwickeln wird.Man kann Ver-mutungen anstellen, dass die traditionelle bezahlte Er-werbsarbeit uns ausgehen wird. Und dann wird man si-cher theoretische und praktische Experimente brauchen,wie man auf diese Veränderungen reagiert. In Bayernprobiert man das an einigen Stellen aus.Meine Sorge ist:wird es neben Bürgerarbeit noch Raum geben für das,was wir mit Ehrenamt bezeichnen? Weil für mich dasSelbstverständnis von Bürger,also aktives Mitglied eines

Gemeinwesens,auch bedeutet,ich brauche Gelegenheit,etwas zu tun,freiwillig,unbezahlt,gemeinsam mit ande-ren, für das Gemeinwohl und für mein eigenes Wohl.Daswäre für mich die Beschreibung von Ehrenamt. Das ist eine sehr weite Beschreibung.Werden dafür Felder blei-ben, trotz der Bürgerarbeit?

Konrad Hummel: Ich erlebe Ihre Frage schlicht und ein-fach als eine hilfreiche Infragestellung professionellerArbeit.Wir denken viel über die Spezies der Ehrenamtli-chen nach, wir sollten aber über unsere eigene Speziesnachdenken, die Spezies der Beschäftigten, weil wir einschlechtes Gewissen haben, andere vielleicht hineinzu-drängen in die Projekte.Oder wir haben Skrupel,weil wirFrauen ausbeuterisch behandeln und weil wir Selbsthilfevielleicht nicht bezahlen und weil wir vielleicht dem Staatirgendwelche Opfer vorwerfen.Gleichzeitig kommt durchdie Hintertür wieder, dass wir doch Standards wollen.Dann rutscht so ein Satz raus, dass Ehrenamtliche dies

nicht können und das nicht können.Ich glaube,die Zeitensind vorbei, wo wir unterscheiden konnten, was Ehren-amtliche können und nicht können.Die Frage ist einfach,welche Rolle wir selber in der Demokratie haben. Wirmüssen in Demokratien Rollen spielen – nicht als Spiel,sondern als Überlebensfrage von Demokratie. Und dasbedeutet, dass eine Fachkraft eine Fachkraftrolle spielt,und wenn sie privat im Kindergarten engagiert ist, dannspielt sie dort hoffentlich nicht Fachkraft, dann spielt siebetroffene Mutter oder was anderes. Und wir sind in derLage wie nie zuvor, dass wir überhaupt Rollen spielenkönnen. Das ist der Fortschritt durch die Frauenarbeit.Mein Problem bei der ganzen Debatte hängt mit demTitel der Tagung zusammen,nämlich:Bürgergesellschaft.Wir diskutieren Sozialstaat und Ehrenamt,wir diskutierennoch nicht,was Bürgergesellschaft bedeutet,obwohl ge-rade das unsere Verantwortung ist.Mit anderen Worten,wir haben das Problem,dass wir als Bürger gefordert sindin unserer jeweiligen Rolle, und ich habe den Eindruck,dass wir an der Stelle keine Vision entwickeln können,dass wir nicht einfach für die 34 oder 38% der engagier-ten Bürger reden, sondern wir müssen für alle reden.

Wenn Fachkräfte überhaupt bezahlt sind,finde ich,habensie einen Auftrag zugunsten des Rechts des Bürger-schaftlichen.Mich ärgert bei allen Ehrenamts-, Sozialhil-fe-, Selbsthilfe- und Freiwilligen-Projekten immer, dasswir, wenn wir eine Gruppe haben, schon zufrieden sind.Ich denke,wir sollten mit nichts zufrieden sein.Wenn wir10, 100, 2.000 erreichen beim Stadtteilfest, sollte unsereFrage sein,wen haben wir nicht erreicht.Es geht nicht umTotalerfassung, aber unser Job ist es, alle zu erreichen.Diejenigen, die engagiert sind, dürfen zufrieden sein mitdem, wo sie sind. Und darum wäre meine Antwort aufIhre Angelegenheit: es geht eigentlich nicht darum, vor-sichtig abzuwägen, denn die Bürger werden sowieso anIhnen vorbei arbeiten, die Bürger können aber durch Sieermuntert werden,dass sie dort,wo sie dank Ihrer Unter-stützung etwas tun,ihr Rollenverständnis klären können,ihre Rolle an der richtigen Stelle spielen können.Aus mei-ner Sicht könnten Sie die Vermittlung herstellen, damitPolitiker kapieren, welche Rolle Bürger an der Stelle, zu

dem Zeitpunkt jeweils spielen können. Dann entstehenneue Jobs und alte wandeln sich um. Ich verstehe nurnicht, warum Sozialarbeit immer so empfindlich aufWandel reagiert, im Kohlerevier müssen 80.000 Leuteschauen, dass sie von Kohle auf Solarenergie rüberkom-men, und Sozialarbeiter müssen endlich von Tuberkulo-se-Fürsorge zu Bürgerengagement kommen.

