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Research Collection
Doctoral Thesis
Verformungsmechanismen stabil-austenitischer Stähle
Author(s): Müllner, Peter
Publication Date: 1994
Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000961951
Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted
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ETH Library
Diss.ETH Nr. 10738
Verformungsmechanismen stabil-austenitischer
Stähle
ABHANDLUNG
zur Erlangung des Titels
DOKTOR DER TECHNISCHEN WISSENSCHAFTEN
der
EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE
ZÜRICH
vorgelegt von
PETER MÜLLNER
Dipl. Werkstoff-Ing. ETH
geboren am 3. Oktober 1966
von Nürensdorf (ZH)
Angenommen auf Antrag von
Prof. Dr. Dr.h.c. Markus O. Speidel, Referent
Dr. A. E. Romanov, Korreferent
Prof. Dr. G. Kostorz, Korreferent
1994
Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe
am äussersten Meer, so würde auch dort
deine Hand mich führen und deine Rechte
mich halten.
(Psalm 139, Verse 9 und 10)
VORWORT
Die Vorliegende Arbeit wurde am Institut für Metallforschung und
Metallurgie der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Dr.h.c. M. O.
Speidel durchgeführt; zu Ihrem Entstehen haben viele Personen
beigetragen, und es ist mir eine Freude, ihnen allen zu danken.
Als erstes danke ich von ganzem Herzen meiner lieben Frau
Deborah. Sie hat alle Phasen meiner Doktorandenzeit miterlebt, Freude und
Probleme mitgetragen. Dass sie mir in allen Situationen bedingungslos
beigestanden ist, hat mir Selbstvertrauen für die Arbeit und Vertrauen für
die Zukunft gegeben.Ich danke meinen lieben Eltern für das Interesse, das sie stets für
mich und meine Arbeit hatten. Sie haben mir durch ihre Unterstützungmeine Ausbildung ermöglicht und damit die Basis für meinen beruflichen
Werdegang gelegt.Meinem Betreuer Herrn Dr. Christian Solenthaler danke ich herzlich
für seine stete Hilfe, die weit über eine rein fachliche Unterstützung
hinausging: er war immer bereit für ein offenes Gespräch und hat mir
dadurch geholfen, Richtlinien für meine weitere Tätigkeit zu finden.
Ich danke Herrn Professor Dr. Markus O. Speidel, Vorsteher des
Institutes für Metallforschung und Metallurgie, dass ich diese Arbeit in
grosser Freiheit an seinem Institut ausführen durfte. Besonders bedanke ich
mich, dass er mir die Teilnahme an internationalen Tagungen ermöglichthat.
Für die freundliche Übernahme des Korreferates danke ich Herrn Dr.
A. E. Romanov aus St. Petersburg und Herrn Prof. Dr. G. Kostorz von der
ETH Zürich. Bei Herrn Dr. A. E. Romanov bedanke ich mich auch für die
ausgiebigen Diskussionen.
Frau Bai Kun und Herrn Dr. Toni Rechsteiner, mit denen ich gerne
das Büro geteilt habe, danke ich für die angenehme Atmosphäre, die stets in
unserem Arbeitsraum geherrscht hat. Besonders bedanke ich mich bei Toni
für seine geduldige Hilfe, die ich oft bei der Arbeit am seltsamen Computer
beansprucht habe.
Herrn Alkan Göcmen und Herrn Privatdozent Dr. Peter Uggowitzerdanke ich für die intensiven und anregenden Diskussionen.
Ich danke Frau I. Simmler für alle administrative Arbeit, insbeson¬
dere bezüglich der Zusammenarbeit mit Herrn Dr. A. E. Romanov aus St.
Petersburg, Frau Ursula Erhardt für die Anfertigung von zahlreichen Dias,
Frau Gisela Angst für die sorgfältige Ausfuhrung der Zeichnungen, Frau
Mireille Gutknecht für ihre Hilfe bei der Korrespondenz, Herrn Eduard
Schaller für die Betreuung im Fotolabor, Herrn Walter Gross für die
technische Unterstützung am Elektronenmikroskop, Herrn Dr. Markus
Diener für die Hilfe an der Zugmaschine, den Herren Markus Müller,
Nikiaus Koch, Werner Blattmann und Christian Wegmann für ihre
Arbeiten in der Werkstatt und bei Wärmebehandlungen.Allen hier nicht namentlich erwähnten Mitarbeitern des Institutes
für Metallforschung und Metallurgie danke ich für die Hilfsbereitschaft, die
mir immer entgegengebracht wurde.
Während meiner Doktorandenzeit durfte ich erleben, dass mir Jesus
Christus beisteht und Geborgenheit und Frieden gibt. Im Sinne des
Leitwortes aus dem Buch der Psalmen darf ich weiterhin wissen, dass mich
Gott auf dem "äussersten Meer" der Struktur der Materie aber auch
überhaupt im ganzen Leben begleiten wird.
i
KURZFASSUNG
Das Ziel der vorliegende Arbeit ist, einen Beitrag zum grundlegendenVerständnis der plastischen Eigenschaften austenitischer Stähle zu geben.
Strukturuntersuchungen an verformten stabil-austenitischen Stäh¬
len zeigen, dass der mechanischen Zwillingsbildung eine zentrale Rolle in
Bezug auf das plastische Verhalten zukommt. Die Bedeutung der Zwillings¬
bildung wird verstärkt, wenn Stickstoff zulegiert wird. Gleichzeitig nehmen
die Festigkeit und der Verfestigungskoeffizient stark zu, während die
Zähigkeit und die Duktilität gleichbleibend gut sind, es kann aber bei tiefer
Temperatur ein für kubisch flächenzentrierte Legierungen untypischer zäh-
spröd-Übergang auftreten.
Als Bindeglied zwischen experimentell (TEM) beobachteten Mikro¬
strukturen und den mechanischen Eigenschaften werden einfache Srruk-
turmodelle erarbeitet. Der Kern der Betrachtungsweise ist das Disklinations-
modell einer Zwillingsfront, d.h. eine Zwillingsfront wird als Dipol
partieller Disklinationen behandelt.
Die Untersuchungen ergeben folgende Resultate:
1. Keimbildungsstellen für die Zwillingsbildung sind Orte erhöhter
innerer Spannungen; in den vorliegenden Strukturen sind dies die
Schnittlinien von Gleitbändern.
2. Das Disklinationsmodell ist für die aufgeführten Betrachtungenhinreichend genau: die Fehler der so beschriebenen Spannungsfelderwerden kleiner als 20 Prozent angenommen.
3. Das Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung ist für die
gute Duktilität verantwortlich.
4. Der Beitrag der Zwillingsbildung zur Verfestigung wird durch das
Schneiden von Zwillingen bestimmt. Es zeigt sich, dass der
Verfestigungskoeffizient mit abnehmender Zwillingsdicke wächst.
5. Versagen durch Sprödbruch tritt dann ein, wenn die inneren
Spannungen einer blockierten Zwillingsfront nicht durch andere
Defekte abgeschirmt werden können, d.h. wenn die Dichte mobiler
Versetzungen klein ist.
11
Bei Zulegieren von Stickstoff nimmt die Stapelfehlerenergie ab und
die Reibungsspannung nimmt zu. Die Auswirkungen sind:
6. Die Gleitung wird ausgeprägter planar, wodurch sich die
Spannungsspitzen an Gleitbandschnittlinien verschärfen.
7. Durch die ausgeprägteren Spannungsinhomogenitäten setzt die
Zwillingsbildung schon bei kleinerer Dehnung ein, dies führt zu
dünneren Zwillingen und kleineren Versetzungsdichten.
8. Die dünneren Zwillinge bewirken einen erhöhten Verfestigungskoef¬
fizienten.
9. Die verminderte Versetzungsdichte kann Sprödbruch verursachen.
Die Argumentation, ausgehend von den intrinsischen Eigenschaften
Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung über deren Einfluss auf die
Mikrostruktur und die daraus resultierenden Eigenschaften, ergibt ein in
sich konsistentes Bild der Plastizität stabil-austenitischer Stähle.
iii
ABSTRACT
The presented thesis aims to give a contribution to the understandingof the basic mechanisms of plasticity in austenitic steel and of the
outstanding mechanical properties.Structure analysis of deformed stable austenitic steel shows that it is
deformation twinning which is an important mechanism of plasticity. The
influence of deformation twinning increases with increased nitrogen
content. Strength as well as work hardening rate increase strongly whereas
toughness and ductility remain high. However, there is a transition from
ductile to brittle behaviour which can be observed at low temperature, what
in fact is atypical for face-centered cubic alloys.As a connection between experimentally (TEM) observed
microstructures and the mechanical properties, simple structural modeis
are developed. The main feature of the model is the disclination dipole
representation of a deformation twin.
The results are as follows:
1. It is the intersection of glide bands being the nucleation site of a
deformation twin due to the local stress accumulation.
2. The accuracy of the disclination representation of a twin is satisfactorywith respect to the presented analysis: the relative error of the stress
fields is assumed to be less than 20 percent.
3. It is the Cooperation between deformation twinning and glide which
is responsible for high ductility.4. The contribution of deformation twinning to the work hardening rate
is controlled by the intersection of twins. Particularly, the work
hardening rate increases with decreasing twin thickness.
5. Brittle fracture occurs whenever the stress field of a blocked
deformation twin cannot be screened by other defects, i.e. if the
density of mobile dislocations is low.
With increasing nitrogen content the stacking fault energy decreases
and the frictional stress increases resulting in:
IV
6. The planarity of glide becomes more pronounced and thus the stress
peaks at glide plane intersections get increased.
7. With increased internal stress peaks the nucleation of deformation
twins is activated at lower strain. Therefore, the twin thickness and
the dislocation density decrease.
8. With decreasing twin thickness the work hardening rate increases.
9. The reduced dislocation density can give rise to brittle fracture.
The microstructural argumentation, based on the stacking fault
energy and the frictional stress as intrinsic properties, gives a consistent
description of the plasticity of stable austenitic steels.
V
SYMBOLE
a) Lateinische Symbole
A Vorfaktor mit der Dimension einer Spannung
a halber Disklinaüonsabstand im Dipol
ao Gitterkonstante
B Einstrahlrichtung bei TEM-Aufnahmen
b,b Burgersvektor
bz Burgersvektor einer Zwillingsversetzung
cN Stickstoffkonzentration
D =G/2jt(l-v) Modul mit der Dimension einer Spannung
d =2a Zwillingsdicke
d0 Gleitebenenabstand
E Energie
& Energie des Disklinationsdipols
El Energie des Disklinationsquadrupols
E*P Energie des parallelogrammförmigenQuadrupols
El'1 Energie des quadratischenQuadrupols
E*re Energie des rechteckigen Quadrupols
EVh Energie des rhombischen Quadrupols
Ek Energie von Kristalldefekten
Ej3 Energie von kohärenten Zwillingsgrenzen
Ejg Energie von Z9-Korngrenzen
Ev Energie der Versetzungen im Schnittprisma
E" Energie des Quadrupols des Schnittprismas
G Schubmodul
F Kraft
Fd Kraft, die M Wandversetzungen auf die Versetzung M+1
ausüben
Fk Kraft, die die Kopfversetzung auf die zweite Versetzung einer
Aufstauung ausübt
Fn>2 Kraft, die die hinteren Versetzungen auf die zweite
Versetzung ausüben
Fn>M+l Kraft, die die hinteren Versetzungen auf die Versetzung M+1
ausüben
VI
k numerischer Faktor im Sprödbruchmodell
L Abstand der Gleitbänder
Lj Länge eines Keimrisses
Lz Abstand der Zwillingslamellen
1. Linienvektor
M Zahl der Versetzungen in einer Wand
N Zahl der Versetzungen in einer Aufstauung
q =YSF/Gb Parameter, der das Quergleitverhalten beschreibt
Rj Reibungsspannung
Rm Zugfestigkeit
Rp0.2 Streckgrenze
rr Rissspitzenradius
sjj Verhältnis der Spannungskomponenten des Peierls-Nabarro-
und des Volterra-Modells
s" Scherverhältnis eines Zwillings mit Zwillingen zweiter
OrdnungT Temperatur
Tc, Tu zäh-spröd-Ubergangstemperatur
Vj Versetzung i einer Zwillingsfront
W Arbeit
x"
Anteil der Zwillinge zweiter Ordnung im Mutterzwilling
b) Griechische Symbole
a, az, a* Geometrieparameter
B Summe der Burgersvektoren einer Zwillingsfront
ß Winkel zwischen Zwillingen zweiter Ordnung und
Mutterzwilling
y Winkel zwischen Schnittprisma und schneidendem Zwilling
YE3 spezifische Energie von kohärenten Zwillingsgrenzen
729 spezifische Energie von £9-Komgrenzen
y' Winkel zwischen Schnittprisma und geschnittenem Zwilling
YSF Stapelfehlerenergie
e totale Dehnung
ez Beitrag der Zwillingsbildung zur totalen Dehnung
Vll
*i die Zwillingsbildung beeinflussender Faktor
*ic kritischer Wert von *i, bei dem der Übergang vom zähen zum
spröden Bruch auftritt
n Bruchteil der Wandversetzungen einer Zwillingsfront
v Poisson-Konstante
8z Taylorfaktor für die Zwillingsbildung
936%-56% mittlerer Verfestigimgskoeffizient zwischen 36% und 56%
Kaltverformung durch Rundhämmem
p Versetzungsdichte
o Spannung
cra Spannungen der äusseren Last
er, innere Spannungen
o~ij SpannungskomponentePN
"ij Spannungsfeld der Peierls-Nabarro-VersetzungV
°"ij Spannungsfeld der Volterra-Versetzung
are Spannung an einer Rissspitze
°sb kritische Spannung für Sprödbruch
°"sb,kont kritische Spannung für Sprödbruch im
kontinuumsmechanischen Modell
°th theoretische Festigkeit
CTt0t totale Spannung an der Spitze eines Nanorisses an einer
blockierten Zwillingsfront
oz Festigkeitsbeitrag des Schneidens von Zwillingen
T Schubspannung
ra Spannungen der äusseren Last
Tel kritische Schubspannung 1 zur Zwillingsbildung
TC2 kritische Schubspannung 2 zur Zwillingsbildung
tck kritische Schubspannung zur Bildung einer Versetzungswand
Ti innere Spannungen
(0, m Stärke einer Disklination, Frankvektor
mz Disklinationsstärke im Zwillingsdipol
co" Disklinationsstärke im Quadrupol des Schnittprismas
C =do/2(l-v) Parameter für den Versetzungskern im Peierls-Nabarro-
Modell
Vlll
INHALTSVERZEICHNIS
Kurzfassung i
Abstract iii
Symbole v
Inhaltsverzeichnis viii
1. Einleitung 1
2. Die Gleitstruktur bei kleinen Verformungsgraden 4
2.1 Einleitung 4
2.2 Die Versetzungsstruktur 4
2.2.1 Allgemeines 4
2.2.2 Einfluss der Temperatur, der Stapelfehlerenergie,der Reibungsspannung und des Schubmoduls 6
2.3 Verfestigung 8
2.4 Modell der Versetzungsstruktur 8
2.4.1 Die Grobstruktur 8
2.4.2 Die Feinstruktur der Reaktionsversetzungen 11
2.5 Diskussion des Modells der Versetzungsstruktur 12
2.5.1 Fehlerdiskussion 12
2.5.2 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung 13
2.5.3 Schlussfolgerungen 13
3. Der Beginn der Zwillingsbildung 14
3.1 Einleitung 14
3.2 Eine mögliche Versetzungsreaktion 14
3.3 Diskussion 16
3.3.1 Zwillingsbildungsspannung 16
3.3.2 Zwillingsbildungsdehnung 16
3.3.3 Zwillingsdicke 17
3.4 Schlussfolgerung 17
4. Modell einer Zwillingsfront 19
4.1 Einleitung, Bildung der Versetzungswand 19
4.2 Die Spannung Tck 19
4.3 Der Bruchteil n der Versetzungen in der Wand 21
4.4 Diskussion 23
4.4.1 Numerische Beispiele für austenitischen Stahl 23
4.4.2 Fehlerdiskussion 24
4.5 Dipolnäherung der Zwillingsfront 26
4.6 Eine Zwillingsfront nach der Überwindung eines
Hindernisses 27
4.7 Schlussfolgerungen .27
ix
5. Gleitung und Zwillingsbildung 28
5.1 Einleitung 28
5.2 Sekundäre Zwillinge und Zwillingswachstum 29
5.3 Zwillinge zweiter Ordnung 31
5.3.1 Die Spannungen hinter der Zwillingsfront 32
5.3.2 Energie einer Zwillingslamelle mit Zwillingenzweiter Ordnung 32
5.3.3 Einfluss der Zwillingsdicke 34
5.4 Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung 34
5.5 Experimentelle Resultate 35
5.6 Diskussion 38
5.6.1 Kooperative Mechanismen und die mechanischen
Eigenschaften von Vielkristallen 38
5.6.2 Ruckartiges Fliessen in Einkristallen 39
6. Wechselwirkung einer Zwillingsfront mit einer Zwillingslamelle 41
6.1 Einleitung 41
6.2 Experimentell beobachtete Zwillingskreuzstellen 41
6.2.1 Beispiel A
perfekte Zwillingsfront 41
6.2.2 Beispiel Bnicht perfekte schneidende Zwillingsfront 45
6.3 Mechanismus
Zwillingsfront durchquert eine Zwillingslamelle 46
6.3.1 Allgemeiner Mechanismus 46
6.3.2 Die Hindernislamelle enthält Typ-B-Zwillingezweiter Ordnung 49
6.3.3 Die Zwillingsfront ist nicht perfekt 50
6.4 Festigkeitsbeitrag der Zwillingsschnittstellen 50
6.5 Diskussion 52
6.5.1 Mechanismus 52
6.5.2 Fesrigkeitsbeitrag 53
7. Sprödbruch durch Zwillingsbildung 56
7.1 Einleitung 56
7.2 Zwillingsbildung und Bedingungen für zähes und sprödesBruchverhalten 56
7.3 Bruchmodell 57
7.4 Diskussion 59
7.4.1 Versetzungsdichte 59
7.4.2 Einflussgrössen 60
7.4.3 Vergleich mit kontinuumsmechanischem Modell 61
8. Die Plastizität stickstofflegierter austenitischer Stähle 63
8.1 Einleitung 63
8.2 Mechanische Eigenschaften 63
8.3 Verformungsstruktur 64
x
8.3.1 Allgemeine Strukturentwicklung .64
8.3.2 Einfluss des Stickstoffs und der Temperatur 64
8.4 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung 69
8.4.1 Stapelfehlerenergie 69
8.4.2 Reibungsspannung 70
8.4.3 Mikrostruktur 70
8.5 Struktur und mechanische Eigenschaften 72
8.5.1 Verfestigungskoeffizient 72
8.5.2 Bruchverhalten 73
8.6 Zusammenfassung 73
9. Schlussfolgerungen 75
9.1 Strukturausbildung 75
9.2 Strukturmodell 75
9.3 Plastizität 75
9.4 Stickstoff 76
9.5 Ausblick 76
Literatur 78
AI. Versetzungen und Disklinationen 85
Al.l Einleitung 85
A1.2 Versetzungen [z.B. Hirth 68] 85
Al.2.1 Das Volterra-Modell einer Versetzung 86
Al.2.2 Das Peierls-Nabarro-Modell einer Versetzung 87
AI .2.3 Vergleich des Volterra- und des Peierls-Nabarro-
Modells 88
A1.3 Disklinationen [z.B. Roma 92] 90
AI.3.1 Einzelne Disklinationen und sich gegenseitigabschirmende Disklinationen 90
AI .3.2 Der Disklinationsdipol 91
AI.3.3 Bewegungsmechanismen des
Disklinationsdipols 93
A1.3.4Der Disklinationsquadrupol 94
Al.3.5 Versetzungsgruppen und Disklinationsgruppen 95
A2. Verformungszwillinge 97
A2.1 Definitionen 97
A2.2 Disklinationsbeschreibung von Zwillingen 97
A3. Untersuchte Stähle 100
A3.1 Chemische Zusammensetzung 100
A3.2 Mechanische Eigenschaften 100
A4. Integrale zum Modell der Gleitstruktur 101
Lebenslauf 102
1
l. Einleitung
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war das aussergewöhnlich gute
Eigenschaftsprofil stickstofflegierter stabil-austenitischer Stähle: hohe Streck¬
grenze im lösungsgeglühten Zustand (500 MPa + 1000 MPa) bei gleichzeitig
guter Zähigkeit und guter Duktilität, hohes Kaltverfestigungspotential (durch
Kaltverfestigungen können Streckgrenzen bis über 2500 MPa erzielt werden
[Uggo 89, 91]), sowie aussergewöhnlich gute Beständigkeit gegen lokale
Korrosion wie Spannungsriss- und Lochfrasskorrosion [Spei 90]. Stickstofffreie
Stähle weisen nicht ein derart günstiges Eigenschaftsprofil auf, insbesondere
verfestigen sie nur bis zu ca. 1200 MPa. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit
den Grundmechanismen der Plastizität austenitischer Stähle (Kapitel 2-7) und
im Besonderen mit dem Einfluss von Stickstoff in fester Lösung (Kapitel 8).
