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Research Collection Doctoral Thesis Verformungsmechanismen stabil-austenitischer Stähle Author(s): Müllner, Peter Publication Date: 1994 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000961951 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection . For more information please consult the Terms of use . ETH Library

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Research Collection

Doctoral Thesis

Verformungsmechanismen stabil-austenitischer Stähle

Author(s): Müllner, Peter

Publication Date: 1994

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000961951

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Diss.ETH Nr. 10738

Verformungsmechanismen stabil-austenitischer

Stähle

ABHANDLUNG

zur Erlangung des Titels

DOKTOR DER TECHNISCHEN WISSENSCHAFTEN

der

EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE

ZÜRICH

vorgelegt von

PETER MÜLLNER

Dipl. Werkstoff-Ing. ETH

geboren am 3. Oktober 1966

von Nürensdorf (ZH)

Angenommen auf Antrag von

Prof. Dr. Dr.h.c. Markus O. Speidel, Referent

Dr. A. E. Romanov, Korreferent

Prof. Dr. G. Kostorz, Korreferent

1994

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Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe

am äussersten Meer, so würde auch dort

deine Hand mich führen und deine Rechte

mich halten.

(Psalm 139, Verse 9 und 10)

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VORWORT

Die Vorliegende Arbeit wurde am Institut für Metallforschung und

Metallurgie der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Dr.h.c. M. O.

Speidel durchgeführt; zu Ihrem Entstehen haben viele Personen

beigetragen, und es ist mir eine Freude, ihnen allen zu danken.

Als erstes danke ich von ganzem Herzen meiner lieben Frau

Deborah. Sie hat alle Phasen meiner Doktorandenzeit miterlebt, Freude und

Probleme mitgetragen. Dass sie mir in allen Situationen bedingungslos

beigestanden ist, hat mir Selbstvertrauen für die Arbeit und Vertrauen für

die Zukunft gegeben.Ich danke meinen lieben Eltern für das Interesse, das sie stets für

mich und meine Arbeit hatten. Sie haben mir durch ihre Unterstützungmeine Ausbildung ermöglicht und damit die Basis für meinen beruflichen

Werdegang gelegt.Meinem Betreuer Herrn Dr. Christian Solenthaler danke ich herzlich

für seine stete Hilfe, die weit über eine rein fachliche Unterstützung

hinausging: er war immer bereit für ein offenes Gespräch und hat mir

dadurch geholfen, Richtlinien für meine weitere Tätigkeit zu finden.

Ich danke Herrn Professor Dr. Markus O. Speidel, Vorsteher des

Institutes für Metallforschung und Metallurgie, dass ich diese Arbeit in

grosser Freiheit an seinem Institut ausführen durfte. Besonders bedanke ich

mich, dass er mir die Teilnahme an internationalen Tagungen ermöglichthat.

Für die freundliche Übernahme des Korreferates danke ich Herrn Dr.

A. E. Romanov aus St. Petersburg und Herrn Prof. Dr. G. Kostorz von der

ETH Zürich. Bei Herrn Dr. A. E. Romanov bedanke ich mich auch für die

ausgiebigen Diskussionen.

Frau Bai Kun und Herrn Dr. Toni Rechsteiner, mit denen ich gerne

das Büro geteilt habe, danke ich für die angenehme Atmosphäre, die stets in

unserem Arbeitsraum geherrscht hat. Besonders bedanke ich mich bei Toni

für seine geduldige Hilfe, die ich oft bei der Arbeit am seltsamen Computer

beansprucht habe.

Herrn Alkan Göcmen und Herrn Privatdozent Dr. Peter Uggowitzerdanke ich für die intensiven und anregenden Diskussionen.

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Ich danke Frau I. Simmler für alle administrative Arbeit, insbeson¬

dere bezüglich der Zusammenarbeit mit Herrn Dr. A. E. Romanov aus St.

Petersburg, Frau Ursula Erhardt für die Anfertigung von zahlreichen Dias,

Frau Gisela Angst für die sorgfältige Ausfuhrung der Zeichnungen, Frau

Mireille Gutknecht für ihre Hilfe bei der Korrespondenz, Herrn Eduard

Schaller für die Betreuung im Fotolabor, Herrn Walter Gross für die

technische Unterstützung am Elektronenmikroskop, Herrn Dr. Markus

Diener für die Hilfe an der Zugmaschine, den Herren Markus Müller,

Nikiaus Koch, Werner Blattmann und Christian Wegmann für ihre

Arbeiten in der Werkstatt und bei Wärmebehandlungen.Allen hier nicht namentlich erwähnten Mitarbeitern des Institutes

für Metallforschung und Metallurgie danke ich für die Hilfsbereitschaft, die

mir immer entgegengebracht wurde.

Während meiner Doktorandenzeit durfte ich erleben, dass mir Jesus

Christus beisteht und Geborgenheit und Frieden gibt. Im Sinne des

Leitwortes aus dem Buch der Psalmen darf ich weiterhin wissen, dass mich

Gott auf dem "äussersten Meer" der Struktur der Materie aber auch

überhaupt im ganzen Leben begleiten wird.

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i

KURZFASSUNG

Das Ziel der vorliegende Arbeit ist, einen Beitrag zum grundlegendenVerständnis der plastischen Eigenschaften austenitischer Stähle zu geben.

Strukturuntersuchungen an verformten stabil-austenitischen Stäh¬

len zeigen, dass der mechanischen Zwillingsbildung eine zentrale Rolle in

Bezug auf das plastische Verhalten zukommt. Die Bedeutung der Zwillings¬

bildung wird verstärkt, wenn Stickstoff zulegiert wird. Gleichzeitig nehmen

die Festigkeit und der Verfestigungskoeffizient stark zu, während die

Zähigkeit und die Duktilität gleichbleibend gut sind, es kann aber bei tiefer

Temperatur ein für kubisch flächenzentrierte Legierungen untypischer zäh-

spröd-Übergang auftreten.

Als Bindeglied zwischen experimentell (TEM) beobachteten Mikro¬

strukturen und den mechanischen Eigenschaften werden einfache Srruk-

turmodelle erarbeitet. Der Kern der Betrachtungsweise ist das Disklinations-

modell einer Zwillingsfront, d.h. eine Zwillingsfront wird als Dipol

partieller Disklinationen behandelt.

Die Untersuchungen ergeben folgende Resultate:

1. Keimbildungsstellen für die Zwillingsbildung sind Orte erhöhter

innerer Spannungen; in den vorliegenden Strukturen sind dies die

Schnittlinien von Gleitbändern.

2. Das Disklinationsmodell ist für die aufgeführten Betrachtungenhinreichend genau: die Fehler der so beschriebenen Spannungsfelderwerden kleiner als 20 Prozent angenommen.

3. Das Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung ist für die

gute Duktilität verantwortlich.

4. Der Beitrag der Zwillingsbildung zur Verfestigung wird durch das

Schneiden von Zwillingen bestimmt. Es zeigt sich, dass der

Verfestigungskoeffizient mit abnehmender Zwillingsdicke wächst.

5. Versagen durch Sprödbruch tritt dann ein, wenn die inneren

Spannungen einer blockierten Zwillingsfront nicht durch andere

Defekte abgeschirmt werden können, d.h. wenn die Dichte mobiler

Versetzungen klein ist.

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Bei Zulegieren von Stickstoff nimmt die Stapelfehlerenergie ab und

die Reibungsspannung nimmt zu. Die Auswirkungen sind:

6. Die Gleitung wird ausgeprägter planar, wodurch sich die

Spannungsspitzen an Gleitbandschnittlinien verschärfen.

7. Durch die ausgeprägteren Spannungsinhomogenitäten setzt die

Zwillingsbildung schon bei kleinerer Dehnung ein, dies führt zu

dünneren Zwillingen und kleineren Versetzungsdichten.

8. Die dünneren Zwillinge bewirken einen erhöhten Verfestigungskoef¬

fizienten.

9. Die verminderte Versetzungsdichte kann Sprödbruch verursachen.

Die Argumentation, ausgehend von den intrinsischen Eigenschaften

Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung über deren Einfluss auf die

Mikrostruktur und die daraus resultierenden Eigenschaften, ergibt ein in

sich konsistentes Bild der Plastizität stabil-austenitischer Stähle.

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iii

ABSTRACT

The presented thesis aims to give a contribution to the understandingof the basic mechanisms of plasticity in austenitic steel and of the

outstanding mechanical properties.Structure analysis of deformed stable austenitic steel shows that it is

deformation twinning which is an important mechanism of plasticity. The

influence of deformation twinning increases with increased nitrogen

content. Strength as well as work hardening rate increase strongly whereas

toughness and ductility remain high. However, there is a transition from

ductile to brittle behaviour which can be observed at low temperature, what

in fact is atypical for face-centered cubic alloys.As a connection between experimentally (TEM) observed

microstructures and the mechanical properties, simple structural modeis

are developed. The main feature of the model is the disclination dipole

representation of a deformation twin.

The results are as follows:

1. It is the intersection of glide bands being the nucleation site of a

deformation twin due to the local stress accumulation.

2. The accuracy of the disclination representation of a twin is satisfactorywith respect to the presented analysis: the relative error of the stress

fields is assumed to be less than 20 percent.

3. It is the Cooperation between deformation twinning and glide which

is responsible for high ductility.4. The contribution of deformation twinning to the work hardening rate

is controlled by the intersection of twins. Particularly, the work

hardening rate increases with decreasing twin thickness.

5. Brittle fracture occurs whenever the stress field of a blocked

deformation twin cannot be screened by other defects, i.e. if the

density of mobile dislocations is low.

With increasing nitrogen content the stacking fault energy decreases

and the frictional stress increases resulting in:

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IV

6. The planarity of glide becomes more pronounced and thus the stress

peaks at glide plane intersections get increased.

7. With increased internal stress peaks the nucleation of deformation

twins is activated at lower strain. Therefore, the twin thickness and

the dislocation density decrease.

8. With decreasing twin thickness the work hardening rate increases.

9. The reduced dislocation density can give rise to brittle fracture.

The microstructural argumentation, based on the stacking fault

energy and the frictional stress as intrinsic properties, gives a consistent

description of the plasticity of stable austenitic steels.

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V

SYMBOLE

a) Lateinische Symbole

A Vorfaktor mit der Dimension einer Spannung

a halber Disklinaüonsabstand im Dipol

ao Gitterkonstante

B Einstrahlrichtung bei TEM-Aufnahmen

b,b Burgersvektor

bz Burgersvektor einer Zwillingsversetzung

cN Stickstoffkonzentration

D =G/2jt(l-v) Modul mit der Dimension einer Spannung

d =2a Zwillingsdicke

d0 Gleitebenenabstand

E Energie

& Energie des Disklinationsdipols

El Energie des Disklinationsquadrupols

E*P Energie des parallelogrammförmigenQuadrupols

El'1 Energie des quadratischenQuadrupols

E*re Energie des rechteckigen Quadrupols

EVh Energie des rhombischen Quadrupols

Ek Energie von Kristalldefekten

Ej3 Energie von kohärenten Zwillingsgrenzen

Ejg Energie von Z9-Korngrenzen

Ev Energie der Versetzungen im Schnittprisma

E" Energie des Quadrupols des Schnittprismas

G Schubmodul

F Kraft

Fd Kraft, die M Wandversetzungen auf die Versetzung M+1

ausüben

Fk Kraft, die die Kopfversetzung auf die zweite Versetzung einer

Aufstauung ausübt

Fn>2 Kraft, die die hinteren Versetzungen auf die zweite

Versetzung ausüben

Fn>M+l Kraft, die die hinteren Versetzungen auf die Versetzung M+1

ausüben

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VI

k numerischer Faktor im Sprödbruchmodell

L Abstand der Gleitbänder

Lj Länge eines Keimrisses

Lz Abstand der Zwillingslamellen

1. Linienvektor

M Zahl der Versetzungen in einer Wand

N Zahl der Versetzungen in einer Aufstauung

q =YSF/Gb Parameter, der das Quergleitverhalten beschreibt

Rj Reibungsspannung

Rm Zugfestigkeit

Rp0.2 Streckgrenze

rr Rissspitzenradius

sjj Verhältnis der Spannungskomponenten des Peierls-Nabarro-

und des Volterra-Modells

s" Scherverhältnis eines Zwillings mit Zwillingen zweiter

OrdnungT Temperatur

Tc, Tu zäh-spröd-Ubergangstemperatur

Vj Versetzung i einer Zwillingsfront

W Arbeit

x"

Anteil der Zwillinge zweiter Ordnung im Mutterzwilling

b) Griechische Symbole

a, az, a* Geometrieparameter

B Summe der Burgersvektoren einer Zwillingsfront

ß Winkel zwischen Zwillingen zweiter Ordnung und

Mutterzwilling

y Winkel zwischen Schnittprisma und schneidendem Zwilling

YE3 spezifische Energie von kohärenten Zwillingsgrenzen

729 spezifische Energie von £9-Komgrenzen

y' Winkel zwischen Schnittprisma und geschnittenem Zwilling

YSF Stapelfehlerenergie

e totale Dehnung

ez Beitrag der Zwillingsbildung zur totalen Dehnung

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Vll

*i die Zwillingsbildung beeinflussender Faktor

*ic kritischer Wert von *i, bei dem der Übergang vom zähen zum

spröden Bruch auftritt

n Bruchteil der Wandversetzungen einer Zwillingsfront

v Poisson-Konstante

8z Taylorfaktor für die Zwillingsbildung

936%-56% mittlerer Verfestigimgskoeffizient zwischen 36% und 56%

Kaltverformung durch Rundhämmem

p Versetzungsdichte

o Spannung

cra Spannungen der äusseren Last

er, innere Spannungen

o~ij SpannungskomponentePN

"ij Spannungsfeld der Peierls-Nabarro-VersetzungV

°"ij Spannungsfeld der Volterra-Versetzung

are Spannung an einer Rissspitze

°sb kritische Spannung für Sprödbruch

°"sb,kont kritische Spannung für Sprödbruch im

kontinuumsmechanischen Modell

°th theoretische Festigkeit

CTt0t totale Spannung an der Spitze eines Nanorisses an einer

blockierten Zwillingsfront

oz Festigkeitsbeitrag des Schneidens von Zwillingen

T Schubspannung

ra Spannungen der äusseren Last

Tel kritische Schubspannung 1 zur Zwillingsbildung

TC2 kritische Schubspannung 2 zur Zwillingsbildung

tck kritische Schubspannung zur Bildung einer Versetzungswand

Ti innere Spannungen

(0, m Stärke einer Disklination, Frankvektor

mz Disklinationsstärke im Zwillingsdipol

co" Disklinationsstärke im Quadrupol des Schnittprismas

C =do/2(l-v) Parameter für den Versetzungskern im Peierls-Nabarro-

Modell

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Vlll

INHALTSVERZEICHNIS

Kurzfassung i

Abstract iii

Symbole v

Inhaltsverzeichnis viii

1. Einleitung 1

2. Die Gleitstruktur bei kleinen Verformungsgraden 4

2.1 Einleitung 4

2.2 Die Versetzungsstruktur 4

2.2.1 Allgemeines 4

2.2.2 Einfluss der Temperatur, der Stapelfehlerenergie,der Reibungsspannung und des Schubmoduls 6

2.3 Verfestigung 8

2.4 Modell der Versetzungsstruktur 8

2.4.1 Die Grobstruktur 8

2.4.2 Die Feinstruktur der Reaktionsversetzungen 11

2.5 Diskussion des Modells der Versetzungsstruktur 12

2.5.1 Fehlerdiskussion 12

2.5.2 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung 13

2.5.3 Schlussfolgerungen 13

3. Der Beginn der Zwillingsbildung 14

3.1 Einleitung 14

3.2 Eine mögliche Versetzungsreaktion 14

3.3 Diskussion 16

3.3.1 Zwillingsbildungsspannung 16

3.3.2 Zwillingsbildungsdehnung 16

3.3.3 Zwillingsdicke 17

3.4 Schlussfolgerung 17

4. Modell einer Zwillingsfront 19

4.1 Einleitung, Bildung der Versetzungswand 19

4.2 Die Spannung Tck 19

4.3 Der Bruchteil n der Versetzungen in der Wand 21

4.4 Diskussion 23

4.4.1 Numerische Beispiele für austenitischen Stahl 23

4.4.2 Fehlerdiskussion 24

4.5 Dipolnäherung der Zwillingsfront 26

4.6 Eine Zwillingsfront nach der Überwindung eines

Hindernisses 27

4.7 Schlussfolgerungen .27

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ix

5. Gleitung und Zwillingsbildung 28

5.1 Einleitung 28

5.2 Sekundäre Zwillinge und Zwillingswachstum 29

5.3 Zwillinge zweiter Ordnung 31

5.3.1 Die Spannungen hinter der Zwillingsfront 32

5.3.2 Energie einer Zwillingslamelle mit Zwillingenzweiter Ordnung 32

5.3.3 Einfluss der Zwillingsdicke 34

5.4 Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung 34

5.5 Experimentelle Resultate 35

5.6 Diskussion 38

5.6.1 Kooperative Mechanismen und die mechanischen

Eigenschaften von Vielkristallen 38

5.6.2 Ruckartiges Fliessen in Einkristallen 39

6. Wechselwirkung einer Zwillingsfront mit einer Zwillingslamelle 41

6.1 Einleitung 41

6.2 Experimentell beobachtete Zwillingskreuzstellen 41

6.2.1 Beispiel A

perfekte Zwillingsfront 41

6.2.2 Beispiel Bnicht perfekte schneidende Zwillingsfront 45

6.3 Mechanismus

Zwillingsfront durchquert eine Zwillingslamelle 46

6.3.1 Allgemeiner Mechanismus 46

6.3.2 Die Hindernislamelle enthält Typ-B-Zwillingezweiter Ordnung 49

6.3.3 Die Zwillingsfront ist nicht perfekt 50

6.4 Festigkeitsbeitrag der Zwillingsschnittstellen 50

6.5 Diskussion 52

6.5.1 Mechanismus 52

6.5.2 Fesrigkeitsbeitrag 53

7. Sprödbruch durch Zwillingsbildung 56

7.1 Einleitung 56

7.2 Zwillingsbildung und Bedingungen für zähes und sprödesBruchverhalten 56

7.3 Bruchmodell 57

7.4 Diskussion 59

7.4.1 Versetzungsdichte 59

7.4.2 Einflussgrössen 60

7.4.3 Vergleich mit kontinuumsmechanischem Modell 61

8. Die Plastizität stickstofflegierter austenitischer Stähle 63

8.1 Einleitung 63

8.2 Mechanische Eigenschaften 63

8.3 Verformungsstruktur 64

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x

8.3.1 Allgemeine Strukturentwicklung .64

8.3.2 Einfluss des Stickstoffs und der Temperatur 64

8.4 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung 69

8.4.1 Stapelfehlerenergie 69

8.4.2 Reibungsspannung 70

8.4.3 Mikrostruktur 70

8.5 Struktur und mechanische Eigenschaften 72

8.5.1 Verfestigungskoeffizient 72

8.5.2 Bruchverhalten 73

8.6 Zusammenfassung 73

9. Schlussfolgerungen 75

9.1 Strukturausbildung 75

9.2 Strukturmodell 75

9.3 Plastizität 75

9.4 Stickstoff 76

9.5 Ausblick 76

Literatur 78

AI. Versetzungen und Disklinationen 85

Al.l Einleitung 85

A1.2 Versetzungen [z.B. Hirth 68] 85

Al.2.1 Das Volterra-Modell einer Versetzung 86

Al.2.2 Das Peierls-Nabarro-Modell einer Versetzung 87

AI .2.3 Vergleich des Volterra- und des Peierls-Nabarro-

Modells 88

A1.3 Disklinationen [z.B. Roma 92] 90

AI.3.1 Einzelne Disklinationen und sich gegenseitigabschirmende Disklinationen 90

AI .3.2 Der Disklinationsdipol 91

AI.3.3 Bewegungsmechanismen des

Disklinationsdipols 93

A1.3.4Der Disklinationsquadrupol 94

Al.3.5 Versetzungsgruppen und Disklinationsgruppen 95

A2. Verformungszwillinge 97

A2.1 Definitionen 97

A2.2 Disklinationsbeschreibung von Zwillingen 97

A3. Untersuchte Stähle 100

A3.1 Chemische Zusammensetzung 100

A3.2 Mechanische Eigenschaften 100

A4. Integrale zum Modell der Gleitstruktur 101

Lebenslauf 102

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1

l. Einleitung

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war das aussergewöhnlich gute

Eigenschaftsprofil stickstofflegierter stabil-austenitischer Stähle: hohe Streck¬

grenze im lösungsgeglühten Zustand (500 MPa + 1000 MPa) bei gleichzeitig

guter Zähigkeit und guter Duktilität, hohes Kaltverfestigungspotential (durch

Kaltverfestigungen können Streckgrenzen bis über 2500 MPa erzielt werden

[Uggo 89, 91]), sowie aussergewöhnlich gute Beständigkeit gegen lokale

Korrosion wie Spannungsriss- und Lochfrasskorrosion [Spei 90]. Stickstofffreie

Stähle weisen nicht ein derart günstiges Eigenschaftsprofil auf, insbesondere

verfestigen sie nur bis zu ca. 1200 MPa. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit

den Grundmechanismen der Plastizität austenitischer Stähle (Kapitel 2-7) und

im Besonderen mit dem Einfluss von Stickstoff in fester Lösung (Kapitel 8).