Daniel Dettling: Was wir brauchen,sind neue Bündnisseund neue Partnerschaften, gerade auch in den Kommu-nen und auf lokaler Ebene.Was wir brauchen, sind neueÜbergänge und Koalitionen.Und da hilft es gar nichts,im-mer mit dieser alten Rhetorik, hier die Besserverdienen-den und da die Sozialschmarotzer, zu kommen.Wir müs-sen aktiv auf die Leute zugehen,die Kunden sind nicht dieSozialhilfeempfänger, die Kunden sind nicht die Bürger,sondern Sie sind die Kunden, der Staat ist für die Bürgerda und nicht umgekehrt. Und die Verwaltung ist für dieBürger da und nicht umgekehrt. Hier müssen wir anset-zen, wir brauchen neue Koalitionen. Es gibt Firmen, diebereit sind, dies zu tun, ich kann z.B. BMW nennen, dasmag jetzt überraschen, aber es gibt so etwas wie den

97Der große Ratschlag

»Nachhaltigkeits-Index«,da ist BMW auf Platz 1,Telekomauf Platz 2. Die berücksichtigen nicht nur die betriebs-wirtschaftlichen Kriterien, sondern auch die sozial-öko-logischen Kriterien.Mit solchen Firmen würde ich versu-chen zu kooperieren.Das kann in Stuttgart Daimler-Benzsein, das können Computerfirmen sein, aber Sie brau-chen neue Bündnisse und neue Partnerschaften, sonstwird es Sie eines Tages nicht mehr geben. Noch könnenSie den Wandel gestalten, Sie können ihn zerstörerischgestalten, Sie können ihn offensiv gestalten, aber hiermüssen Sie ansetzen. Ansonsten wird es vielleicht eineRiege geben, die eher meiner Generation angehört unddie sagt, was soll uns der Sozialstaat, der uns sowiesonichts nützt. Deutschland ist nun mal ein Staat, der sichüber Arbeit definiert, und Demokratie ist in erster LiniePartizipation über Arbeit und nicht über Engagement.Das heißt, wir brauchen auch einen neuen Engagement-Begriff und ich halte nichts davon, die Gesellschaft inEhrenamtliche und Hauptamtliche einzuteilen,wir brau-chen eine Gesellschaft, die gleichermaßen von Arbeits-fähigen und von Nicht-Arbeitsfähigen getragen ist. Esgibt viele, die können in diesem Land nicht arbeiten, eskommt gar nicht darauf an, sie zu diffamieren, sonderndas wäre eine neue Arbeitsteilung.Die Leute,die wirklichbedürftig sind, sollen auch eine Grundsicherung haben,und alle anderen können arbeiten.Und es gibt in diesemLand, auch wenn die Gewerkschaften, die Konservativenund viele bei Rot/Grün das anders sehen, genug Arbeitund vor allem – so nennen es die Sachsen – es gibt ge-nug Aufgaben, unerledigte Aufgaben und Tätigkeiten,die wir anders bezahlen müssen, kreativ bezahlen müs-sen.Und da ist das Stichwort der Übergangsarbeitsmärk-te wesentlich besser und handlungsweisender als derBegriff der Bürgerarbeit, der letztendlich an der altenArbeitsteilung der Gesellschaft nur festhält.

Stefan Nährlich: Ich möchte auf die Frage der Zukunftder Arbeitsgesellschaft eingehen.Wir haben ja zwei kon-kurrierende Zukunftskommissionen und Gutachter-Mo-delle.Die einen sagen, die Arbeit geht uns aus, die ande-ren sagen, es wird immer noch genug Arbeit bleiben.Aber im Grunde genommen sind es doch drei Kernfragen,warum Arbeit für uns so wichtig ist:Arbeit dient der indi-viduellen Einkommenssicherung, bezahlte Arbeit dientder Finanzierung der kollektiven Sicherungssysteme undüber Arbeit gewährleisten wir die soziale Integration indie Gesellschaft. Und dann macht es keinen Sinn zu fra-gen,was können Ehrenamtliche tun,was können Haupt-amtliche tun? Wie lange engagiere ich mich ehrenamt-lich, wie lange arbeite ich hauptamtlich.Die Aufgabe ist,die Gesellschaft so zu gestalten,dass diese drei Punkte –individuelle Einkommenssicherung,Finanzierung der so-zialen Sicherungskonzepte und die gesellschaftlicheTeilhabe – durch eine Tätigkeit gewährleistet werden.Und wenn das die Handlungsschnur oder die Leitlinie ist,dann kann man sich fragen, wie man wen finanziert,wann er sich ehrenamtlich engagieren kann. Ich glaubenicht, dass wir diese Trennung aufrechterhalten könnenzu sagen,das darfst du jetzt nicht,du gefährdest meinenArbeitsplatz, das kannst du nicht, dazu braucht man je-manden, der beruflich dazu ausgebildet ist. Ich glaube,das gilt heute nicht mehr.

Stephan Wagner: Ich bin grundsätzlich misstrauisch ge-

worden gegenüber großräumigen Zukunftsentwürfen,die bestimmte Entwicklungen antizipieren, die danndoch völlig anders verlaufen als geplant. Ich habe 1988auf der internationalen Konferenz der Nachbarschafts-heime eine Situation erlebt,wo ein Teilnehmer aus Israeldamals zum Thema Brücken-Bauen sagte, lasst uns dochmal über ein Berlin ohne Mauer diskutieren.Und alle ha-ben den angeguckt, als ob er vom Mond käme. Ein Jahrspäter hätten alle jemanden so angeguckt, wenn er ge-sagt hätte,lasst uns doch mal über ein Berlin diskutieren,wo wir wieder eine Mauer bauen.Das heißt also,ein Ent-wurf kann sich durch Ereignisse, die nicht erfassbar sind,sehr schnell verändern.Ich bin eher dafür, dass wir unse-re Entwürfe dort machen, wo wir sicher sind, nämlichdort, wo die Menschen sind mit ihren konkreten Bedürf-nissen.Wir sollten als Zentren dort mit den Menschen ar-beiten,wo sie sind.Wir sollten mit den Modellen arbeiten,die die Menschen wollen.Was wir dafür allerdings brau-chen ist Veränderung,wir müssen mit dem Staat,mit den

öffentlichen Bürokratien darüber reden, dass entbüro-kratisiert wird,dass die Systeme offener werden und dasswir z.B.mit den Geldern, die wir bekommen, handlungs-fähiger werden und nicht nur ganz bestimmte Dinge tundürfen, so dass die Systeme sich leichter anpassen kön-nen an die Bedürfnisse der Bürger.