Erste Strukturuntersuchungen zeigten, dass in allen stabil-austenitischen
Stählen - unabhängig vom Stickstoffgehalt - dieselben Verformungsmechanis¬
men auftreten: Gleitung vollständiger Versetzungen zu Beginn der Verformung
und Zwillingsbildung bei grosser Verformung [Müll 93]. Unterschiede der
Mikrostruktur bei der Variation des Stickstoffgehaltes zeigen sich in der
Morphologie der Strukturelemente und insbesondere in der Zwillingsbildungs¬
dehnung: mit zunehmendem Stickstoffgehalt wird das Einsetzen der ZwiUings¬
bildung zu kleinerer Dehnung verschoben. Somit nimmt die Bedeutung der
Zwillingsbildung für das plastische Verhalten mit zunehmendem Stickstoffge-halt zu, und es stellt sich die Frage, wie sich die Zwillingsbildung auf die
Plastizität auswirkt.
In den klassischen Theorien der Verfestigung von Einkristallen werden
vor allem solche Metalle und Legierungen behandelt, die während der
Verformung Zellstrukturen ausbilden [Seeg 57, Kühl 66]. Zwar wird das
Auftreten der Zwillingsbildung in kubisch flächenzentrierten (kfz) Legierungen
mit kleiner Stapelfehlerenergie in verschiedenen Arbeiten beschrieben, ein
formaler Zusammenhang zwischen den Mechanismen der Zwillingsbildungund dem plastischen Verhalten wird aber nicht oder nur ansatzweise gegeben.
In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden beträchtliche Fortschritte
im Verständnis der Zwillingsbildung erzielt. Im Zentrum der Arbeiten standen
vor allem die Kristallographie sowie verschiedene Mechanismen der
Zwillingsbildung wie z.B. deren Keimbüdung [Cohe 63, Cott 51, Fuji 75, Lage
93, Maha 73a, Ooka 57, Reed 64, Slee 74, Vena 61], die Wechselwirkung von
2
Zwillingsbildung und Gleitung [Couj 85, Hüll 61, Maha 73b, Mori 80, Reed 64,
Remy 80, Remy 77a, Slee 64, Slee 61, Sole 90], und das Schneiden von
Zwillingen [Couj 92, Couj 87, Dahe 89, Hüll 60, Maha 74, Piro 90, Remy 77b,
Sun 93, Ward 93]. Diese Arbeiten gehen alle von einer gemeinsamen Hypothese
aus: es wird angenommen, dass das Verhalten einer Zwillingsfront umgebenvon Strukturdefekten durch das Verhalten der einzelnen Teilversetzungen der
Zwillingsfront beschrieben werden kann. Dass diese Annahme nicht immer
zutrifft, zeigt z.B. eine Arbeit über das Schneiden einer Zwillingsfront durch
einen Hinderniszwilling in y-TiAl, die zu der Erkenntnis führt, dass die
beobachteten Strukturen nicht durch Versetzungsreaktionen einzelner Teilver¬
setzungen an den Zwillingsgrenzen der Hindernislamelle erklärt werden
können [Sun 93].
Um die Wirkung der Zwillingsbildung auf die Plastizität zu verstehen,
ist es somit nötig, die Eigenschaften der Gesamtheit der Zwillingsversetzungenzu betrachten. Eine Methode, welche die Eigenschaften von Versetzungs¬
gruppen beschreibt, ist das Konzept der Disklinationen. Disklinationen sind
wie die Versetzungen eindimensionale Kristallbaufehler; sie sind aber im
Gegensatz zu den Versetzungen durch ein rotatorisches Verschiebungsfeld
gekennzeichnet. Die elastischen Eigenschaften von Disklinationen wurden in
den vergangenen dreissig Jahren erarbeitet [z.B. Wit 73, Das 73]; eine Übersicht
über Disklinationen und ihre Bedeutung in kristallinen Werkstoffen findet man
in einer kürzlich erschienenen, ausführlichen Zusammenfassung [Roma 92].
1968 wurde erstmals erwähnt, dass ein Verformungszwilling einfach
durch Disklinationen beschrieben werden kann [Arms 68]. Dieser Ansatz
wurde aber nicht weiter verfolgt. Es ist nun das Hauptanliegen des Autors, die
Bedeutung der Zwillingsbildung für die Plastizität metallischer Werkstoffe,
insbesondere aber von austenitischen Stählen, auf der Basis des Disklinations-
modells zu diskutieren.
In den Kapiteln 2 und 3 wird die Gleitstruktur vor Einsetzen der
Zwillingsbildung beschrieben, und ihre Bedeutung für die Zwillingsbildung
anhand eines einfachen Modells diskutiert. Die Kapitel 4 bis 7 bilden den Kern
der Arbeit: In Kapitel 4 wird gezeigt, dass es sinnvoll ist, eine Zwillingsfront als
Disklinationsdipol zu betrachten. Kapitel 5 beschreibt das Wechselspielzwischen Zwillingsbildung und Gleitung, und die Auswirkungen der
kooperativen Mechanismen auf die Plastizität von Vielkristallen werden
diskutiert. In Kapitel 6 wird ein Mechanismus vorgeschlagen, der das
Schneiden einer Zwillingsfront durch eine Hindernislamelle beschreibt und der
3
mit experimentell beobachteten Strukturen übereinstimmt. Aufbauend auf
diesem Mechanismus wird der Beitrag der Zwillingsbildung zur Verfestigung
abgeschätzt. Kapitel 7 behandelt den duktil-spröd-Übergang, der in hochstick-
stofflegierten Stählen bei tiefer Temperatur beobachtet wird. Es wird ein
Bruchmodell vorgeschlagen, das auf dem Spannungsfeld einer blockierten
Zwillingsfront basiert, und das die Einflüsse der verschiedenen Legierungsele¬
mente auf die Übergangstemperatur richtig beurteilt. In Kapitel 8 werden
schliesslich die diskutierten Modelle auf die beobachteten Verformungstruk¬
turen austenitischer Stähle angewendet. Es zeigt sich dabei, dass die durch
Zulegieren von Stickstoff verursachten Änderungen der plastischen Eigen¬
schaften und die gleichzeitig beobachteten Strukturänderungen mit den
besprochenen Modellen übereinstimmen.
4
2. Die Gleitstruktur bei kleinen
verformungsgraden
2.1 Einleitung
Zu Beginn der Verformung sind die inneren Spannungen klein und
die Gleitung von vollständigen Versetzungen ist der günstigste Verfor¬
mungsmechanismus. Durch die Wechselwirkung von Versetzungenuntereinander wird eine Versetzungsstruktur ausgebildet, die das Verfesti¬
gungsverhalten bestimmt. Die Art und die Dichte der Versetzungsstrukturbestimmen die inneren Spannungen und über diese Spannungen auch die
Grenzen des momentanen Verformungsmechanismus.In diesem Kapitel wird die Versetzungsstruktur, die zu Beginn der
Verformung entsteht, kurz beschrieben und in sehr einfacher Weise
modelliert. Aus dem Modell wird dann der Charakter der Spannungs¬
verteilung im Material unter einer äusseren Last abgeleitet. Die Ergebnissedieses Kapitels bilden die Grundlagen zum Verständnis des Mechanis¬
muswechsels von der Gleitung zur Zwillingsbildung (Kapitel 3) und der
Wechselwirkung von Zwillingsbildung und Gleitung (Kapitel 5).
2.2 Die Versetzungsstruktur
2.2.1 Allgemeines
Versetzungen bewegen sich entlang ihrer Gleitebene, aus der sie bei
Temperaturen, die eine genügende Leerstellendiffusion nicht zulassen (also
unterhalb etwa der halben Schmelztemperatur), nur unter erhöhter
Spannung durch Quergleiten ausbrechen können. Ist Quergleiten nicht
möglich (wegen zu kleiner Stapelfehlerenergie, oder allgemein für
Versetzungen, die eine von null verschiedene Stufenkomponente haben),
so werden an Hindernissen Versetzungen aufgestaut. Sind mehrere
Gleitsysteme aktiv, was in Vielkristallen immer der Fall ist, so sind
Gleitbandschnittlinien mit Lomer-Cottrell-Versetzungen wirksame Hinder¬
nisse für die Versetzungsbewegung [Seeg 57, Lomer 51, Cott 52].
5
Bild 2 1 Hellfeldaufnahme (HF) der Versetzungsstruktur von Stahl Id bei 6%
Dehnung ebene Gleitbander (Emstrahlnchtung B nahe <111>)
Timm-(
KX
Bild 2 2 Stahl ld hohe Versetzungsdichte an GleitbandschnitÜmien e=6%
(HF B-<111>)
6
Ein Beispiel für die Versetzungsstruktur von austenitischem Stahl ist
in Bild 2-1 gegeben für den Stahl ld (Anhang A3.). Die Versetzungen
befinden sich auf klar ausgebildeten Gleitbändem, die parallel zu den [111]
Ebenen sind. Auf den einzelnen Gleitbändern sind die Versetzungen nicht
homogen verteilt, sondern sie konzentrieren sich an Gleitbandschnittlinien
(Bild 2-2).
2.2.2 Einfluss der Temperatur, der Stapelfehlerenergie, der Reibungs¬
spannung und des Schubmoduls
a) Morphologie der Versetzungsstruktur
Die Temperatur, die Stapelfehlerenergie und der Schubmodul
beeinflussen die Morphologie der Versetzungsstruktur durch Förderung
bzw. Behinderung der Quergleitung. Quergleiten ist ein thermisch
aktivierter Vorgang [Seeg 57, Hirth 68a], der mit zunehmender Temperaturzunehmend das Verformungsverhalten bestimmt.
Charakteristisch für das Quergleitverhalten ist der Parameter q:
YSF2*X
q=Gb
mit der Stapelfehlerenergie ysF/ dem Schubmodul G und dem Burgers¬vektor b.
Je kleiner q ist, umso grössere Spannungen sind für das Quergleiten
erforderlich, d.h. mit abnehmendem q nimmt die Aktivierungsenergie für
Quergleiten zu. Da die vorhandenen Spannungen zu Beginn der
Verformung massgeblich von der Reibungsspannung abhängen und mit
ihr zunehmen, wird Quergleiten durch eine erhöhte Reibungsspannungerleichtert.
Durch Quergleiten können Versetzungen aus ihrem primären
Gleitsystem ausbrechen. Durch die Wechselwirkung mit den Spannungs¬feldern anderer Versetzungen wird die Bewegung der Versetzungen derart
gesteuert, dass niedrig-energetische Versetzungsstrukturen gebildet werden
[Kühl 87]. Dies führt z.B. zur Ausbildung von Zellstrukturen.
Somit bestimmt bei kleinem q - also bei kleiner Stapelfehlerenergieund grossem Schubmodul - die planare Gleitung von Versetzungen die
7
Strukurausbildung, und es entstehen ebene, hochenergetische Versetzungs¬
strukturen. Mit zunehmendem q (zunehmender Stapelfehlerenergie bzw.
abnehmendem Schubmodul) wird die Gleitung zunehmend wellig, so dass
niedrigenergetische Zellstrukturen entstehen können.
Neben der Stapelfehlerenergie beeinflusst auch die Nahordnung die
Planarität der Gleitung und führt zu ebenfalls hochenergetischen
Versetzungsstrukturen [Gero 89, Wolf 94].
b) Dichte der Gleitstruktur
Eine Versetzungsquelle kann so lange aktiv sein, bis sie durch die
Rückspannung der erzeugten Versetzungen blockiert wird. Wenn
Quergleitung möglich ist, wird die Versetzungsquelle erst dann blockiert,
wenn auch die Quergleitung durch entsprechende Rückspannungen
blockiert ist. Die Anzahl der erzeugten Versetzungen einer Quelle ist somit
umso grösser, je leichter die Versetzungen quergleiten können.
Mit abnehmender Stapelfehlerenergie nimmt sowohl die totale
Weglänge einer Versetzung wie auch die Anzahl pro Versetzungsquelle
erzeugte Versetzungen ab. Somit müssen, um eine bestimmte Dehnung
aufzubringen, bei kleinerer Stapelfehlerenergie mehr Versetzungsquellen
aktiviert werden und die Gleitbanddichte nimmt zu.
Die Reibungsspannung bestimmt im schwach verformten Zustand
des Materials massgebend die mittlere innere Spannung, d. h. die Festigkeit.
Mit zunehmender Reibungsspannung wird die Spannung erhöht und eine
Versetzungsaufstauung wird stärker zusammengedrückt (bei gleicher
Versetzungsanzahl). Zudem wird durch eine erhöhte Reibungsspannung
die Quergleitung erleichtert. Somit ist eine grössere Anzahl Versetzungen
nötig, um eine Versetzungsquelle zu blockieren, und die Gleitbanddichte
nimmt ab.
c) Versetzungsmultiplikation
Angenommen, ein Versuchsmaterial wird so belastet, dass alle
Frank-Read-Quellen mit einer konstanten Rate Versetzungen emittieren.
Ist Quergleiten nicht möglich, so nimmt die Versetzungsdichte linear mit
8
der Zeit zu. Bei leichtem Quergleiten kann jede Schraubenversetzung zu
einer neuen Versetzungsquelle werden, so dass die Versetzungsdichte
exponentiell mit der Zeit zunimmt [Vlad 76a]. Da mit zunehmender
Stapelfehlerenergie das Quergleiten erleichtert wird, nimmt mit
zunehmender Stapelfehlerenergie die Geschwindigkeit der Versetzungs¬
multiplikation zu.
2.3 Verfestigung
Im Bereich der reinen Gleitimg bestimmen die Geschwindigkeit der
Versetzungsvervielfachung und die zunehmende Anzahl der Versetzungs¬
hindernisse das Verfestigungsverhalten. Mit abnehmender Stapelfehler¬
energie sinkt die Geschwindigkeit der Versetzungsvervielfachung (Punkt
2.2.2), was zu einer verstärkten Geschwindigkeitsabhängigkeit der
Streckgrenze und zu einem Anstieg des Verfestigungskoeffizienten führt.
Die während der Verformung entstehenden Versetzungshindernisse
sind die Lomer-Cottrell-Versetzungen. Diese befinden sich an Gleitband¬
schnittlinien und ihre Anzahl nimmt mit zunehmender Gleitbanddichte
zu. Eine Verminderung der Stapelfehlerenergie erhöht die Gleitbanddichte
und erhöht somit nochmals den Verfestigungskoeffizienten.Die Zunahme der Gleitbanddichte ergibt noch einen dritten
verfestigenden Effekt durch Verminderung der Stapelfehlerenergie: die
Länge der Frank-Read-Quellen nimmt ab, und somit wächst die
Aktivierungsspannung, die umgekehrt proportional zur Quellenlänge ist.