Erste Strukturuntersuchungen zeigten, dass in allen stabil-austenitischen

Stählen - unabhängig vom Stickstoffgehalt - dieselben Verformungsmechanis¬

men auftreten: Gleitung vollständiger Versetzungen zu Beginn der Verformung

und Zwillingsbildung bei grosser Verformung [Müll 93]. Unterschiede der

Mikrostruktur bei der Variation des Stickstoffgehaltes zeigen sich in der

Morphologie der Strukturelemente und insbesondere in der Zwillingsbildungs¬

dehnung: mit zunehmendem Stickstoffgehalt wird das Einsetzen der ZwiUings¬

bildung zu kleinerer Dehnung verschoben. Somit nimmt die Bedeutung der

Zwillingsbildung für das plastische Verhalten mit zunehmendem Stickstoffge-halt zu, und es stellt sich die Frage, wie sich die Zwillingsbildung auf die

Plastizität auswirkt.

In den klassischen Theorien der Verfestigung von Einkristallen werden

vor allem solche Metalle und Legierungen behandelt, die während der

Verformung Zellstrukturen ausbilden [Seeg 57, Kühl 66]. Zwar wird das

Auftreten der Zwillingsbildung in kubisch flächenzentrierten (kfz) Legierungen

mit kleiner Stapelfehlerenergie in verschiedenen Arbeiten beschrieben, ein

formaler Zusammenhang zwischen den Mechanismen der Zwillingsbildungund dem plastischen Verhalten wird aber nicht oder nur ansatzweise gegeben.

In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden beträchtliche Fortschritte

im Verständnis der Zwillingsbildung erzielt. Im Zentrum der Arbeiten standen

vor allem die Kristallographie sowie verschiedene Mechanismen der

Zwillingsbildung wie z.B. deren Keimbüdung [Cohe 63, Cott 51, Fuji 75, Lage

93, Maha 73a, Ooka 57, Reed 64, Slee 74, Vena 61], die Wechselwirkung von

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2

Zwillingsbildung und Gleitung [Couj 85, Hüll 61, Maha 73b, Mori 80, Reed 64,

Remy 80, Remy 77a, Slee 64, Slee 61, Sole 90], und das Schneiden von

Zwillingen [Couj 92, Couj 87, Dahe 89, Hüll 60, Maha 74, Piro 90, Remy 77b,

Sun 93, Ward 93]. Diese Arbeiten gehen alle von einer gemeinsamen Hypothese

aus: es wird angenommen, dass das Verhalten einer Zwillingsfront umgebenvon Strukturdefekten durch das Verhalten der einzelnen Teilversetzungen der

Zwillingsfront beschrieben werden kann. Dass diese Annahme nicht immer

zutrifft, zeigt z.B. eine Arbeit über das Schneiden einer Zwillingsfront durch

einen Hinderniszwilling in y-TiAl, die zu der Erkenntnis führt, dass die

beobachteten Strukturen nicht durch Versetzungsreaktionen einzelner Teilver¬

setzungen an den Zwillingsgrenzen der Hindernislamelle erklärt werden

können [Sun 93].

Um die Wirkung der Zwillingsbildung auf die Plastizität zu verstehen,

ist es somit nötig, die Eigenschaften der Gesamtheit der Zwillingsversetzungenzu betrachten. Eine Methode, welche die Eigenschaften von Versetzungs¬

gruppen beschreibt, ist das Konzept der Disklinationen. Disklinationen sind

wie die Versetzungen eindimensionale Kristallbaufehler; sie sind aber im

Gegensatz zu den Versetzungen durch ein rotatorisches Verschiebungsfeld

gekennzeichnet. Die elastischen Eigenschaften von Disklinationen wurden in

den vergangenen dreissig Jahren erarbeitet [z.B. Wit 73, Das 73]; eine Übersicht

über Disklinationen und ihre Bedeutung in kristallinen Werkstoffen findet man

in einer kürzlich erschienenen, ausführlichen Zusammenfassung [Roma 92].

1968 wurde erstmals erwähnt, dass ein Verformungszwilling einfach

durch Disklinationen beschrieben werden kann [Arms 68]. Dieser Ansatz

wurde aber nicht weiter verfolgt. Es ist nun das Hauptanliegen des Autors, die

Bedeutung der Zwillingsbildung für die Plastizität metallischer Werkstoffe,

insbesondere aber von austenitischen Stählen, auf der Basis des Disklinations-

modells zu diskutieren.

In den Kapiteln 2 und 3 wird die Gleitstruktur vor Einsetzen der

Zwillingsbildung beschrieben, und ihre Bedeutung für die Zwillingsbildung

anhand eines einfachen Modells diskutiert. Die Kapitel 4 bis 7 bilden den Kern

der Arbeit: In Kapitel 4 wird gezeigt, dass es sinnvoll ist, eine Zwillingsfront als

Disklinationsdipol zu betrachten. Kapitel 5 beschreibt das Wechselspielzwischen Zwillingsbildung und Gleitung, und die Auswirkungen der

kooperativen Mechanismen auf die Plastizität von Vielkristallen werden

diskutiert. In Kapitel 6 wird ein Mechanismus vorgeschlagen, der das

Schneiden einer Zwillingsfront durch eine Hindernislamelle beschreibt und der

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3

mit experimentell beobachteten Strukturen übereinstimmt. Aufbauend auf

diesem Mechanismus wird der Beitrag der Zwillingsbildung zur Verfestigung

abgeschätzt. Kapitel 7 behandelt den duktil-spröd-Übergang, der in hochstick-

stofflegierten Stählen bei tiefer Temperatur beobachtet wird. Es wird ein

Bruchmodell vorgeschlagen, das auf dem Spannungsfeld einer blockierten

Zwillingsfront basiert, und das die Einflüsse der verschiedenen Legierungsele¬

mente auf die Übergangstemperatur richtig beurteilt. In Kapitel 8 werden

schliesslich die diskutierten Modelle auf die beobachteten Verformungstruk¬

turen austenitischer Stähle angewendet. Es zeigt sich dabei, dass die durch

Zulegieren von Stickstoff verursachten Änderungen der plastischen Eigen¬

schaften und die gleichzeitig beobachteten Strukturänderungen mit den

besprochenen Modellen übereinstimmen.

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4

2. Die Gleitstruktur bei kleinen

verformungsgraden

2.1 Einleitung

Zu Beginn der Verformung sind die inneren Spannungen klein und

die Gleitung von vollständigen Versetzungen ist der günstigste Verfor¬

mungsmechanismus. Durch die Wechselwirkung von Versetzungenuntereinander wird eine Versetzungsstruktur ausgebildet, die das Verfesti¬

gungsverhalten bestimmt. Die Art und die Dichte der Versetzungsstrukturbestimmen die inneren Spannungen und über diese Spannungen auch die

Grenzen des momentanen Verformungsmechanismus.In diesem Kapitel wird die Versetzungsstruktur, die zu Beginn der

Verformung entsteht, kurz beschrieben und in sehr einfacher Weise

modelliert. Aus dem Modell wird dann der Charakter der Spannungs¬

verteilung im Material unter einer äusseren Last abgeleitet. Die Ergebnissedieses Kapitels bilden die Grundlagen zum Verständnis des Mechanis¬

muswechsels von der Gleitung zur Zwillingsbildung (Kapitel 3) und der

Wechselwirkung von Zwillingsbildung und Gleitung (Kapitel 5).

2.2 Die Versetzungsstruktur

2.2.1 Allgemeines

Versetzungen bewegen sich entlang ihrer Gleitebene, aus der sie bei

Temperaturen, die eine genügende Leerstellendiffusion nicht zulassen (also

unterhalb etwa der halben Schmelztemperatur), nur unter erhöhter

Spannung durch Quergleiten ausbrechen können. Ist Quergleiten nicht

möglich (wegen zu kleiner Stapelfehlerenergie, oder allgemein für

Versetzungen, die eine von null verschiedene Stufenkomponente haben),

so werden an Hindernissen Versetzungen aufgestaut. Sind mehrere

Gleitsysteme aktiv, was in Vielkristallen immer der Fall ist, so sind

Gleitbandschnittlinien mit Lomer-Cottrell-Versetzungen wirksame Hinder¬

nisse für die Versetzungsbewegung [Seeg 57, Lomer 51, Cott 52].

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Bild 2 1 Hellfeldaufnahme (HF) der Versetzungsstruktur von Stahl Id bei 6%

Dehnung ebene Gleitbander (Emstrahlnchtung B nahe <111>)

Timm-(

KX

Bild 2 2 Stahl ld hohe Versetzungsdichte an GleitbandschnitÜmien e=6%

(HF B-<111>)

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6

Ein Beispiel für die Versetzungsstruktur von austenitischem Stahl ist

in Bild 2-1 gegeben für den Stahl ld (Anhang A3.). Die Versetzungen

befinden sich auf klar ausgebildeten Gleitbändem, die parallel zu den [111]

Ebenen sind. Auf den einzelnen Gleitbändern sind die Versetzungen nicht

homogen verteilt, sondern sie konzentrieren sich an Gleitbandschnittlinien

(Bild 2-2).

2.2.2 Einfluss der Temperatur, der Stapelfehlerenergie, der Reibungs¬

spannung und des Schubmoduls

a) Morphologie der Versetzungsstruktur

Die Temperatur, die Stapelfehlerenergie und der Schubmodul

beeinflussen die Morphologie der Versetzungsstruktur durch Förderung

bzw. Behinderung der Quergleitung. Quergleiten ist ein thermisch

aktivierter Vorgang [Seeg 57, Hirth 68a], der mit zunehmender Temperaturzunehmend das Verformungsverhalten bestimmt.

Charakteristisch für das Quergleitverhalten ist der Parameter q:

YSF2*X

q=Gb

mit der Stapelfehlerenergie ysF/ dem Schubmodul G und dem Burgers¬vektor b.

Je kleiner q ist, umso grössere Spannungen sind für das Quergleiten

erforderlich, d.h. mit abnehmendem q nimmt die Aktivierungsenergie für

Quergleiten zu. Da die vorhandenen Spannungen zu Beginn der

Verformung massgeblich von der Reibungsspannung abhängen und mit

ihr zunehmen, wird Quergleiten durch eine erhöhte Reibungsspannungerleichtert.

Durch Quergleiten können Versetzungen aus ihrem primären

Gleitsystem ausbrechen. Durch die Wechselwirkung mit den Spannungs¬feldern anderer Versetzungen wird die Bewegung der Versetzungen derart

gesteuert, dass niedrig-energetische Versetzungsstrukturen gebildet werden

[Kühl 87]. Dies führt z.B. zur Ausbildung von Zellstrukturen.

Somit bestimmt bei kleinem q - also bei kleiner Stapelfehlerenergieund grossem Schubmodul - die planare Gleitung von Versetzungen die

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Strukurausbildung, und es entstehen ebene, hochenergetische Versetzungs¬

strukturen. Mit zunehmendem q (zunehmender Stapelfehlerenergie bzw.

abnehmendem Schubmodul) wird die Gleitung zunehmend wellig, so dass

niedrigenergetische Zellstrukturen entstehen können.

Neben der Stapelfehlerenergie beeinflusst auch die Nahordnung die

Planarität der Gleitung und führt zu ebenfalls hochenergetischen

Versetzungsstrukturen [Gero 89, Wolf 94].

b) Dichte der Gleitstruktur

Eine Versetzungsquelle kann so lange aktiv sein, bis sie durch die

Rückspannung der erzeugten Versetzungen blockiert wird. Wenn

Quergleitung möglich ist, wird die Versetzungsquelle erst dann blockiert,

wenn auch die Quergleitung durch entsprechende Rückspannungen

blockiert ist. Die Anzahl der erzeugten Versetzungen einer Quelle ist somit

umso grösser, je leichter die Versetzungen quergleiten können.

Mit abnehmender Stapelfehlerenergie nimmt sowohl die totale

Weglänge einer Versetzung wie auch die Anzahl pro Versetzungsquelle

erzeugte Versetzungen ab. Somit müssen, um eine bestimmte Dehnung

aufzubringen, bei kleinerer Stapelfehlerenergie mehr Versetzungsquellen

aktiviert werden und die Gleitbanddichte nimmt zu.

Die Reibungsspannung bestimmt im schwach verformten Zustand

des Materials massgebend die mittlere innere Spannung, d. h. die Festigkeit.

Mit zunehmender Reibungsspannung wird die Spannung erhöht und eine

Versetzungsaufstauung wird stärker zusammengedrückt (bei gleicher

Versetzungsanzahl). Zudem wird durch eine erhöhte Reibungsspannung

die Quergleitung erleichtert. Somit ist eine grössere Anzahl Versetzungen

nötig, um eine Versetzungsquelle zu blockieren, und die Gleitbanddichte

nimmt ab.

c) Versetzungsmultiplikation

Angenommen, ein Versuchsmaterial wird so belastet, dass alle

Frank-Read-Quellen mit einer konstanten Rate Versetzungen emittieren.

Ist Quergleiten nicht möglich, so nimmt die Versetzungsdichte linear mit

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der Zeit zu. Bei leichtem Quergleiten kann jede Schraubenversetzung zu

einer neuen Versetzungsquelle werden, so dass die Versetzungsdichte

exponentiell mit der Zeit zunimmt [Vlad 76a]. Da mit zunehmender

Stapelfehlerenergie das Quergleiten erleichtert wird, nimmt mit

zunehmender Stapelfehlerenergie die Geschwindigkeit der Versetzungs¬

multiplikation zu.

2.3 Verfestigung

Im Bereich der reinen Gleitimg bestimmen die Geschwindigkeit der

Versetzungsvervielfachung und die zunehmende Anzahl der Versetzungs¬

hindernisse das Verfestigungsverhalten. Mit abnehmender Stapelfehler¬

energie sinkt die Geschwindigkeit der Versetzungsvervielfachung (Punkt

2.2.2), was zu einer verstärkten Geschwindigkeitsabhängigkeit der

Streckgrenze und zu einem Anstieg des Verfestigungskoeffizienten führt.

Die während der Verformung entstehenden Versetzungshindernisse

sind die Lomer-Cottrell-Versetzungen. Diese befinden sich an Gleitband¬

schnittlinien und ihre Anzahl nimmt mit zunehmender Gleitbanddichte

zu. Eine Verminderung der Stapelfehlerenergie erhöht die Gleitbanddichte

und erhöht somit nochmals den Verfestigungskoeffizienten.Die Zunahme der Gleitbanddichte ergibt noch einen dritten

verfestigenden Effekt durch Verminderung der Stapelfehlerenergie: die

Länge der Frank-Read-Quellen nimmt ab, und somit wächst die

Aktivierungsspannung, die umgekehrt proportional zur Quellenlänge ist.

2.4 Modell der Versetzungsstruktur

2.4.1 Die Grobstruktur

Primäre und sekundäre Versetzungen werden unter dem Einfluss

der äusseren Spannung gebildet. Diese Versetzungen bilden die im

vorangehenden Abschnitt beschriebene Struktur. Das Spannungsfeld, das

sich aus dieser Versetzungsstruktur und durch Einwirkung einer äusseren

Spannung ergibt, soll nun untersucht werden. Dabei ist es wichtig, zwischen

innerer und äusserer Spannung zu unterscheiden: Die innere Spannung

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wird von den Versetzungen erzeugt; sie wird durch die äussere Spannungüber die Veränderung der Versetzungsstruktur beeinflusst, ihr Mittelwert

bleibt dabei jedoch null. Die äussere Spannung wird durch die aussen

angelegte Last erzeugt; sie wird durch die Versetzungsstruktur verändert,

ihr Mittelwert bleibt dabei jedoch konstant.

a) innere Spannung

Der Verlauf der inneren Schubspannung wird abgeschätzt für die in

Bild 2-3 skizzierte schematische Versetzungsstruktur. Auf jedem Glied des

Gitters befindet sich eine Aufstauung der Länge L und der kontinuierlichen

Versetzungsdichte p(x) [Hirth 68b]. Der Spannungsverlauf entlang AB wird

angenähert durch die Ueberlagerungen der Spannungsfelder der

Aufstauungen I, n, III und IV. Der Einfluss aller anderen Aufstauungen

kann in dieser Abschätzung vernachlässigt werden, weil für jede

Aufstauung X genau eine entsprechende Aufstauung Y angegeben werden

kann, so dass sich die Spannungen von X und Y im Bereich AB ungefähraufheben. Die Schubspannung entlang AB ist somit gegeben durch

<=<=xo,y=0=!

ff ff ff ff

d,

*2 ff

ff ff

A

ff

B

ff

Bild 2-3: Modell der Versetzungsstruktur: Linien stellen Gleitbänder dar, die

Versetzungssymbole repräsentieren Versetzungsaufstauungen; die Aufstau¬

ungen der vollen Symbole werden für die Abschätzung der inneren

Schubspannungenberücksichtigt.

Oj

jp(xi)<LidZi2*2

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Bild 2-4: Die Funktion F|» zwischen den Schnittstellen A und B; die punktierte

Linie zeigt den Effekt der einzelnen Versetzungen der Aufstauung U.

Die Integrale der Summanden sind im Anhang A4 explizit gegeben und

wurden numerisch gelöst. Das Resultat ist

^|A=<2*3

wobei t die wirkende Schubspannung und F|A in Bild 2-4 gegeben ist. F|A

geht gegen unendlich an den Stellen A und B und hat dazwischen ein

Minimum von ungefähr -0.5. Mit Gleichung 2*3 bedeutet dies, dass

zwischen den Punkten A und B der äusseren Spannung entgegengesetze

Schubspannungen bis zu x/2 auftreten:

-"xVjmin

2*4

b) Einfluss der äussere Spannung

Die äussere Spannung wird durch die Versetzungsstruktur verändert.

So spürt zum Beispiel die Kopfversetzung einer Aufstauung von N

Versetzungen das N-fache der aussen angelegten Spannung [Hirth 68d]. Da

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die von der äusseren Last verursachte Spannung im Mittel gleich x sein

muss, wird sie zwischen A und B sehr kleine oder sogar negative Werte

einnehmen.

Als Folge der in Bild 2-3 skizzierten Mikrostruktur ergibt sich ein

Spannungsfeld mit ausgeprägten Spannungsspitzen an den

Gleitbandschnittstellen und mit negativen - d.h. der äusseren Last

entgegengesetzten - Spannungen dazwischen. Mit zunehmender Zahl N

der Versetzungen in den Aufstauungen werden die Spannungsspitzenstärker und der Betrag der negativen Spannungen grösser.

2.4.2 Die Feinstruktur der Reaktionsversetzungen

Die negativen Spannungen zwischen den Gleitbandschnittstellen

können Versetzungen mit dem entgegengesetzten Vorzeichen der

primären Versetzungen bewegen, so dass kleine Versetzungsaufstauungenentstehen. Die Zahl der Versetzungen innerhalb einer Aufstauung ist

proportional zur wirkenden Schubspannung [Hirth 68b]. Da die auf die

Kopfversetzung wirkende Kraft des Spannungsfeldes mit der Anzahl der

Aufstauungsversetzungen vervielfacht wird, sind die Spitzen der negativeninneren Spannungen gegeben durch:

I I -1 -N 2*5

lXnmax~4TiMriax- 4T

Da normalerweise N>4 ist, sind die Spitzen der Rückspannungen dem

Betrag nach grösser als die äussere Last. Falls die von der äusseren Last

verursachte Spannung zwischen den Schnittlinien negativ ist (Punkt

2.3.1b), führt dies zu einem weiteren Anstieg der Rückspannungen.

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2.5 Diskussion des Modells der Versetzungsstruktur

2.5.1 Fehlerdiskussion

Das besprochene Modell beruht auf verschiedenen stark

vereinfachenden Annahmen, die zum Teil deutlich nicht der Realität

entsprechen: erstens die Orthogonalität der Modellstruktur, zweitens die

strikte Regelmässigkeit, drittens das Kontinuumsmodell der Aufstauung,

viertens die Vernachlässigung der Spannungen aller Aufstauungen ausser

MV, und fünftens werden nur Versetzungen eines Vorzeichen berück¬

sichtigt.

Die Gleitebenen schliessen in Wirklichkeit nicht rechte Winkel ein,

sondern den Winkel 70.53°. Somit existieren zwei nicht identische

Situationen, die sich dadurch unterscheiden, dass die zu den Versetzungen

gehörenden Halbebenen (in Bild 2-3 durch dicke Versetzungssymbole

angezeigt) im einen Fall in den spitzen und im anderen Fall in den

stumpfen Winkel zeigen. Entsprechend wird die Rückspannung zwischen

A und B einmal deutlich grösser und einmal deutlich kleiner als der

abgeschätzte Wert sein.

Bei unregelmässigem Abstand der Aufstauungen, insbesondere bei

unterschiedlicher Aufstauungslänge variieren die Effekte der äusseren Last

(über die Zahl N der Aufstauungsversetzungen).

Das Kontinuumsmodell ist eine sehr gute Näherung für die

Aufstauung I, für die Spannungen der Aufstauungen III und IV sind die

Fehler grösser als für die Aufstauung I aber nicht mehr als einige bis einige

zehn Prozent [Hazz 67]. Die Spannungen der Aufstauung II werden aber

völlig falsch wiedergegeben, da hier die Spannungen zwischen den

einzelnen Versetzungen gerechnet werden sollten. In Wirklichkeit

wechselt die Schubspannung zwischen den einzelnen Versetzungen

zweimal das Vorzeichen [Hirs 66]. Die Funktion F|A ist also zu grob. In Bild

2-4 ist mit punktierter Linie qualitativ der Effekt der einzelnen

Versetzungen der Aufstauung LT angegeben.