Hartmut Gustmann: Ich will jetzt mal bewusst zuspit-zen. Von vielen Politikern und Entscheidern werden so-zial-kulturelle Einrichtungen eigentlich nur in der Weisewahrgenommen,dass sie sich in geldeinwerbender Wei-se auf die Politiker und Entscheider zubewegen, aberwenn es darum geht, darüber zu diskutieren, was getanwird, sich jegliche Einmischung verbitten. Das Image so-zial-kultureller Einrichtungen auf der Entscheider-Ebeneund auf der Politiker-Ebene wird mittlerweile eher als lästig empfunden.Eines ist die Diskussion in den Jugend-hilfe-Ausschüssen, wo viele Politiker – das kann manganz offen so sagen – und Entscheider es leid sind, sichnur mit Geld rumzuschlagen,weil die Diskussion in Politikund im Verwaltungsmanagement schon auf einer ganzanderen Ebene ist. Insoweit hinken Sie da mit Ihrem

Auftreten hinter der Diskussion her. Denn hier geht esauch in Zeiten der Mittelknappheit nicht darum, Aufga-ben einzuschränken,sondern ein Leistungsspektrum an-zubieten, es über die Kundenorientierung noch viel kon-kreter und kundenspezifischer anzubieten, um damit soetwas wie eine Bürgergesellschaft vorzubereiten. Undwenn ich an dem Punkt nach Rollen und Aufgaben frage,dann könnte eine meiner Empfehlungen lauten:Sie müs-sen sich mehr einmischen, Sie müssen sowohl Ihre eige-nen Aufgaben in die Diskussion reinbringen – das heißtnicht zur Diskussion stellen – und einen aktiven Dialogmit den Entscheidern und mit der Politik führen, undzwar auch über andere Sachen als Geld. Die zweite Aus-sage hat auch ein bisschen mit Marketing von kulturellenEinrichtungen zu tun. Sie müssen an der Wahrnehmungsozial-kultureller Einrichtungen von außen arbeiten, amImage, wie Sie die Realisierung von Bürgerkommune,Bürgergesellschaft und die Erhaltung des Sozialstaatesrealisieren wollen. Das ist ja das Thema, das wir heute

diskutieren,dass Sie da eine aktive Rolle spielen können.

Dieter von Kietzell: Wir müssen also aktiv auf die Leutezugehen,wir müssen uns an den Kunden orientieren,dieMenschen haben konkrete Pläne,wir müssen aufgreifen,was die Menschen wollen. Herr Hummel hatte daraufhingewiesen, wie erreichen wir die, die wir bislang nichterreicht haben. In der Tagung hatten einige Kolleginnenund Kollegen gesagt, wir arbeiten in Arbeitsfeldern inGroßstädten, die man auch als soziale Brennpunkte be-zeichnen kann,in denen können wir bislang keine Bereit-schaft erkennen zu bürgerschaftlicher Beteiligung. Dasind also die,die wir bislang nicht erreicht haben.Ich wür-de gerne von Ihnen einen Ratschlag an die Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter in den Nachbarschaftsheimen be-kommen, was da zu tun ist. Und wie sieht es aus, wennMitarbeiterInnen sagen, wir sehen für unseren Zusam-menhang nicht, was Kundenorientierung bedeutenkann, wir wissen nicht, was die Menschen wollen.

Wolfgang Thiel: Eine Erfahrung aus dem Selbsthilfebe-reich ist:da,wo nichts ist,wird auch wenig,und da wo was

98 Der große Ratschlag

ist,geschieht auch mehr.Deshalb überrascht mich als ers-tes die Feststellung, wenn in bestimmten StadtteilenAngebote entwickelt werden, dass damit eine schlechteErfahrung verbunden ist, dass so etwas auf wenig Reso-nanz stößt. Das könnte vielleicht damit zu tun haben,dass man nicht angemessen die Wünsche,Interessen undBedürfnisse aufnimmt. Aber die wesentliche Erfahrungder Selbsthilfekontaktstellen ist, dass sie sich nicht nurauf vorhandene Engagement-Potenziale oder Gruppenbeziehen, sondern eine Wirkung haben, durch die nochmehr entsteht.

Adrian Reinert: Ich möchte ein Plädoyer für projektori-entierte Arbeit halten.Ich glaube,das gilt generell für diePartizipation,für die Beteiligungsbereitschaft.Drei Punk-te muss man berücksichtigen. Man muss sehr the-menspezifisch sein,man muss das nehmen,was die Leutetatsächlich interessiert, was sie wirklich angeht und wosie auch interessiert sind an Veränderungen. Der zweitePunkt ist der temporäre Charakter der Engagementver-pflichtung.Das heißt, die Leute wollen sich nicht lebens-lang oder auf Dauer verpflichten, an irgendeinem allge-meinen Ziel zu arbeiten, sondern sie wollen vielleichtjetzt mitarbeiten und später mal gucken,ob sie vielleichtlängerfristig mitarbeiten wollen.Das heißt also, die Hür-de nicht zu hoch machen,sondern Gelegenheit zu geben,mal reinzuschnuppern und sich gegebenenfalls wiederrauszuziehen.Und das dritte Element von spezifischer Ar-beit ist die kleine Gruppe. Ich glaube nicht, dass es sinn-voll ist, Beteiligungen auf der individuellen Ebene zu or-ganisieren und auch nicht in einer Großorganisation.Jeder Mensch will das Gefühl haben, dass er mitwirkenkann, dass seine Mitwirkung ein konkretes Resultat hatund wenn er fehlt, dass das bemerkt wird. In einer Groß-organisation fällt das überhaupt nicht auf,ob ich nun teil-nehme oder nicht,keiner kümmert sich um mich,aber ineiner kleinen Gruppe ist es sofort erkennbar. Ein Verfah-ren, das ich für sehr interessant halte, ist »Planning for

Real«, was in einem der Workshops vorgestellt wordenist.Und eines der Erfolgsgeheimnisse dieser Methode ist,dass sie die Leute an den Plätzen aufsucht, wo sie sind.Und das zweite Erfolgsgeheimnis ist das Prinzip »Smalland Soon«,d.h.die Strategie ist nicht,etwas ganz Großes,Sensationelles zu machen, sondern kleine, aber baldsichtbare Realisierungsschritte. Und die sind dann auchmotivierend um weiterzuarbeiten.