2.4 Modell der Versetzungsstruktur
2.4.1 Die Grobstruktur
Primäre und sekundäre Versetzungen werden unter dem Einfluss
der äusseren Spannung gebildet. Diese Versetzungen bilden die im
vorangehenden Abschnitt beschriebene Struktur. Das Spannungsfeld, das
sich aus dieser Versetzungsstruktur und durch Einwirkung einer äusseren
Spannung ergibt, soll nun untersucht werden. Dabei ist es wichtig, zwischen
innerer und äusserer Spannung zu unterscheiden: Die innere Spannung
9
wird von den Versetzungen erzeugt; sie wird durch die äussere Spannungüber die Veränderung der Versetzungsstruktur beeinflusst, ihr Mittelwert
bleibt dabei jedoch null. Die äussere Spannung wird durch die aussen
angelegte Last erzeugt; sie wird durch die Versetzungsstruktur verändert,
ihr Mittelwert bleibt dabei jedoch konstant.
a) innere Spannung
Der Verlauf der inneren Schubspannung wird abgeschätzt für die in
Bild 2-3 skizzierte schematische Versetzungsstruktur. Auf jedem Glied des
Gitters befindet sich eine Aufstauung der Länge L und der kontinuierlichen
Versetzungsdichte p(x) [Hirth 68b]. Der Spannungsverlauf entlang AB wird
angenähert durch die Ueberlagerungen der Spannungsfelder der
Aufstauungen I, n, III und IV. Der Einfluss aller anderen Aufstauungen
kann in dieser Abschätzung vernachlässigt werden, weil für jede
Aufstauung X genau eine entsprechende Aufstauung Y angegeben werden
kann, so dass sich die Spannungen von X und Y im Bereich AB ungefähraufheben. Die Schubspannung entlang AB ist somit gegeben durch
<=<=xo,y=0=!
ff ff ff ff
d,
*2 ff
ff ff
A
ff
B
ff
Bild 2-3: Modell der Versetzungsstruktur: Linien stellen Gleitbänder dar, die
Versetzungssymbole repräsentieren Versetzungsaufstauungen; die Aufstau¬
ungen der vollen Symbole werden für die Abschätzung der inneren
Schubspannungenberücksichtigt.
Oj
jp(xi)<LidZi2*2
10
Bild 2-4: Die Funktion F|» zwischen den Schnittstellen A und B; die punktierte
Linie zeigt den Effekt der einzelnen Versetzungen der Aufstauung U.
Die Integrale der Summanden sind im Anhang A4 explizit gegeben und
wurden numerisch gelöst. Das Resultat ist
^|A=<2*3
wobei t die wirkende Schubspannung und F|A in Bild 2-4 gegeben ist. F|A
geht gegen unendlich an den Stellen A und B und hat dazwischen ein
Minimum von ungefähr -0.5. Mit Gleichung 2*3 bedeutet dies, dass
zwischen den Punkten A und B der äusseren Spannung entgegengesetze
Schubspannungen bis zu x/2 auftreten:
-"xVjmin
2*4
b) Einfluss der äussere Spannung
Die äussere Spannung wird durch die Versetzungsstruktur verändert.
So spürt zum Beispiel die Kopfversetzung einer Aufstauung von N
Versetzungen das N-fache der aussen angelegten Spannung [Hirth 68d]. Da
11
die von der äusseren Last verursachte Spannung im Mittel gleich x sein
muss, wird sie zwischen A und B sehr kleine oder sogar negative Werte
einnehmen.
Als Folge der in Bild 2-3 skizzierten Mikrostruktur ergibt sich ein
Spannungsfeld mit ausgeprägten Spannungsspitzen an den
Gleitbandschnittstellen und mit negativen - d.h. der äusseren Last
entgegengesetzten - Spannungen dazwischen. Mit zunehmender Zahl N
der Versetzungen in den Aufstauungen werden die Spannungsspitzenstärker und der Betrag der negativen Spannungen grösser.
2.4.2 Die Feinstruktur der Reaktionsversetzungen
Die negativen Spannungen zwischen den Gleitbandschnittstellen
können Versetzungen mit dem entgegengesetzten Vorzeichen der
primären Versetzungen bewegen, so dass kleine Versetzungsaufstauungenentstehen. Die Zahl der Versetzungen innerhalb einer Aufstauung ist
proportional zur wirkenden Schubspannung [Hirth 68b]. Da die auf die
Kopfversetzung wirkende Kraft des Spannungsfeldes mit der Anzahl der
Aufstauungsversetzungen vervielfacht wird, sind die Spitzen der negativeninneren Spannungen gegeben durch:
I I -1 -N 2*5
lXnmax~4TiMriax- 4T
Da normalerweise N>4 ist, sind die Spitzen der Rückspannungen dem
Betrag nach grösser als die äussere Last. Falls die von der äusseren Last
verursachte Spannung zwischen den Schnittlinien negativ ist (Punkt
2.3.1b), führt dies zu einem weiteren Anstieg der Rückspannungen.
12
2.5 Diskussion des Modells der Versetzungsstruktur
2.5.1 Fehlerdiskussion
Das besprochene Modell beruht auf verschiedenen stark
vereinfachenden Annahmen, die zum Teil deutlich nicht der Realität
entsprechen: erstens die Orthogonalität der Modellstruktur, zweitens die
strikte Regelmässigkeit, drittens das Kontinuumsmodell der Aufstauung,
viertens die Vernachlässigung der Spannungen aller Aufstauungen ausser
MV, und fünftens werden nur Versetzungen eines Vorzeichen berück¬
sichtigt.
Die Gleitebenen schliessen in Wirklichkeit nicht rechte Winkel ein,
sondern den Winkel 70.53°. Somit existieren zwei nicht identische
Situationen, die sich dadurch unterscheiden, dass die zu den Versetzungen
gehörenden Halbebenen (in Bild 2-3 durch dicke Versetzungssymbole
angezeigt) im einen Fall in den spitzen und im anderen Fall in den
stumpfen Winkel zeigen. Entsprechend wird die Rückspannung zwischen
A und B einmal deutlich grösser und einmal deutlich kleiner als der
abgeschätzte Wert sein.
Bei unregelmässigem Abstand der Aufstauungen, insbesondere bei
unterschiedlicher Aufstauungslänge variieren die Effekte der äusseren Last
(über die Zahl N der Aufstauungsversetzungen).
Das Kontinuumsmodell ist eine sehr gute Näherung für die
Aufstauung I, für die Spannungen der Aufstauungen III und IV sind die
Fehler grösser als für die Aufstauung I aber nicht mehr als einige bis einige
zehn Prozent [Hazz 67]. Die Spannungen der Aufstauung II werden aber
völlig falsch wiedergegeben, da hier die Spannungen zwischen den
einzelnen Versetzungen gerechnet werden sollten. In Wirklichkeit
wechselt die Schubspannung zwischen den einzelnen Versetzungen
zweimal das Vorzeichen [Hirs 66]. Die Funktion F|A ist also zu grob. In Bild
2-4 ist mit punktierter Linie qualitativ der Effekt der einzelnen
Versetzungen der Aufstauung LT angegeben.
Die Vernachlässigung der Spannungen der übrigen Aufstauungen
ergibt einen relativen Fehler der kleiner als 0.3 ist. Diesen oberen Grenzwert
des Fehlers erhält man durch Berechnung des Spannungseinflusses einer
der Nachbaraufstauungen von WV.
13
Ein besseres Modell erhält man unter Berücksichtigung von
Versetzungen beider Vorzeichen. In diesem Fall müsste das Modell der
doppelseitigen Aufstauung zur Abschätzung der inneren Spannungenbenutzt werden [Hirth 68h]. Die qualitative Aussage bezüglich innerer
Spannungen ist in beiden Modellen dieselbe, so dass das einfachere Modell
mit den einseitigen Aufstauungen verwendet werden kann.
2.5.2 Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung
Mit abnehmender Stapelfehlerenergie wird das Quergleiten
erschwert, so dass unter einer gegebenen Spannung mehr Versetzungen in
einer Aufstauung konzentriert bleiben müssen, ohne dass die
Kopfversetzung die Aufstauung verlassen kann (Punkt 2.2.2). Entsprechend
sind nach Gleichung 2*5 die Spitzenwerte der Rückspannungen grösser.
Das gleiche gilt auch für eine Zunahme der Reibungsspannung, die
zu einer allgemeinen Erhöhung der Spannungen führt.
2.5.3 Schlussfolgerungen
Aus dem besprochenen einfachen Strukturmodell folgt:
1. Entlang einem Gleitband fluktuiert die Schubspannung stark, wobei sie
negative Werte annehmen kann, d.h. es sind der äusserlich angelegten Last
entgegengesetzte Spannungen vorhanden.
2. Diese Rückspannungen können lokal dem Betrag nach grösser sein als
die äussere Last.
3. Mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungs¬
spannung nehmen die Beträge der Spannungsspitzen zu.
14
3. DER BEGINN DER ZWILLINGSBILDUNG
3.1 Einleitung
Es gibt verschiedene Modelle für die Keimbildung eines
Verformungszwillings [Cohe 63, Cott 51, Fuji 75, Lage 93, Maha 73a, Ooka 57,
Reed 64, Slee 74, Vena 61]. Die vorgeschlagenen Modelle beschreiben vor
allem Versetzungsreaktionen zwischen einzelnen Versetzungen und die
dabei wirkenden Spannungen. Nur in einem Fall wird eine bereits
vorhandene Mikrostruktur in die Betrachtung mit einbezogen [Fuji 75]. Es
ist das Ziel dieses Kapitels, anhand einer möglichen und wahrscheinlichen
Zwillingsbildungsreaktion [Cohe 63] zu beurteilen, welches die Bedeutung
der sich entwickelnden Versetzungsstruktur für das Einsetzen der
Zwillingsbildung ist.
3.2 Eine mögliche Versetzungsreaktion
Eine mögliche Versetzungsreaktion, die zu einer
Zwillingsversetzung mit einem ausgedehnten Stapelfehler führt, ist die
Aufspaltung einer vollständigen Versetzung in eine Frank- und eine
Shockley-Versetzung [Cohen 63]. Mit Verwendung der Thompson-Notation
(Bild 3-1, [Thom 53])
~ 3*1
AB(d)-^->ßB+ Aß(b)
Der doppelseitige Pfeil steht dafür, dass die Versetzungsreaktion energetischindifferent ist. Bei kleiner Stapelfehlerenergie ist AB aufgespalten in 8B und
A8, so dass der Reaktion 3*1 die Vereinigungsreaktion
8B(d)+A8(d)—^-»AB(d)3*2
15
C
Bild 3-1: Definition des Thompson-Thetraeders [Thom 53]: die Kanten des
Thetraeders bezeichnen die <110> Richtungen und haben die Länge a0/V2.Die Flächen werden mit kleinen Buchstaben bezeichnet und repräsentierendie Gleitebenen. Die Flächenmittelpunkte werden mit kleinen
griechischen Buchstaben bezeichnet. Ein Burgersvektor wird in der
Thompson-Notation durch seinen Anfangs- und seinen Endpunkt im
Thompson-Thetraeder beschrieben.
vorangehen muss. Der kleine Pfeil entgegen der Reaktionsrichtung
symbolisiert, dass die Reaktion energetisch ungünstig ist, d.h. ohne äussere
Spannung läuft sie spontan von rechts nach links ab. Die für die
Vereinigung der Teilversetzungen lokal aufzubringende Spannung kann
mit [Hirth 68c] abgeschätzt werden, und durch Vergleich mit der
Schubspannung an der Spitze einer Versetzungsaufstauung ergibt sich die
kritische Schubspannung xci für die Vereinigung der Kopfversetzung zu
D3*3
mit D=G/2ji(1-v), v ist die Poissonkonstante. Der Parameter a ist ungefähr
eins. Bei der Ableitung dieser Gleichung wurde das Volterra-Modell an der
Stelle r=b verwendet, das Ergebnis ist somit eine obere Grenze für die
Spannung.
Da die Burgersvektoren des Reaktionsproduktes von 3*1 senkrecht
zu einander stehen, besteht zwischen den Produktversetzungen keine
Wechselwirkung. Auf die bewegliche Shockley-Versetzung wirken somit
nur die äussere Last und die Stapelfehlerenergie. Durch Vergleich der
16
beiden Kräfte erhält man die kritische Schubspannung xC2, die nötig ist,
damit sich die Schockley-Versetzung ungehindert bewegen kann unter
Bildung eines Stapelfehlers:
bz ist der Burgersvektor der Zwillingsversetzung.
3.3 Diskussion
3.3.1 Zwillingsbildungsspannung
Zur Bildung eines Zwillings muss die äussere Last grösser als xci und
auch grösser als zC2 sein. Somit wird mit zunehmender Anzahl der
Versetzungen in der Aufstauung und mit abnehmender Stapelfehler¬
energie die Zwillingsbildung begünstigt.Ist Tci>tc2/ so wird im Zugversuch eines Einkristalles ein
Spannungsabfall zu beobachten sein, wenn die Zwillingsbildung einsetzt
[Blew 57]. Ist dagegen rcx<xC2, so tritt ein Knick in der Verfestigungskurveauf [FTan 93, Mori 80, 77, Tran 93]. Da die durch die äussere Last wirkende
Schubspannung vom Schmidfaktor abhängt, ist das Verhalten beim
Übergang von der Gleitung zur Zwillingsbüdung orientierungsabhängig.Die Stapelfehlerenergie beeinflusst beide kritischen Spannungen: tC2
ist direkt proportional zur Stapelfehlerenergie; xci ist umgekehrt
proportional zu N, das mit abnehmender Stapelfehlerenergie wächst (Punkt
2.2.2). Somit nehmen beide kritischen Spannungen der Zwillingsbildungmit abnehmender Stapelfehlerenergie ab.
3.3.2 Zwillingsbildungsdehnung
Die Zwillingsbildungsdehnung Ccz hängt direkt von der Zwillingsbil¬
dungsspannung, der Reibungsspannung und dem Verfestigungsverhaltenab. Sie ist klein bei kleiner Zwillingsbildungsspannung, grosser
Reibungsspannung und grossem Verfestigungskoeffizienten. Über den
17
Verfestigungskoeffizienten hängt sie auch von der Stapelfehlerenergie ab:
mit abnehmender Stapelfehlerenergie nimmt der Verfestigungskoeffizientzu (Abschnitt 2.3) und Ecz somit ab.
3.3.3 Zwillingsdicke
Aus der in Abschnitt 3.2 besprochenen Reaktion entstehen Zwillinge,wenn die Produkt-Shokley-Versetzungen (also die Zwillingsversetzungen)sich auf benachbarten Gleitebenen bewegen [Cohe 63]. Die Stapelung der
Zwillingsversetzungen wird zunächst unregelmässig sein und zu
fehlerhaften Zwillingen führen. Bei der weiteren Bewegung der
Zwillingsfront durch die vorhandene Versetzungsstruktur werden weitere
Zwillinge ausgelöst, und es findet Dickenwachstum statt (Kapitel 5). Bei
diesem Prozess nimmt die Fehlerdichte der Zwillinge ab.
Bei allen diesen Reaktionen entstehen Zwillingsversetzungen aus
bereits vorhandenen, aufgestauten Versetzungen, und die Zwillingsdickeist demnach proportional der Versetzungsanzahl in den Aufstauungen. Mit
abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungsspannungnimmt diese Anzahl bei konstanter Dehnung zu (Abschnitt 2.2). Da die
Zwillingsbildungsdehnung aber gleichzeitig zu deutlich kleineren Werten
verschoben wird, nimmt die Anzahl der Aufstauungsversetzungen zum
Zeitpunkt der Zwillingskeimbildung ab. Somit nimmt die mittlere
Zwillingsdicke mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender
Reibungsspannung ab.
3.4 Schlussfolgerung
In diesem Kapitel wird gezeigt, wie sich die vorhandene
Versetzungsstruktur auf die Zwillingsbildung auswirkt. Ob die
Zwillingsversetzungen durch das einfache Reaktionsschema oder durch
andere Reaktionen entstehen, ob die Zwillingsfronten durch eine geordnete
Überlagerung der ZwillingsVersetzungen oder mehr zufällig gebildet
werden, wird hier nicht entschieden. Aus den Betrachtungen folgt aber, dass
die Versetzungsreaktionen zur Bildung der Zwillingsversetzungen durch
die Spannungsspitzen der ursprünglichen Versetzungsstruktur ausgelöst
18
werden, und die Bedeutung der Stapelfehlerenergie und der
Reibungsspannung werden durch die Gleichungen 3*3 und 3*4 richtig
widergegeben:
Mit abnehmender Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungs¬
spannung nehmen die Zwillingsbüdungsspannung, die Zwillingsbildungs¬dehnung und die Zwillingsdicke ab.
19
4. MODELL EINER ZWILLINGSFRONT
4.1 Einleitung. Bildung der Versetzungswand
Direkt nach der Bildung der Zwillingsversetzungen ist der Abstand
zwischen zwei aufeinanderfolgenden Versetzungen gross verglichen mit dem
Gleitebenenabstand [Mite 91]. Darum kann die Zwillingsfront in diesem
Stadium als ebenes System behandelt werden. Trifft die Kopfversetzung auf ein
Hindernis, so verhält sich die Zwillingsfront bei sehr kleiner Spannungzunächst wie eine gewöhnliche Versetzungsaufstauung, d.h. wie eine ebene
Aufstauung von vollständigen Versetzungen. Bei erhöhter Spannung nähert
sich aber die zweite Versetzung der ersten so sehr, dass sie in den Bereich
kommt, wo die abstossende Kraft Fk nicht mehr monoton mit abnehmendem
Abstand steigt (Bild 4-2). Falls die durch die äussere Last auf die zweite
Versetzung wirkende Kraft grösser als das Maximum von Fk ist, wird die
zweite Versetzung die stabile Position direkt über der Kopfversetzungeinnehmen. Bei weiterer Spannungserhöhung werden die folgenden
Versetzungen in gleicher Weise ihre Positionen in der nun entstehenden
Versetzungswand einnehmen, sofern das Hindernis eine genügende Ausdeh¬
nung in der y-Richtung hat (z.B. eine Hindernislamelle (Kapitel 6) oder eine
Komgrenze, die y-Richtung ist in Bild 4-1 definiert).