Die Vernachlässigung der Spannungen der übrigen Aufstauungen

ergibt einen relativen Fehler der kleiner als 0.3 ist. Diesen oberen Grenzwert

des Fehlers erhält man durch Berechnung des Spannungseinflusses einer

der Nachbaraufstauungen von WV.

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Ein besseres Modell erhält man unter Berücksichtigung von

Versetzungen beider Vorzeichen. In diesem Fall müsste das Modell der

doppelseitigen Aufstauung zur Abschätzung der inneren Spannungenbenutzt werden [Hirth 68h]. Die qualitative Aussage bezüglich innerer

Spannungen ist in beiden Modellen dieselbe, so dass das einfachere Modell

mit den einseitigen Aufstauungen verwendet werden kann.

2.5.2 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung

Mit abnehmender Stapelfehlerenergie wird das Quergleiten

erschwert, so dass unter einer gegebenen Spannung mehr Versetzungen in

einer Aufstauung konzentriert bleiben müssen, ohne dass die

Kopfversetzung die Aufstauung verlassen kann (Punkt 2.2.2). Entsprechend

sind nach Gleichung 2*5 die Spitzenwerte der Rückspannungen grösser.

Das gleiche gilt auch für eine Zunahme der Reibungsspannung, die

zu einer allgemeinen Erhöhung der Spannungen führt.

2.5.3 Schlussfolgerungen

Aus dem besprochenen einfachen Strukturmodell folgt:

1. Entlang einem Gleitband fluktuiert die Schubspannung stark, wobei sie

negative Werte annehmen kann, d.h. es sind der äusserlich angelegten Last

entgegengesetzte Spannungen vorhanden.

2. Diese Rückspannungen können lokal dem Betrag nach grösser sein als

die äussere Last.

3. Mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungs¬

spannung nehmen die Beträge der Spannungsspitzen zu.

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3. DER BEGINN DER ZWILLINGSBILDUNG

3.1 Einleitung

Es gibt verschiedene Modelle für die Keimbildung eines

Verformungszwillings [Cohe 63, Cott 51, Fuji 75, Lage 93, Maha 73a, Ooka 57,

Reed 64, Slee 74, Vena 61]. Die vorgeschlagenen Modelle beschreiben vor

allem Versetzungsreaktionen zwischen einzelnen Versetzungen und die

dabei wirkenden Spannungen. Nur in einem Fall wird eine bereits

vorhandene Mikrostruktur in die Betrachtung mit einbezogen [Fuji 75]. Es

ist das Ziel dieses Kapitels, anhand einer möglichen und wahrscheinlichen

Zwillingsbildungsreaktion [Cohe 63] zu beurteilen, welches die Bedeutung

der sich entwickelnden Versetzungsstruktur für das Einsetzen der

Zwillingsbildung ist.

3.2 Eine mögliche Versetzungsreaktion

Eine mögliche Versetzungsreaktion, die zu einer

Zwillingsversetzung mit einem ausgedehnten Stapelfehler führt, ist die

Aufspaltung einer vollständigen Versetzung in eine Frank- und eine

Shockley-Versetzung [Cohen 63]. Mit Verwendung der Thompson-Notation

(Bild 3-1, [Thom 53])

~ 3*1

AB(d)-^->ßB+ Aß(b)

Der doppelseitige Pfeil steht dafür, dass die Versetzungsreaktion energetischindifferent ist. Bei kleiner Stapelfehlerenergie ist AB aufgespalten in 8B und

A8, so dass der Reaktion 3*1 die Vereinigungsreaktion

8B(d)+A8(d)—^-»AB(d)3*2

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C

Bild 3-1: Definition des Thompson-Thetraeders [Thom 53]: die Kanten des

Thetraeders bezeichnen die <110> Richtungen und haben die Länge a0/V2.Die Flächen werden mit kleinen Buchstaben bezeichnet und repräsentierendie Gleitebenen. Die Flächenmittelpunkte werden mit kleinen

griechischen Buchstaben bezeichnet. Ein Burgersvektor wird in der

Thompson-Notation durch seinen Anfangs- und seinen Endpunkt im

Thompson-Thetraeder beschrieben.

vorangehen muss. Der kleine Pfeil entgegen der Reaktionsrichtung

symbolisiert, dass die Reaktion energetisch ungünstig ist, d.h. ohne äussere

Spannung läuft sie spontan von rechts nach links ab. Die für die

Vereinigung der Teilversetzungen lokal aufzubringende Spannung kann

mit [Hirth 68c] abgeschätzt werden, und durch Vergleich mit der

Schubspannung an der Spitze einer Versetzungsaufstauung ergibt sich die

kritische Schubspannung xci für die Vereinigung der Kopfversetzung zu

D3*3

mit D=G/2ji(1-v), v ist die Poissonkonstante. Der Parameter a ist ungefähr

eins. Bei der Ableitung dieser Gleichung wurde das Volterra-Modell an der

Stelle r=b verwendet, das Ergebnis ist somit eine obere Grenze für die

Spannung.

Da die Burgersvektoren des Reaktionsproduktes von 3*1 senkrecht

zu einander stehen, besteht zwischen den Produktversetzungen keine

Wechselwirkung. Auf die bewegliche Shockley-Versetzung wirken somit

nur die äussere Last und die Stapelfehlerenergie. Durch Vergleich der

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beiden Kräfte erhält man die kritische Schubspannung xC2, die nötig ist,

damit sich die Schockley-Versetzung ungehindert bewegen kann unter

Bildung eines Stapelfehlers:

bz ist der Burgersvektor der Zwillingsversetzung.

3.3 Diskussion

3.3.1 Zwillingsbildungsspannung

Zur Bildung eines Zwillings muss die äussere Last grösser als xci und

auch grösser als zC2 sein. Somit wird mit zunehmender Anzahl der

Versetzungen in der Aufstauung und mit abnehmender Stapelfehler¬

energie die Zwillingsbildung begünstigt.Ist Tci>tc2/ so wird im Zugversuch eines Einkristalles ein

Spannungsabfall zu beobachten sein, wenn die Zwillingsbildung einsetzt

[Blew 57]. Ist dagegen rcx<xC2, so tritt ein Knick in der Verfestigungskurveauf [FTan 93, Mori 80, 77, Tran 93]. Da die durch die äussere Last wirkende

Schubspannung vom Schmidfaktor abhängt, ist das Verhalten beim

Übergang von der Gleitung zur Zwillingsbüdung orientierungsabhängig.Die Stapelfehlerenergie beeinflusst beide kritischen Spannungen: tC2

ist direkt proportional zur Stapelfehlerenergie; xci ist umgekehrt

proportional zu N, das mit abnehmender Stapelfehlerenergie wächst (Punkt

2.2.2). Somit nehmen beide kritischen Spannungen der Zwillingsbildungmit abnehmender Stapelfehlerenergie ab.

3.3.2 Zwillingsbildungsdehnung

Die Zwillingsbildungsdehnung Ccz hängt direkt von der Zwillingsbil¬

dungsspannung, der Reibungsspannung und dem Verfestigungsverhaltenab. Sie ist klein bei kleiner Zwillingsbildungsspannung, grosser

Reibungsspannung und grossem Verfestigungskoeffizienten. Über den

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Verfestigungskoeffizienten hängt sie auch von der Stapelfehlerenergie ab:

mit abnehmender Stapelfehlerenergie nimmt der Verfestigungskoeffizientzu (Abschnitt 2.3) und Ecz somit ab.

3.3.3 Zwillingsdicke

Aus der in Abschnitt 3.2 besprochenen Reaktion entstehen Zwillinge,wenn die Produkt-Shokley-Versetzungen (also die Zwillingsversetzungen)sich auf benachbarten Gleitebenen bewegen [Cohe 63]. Die Stapelung der

Zwillingsversetzungen wird zunächst unregelmässig sein und zu

fehlerhaften Zwillingen führen. Bei der weiteren Bewegung der

Zwillingsfront durch die vorhandene Versetzungsstruktur werden weitere

Zwillinge ausgelöst, und es findet Dickenwachstum statt (Kapitel 5). Bei

diesem Prozess nimmt die Fehlerdichte der Zwillinge ab.

Bei allen diesen Reaktionen entstehen Zwillingsversetzungen aus

bereits vorhandenen, aufgestauten Versetzungen, und die Zwillingsdickeist demnach proportional der Versetzungsanzahl in den Aufstauungen. Mit

abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungsspannungnimmt diese Anzahl bei konstanter Dehnung zu (Abschnitt 2.2). Da die

Zwillingsbildungsdehnung aber gleichzeitig zu deutlich kleineren Werten

verschoben wird, nimmt die Anzahl der Aufstauungsversetzungen zum

Zeitpunkt der Zwillingskeimbildung ab. Somit nimmt die mittlere

Zwillingsdicke mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender

Reibungsspannung ab.

3.4 Schlussfolgerung

In diesem Kapitel wird gezeigt, wie sich die vorhandene

Versetzungsstruktur auf die Zwillingsbildung auswirkt. Ob die

Zwillingsversetzungen durch das einfache Reaktionsschema oder durch

andere Reaktionen entstehen, ob die Zwillingsfronten durch eine geordnete

Überlagerung der ZwillingsVersetzungen oder mehr zufällig gebildet

werden, wird hier nicht entschieden. Aus den Betrachtungen folgt aber, dass

die Versetzungsreaktionen zur Bildung der Zwillingsversetzungen durch

die Spannungsspitzen der ursprünglichen Versetzungsstruktur ausgelöst

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werden, und die Bedeutung der Stapelfehlerenergie und der

Reibungsspannung werden durch die Gleichungen 3*3 und 3*4 richtig

widergegeben:

Mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungs¬

spannung nehmen die Zwillingsbüdungsspannung, die Zwillingsbildungs¬dehnung und die Zwillingsdicke ab.

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4. MODELL EINER ZWILLINGSFRONT

4.1 Einleitung. Bildung der Versetzungswand

Direkt nach der Bildung der Zwillingsversetzungen ist der Abstand

zwischen zwei aufeinanderfolgenden Versetzungen gross verglichen mit dem

Gleitebenenabstand [Mite 91]. Darum kann die Zwillingsfront in diesem

Stadium als ebenes System behandelt werden. Trifft die Kopfversetzung auf ein

Hindernis, so verhält sich die Zwillingsfront bei sehr kleiner Spannungzunächst wie eine gewöhnliche Versetzungsaufstauung, d.h. wie eine ebene

Aufstauung von vollständigen Versetzungen. Bei erhöhter Spannung nähert

sich aber die zweite Versetzung der ersten so sehr, dass sie in den Bereich

kommt, wo die abstossende Kraft Fk nicht mehr monoton mit abnehmendem

Abstand steigt (Bild 4-2). Falls die durch die äussere Last auf die zweite

Versetzung wirkende Kraft grösser als das Maximum von Fk ist, wird die

zweite Versetzung die stabile Position direkt über der Kopfversetzungeinnehmen. Bei weiterer Spannungserhöhung werden die folgenden

Versetzungen in gleicher Weise ihre Positionen in der nun entstehenden

Versetzungswand einnehmen, sofern das Hindernis eine genügende Ausdeh¬

nung in der y-Richtung hat (z.B. eine Hindernislamelle (Kapitel 6) oder eine

Komgrenze, die y-Richtung ist in Bild 4-1 definiert).

Im folgenden wird abgeschätzt, welche Spannung Xck aufzubringen ist,

damit die zweite Versetzung Fk überwindet und sich über der Kopfversetzung

plaziert [Müll 94a], und welcher Bruchteil n der Versetzungen in die

Versetzungswand eingeht [Müll 94b]. Die Näherung des Disklinationsmodells

für die Zwülingsfront wird diskutiert.

Bild 4-1 zeigt die Versetzungskonfiguration eines blockierten Zwillingsbevor die zweite Versetzung in die Versetzungswand eingeht eine Aufstauungvon identischen Teilversetzungen auf aufeinanderfolgenden Gleitebenen. Die

Position der ersten Versetzung Vi - der Kopfversetzung - ist xi=0, yi=0. Die

Koordinaten jeder weiteren Versetzung Vn sind xm yn = (n - l)a0/V3.

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y i,

Y4

y2

— Fk Fu>2-

Vi l

•v4

v3

X2 «3 «4

Bild 4-1: Konfiguration der Zwillingsversetzungen unter einer äusseren Last, die

nicht ausreicht, um die zweite Versetzung über die erste zu stellen.

Bild 4-2: Abstossende Kraft zweier identischer Stufenversetzungen, die sich auf

benachbarten Gleitebenen bewegen (ausgezogene Linie) bzw. die sich auf

derselben Gleitebene bewegen (gestrichelte Linie).

Die zur x-Achse parallele Komponente Fk der abstossenden Kraft zweier

paralleler Stufenversetzungen mit demselben Burgersvektor b. ist [Hirth 68c]:

Fk = Db2 2xy^^

*'+r (x2+y2)Z4*1

Die Funktion Fk(x) ist für y=y2 im Bild 4-2 dargestellt; sie hat ein Maximum,

Fkmax:

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*--&

mit bz dem Burgersvektor der Zwillingsversetzung. Die Position des

Maximums ist:

X(Fkmax)=(^+1)y2=(2+^K 4*3

Weil V2 die erste Versetzung ist, die aus der Anordnung ausbricht, und weil

gilt xn+i-xn>xn-xn-i, kann die gesamte Kraft Fn>2/ die durch alle Versetzungen

mit n>2 auf die Versetzung V2 ausgeübt wird, durch das Aufstauungsmodell

angenähert werden [Vlad 76b]:

F„>2„fcÄ„H|i

V2 wird aus der Aufstauungskonfiguration ausbrechen und die Wandposition

einnehmen, wenn gilt Fn>2äFkmax- Mit Gleichungen 4*2 und 4*4 wird xck=

tck =D

2V2N4*5

4.3 Der Bruchteil n der Versetzungen in der Wand

Angenommen, Zwillingsversetzungen der Anzahl M haben ihre Position

in der Versetzungswand erreicht (Bild 4-3), so ist das Spannungsfeld dieser M

Versetzungen gleich dem eines Disklinationsdipols mit dem Abstand 2aM

Ma0 , ,

aM=^4*6

und dem Frankvektor <äx (fflz ist in Anhang A2.2 definiert). Die Kraft, die ein

Spannungsfeld auf eine Versetzung ausübt ist das Produkt der auf das Gleit¬

system wirkenden Schubspannung und dem Burgersvektor der Versetzung

[Peach 50]. Mit y=aM (Bild 4-3) und Gleichung Al*5c wird die abstossende

Kraft Fd, die der Disklinationsdipol auf die Versetzung Vm+1 ausübt,

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Fd=2DcozbzaM 2 2

F<j hat ein Maximum Fdmax an der Stelle x=2aM:

r'dmax :Dü)zbz

4*7

4*8

Fd Fn>m+1

Bild 4-3: Konfiguration der Zwillingsversetzungen unter einer äusseren Last, die

ausreicht, umM Versetzung über einander zu stellen.

Die Kraft Fn>M+i, die durch alle Versetzungen mit n>M+l auf die

Versetzung ZVm+i ausgeübt wird, kann wiederum durch das Aufstauungs¬

modell angenähert werden [Hirth 68d]:

Fn=-M+l=(N-M)xbz 4*9

Die Versetzung Vm+i wird ihre Position in der Versetzungswand einnehmen,

falls gilt Fn>M+i^Fdmax. Daraus, und aus den Gleichungen 4*8 und 4*9 folgt

MSN-^z2x

4*10

Jede Versetzung, die 4*10 erfüllt, wird ihre Position in der Versetzungswand

einnehmen. Somit ist die totale Anzahl Mt der Versetzungen innerhalb der

Wand gegeben durch

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23

Mt=nfN-^L 2x

neZ 4*11

und der Bruchteil der Zwillingsversetzungen innerhalb der Wand wird

M*,

Dco,r| = _i.öl--_z. 4*12

N 2Nx

4.4 Diskussion

4.4.1 Numerische Beispiele für austenitischen Stahl

Beispiel 1: Stickstofflegierter Austenit, kaltverformt bei Raumtemperatur (Stähle

la+d, Anhang A3.; [Müll 93])

Verformungszwillinge werden deutlich oberhalb einer Spannung von

500 MPa gebildet, d.h. die Schubspannung x ist grösser als 170 MPa. Die

Zwillingsdicke beträgt typischerweise 100 nm, und N beträgt somit ungefähr500. Mit G=80 GPa und v=0.28 [Ledb 85] (somit D=17.7 MPa) ergeben sich xCk

und n aus den Gleichungen 4*5 und 4*12 zu:

Xck=12.5 MPa,

rpO.93.

Beispiel 2: Stickstofflegierter Austenit, kaltverformt bei 4 K (Stähle 2a, 2b, 3,4,

Anhang A3.; [Müll 94c])

Die Streckgrenze ist grösser als 1500 MPa, d.h. die Schubspannung x ist

grösser als 500 MPa. Die Zwillingsdicke beträgt typischerweise 10*20 nm, N

beträgt also ungefähr 75. Mit den Gleichungen 4*5 und 4*12 ergeben sich xck

und n zu:

Xck=83 MPa,

n>0.84.

Diese Beispiele zeigen, dass die tatsächlichen Spannungen immer

deutlich grösser sind als die zur Bildung der Versetzungswand nötige

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24

Spannung x^. Mit mehr als 80 Prozent befindet sich das Gros der Versetzungen

innerhalb der Versetzungswand.

4.4.2 Fehlerdiskussion

In den Abschätzungen von xck und T) sind einige Näherungen enthalten:

Erstens wird das Modell der Volterra-Versetzung verwendet, das an der Stelle

der Versetzungslinie eine Singularität aufweist und in deren Nähe deutlich zu

hohe Spannungen angibt; xck und r) werden somit unterschätzt. Zweitens wird

lineare Elastizität angenommen. Die vorliegenden Situation ist an der Grenze

der linearen Elastizitätstheorie, was bedeuted, dass Fk und Fd überschätzt und

xCk überschätzt bzw. t\ unterschätzt werden. Drittens wird für die

nachfolgenden N-2 respektive N-M-l Versetzungen das Aufstauungsmodell

eines planaren Versetzungssystems verwendet. Die totalen Kräfte Fn>2 und

Fn>M+l werden dadurch überschätzt und somit x^ unterschätzt bzw. T)

überschätzt. Viertens wird angenommen, dass sich die Versetzung Vm+i aur

derselben Ebene befindet wie die Versetzung Vm-

Die Fehler der ersten Näherung können, wie in Punkt AI.2.3 erläutert,

abgeschätzt werden. Mit x=x(Fkjnax)=3.4bz, y=d und Gleichungen Al*lc, Al*2c,

Al*3 und Al*4 ergibt sich der relative Fehler von xck zu 50.5. Der relative

Fehler von n ist deutlich kleiner als 0.1, weil Fk in den Subtraktor der Differenz

4*12 eingeht.Die lineare Elastizität ist ausserhalb des Versetzungskernes (Kernradius

r0=2b) gültig [Hirth 68e]. Da der Ort des Maximums von Fk (x(Fkmax)=3.4bz)

ausserhalb des Kernradius liegt, ist der Fehler, der durch die Anwendung der

linearen Elastizität gemacht wird, deutlich kleiner als der Fehler des Volterra-

Versetzungsmodells und kann somit vernachlässigt werden.

Aus Bild 4-2 sieht man, dass der Einfluss der unterschiedlichen

Gleitebenen mit zunehmendem Abstand schnell abnimmt. Somit kann der

absolute Fehler AFn>2 von Fn>2/ den die Näherung der ebenen Aufstauung

ergibt, durch den Fehler dieser Näherung für die Versetzung V3 abgeschätzt

werden. Da X3-X2 deutlich grösser als X2-X1 ist [Vlad 76b], findet man einen

oberen Grenzwert für AFn>2, wenn X2-X1 an Stelle von X3-X2 gesetzt wird. Mit

x2^x(Fkmax) und mit Gleichung 4*3 wird AFn>2:

ab^2-5^.

4*13

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25

Mit den Gleichungen 4*4 und 4*5 und unter Berücksichtigung, dass das Modell

der Volterra-Versetzung die Spannungen um etwa dreissig Prozent

überschätzt, wird der relative Fehler von Xck:

ATdc^AFn>2_. D;Q1

*ck Fn>2 5Nx'

4*14

Aus den beiden Beispielen folgt, dass das Produkt Nx mit abnehmender

Zwillingsdicke abnimmt und der relative Fehler von x^ zunimmt. Bei einer

Zwillingsdicke über lOnm ist der Fehler klein (<0.1), bei einer Zwillingsdickedeutlich unter lOnm wird der Fehler aber gross.

Die Fehler der letzten Näherung kann vernachlässigt werden, wenn M

und N-M gross sind verglichen mit eins. Dies ist der Fall, wenn N grösser als

etwa 30 ist; in den meisten Fällen trifft dies zu, wie aus den beiden Beispielenersichtlich ist Ist N kleiner als 30 (die Zwillingsdicke also kleiner als 6nm), so

ist N-M oder M nicht gross verglichen mit eins und Xck und n werden deutlich

unter bzw. überschätzt.

Resultat der Fehlerdiskussion

1. Dicke Zwillinge (d>10nm):

Der relative Fehler von xck ist <0.5; die Abschätzung von xck ist somit

hinreichend genau, da die angelegte Spannung um eine Grössenordnung

grösser als Xck ist. Der relative Fehler von T| ist klein (50.1), und die

Abschätzung n ist in diesem Bereich eine gute Näherung.