O< aus dem Saal: Ich möchte zunächst einmal etwasfeststellen, was mich erheblich bedrückt. Ich fühle michaußerhalb der Kranken- und Pflegeversicherung in unse-rer Gesellschaft nicht als Kunde.Das Wort stört mich ganzerheblich. Und das hängt damit zusammen, was ich mirunter einer Bürgergesellschaft vorstelle. Ist sie etwa sostrukturiert,dass mir als Bürger Angebote gemacht wer-den, die ich entweder annehmen kann oder nicht? Oderist es nicht vielleicht so, dass ich fordere, dass mir dieMöglichkeit gegeben wird, meine Initiativen, meine Vor-stellungen umzusetzen, und mich dabei nicht von denKommunen,von den Behörden stören lasse.Da stimmt inder ganzen Diskussion etwas nicht. Da geht es nämlichimmer um die Frage, wo sind die Angebote, die gemachtwerden. Ich komme aus Bayern und da sieht es ganz an-ders aus.Wir haben wirkliche Initiativen, die wir auch sovertreten, dass wir uns durch unsere Kommunen nichtstören lassen. Wir verzichten sogar auf Förderungen,wenn wir die Dinge,die wir machen wollen,nicht so ma-chen können, wie wir uns das gedacht haben.

Monika Schneider: Wenn es um Bedürfnisse geht, dieich zu erkennen glaube oder die ich nicht erkenne, mussman sich doch die Frage stellen, welche Brille habe ichdenn auf. Wir sollten mit unseren Pfunden ganz anderswuchern,mit unsem Ansatz,auf den Sozialraum bezogenzu arbeiten und dem, was da ist, einen Raum zu geben.Und da auch wirklich genau hingucken und auch immerhinterfragen, wen erreichen wir oder wen erreichen wir

nicht. Der andere wichtige Punkt ist, sich zu vernetzen,sich einzumischen,Stadtteilkonferenzen zu machen usw.

Konrad Hummel: Wir müssen uns vergegenwärtigen,dass Gesellschaft in unserem Kopf entsteht als eine Ge-meinschaft. Und alle wichtigen Probleme der 90er Jahrewaren deshalb Probleme, weil die Gesellschaft angefan-gen hat zu vergessen, dass Asylanten vielleicht dazugehören. Wo beginnt die Grenze, die Aussiedler, sind esjetzt Deutsche oder nicht, bestimmte Alte, also je nach-dem, wen nehmen wir dazu, wen nicht? Lösen wir unsvom Totalerfassungsbild, wenden wir uns einer neuenMessmaxime zu. Ich denke, Bürgergesellschaft ist erstmal ein Konstrukt, wo wir fragen müssen, wie viel brau-chen wir, damit eine Gesellschaft ihre Probleme lösenkann. Das Dilemma unseres Landes war, dass Bürger unsimmer häufiger gesagt haben, wir wollen weniger Steu-ern zahlen, sie akzeptieren den Sozialstaat immer weni-ger, das sind z.T.die gleichen Leute, für die wir in die Büttgegangen sind.Die gleichen,von denen wir glauben, wirwürden für sie Lobbyarbeit machen, haben gesagt, dagibt es zu viele Probleme, zu viele Ausländer, zu vieleKinder, zu viel Lärm. Und ich denke, da ist was passiert,weil wir nicht alle ins Boot genommen haben.Die Stören-den müssen immer mit ins Boot.Aber wer engagiert sichfür die Störenden,die sind nicht auf der Erfolgsseite.Unddann übernehmen Sozialarbeiter diese Lobby, aber imGrunde genommen müssen wir uns kontinuierlich sa-gen, da gehören auch die anderen dazu. Die weltpoliti-schen Bilder müssen sich ein bisschen verändern.Es gehtdarum,das zu tun,was eben unter gegebenen Bedingun-gen möglich ist. Unter gegebenen Bedingungen ist janicht möglich, alle zu erfassen, sondern die, die da sind.Notfalls spielen eben 30 Leute eines Stadtteils für sichdurch, wie Alt und Jung oder Arm und Reich oder Krankund Gesund, wie die Konflikte austragen würden. Damitspielen wir das für alle durch und entwickeln Toleranz-kriterien, damit andere darin einen Platz finden.

Diese und andere Veröffentlichungen des Verbandes für sozial-kulturele Arbeit jetzt auch im Internet

http://www.stadtteilzentren.de/publikationenmailto: [email protected]

99Anhang

Literatur zum Vortrag von Reinhard Liebig

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19 Winkel, O.:Wertewandel und Politikwandel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1996, B 52-53, S.13-25.