Im folgenden wird abgeschätzt, welche Spannung Xck aufzubringen ist,
damit die zweite Versetzung Fk überwindet und sich über der Kopfversetzung
plaziert [Müll 94a], und welcher Bruchteil n der Versetzungen in die
Versetzungswand eingeht [Müll 94b]. Die Näherung des Disklinationsmodells
für die Zwülingsfront wird diskutiert.
Bild 4-1 zeigt die Versetzungskonfiguration eines blockierten Zwillingsbevor die zweite Versetzung in die Versetzungswand eingeht eine Aufstauungvon identischen Teilversetzungen auf aufeinanderfolgenden Gleitebenen. Die
Position der ersten Versetzung Vi - der Kopfversetzung - ist xi=0, yi=0. Die
Koordinaten jeder weiteren Versetzung Vn sind xm yn = (n - l)a0/V3.
20
y i,
Y4
y2
— Fk Fu>2-
Vi l
•v4
v3
X2 «3 «4
Bild 4-1: Konfiguration der Zwillingsversetzungen unter einer äusseren Last, die
nicht ausreicht, um die zweite Versetzung über die erste zu stellen.
Bild 4-2: Abstossende Kraft zweier identischer Stufenversetzungen, die sich auf
benachbarten Gleitebenen bewegen (ausgezogene Linie) bzw. die sich auf
derselben Gleitebene bewegen (gestrichelte Linie).
Die zur x-Achse parallele Komponente Fk der abstossenden Kraft zweier
paralleler Stufenversetzungen mit demselben Burgersvektor b. ist [Hirth 68c]:
Fk = Db2 2xy^^
*'+r (x2+y2)Z4*1
Die Funktion Fk(x) ist für y=y2 im Bild 4-2 dargestellt; sie hat ein Maximum,
Fkmax:
21
*--&
mit bz dem Burgersvektor der Zwillingsversetzung. Die Position des
Maximums ist:
X(Fkmax)=(^+1)y2=(2+^K 4*3
Weil V2 die erste Versetzung ist, die aus der Anordnung ausbricht, und weil
gilt xn+i-xn>xn-xn-i, kann die gesamte Kraft Fn>2/ die durch alle Versetzungen
mit n>2 auf die Versetzung V2 ausgeübt wird, durch das Aufstauungsmodell
angenähert werden [Vlad 76b]:
F„>2„fcÄ„H|i
V2 wird aus der Aufstauungskonfiguration ausbrechen und die Wandposition
einnehmen, wenn gilt Fn>2äFkmax- Mit Gleichungen 4*2 und 4*4 wird xck=
tck =D
2V2N4*5
4.3 Der Bruchteil n der Versetzungen in der Wand
Angenommen, Zwillingsversetzungen der Anzahl M haben ihre Position
in der Versetzungswand erreicht (Bild 4-3), so ist das Spannungsfeld dieser M
Versetzungen gleich dem eines Disklinationsdipols mit dem Abstand 2aM
Ma0 , ,
aM=^4*6
und dem Frankvektor <äx (fflz ist in Anhang A2.2 definiert). Die Kraft, die ein
Spannungsfeld auf eine Versetzung ausübt ist das Produkt der auf das Gleit¬
system wirkenden Schubspannung und dem Burgersvektor der Versetzung
[Peach 50]. Mit y=aM (Bild 4-3) und Gleichung Al*5c wird die abstossende
Kraft Fd, die der Disklinationsdipol auf die Versetzung Vm+1 ausübt,
22
Fd=2DcozbzaM 2 2
F<j hat ein Maximum Fdmax an der Stelle x=2aM:
r'dmax :Dü)zbz
4*7
4*8
Fd Fn>m+1
Bild 4-3: Konfiguration der Zwillingsversetzungen unter einer äusseren Last, die
ausreicht, umM Versetzung über einander zu stellen.
Die Kraft Fn>M+i, die durch alle Versetzungen mit n>M+l auf die
Versetzung ZVm+i ausgeübt wird, kann wiederum durch das Aufstauungs¬
modell angenähert werden [Hirth 68d]:
Fn=-M+l=(N-M)xbz 4*9
Die Versetzung Vm+i wird ihre Position in der Versetzungswand einnehmen,
falls gilt Fn>M+i^Fdmax. Daraus, und aus den Gleichungen 4*8 und 4*9 folgt
MSN-^z2x
4*10
Jede Versetzung, die 4*10 erfüllt, wird ihre Position in der Versetzungswand
einnehmen. Somit ist die totale Anzahl Mt der Versetzungen innerhalb der
Wand gegeben durch
23
Mt=nfN-^L 2x
neZ 4*11
und der Bruchteil der Zwillingsversetzungen innerhalb der Wand wird
M*,
Dco,r| = _i.öl--_z. 4*12
N 2Nx
4.4 Diskussion
4.4.1 Numerische Beispiele für austenitischen Stahl
Beispiel 1: Stickstofflegierter Austenit, kaltverformt bei Raumtemperatur (Stähle
la+d, Anhang A3.; [Müll 93])
Verformungszwillinge werden deutlich oberhalb einer Spannung von
500 MPa gebildet, d.h. die Schubspannung x ist grösser als 170 MPa. Die
Zwillingsdicke beträgt typischerweise 100 nm, und N beträgt somit ungefähr500. Mit G=80 GPa und v=0.28 [Ledb 85] (somit D=17.7 MPa) ergeben sich xCk
und n aus den Gleichungen 4*5 und 4*12 zu:
Xck=12.5 MPa,
rpO.93.
Beispiel 2: Stickstofflegierter Austenit, kaltverformt bei 4 K (Stähle 2a, 2b, 3,4,
Anhang A3.; [Müll 94c])
Die Streckgrenze ist grösser als 1500 MPa, d.h. die Schubspannung x ist
grösser als 500 MPa. Die Zwillingsdicke beträgt typischerweise 10*20 nm, N
beträgt also ungefähr 75. Mit den Gleichungen 4*5 und 4*12 ergeben sich xck
und n zu:
Xck=83 MPa,
n>0.84.
Diese Beispiele zeigen, dass die tatsächlichen Spannungen immer
deutlich grösser sind als die zur Bildung der Versetzungswand nötige
24
Spannung x^. Mit mehr als 80 Prozent befindet sich das Gros der Versetzungen
innerhalb der Versetzungswand.
4.4.2 Fehlerdiskussion
In den Abschätzungen von xck und T) sind einige Näherungen enthalten:
Erstens wird das Modell der Volterra-Versetzung verwendet, das an der Stelle
der Versetzungslinie eine Singularität aufweist und in deren Nähe deutlich zu
hohe Spannungen angibt; xck und r) werden somit unterschätzt. Zweitens wird
lineare Elastizität angenommen. Die vorliegenden Situation ist an der Grenze
der linearen Elastizitätstheorie, was bedeuted, dass Fk und Fd überschätzt und
xCk überschätzt bzw. t\ unterschätzt werden. Drittens wird für die
nachfolgenden N-2 respektive N-M-l Versetzungen das Aufstauungsmodell
eines planaren Versetzungssystems verwendet. Die totalen Kräfte Fn>2 und
Fn>M+l werden dadurch überschätzt und somit x^ unterschätzt bzw. T)
überschätzt. Viertens wird angenommen, dass sich die Versetzung Vm+i aur
derselben Ebene befindet wie die Versetzung Vm-
Die Fehler der ersten Näherung können, wie in Punkt AI.2.3 erläutert,
abgeschätzt werden. Mit x=x(Fkjnax)=3.4bz, y=d und Gleichungen Al*lc, Al*2c,
Al*3 und Al*4 ergibt sich der relative Fehler von xck zu 50.5. Der relative
Fehler von n ist deutlich kleiner als 0.1, weil Fk in den Subtraktor der Differenz
4*12 eingeht.Die lineare Elastizität ist ausserhalb des Versetzungskernes (Kernradius
r0=2b) gültig [Hirth 68e]. Da der Ort des Maximums von Fk (x(Fkmax)=3.4bz)
ausserhalb des Kernradius liegt, ist der Fehler, der durch die Anwendung der
linearen Elastizität gemacht wird, deutlich kleiner als der Fehler des Volterra-
Versetzungsmodells und kann somit vernachlässigt werden.
Aus Bild 4-2 sieht man, dass der Einfluss der unterschiedlichen
Gleitebenen mit zunehmendem Abstand schnell abnimmt. Somit kann der
absolute Fehler AFn>2 von Fn>2/ den die Näherung der ebenen Aufstauung
ergibt, durch den Fehler dieser Näherung für die Versetzung V3 abgeschätzt
werden. Da X3-X2 deutlich grösser als X2-X1 ist [Vlad 76b], findet man einen
oberen Grenzwert für AFn>2, wenn X2-X1 an Stelle von X3-X2 gesetzt wird. Mit
x2^x(Fkmax) und mit Gleichung 4*3 wird AFn>2:
ab^2-5^.
4*13
25
Mit den Gleichungen 4*4 und 4*5 und unter Berücksichtigung, dass das Modell
der Volterra-Versetzung die Spannungen um etwa dreissig Prozent
überschätzt, wird der relative Fehler von Xck:
ATdc^AFn>2_. D;Q1
*ck Fn>2 5Nx'
4*14
Aus den beiden Beispielen folgt, dass das Produkt Nx mit abnehmender
Zwillingsdicke abnimmt und der relative Fehler von x^ zunimmt. Bei einer
Zwillingsdicke über lOnm ist der Fehler klein (<0.1), bei einer Zwillingsdickedeutlich unter lOnm wird der Fehler aber gross.
Die Fehler der letzten Näherung kann vernachlässigt werden, wenn M
und N-M gross sind verglichen mit eins. Dies ist der Fall, wenn N grösser als
etwa 30 ist; in den meisten Fällen trifft dies zu, wie aus den beiden Beispielenersichtlich ist Ist N kleiner als 30 (die Zwillingsdicke also kleiner als 6nm), so
ist N-M oder M nicht gross verglichen mit eins und Xck und n werden deutlich
unter bzw. überschätzt.
Resultat der Fehlerdiskussion
1. Dicke Zwillinge (d>10nm):
Der relative Fehler von xck ist <0.5; die Abschätzung von xck ist somit
hinreichend genau, da die angelegte Spannung um eine Grössenordnung
grösser als Xck ist. Der relative Fehler von T| ist klein (50.1), und die
Abschätzung n ist in diesem Bereich eine gute Näherung.
2. Dünne Zwillinge (d<10nm):
Die relativen Fehler von xck und n nehmen mit abnehmender
Zwillingsdicke rasch zu, wobei n deutlich überschätzt wird.
3. Sehr dünne Zwillinge (d«10nm):
Die der Abschätzung zu Grunde liegenden Annahmen sind nicht
zutreffend: M oder N-M sind nicht gross verglichen mit eins, was bedeutet,
dass es unzulässig ist, die Versetzungen mit n>M+l als ebene
Versetzungsaufstauung zu behandeln.
26
4.5 Dipolnäherung der Zwillingsfront
Die Form einer blockierten Zwillingslamelle sieht wie folgt aus: Die
ersten Mt Versetzungen bilden eine Versetzungswand. Die folgenden N-Mt
Versetzungen bilden eine elliptische Grenzfläche, deren Spitze sich in der
Entfernung 2a von der Versetzungswand befindet (dabei ist a gegeben durch
Gleichung 4*6 mit M=Mt, Bild 4-3). Das Spannungsfeld der Zwillingsfront ist
gegeben durch die Überlagerung der Spannungsfelder der Versetzungswand
und der elliptischen Versetzungsaufstauung, und die exakte Lösung ist deshalb
sehr kompliziert.
Eine einfache Näherung ist das Spannungsfeld einer Versetzungswand
aus N Versetzungen, d.h. es wird angenommen, dass sich alle N
Zwillingsversetzungen in der Versetzungswand befinden. Das Spannungsfeldist explizit gegeben durch:
q^DttJlln^y-3^,
x2--
x2 .14*15a
\2 x2+(y + a)2 x2+(y-a)2 x2+(y + a)2j
a^DttJlh/^^2- X'.+
,
*2 .14*15b
n [2 x2+(y + a)2 x2+(y-a)2 x2+(y + a)2j
axv =TXazx-\
„
y + a
,,—„ y,a ,„l 4*15c
Jxy
—
l-nuzr- l2
x2 + (y + a)z x2 + (y-a)2
oZ2 = D(azvlny \ 4*15d
x^+(y + a)
öxz=öyz = 0 4*15e
Diese Näherung, die Dipolnäherung der Zwillingsfront, überschätzt die
kurzreichenden Spannungen. Da aber r| für Zwillinge mit einer Dicke über
lOnm grösser als 0.8 ist (bzw. grösser als 0.9 für Zwillingsdicken grösser als
lOOnm), wird angenommen, dass der relative Fehler der Spannungen kleiner
als 0.2 (bzw. kleiner als 0.1) ist.
27
4.6 Eine Zwillingsfront nach der Überwindung eines Hindernisses
Eine Versetzungswand ist eine mechanisch stabile
Versetzungskonfiguration und bleibt nach ihrer Bildung grundsätzlichbestehen. Da eine Zwillingsfront einen Hinderniszwilling als
Disklinationsdipol überwindet (Kapitel 6), gilt dies auch für eine solche
Zwillingsfront, die sich in einem Kristall bewegt, der abgesehen von anderen
Zwillingen perfekt ist. Das im vorangehenden Abschnitt diskutierte
Dipolmodell kann also unverändert für den Fall einer sich bewegenden
Zwillingsfront übernommen und auf die Wechselwirkung von Zwillingen mit
Hinderniszwillingen (Kapitel 6) und anderen Defekten wie Gleitbändern
(Kapitel 5) angewendet werden.
4.7 Schlussfolgerungen
Es zeigt sich:
1. T) wird durch die abnehmende Zahl der nachfolgenden AufStauungs-
versetzungen kontrolliert (Fn>M+l=(N-M)xbz, Gleichung 4*9) und nicht durch
die zunehmende Zahl M der Wandversetzungen (Fdmax=Dü)zbz/2, unabhängigvon M, Gleichung 4*8).
2. Die Dipolnäherung ist genügend genau für Zwillinge mit einer Dicke von
mehr als einigen Nanometern (d.h. mehr als einige zehn Zwillingsver¬
setzungen bilden die Zwillingsfront).
3. Die Dipolnäherung wird mit zunehmender Zwillingsdicke und
zunehmender Spannung genauer (Gleichung 4*12).
4. Die Dipolnäherung ist nicht anwendbar auf Zwillinge, die aus nur wenigen
Versetzungen bestehen.
28
5. GLEITUNG UND ZWILLINGSBILDUNG; KOOPERATIVE
MECHANISMEN
5.1 Einleitung
Im Kapitel 3 wurde gezeigt, dass eine hohe Spannung aufgebracht
werden muss, um die Zwillingsbildung auszulösen. Bevor diese Spannungerreicht wird, ist die Gleitung aktiv und der Werkstoff verfestigt, während
er plastisch verformt wird, durch die Ausbildung einer Versetzungs¬struktur. Es ist jedoch aus mehreren Gründen nicht so, dass unterhalb einer
von aussen aufgebrachten Spannung ausschliesslich die Gleitung und
oberhalb dieser Spannung ausschliesslich die Zwülingsbildung aktiv sind:
1. Im Vielkristall sind die Körner unterschiedlich orientiert und
somit wirken entsprechend den verschiedenen Schmidfaktoren
unterschiedliche Schubspannungen.
2. Innerhalb eines Kornes sind die Spannungsmaxima an den
Schnittstellen von Gleitbändern unterschiedlich gross, da der Abstand
zwischen den Gleitbändern und auch die Versetzungsdichte innerhalb der
Gleitbander variieren.
3. Ein Verformungszwilling reagiert während der Fortbewegung der
Zwillingsfront mit den vorhandenen Versetzungen der ursprünglichen
Versetzungsstruktur. Als Folge wird die Versetzungsdichte vermindert und
die Versetzungsstruktur entspannt sich, was zu einer erneuten
Gleitaktivität führt.
Das vorliegende Kapitel befasst sich mit dem dritten Punkt. Es wird
gezeigt, dass es durch die Wechselwirkung der Zwillingsfront mit der
Versetzungsstruktur zu Zwillingswachstum, zur Bildung sekundärer Zwil¬
linge und zur Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung kommen kann
[Müll 94d]. Das dabei ablaufende Wechselspiel zwischen Zwillingsbildungund Gleitung wird als Ursache für die gute Duktilität austenitischer Stähle
angenommen.
29
5.2 Sekundäre Zwillinge und Zwillingswachstum
Eine Zwillingsfront ist von Spannungen (Gleichungen 4*15)
umgeben, die in der Nähe der Zwillingsfront sehr hoch sind und nahe an
die theoretische Festigkeit kommen. Vor der Zwillingsfront ist deren
Schubspannung gleichsinnig der äusseren Last. Bewegt sich eine Zwillings¬
front auf eine Gleitbandschnittlinie mit Versetzungsaufstauungen zu, so
überhöht die vor der Zwillingsfront hergeschobene Spannungswelle die
Wirkung der äusseren Last Da jetzt jede der Aufstauungsversetzungen eine
Schubspannung spürt, die deutlich grösser als die äussere Last ist (in einer
Entfernung von 100 Zwillingsdicken vor der Zwillingsfront (x=200a)
entspricht deren Schubspannung einer äusseren Zugspannung von
300MPa), wird die Kraft auf die Kopfversetzung stark erhöht, was lokal zu
einer drastischen Verminderung der für die Vereinigung der
Kopfversetzung nötigen äusseren Spannung führt:
..DD .