2. Dünne Zwillinge (d<10nm):

Die relativen Fehler von xck und n nehmen mit abnehmender

Zwillingsdicke rasch zu, wobei n deutlich überschätzt wird.

3. Sehr dünne Zwillinge (d«10nm):

Die der Abschätzung zu Grunde liegenden Annahmen sind nicht

zutreffend: M oder N-M sind nicht gross verglichen mit eins, was bedeutet,

dass es unzulässig ist, die Versetzungen mit n>M+l als ebene

Versetzungsaufstauung zu behandeln.

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26

4.5 Dipolnäherung der Zwillingsfront

Die Form einer blockierten Zwillingslamelle sieht wie folgt aus: Die

ersten Mt Versetzungen bilden eine Versetzungswand. Die folgenden N-Mt

Versetzungen bilden eine elliptische Grenzfläche, deren Spitze sich in der

Entfernung 2a von der Versetzungswand befindet (dabei ist a gegeben durch

Gleichung 4*6 mit M=Mt, Bild 4-3). Das Spannungsfeld der Zwillingsfront ist

gegeben durch die Überlagerung der Spannungsfelder der Versetzungswand

und der elliptischen Versetzungsaufstauung, und die exakte Lösung ist deshalb

sehr kompliziert.

Eine einfache Näherung ist das Spannungsfeld einer Versetzungswand

aus N Versetzungen, d.h. es wird angenommen, dass sich alle N

Zwillingsversetzungen in der Versetzungswand befinden. Das Spannungsfeldist explizit gegeben durch:

q^DttJlln^y-3^,

x2--

x2 .14*15a

\2 x2+(y + a)2 x2+(y-a)2 x2+(y + a)2j

a^DttJlh/^^2- X'.+

,

*2 .14*15b

n [2 x2+(y + a)2 x2+(y-a)2 x2+(y + a)2j

axv =TXazx-\

y + a

,,—„ y,a ,„l 4*15c

Jxy

l-nuzr- l2

x2 + (y + a)z x2 + (y-a)2

oZ2 = D(azvlny \ 4*15d

x^+(y + a)

öxz=öyz = 0 4*15e

Diese Näherung, die Dipolnäherung der Zwillingsfront, überschätzt die

kurzreichenden Spannungen. Da aber r| für Zwillinge mit einer Dicke über

lOnm grösser als 0.8 ist (bzw. grösser als 0.9 für Zwillingsdicken grösser als

lOOnm), wird angenommen, dass der relative Fehler der Spannungen kleiner

als 0.2 (bzw. kleiner als 0.1) ist.

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4.6 Eine Zwillingsfront nach der Überwindung eines Hindernisses

Eine Versetzungswand ist eine mechanisch stabile

Versetzungskonfiguration und bleibt nach ihrer Bildung grundsätzlichbestehen. Da eine Zwillingsfront einen Hinderniszwilling als

Disklinationsdipol überwindet (Kapitel 6), gilt dies auch für eine solche

Zwillingsfront, die sich in einem Kristall bewegt, der abgesehen von anderen

Zwillingen perfekt ist. Das im vorangehenden Abschnitt diskutierte

Dipolmodell kann also unverändert für den Fall einer sich bewegenden

Zwillingsfront übernommen und auf die Wechselwirkung von Zwillingen mit

Hinderniszwillingen (Kapitel 6) und anderen Defekten wie Gleitbändern

(Kapitel 5) angewendet werden.

4.7 Schlussfolgerungen

Es zeigt sich:

1. T) wird durch die abnehmende Zahl der nachfolgenden AufStauungs-

versetzungen kontrolliert (Fn>M+l=(N-M)xbz, Gleichung 4*9) und nicht durch

die zunehmende Zahl M der Wandversetzungen (Fdmax=Dü)zbz/2, unabhängigvon M, Gleichung 4*8).

2. Die Dipolnäherung ist genügend genau für Zwillinge mit einer Dicke von

mehr als einigen Nanometern (d.h. mehr als einige zehn Zwillingsver¬

setzungen bilden die Zwillingsfront).

3. Die Dipolnäherung wird mit zunehmender Zwillingsdicke und

zunehmender Spannung genauer (Gleichung 4*12).

4. Die Dipolnäherung ist nicht anwendbar auf Zwillinge, die aus nur wenigen

Versetzungen bestehen.

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5. GLEITUNG UND ZWILLINGSBILDUNG; KOOPERATIVE

MECHANISMEN

5.1 Einleitung

Im Kapitel 3 wurde gezeigt, dass eine hohe Spannung aufgebracht

werden muss, um die Zwillingsbildung auszulösen. Bevor diese Spannungerreicht wird, ist die Gleitung aktiv und der Werkstoff verfestigt, während

er plastisch verformt wird, durch die Ausbildung einer Versetzungs¬struktur. Es ist jedoch aus mehreren Gründen nicht so, dass unterhalb einer

von aussen aufgebrachten Spannung ausschliesslich die Gleitung und

oberhalb dieser Spannung ausschliesslich die Zwülingsbildung aktiv sind:

1. Im Vielkristall sind die Körner unterschiedlich orientiert und

somit wirken entsprechend den verschiedenen Schmidfaktoren

unterschiedliche Schubspannungen.

2. Innerhalb eines Kornes sind die Spannungsmaxima an den

Schnittstellen von Gleitbändern unterschiedlich gross, da der Abstand

zwischen den Gleitbändern und auch die Versetzungsdichte innerhalb der

Gleitbander variieren.

3. Ein Verformungszwilling reagiert während der Fortbewegung der

Zwillingsfront mit den vorhandenen Versetzungen der ursprünglichen

Versetzungsstruktur. Als Folge wird die Versetzungsdichte vermindert und

die Versetzungsstruktur entspannt sich, was zu einer erneuten

Gleitaktivität führt.

Das vorliegende Kapitel befasst sich mit dem dritten Punkt. Es wird

gezeigt, dass es durch die Wechselwirkung der Zwillingsfront mit der

Versetzungsstruktur zu Zwillingswachstum, zur Bildung sekundärer Zwil¬

linge und zur Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung kommen kann

[Müll 94d]. Das dabei ablaufende Wechselspiel zwischen Zwillingsbildungund Gleitung wird als Ursache für die gute Duktilität austenitischer Stähle

angenommen.

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29

5.2 Sekundäre Zwillinge und Zwillingswachstum

Eine Zwillingsfront ist von Spannungen (Gleichungen 4*15)

umgeben, die in der Nähe der Zwillingsfront sehr hoch sind und nahe an

die theoretische Festigkeit kommen. Vor der Zwillingsfront ist deren

Schubspannung gleichsinnig der äusseren Last. Bewegt sich eine Zwillings¬

front auf eine Gleitbandschnittlinie mit Versetzungsaufstauungen zu, so

überhöht die vor der Zwillingsfront hergeschobene Spannungswelle die

Wirkung der äusseren Last Da jetzt jede der Aufstauungsversetzungen eine

Schubspannung spürt, die deutlich grösser als die äussere Last ist (in einer

Entfernung von 100 Zwillingsdicken vor der Zwillingsfront (x=200a)

entspricht deren Schubspannung einer äusseren Zugspannung von

300MPa), wird die Kraft auf die Kopfversetzung stark erhöht, was lokal zu

einer drastischen Verminderung der für die Vereinigung der

Kopfversetzung nötigen äusseren Spannung führt:

..DD .

5*!

icl=a ^r«a—= xcl, a «a

Dies bedeutet, dass mit der Annäherung einer Zwillingsfront an eine Gleit¬

bandschnittlinie (Bild 5-la) die Aktivierung der Zwillingsbildung an dieser

Gleitbandschnittlinie beschleunigt wird. Unter der Spannungserhöhung an

der Gleitbandschnittlinie sind verschiedene Szenarien vorstellbar:

a) Sekundäre Zwillinge

Die Kopfversetzung der auf der Gleitebene der einfallenden

Zwillingsfront liegenden Aufstauung reagiert nach Gleichung 3*1. Da die

aktuelle Schubspannung gross ist, werden sich auch die nachfolgenden

Versetzungen vereinigen und nach Gleichung 3*1 reagieren. So wird aus

dieser Aufstauung ein sekundärer Zwilling gebildet Anschliessend passiertdie Zwillingsfront die Gleitbandschnittlinie (Bild 5-lb).

b) Weiteraufspaltung der Frankversetzungen

Die an den zurückbleibenden Frankversetzungen entstehenden

Spannungen führen zu deren Aufspaltung (Bild 3-1):

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30

a)

wy A

LCTB

d)

Bild 5-1: Wechselwirkung zwischen einer Zwillingsfront und einer

Gleitbandschnittstelle: volles Versetzungssymbol bezeichnet die Lomer-

Cottrell-Barriere, Leere Versetzungssymbole: ebene Versetzungssysteme(Aufstauungen), a) Zwillingsfront trifft auf eine Lomer-Cottrell-Barriere;b) Bildung eines sekundären Zwillings mit anschliessendem Durchbrechen

der Lomer-Cottrell-Barriere; c) Bildung eines sekundären Zwillings mit

anschliessendem Wiederaufspalten der Frank-Versetzungen; d) Dicken¬

wachstum des primären Zwillings.

ßB-_£->AB(d) + ßA(b)5*2

Diese Reaktion kann nur unter sehr hoher Spannung, und in der

gegebenen Situation nur bei gleichzeitiger Überwindung der Lomer-

Cottrell-Barriere, ablaufen. Somit können sich auch die Versetzungen auf

dem sekundären System wieder weiterbewegen. Der primäre Zwilling wird

am sekundären Zwilling vorerst blockiert. Das Ergebnis dieses Szenariums

ist die Situation von Bild 5-lc.

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c) Überwindung der Lomer-Cottrell-Barriere

Die Lomer-Cottrell-Barriere wird überwunden, bevor die Kopfver¬

setzung vereinigt wird. Die ganze Aufstauung, oder ein Teil davon, bewegtsich zur nächsten Gleitbandschnittlinie und erhöht dort die Spannung. Im

letzteren Fall wird an der ursprünglichen Gldtbandschnittlinie erneut eine

Lomer-Cottrell-Barriere gebildet.

d) Wachstum des einfallenden Zwillings

Die Kopfversetzung und weitere Versetzungen der Aufstauung auf

dem sekundären Gleitsystem vereinigen sich und reagieren nach Gleichung

3*1. Der so entstehende Zwilling grenzt an den einfallenden Zwilling, der

somit Dickenwachstum erfährt (Bild 5-1 d). Da die Spannung auf dem

primären Gleitsystem durch den einfallenden Zwilling stärker erhöht wird

als auf dem sekundären System, kann das Zwillingswachstum nur

zusammen mit einem der oberen Mechanismen ablaufen.

Es kann nicht allgemein vorausgesagt werden, welcher dieser

Mechanismen abläuft und wie vollständig dies geschieht (d.h. wie viele der

Aufstauungsversetzungen zurückbleiben); die verschiedenen Lomer-

Cottrell-Barrieren sind unterschiedlich stark [Hirth 61] und in

unterschiedlich orientierten Kömer wirken unterschiedliche Spannungen.Es ist anzunehmen, dass alle vier (und eventuell auch weitere)

Mechanismen gleichzeitig an verschiedenen Stellen ablaufen können.

5.3 Zwillinge zweiter Ordnung

Im vorangehenden Abschnitt wurde die Wechselwirkung einer

bewegten Zwillingsfront mit dem Spannungsfeld an einer

Gleitbandschnittlinie besprochen. Dieser Abschnitt befasst sich mit der

Wechselwirkung der Zwillingsfront mit dem Spannungsfeld zwischen den

Gleitbandschnittlinien.

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5.3.1 Die Spannungen hinter der Zwillingsfront

Innerhalb eines Zwillings ist die Kristallorientierung für eine weitere

Verformung durch Zwillingsbildung (Zwillingsbildung 2. Ordnung)

ungünstig, d.h. der Schmidfaktor ist negativ und dem Betrag nach gross.

Dies gilt vor allem für die Zwillingssysteme, die zu den Zwillingen 1.

Ordnung spiegelsymmetrisch sind bezüglich deren Habitusebene. Die

beobachteten Zwillinge 2. Ordnung (Abschnitt 5. 5) können also nicht direkt

unter dem Einfluss der äusseren Last entstanden sein.

Entlang den Gleitbändern variiert die Spannung deutlich, und es

existieren ausgprägte Spannungsspitzen, die der äusseren Last

entgegengesetzt sind (Kapitel 2). Wenn sich eine Zwillingsfront entlangeinem Gleitband bewegt, wird dieser Spannung die Spannung der

Zwillingsfront überlagert. Direkt hinter der Zwillingsfront ist diese

Spannung gross (das Maximum ist mit D© in der Grössenordnung der

theoretischen Festigkeit) und ebenfalls entgegengesetzt der äusseren Last.

Demnach gibt es im Zwilling direkt hinter der Zwillingsfront lokal

Spannungen, die günstig und hinreichend gross sind für die Bildung von

Zwillingen zweiter Ordnung.

5.3.2 Energie einer Zwillingslamelle mit Zwillingen zweiter Ordnung

Es gibt zwei verschiedene Typen von Zwillingen zweiter Ordnung:Vom ersten Typ, Typ A, sind Zwillinge, deren Kristallorientierung mit der

Matrixorientierung übereinstimmt. Alle anderen Zwillinge sind vom TypB: sie stehen in einer £9 Orientierung zur Matrix. Es gibt total zwölf

Zwillingssysteme zweiter Ordnung; drei davon erzeugen Typ A Zwillinge,und die neun weiteren Typ B Zwillinge. Im weiteren werden aber nur die

zwei Systeme betrachtet, die sich durch Spiegelung der aktiven Systemeerster Ordnung an der Habitusebene eines Zwillings ergeben.

Das Spannungsfeld eines Systems von Mutterzwilling und

Zwillingen zweiter Ordnung (im weiteren kurz Zwillingssystem genannt)

ergibt sich durch die Überlagerung der Spannungsfelder der einzelnen

Zwillinge. Die Zwillinge zweiter Ordnung können durch Disklinations¬

wände identischer Disklinationen der Stärke &>z mit alternierendem

Vorzeichen betrachtet werden (Bild 5-2a,b). Diese Disklinationswände

beschreiben Kippgrenzen mit dem Winkel oow [Li 72]:

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a)

h2a,

b)

C)

Bild 5-2: Zwillinge zweiter Ordnung: a) Zwillinge vom Typ A; b) Zwillinge vomTyp B; c) Quadrupolnäherung für das Spannungsfeld der Zwillinge zweiter

Ordnung

«uw=x"sinßcoz 5*3

wobei x" der Volumenanteil der Zwillinge zweiter Ordnung im

Mutterzwilling, ß beträgt für Typ A Zwillinge 90° und für Typ B Zwillinge70.53°. Diese Grenzen können auch durch einen Quadrupol mit der Stärke

u)w beschrieben werden (Bild 5-2c). Das Vorzeichen dieses Quadrupols ist

entgegengesetzt dem des Mutterzwillings, so dass das gesamte

Zwillingssystem als Quadrupol mit der Stärke cos betrachtet werden kann:

cos = coz - cow = (1 - x"sinß)coz5*4

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Da die Energie einer Disklinationskonfiguration proportional dem

Quadrat der Disklinationsstärken ist (Anhang A1.3), vermindern Zwillingezweiter Ordnung die Energie einer Zwillingslamelle um

— = x"2sin2ß-2x"sinß = -2x"5*5

E

wobei die Näherung für kleine x" gilt (x"<0.2).

Die starke Verminderung der Energie wird als treibende Kraft für die

Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung angenommen.

5.3.3 Einfluss der Zwillingsdicke

Die Energie einer Zwillingslamelle ist proportional zum Quadrat der

Zwillingsdicke (Gleichungen Al*6 und Al*8b, Anhang AI). Somit nimmt

die treibende Kraft für die Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung mit

abnehmender Zwillingsdicke stark ab. Es ist zu erwarten, dass in sehr

dünnen Zwillingen keine Zwillinge zweiter Ordnung gebildet werden. Dies

stimmt mit experimentell beobachteten Strukturen überein (Abschnitt 5.5).

5.4 Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung

Im Vorangehenden wurde gezeigt, dass eine sich durch die

bestehende Versetzungsstruktur bewegende Zwillingsfront weitere

Zwillingsbildung auslösen kann, wobei die zur Aktivierung weiterer

Zwillingsfronten nötige Schubspannung deutlich kleiner ist als diejenigefür die Aktivierung der ersten Zwillingsfront (Gleichung 5*1). Das bedeutet,

dass die Zahl der sich bewegenden Zwillingsfronten sehr schnell zunimmt.

Eine einzelne Zwillingsfront kann also eine "Zwillingslawine" auslösen.

Bei der Aktivierung neuer Zwillinge reagieren die aufgestauten,

festsitzenden Versetzungen zu beweglichen Zwillingsfronten. Dadurch

relaxieren die lokalisierten Spannungsspitzen und die Rückspannungenauf die bestehenden Versetzungsquellen. Als Folge ist nach dem Passieren

einer Zwillingsfront lokal wieder Verformung durch Gleitung möglich.

Versetzungsaufstauungen und mit ihnen innere Spannungsspitzen werden

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erneut aufgebaut, was später wiederum zur Aktivierung von Zwillingenführt.

Während dieses Wechselspieles zwischen Gleitung und

Zwillingsbildung nimmt die Zwillingsdichte zu und die freie Weglänge der

Versetzungen und die Zahl der Versetzungen innerhalb einer Aufstauungab. Eine abnehmende freie Weglänge bedeutet Verfestigung. Die

verminderte Zahl der Aufstauungsversetzungen erhöht die kritische

Zwillingsbildungsspannung xci, und die zur Versetzungszahl proportionale

Zwillingsdicke wird verringert. Somit werden mit zunehmender Dehnungbei höherer Spannung dünnere Zwillinge gebildet.

5.5 Experimentelle Resultate

Bild 5-3 zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die Hindernislamelle

zusätzlich zur Zwillingsscherung eine weitere Verschiebung erfahren hat.

Diese Verschiebung kann durch Versetzungen verursacht worden sein, die

sich zusammen mit der Zwillingsfront bewegt haben, nachdem sie

entsprechend dem Mechanismus gemäss 5.2b) durch die ehemalige Lomer-

Cotrell-Typ Barriere gedrück worden sind.

Die Bilder 5-4 bis 5-7 zeigen Beispiele von Zwillingskonfigurationenin austenitischem Stahl: in dünnen Zwillingen werden wenige bis keine

Zwillinge zweiter Ordnung beobachtet (Bild 5-4), während in dicken

Zwillingen (d>100nm) häufig Zwillinge zweiter Ordnung gebildet werden

(Bild 5-5). Der Anteil von Zwillingen zweiter Ordnung im Mutterzwillingkann einige zehn Prozent ereichen, und die Zwillingsanordnungen können

sehr kompliziert sein (Bild 5-6).

Es wird allgemein beobachted, dass unter höherer Spannung dünnere

Zwillinge entstehen. So wurden die Zwillinge in den Bildern 5-4 und 5-7 in

Tieftemperatur-Zugversuchen gebildet, wo die Streckgrenze der Werkstoffe

über 1300MPa beträgt (Anhang A3.).

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Bild 5-3: Zwülmgsschnittstelle (TEM, HF, B=<110>) die Hindernislamelle ist

um mehr als das Zwillmgsscherverhaltnis abgeschert (Stahl 5)

Bild 5-4: Dünne Zwillinge ohne Zwillinge zweiter Ordnung (Stahl 3, 4 2K, HF).

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Bild 5-5 Dicke Zwillinge mit Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl lb 298K

TEM HF)

Bild 5-6 Komplizierte Zwillingsanordnung m Stahl 5 entstanden bei 298K

(TEM HF, B=<110>)

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Bild 5-7: Dünne Zwillinge in einem stickstoffreichen Stahl bei tiefer Temperatur(Stahl 2a, 77K, TEM, HF, B=<110>)

5.6 Diskussion

5.6 1 Kooperative Mechanismen und die mechanischen Eigenschaften von

Vielkristallen

a) Duktilität

Durch das Wechselspiel von Zwillingsbildung und Gleitung wird die

durchschnittliche totale Laufweite der Versetzungen gross. Die totale

Laufweite ist nicht zu verwechseln mit der freien Weglänge: Letztere ist der

Abstand zwischen der Versetzungsquelle und dem ersten

Versetzungshindernis. Unter der Spannung einer passierenden

Zwillingsfront kann die Versetzung dieses Hindernis überwinden und

weitere Strecken zurücklegen. Die totale Laufweite einer Versetzung ist der

Weg, den sie bis zum Versagen des Materials zurücklegt. Sie kann ein

Vielfaches der freien Weglange sein.