A N H A N G

100 Anhang

NAME EINRICHTUNG STRASSE PLZ ORT TELEFON

Adams, Birgit Sozialdienst Katholischer Frauen, Gemeinwesenbüro Otto-Wels-Str.10 41466 Neuss 02131/476454

Altena, Heinz Mühlheimer Str.75 47058 Duisburg 0203/335616

Andreae, Micheline Bürgerstiftung Berlin Im Schwarzen Grund 11 14195 Berlin 030/84107510

Antz, Eva-Maria Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Baier, Christian Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. Schierker Str.53 12051 Berlin 030/6875096

Baier-Schops, Angelika Kirchweg 8 35112 Fronhausen 06426/1295

Barnick, Helmut Gemeinwesenverein Haselhorst e.V. Burscheider Weg 21 13599 Berlin 030/33033358

Baumgarth, Ralf DPWV Bezirksgeschäftsstelle Heidelberg Moltkestr.7 69120 Heidelberg 06221/401771

Becker, Gabriele GSW Gesellschaft für Stadterneuerung mbH Köpenicker Str.48/49 10179 Berlin 030/2431080

Bender, Angela Rabenhaus e.V. Puchanstr.10 12555 Berlin 030/65880165

Berger, Reinhard Treffpunkt Schmiede, Nachbarschaftsverein Alt-Mariendorf 39 12277 Berlin 030/7217014

Beyer, Irene Nachbarschaftshaus Prinzenallee Prinzenallee 58 13359 Berlin 030/49766041

Biermann, Bernd Arbeitsgemeinschaft sozialer Brennpunkte e.V. Presberger Str.1 65197 Wiesbaden 0611/429356

Bittner, Eva Nachbarschaftsheim Schöneberg,Theater der Erfahrungen Fregestr.53 12161 Berlin 030/8554206

Blandow, Rolf Veedel e.V., GWA Köln Prognitzstr.3a 51107 Köln 0221/8902424

Blauert, Ingeborg Gatower Str.71 13595 Berlin

Brandhorst, Andreas Bundesministerium für Gesundheit Mohrenstr.62 10117 Berlin 0228/9411005

Braun, Joachim Institut für sozialwissenschaftliche Analysen und Beratung Overstolzenstr.15 50677 Köln 0221/412094

Bregenzer, Ingrid Familienforum Salem Abt Thomasstr.44 88682 Salem 07553/91288

Brendle, Klara NBH Urbanstraße, Kreuzberger Tauschring Urbanstr.21 10961 Berlin 030/6922351

Brühl, Michael Nachbarschaftshaus Wiesbaden Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Ciftci, Hatice Stresemannstr.21 10963 Berlin

David, Martin Bezirksamt Marzahn, Jugendförderung Grohsteig 23 12679 Berlin 030/54073288

Dettling, Daniel Lennestr.12A 14471 Potsdam

Domke, Peter Volkssolidarität Spree-Neiße e.V. Cottbusser Str.35 F 03149 Forst 03562/660255

Dörrie, Klaus Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Ehbets, Miriam Rabenhaus e.V. Puchanstr.9 12555 Berlin 030/65880165

Eisenbarth, Nora Nachbarschaftszentrum Ostend Uhlandstr.50 60314 Frankfurt/M. 069/439645

Eisert, Dr.Wolfgang Bürgerhaus am Schlaatz Bisamkiez 26 14478 Potsdam 0331/872179

Erpenbeck, Franz Bürgerhaus Oslebshausen Am Nonnenberg 40 28239 Bremen 0421/645122

Eßmann,Willy Verband für soz.-kult.Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V. Axel-Springer-Str.40/41 10969 Berlin 030/2539976

Farenski, Rosemarie Gemeinwesenverein Haselhorst e.V. Burscheider Weg 21 13599 Berlin 030/3341748

Fietz, Christine Gemeinwesenverein Haselhorst e.V. Burscheider Weg 21 13599 Berlin 030/3341748

Figl, Harald Nachbarschaftshaus »Donizetti« Donizettistr.13 12623 Berlin 030/5677838

Flachmeier,Wilfried Verein Bürgerbeteiligung e.V. Baumgartenstr.11 15232 Frankfurt (Oder) 0335/5003326

Frick, Inge Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Gans, Manfred PACK AN e.V. Spandauer Weg 8-10 22045 Hamburg 040/661193

Gäthke, Griet MOTTE e.V. Eulenstr.43 22765 Hamburg 040/399262-0

Geißler, Gabriele Nachbarschaftshaus »Kiek in« Märkische Allee 414 12689 Berlin 030/9339486

Gleim,Walli Gemeinwesenverein Heerstraße Nord Obstallee 22 D 13593 Berlin 030/3634112

Godulla, Reinhilde Verband für soz.-kult.Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V. Axel-Springer-Str.40/41 10969 Berlin 030/2539972

Gold, Carola Gesundheit Berlin e.V. Wiesenstr.17 12101 Berlin

T e i l n e h m e r i n n e n u n d T e i l n e h m e r

101Anhang

NAME EINRICHTUNG STRASSE PLZ ORT TELEFON

Groggel, Heike Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Grossmann, Uta Rabenhaus e.V. Puchanstr.9 12555 Berlin 030/65880165

Grunwald, Karin Stadtteilzentrum Marzahn Märkische Allee 414 12689 Berlin 030/9339417

Gustmann, Hartmut Kommunle Gemeinschaftsstelle Lindenalle 13-17 50968 Köln 0221/3768912

Hahn,Wolfgang Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. Urbanstr.21 10961 Berlin 030/6904970

Haunert, Fritz Winterfeldtstr.31 10781 Berlin

Henning, Gisela Nachbarschaftszentrum Ginnheim Ginnheimer Hohl 14H 60431 Frankfurt 069/53056679

Hofbauer, Claudia Nachbarschaftsheim Mittelhof Königstr.42-43 14163 Berlin 030/801975-14

Hübner, Gisela Nachbarschaftsheim Mittelhof Königstr.42-43 14163 Berlin 030/801975-14

Hummel, Konrad Sozialministerium Baden-Württemberg, Geschäftsstelle BE Postfach 103443 70029 Stuttgart 0711/123-0

Husemann, Bettina Eingliederungshilfe e.V. Segitzdamm 2 10969 Berlin 030/61670614