5*!
icl=a ^r«a—= xcl, a «a
Dies bedeutet, dass mit der Annäherung einer Zwillingsfront an eine Gleit¬
bandschnittlinie (Bild 5-la) die Aktivierung der Zwillingsbildung an dieser
Gleitbandschnittlinie beschleunigt wird. Unter der Spannungserhöhung an
der Gleitbandschnittlinie sind verschiedene Szenarien vorstellbar:
a) Sekundäre Zwillinge
Die Kopfversetzung der auf der Gleitebene der einfallenden
Zwillingsfront liegenden Aufstauung reagiert nach Gleichung 3*1. Da die
aktuelle Schubspannung gross ist, werden sich auch die nachfolgenden
Versetzungen vereinigen und nach Gleichung 3*1 reagieren. So wird aus
dieser Aufstauung ein sekundärer Zwilling gebildet Anschliessend passiertdie Zwillingsfront die Gleitbandschnittlinie (Bild 5-lb).
b) Weiteraufspaltung der Frankversetzungen
Die an den zurückbleibenden Frankversetzungen entstehenden
Spannungen führen zu deren Aufspaltung (Bild 3-1):
30
a)
wy A
LCTB
d)
Bild 5-1: Wechselwirkung zwischen einer Zwillingsfront und einer
Gleitbandschnittstelle: volles Versetzungssymbol bezeichnet die Lomer-
Cottrell-Barriere, Leere Versetzungssymbole: ebene Versetzungssysteme(Aufstauungen), a) Zwillingsfront trifft auf eine Lomer-Cottrell-Barriere;b) Bildung eines sekundären Zwillings mit anschliessendem Durchbrechen
der Lomer-Cottrell-Barriere; c) Bildung eines sekundären Zwillings mit
anschliessendem Wiederaufspalten der Frank-Versetzungen; d) Dicken¬
wachstum des primären Zwillings.
ßB-_£->AB(d) + ßA(b)5*2
Diese Reaktion kann nur unter sehr hoher Spannung, und in der
gegebenen Situation nur bei gleichzeitiger Überwindung der Lomer-
Cottrell-Barriere, ablaufen. Somit können sich auch die Versetzungen auf
dem sekundären System wieder weiterbewegen. Der primäre Zwilling wird
am sekundären Zwilling vorerst blockiert. Das Ergebnis dieses Szenariums
ist die Situation von Bild 5-lc.
31
c) Überwindung der Lomer-Cottrell-Barriere
Die Lomer-Cottrell-Barriere wird überwunden, bevor die Kopfver¬
setzung vereinigt wird. Die ganze Aufstauung, oder ein Teil davon, bewegtsich zur nächsten Gleitbandschnittlinie und erhöht dort die Spannung. Im
letzteren Fall wird an der ursprünglichen Gldtbandschnittlinie erneut eine
Lomer-Cottrell-Barriere gebildet.
d) Wachstum des einfallenden Zwillings
Die Kopfversetzung und weitere Versetzungen der Aufstauung auf
dem sekundären Gleitsystem vereinigen sich und reagieren nach Gleichung
3*1. Der so entstehende Zwilling grenzt an den einfallenden Zwilling, der
somit Dickenwachstum erfährt (Bild 5-1 d). Da die Spannung auf dem
primären Gleitsystem durch den einfallenden Zwilling stärker erhöht wird
als auf dem sekundären System, kann das Zwillingswachstum nur
zusammen mit einem der oberen Mechanismen ablaufen.
Es kann nicht allgemein vorausgesagt werden, welcher dieser
Mechanismen abläuft und wie vollständig dies geschieht (d.h. wie viele der
Aufstauungsversetzungen zurückbleiben); die verschiedenen Lomer-
Cottrell-Barrieren sind unterschiedlich stark [Hirth 61] und in
unterschiedlich orientierten Kömer wirken unterschiedliche Spannungen.Es ist anzunehmen, dass alle vier (und eventuell auch weitere)
Mechanismen gleichzeitig an verschiedenen Stellen ablaufen können.
5.3 Zwillinge zweiter Ordnung
Im vorangehenden Abschnitt wurde die Wechselwirkung einer
bewegten Zwillingsfront mit dem Spannungsfeld an einer
Gleitbandschnittlinie besprochen. Dieser Abschnitt befasst sich mit der
Wechselwirkung der Zwillingsfront mit dem Spannungsfeld zwischen den
Gleitbandschnittlinien.
32
5.3.1 Die Spannungen hinter der Zwillingsfront
Innerhalb eines Zwillings ist die Kristallorientierung für eine weitere
Verformung durch Zwillingsbildung (Zwillingsbildung 2. Ordnung)
ungünstig, d.h. der Schmidfaktor ist negativ und dem Betrag nach gross.
Dies gilt vor allem für die Zwillingssysteme, die zu den Zwillingen 1.
Ordnung spiegelsymmetrisch sind bezüglich deren Habitusebene. Die
beobachteten Zwillinge 2. Ordnung (Abschnitt 5. 5) können also nicht direkt
unter dem Einfluss der äusseren Last entstanden sein.
Entlang den Gleitbändern variiert die Spannung deutlich, und es
existieren ausgprägte Spannungsspitzen, die der äusseren Last
entgegengesetzt sind (Kapitel 2). Wenn sich eine Zwillingsfront entlangeinem Gleitband bewegt, wird dieser Spannung die Spannung der
Zwillingsfront überlagert. Direkt hinter der Zwillingsfront ist diese
Spannung gross (das Maximum ist mit D© in der Grössenordnung der
theoretischen Festigkeit) und ebenfalls entgegengesetzt der äusseren Last.
Demnach gibt es im Zwilling direkt hinter der Zwillingsfront lokal
Spannungen, die günstig und hinreichend gross sind für die Bildung von
Zwillingen zweiter Ordnung.
5.3.2 Energie einer Zwillingslamelle mit Zwillingen zweiter Ordnung
Es gibt zwei verschiedene Typen von Zwillingen zweiter Ordnung:Vom ersten Typ, Typ A, sind Zwillinge, deren Kristallorientierung mit der
Matrixorientierung übereinstimmt. Alle anderen Zwillinge sind vom TypB: sie stehen in einer £9 Orientierung zur Matrix. Es gibt total zwölf
Zwillingssysteme zweiter Ordnung; drei davon erzeugen Typ A Zwillinge,und die neun weiteren Typ B Zwillinge. Im weiteren werden aber nur die
zwei Systeme betrachtet, die sich durch Spiegelung der aktiven Systemeerster Ordnung an der Habitusebene eines Zwillings ergeben.
Das Spannungsfeld eines Systems von Mutterzwilling und
Zwillingen zweiter Ordnung (im weiteren kurz Zwillingssystem genannt)
ergibt sich durch die Überlagerung der Spannungsfelder der einzelnen
Zwillinge. Die Zwillinge zweiter Ordnung können durch Disklinations¬
wände identischer Disklinationen der Stärke &>z mit alternierendem
Vorzeichen betrachtet werden (Bild 5-2a,b). Diese Disklinationswände
beschreiben Kippgrenzen mit dem Winkel oow [Li 72]:
33
a)
h2a,
b)
C)
Bild 5-2: Zwillinge zweiter Ordnung: a) Zwillinge vom Typ A; b) Zwillinge vomTyp B; c) Quadrupolnäherung für das Spannungsfeld der Zwillinge zweiter
Ordnung
«uw=x"sinßcoz 5*3
wobei x" der Volumenanteil der Zwillinge zweiter Ordnung im
Mutterzwilling, ß beträgt für Typ A Zwillinge 90° und für Typ B Zwillinge70.53°. Diese Grenzen können auch durch einen Quadrupol mit der Stärke
u)w beschrieben werden (Bild 5-2c). Das Vorzeichen dieses Quadrupols ist
entgegengesetzt dem des Mutterzwillings, so dass das gesamte
Zwillingssystem als Quadrupol mit der Stärke cos betrachtet werden kann:
cos = coz - cow = (1 - x"sinß)coz5*4
34
Da die Energie einer Disklinationskonfiguration proportional dem
Quadrat der Disklinationsstärken ist (Anhang A1.3), vermindern Zwillingezweiter Ordnung die Energie einer Zwillingslamelle um
— = x"2sin2ß-2x"sinß = -2x"5*5
E
wobei die Näherung für kleine x" gilt (x"<0.2).
Die starke Verminderung der Energie wird als treibende Kraft für die
Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung angenommen.
5.3.3 Einfluss der Zwillingsdicke
Die Energie einer Zwillingslamelle ist proportional zum Quadrat der
Zwillingsdicke (Gleichungen Al*6 und Al*8b, Anhang AI). Somit nimmt
die treibende Kraft für die Bildung von Zwillingen zweiter Ordnung mit
abnehmender Zwillingsdicke stark ab. Es ist zu erwarten, dass in sehr
dünnen Zwillingen keine Zwillinge zweiter Ordnung gebildet werden. Dies
stimmt mit experimentell beobachteten Strukturen überein (Abschnitt 5.5).
5.4 Wechselspiel zwischen Zwillingsbildung und Gleitung
Im Vorangehenden wurde gezeigt, dass eine sich durch die
bestehende Versetzungsstruktur bewegende Zwillingsfront weitere
Zwillingsbildung auslösen kann, wobei die zur Aktivierung weiterer
Zwillingsfronten nötige Schubspannung deutlich kleiner ist als diejenigefür die Aktivierung der ersten Zwillingsfront (Gleichung 5*1). Das bedeutet,
dass die Zahl der sich bewegenden Zwillingsfronten sehr schnell zunimmt.
Eine einzelne Zwillingsfront kann also eine "Zwillingslawine" auslösen.
Bei der Aktivierung neuer Zwillinge reagieren die aufgestauten,
festsitzenden Versetzungen zu beweglichen Zwillingsfronten. Dadurch
relaxieren die lokalisierten Spannungsspitzen und die Rückspannungenauf die bestehenden Versetzungsquellen. Als Folge ist nach dem Passieren
einer Zwillingsfront lokal wieder Verformung durch Gleitung möglich.
Versetzungsaufstauungen und mit ihnen innere Spannungsspitzen werden
35
erneut aufgebaut, was später wiederum zur Aktivierung von Zwillingenführt.
Während dieses Wechselspieles zwischen Gleitung und
Zwillingsbildung nimmt die Zwillingsdichte zu und die freie Weglänge der
Versetzungen und die Zahl der Versetzungen innerhalb einer Aufstauungab. Eine abnehmende freie Weglänge bedeutet Verfestigung. Die
verminderte Zahl der Aufstauungsversetzungen erhöht die kritische
Zwillingsbildungsspannung xci, und die zur Versetzungszahl proportionale
Zwillingsdicke wird verringert. Somit werden mit zunehmender Dehnungbei höherer Spannung dünnere Zwillinge gebildet.
5.5 Experimentelle Resultate
Bild 5-3 zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die Hindernislamelle
zusätzlich zur Zwillingsscherung eine weitere Verschiebung erfahren hat.
Diese Verschiebung kann durch Versetzungen verursacht worden sein, die
sich zusammen mit der Zwillingsfront bewegt haben, nachdem sie
entsprechend dem Mechanismus gemäss 5.2b) durch die ehemalige Lomer-
Cotrell-Typ Barriere gedrück worden sind.
Die Bilder 5-4 bis 5-7 zeigen Beispiele von Zwillingskonfigurationenin austenitischem Stahl: in dünnen Zwillingen werden wenige bis keine
Zwillinge zweiter Ordnung beobachtet (Bild 5-4), während in dicken
Zwillingen (d>100nm) häufig Zwillinge zweiter Ordnung gebildet werden
(Bild 5-5). Der Anteil von Zwillingen zweiter Ordnung im Mutterzwillingkann einige zehn Prozent ereichen, und die Zwillingsanordnungen können
sehr kompliziert sein (Bild 5-6).
Es wird allgemein beobachted, dass unter höherer Spannung dünnere
Zwillinge entstehen. So wurden die Zwillinge in den Bildern 5-4 und 5-7 in
Tieftemperatur-Zugversuchen gebildet, wo die Streckgrenze der Werkstoffe
über 1300MPa beträgt (Anhang A3.).
36
Bild 5-3: Zwülmgsschnittstelle (TEM, HF, B=<110>) die Hindernislamelle ist
um mehr als das Zwillmgsscherverhaltnis abgeschert (Stahl 5)
Bild 5-4: Dünne Zwillinge ohne Zwillinge zweiter Ordnung (Stahl 3, 4 2K, HF).
37
Bild 5-5 Dicke Zwillinge mit Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl lb 298K
TEM HF)
Bild 5-6 Komplizierte Zwillingsanordnung m Stahl 5 entstanden bei 298K
(TEM HF, B=<110>)
38
Bild 5-7: Dünne Zwillinge in einem stickstoffreichen Stahl bei tiefer Temperatur(Stahl 2a, 77K, TEM, HF, B=<110>)
5.6 Diskussion
5.6 1 Kooperative Mechanismen und die mechanischen Eigenschaften von
Vielkristallen
a) Duktilität
Durch das Wechselspiel von Zwillingsbildung und Gleitung wird die
durchschnittliche totale Laufweite der Versetzungen gross. Die totale
Laufweite ist nicht zu verwechseln mit der freien Weglänge: Letztere ist der
Abstand zwischen der Versetzungsquelle und dem ersten
Versetzungshindernis. Unter der Spannung einer passierenden
Zwillingsfront kann die Versetzung dieses Hindernis überwinden und
weitere Strecken zurücklegen. Die totale Laufweite einer Versetzung ist der
Weg, den sie bis zum Versagen des Materials zurücklegt. Sie kann ein
Vielfaches der freien Weglange sein.
Die Gesamtdehnung einer Versuchsprobe ergibt sich aus dem
Produkt von der Versetzungsdichte, von der Versetzungslaufweite und
39
vom Burgersvektor. Das Wechselspiel von Zwillingsbildung und Gleitung
ermöglicht einerseits grosse Laufweiten und andererseits das Erzeugen
einer Vielzahl von Versetzungen aus derselben Versetzungsquelle. Somit
sind die Voraussetzungen für eine hohe Dehnung - also gute Duktilität -
gegeben.
b) Festigkeit
Die Festigkeit wird durch die Hindernisdichte und Hindernisstabilität
oder -Wirksamkeit bestimmt Bevor die Zwillingsbildung einsetzt, sind die
Gleitbandschnittlinien die wesentlichen Hindernisse. Mit dem Einsetzen
der Zwillingsbildung nimmt die Wirksamkeit der Gleitbandschnittlinie ab,
es entstehen aber mit den Zwillingslamellen neue Hindernisse für die
Bewegung sowohl der Versetzungen wie auch der Zwillingsfront. Der
Beitrag der Gleitung zur Festigkeit ist durch die abnehmende freie
Weglänge bestimmt, die dem mittleren Abstand zwischen benachbarten
Zwillingslamellen entspricht. Der Beitrag der Zwillingsbildung zur
Festigkeit nimmt mit abnehmender Zwillingsdicke zu (Kapitel 6).
c) Zähigkeit
Die Zähigkeit eines Materials hängt u.a. davon ab, ob lokale
Spannungsspitzen, bevor sie zur Rissbildung führen, abgebaut werden oder
nicht. Die Bildung von Zwillingen bedeutet, dass den Spannungen an
Gleitbandschnittlinien eine obere Grenze gegeben ist und zwar xci
respektive xC2- Somit gibt die Möglichkeit der Zwillingsbildung Sicherheit
vor Sprödbruch, solange ausschliesslich Gleirung die Verformung trägt.
Mit Einsetzen der Zwillingsbildung werden aber neue Spannungen
eingebracht, nämlich das Spannungsfeld der Zwillingsfront. In Kapitel 7
wird gezeigt, dass die Zugspannung einer Zwillingsfront Sprödbruchauslösen kann, sofern die Versetzungsdichte klein ist.
5.6.2 Ruckartiges Fliessen in Einkristallen
Die Zwillingsbildung ist ein strikt mit dem Kristallgitter verbundener
Verformungsmechanismus. Somit sind Korngrenzen wirkungsvolle
40
Hindernisse für die Bewegung einer Zwillingsfront, da hier die Kristall¬
orientierung ändert. Durch das Fehlen von Korngrenzen in Einkristallen ist
es möglich, dass sich Zwillingslamellen und ganze Zwillingslawinen(Abschnitt 5.4) zu Beginn der Zwillingsbildung ungehindert durch den
ganzen Kristall bewegen. Da die erste Zwillingslamelle die grösste
Spannung zu ihrer Aktivierung benötigt, ist mit Einsetzen der Zwillings¬
bildung ein Spannungsabfall zu erwarten. Nachdem die Zwillingslawinedie Probe durchlaufen hat, nimmt die Spannung wieder rasch zu, bis die
nächste Zwillingslawine ausgelöst wird. Dies führt zu einem ruckartigenFliessferhalten, das so lange anhält, bis das ganze Probenvolumen so stark
verzwillingt ist, dass keine weitere Zwillingslawine die ganze Probe
durchlaufen kann. Dieses ruckartige Fliessverhalten wurde z.B. an Kupfer¬einkristallen beobachtet [Blew 57].
41
6. WECHSELWIRKUNG EINER ZWILLINGSFRONT MIT
EINER ZWILLINGSLAMELLE
6.1 Einleitung
Zu Beginn der Zwillingsbildung bremsen die Spannungen an den
Gleitbandschnittlinien die Bewegung einer Zwillingsfront; und weitere
wirksame Hindernisse sind die Korngrenzen. Mit fortschreitender
Verformung werden Zwillinge verschiedener Systeme aktiviert, so dass die
neu gebildeten Zwillingslamellen zusätzliche Hindernisse für die
Fortbewegung der Zwillingsfront sind.
Im vorliegenden Kapitel wird ein Mechanismus vorgeschlagen, wie
eine Zwillingsfront eine Zwillingslamelle durchquert [Müll 94e]. Der
Mechanismus steht im Einklang mit experimentell beobachteten
Zwillingsschnittstellen. Aufbauend auf diesem Mechanismus wird der
Beitrag des Schneidens von Zwillingen zur Verfestigung abgeschätzt.