Die Gesamtdehnung einer Versuchsprobe ergibt sich aus dem

Produkt von der Versetzungsdichte, von der Versetzungslaufweite und

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vom Burgersvektor. Das Wechselspiel von Zwillingsbildung und Gleitung

ermöglicht einerseits grosse Laufweiten und andererseits das Erzeugen

einer Vielzahl von Versetzungen aus derselben Versetzungsquelle. Somit

sind die Voraussetzungen für eine hohe Dehnung - also gute Duktilität -

gegeben.

b) Festigkeit

Die Festigkeit wird durch die Hindernisdichte und Hindernisstabilität

oder -Wirksamkeit bestimmt Bevor die Zwillingsbildung einsetzt, sind die

Gleitbandschnittlinien die wesentlichen Hindernisse. Mit dem Einsetzen

der Zwillingsbildung nimmt die Wirksamkeit der Gleitbandschnittlinie ab,

es entstehen aber mit den Zwillingslamellen neue Hindernisse für die

Bewegung sowohl der Versetzungen wie auch der Zwillingsfront. Der

Beitrag der Gleitung zur Festigkeit ist durch die abnehmende freie

Weglänge bestimmt, die dem mittleren Abstand zwischen benachbarten

Zwillingslamellen entspricht. Der Beitrag der Zwillingsbildung zur

Festigkeit nimmt mit abnehmender Zwillingsdicke zu (Kapitel 6).

c) Zähigkeit

Die Zähigkeit eines Materials hängt u.a. davon ab, ob lokale

Spannungsspitzen, bevor sie zur Rissbildung führen, abgebaut werden oder

nicht. Die Bildung von Zwillingen bedeutet, dass den Spannungen an

Gleitbandschnittlinien eine obere Grenze gegeben ist und zwar xci

respektive xC2- Somit gibt die Möglichkeit der Zwillingsbildung Sicherheit

vor Sprödbruch, solange ausschliesslich Gleirung die Verformung trägt.

Mit Einsetzen der Zwillingsbildung werden aber neue Spannungen

eingebracht, nämlich das Spannungsfeld der Zwillingsfront. In Kapitel 7

wird gezeigt, dass die Zugspannung einer Zwillingsfront Sprödbruchauslösen kann, sofern die Versetzungsdichte klein ist.

5.6.2 Ruckartiges Fliessen in Einkristallen

Die Zwillingsbildung ist ein strikt mit dem Kristallgitter verbundener

Verformungsmechanismus. Somit sind Korngrenzen wirkungsvolle

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Hindernisse für die Bewegung einer Zwillingsfront, da hier die Kristall¬

orientierung ändert. Durch das Fehlen von Korngrenzen in Einkristallen ist

es möglich, dass sich Zwillingslamellen und ganze Zwillingslawinen(Abschnitt 5.4) zu Beginn der Zwillingsbildung ungehindert durch den

ganzen Kristall bewegen. Da die erste Zwillingslamelle die grösste

Spannung zu ihrer Aktivierung benötigt, ist mit Einsetzen der Zwillings¬

bildung ein Spannungsabfall zu erwarten. Nachdem die Zwillingslawinedie Probe durchlaufen hat, nimmt die Spannung wieder rasch zu, bis die

nächste Zwillingslawine ausgelöst wird. Dies führt zu einem ruckartigenFliessferhalten, das so lange anhält, bis das ganze Probenvolumen so stark

verzwillingt ist, dass keine weitere Zwillingslawine die ganze Probe

durchlaufen kann. Dieses ruckartige Fliessverhalten wurde z.B. an Kupfer¬einkristallen beobachtet [Blew 57].

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41

6. WECHSELWIRKUNG EINER ZWILLINGSFRONT MIT

EINER ZWILLINGSLAMELLE

6.1 Einleitung

Zu Beginn der Zwillingsbildung bremsen die Spannungen an den

Gleitbandschnittlinien die Bewegung einer Zwillingsfront; und weitere

wirksame Hindernisse sind die Korngrenzen. Mit fortschreitender

Verformung werden Zwillinge verschiedener Systeme aktiviert, so dass die

neu gebildeten Zwillingslamellen zusätzliche Hindernisse für die

Fortbewegung der Zwillingsfront sind.

Im vorliegenden Kapitel wird ein Mechanismus vorgeschlagen, wie

eine Zwillingsfront eine Zwillingslamelle durchquert [Müll 94e]. Der

Mechanismus steht im Einklang mit experimentell beobachteten

Zwillingsschnittstellen. Aufbauend auf diesem Mechanismus wird der

Beitrag des Schneidens von Zwillingen zur Verfestigung abgeschätzt.

6.2 Experimentell beobachtete ZwillingskreuzsteUen

Im folgenden werden zwei Beispiele von Zwillingskreuzstellen

besprochen. Sie unterscheiden sich dadurch, dass in Beispiel 1 die

kreuzende Zwillingsfront perfekt ist, wogegen sie in Beispiel 2 nicht perfekt

ist.

6.2.1 Beispiel A: perfekte Zwillingsfront

Bild 6-la zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die

Hindernislamelle um das Zwillings-Scherverhältnis sz (definiert in Tabelle

6+1) entlang der schneidenden Zwillingslamelle abgeschert wurde. Die

schneidende Zwillingslamelle ist perfekt, d.h. sie enthält keine Zwillinge

zweiter Ordnung. Bild 6-lb zeigt das entsprechende Beugungsbild. Die

Einstrahlrichtung entspricht der gemeinsamen [101] Richtung aller

einbezogenen Kristalle. Die Bilder 6-lc und 6-ld zeigen die mit den Reflexen

(020)sL bzw. (020)hl aufgenommenen Dunkelfeld Bilder (die Indizes sL und

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Bild 6 la Zwillingsschnittstelle mit einer schneidenden Lamelle ohne

Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl 5 TEM HF B=[101])

Bild6-lb Beugungsbild zu Bild 6-la B=[101]

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200 r.:n

Bild 6-lc: Dunkelfeldaufnahme mit (020)sl-

Bild 6-ld: Dunkelfeldaufnahme mit (020)hl-

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J^T

•*'Lvfa '•-*.-•»,..

*/A*

300 nm

Bild 6-2a: Zwillingsschnittstelle mit einer schneidenden Lamelle mit

Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl 5, TEM, HF, B=[1011)

020HL

m.^m^ |

020sL 020«

Bild 6-2b: Beugungsbild zu Büd 6-2a, B=[101].

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Bild 6-2c Dunkelfeldaufnahme mit (020)sp (SP für Schnittprisma) das

Schnittprisma hat nicht dieselbe Orientierung wie die schneidende

Lamelle, B=[101]

HL stehen dabei für schneidende Lamelle und Hindernislamelle) Das

Volumen im Schnittprisma - die Zwillingsschnittstelle hat die Form eines

rhombischen Prismas - hat dieselbe Orientierung wie die schneidende

Zwillingslamelle

6 2 2 Beispiel B nicht perfekte schneidende Zwillingsfront

Bild 6-2a zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die

Hindernislamelle um das Scherverhaltnis s' entlang der schneidenden

Zwillingslamelle abgeschert wurde Die schneidende Zwillingslamelle ist

nicht perfekt, d h sie enthalt Zwilhnge zweiter Ordnung vom Typ A, und

s ist kleiner als sz Die Verteilung der Zwillinge zweiter Ordnung innerhalb

der kreuzenden Zwillmgslamelle ist verschieden auf beiden Seiten des

Schnittprismas, ihr Volumenanteil x ist aber gleich, wie die Konstanz von

s zeigt Bild 6-2b zeigt das entsprechende Beugungsbild Die

Emstrahlnchtung entspricht der gemeinsamen [101]-Richtung aller

einbezogenen Kristalle Zusätzlich zu den Reflexen der Situation in Beispiel

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A erscheinen hier Reflexe eines weiteren Kristalls mit derselben

gemeinsamen [101] Richtung. Das Muster dieser Reflexe ist bezüglich des

Beugungsmusters der schneidenden Zwillingslamelle um den Winkel 7

rotiert und stammt vom Volumen des Schnittprismas, wie das Dunkelfeld

Bild 6-2c zeigt.

In diesem Beispiel sind s"=0.42±0.02 und y=16°±1°.

In beiden Situationen ist das Schnittprisma breiter als die

schneidende Zwillingslamelle. Zudem ist die schneidende Zwillingslamelle

entlang dem Schnittprisma leicht verschoben.

6.3 Mechanismus: Zwillingsfront durchquert eine Zwillingslamelle

6.3.1 Allgemeiner Mechanismus

Ein Zwilling bewegt sich typischerweise mit dem Dipolbewegungs¬

mechanismus A (Anhang Al.3.3). Dieser Mechanismus ist aber nur

möglich, wenn eine Gleitebene vorhanden ist, welche die Richtungen

sowohl der Disklinationsachsen wie auch der Dipolbewegung enthält. Da

dies in der Hindernislamelle nicht der Fall ist, ist die Bewegung des

Zwillingsdipols innerhalb der Hindernislamelle nur über den

Mechanismus B möglich. Eine Zwillingsfront kann also eine

Hindernislamelle als Disklinationsdipol nur durchqueren, wenn ihr

Bewegungsmechanismus innerhalb der Hindernislamelle vom

Mechanismus A auf den Mechanismus B und anschliessend wieder zurück

auf A wechselt (Bild 6-3).

Der Mechanismus A trägt die Zwillingsscherung Sa (Sa und die

folgenden Transformationen sind in Tabelle 6+1 zusammengefasst), die im

Raum identisch ist der Rotation Ra- Der Mechanismus B rotiert das

Schnittprisma um Rb. Die Hindernislamelle ist bezüglich der Matrix rotiert

um Rhl- Die Orientierungsbeziehung Rsp zwischen Matrix und

Schnittprisma entspricht somit der Überlagerung von Rhl und Rb- Rsp ist

im Raum identisch mit Ra (vgl. Bemerkungen in Tabelle 6+1). Der

Mechanismus B kann nicht einfach eine Rotation sein, da dies die

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[111]M

AHL\JJ

Jsp /* l

V VBild 6-3: Dipolbewegungsmechanis-

muswechsel von Mechanismus A <a)

zu B(b) und zurüch zu A(c) während

des Schneidprozesses.

Bild 6-4: Transformationen des

Schneidprozesses: Die Rotation Rb

dreht das Schnittprisma von der

ursprünglichen Orientierung (a) in

die Orientierung der schneidenden

Lamelle (b); die Pseudoscherung Sß

sorgt dafür, dass die Randbedin¬

gungen nicht verletzt werden (c).

Randbedingungen des Schnittprismas verletzen würde, die eine Rotation

der "Gleitebenen" der Disklinarionsachsen ausschliessen [Das 73]. Um diese

Ebenen bestehen zu lassen, muss der Rotation Rb eine Pseudoscherung Sb

überlagert werden.

Um diese beiden Bewegungen zu veranschaulichen, soll die

Situation von Bild 6-3a betrachtet werden, wobei zunächst in Gedanken die

rechte Hälfte des Kristalls entfernt sein soll. Von der Hindemislamelle soll

nur derjenige Teil vorhanden sein, der später zum Schnittprisma

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Trans Transf.-Elemente S Beziehungen, Bemerkungen

Sa sz,[l2l],(lll) 3 sz=b2/dm=V2/2

Ra -y,[lOl] 3 \|/ = (7t-u)z)/2 = 70.53°

Rb <äz,[ldi] 9 (Oz = 2arctan(bz / 2dm) = 38.94° (A2*l)

Rhl ¥,[lOi] 3 rhl=_ra

Rsp coz + \|/,[lOl] 3 RSP=RBoRHL/ (oz+\)r = it-\|/ =» Rsp=Ra

Sb sz,[l2l]sL,(üi)sL 1 [i2i]sLSy3[525]M, (iii)sLSy3(i5i)M

Tabelle 6+1: Transformationen des Schneidprozesses

transformiert wird (Bild 6-4a). Wenn nun die schneidende Zwillingslamelle

die virtuelle Kristalloberfläche erreicht, wird das Volumen des späteren

Schnittprismas um Rb rotiert (Bild 6-4b). Die obere und die untere

Grenzfläche des Schnittprismas werden innerhalb ihrer Ebenen bleiben,

wenn das Schnittprisma auf (151)m um -sz entlang [525]m geschert wird.

Dies ist genau Sb (Bild 6-4c). Sb kann durch gewöhnliche - d.h. vollständige- Versetzungen bj und b_2 getragen werden, so dass die Kristallorientierungnicht ändert (deshalb heisst sie "Pseudo"-Scherung):

b,..il4,,]M,I[li0]>L

b2-![]M,![oi,L,

_|b1-rb2|_ 3 6*lc

SB~ndm ~^3n

wobei sb das Scherverhältnis der Pseudoscherung ist. Da sb gleich sz sein

muss, ist n=3, d.h. auf je einem Drittel der (lll)sp Ebenen bewegen sich

Versetzungen bj, auf einem Drittel bewegen sich Versetzungen b_2 und ein

Drittel der Ebenen trägt nicht zur Scherung bei.

Da die horizontalen Grenzen des Schnittprismas in Wirklichkeit

ständig innerhalb derselben Ebenen bleiben, wird die Pseudoscherung

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symmetrisch getragen, d.h. durch Paare entgegengesetzter Versetzungen.Dies entspricht genau dem Dipolbewegungsmechanismus B.

6.3.2 Die Hindernislamelle enthält Typ-B-foyillinge zweiter Ordnung

Zwillinge zweiter Ordnung vom Typ B in der Hindernislamelle sind

Hindernisse für die Versetzungen der Pseudoscherung. Deshalb müssen die

Typ-B-Zwillinge zu den Grenzen des Schnittprismas zurückweichen (Bild 6-

5a,b). Die Konfiguration der Typ-B-Zwillinge in Bild 6-5b ist identisch mit

der Überlagerung der Bilder 6-5a und 6-5c, wo die zurückweichenden Typ-B-

Zwillinge durch expandierende virtuelle Zwillinge, d.h. durch

Disklinationsdipole mit entgegengesetzen Vorzeichen, dargestellt sind.

Somit kann das Spannungsfeld der zurückweichenden Dipole

näherungsweise durch das eines Quadrupols wiedergegeben werden (Bild 6-

5d). Dieser Quadrupol hat die Disklinationsstärke cd":

4z

6*2

Bild 6-5: Schneidmechanismus bei einer Hindernislamelle mit Zwillingenzweiter Ordnung: a) Situation vor dem Schneiden; b) Situation nach dem

Schneiden ; c) Konfiguration der virtuellen Zwillinge, die das

Zurückweichen der Zwillinge zweiter Ordnung beschreibt; d)

Diskttnationsquadrupol entsprechend Bild c).

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6.3.3 Die Zwillingsfront ist nicht perfekt

Ist eine Zwillingsfront nicht perfekt, so ist die von ihr getragene

Scherung s" kleiner als sz. Somit muss das Schnittprisma um den Winkel Y

rotieren:

co, ' • > 6*3

Y^-^+arctan s.„ sz\

Entsprechend dem allgemeinen Mechanismus muss der Rotation y eine

Scherung -s" überlagert werden, die durch vollständige Versetzungen

getragen werden kann und die die Kristallorientierung nicht ändert. Dann

ist die Orientierungsbeziehung zwischen Kreuzungsprisma und Matrix

gegeben durch y=coz-Y:

coz f '^ 6*4

Y = —- - arctanK)

6.4 Festigkeitsbeitrag der Zwillingsschnittstellen

Der Beitrag des Schneidens von Zwillingen zur Festigkeit az kann

über die Arbeit berechnet werden, die eine Zwillingsfront leistet, wenn sie

von einem Ort im Kristall zum nächsten gleichwertigen Ort vorrückt. Zur

Abschätzung von az wird ein dem Gleitbandmodell von Kapitel 2 analoges

Zwillingsmodell verwendet (Bild 6-6): Die Zwillinge bilden ein

regelmässiges orthogonales Gitter, die Zwillingsdicke 2a bleibt während der

Verformung konstant und der Abstand Lz zwischen zwei benachbarten

Zwillingen nimmt mit zunehmender Dehnung kontinuierlich ab.

Die Arbeit W ist:

W = iBLz B = V2a6*5

wobei B die Summe aller Burgersvektoren in der Zwillingsfront ist. Die

Dehnung e^ die der aktuellen Zwillingsstruktur (Bild 6-6) entspricht, ist

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Bild 6-6: Modell der Zwillingsstruktur: orthogonale Zwillingslamellen mit

konstantem Abstand Lz und konstanter Zwillingsdicke 2a.

t,=a.V2a 6*6

wobei az=l ein Geometrieparameter ist. Die geleistete Arbeit muss

mindestens so gross sein wie die Energie Ey der Kristalldefekte, die durch

die Bewegung der Zwillingsfront eingebracht wurden. Mit den Gleichungen

6*5 und 6*6 ist oz gegeben:

0,=Qz Ek£z

2ccz a2

6*7

Dabei ist 8Z der Taylorfaktor für die Zwillingsbildung [Chin 75].

Wenn die Zwillingsfront die Strecke LZ zurücklegt, werden zwei

Kristalldefekte eingebracht: die kohärenten Zwillingsgrenzen und die

Zwillingsschnittstelle. Die Energie der Zwülingsgrenzen, Es, ist

E^ = 2(LZ -2a)yZ3 -2LzYs3 =2^az^6*8a

Y23 ist die Energie der kohärenten 23-Grenze. Die Energie der

Zwillingsschnittstelle setzt sich aus drei Beiträgen zusammen: erstens aus

der Energie Ej;9 der £9-Grenzen zwischen dem Schnittsprisma und der

Hindernislamelle, zweitens aus der Energie E" des Quadrupols gemäss

Punkt 6.3.2, und drittens aus der Energie Ev der Versetzungen, die für den

Dipolbewegungsmechanismus B benötigt werden.

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t— 0TÖD

Ez9 = 3V2aYj;9

E"=41n[|]Da20)"2 = lng]Dcola2x"26*8c

YZ9 ist die Energie der X9-Grenze, und p ist die Dichte der beweglichen

Versetzungen. Mit den Gleichungen 6*7 und 6*8 wird oz:

6.5 Diskussion

6.5.1 Mechanismus

Der in Abschnitt 6.3 vorgeschlagene Mechanismus sagt die im

Experiment gefundenen Orientierungsbeziehung zwischen Matrix und

Schnittsprisma korrekt voraus. Die in Beispiel B gemessenen Werte für y

und s" erfüllen die Gleichung 6*4 innerhalb der zu erwartenden Messfehler

gut. Die Abweichungen der Morphologie des Schnittsprismas von der

vorausgesagten Konfiguration sind erklärbar als Folge von

Relaxationsprozessen:

Die in Abschnitt 6.3 beschriebene Versetzungs- und

Disklinationskonfiguration des Schnittprismas ist nicht stabil, d.h. es ist

eine hochenergetische Konfiguration. Solche Strukturen haben immer die

Tendez zu relaxieren. Die Energie des Schnittprisma besteht aus den drei

Beiträgen Ej9, E" und Ev, die alle ein bestimmtes Relaxationspotentialbeinhalten:

I: Die während des Schnittprozesses gebildeten 29-Grenzen sind aus

zwei Gründen energetisch ungünstig: Erstens ist die gebildete

asymmetrische {lll)i/{115}2 Grenze unstabil und tendiert, während des

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Glühens in die symmetrische [114)i/{114}2 Position zu drehen, oder in zwei

Zwillingsgrenzen aufzuspalten [Clar 80, Maur 87, Merk 92]. Zweitens sind

mit den £9-Grenzen Zwillinge zweiter Ordnung verbunden, also

Disklinationsdipole, die mit den Grenzen unter Wechselwirkung stehen.

II: Die Energie eines Disklinationsquadrupols mit

parallelogrammförmigem Querschnitt ist in Abhängigkeit des

Parallelogrammwinkels in Gleichung A2*7 gegeben. Die Funktion E'W^)weist ein Minimum in Form einer scharfen Spitze an der Stelle 9=jc/2 auf.

Es gibt somit wieder zwei Möglichkeiten der Relaxation: Erstens können

sich die Disklinationsachsen so bewegen, dass sich der Querschnitt des

Schnittprismas einem Rechteck annähert. Zweitens kann der Quadrupolsolche Versetzungen aufnehmen, welche die Disklinationsstärke co"

vermindern.

III: A) Die energetisch vorteilhafteste Konfiguration der in den

Bewegungsmechanismus B involvierten Versetzungen ist eine

symmetrische Versetzungswand. Die Konfiguration, wie sie der

Mechanismus B hinterlässt, ist eine asymmetrische Wand, d.h. die 19-

Grenze ist gegenüber der symmetrischen Versetzungswand um 19.47°

abgeneigt. B) Die Versetzungen können mit ursprünglichen Versetzungenund den Disklinationsdipolen reagieren.

Die Relaxationsprozesse I, H und IHA treiben das Schnittprisma an,

seine Form in Richtung eines Rechtecks zu verändern. Dabei wird die

schneidende Zwillingslamelle auf einer Seite des Schnittprismas bezüglichder anderen Seite in der beobachteten Richtung verschoben (Bild 6-la).

Werden Versetzungen in den Quadrupol aufgenommen, so entstehen

zusätzliche Kleinwinkelkorngrenzen zwischen der schneidenden

Zwillingslamelle und dem Schnittprisma (Bilder 6-la,c). Relaxation mit

anderen Defekten kann die Grenzflächen des Schnittprismas verändern

(z.B. kann das Schnittprisma verbreitert werden).