Jäger, Gabriele Paula e.V. , Stadtteiltreff Teterower Ring 168/170 12619 Berlin 030/56497406

Joas, Sonja Stadt Kreuztal Postfach 1660 57207 Kreuztal 02732/3790

Jonas, Ralf Bürgerhaus Oslebshausen Am Nonnenberg 40 28239 Bremen 0421/645122

Jung, Kerstin Nachbarschaftszentrum »Amtshaus Buchholz« Berliner Str.24 12127 Berlin 030/4758472

Kaiser, Johanna Nachbarschaftsheim Schöneberg,Theater der Erfahrungen Fregestr.53 12161 Berlin 030/8554206

Kalthoff, Babette Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. Fregestr.53 12161 Berlin 030/8598660

Kasper, Barbara Sozialamt Marzahn Premnitzer Str.11 12681 Berlin 030/54072348

Kavermann, Cornelia AG Soziale Brennpunkte Bottrop e.V. Borsigweg 2 46238 Bottrop 02041/4641

Kietzell, Dieter von Hannover

Kitzmann, Beate FöV Naturschutzstation Malchow e.V. Dorfstr.35 13051 Berlin 030/92799830

Kitzmann, Dr.Camillo Koordinierungszentrum Lokale Agenda 21 Auerbacher Ring 21 12619 Berlin 030/99902135

Klages, Rita Hasenheide 92 10967 Berlin

Knoth, Andreas Ackerstr.10 (HH) 10115 Berlin 030/2827486

Kramer, David Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin Berlin 030/992450

Krücker, Peter Caritasverband für die Stadt Köln e.V. Bartholomäus-Schink-Str.6 50825 Köln 0221/95570232

Kücher, Robert Berthelsdorfer Str.13 12043 Berlin

Kurt, Neriman Kotti e.V. Dresdener Str.10 10999 Berlin 030/6157991

Lackner, Ursula Eingliederungshilfe e.V. Segitzdamm 3 10969 Berlin 030/61670614

Langner, Sabine Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Lashlee, Dirk Verband für soz.-kult.Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V. Axel-Springer-Str.40/41 10969 Berlin 0179/2911830

Leppin,Wolfgang Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. Schierker Str.53 12051 Berlin 030/6875096

Liebig, Reinhard Uni Dortmund Luisenstr.53 42929 Wermelskirchen 02196/91000

Luger, Barbara Gemeinwesenverein Heerstraße Nord Obstallee 22 D 13593 Berlin 030/3634112

Mampel,Thomas Nachbarschaftsverein Lankwitz e.V. Halbauer Weg 2 12247 Berlin 030/84410474

Martens, Arne Nachbarschaftszentrum »Amtshaus Buchholz« Berliner Str.24 12127 Berlin 030/4758472

Martin, Sigrid Kreisarbeitsgemeinschaft sozialer Dienste Ettenhofenstr.53a 82234 Wessling 08153/1677

Matthes,Werner Gartenstr.77/4 70839 Gerlingen

Maurer-Kartal, Annette Verein Stadtteil VHS Crellestr.38 10827 Berlin 030/78704050

Metz, Margret BürgerBüro Tübingen e.V. Bei der Fruchtschranne 6 72070 Tübingen 07071/21315

Muckenfuß, Katrin Treffpunkt Petershausen Georg-Elser-Platz 1 78467 Konstanz 07531/51069

Müller, C.Wolfgang Bozener Str.3 10825 Berlin

Nagel, Peter Sohldfeld 38 31139 Hildesheim 05121/261270

Nährlich, Stefan Aktive Bürgerschaft Münster Mecklenbecker Str.229 48163 Münster

102 Anhang

NAME EINRICHTUNG STRASSE PLZ ORT TELEFON

Neuberg, Kerstin Leydenallee 93 12165 Berlin

Noack, Bettina Mütter- und Nachbarschaftszentrum Reutlingen e.V. Metzgerstr.15 72764 Reutlingen 07121/330588

Nowak, Jürgen Eichelhäherstr.15A 13505 Berlin

Nowotsch, Sigmar Nachbarschaftshaus »Kiek in« Märkische Allee 414 12689 Berlin 030/93492659

Opdenplatz, Kirsten Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. Fregestr.53 12161 Berlin 030/85986676

Pachernick,Walter Bürgerhaus Oslebshausen Am Nonnenberg 41 28239 Bremen 0421/645122

Palm, Richard Forum für gemeinschaftliches Wohnen im Alter e.V. Cranachstr.7 12157 Berlin 030/85603706

Pergande, Hella Rabenhaus e.V. Puchanstr.9 12555 Berlin 030/65880163

Pleger, Prof.Angelika Katholische Fachhochschule Köpenicker Allee 39-58 10318 Berlin

Pommerening, Alexander Sozialpädagogisches Institut, Projekt Anstoß Friesenstr.1 10965 Berlin 030/6259875

Porsch, Jörg-Peter Technologie-Netzwerk Berlin e.V. Wiesenstr.29 13357 Berlin 030/4612409

Prauser,Wolfgang Kulturamt Friedrichswall 15 30159 Hannover 0511/16843320

Purwin, Stefan Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. Urbanstr.21 10961 Berlin 030/690479-21

Reichelt, Astrid Quartiersbüro Rollberg-Siedlung Kopfstr.18 12056 Berlin 030/68086110

Reichelt, Dieter Jugendwerk Aufbau Ost e.V. Möllendorffstr.27, QB 10367 Berlin 030/55009999

Reichert, Michael Bewohnerbüro Ludlstraße Ludlstraße 27 80689 München 089/586650

Reinert, Adrian Stiftung Mitarbeit Bornheimer Str.37 53111 Bonn 0228/60424-0

Reinhardt, Bernadette Brehmestr.10 13187 Berlin

Renner, Gisela Nachbarschaftsheim Neukölln e.V. Schierker Str.53 12051 Berlin 030/6875096