6.2 Experimentell beobachtete ZwillingskreuzsteUen
Im folgenden werden zwei Beispiele von Zwillingskreuzstellen
besprochen. Sie unterscheiden sich dadurch, dass in Beispiel 1 die
kreuzende Zwillingsfront perfekt ist, wogegen sie in Beispiel 2 nicht perfekt
ist.
6.2.1 Beispiel A: perfekte Zwillingsfront
Bild 6-la zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die
Hindernislamelle um das Zwillings-Scherverhältnis sz (definiert in Tabelle
6+1) entlang der schneidenden Zwillingslamelle abgeschert wurde. Die
schneidende Zwillingslamelle ist perfekt, d.h. sie enthält keine Zwillinge
zweiter Ordnung. Bild 6-lb zeigt das entsprechende Beugungsbild. Die
Einstrahlrichtung entspricht der gemeinsamen [101] Richtung aller
einbezogenen Kristalle. Die Bilder 6-lc und 6-ld zeigen die mit den Reflexen
(020)sL bzw. (020)hl aufgenommenen Dunkelfeld Bilder (die Indizes sL und
42
Bild 6 la Zwillingsschnittstelle mit einer schneidenden Lamelle ohne
Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl 5 TEM HF B=[101])
Bild6-lb Beugungsbild zu Bild 6-la B=[101]
43
200 r.:n
Bild 6-lc: Dunkelfeldaufnahme mit (020)sl-
Bild 6-ld: Dunkelfeldaufnahme mit (020)hl-
44
J^T
•*'Lvfa '•-*.-•»,..
*/A*
300 nm
Bild 6-2a: Zwillingsschnittstelle mit einer schneidenden Lamelle mit
Zwillingen zweiter Ordnung (Stahl 5, TEM, HF, B=[1011)
020HL
m.^m^ |
020sL 020«
Bild 6-2b: Beugungsbild zu Büd 6-2a, B=[101].
45
Bild 6-2c Dunkelfeldaufnahme mit (020)sp (SP für Schnittprisma) das
Schnittprisma hat nicht dieselbe Orientierung wie die schneidende
Lamelle, B=[101]
HL stehen dabei für schneidende Lamelle und Hindernislamelle) Das
Volumen im Schnittprisma - die Zwillingsschnittstelle hat die Form eines
rhombischen Prismas - hat dieselbe Orientierung wie die schneidende
Zwillingslamelle
6 2 2 Beispiel B nicht perfekte schneidende Zwillingsfront
Bild 6-2a zeigt eine Zwillingsschnittstelle, bei der die
Hindernislamelle um das Scherverhaltnis s' entlang der schneidenden
Zwillingslamelle abgeschert wurde Die schneidende Zwillingslamelle ist
nicht perfekt, d h sie enthalt Zwilhnge zweiter Ordnung vom Typ A, und
s ist kleiner als sz Die Verteilung der Zwillinge zweiter Ordnung innerhalb
der kreuzenden Zwillmgslamelle ist verschieden auf beiden Seiten des
Schnittprismas, ihr Volumenanteil x ist aber gleich, wie die Konstanz von
s zeigt Bild 6-2b zeigt das entsprechende Beugungsbild Die
Emstrahlnchtung entspricht der gemeinsamen [101]-Richtung aller
einbezogenen Kristalle Zusätzlich zu den Reflexen der Situation in Beispiel
46
A erscheinen hier Reflexe eines weiteren Kristalls mit derselben
gemeinsamen [101] Richtung. Das Muster dieser Reflexe ist bezüglich des
Beugungsmusters der schneidenden Zwillingslamelle um den Winkel 7
rotiert und stammt vom Volumen des Schnittprismas, wie das Dunkelfeld
Bild 6-2c zeigt.
In diesem Beispiel sind s"=0.42±0.02 und y=16°±1°.
In beiden Situationen ist das Schnittprisma breiter als die
schneidende Zwillingslamelle. Zudem ist die schneidende Zwillingslamelle
entlang dem Schnittprisma leicht verschoben.
6.3 Mechanismus: Zwillingsfront durchquert eine Zwillingslamelle
6.3.1 Allgemeiner Mechanismus
Ein Zwilling bewegt sich typischerweise mit dem Dipolbewegungs¬
mechanismus A (Anhang Al.3.3). Dieser Mechanismus ist aber nur
möglich, wenn eine Gleitebene vorhanden ist, welche die Richtungen
sowohl der Disklinationsachsen wie auch der Dipolbewegung enthält. Da
dies in der Hindernislamelle nicht der Fall ist, ist die Bewegung des
Zwillingsdipols innerhalb der Hindernislamelle nur über den
Mechanismus B möglich. Eine Zwillingsfront kann also eine
Hindernislamelle als Disklinationsdipol nur durchqueren, wenn ihr
Bewegungsmechanismus innerhalb der Hindernislamelle vom
Mechanismus A auf den Mechanismus B und anschliessend wieder zurück
auf A wechselt (Bild 6-3).
Der Mechanismus A trägt die Zwillingsscherung Sa (Sa und die
folgenden Transformationen sind in Tabelle 6+1 zusammengefasst), die im
Raum identisch ist der Rotation Ra- Der Mechanismus B rotiert das
Schnittprisma um Rb. Die Hindernislamelle ist bezüglich der Matrix rotiert
um Rhl- Die Orientierungsbeziehung Rsp zwischen Matrix und
Schnittprisma entspricht somit der Überlagerung von Rhl und Rb- Rsp ist
im Raum identisch mit Ra (vgl. Bemerkungen in Tabelle 6+1). Der
Mechanismus B kann nicht einfach eine Rotation sein, da dies die
47
[111]M
AHL\JJ
Jsp /* l
V VBild 6-3: Dipolbewegungsmechanis-
muswechsel von Mechanismus A <a)
zu B(b) und zurüch zu A(c) während
des Schneidprozesses.
Bild 6-4: Transformationen des
Schneidprozesses: Die Rotation Rb
dreht das Schnittprisma von der
ursprünglichen Orientierung (a) in
die Orientierung der schneidenden
Lamelle (b); die Pseudoscherung Sß
sorgt dafür, dass die Randbedin¬
gungen nicht verletzt werden (c).
Randbedingungen des Schnittprismas verletzen würde, die eine Rotation
der "Gleitebenen" der Disklinarionsachsen ausschliessen [Das 73]. Um diese
Ebenen bestehen zu lassen, muss der Rotation Rb eine Pseudoscherung Sb
überlagert werden.
Um diese beiden Bewegungen zu veranschaulichen, soll die
Situation von Bild 6-3a betrachtet werden, wobei zunächst in Gedanken die
rechte Hälfte des Kristalls entfernt sein soll. Von der Hindemislamelle soll
nur derjenige Teil vorhanden sein, der später zum Schnittprisma
48
Trans Transf.-Elemente S Beziehungen, Bemerkungen
Sa sz,[l2l],(lll) 3 sz=b2/dm=V2/2
Ra -y,[lOl] 3 \|/ = (7t-u)z)/2 = 70.53°
Rb <äz,[ldi] 9 (Oz = 2arctan(bz / 2dm) = 38.94° (A2*l)
Rhl ¥,[lOi] 3 rhl=_ra
Rsp coz + \|/,[lOl] 3 RSP=RBoRHL/ (oz+\)r = it-\|/ =» Rsp=Ra
Sb sz,[l2l]sL,(üi)sL 1 [i2i]sLSy3[525]M, (iii)sLSy3(i5i)M
Tabelle 6+1: Transformationen des Schneidprozesses
transformiert wird (Bild 6-4a). Wenn nun die schneidende Zwillingslamelle
die virtuelle Kristalloberfläche erreicht, wird das Volumen des späteren
Schnittprismas um Rb rotiert (Bild 6-4b). Die obere und die untere
Grenzfläche des Schnittprismas werden innerhalb ihrer Ebenen bleiben,
wenn das Schnittprisma auf (151)m um -sz entlang [525]m geschert wird.
Dies ist genau Sb (Bild 6-4c). Sb kann durch gewöhnliche - d.h. vollständige- Versetzungen bj und b_2 getragen werden, so dass die Kristallorientierungnicht ändert (deshalb heisst sie "Pseudo"-Scherung):
b,..il4,,]M,I[li0]>L
b2-![]M,![oi,L,
_|b1-rb2|_ 3 6*lc
SB~ndm ~^3n
wobei sb das Scherverhältnis der Pseudoscherung ist. Da sb gleich sz sein
muss, ist n=3, d.h. auf je einem Drittel der (lll)sp Ebenen bewegen sich
Versetzungen bj, auf einem Drittel bewegen sich Versetzungen b_2 und ein
Drittel der Ebenen trägt nicht zur Scherung bei.
Da die horizontalen Grenzen des Schnittprismas in Wirklichkeit
ständig innerhalb derselben Ebenen bleiben, wird die Pseudoscherung
49
symmetrisch getragen, d.h. durch Paare entgegengesetzter Versetzungen.Dies entspricht genau dem Dipolbewegungsmechanismus B.
6.3.2 Die Hindernislamelle enthält Typ-B-foyillinge zweiter Ordnung
Zwillinge zweiter Ordnung vom Typ B in der Hindernislamelle sind
Hindernisse für die Versetzungen der Pseudoscherung. Deshalb müssen die
Typ-B-Zwillinge zu den Grenzen des Schnittprismas zurückweichen (Bild 6-
5a,b). Die Konfiguration der Typ-B-Zwillinge in Bild 6-5b ist identisch mit
der Überlagerung der Bilder 6-5a und 6-5c, wo die zurückweichenden Typ-B-
Zwillinge durch expandierende virtuelle Zwillinge, d.h. durch
Disklinationsdipole mit entgegengesetzen Vorzeichen, dargestellt sind.
Somit kann das Spannungsfeld der zurückweichenden Dipole
näherungsweise durch das eines Quadrupols wiedergegeben werden (Bild 6-
5d). Dieser Quadrupol hat die Disklinationsstärke cd":
4z
6*2
Bild 6-5: Schneidmechanismus bei einer Hindernislamelle mit Zwillingenzweiter Ordnung: a) Situation vor dem Schneiden; b) Situation nach dem
Schneiden ; c) Konfiguration der virtuellen Zwillinge, die das
Zurückweichen der Zwillinge zweiter Ordnung beschreibt; d)
Diskttnationsquadrupol entsprechend Bild c).
50
6.3.3 Die Zwillingsfront ist nicht perfekt
Ist eine Zwillingsfront nicht perfekt, so ist die von ihr getragene
Scherung s" kleiner als sz. Somit muss das Schnittprisma um den Winkel Y
rotieren:
co, ' • > 6*3
Y^-^+arctan s.„ sz\
Entsprechend dem allgemeinen Mechanismus muss der Rotation y eine
Scherung -s" überlagert werden, die durch vollständige Versetzungen
getragen werden kann und die die Kristallorientierung nicht ändert. Dann
ist die Orientierungsbeziehung zwischen Kreuzungsprisma und Matrix
gegeben durch y=coz-Y:
coz f '^ 6*4
Y = —- - arctanK)
6.4 Festigkeitsbeitrag der Zwillingsschnittstellen
Der Beitrag des Schneidens von Zwillingen zur Festigkeit az kann
über die Arbeit berechnet werden, die eine Zwillingsfront leistet, wenn sie
von einem Ort im Kristall zum nächsten gleichwertigen Ort vorrückt. Zur
Abschätzung von az wird ein dem Gleitbandmodell von Kapitel 2 analoges
Zwillingsmodell verwendet (Bild 6-6): Die Zwillinge bilden ein
regelmässiges orthogonales Gitter, die Zwillingsdicke 2a bleibt während der
Verformung konstant und der Abstand Lz zwischen zwei benachbarten
Zwillingen nimmt mit zunehmender Dehnung kontinuierlich ab.
Die Arbeit W ist:
W = iBLz B = V2a6*5
wobei B die Summe aller Burgersvektoren in der Zwillingsfront ist. Die
Dehnung e^ die der aktuellen Zwillingsstruktur (Bild 6-6) entspricht, ist
51
Bild 6-6: Modell der Zwillingsstruktur: orthogonale Zwillingslamellen mit
konstantem Abstand Lz und konstanter Zwillingsdicke 2a.
t,=a.V2a 6*6
wobei az=l ein Geometrieparameter ist. Die geleistete Arbeit muss
mindestens so gross sein wie die Energie Ey der Kristalldefekte, die durch
die Bewegung der Zwillingsfront eingebracht wurden. Mit den Gleichungen
6*5 und 6*6 ist oz gegeben:
0,=Qz Ek£z
2ccz a2
6*7
Dabei ist 8Z der Taylorfaktor für die Zwillingsbildung [Chin 75].
Wenn die Zwillingsfront die Strecke LZ zurücklegt, werden zwei
Kristalldefekte eingebracht: die kohärenten Zwillingsgrenzen und die
Zwillingsschnittstelle. Die Energie der Zwülingsgrenzen, Es, ist
E^ = 2(LZ -2a)yZ3 -2LzYs3 =2^az^6*8a
Y23 ist die Energie der kohärenten 23-Grenze. Die Energie der
Zwillingsschnittstelle setzt sich aus drei Beiträgen zusammen: erstens aus
der Energie Ej;9 der £9-Grenzen zwischen dem Schnittsprisma und der
Hindernislamelle, zweitens aus der Energie E" des Quadrupols gemäss
Punkt 6.3.2, und drittens aus der Energie Ev der Versetzungen, die für den
Dipolbewegungsmechanismus B benötigt werden.
52
t— 0TÖD
Ez9 = 3V2aYj;9
E"=41n[|]Da20)"2 = lng]Dcola2x"26*8c
YZ9 ist die Energie der X9-Grenze, und p ist die Dichte der beweglichen
Versetzungen. Mit den Gleichungen 6*7 und 6*8 wird oz:
6.5 Diskussion
6.5.1 Mechanismus
Der in Abschnitt 6.3 vorgeschlagene Mechanismus sagt die im
Experiment gefundenen Orientierungsbeziehung zwischen Matrix und
Schnittsprisma korrekt voraus. Die in Beispiel B gemessenen Werte für y
und s" erfüllen die Gleichung 6*4 innerhalb der zu erwartenden Messfehler
gut. Die Abweichungen der Morphologie des Schnittsprismas von der
vorausgesagten Konfiguration sind erklärbar als Folge von
Relaxationsprozessen:
Die in Abschnitt 6.3 beschriebene Versetzungs- und
Disklinationskonfiguration des Schnittprismas ist nicht stabil, d.h. es ist
eine hochenergetische Konfiguration. Solche Strukturen haben immer die
Tendez zu relaxieren. Die Energie des Schnittprisma besteht aus den drei
Beiträgen Ej9, E" und Ev, die alle ein bestimmtes Relaxationspotentialbeinhalten:
I: Die während des Schnittprozesses gebildeten 29-Grenzen sind aus
zwei Gründen energetisch ungünstig: Erstens ist die gebildete
asymmetrische {lll)i/{115}2 Grenze unstabil und tendiert, während des
53
Glühens in die symmetrische [114)i/{114}2 Position zu drehen, oder in zwei
Zwillingsgrenzen aufzuspalten [Clar 80, Maur 87, Merk 92]. Zweitens sind
mit den £9-Grenzen Zwillinge zweiter Ordnung verbunden, also
Disklinationsdipole, die mit den Grenzen unter Wechselwirkung stehen.
II: Die Energie eines Disklinationsquadrupols mit
parallelogrammförmigem Querschnitt ist in Abhängigkeit des
Parallelogrammwinkels in Gleichung A2*7 gegeben. Die Funktion E'W^)weist ein Minimum in Form einer scharfen Spitze an der Stelle 9=jc/2 auf.
Es gibt somit wieder zwei Möglichkeiten der Relaxation: Erstens können
sich die Disklinationsachsen so bewegen, dass sich der Querschnitt des
Schnittprismas einem Rechteck annähert. Zweitens kann der Quadrupolsolche Versetzungen aufnehmen, welche die Disklinationsstärke co"
vermindern.
III: A) Die energetisch vorteilhafteste Konfiguration der in den
Bewegungsmechanismus B involvierten Versetzungen ist eine
symmetrische Versetzungswand. Die Konfiguration, wie sie der
Mechanismus B hinterlässt, ist eine asymmetrische Wand, d.h. die 19-
Grenze ist gegenüber der symmetrischen Versetzungswand um 19.47°
abgeneigt. B) Die Versetzungen können mit ursprünglichen Versetzungenund den Disklinationsdipolen reagieren.
Die Relaxationsprozesse I, H und IHA treiben das Schnittprisma an,
seine Form in Richtung eines Rechtecks zu verändern. Dabei wird die
schneidende Zwillingslamelle auf einer Seite des Schnittprismas bezüglichder anderen Seite in der beobachteten Richtung verschoben (Bild 6-la).
Werden Versetzungen in den Quadrupol aufgenommen, so entstehen
zusätzliche Kleinwinkelkorngrenzen zwischen der schneidenden
Zwillingslamelle und dem Schnittprisma (Bilder 6-la,c). Relaxation mit
anderen Defekten kann die Grenzflächen des Schnittprismas verändern
(z.B. kann das Schnittprisma verbreitert werden).