6.5.2 Festigkeitsbeitrag

Der von der Dehnung unabhängige Beitrag der kohärenten

Zwillingsgrenzen ist immer klein verglichen mit den übrigen Beiträgen

und kann somit vernachlässigt werden. Es bleiben zwei von der

Zwillingsdicke reziprok abhängige Tenne und zwei Terme, die nicht von

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der Zwillingsdicke abhängen. Mit G=80 GPa, v=0.28, D=17.7 GPa und YE9=0.5

J/m2 können folgende Fälle unterschieden werden:

Fall A.¬

Dünne und mittlere Zwillinge (a<50 nm), Versetzungsdichte nicht

sehr gross (p£1012 cm-2): nur die von a abhängigen Komponenten sind

bedeutend:

6Z fGan. „ rr. ^ ez

6*10a

kiit^yt

Fall B.¬

Dicke Zwillinge (a>50nm): der Beitrag des Quadrupols wird wichtig,falls x" genügend gross ist (x">0.1). Falls zudem die Versetzungsdichte gross

ist, ist die Energie des Quadrupols der einzige bedeutende Beitrag zur

Festigkeit:

£Hi>v,, , „, , ,

6*10boz =

-^-ln[- |Dco|x"zez

Fall C:

Hohe Versetzungsdichte und kleines x": der einzige bedeutende

Beitrag ist derjenige der 29-Grenzen:

a.38zYs9ez 6*10c

V2aza

Aus Gleichung 6*8d folgt, dass die Versetzungsdichte pc, oberhalb der der

Beitrag der Versetzungen unwichtig wird, gegeben ist durch:

V2_ J_ 6*11

a anaPc =

V3a7

=~

In Tabelle 6+2 sind drei typische Situationen einander

gegenübergestellt. Es zeigt sich eindeutig, dass im Fall A, d.h. bei dünnen

Zwillingen, der Beitrag der Zwillingsschnittstellen zur Festigkeit am

grössten ist. Die ZwUlingsdicke hängt massgebend von der Dehnung Ccz ab,

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bei der die Zwillingsbildung einsetzt. Insbesondere werden dünne Zwillingebei kleinem ecz gebildet. Eine tiefe Stapelfehlerenergie und hohe

Reibungsspannung sind Faktoren, die zu kleinem ecz führen (Kapitel 3).

Somit steigern Massnahmen, die die Stapelfehlerenergie senken und die

Reibungsspannung erhöhen (z.B. tiefe Temperatur und/oder viel gelöster

Stickstoff), den Festigkeitsbeitrag des Schneidens von Zwillingen (Kapitel 7

und 8).

a X" P Gapl

V3ita3V2yi9-

a mgJDcoix"2 Ga|pSic

doz 2az

dez 0Z

Fall

nm % cm-2 lO^Nm-2

5 <30 £10" 530 210 <100 >-37 740 A

200 20 10« 13 5.3 45 -37 50 B

50 <5 IQ" 53 21 <2.8 -370 21 C

Tabelle 6+2: Typische a/x"/p-Situationen (Bilder 5-3 bis 5-7)

Beispiel A ergibt einen Wert für den Verfestigungskoeffizient, der gut

mit experimentell gefundenen Werten übereinstimmt (z.B. Stahl ld,

Anhang A3). Unter Bedingungen, die dicke Zwillinge ergeben, ist der

Verfestigungskoeffizient zwar kleiner als in Situationen entsprechend A, er

ist aber deutlich grösser als der vom Schneiden von ZwUlingen erwartete

Wert (Situationen B und C). Demzufolge bestimmt das Schneiden von

Zwillingen bei dünnen Zwillingen massgebend das Verfestigungsverhaltenund der Verfestigungskoefnzient nimmt mit abnehmender ZwUlingsdickezu (Gleichung 6*10a). Bei der Bildung von dicken ZwiUingen dagegen ist

der Beitrag des Schneidens von ZwUlingen zur Verfestigung von unterge¬

ordneter Bedeutung, andere Mechanismen (z.B. die Wechselwirkung von

Versetzungen) dominieren das Verfestigungsverhalten.

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7. SPRÖDBRUCH DURCH ZWILLINGSBILDUNG

7.1 Einleitung

Kubisch flächenzentrierte Metalle und Legierungen brechen

typischerweise zäh, auch bei sehr tiefer Temperatur. Ausnahmen bilden z.B.

austenitische Stähle, die mit Mangan und hoch mit Stickstoff legiert sind.

Diese Stähle weisen einen Übergang von zähem zu sprödem Bruch auf,

wenn die Übergangstemperatur Tu unterschritten wird [Defi 69, Tobl 88,

Tomo 90, Uggo 92, You 89].

Im vorliegenden Kapitel wird ein Mechanismus der Rissbildung

vorgestellt, der zum Versagen durch Sprödbruch führen kann. Das Modell

beruht auf der Entwicklung der Mikrostruktur, insbesonders auf den hohen

inneren Spannungen, die durch blockierte Verformungszwillinge entste¬

hen.

7.2 Zwillingsbildnng und Bedingungen für zähes und sprödes Bruch-

verhalten

Damit ein wesentlicher Teil der Verformung durch die

Zwillingsbüdung getragen werden kann, muss sich eine Zwillingsfront über

weite Strecken bewegen können. Dies bedeutet, dass Zwillingslamellenzwar wirksame Hindernisse für sich bewegende Zwillingsfronten sein

können; sie dürfen aber nicht unüberwindbar sein.

Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, dass Zwillingslamellen

zugleich wirksame und überwindbare Hindemisse für eine sich bewegende

Zwillingsfront sind, sofern vollständige, hinreichend bewegliche Verset¬

zungen - nämlich die in den Dipolbewegungsmechanismus B involvierten

Versetzungen - in genügender Anzahl in der Zwülingslamelle vorhanden

sind oder gebUdet werden können.

Somit ist eine Zwillingslamelle nur dann ein unüberwindbares

Hindernis, wenn

1. nicht genügend viele bewegliche Versetzungen vorhanden sind oder

gebUdet werden können

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oder wenn

2. die Versetzungen nicht genügend beweglich sind, d.h. die Reibungsspan¬

nung zu gross ist.

7.3 Bruchmodell

Es wird folgende vereinfachte Situation betrachtet: eine

Zwillingsfront in Form eines perfekten Disklinationsdipols stösst auf eine

Hindernislamelle (Bild 7-1). Die Zwillingsfront wird an der Grenze

Matrix/Hindernislamelle definitiv blockiert.

In der gegebenen Situation entstehen die stärksten inneren

Zugspannungen an der unteren Kante der Zwillingsfront. Mit GleichungA2*5 ist die Zugspannung in x-Richtung oXx entlang der Grenze der

Zwillingsfront gegeben durch

°xxLo=Dtomy-a

y+a7*1

Bild 7-1: Eine an einer Hindernislamel¬

le (HL) blockierte Zwillingsfront(sL).

Bild 7-2: Unter der Zugspannung o^ an

der unteren Kante der Zwillingsfrontwird ein Nanoriss (NR) gebildet, derzusätzliche Spannungen crrs verur¬

sacht Otot ist die Summe von Oxx und

Ors-

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Die Funktion o^] „ist in Büd 7-2 dargestellt. In der Nähe der unteren

Kante der Zwillingsfront übersteigt die Zugspannung die theoretische

Festigkeit, die ungefähr gleich D ist. Es kann deshalb angenommen werden,

dass sich an dieser Stelle ein sehr kleiner Riss - ein "Nano"-Riss - bilden

kann. Die Länge dieses Risses ist ungefähr gleich a. Unter der äusseren Last

entstehen an der Rissspitze Spannungsüberhöhungen [Vlad 76c]:

-y-*lL——

7*2rr

Dabei ist ors die Spannung an der Rissspitze, rr der Rissspitzenradius und k

ein numerischer Faktor zwischen 0.5 und 1, der den Schmidfaktor der

ZwUlingsfront und den Winkel zwischen der Zugachse und der Bruchebe¬

nennormalen berücksichtigt. In Bild 7-2 sind neben oXx auch ors und deren

Summe Otot=cfxx+cirs eingetragen.Es folgt direkt aus BUd 7-2, dass Sprödbruch immer dann eintritt,

wenn Ctot grösser als die theoretische Festigkeit ist. Somit ist die

Sprödbruchspannung oSb gegenben durch:

°sb = Vir, -n\ 7*3SD

[°tot,min=DJ

wobei c?t0t,min c*as Minimum von rjtot ist.

Die Beziehung zwischen aSD und a kann numerisch abgeleitet

werden; das Resultat ist

0-sb=Afel 7*4

Mit G=80 GPa, v=l/3, co=38.94° und k=0.7 wird A=6 GPa und n=l/2.

Cr« = kO".

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7.4 Diskussion

7.4.1 Versetzungsdichte

Im Abschnitt 7.2 wurde gezeigt, dass die Dichte freier Versetzungen

eine wesentliche Rolle in Bezug auf das Bruchverhalten innehält. Es soll

nun kurz erläutert werden, wie die Versetzungsdichte in das skizzierte

Modell eingeht und wie sie die kritische Sprödbruchspannung und das

Bruchverhalten beeinflusst.

Die Versetzungsdichte beeinflusst die kritische Sprödbruchspannungüber das Verhältnis rT/a (Gleichung 7*4), d.h. über den Zusammenhang

zwischen der Versetzungsdichte und der ZwiUingsdickte bzw. dem

Rissspitzenradius.

a) ZwUlingsdicke

Zwillinge entstehen aus Versetzungsreaktionen an

Gleitbandschnitrlinien (Kapitel 3.), wobei die ZwUlingsdicke proportional

zur Versetzungsdichte auf einer Gleitebene ist [Cohe 63, Fuji 75].

b) Rissspitzenradius

Der Rissspitzenradius nimmt zu, wenn Versetzungen unter dem

Spannungsfeld der blockierten ZwUlingsfront in die Rissspitze laufen. Da

die Rissebene eine {lll}-Typ-Ebene ist, schneiden drei Gleitebenen die

Rissebene, und der Rissspitzenradius ist proportional zu der

Versetzungsdichte auf drei Familien von Gleitebenen.

Aus a) und b) folgt, dass die Versetzungsdichte den Rissspitzenradiusstärker beeinflusst als die ZwiUingsdicke; das Verhältnis rr/a und die

kritische Sprödbruchspannung nehmen mit abnehmender

Versetzungsdichte ab.

In Kapitel 5 wird gezeigt, dass die Versetzungsdichte während der

Verformung im Bereich der Zwillingsbildung stetig abnimmt, was zu einer

Abnahme der kritischen Sprödbruchspannung führt. Da während der

Verformung die anzulegende Spannung durch die Verfestigung zunimmt,

ist ein Versagen durch Sprödbruch unvermeidlich, es sei denn, ein neuer

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60

1 ^z

ki^1Lx1^-^ 1

fcSB °^

» e

Bild 7-3: Verfestigungsverhalten bei

verschiedenen Mechanismen;

übersteigt die aktuelle Spannung die

Sprödbruchspannung ft>ei SB), tritt

Sprödbruch ein.

Bild 7-4: Bevor die Sprödbruchspannungerreicht ist, wechselt der Mechanis¬

mus von der Zwillingsbildung zur

Scherbandbildung, und der Werk¬

stoff bleibt zäh.

Verformungsmechanismus setzt ein, bevor die Sprödbruchspannung

erreicht ist. Ein neuer Mechanismus kann zum Beispiel die Scherband¬

bildung sein. Die zwei grundsätzlich verschiedenen Verhaltenweisen sind

in den Bildern 7-3 und 7-4 dargestellt. Sie zeigen schematisch das

Verfestigungsverhalten während den verschiedenen Stadien der

Verformung (G=Gleitung, Z=ZwUlingsbüdung, S=Scherbandbildung).

7.4.2 Einflussgrössen

Je früher die Zwillingsbildung einsetzt, umso kleiner ist die

Versetzungsdichte (Kapitel 3), und umso kleiner ist die Sprödbruch¬

spannung. Somit vermindert die Zunahme jedes Faktors *i (der Index i

steht für den Faktortyp), der die Zwillingsbildung erschwert, d.h. ihr

Einsetzen zu grösserer Dehnung verschiebt, die Tendenz zum Sprödbruch-verhalten. Solche Faktoren sind z.B. die Temperatur und die Stapelfehler¬

energie. Die Bilder 7-3 und 7-4 können verallgemeinert werden, indem für

<E>i eine dritte Achse benutzt wird (Bild 7-5). Der Grundriss dieses

Diagramms (Büd 7-6) zeigt das Bruchverhalten in Abhängigkeit von Oj:

unterhalb des kritischen Wertes <&jc (definiert in BUd 7-6) tritt Versagen

durch Sprödbruch auf.

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Bild 7-5: Verallgemeinerung der Bilder Bild 7-6: Grundnss von Bild 7-5

7-3 und 7-4 mit einer die Stapelfeh- Einfluss von <t>! auf die Verformungs-lerenergie oder die Reibungsspan- mechamsmen, unterhalb des kri-

nung beeinflussenden Grosse <&; tischen Wertes <t>lc bncht der Werk¬

stoff sprod.

7.4.3 Vergleich mit kontinuumsmechamschem Modell

Ein kontinuumsmechanischer Ansatz ergibt für die Sprödbruch¬

spannung folgenden Ausdruck [Müll 94c]:

°"sb,kont - afov~T~ 7*5

cth ist die theoretische Festigkeit, dQ der Netzebenenabstand der {111}-

Ebenen, Lr die Lange eines Keimrisses und p ein dimensionsloser Faktor,

der die totale plastische Arbeit bis zum Bruch enthält.

Die Gleichungen 7*4 und 7*5 stimmen überein, wenn die Grossen A, rr

bzw a den Grossen oth, pd0 bzw. Lr entsprechen. A und Oth sind immer von

derselben Grossenordnung. pdG entspricht rr, wenn p klein ist, d h. wenn

dem Bruch keine wesentliche plastische Verformung vorausgeht. Lr ist eine

charakteristische Fehlergrösse und ist identisch a, falls dem Bruch keine

bedeutende plastische Verformung vorausgeht Bei grosser plastischer

Verformung verlieren pd0 und Lr den Bezug zu einzelnen Struktur-

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elementen; p ist dann im wesentlichen die Defektdichte und drückt die

Wirkung der Versetzungsdichte auf die Risslänge und auf den Rissspitzen¬

radius aus: de. bzw. Lr sind kleiner als rr bzw. a.

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63

8. Die Plastizität stickstofflegierter

austenitischer stähle

8.1 Einleitung

In den vorangehenden Kapiteln wurden die in austenitischen

Stählen ablaufenden Verformungsmechanismen weitgehend allgemein

behandelt, so dass die Ergebnisse auch auf andere flächenzentrierte

Legierungssysteme und sinngemäss auch für andere Kristallsysteme

angewendet werden können.

Im vorliegenden Kapitel werden diese Ergebnisse genutzt, um

speziell die Plastizität austenitischer Stähle, insbesondere unter dem

Einfluss von hohen Stickstoffgehalten und in Abhängigkeit von der

Temperatur, zu erklären.

8.2 Mechanische Eigenschaften

Austenite sind in der Regel weich, duktil und zäh und weisen ein

grosses Kaltverfestigungspotential auf.

Fest gelöster Stickstoff verändert die Zähigkeit und die Duktilität

nicht; die Streckgrenze wird aber stark erhöht, und der Verfestigungs¬koeffizient nimmt zu. Auch der Hall-Petch-Koeffizient und die

Geschwindigkeitsabhängigkeit der Streckgrenze wachsen beide mit

zunehmendem Stickstoffgehalt [Spei 90, Uggo 91].

Die Temperatur beeinflusst die mechanischen Eigenschaftenstickstofffreier Stähle nur schwach. In hoch stickstofflegierten Varianten

hingegen nimmt die Streckgrenze mit abnehmender Temperatur stark zu,

und bei genügend hohem Stickstoffgehalt wird ein Übergang vom zähen

zum spröden Bruchverhalten beobachtet [Uggo 92a]. Die Übergangs¬

temperatur (Tu, Temperatur, unterhalb der Sprödbruch, bzw. oberhalb der

zäher Bruch eintritt) wird mit zunehmendem Stickstoff- und Mangangehalt

erhöht, bzw. durch Nickel vermindert [Uggo 92b].

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8.3 Verformungsstmktur

8.3.1 Allgemeine Strukturentwicklung

Stabile austenitische Stähle zeigen während der plastischen

Verformung drei Strukturelemente: aktive planare Gleitbänder zu Beginnder Verformung (Bilder 2-1, 2-2 und 8-1), Verformungszwillinge bei

fortgesetzer Verformung (Bilder 5-3, 5-5 und 8-2), und Scherbänder bei

äusserst grosser Verformung [Gavr 90a, Müll 93, Paul 94]. Das Einsetzen

eines neuen Mechanismus bedeuted nicht, dass der vorangehende abruptbeendet wird; vielmehr kooperieren die Mechanismen über weite

Dehnungsbereiche. Das Auslösen eines Verformungszwillings bewirkt, dass

lokal die Versetzungsdichte vermindert wird, vorher blockierte Versetzun¬

gen wieder bewegt werden können und vormals erschöpfte Versetzungs-

queUen erneut aktiviert werden (Kapitel 5).

Eine makroskopische Strukturinhomogenität wird bei axialsymme¬trischen Verformungsarten (Drahtzug, Rundhämmern) beobachtet. Diese

besteht darin, dass in Körnern mit einer <100>-Richtung parallel zur Draht¬

achse die Gleitung ausgeprägt wellig ist und selbst bei grosser Dehnungkeine ZwillingsbUdung eintritt, sondern Zellen entstehen (BUd 8-3).

8.3.2 Einfluss des Stickstoffs und der Temperatur

Die beschriebene Erscheinungsfolge der Strukturelemente ist

unabhängig vom Stickstoffgehalt und von der Temperatur (sofern diese

400°C nicht übersteigt); Morphologie und Wirkungsbereich der einzelnen

Mechanismen werden jedoch stark beeinflusst. Dabei hat eine Erhöhungdes Stickstoffgehalts tendenzieU denselben Einfluss wie eine Verminderungder Temperatur:

Mit zunehmendem Stickstoffgehalt und abnehmender Temperatur wird

(a) die Gleitung ausgeprägter planar,(b) die Gleitbanddichte leicht erhöht,

(c) das Einsetzen der Zwillingsbildung zu kleinerer Dehnung

verschoben,

(d) die mittlere ZwUlingsdicke kleiner,

(e) die ZwUlingsdichte grösser und

(f) der Einfluss der ZwilUngsbUdung stärker.

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Bild 8-la: Versetzungsstruktur von Stahl la, e=6% die Gleitbander sind nicht

sehr deutlich, TEM, HF, B=<111>)

Bild 8-lb: Versetzungsstruktur von Stahl ld (b), e=6% die Gleitbander sind

scharfer und der mittlere Gleitbandabstand ist kleiner als in Stahl la,

TEM, HF, B=<111>)

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66

Bild 8-2- Mikrostruktur von Stahl la 56% verformt bei Raumtemperatur

Verformungszwillinge und Versetzungen (TEM, HF)

Bild 8-3 Zellstruktur m Stahl 5, eine <100> Richtung des Kornes ist annähernd

parallel zur Zugnchtung (TEM, HF, B=<100>)

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i

JK* <m

'HL^in

RKi

200 nm

M**>

Bild 8-4a- Versetzungsstruktur von Stahl 2a bei 400°C die Gleitung ist

ausgesprochen wellig und zeigt stellenweise Zellbildung, TEM HF,

B«<111>

Bild 8-4b: Bei höheren Verformungstemperaturen können Zwillinge mit emer

Dicke von über 1 um auftreten, TEM, HF, Stahl 2a (T=400°C)

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Bild 8-5: Zwillingsstruktur m Stahl 2a, verformt bei -196°C die Zwillinge sind

sehr dünn (die mittlere Zwillingsdicke betragt einige nm) und die Verset¬

zungsdichte ist klem (TEM, HF, B=<111>)

Die Bilder 8-la und 8-lb zeigen die Effekte (a) und (b) unter dem

Einfluss veränderten Stickstoffgehalts (T=konstant=Raumtemperatur):

Einander gegenübergestellt sind die Versetzungsstrukturen von Stahl 316L

ohne Stickstoff (Stahl la, [N]<0.04%, Bild 8-la) und mit Stickstoff (Stahl Id,

[N]=0 53%, Bild 8-lb) bei einer Dehnung von 6% In Bild 8-la ist die

Planarität der aktiven Gleitbänder weniger deutlich, mehr Versetzungen

befinden sich zwischen den Gleitbändern, und die Gleitbander wirken

"zerfranst". Die Bilder 8-4a und 8-4b zeigen die Verformungsstruktur von

Stahl 2a bei erhöhter Temperatur (T=400°C)- die Versetzungsbewegung ist

deutlich wellig, d h Quergleiten ist leicht möglich und kann sogar zur

Zellbildung fuhren (Bild 8-4a), und die Verformungszwillinge sind grob

(die Zwillingsdicke kann leicht lp.m und mehr erreichen, Bild 8-4b). Die

hohe Versetzungsdichte zeigt zudem, dass die Zwillingsbildung erst spät

eingesetzt hat Demgegenüber sind die Zwillinge in einem bei -196°C

verformten Stahl 2a sehr dünn (die Zwillingsdicke betragt typischerweise

einige Nanometer) und die Versetzungsdichte ist sehr klein (Bild 8-5), was

zeigt, dass die Zwilhngsbildung sehr früh eingesetzt hat.