Rennert, Hans-Georg Kommunales Forum Wedding Wiesenstr.29 13357 Berlin 030/46507355

Richter, Achim Stötteritzer Margerite Ferdinand-Jost-Str.20 04299 Leipzig 0341/8611940

Riede, Milena NBH Urbanstraße e.V. , Projekt Stadtteilausschuss Urbanstr.21 10961 Berlin 030/6904970

Rief-Blomert, Marlise Nachbarschaftshaus »Donizetti« Donizettistr.13 12623 Berlin 030/5677838

Ripkens, Christa Gemeinwesenzentrum Erfttal Beckburger Str.57 41469 Neuss 02131/101776

Rohleder, Christiane Institut für Gerontologie Evinger Platz 13 44339 Dortmund 0231/72848816

Ruck, Birgit Gemeinwesenverein Heerstraße Nord Obstallee 22 D 13593 Berlin 030/3634112

Ruddat, Dorothee Kiezoase Karl-Schrader-Str.7/8 10781 Berlin 030/21730-202

Runge, Markus Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. Urbanstr.21 10961 Berlin 030/690479-21

Scherer, Herbert Verband für sozial-kulturelle Arbeit Tucholskystr.11 10117 Berlin 030/8610191

Schibath-Hajjeh, Isabel Treffpunkt Hilfsbereitschaft Torstr.231 10115 Berlin 030/20450636

Schmid, Elke NBH Urbanstraße e.V., Projekt Stadtteilausschuss Urbanstr.21 10961 Berlin 030/6904970

Schmitt, Gerd Kiezoase Schöneberg Karl-Schrader-Str.7/8 10781 Berlin 030/21730-201

Schneider, Christoph IB Arbeitsprojekt Köln Kalk, Jobbörse Kalker Hauptstraße 289 51103 Köln 0221/9836481

Schneider, Monika Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Schneider (Frau) Niedstr.7 12159 Berlin

Schröder, Silke JFZ »Der Club« Bülstringer Str.12 31304 Haldensleben 03904/40208

Schulze, Jana SONAB e.V. Bülstringer Str.12 31340 Haldensleben 03904/40208

Schünke, Barbara Bezirksamt Marzahn, Jugendförderung Grohsteig 23 12679 Berlin 030/54073288

Schuwirth, Karl-Fried Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Seeger, Christoph Elele-Nachbarschaftsladen Liberdastr.10 12047 Berlin 030/6236092

Sitte, Dr.Karin Paritätisches Bildungswerk, Bundesverband Heinrich-Hoffmann-Str.3 60528 Frankfurt/M. 069/6706271

Spychalski, Sven Stubbenstr.11 10779 Berlin

Stangen, Klaus MOTTE e.V. Eulenstr.43 22765 Hamburg 040/399262-0

Stawenow, Peter Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

103Anhang

NAME EINRICHTUNG STRASSE PLZ ORT TELEFON

Steinert, Heike Volkssolidarität Spree-Neiße e.V. Dorfstr.23 O3058 Sergen 035605/276

Stenner, Brigitte Gemeinwesenverein Heerstraße Nord Obstallee 22 D 13593 Berlin 030/3634112

Stiep, Hans-Peter Nachbarschaftshaus »Donizetti« Donizettistr.13 12623 Berlin 030/5677838

Stock, Dr.Lothar Hochschule für Technik,Wirtschaft und Kultur Leipzig Hanauer Str.4 63075 Offenbach 0341/5804309

Szalai,Wendelin Aktion Gemeinsinn Am Hofgarten 10 53113 Bonn 0228/222306

Taucher, Mag.Josef Wiener Hilfswerk Falkestr.3 A-1010 Wien 00431/5123661

Tetz, Lenchen Verein Nachbarschaftshaus Bremen e.V. Beim Ohlenhof 10 28239 Bremen 0421/6914580

Thiel,Wolfgang NAKOS Albrecht-Achilles-Str.65 10709 Berlin 030/8914019

Thies, Albrecht Berlin

Türkow, Dr.Annelore Nachbarschaftshaus »Donizetti« Donizettistr.13 12623 Berlin 030/5677838

Ulrich, Evelyn Nachbarschaftshaus am Berl Am Berl 8-10 13053 Berlin 030/92677126

Voigt, Heike Verband für soz.-kult.Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V. Axel-Springer-Str.40/41 10969 Berlin 0179/2911830

Voit, Kirsten Projekt: Hochhaus Osloer Str.4 50765 Köln 0221/7088535

Völlmecke, Klüs Stadt Köln, Jugendamt Johannisstr.66-80 50668 Köln 0221/221-24886

Wagner, Bernd Kulturpolitische Gesellschaft Weberstr.59a 53113 Bonn 0228/201670

Wagner, Stephan Paritätische Akademie Tucholskystr.11 10117 Berlin 030/2804950

Wagner-Krämer, Monika Kotti e.V. Dresdener Str.10 10999 Berlin 030/6157991

Wezel, Hannes Bürgertreff der Stadt Nürtingen Marktstr.7 72622 Nürtingen 07022/75366

Wiedemann, Andrea Berlin

Wilkening, Renate NUSZ ufaFabrik Viktoriastr.13 12105 Berlin 030/7922163

Winterfeldt, Rudolf Paula e.V., Stadtteiltreff im Labyrinth Feldberger Ring 26 12619 Berlin 030/56497406

Zander, Brigitte Nachbarschaftshaus Wiesbaden e.V. Rathausstr.10 65203 Wiesbaden 0611/967210

Zinner, Georg Nachbarschaftsheim Schöneberg Fregestr.53 12161 Berlin 030/8598660

Organisation

Besch, Susanne Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Feldhausen, Guido Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Israel, Gudrun Verband für sozial-kulturelle Arbeit Tucholskystr.11 10117 Berlin 030/8610191

Röger, Peter Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

Weber, Birgit Verband für sozial-kulturelle Arbeit Slabystr.11 50735 Köln 0221/7606959

ImpressumHerausgeber:Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.Slabystraße 11, 50735 BerlinTelefon 02 21 / 760 69 59Fax 02 21 / 760 79 05e-mail [email protected]

Redaktion:Margot Weblus, Gudrun Israel

Fotos:Herbert Bents, Monika von Wegerer (Titel)

Transkripte:Angela Bender, Rabenhaus e.V.