6.5.2 Festigkeitsbeitrag
Der von der Dehnung unabhängige Beitrag der kohärenten
Zwillingsgrenzen ist immer klein verglichen mit den übrigen Beiträgen
und kann somit vernachlässigt werden. Es bleiben zwei von der
Zwillingsdicke reziprok abhängige Tenne und zwei Terme, die nicht von
54
der Zwillingsdicke abhängen. Mit G=80 GPa, v=0.28, D=17.7 GPa und YE9=0.5
J/m2 können folgende Fälle unterschieden werden:
Fall A.¬
Dünne und mittlere Zwillinge (a<50 nm), Versetzungsdichte nicht
sehr gross (p£1012 cm-2): nur die von a abhängigen Komponenten sind
bedeutend:
6Z fGan. „ rr. ^ ez
6*10a
kiit^yt
Fall B.¬
Dicke Zwillinge (a>50nm): der Beitrag des Quadrupols wird wichtig,falls x" genügend gross ist (x">0.1). Falls zudem die Versetzungsdichte gross
ist, ist die Energie des Quadrupols der einzige bedeutende Beitrag zur
Festigkeit:
£Hi>v,, , „, , ,
6*10boz =
-^-ln[- |Dco|x"zez
Fall C:
Hohe Versetzungsdichte und kleines x": der einzige bedeutende
Beitrag ist derjenige der 29-Grenzen:
a.38zYs9ez 6*10c
V2aza
Aus Gleichung 6*8d folgt, dass die Versetzungsdichte pc, oberhalb der der
Beitrag der Versetzungen unwichtig wird, gegeben ist durch:
V2_ J_ 6*11
a anaPc =
V3a7
=~
In Tabelle 6+2 sind drei typische Situationen einander
gegenübergestellt. Es zeigt sich eindeutig, dass im Fall A, d.h. bei dünnen
Zwillingen, der Beitrag der Zwillingsschnittstellen zur Festigkeit am
grössten ist. Die ZwUlingsdicke hängt massgebend von der Dehnung Ccz ab,
55
bei der die Zwillingsbildung einsetzt. Insbesondere werden dünne Zwillingebei kleinem ecz gebildet. Eine tiefe Stapelfehlerenergie und hohe
Reibungsspannung sind Faktoren, die zu kleinem ecz führen (Kapitel 3).
Somit steigern Massnahmen, die die Stapelfehlerenergie senken und die
Reibungsspannung erhöhen (z.B. tiefe Temperatur und/oder viel gelöster
Stickstoff), den Festigkeitsbeitrag des Schneidens von Zwillingen (Kapitel 7
und 8).
a X" P Gapl
V3ita3V2yi9-
a mgJDcoix"2 Ga|pSic
doz 2az
dez 0Z
Fall
nm % cm-2 lO^Nm-2
5 <30 £10" 530 210 <100 >-37 740 A
200 20 10« 13 5.3 45 -37 50 B
50 <5 IQ" 53 21 <2.8 -370 21 C
Tabelle 6+2: Typische a/x"/p-Situationen (Bilder 5-3 bis 5-7)
Beispiel A ergibt einen Wert für den Verfestigungskoeffizient, der gut
mit experimentell gefundenen Werten übereinstimmt (z.B. Stahl ld,
Anhang A3). Unter Bedingungen, die dicke Zwillinge ergeben, ist der
Verfestigungskoeffizient zwar kleiner als in Situationen entsprechend A, er
ist aber deutlich grösser als der vom Schneiden von ZwUlingen erwartete
Wert (Situationen B und C). Demzufolge bestimmt das Schneiden von
Zwillingen bei dünnen Zwillingen massgebend das Verfestigungsverhaltenund der Verfestigungskoefnzient nimmt mit abnehmender ZwUlingsdickezu (Gleichung 6*10a). Bei der Bildung von dicken ZwiUingen dagegen ist
der Beitrag des Schneidens von ZwUlingen zur Verfestigung von unterge¬
ordneter Bedeutung, andere Mechanismen (z.B. die Wechselwirkung von
Versetzungen) dominieren das Verfestigungsverhalten.
56
7. SPRÖDBRUCH DURCH ZWILLINGSBILDUNG
7.1 Einleitung
Kubisch flächenzentrierte Metalle und Legierungen brechen
typischerweise zäh, auch bei sehr tiefer Temperatur. Ausnahmen bilden z.B.
austenitische Stähle, die mit Mangan und hoch mit Stickstoff legiert sind.
Diese Stähle weisen einen Übergang von zähem zu sprödem Bruch auf,
wenn die Übergangstemperatur Tu unterschritten wird [Defi 69, Tobl 88,
Tomo 90, Uggo 92, You 89].
Im vorliegenden Kapitel wird ein Mechanismus der Rissbildung
vorgestellt, der zum Versagen durch Sprödbruch führen kann. Das Modell
beruht auf der Entwicklung der Mikrostruktur, insbesonders auf den hohen
inneren Spannungen, die durch blockierte Verformungszwillinge entste¬
hen.
7.2 Zwillingsbildnng und Bedingungen für zähes und sprödes Bruch-
verhalten
Damit ein wesentlicher Teil der Verformung durch die
Zwillingsbüdung getragen werden kann, muss sich eine Zwillingsfront über
weite Strecken bewegen können. Dies bedeutet, dass Zwillingslamellenzwar wirksame Hindernisse für sich bewegende Zwillingsfronten sein
können; sie dürfen aber nicht unüberwindbar sein.
Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, dass Zwillingslamellen
zugleich wirksame und überwindbare Hindemisse für eine sich bewegende
Zwillingsfront sind, sofern vollständige, hinreichend bewegliche Verset¬
zungen - nämlich die in den Dipolbewegungsmechanismus B involvierten
Versetzungen - in genügender Anzahl in der Zwülingslamelle vorhanden
sind oder gebUdet werden können.
Somit ist eine Zwillingslamelle nur dann ein unüberwindbares
Hindernis, wenn
1. nicht genügend viele bewegliche Versetzungen vorhanden sind oder
gebUdet werden können
57
oder wenn
2. die Versetzungen nicht genügend beweglich sind, d.h. die Reibungsspan¬
nung zu gross ist.
7.3 Bruchmodell
Es wird folgende vereinfachte Situation betrachtet: eine
Zwillingsfront in Form eines perfekten Disklinationsdipols stösst auf eine
Hindernislamelle (Bild 7-1). Die Zwillingsfront wird an der Grenze
Matrix/Hindernislamelle definitiv blockiert.
In der gegebenen Situation entstehen die stärksten inneren
Zugspannungen an der unteren Kante der Zwillingsfront. Mit GleichungA2*5 ist die Zugspannung in x-Richtung oXx entlang der Grenze der
Zwillingsfront gegeben durch
°xxLo=Dtomy-a
y+a7*1
Bild 7-1: Eine an einer Hindernislamel¬
le (HL) blockierte Zwillingsfront(sL).
Bild 7-2: Unter der Zugspannung o^ an
der unteren Kante der Zwillingsfrontwird ein Nanoriss (NR) gebildet, derzusätzliche Spannungen crrs verur¬
sacht Otot ist die Summe von Oxx und
Ors-
58
Die Funktion o^] „ist in Büd 7-2 dargestellt. In der Nähe der unteren
Kante der Zwillingsfront übersteigt die Zugspannung die theoretische
Festigkeit, die ungefähr gleich D ist. Es kann deshalb angenommen werden,
dass sich an dieser Stelle ein sehr kleiner Riss - ein "Nano"-Riss - bilden
kann. Die Länge dieses Risses ist ungefähr gleich a. Unter der äusseren Last
entstehen an der Rissspitze Spannungsüberhöhungen [Vlad 76c]:
-y-*lL——
7*2rr
Dabei ist ors die Spannung an der Rissspitze, rr der Rissspitzenradius und k
ein numerischer Faktor zwischen 0.5 und 1, der den Schmidfaktor der
ZwUlingsfront und den Winkel zwischen der Zugachse und der Bruchebe¬
nennormalen berücksichtigt. In Bild 7-2 sind neben oXx auch ors und deren
Summe Otot=cfxx+cirs eingetragen.Es folgt direkt aus BUd 7-2, dass Sprödbruch immer dann eintritt,
wenn Ctot grösser als die theoretische Festigkeit ist. Somit ist die
Sprödbruchspannung oSb gegenben durch:
°sb = Vir, -n\ 7*3SD
[°tot,min=DJ
wobei c?t0t,min c*as Minimum von rjtot ist.
Die Beziehung zwischen aSD und a kann numerisch abgeleitet
werden; das Resultat ist
0-sb=Afel 7*4
Mit G=80 GPa, v=l/3, co=38.94° und k=0.7 wird A=6 GPa und n=l/2.
Cr« = kO".
59
7.4 Diskussion
7.4.1 Versetzungsdichte
Im Abschnitt 7.2 wurde gezeigt, dass die Dichte freier Versetzungen
eine wesentliche Rolle in Bezug auf das Bruchverhalten innehält. Es soll
nun kurz erläutert werden, wie die Versetzungsdichte in das skizzierte
Modell eingeht und wie sie die kritische Sprödbruchspannung und das
Bruchverhalten beeinflusst.
Die Versetzungsdichte beeinflusst die kritische Sprödbruchspannungüber das Verhältnis rT/a (Gleichung 7*4), d.h. über den Zusammenhang
zwischen der Versetzungsdichte und der ZwiUingsdickte bzw. dem
Rissspitzenradius.
a) ZwUlingsdicke
Zwillinge entstehen aus Versetzungsreaktionen an
Gleitbandschnitrlinien (Kapitel 3.), wobei die ZwUlingsdicke proportional
zur Versetzungsdichte auf einer Gleitebene ist [Cohe 63, Fuji 75].
b) Rissspitzenradius
Der Rissspitzenradius nimmt zu, wenn Versetzungen unter dem
Spannungsfeld der blockierten ZwUlingsfront in die Rissspitze laufen. Da
die Rissebene eine {lll}-Typ-Ebene ist, schneiden drei Gleitebenen die
Rissebene, und der Rissspitzenradius ist proportional zu der
Versetzungsdichte auf drei Familien von Gleitebenen.
Aus a) und b) folgt, dass die Versetzungsdichte den Rissspitzenradiusstärker beeinflusst als die ZwiUingsdicke; das Verhältnis rr/a und die
kritische Sprödbruchspannung nehmen mit abnehmender
Versetzungsdichte ab.
In Kapitel 5 wird gezeigt, dass die Versetzungsdichte während der
Verformung im Bereich der Zwillingsbildung stetig abnimmt, was zu einer
Abnahme der kritischen Sprödbruchspannung führt. Da während der
Verformung die anzulegende Spannung durch die Verfestigung zunimmt,
ist ein Versagen durch Sprödbruch unvermeidlich, es sei denn, ein neuer
60
1 ^z
ki^1Lx1^-^ 1
fcSB °^
» e
Bild 7-3: Verfestigungsverhalten bei
verschiedenen Mechanismen;
übersteigt die aktuelle Spannung die
Sprödbruchspannung ft>ei SB), tritt
Sprödbruch ein.
Bild 7-4: Bevor die Sprödbruchspannungerreicht ist, wechselt der Mechanis¬
mus von der Zwillingsbildung zur
Scherbandbildung, und der Werk¬
stoff bleibt zäh.
Verformungsmechanismus setzt ein, bevor die Sprödbruchspannung
erreicht ist. Ein neuer Mechanismus kann zum Beispiel die Scherband¬
bildung sein. Die zwei grundsätzlich verschiedenen Verhaltenweisen sind
in den Bildern 7-3 und 7-4 dargestellt. Sie zeigen schematisch das
Verfestigungsverhalten während den verschiedenen Stadien der
Verformung (G=Gleitung, Z=ZwUlingsbüdung, S=Scherbandbildung).
7.4.2 Einflussgrössen
Je früher die Zwillingsbildung einsetzt, umso kleiner ist die
Versetzungsdichte (Kapitel 3), und umso kleiner ist die Sprödbruch¬
spannung. Somit vermindert die Zunahme jedes Faktors *i (der Index i
steht für den Faktortyp), der die Zwillingsbildung erschwert, d.h. ihr
Einsetzen zu grösserer Dehnung verschiebt, die Tendenz zum Sprödbruch-verhalten. Solche Faktoren sind z.B. die Temperatur und die Stapelfehler¬
energie. Die Bilder 7-3 und 7-4 können verallgemeinert werden, indem für
<E>i eine dritte Achse benutzt wird (Bild 7-5). Der Grundriss dieses
Diagramms (Büd 7-6) zeigt das Bruchverhalten in Abhängigkeit von Oj:
unterhalb des kritischen Wertes <&jc (definiert in BUd 7-6) tritt Versagen
durch Sprödbruch auf.
61
Bild 7-5: Verallgemeinerung der Bilder Bild 7-6: Grundnss von Bild 7-5
7-3 und 7-4 mit einer die Stapelfeh- Einfluss von <t>! auf die Verformungs-lerenergie oder die Reibungsspan- mechamsmen, unterhalb des kri-
nung beeinflussenden Grosse <&; tischen Wertes <t>lc bncht der Werk¬
stoff sprod.
7.4.3 Vergleich mit kontinuumsmechamschem Modell
Ein kontinuumsmechanischer Ansatz ergibt für die Sprödbruch¬
spannung folgenden Ausdruck [Müll 94c]:
°"sb,kont - afov~T~ 7*5
cth ist die theoretische Festigkeit, dQ der Netzebenenabstand der {111}-
Ebenen, Lr die Lange eines Keimrisses und p ein dimensionsloser Faktor,
der die totale plastische Arbeit bis zum Bruch enthält.
Die Gleichungen 7*4 und 7*5 stimmen überein, wenn die Grossen A, rr
bzw a den Grossen oth, pd0 bzw. Lr entsprechen. A und Oth sind immer von
derselben Grossenordnung. pdG entspricht rr, wenn p klein ist, d h. wenn
dem Bruch keine wesentliche plastische Verformung vorausgeht. Lr ist eine
charakteristische Fehlergrösse und ist identisch a, falls dem Bruch keine
bedeutende plastische Verformung vorausgeht Bei grosser plastischer
Verformung verlieren pd0 und Lr den Bezug zu einzelnen Struktur-
62
elementen; p ist dann im wesentlichen die Defektdichte und drückt die
Wirkung der Versetzungsdichte auf die Risslänge und auf den Rissspitzen¬
radius aus: de. bzw. Lr sind kleiner als rr bzw. a.
63
8. Die Plastizität stickstofflegierter
austenitischer stähle
8.1 Einleitung
In den vorangehenden Kapiteln wurden die in austenitischen
Stählen ablaufenden Verformungsmechanismen weitgehend allgemein
behandelt, so dass die Ergebnisse auch auf andere flächenzentrierte
Legierungssysteme und sinngemäss auch für andere Kristallsysteme
angewendet werden können.
Im vorliegenden Kapitel werden diese Ergebnisse genutzt, um
speziell die Plastizität austenitischer Stähle, insbesondere unter dem
Einfluss von hohen Stickstoffgehalten und in Abhängigkeit von der
Temperatur, zu erklären.
8.2 Mechanische Eigenschaften
Austenite sind in der Regel weich, duktil und zäh und weisen ein
grosses Kaltverfestigungspotential auf.
Fest gelöster Stickstoff verändert die Zähigkeit und die Duktilität
nicht; die Streckgrenze wird aber stark erhöht, und der Verfestigungs¬koeffizient nimmt zu. Auch der Hall-Petch-Koeffizient und die
Geschwindigkeitsabhängigkeit der Streckgrenze wachsen beide mit
zunehmendem Stickstoffgehalt [Spei 90, Uggo 91].
Die Temperatur beeinflusst die mechanischen Eigenschaftenstickstofffreier Stähle nur schwach. In hoch stickstofflegierten Varianten
hingegen nimmt die Streckgrenze mit abnehmender Temperatur stark zu,
und bei genügend hohem Stickstoffgehalt wird ein Übergang vom zähen
zum spröden Bruchverhalten beobachtet [Uggo 92a]. Die Übergangs¬
temperatur (Tu, Temperatur, unterhalb der Sprödbruch, bzw. oberhalb der
zäher Bruch eintritt) wird mit zunehmendem Stickstoff- und Mangangehalt
erhöht, bzw. durch Nickel vermindert [Uggo 92b].
64
8.3 Verformungsstmktur
8.3.1 Allgemeine Strukturentwicklung
Stabile austenitische Stähle zeigen während der plastischen
Verformung drei Strukturelemente: aktive planare Gleitbänder zu Beginnder Verformung (Bilder 2-1, 2-2 und 8-1), Verformungszwillinge bei
fortgesetzer Verformung (Bilder 5-3, 5-5 und 8-2), und Scherbänder bei
äusserst grosser Verformung [Gavr 90a, Müll 93, Paul 94]. Das Einsetzen
eines neuen Mechanismus bedeuted nicht, dass der vorangehende abruptbeendet wird; vielmehr kooperieren die Mechanismen über weite
Dehnungsbereiche. Das Auslösen eines Verformungszwillings bewirkt, dass
lokal die Versetzungsdichte vermindert wird, vorher blockierte Versetzun¬
gen wieder bewegt werden können und vormals erschöpfte Versetzungs-
queUen erneut aktiviert werden (Kapitel 5).
Eine makroskopische Strukturinhomogenität wird bei axialsymme¬trischen Verformungsarten (Drahtzug, Rundhämmern) beobachtet. Diese
besteht darin, dass in Körnern mit einer <100>-Richtung parallel zur Draht¬
achse die Gleitung ausgeprägt wellig ist und selbst bei grosser Dehnungkeine ZwillingsbUdung eintritt, sondern Zellen entstehen (BUd 8-3).
8.3.2 Einfluss des Stickstoffs und der Temperatur
Die beschriebene Erscheinungsfolge der Strukturelemente ist
unabhängig vom Stickstoffgehalt und von der Temperatur (sofern diese
400°C nicht übersteigt); Morphologie und Wirkungsbereich der einzelnen
Mechanismen werden jedoch stark beeinflusst. Dabei hat eine Erhöhungdes Stickstoffgehalts tendenzieU denselben Einfluss wie eine Verminderungder Temperatur:
Mit zunehmendem Stickstoffgehalt und abnehmender Temperatur wird
(a) die Gleitung ausgeprägter planar,(b) die Gleitbanddichte leicht erhöht,
(c) das Einsetzen der Zwillingsbildung zu kleinerer Dehnung
verschoben,
(d) die mittlere ZwUlingsdicke kleiner,
(e) die ZwUlingsdichte grösser und
(f) der Einfluss der ZwilUngsbUdung stärker.