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8.4 Stapelfehlerenergie und Reibungsspanjmng

8.4.1 Stapelfehlerenergie

Die Stapelfehlerenergie von Stählen ohne Stickstoff liegt

typischerweise zwischen 20mJ/m2 und 80mJ/m2, wobei die Bandbreite der

Literaturwerte einerseits chemisch bedingt ist andererseits aber stark von

der angewandten Messmethodik abhängt [GaU 70, Kest 77, Lata 71, Leer 70,

Röny 77c, Sehr 74, Silc 66, Stol 80, Thom 69]. Mit zunehmendem

Stickstoffgehalt [Gavr 90b, Stol 80, Swann 63, Thoma 69] und abnehmender

Temperatur [Gall 70, Lata 71, Leer 70, R6my 77c] nimmt die

Stapelfehlerenergie deutlich ab: z. B. gibt Swann in seiner Arbeit für die

Stapelfehlerenergie eines Stahles mit 18% Cr und 18% Ni einen Wert von

20 mj/m2 und eine Abname der Stapelfehlerenergie um 2 mj/m2 bei

Zulegieren von 0.1% Stickstoff [Swann 63]. Extrapolation auf einen

Stickstoffgehalt von 0.5% (Zusammensetzung von Stahl ld) ergibt einen

Wert von 10 mj/m2 für die Stapelfehlerenergie. Dabei ist der absolute Wert

der Stapelfehlerenergie nicht so sehr bedeutend (verschiedene Messmetho¬

den ergeben für dasselbe Material sehr unterschiedliche Werte, wobei die

Abweichungen leicht einen Faktor 2 und mehr beinhalten können [Gall

70]). Viel wichtiger ist der qualitative Einfluss von Stickstoff: nach Swann

wird die Stapelfehlerenergie von Chrom-Nickel-Stählen durch Zulegieren

von 0.5% Stickstoff halbiert. Chrom-Mangan-Stähle, die an sich schon eine

kleine Stapelfehlerenergie haben [Retny 77d], können höher mit Stickstoff

legiert werden. Es ist somit anzunehmen, dass Chrom-Manganstähle eine

sehr kleine Stapelfehlerenergie haben.

Die Temperatur beeinflusst die Stapelfehlerenergie stark. Oberhalb

etwa 100°C bis 200°C nimmt die Stapelfehlerenergie mit zunehmender

Temperatur rasch zu und übersteigt 100mJ/m2 [Remy 77c].

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden keine direkten

Messungen der Stapelfehlerenergie durchgeführt. Folgende Beobachtungenstützen aber die Aussage, dass Stickstoff und abnehmende Temperatur die

Stapelfehlerenergie deutlich reduzieren:

1. Bei Raumtemperatur ist die Gleitung in Stahl mit viel Stickstoff deutlich

ausgeprägter planar als in Stahl mit sehr wenig Stickstoff (BUd 8-3).

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2. Die ZwillingsbUdung setzt tendenziell (d.h. gemittelt über die verschiede¬

nen Kornorientierungen) bei kleinerer Dehnung ein, wenn der Stahl höher

mit Stickstoff legiert ist. Dies äussert sich insbesondere im Auftreten von

Sprödbruch in stickstofflegierten Stählen.

3. Bei hoher Temperatur werden Versetzungszellstrukturen und dicke

Zwillinge gebildet (Bilder 8-4a und 8-4b), bei tiefer Temperatur sind die

Zwillinge sehr dünn (BUder 5-4 und 8-5).

4. Unter der Annahme, dass Stickstoff die Stapelfehlerenergie senkt, ergibtsich ein in sich konsistentes Bild der Plastizität austenitischer Stähle (Punkt

8.4.3 und Abschnitt 8.5).

8.4.2 Reibungsspannung

Die Reibungsspannung stickstofffreier Stähle ist klein, da einerseits

das Peierls-Potential im kubisch flächenzentrierten Gitter sehr klein ist

[Vladimirov 76d] und andererseits die haupsächlichen Legierungselemente

Cr, Ni und Mn als Substitutionsatome alle ungefähr den gleichen Atom¬

radius haben. Hingegen wird mit Stickstoff ein Einlagerungsmischkristall

gebUdet; die Stickstoffatome sitzen in den Oktaederlücken und verspannen

das Kristallgitter stark [Ledb 87]. Die Wechselwirkung zwischen den

Spannungsfeldem der Stickstoffatome und der Versetzungen führen zu

einem deutlichen Anstieg der inneren Reibung. Der so verursachte Misch¬

kristallhärtungsbeitrag ist ungefähr proportional der Wurzel des

Stickstoffgehaltes [Uggo 89]. Die Gleitung in einem derartig mischkristallge¬härteten Material ist ein deutlich thermisch aktivierter Prozess [Haas 79], so

dass die Reibungsspannung mit abnehmender Temperatur stark zunimmt.

8.4.3 Mikrostruktur

Klassiert man aUe kubisch flächenzentrierten Legierungen nach ihrer

Stapelfehlerenergie und ihrer Reibungsspannung, so kommen die

austenitischen Stähle je nach Stickstoffgehalt und Temperatur auf der

Diagonalen zwischen den Extremen hohe Stapelfehlerenergie/tiefe Rei

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71

YSF

Bild 8-6: Einfluss von Stickstoff und Temperatur auf die Stapelfehlerenergie(YST), die Reibungsspannung GJj), und auf die Verformungsstruktur.

bungsspannung und tiefe Stapelfehlerenergie/hohe Reibungsspannung zu

liegen (Bild 8-6). Mit abnehmender Temperatur und zunehmendem

Stickstoffgehalt verschiebt sich die Position eines Austenites gegen das

Extrem tiefe Stapelfehlerenergie/hohe Reibungsspannung.In den Kapiteln 2, 3 und 5 wurde gezeigt, dass mit abnehmender

Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungsspannung die Gleitung

ausgeprägter planar wird, das Einsetzen der Zwillingsbildung zu kleinerer

Dehnung verschoben wird, wodurch die ZwUlingsdicke abnimmt, die

ZwiUingsdichte zunimmt und die Versetzungsdichte bei Dehnungen

oberhalb der ZwülingsbUdungsdehnung kleiner wird.

In Abschnitt 2.2 wird erläutert, dass eine Abnahme der

Stapelfehlerenergie und eine Zunahme der Reibungsspannung entgegen¬

gesetzte Auswirkungen auf die Gleitbanddichte haben. Da die Gleitband¬

dichte leicht abnimmt, hat die Änderung der Stapelfehlerenergie mit

zunehmendem Stickstoffgehalt die stärkere Auswirkung als die Zunahme

der Reibungsspannung und/oder Stickstoff beeinflusst den Gleitcharakter

durch einen weiteren Mechanismus, z.B. die Bildung, wodurch die

Gleitung ausgeprägter planar wird [Gruj 93, 92, 89]. Die Unterstützung von

Nahordnungszuständen wirkt also in die gleiche Richtung wie die

Verminderung der Stapelfehlerenergie.

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72

Somit können die Änderungen der Strukturentwicklung während

der plastischen Verformung, die mit der Variation der Temperatur oder des

Stickstoffgehaltes beobachtet werden (Punkt 8.3.2), durch den Einfluss von

Temperatur und Stickstoffgehalt auf die Stapelfehlerenergie und die

Reibungsspannung und allenfalls durch das Nahordnungsverhalten

weitgehend erklärt werden.

8.5 Struktur und mechanische Eigenschaften

8.5.1 Verfestigungskoeffizient

a) vor Einsetzen der Zwillingsbildung

Vor Einsetzen der Zwillingsbildung wird das Verfestigungsverhalten

durch die Versetzungsvervielfachung und die Behinderung der

Versetzungen an Korngrenzen und Lomer-Cottrell-Barrieren bestimmt. Mit

zunehmendem Stickstoffgehalt (abnehmender Stapelfehlerenergie) wird

die Versetzungsvervielfachung erschwert und die Gleitbanddichte (damit

auch die Barrierendichte) erhöht, so dass der Verfestigungskoeffizientzunimmt (Abschnitt 2.2).

b) nach Einsetzen der Zwillingsbildung

Nach dem Einsetzen der Zwillingsbildung gewinnen

Zwillingslamellen mit zunehmender Dehnung an Bedeutung als

Hindernisse zunächst für die Versetzungsbewegung und dann auch für die

Bewegung von Zwillingsfronten. Die Behinderung beider Mechanismen

wird durch ein frühes Einsetzen der ZwUUngsbildung verstärkt, da damit

die Zwillingsdichte zunimmt und die Zwillingsdicke abnimmt. Für die

Behinderung der Versetzungsbewegung ist die Zunahme der

Zwillingsdichte entscheidend, für die Behinderung der Bewegung der

Zwillingsfront hingegen vor allem die Abnahme der Zwillingsdicke

(Kapitel 6).

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c) Ergebnis

Die mit einer Variation des Stickstoffgehaltes beobachteten Struktur¬

änderungen (Punkt 8.3.2) erklären die Zunahme des Verfestigungskoef¬fizienten.

8.5.2 Bruchverhalten

Das Einsetzen der Zwillingsbüdung wird sowohl mit zunehmendem

Stickstoffgehalt wie auch mit abnehmender Temperatur zu einer kleineren

Dehnung verschoben. Somit fördern Stickstoff und abnehmende

Temperatur die Tendenz zum Sprödbruchverhalten (Abschnitt 7.4). Die

BUder 8-7a und 8-7b zeigen das Diagramm von BUd 7-6 für G>i=7SF (ßüd 8-7a)

und <Bi=T (Bild 8-7b). In Bild 8-7a kann die Ordinate auch mit der

Konzentration eines Legierungselementes skaliert werden; die Richtungen

für das positive Vorzeichen der jeweiligen Skala ist für die Elemente

Nickel, Mangan und Stickstoff angegeben. Da eine Zunahme des Gehaltes

an Stickstoff oder Mangan tendenziell denselben Einfluss hat wie eine

Abnahme der Temperatur, wird der Wert von Tc (also die zäh/spröd-

Übergangstemperatur Tu) durch das Zulegieren von Stickstoff und Mangan

zu höheren Werten verschoben (und umgekehrt für Nickel).

Diese Tendenzen stimmen mit den experimentell gefundenen

Werten für Tu überein [Uggo 92b].

8.6 Zusammenfassung

Stickstoff in fester Lösung senkt die Stapelfehlerenergie und erhöht

die Reibungsspannung. Dadurch wird die Gleitung ausgeprägter planar und

die Variation der inneren Spannungen allgemein verschärft. Die

charakteristischen Distanzen der Versetzungsstruktur (Abstand zwischen

Gleitbändern, Zwillingsdicke, Abstand zwischen Zwillingslamellen) werden

kleiner und die Hindernisdichte wird erhöht. Dies führt zu einem erhöhten

Verfestigungskoeffizienten. Da auch eine verminderte Temperatur die

Stapelfehlerenergie senkt und die Reibungsspannung stickstofflegierter

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74

Stähle stark temperaturabhängig ist, kann die Kombination von hohem

Stickstoffgehalt und tiefer Temperatur Sprödbruch verursachen.

Die vorgeschlagenen Strukturmodelle und die daraus abgeleiteten

Verfestigungs- und Bruchmechanismen stimmen qualitativ und, soweit

quantitative Aussagen möglich sind, auch quantitativ in aUen betrachteten

Punkten mit der beobachteten Mikrostruktur und den gemessenen

mechanischen Eigenschaften überein.

+Mn TÜ(CN2)+N

TÜ(CN1>

Bild 8-7: Einfluss der Stapelfehlerenergie (a) und der Temperatur (b) auf den

Verformungsmechanismus (G: Gleitung, Z: Zwillingsbildung, S: Scherband¬

bildung) und das Bruchverhalten (SB: Sprödbruch). In a) ist der Einfluss

der Legierungselemente Nickel, Mangan und Stickstoff angegeben.

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9. SCHLUSSFOLGERUNGEN

9.1 Struklurausbildung

Stabil-austenitische Stähle haben typischerweise eine mittlere bis kleine

Stapelfehlerenergie. Dementsprechend bilden sie während der Verformungnicht Zellstrukturen aus, sondern die Gleitung ist deutlich planar. Dies führt an

Gleitbandschnittlinien zu Spitzen innerer Spannung, die durch die Bildung von

Verformungszwillingen relaxieren. In der relaxierten Struktur ist Gleitung

vollständiger Versetzungen erneut möglich, so dass Zwillingsbildung und

Gleitung kooperieren. Dabei nehmen mit zunehmender Dehnung die

Versetzungsdichte und die mittlere ZwUlingsdicke ab.

9.2 Strukturmodell

Zur Beurteilung des Zusammenhanges zwischen Verformungsstruktur

und Plastizität wird die Struktur auf einfache Weise modelliert. Der zentrale

TeU der Betrachtungsweise ist das Disklinationsmodell einer ZwUlingsfront,d.h. eine Zwillingsfront wird als Dipol partieUer Disklinationen behandelt. Es

wird gezeigt, dass das Disklinationsmodell das aktuelle Spannungsfeld einer

ZwUlingsfront gut beschreibt, d.h. der relative Fehler ist kleiner als 20 Prozent.

Mit Hilfe des DisklinationsmodeUs ist es möglich, einen Mechanismus

des Schneidens von Zwillingen zu beschreiben, der im Einklang steht mit

experimentell beobachteten Zwillingsschnittstellen. Weiters erlaubt das

Disklinationsmodell, ein Bruchmodell für das Versagen durch Sprödbruch zu

entwerfen. Dieses BruchmodeU sagt den zäh-spröd-Übergang und die dabei

auftretende Bruchspannung richtig voraus.

9.3 Plastizität

Die gute Duktilität austenitischer Stähle ist das Resultat des

Wechselspiels zwischen ZwülingsbUdung und Gleitung: Das Auslösen eines

Verformungszwillings bewirkt, erstens, dass die Versetzungsstruktur relaxiert,

so dass eine bereits blockierte Versetzungsquelle erneut aktiviert wird,

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zweitens, dass durch die Zwillingsversetzungen Teile der vollständigen

Versetzungen ein Vielfaches der Strecke von der Versetzungsquelle zur

Gleitbandschnittlinie zurücklegen, und drittens, dass Versetzungen die Lomer-

Cottrell-Barrieren überwinden können und somit ebenfalls ihre totale

Wegstrecke vervielfacht wird.

Der Verfestigungskoeffizient wird bei kleiner Dehnung durch die

Stabilität der Lomer-Cottrell-Barrieren und die Möglichkeit des Quergleitens

bestimmt. Bei grosser Dehnung, d.h. im Bereich der ZwülingsbUdung ist das

Schneiden von Zwillingen massgebend. Es zeigt sich, dass der

Verfestigungskoeffizient mit abnehmender ZwUlingsdicke wächst.

Versagen durch Sprödbruch kann auftreten, wenn die inneren

Spannungen einer blockierten ZwUlingsfront nicht durch andere Defekte

abgeschirmt werden können, so dass sie instabüe Nanorisse verursachen. Dies

ist der Fall, wenn die Versetzungsdichte sehr klein ist.

9.4 Stickstoff

Zulegieren von Stickstoff bewirkt eine Verminderung der

Stapelfehlerenergie und eine Erhöhung der Reibungsspannung. Dadurch wird

die Gleitung ausgeprägter planar und die Spannungsspitzen an

Gleitbandschnittlinien verschärfen sich. Der Beginn der ZwUUngsbildung wird

zu kleinerer Dehnung verschoben, wodurch die Versetzungsdichte bei

Einsetzen der ZwülingsbUdung und somit während des ganzen Bereiches der

Zwillingsbildung kleiner ist. Es werden somit dünnere Zwillinge gebUdet.Die verminderte Zwillingsdicke bewirkt eine Zunahme des

Verfestigungskoeffizienten. Wird die Versetzungsdichte zu klein, tritt

Sprödbruch ein. Da eine Zunahme des Stickstoffgehaltes tendenzieU dieselbe

Wirkung auf die Stapelfehlerenergie und die Reibungsspannung hat wie eine

Abnahme der Temperatur, verschiebt eine Erhöhung des Stickstoffgehaltes die

zäh-spröd-Übergangstemperatur zu grösseren Werten.

9.5 Ausblick

Die Argumentation ausgehend von den intrinsischen Eigenschaften

Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung über deren Einfluss auf die

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Mikrostruktur und die daraus resultierenden Eigenschaften ergibt ein in sich

konsistentes BUd der Plastizität stabü-austenitischer Stähle. Die verwendeten

ModeUe sind aber in allgemeiner Form erarbeitet und ihre Anwendungbeschränkt sich nicht nur auf diese Werkstoffgruppe. Vielmehr kann das

Konzept auf andere Materialien übertragen werden, deren Verformung sowohldurch Gleitung wie auch durch ZwülingsbUdung oder spannungsinduzierte

Martensitumwandlung getragen wird (z.B. Kupferlegierungen mit kleiner

Stapelfehlerenergie [Fran 93, Tran 93]).

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LITERATUR

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85

AI. VERSETZUNGENUND DISKLINATIONEN

A1.1 Einleitung

Im vorliegenden Anhangkapitel werden die für die Raum- und

Tieftemperaturplastizität austenitischer Stähle wesentlichen linearen

Gitterdefekte - Versetzungen und Disklinationen - mit ihren elastischen

Eigenschaften kurz beschrieben. Es ist nicht das Ziel, einen umfassenden

Überblick über diese Fehler zu geben, es soU lediglich Klarheit geschaffenwerden über die verwendeten Objekte und Begriffe.

A1.2 Versetzungen [z.B. Hirth 68]

Eine Versetzung ist ein eindimensionaler Gitterbaufehler mit einem

translatorischen Verschiebungsfeld. Sie ist durch die Versetzungslinie mit

dem Linienvektor 1 und dem Burgersvektor b_ vollständig bestimmt. Eine

Versetzung heisst Stufenversetzung, wenn b_ senkrecht zu 1 ist,

Schraubenversetzung, wenn b paraUel zu 1 ist, und gemischte Versetzung,

wenn b und 1 einen beliebigen von null und 90° verschiedenen Winkel

einschhessen. Gemischte Versetzungen werden auch nach dem von b und 1

eingeschlossenen Winkel bezeichnet. Entsprechend dem translatorischen

Verschiebungsfeld nehmen die Spannungen und Dehnungen mit

zunehmendem Abstand r von der Versetzungslinie ab und gehen für r

gegen unendlich gegen Null.

Eine Versetzung heisst vollständige Versetzung, wenn ihr

Burgersvektor ein Translationsvektor des Kristallgitters ist, und

Teilversetzung sonst. Im Fall der TeUversetzung ist die Versetzungsliniemit einem ebenen Fehler - einem Stapelfehler - verbunden.

Für die Beschreibung der Eigenschaften von Stufenversetzungenwird folgendes kartesische Koordinatensystem verwendet (Bild Al-1): die z-

Achse liegt entlang der Versetzungslinie, wobei die positive z-Richtung

dem positiven Liniensinn der Versetzung entspricht, die x-Achse ist

parallel zum Burgersvektor mit identischer positiver Richtung.

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y 1 1

I =§z

b = b • ex

0*

Bild Al-1: Definition des Koordinatensystems zur Beschreibung des Spannungs¬feldes einer Versetzung.

Al.2.1 Das Volterra-ModeU einer Versetzung

Im Volterra-Modell "entsteht" eine Versetzung, wenn ein Zylinder

entlang seines Mantels aufgeschnitten wird und die Schnittflächen

gegeneinander translatorisch verschoben werden, so dass sie zueinander

paraUel bleiben. Im Anschluss an die Bewegung wird der leere Raum

zwischen den Schnittflächen mit Material aufgefüllt respektive

überschüssiges Material entfernt. Der Translationsvektor der Bewegung

entspricht dem Burgersvektor, die Zylinderachse der Versetzungslinie. In

einem unendlichen isotropen Kontinuum hat die Stufenversetzung des

Volterra-Modells folgendes Spannungsfeld (Hirth 68f):

= -Dby3x2 + y2

Al*la

j^y = Dby2 2

x -y Al*lb

2_ 2

o-y^Dbxx y,(x2 + y2f

Al*lc

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o-zz « vfo« + 0yy) = -HJvbjr^-j-Al*ld

<*» = <*j*-°

Al*le

AI.2.2 Das Peierls-Nabarro-ModeU einer Versetzung

Im Peierls-Nabarro-Modell "entsteht" eine Versetzung, wenn zwei

halbunendliche identische und gleich orientierte Kristalle mit einer

anfänglichen Verschiebung in der x-Richtung t>° die gleich dem halben

Gittervektor ist, gemäss Bild Al-2a zusammengefügt werden. Die

a) yi

Bild Al-2: Konstruktion der Peierls-Nabarro-Versetzung; die um a0/2verschobenen halbunendlichen Kristalle (a); Einführung der Versetzungbei x=0,y=0 und der Verschiebungen U(x) (b).

Verschiebungen U(x), antisymmetrisch bezügUch der Ebene y=0, werden

nun auf die beiden HalbkristaUe aufgebracht (Bild Al-2b), so dass über die

Ebene y=0 perfekte Passung entsteht und die Versetzungslinie bei x=0, y=0

zu liegen kommt. Der Burgersvektor ist 2$°. Das Spannungsfeld dieser

Versetzung ist (Hirth 68g):

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oPN=-DbXX '

3y-2C 2y(y-Cfx2 + (y-^ (x2+(y-C)2f

Al*2a

o=Db. 2x2y

(x2 + (y-C)2) x2+(y-CrAl*2b

o = Db2xy(y-C)

!+(y-cr (x2+(y-C)2fAl*2c

- = v(axx+oyv) = -2Dvb-J^LAl*2d

oPN=oPN=0xz yz

Al*2e

wobei £=do/2(l-v), do ist der Gleitebenenabstand.

AI.2.3 Vergleich des Volterra- und des Peierls-Nabarro-Modells

Ein Vergleich der Gleichungen Al*la-e und Al*2a-e mittels des

Parameters Sij,

s-=-a-

°ij

Al*3

zeigt, dass die Spannungsfelder der beiden Versetzungsmodelle identisch

sind für grosse Entfernungen von der Versetzungslinie, d.h. wenn gilt

r = ^x +y )%. Der Parameter t, vermeidet die Singularität, die das

Volterra-ModeU am Ort der Versetzungsünie (r=0) aufweist.