Grafische Gestaltung:Pit Mischke, Elke Reisch, Berlin

Belichtung:Gericke, Berlin

Druck:Gericke, Berlin

1. Kongress »BRÜCKE IN DIE ZUKUNFT« Über sozial-kulturelle Stadtteilarbeit– mit internationaler Beteiligung – 15. bis 16. November 2000 in Wien

Erstmals veranstaltet das Wiener Hilfswerk einen Kongress, um den Weg für eine bessere Vernetzung im Rahmen der Gemeinwesenarbeit und sozial-kulturellen Stadtteil-arbeit zu ermöglichen.Dieser Kongress wird Gelegenheit bieten,fachspezifische Themen,Zukunftsvisionen und konkrete Umsetzungsprojekte im internationalen Vergleichkennen zu lernen.Der Kongress bietet ein Forum, um neue Dialogformen und Mitgestaltungsschienen für sozialpolitische Herausforderungen des 21.Jahrhunderts ansprechen und gemeinsam erarbeiten zu können.

Kongressgebühr: ATS 1.800,- (EUR 130,81)Infos: Wiener HilfswerkA-1010 Wien, Falkestraße 3Mail: [email protected]

FESTIVAL »GRAUE STARS ÜBER BERLIN« Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.

Vom 5.10.bis 8.10.2000 lädt das Theater der Erfahrung anlässlich seines 20.Geburtstages zu einem INTERNATIONALEN ALTENTHEATERFESTIVALin den Saalbau Neukölln ein.Gastspiele aus Taiwan und Kolumbien,theatralische Demonstrationen aus Großbritannien,den Niederlanden und Österreich,Werkstätten mit renommierten Theaterprak-tikern und natürlich Höhepunkte aus dem Berliner Altentheaterleben versprechen attraktive Jubiläumsfeierlichkeiten.

Infos: Theater der ErfahrungenCranachstraße 7, 12157 BerlinTelefon 030/855 42 06Fax 030/855 43 78Eva Bittner, Johanna Kaiser

19th International IFS Conference »CONNECTING COMMUNITIES«October 3-6, 2000 in Amsterdam/The Netherlands

This year the International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres (IFS) is organizing the conference with a specific focus on Information Technology andthe World Wide Web, and it will introduce the Virtual Community Centre.Thus the conference may trigger a new generation of creative, innovative approaches aiming tostrengthen individuals and communities.

For more information about the conference, please contact:NIZW/International Centre, Ms. Liesbeth Julius,PO Box 19152, 3501 DD Utrecht, The Netherlandstel +31 30-2306 552 - fax +31 30-2306 540 - e-mail: [email protected]

Anlässlich seines 10. Geburtstages lädt das Frei-Zeit-Haus e.V.

in Berlin-Weißensee ein zum Fachsymposium ZWISCHEN PROFESSIONALITÄT UND IMPROVISATIONEine östliche Bilanz der sozial-kulturellen Arbeit nach 10 JahrenTermin: 24. November 2000, 10.30 Uhr bis 16.30 Uhr

Es sollen spannende Fragen,die uns und andere vergleichbare Einrichtungen in Berlin und den neuen Bundesländern bewegen,zur Sprache kommen.Dabei wollen wir dasTreffen als einen offenen Erfahrungsaustausch über die unterschiedlichen Entwicklungen der Einrichtungen und ihre Stärken gestalten.Im Vorfeld werden deshalb ausgewählte Einrichtungen von einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter einer anderen Einrichtung besucht, die/der die dort gemachtenErfahrungen zu einem bestimmten Thema, z.B.Trägerstrukturen, Atmosphäre, Arbeitsförderinstrumente, Flexibilität,Vernetzung, »untersucht« und die Ergebnisse auf derTagung vorstellt. Infos: Frei-Zeit-Haus e.V., Christoph Lewek

Pistoriusstr. 23, 13086 BerlinTelefon: 030/927 994 63 Fax: 030/927 994 64Mail: [email protected]

Abschlussveranstaltung ProBE: PROJEKT ZUR UNTERSTÜTZUNG UND WEITERENTWICKLUNG DES BÜRGERSCHAFTLICHEN ENGAGEMENTS IN SOZIAL-KULTURELLEN EINRICHTUNGEN

Datum: 11.10.2000

Ort: Bürgerzentrum Ehrenfeld, Köln

Infos: Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.

Telefon 0221/760 6959 Mail: [email protected]

Im Oktober diesen Jahres wird das 2-jährige bundesweite Projekt des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e.V.abgeschlossen.15 Einrichtungen wurden in dieser Zeit bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach der heutigen Bedeutung von bürgerschaftlichem Engagement und ehrenamtlicher Mitarbeit in sozial-kulturellen Einrichtungen unterstützt und begleitet.Am 11.Oktober 2000 werden die Ergebnisse dieses Projektes der Öffentlichkeit präsentiert.Im Bürgerzentrum Ehrenfeld in Köln, einer am Projekt beteiligten Einrichtung, wird u.a.das Buch zum Projekt vorgestellt.