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Die angegebenen Spannungsfelder sind Ergebnisse aus der linearen

Elastizität, d.h. die Gültigkeit des Hooke'schen Gesetzes, das im Bereich

kleiner Dehnungen zutrifft, wird angenommen. In der Nähe der

Versetzungslinie ist dies nicht der FaU: beim Volterra-Modell streben die

Dehnungen bei der Annäherung an die Versetzungslinie gegen unendlich,

beim Peierls-Nabarro-ModeU einer Shockley-Teilversetzung (b=l/6<112>,

kfz-Gitter) hat die Dehnung eXx an der SteUe x=0, y=0 ein Maximum von

0.15. An der SteU x=2b, y=0 ist exx=0.03.

Somit können um eine Versetzung herum sinnvollerweise drei

Bereiche definiert werden:

a) Versetzungskern

Der Versetzungskern ist der Bereich direkt an der VersetzungsUnie.Er kann als Zylinder mit dem Kernradius rk=2b beschrieben werden.

Innerhalb des Versetzungskerns ergibt die lineare Elastizität sowohl für das

Volterra- wie auch für das Peierls-Nabarro-Modell viel zu hohe

Spannungswerte und kann nicht mehr sinnvoll angewendet werden.

b) Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs

Der Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs schliesst sich direkt an den

Kern an. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die lineare Elastizität hier zwar

hinreichend genaue Resultate ergibt; die beiden Versetzungsmodelle

weichen aber zum Teil beträchtlich voneinander ab: Das Peierls-Nabarro-

ModeU führt in diesem Bereich zu besseren Werten, weil es in sich die

Kristallperiodizität enthält und keine Singularität aufweist. Eine obere

Grenze für den relativen Fehler der Spannungen kann durch den Vergleichder beiden ModeUe bestimmt werden:

AOjjOh

ix,y"x,y

Al*4

Der Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs ist nach aussen begrenzt durch den

Radius, rpn=5b+10b.

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90

c) Bereich des Volterra-ModeUs

In diesem Bereich ist der Unterschied der beiden VersetzungsmodeUe

vernachlässigbar klein; und das einfachere Volterra-Modell kann mit

hinreichender Genauigkeit angewendet werden. Dieser Bereich schliesst

sich an den Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs an.

A1.3 Disklinationen [z.B. Roma 92]

Al.3.1 Einzelne Disklinationen und sich gegenseitig abschirmende

Disklinationen

Eine Disklination ist, wie eine Versetzung, ein eindimensionaler

Gitterbaufehler, jedoch nicht mit einem translatorischen sondern mit

einem rotatorischen Verschiebungsfeld. Sie ist durch die Disklinationslinie

mit dem Liniensinn 1 und dem Frankvektor ja vollständig bestimmt. Eine

Disklination heisst Zwirndisklination, wenn ca. senkrecht zu 1 ist,

Keildisklination, wenn ja parallel zu 1 ist, und gemischte Disklination,

wenn ja und I einen beliebigen von null und 90" verschiedenen Winkel

einschliessen. Gemischte Disklinationen werden nach dem von ja und 1

eingeschlossenen Winkel bezeichnet, der Betrag, co, von ja heisst "Stärke"

der Disklination. Entsprechend dem rotatorischen Verschiebungsfeldnehmen die Spannungen und Dehnungen mit zunehmendem Abstand r

von der DiskUnationsUnie nicht ab und verschwinden nicht, wenn r gegen

unendlich geht.Eine Disklination heisst vollständige Disklination, wenn ihr

Frankvektor eine Symmetrieoperation des KristaUgitters beschreibt und

Teildisklination sonst. Im Fall der TeUdisklination ist die Disklinationslinie

mit einem ebenem Fehler - und zwar einer Korngrenze - verbunden.

Eine Disklination "entsteht", wenn ein Zylinder entlang seines

Mantels aufgeschnitten wird, und die Schnittflächen gegeneinanderverdreht werden. Im Anschluss an die Bewegung wird der leere Raum

zwischen den Schnittflächen mit Material aufgefüllt respektive

überschüssiges Material entfernt. Der Vektor, der die Rotationsbewegung

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91

definiert, entspricht dem Frankvektor, die Zylinderachse der

Disklinationslinie.

Einzelne Disklinationen sind für die Raum- und

Tieftemperaturplastizität unbedeutend, weil deren Energie diejenige von

Versetzungen um Grössenordnungen übertrifft. Anders verhält es sich mit

Gruppen von Disklinationen, die sich gegenseitig abschirmen, d.h. die

Frankvektoren summieren sich zum Nullvektor. Somit sind die

weitreichenden Spannungsfelder klein und verschwinden, wenn der

Abstand zum Schwerpunkt der Disklinationsgruppe gegen unendlich geht.Die Energie solcher Systeme kann verhältnismässig klein sein. Beispiele

sich abschirmender Disklinationsgruppen sind Dipole, Quadrupole,

Disklinationswände u.s.w.

Neben der Beschreibung von Zwillingen, wie sie in dieser Arbeit

angewendet wird, kann das Konzept der Disklinationen auch für diverse

andere Phenomene in kristallinen und amorphen Festkörpern angewendet

werden, z.B. Kinkbanddeformation in Kunststoffen und Faserverbund¬

stoffen [Pert 81], Spannungsfelder und Erholungsmechanismen

fünfzähliger Nanoteüchen [Grya 91], KorngrenzenmodeUe [Gert 89], und für

Verfestigungsverhalten kristalliner Werkstoffe [Roma 93, 92].

Al.3.2 Der Disklinationsdipol

Ein Disklinationsdipol besteht aus zwei bis auf das Vorzeichen

identischen, parallelen Disklinationen. Ein Keildisklinarionsdipol besteht

aus zwei Keildisklinationen; seine elastischen Eigenschaften sind

vollständig definiert durch den Abstand der Diskhnationslinien 2a und

dem Betrag des Frankvektors co. Für die Beschreibung der Eigenschaften

eines KeUdiskhnationsdipols wird folgendes kartesische Koordinatensystem

verwendet (Bild Al-3): die z-Achse liegt parallel den DisklinationsUnien,

wobei die positive z-Richtung dem positiven Liniensinn der Disklinationen

entspricht, die x- und die y-Achse werden so gewählt, dass die positiveDiskünation auf x=0, y=a und die negative Disklination auf x=0, y=-a zu

Uegen kommt. Das Spannungsfeld ist dann gegeben durch:

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ist.AbschneideradiusäusserederRwobei

Al*6Ed=Dü)2a2-(3+ln—~\

istDipolsdesEEnergieelastischeDie

Al*5e0=°yz=Oxz

Al*5d

a)'+xz+(y=Dcova,,

Al*5c

x2+(y-a)'af+(y+lx2 „22

a+y-I=D0)XOxy

Al*5b

Al*5a

a)2J+x2+(y(y-a)2+x2a)2+(y+x2[2yy

1x2,

x2x2+(y-a)2}l,n

a)2J+(y+x2(y-a)2+x2a)2+x2+(y[2x*1, v2x2+(y-a)2

Diskünationsdipoles.einesfeldes

Spannungs¬desBeschreibungzurKoordinatensystemsdesDefinitionAl-3:Bild

Oz

t

Hz

* e•(o=(ot+a=§zI

92

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93

Al.3.3 Bewegungsmechanismen des Disklinarionsdipols

Ein Dipol kann durch zwei verschiedene Versetzungsgruppen

gebildet werden, nämlich die Versetzungen bUden eine beidseits begrenzte

Versetzungswand (Dipol Typ A, Büd Al-4b), oder die Versetzungen bUden

zwei paraUele halbunendliche Wände mit entgegengesetzten Vorzeichen

(Dipol Typ B, Büd Al-4c). Den beiden Dipoltypen A und B entsprechen die

Bewegungsmechanismen A und B:

a)

-V

a)

Vd

-V

b) -L

_L

X

b)

JL

XXi

yd//yv

c) h h hr-h h

HHHHHH

c) h h h h h h.h

Y«,^yv

HHHHHH

-II

-H

Bild Al-4: a) Disklinationsdipol; b)

und c) zwei in Bezug auf die weit¬

reichenden Spannungen identische

Versetzungsanordnungen

Bild Al-5: a) Sich bewegenderDisklinationsdipol; b) und c) den

Versetzungsanordnungen AI-4b undAl-4c entsprechende Bewegungsme¬chanismen A und B.

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a) Mechanismus A (Bild Al-5b)

Die Versetzungen der Wand bewegen sich parallel zueinander. Die

Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit des Dipols entsprechen denjeni¬

gen der einzelnen Versetzungen.

b) Mechanismus B (Büd Al-5c)

Vor dem Dipol werden Paare engegengesetzter Versetzungen

gebildet, die sich nach aussen bewegen und die Versetzungswände

verlängern. Die Bewegungsrichtung des Dipols ist senkrecht zu der der

einzelnen Versetzungen.

Al.3.4 Der Disklinationsquadrupol

Ein Disklinationsquadrupol besteht aus vier identischen, parallelen

Disklinationen, wovon zwei ein positives und die anderen zwei ein

negatives Vorzeichen haben. Bild Al-6 zeigt einen Keildisklinations-

quadrupol, dessen Disklinationslinien ein Parallelogrammprisma

beschreiben. Die Energie E'W dieses Quadrupols ist gegeben durch:

El'P = Dco2

2 (a2+a2) -4a2a2cos2<pafln

4

2+&2

(a2+a2) -4a2a2cos2(pIni L +

af

+2aia2lni+a2+2aia2!COS(plal +a2-2a1a2|cos(p| Al*7

wobei 2ai und 2a2 die Seiten und 9 der spitze Winkel des Parallelogrammssind. Die Energie dieser Disklinationsgruppe ist nicht abhängig von einem

äusseren Abschneideradius. In den Gleichungen Al*8 sind die Energien

folgender Spezialfälle gegeben: a) rechteckiger Quadrupol, E^'Te, b)

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Bild Al-6: Disklinationsquadrupol aus vier bis auf das Vorzeichen identischen

Keildisklinationen.

rechteckiger Quadrupol mit a2»ai, j?Fe>a2>>ait c) quadratischer Quadrupol

(ai = a2 = a>, Eq,c', und d) rhombischer Quadrupol (ai = a2 = a>, EVh.

El're = 2Dco2-I a?ln^ai+ailn^±ai>af 4 )

Al*8a

El're'a2>>ai = 2Dco2a2 • f1+21n52-l - 4Dco2a2 • ln^ Ai*8bk al) al

E9'^=41n2Dco2a2

E** =4Dco2a2ln(2+2|cosq>|)

Al*8c

Al*8d

Al.3.5 Versetzungsgruppen und Disklinationsgruppen

Das Spannungsfeld einer Disklination kann durch Versetzungenbeschrieben werden und ebenso das Spannungsfeld einer Versetzung durch

Disklinationen. So kann z.B. eine Disklination als halbunendliche

Versetzungswand betrachtet werden.

Der Unterschied der beiden Betrachtungsweisen besteht darin, dass

im ModeU der halbunendUchen Versetzungswand eine Aussage über die

Lage und die diskrete Struktur der Grenzfläche gemacht wird, wogegen im

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FaU der Disklination die Grenzfläche als kontinuierUcher Fehler behandelt

wird und nicht lokalisiert wird. Somit unterscheiden sich die

Spannungsfelder nur in den Bereichen zwischen den Versetzungen und

unmittelbar in der Nachbarschaft der Versetzungswand.

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A2. VERFORMUNGSZWILLINGE

A2.1 PefinitiQTtm

Definition Zwillingslamelle:Die Zwillingslamelle ist die Gesamtheit der von den

ZwiUingsversetzungen begrenzten Stapelfehler ohne deren Versetzungen.

Definition Zwillingsfront:Die ZwUlingsfront ist die Gesamtheit der ZwUUngsversetzungen.

Definition Zwilling:Der Zwilling ist die Gesamtheit von Zwillingslamelle und

ZwUlingsfront.

Definition Zwillingwachstum:Als Zwillingswachstum wird das Dickenwachstum der

ZwiUingslameUe bezeichnet, d.h. die Anzahl der übereinandergeschichteten

Stapelfehler nimmt zu.

Definition Zwillingbewegung:Als Zwillingsbewegung wird die Bewegung der Zwillingsfront

bezeichnet.

A2.2 Disklinationsheschreibung von Zwillingen

Die ZwUUngsversetzungen können im Prinzip eine beliebige Form

innerhalb ihrer Gleitebene haben. Da die wesentüchen Hindernisse für die

Bewegung der Zwillingsfront - und somit für die Bewegung der

ZwiUingsversetzungen - ZwillingslameUen anderer Habitusebenen sind,

werden die meisten ZwiUingsversetzungen entlang der <110>-Richtungenverlaufen. Sie beschreiben somit ungefähr Polygone, die aus reinen

StufenVersetzungen und aus 30°-Versetzungen zusammengesetzt sind.

Haben alle Zwillingsversetzungen dieselbe Form, so beschreibt die

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[111]

INo[121]

Bild A2-1: Schnitt durch das Zwillingsprisma: gestrichelte Linien bezeichnen

(lll) Ebenen, ausgezogene horizontale Linien (111) Ebenen, und

ausgezogene vertikale Linien (l2l) Ebenen; dicke Linien stehen für die

Zwillingsgrenzen.

Zwillingsfront ein 3+6 seitiges Prisma. Im Folgenden wird eine Seite dieses

Prismas im Disklinationsmodell beschrieben.

Büd A2-1 zeigt einen Querschnitt des Zwillingsprismas durch eine

Seite mit reinen Stufenversetzungen. Diese Seite ist anschaulicher

darstellbar als die Seiten mit 30°-Versetzungen; die Betrachtung kann aber

analog auf die anderen Seiten übertragen werden. Das Spannungsfeld der

ZwiUingsversetzungen entspricht dem eines DiskUnationsdipols mit der

Stärke coz:

coz = 2arctan1

272: 38.94° A2*l

cozentspricht somit dem Winkel zwischen der Ebene (lll) und deren

Spiegelbild im ZwUling (BUd A2-1).

Die Gleichung A2*l folgt aus der Beziehung zwischen dem

Burgersvektor b, dem Versetzungsabstand h, und der KristaUrotation co

einer Versetzungswand

b = 2htan-2

A2*2

mit co=co2, b=bz=a0/V6, h=a0/V3. A2*2 ist aber nicht exakt, weü hier

Relaxationsprozesse nicht berücksichtigt werden [Naza 89]. Die exakte Form

liegt zwischen den Grenzen A2*2 und A2*3:

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b = 2hsin— A2*32

Für den FaU der ZwülingsbUdung hegen die Werte der Gleichungen A2*2

und A2*3 nur um 5 Prozent auseinander, so dass der relative Fehler der mit

A2*l berechneten Spannungen (Gleichung 4*15) sicher kleiner als 0.05 und

demnach kleiner als der Fehler der Dipolnäherung einer ZwUlingsfront ist

(Kapitel 4). Da beide Beziehungen (A2*2 und A2*3) die elastischen Eigen¬schaften einer Versetzungswand leicht falsch beschreiben, A2*2 aber die

Zwillingsorientierung exakt wiedergibt, wird diese Beziehung verwendet.

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A3. UNTERSUCHTE STÄHLE

A3.1 Chemische Zusammensetzung

Nr Cr Ni Mn Mo Nb c N

la 17 13 1.5 2.5 - 0.017 <0.04

lb 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.25

lc 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.45

ld 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.53

2a 18 - 18 - - 0.03 0.6

2b 18 - 18 - - 0.03 1.04

3 16 17 4 3 0.1 0.03 0.26

4 21 13 7 3 0.1 0.02 0.39

5 17 12 1.6 2.2 - 0.017 0.04

Tabelle A3+1 Chemische Zusammensetzung der untersuchten Stähle

A3.2 Mechanische Eigenschaften

Nr T/K Rp0.2/MPa Rm/MPa e/% 636%-56%/MPa Bruchart

la,5 298 260 595 56 740 duktil

lb 298 400 705 53 820 duktil

lc 298 455 860 53 1260 duktil

ld 298 510 900 54 1580 duktil

2a 298 500 845 67 duktil

2a 77 1330 1680 9.2 spröd2a 4.2 1921 1981 2.5 spröd2b 4.2 - 1450 0 spröd

3 4.2 1350 1730 32 spröd4 4.2 1505 1960 8.2 spröd

Tabelle A3+2 Mechanische Eigenschaften der untersuchten Stähle. T ist die

Temperatur, Rp0.2 die Streckgrenze, Rm die Zugfestigkeit, e die Bruch¬

dehnung und &36%-56% ist ier mittlere Verfestigungskoeffizient zwischen

36% und 56% Kaltverförmung durch Rundhämmern

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A4. INTEGRALE ZUM MODELL DER GLFJTSTRUKTUR

Gleichung 2*2 enthält vier Summanden entsprechend den

Aufstauungen HV in BUd 2-3:

0 0 i=——

°Mx=xo,y=0 \(nM°^L-x,0dX =i(^cl|-^fdX

^L,y=o = H>'

A4*I

A4*n

h „2 J2oSl -f«J5k<»J dy=-f y Xp?Vy(L-y)dy A4*LH

^Uo,jM) {(y) "Tlxc-y

BJ(y2+x2^n^

r4(x) = Oxj(L-x) A4*IV

Das zugehörige Koordinatensystem ist in BUd A4-1 gegeben.

Yi

x0

B-T-

L x

Bild A4-1: Koordinatensystem zur Definition der Integrale A4»I * A4*IV.

Die Integrale wurden numerisch gelöst.

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LEBENSLAUF

Angaben zur Person

Name Müllner Peter

Geburtsdatum, -ort 3. Oktober 1966, Zürich

Bürgerort Nürensdorf (ZH), Schweiz

Zivilstand verheiratet mit Deborah Müllner - Russak

Kinder David Paul, geboren am 16. 4.1991

Ivana Rahel, geboren am 7. 5.1993

Ausbildung

1973-1979

1979-1985

1985

1986-1991

1991

1991-1994

Primarschule in WattwU, SG und in Nürensdorf, ZH

Gymnasium in Winterthur

Matura Typus C (MNG)Studium an der Eidgenössischen Technischen

Hochschule Zürich, Abteüung für Werkstoffe

Diplom als WerkstoffingenieurDoktorand am Institut für Metallforschung und

MetaUurgie, ETH Zürich, bei Prof. Dr. M. O. Speidel.

Praktische Tätigkeiten

4.11. -13.12.1985

WS 87/88

29.2.-8.4.1988

5.3. -12.4.1990

1991-1994

Werkstattgrundkurs bei Sulzer, Winterthur

Hilfsassistent am Inst. f. Umformtechnik,ETH Zürich, Prof. J. Reissner

Praktikum bei Contraves, Abt. Raumfahrttechnik

Praktikum bei Alusuisse-Lonza, F+E, Neuhausen,

Abteilung Keramische Werkstoffe

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Inst. f. Metall¬

forschung und MetaUurgie, ETH Zürich

Auszeichnung

1991 ETH SUbermedaUle für die Diplomarbeit

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103

Veröffentlichungen

On the effect of nitrogen on the dislocation structure of austenitic stainless

steel

P. Müllner, C. Solenthaler, P. J. Uggowitzer und M. O. Speidel,Materials Science & Engineering, A164,164.

Second order twinning in austenitic steel

P. Müllner, C. Solenthaler und M. O. Speidel,Acta metallurgica et materialia 42 (1994), 1727.

Brittle fracture in austenitic steel

P. Müllner, C. Solenthaler, P. J. Uggowitzer und M. O. Speidel,Acta metallurgica et materialia 1994, im Druck.

The intersection of deformation twins in austenitic steel

P. Müllner, C. Solenthaler und M. O. Speidel,Materials Week '93, Symposium 'Twinning in advanced materials",

Pittsburgh, October 18-21,1993, ed.: M. H. Yoo und M. Wuttig., TMS,im Druck

A proper model of a deformation twin for twin intersection problemsP. Müllner und C. Solenthaler,

Phüosophical Magazine Letters 69/3 (1994), 111.

The shape of a blocked deformation twin

P. Müllner und C. Solenthaler,

Phüosophical Magazine Letters 69/4 (1994), 171.

Cold and warm work of austenitic nitrogen steels

N. Paulus, P. J. Uggowitzer, P. Müllner, und M. O. Speidel,La metallurgia italiano 1994, im Druck.

Disclination model of twins

P. Müllner und A. E. Romanov,

Scripta metallurgica et materialia 1994, in Vorbereitung.

Vorträge

Die Entwicklung der Vesetzungsstruktur während der Kaltverformung von

austenitischem Stahl AISI 316 L mit unterschiedlichem StickstoffgehaltTagung an der Generalversammlung des SVMT, Bern, 9. 4.1992

On the effect of nitrogen on the dislocation structure of austenitic stainless

steel

Int. Conf. on Fundamental aspects of dislocation interactions, LEDS m

Ascona, 30.8. - 4.9.1991

The intersection of deformation twins in austenitic steel

Materials Week '93, Symposium 'Twinning in advanced materials",

Pittsburgh, 18. - 21.10.1993

Die Bedeutung der Zwillingsbildung für die Plastizität austenitischer Stähle

ArlbergkoUoquium, Lech, 18. - 20.4.1994

Zürich, im Juni 1994