65
Bild 8-la: Versetzungsstruktur von Stahl la, e=6% die Gleitbander sind nicht
sehr deutlich, TEM, HF, B=<111>)
Bild 8-lb: Versetzungsstruktur von Stahl ld (b), e=6% die Gleitbander sind
scharfer und der mittlere Gleitbandabstand ist kleiner als in Stahl la,
TEM, HF, B=<111>)
66
Bild 8-2- Mikrostruktur von Stahl la 56% verformt bei Raumtemperatur
Verformungszwillinge und Versetzungen (TEM, HF)
Bild 8-3 Zellstruktur m Stahl 5, eine <100> Richtung des Kornes ist annähernd
parallel zur Zugnchtung (TEM, HF, B=<100>)
67
i
JK* <m
'HL^in
RKi
200 nm
M**>
Bild 8-4a- Versetzungsstruktur von Stahl 2a bei 400°C die Gleitung ist
ausgesprochen wellig und zeigt stellenweise Zellbildung, TEM HF,
B«<111>
Bild 8-4b: Bei höheren Verformungstemperaturen können Zwillinge mit emer
Dicke von über 1 um auftreten, TEM, HF, Stahl 2a (T=400°C)
68
Bild 8-5: Zwillingsstruktur m Stahl 2a, verformt bei -196°C die Zwillinge sind
sehr dünn (die mittlere Zwillingsdicke betragt einige nm) und die Verset¬
zungsdichte ist klem (TEM, HF, B=<111>)
Die Bilder 8-la und 8-lb zeigen die Effekte (a) und (b) unter dem
Einfluss veränderten Stickstoffgehalts (T=konstant=Raumtemperatur):
Einander gegenübergestellt sind die Versetzungsstrukturen von Stahl 316L
ohne Stickstoff (Stahl la, [N]<0.04%, Bild 8-la) und mit Stickstoff (Stahl Id,
[N]=0 53%, Bild 8-lb) bei einer Dehnung von 6% In Bild 8-la ist die
Planarität der aktiven Gleitbänder weniger deutlich, mehr Versetzungen
befinden sich zwischen den Gleitbändern, und die Gleitbander wirken
"zerfranst". Die Bilder 8-4a und 8-4b zeigen die Verformungsstruktur von
Stahl 2a bei erhöhter Temperatur (T=400°C)- die Versetzungsbewegung ist
deutlich wellig, d h Quergleiten ist leicht möglich und kann sogar zur
Zellbildung fuhren (Bild 8-4a), und die Verformungszwillinge sind grob
(die Zwillingsdicke kann leicht lp.m und mehr erreichen, Bild 8-4b). Die
hohe Versetzungsdichte zeigt zudem, dass die Zwillingsbildung erst spät
eingesetzt hat Demgegenüber sind die Zwillinge in einem bei -196°C
verformten Stahl 2a sehr dünn (die Zwillingsdicke betragt typischerweise
einige Nanometer) und die Versetzungsdichte ist sehr klein (Bild 8-5), was
zeigt, dass die Zwilhngsbildung sehr früh eingesetzt hat.
69
8.4 Stapelfehlerenergie und Reibungsspanjmng
8.4.1 Stapelfehlerenergie
Die Stapelfehlerenergie von Stählen ohne Stickstoff liegt
typischerweise zwischen 20mJ/m2 und 80mJ/m2, wobei die Bandbreite der
Literaturwerte einerseits chemisch bedingt ist andererseits aber stark von
der angewandten Messmethodik abhängt [GaU 70, Kest 77, Lata 71, Leer 70,
Röny 77c, Sehr 74, Silc 66, Stol 80, Thom 69]. Mit zunehmendem
Stickstoffgehalt [Gavr 90b, Stol 80, Swann 63, Thoma 69] und abnehmender
Temperatur [Gall 70, Lata 71, Leer 70, R6my 77c] nimmt die
Stapelfehlerenergie deutlich ab: z. B. gibt Swann in seiner Arbeit für die
Stapelfehlerenergie eines Stahles mit 18% Cr und 18% Ni einen Wert von
20 mj/m2 und eine Abname der Stapelfehlerenergie um 2 mj/m2 bei
Zulegieren von 0.1% Stickstoff [Swann 63]. Extrapolation auf einen
Stickstoffgehalt von 0.5% (Zusammensetzung von Stahl ld) ergibt einen
Wert von 10 mj/m2 für die Stapelfehlerenergie. Dabei ist der absolute Wert
der Stapelfehlerenergie nicht so sehr bedeutend (verschiedene Messmetho¬
den ergeben für dasselbe Material sehr unterschiedliche Werte, wobei die
Abweichungen leicht einen Faktor 2 und mehr beinhalten können [Gall
70]). Viel wichtiger ist der qualitative Einfluss von Stickstoff: nach Swann
wird die Stapelfehlerenergie von Chrom-Nickel-Stählen durch Zulegieren
von 0.5% Stickstoff halbiert. Chrom-Mangan-Stähle, die an sich schon eine
kleine Stapelfehlerenergie haben [Retny 77d], können höher mit Stickstoff
legiert werden. Es ist somit anzunehmen, dass Chrom-Manganstähle eine
sehr kleine Stapelfehlerenergie haben.
Die Temperatur beeinflusst die Stapelfehlerenergie stark. Oberhalb
etwa 100°C bis 200°C nimmt die Stapelfehlerenergie mit zunehmender
Temperatur rasch zu und übersteigt 100mJ/m2 [Remy 77c].
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden keine direkten
Messungen der Stapelfehlerenergie durchgeführt. Folgende Beobachtungenstützen aber die Aussage, dass Stickstoff und abnehmende Temperatur die
Stapelfehlerenergie deutlich reduzieren:
1. Bei Raumtemperatur ist die Gleitung in Stahl mit viel Stickstoff deutlich
ausgeprägter planar als in Stahl mit sehr wenig Stickstoff (BUd 8-3).
70
2. Die ZwillingsbUdung setzt tendenziell (d.h. gemittelt über die verschiede¬
nen Kornorientierungen) bei kleinerer Dehnung ein, wenn der Stahl höher
mit Stickstoff legiert ist. Dies äussert sich insbesondere im Auftreten von
Sprödbruch in stickstofflegierten Stählen.
3. Bei hoher Temperatur werden Versetzungszellstrukturen und dicke
Zwillinge gebildet (Bilder 8-4a und 8-4b), bei tiefer Temperatur sind die
Zwillinge sehr dünn (BUder 5-4 und 8-5).
4. Unter der Annahme, dass Stickstoff die Stapelfehlerenergie senkt, ergibtsich ein in sich konsistentes Bild der Plastizität austenitischer Stähle (Punkt
8.4.3 und Abschnitt 8.5).
8.4.2 Reibungsspannung
Die Reibungsspannung stickstofffreier Stähle ist klein, da einerseits
das Peierls-Potential im kubisch flächenzentrierten Gitter sehr klein ist
[Vladimirov 76d] und andererseits die haupsächlichen Legierungselemente
Cr, Ni und Mn als Substitutionsatome alle ungefähr den gleichen Atom¬
radius haben. Hingegen wird mit Stickstoff ein Einlagerungsmischkristall
gebUdet; die Stickstoffatome sitzen in den Oktaederlücken und verspannen
das Kristallgitter stark [Ledb 87]. Die Wechselwirkung zwischen den
Spannungsfeldem der Stickstoffatome und der Versetzungen führen zu
einem deutlichen Anstieg der inneren Reibung. Der so verursachte Misch¬
kristallhärtungsbeitrag ist ungefähr proportional der Wurzel des
Stickstoffgehaltes [Uggo 89]. Die Gleitung in einem derartig mischkristallge¬härteten Material ist ein deutlich thermisch aktivierter Prozess [Haas 79], so
dass die Reibungsspannung mit abnehmender Temperatur stark zunimmt.
8.4.3 Mikrostruktur
Klassiert man aUe kubisch flächenzentrierten Legierungen nach ihrer
Stapelfehlerenergie und ihrer Reibungsspannung, so kommen die
austenitischen Stähle je nach Stickstoffgehalt und Temperatur auf der
Diagonalen zwischen den Extremen hohe Stapelfehlerenergie/tiefe Rei
71
YSF
Bild 8-6: Einfluss von Stickstoff und Temperatur auf die Stapelfehlerenergie(YST), die Reibungsspannung GJj), und auf die Verformungsstruktur.
bungsspannung und tiefe Stapelfehlerenergie/hohe Reibungsspannung zu
liegen (Bild 8-6). Mit abnehmender Temperatur und zunehmendem
Stickstoffgehalt verschiebt sich die Position eines Austenites gegen das
Extrem tiefe Stapelfehlerenergie/hohe Reibungsspannung.In den Kapiteln 2, 3 und 5 wurde gezeigt, dass mit abnehmender
Stapelfehlerenergie und zunehmender Reibungsspannung die Gleitung
ausgeprägter planar wird, das Einsetzen der Zwillingsbildung zu kleinerer
Dehnung verschoben wird, wodurch die ZwUlingsdicke abnimmt, die
ZwiUingsdichte zunimmt und die Versetzungsdichte bei Dehnungen
oberhalb der ZwülingsbUdungsdehnung kleiner wird.
In Abschnitt 2.2 wird erläutert, dass eine Abnahme der
Stapelfehlerenergie und eine Zunahme der Reibungsspannung entgegen¬
gesetzte Auswirkungen auf die Gleitbanddichte haben. Da die Gleitband¬
dichte leicht abnimmt, hat die Änderung der Stapelfehlerenergie mit
zunehmendem Stickstoffgehalt die stärkere Auswirkung als die Zunahme
der Reibungsspannung und/oder Stickstoff beeinflusst den Gleitcharakter
durch einen weiteren Mechanismus, z.B. die Bildung, wodurch die
Gleitung ausgeprägter planar wird [Gruj 93, 92, 89]. Die Unterstützung von
Nahordnungszuständen wirkt also in die gleiche Richtung wie die
Verminderung der Stapelfehlerenergie.
72
Somit können die Änderungen der Strukturentwicklung während
der plastischen Verformung, die mit der Variation der Temperatur oder des
Stickstoffgehaltes beobachtet werden (Punkt 8.3.2), durch den Einfluss von
Temperatur und Stickstoffgehalt auf die Stapelfehlerenergie und die
Reibungsspannung und allenfalls durch das Nahordnungsverhalten
weitgehend erklärt werden.
8.5 Struktur und mechanische Eigenschaften
8.5.1 Verfestigungskoeffizient
a) vor Einsetzen der Zwillingsbildung
Vor Einsetzen der Zwillingsbildung wird das Verfestigungsverhalten
durch die Versetzungsvervielfachung und die Behinderung der
Versetzungen an Korngrenzen und Lomer-Cottrell-Barrieren bestimmt. Mit
zunehmendem Stickstoffgehalt (abnehmender Stapelfehlerenergie) wird
die Versetzungsvervielfachung erschwert und die Gleitbanddichte (damit
auch die Barrierendichte) erhöht, so dass der Verfestigungskoeffizientzunimmt (Abschnitt 2.2).
b) nach Einsetzen der Zwillingsbildung
Nach dem Einsetzen der Zwillingsbildung gewinnen
Zwillingslamellen mit zunehmender Dehnung an Bedeutung als
Hindernisse zunächst für die Versetzungsbewegung und dann auch für die
Bewegung von Zwillingsfronten. Die Behinderung beider Mechanismen
wird durch ein frühes Einsetzen der ZwUUngsbildung verstärkt, da damit
die Zwillingsdichte zunimmt und die Zwillingsdicke abnimmt. Für die
Behinderung der Versetzungsbewegung ist die Zunahme der
Zwillingsdichte entscheidend, für die Behinderung der Bewegung der
Zwillingsfront hingegen vor allem die Abnahme der Zwillingsdicke
(Kapitel 6).
73
c) Ergebnis
Die mit einer Variation des Stickstoffgehaltes beobachteten Struktur¬
änderungen (Punkt 8.3.2) erklären die Zunahme des Verfestigungskoef¬fizienten.
8.5.2 Bruchverhalten
Das Einsetzen der Zwillingsbüdung wird sowohl mit zunehmendem
Stickstoffgehalt wie auch mit abnehmender Temperatur zu einer kleineren
Dehnung verschoben. Somit fördern Stickstoff und abnehmende
Temperatur die Tendenz zum Sprödbruchverhalten (Abschnitt 7.4). Die
BUder 8-7a und 8-7b zeigen das Diagramm von BUd 7-6 für G>i=7SF (ßüd 8-7a)
und <Bi=T (Bild 8-7b). In Bild 8-7a kann die Ordinate auch mit der
Konzentration eines Legierungselementes skaliert werden; die Richtungen
für das positive Vorzeichen der jeweiligen Skala ist für die Elemente
Nickel, Mangan und Stickstoff angegeben. Da eine Zunahme des Gehaltes
an Stickstoff oder Mangan tendenziell denselben Einfluss hat wie eine
Abnahme der Temperatur, wird der Wert von Tc (also die zäh/spröd-
Übergangstemperatur Tu) durch das Zulegieren von Stickstoff und Mangan
zu höheren Werten verschoben (und umgekehrt für Nickel).
Diese Tendenzen stimmen mit den experimentell gefundenen
Werten für Tu überein [Uggo 92b].
8.6 Zusammenfassung
Stickstoff in fester Lösung senkt die Stapelfehlerenergie und erhöht
die Reibungsspannung. Dadurch wird die Gleitung ausgeprägter planar und
die Variation der inneren Spannungen allgemein verschärft. Die
charakteristischen Distanzen der Versetzungsstruktur (Abstand zwischen
Gleitbändern, Zwillingsdicke, Abstand zwischen Zwillingslamellen) werden
kleiner und die Hindernisdichte wird erhöht. Dies führt zu einem erhöhten
Verfestigungskoeffizienten. Da auch eine verminderte Temperatur die
Stapelfehlerenergie senkt und die Reibungsspannung stickstofflegierter
74
Stähle stark temperaturabhängig ist, kann die Kombination von hohem
Stickstoffgehalt und tiefer Temperatur Sprödbruch verursachen.
Die vorgeschlagenen Strukturmodelle und die daraus abgeleiteten
Verfestigungs- und Bruchmechanismen stimmen qualitativ und, soweit
quantitative Aussagen möglich sind, auch quantitativ in aUen betrachteten
Punkten mit der beobachteten Mikrostruktur und den gemessenen
mechanischen Eigenschaften überein.
+Mn TÜ(CN2)+N
TÜ(CN1>
Bild 8-7: Einfluss der Stapelfehlerenergie (a) und der Temperatur (b) auf den
Verformungsmechanismus (G: Gleitung, Z: Zwillingsbildung, S: Scherband¬
bildung) und das Bruchverhalten (SB: Sprödbruch). In a) ist der Einfluss
der Legierungselemente Nickel, Mangan und Stickstoff angegeben.
75
9. SCHLUSSFOLGERUNGEN
9.1 Struklurausbildung
Stabil-austenitische Stähle haben typischerweise eine mittlere bis kleine
Stapelfehlerenergie. Dementsprechend bilden sie während der Verformungnicht Zellstrukturen aus, sondern die Gleitung ist deutlich planar. Dies führt an
Gleitbandschnittlinien zu Spitzen innerer Spannung, die durch die Bildung von
Verformungszwillingen relaxieren. In der relaxierten Struktur ist Gleitung
vollständiger Versetzungen erneut möglich, so dass Zwillingsbildung und
Gleitung kooperieren. Dabei nehmen mit zunehmender Dehnung die
Versetzungsdichte und die mittlere ZwUlingsdicke ab.
9.2 Strukturmodell
Zur Beurteilung des Zusammenhanges zwischen Verformungsstruktur
und Plastizität wird die Struktur auf einfache Weise modelliert. Der zentrale
TeU der Betrachtungsweise ist das Disklinationsmodell einer ZwUlingsfront,d.h. eine Zwillingsfront wird als Dipol partieUer Disklinationen behandelt. Es
wird gezeigt, dass das Disklinationsmodell das aktuelle Spannungsfeld einer
ZwUlingsfront gut beschreibt, d.h. der relative Fehler ist kleiner als 20 Prozent.
Mit Hilfe des DisklinationsmodeUs ist es möglich, einen Mechanismus
des Schneidens von Zwillingen zu beschreiben, der im Einklang steht mit
experimentell beobachteten Zwillingsschnittstellen. Weiters erlaubt das
Disklinationsmodell, ein Bruchmodell für das Versagen durch Sprödbruch zu
entwerfen. Dieses BruchmodeU sagt den zäh-spröd-Übergang und die dabei
auftretende Bruchspannung richtig voraus.
9.3 Plastizität
Die gute Duktilität austenitischer Stähle ist das Resultat des
Wechselspiels zwischen ZwülingsbUdung und Gleitung: Das Auslösen eines
Verformungszwillings bewirkt, erstens, dass die Versetzungsstruktur relaxiert,
so dass eine bereits blockierte Versetzungsquelle erneut aktiviert wird,
76
zweitens, dass durch die Zwillingsversetzungen Teile der vollständigen
Versetzungen ein Vielfaches der Strecke von der Versetzungsquelle zur
Gleitbandschnittlinie zurücklegen, und drittens, dass Versetzungen die Lomer-
Cottrell-Barrieren überwinden können und somit ebenfalls ihre totale
Wegstrecke vervielfacht wird.
Der Verfestigungskoeffizient wird bei kleiner Dehnung durch die
Stabilität der Lomer-Cottrell-Barrieren und die Möglichkeit des Quergleitens
bestimmt. Bei grosser Dehnung, d.h. im Bereich der ZwülingsbUdung ist das
Schneiden von Zwillingen massgebend. Es zeigt sich, dass der
Verfestigungskoeffizient mit abnehmender ZwUlingsdicke wächst.
Versagen durch Sprödbruch kann auftreten, wenn die inneren
Spannungen einer blockierten ZwUlingsfront nicht durch andere Defekte
abgeschirmt werden können, so dass sie instabüe Nanorisse verursachen. Dies
ist der Fall, wenn die Versetzungsdichte sehr klein ist.
9.4 Stickstoff
Zulegieren von Stickstoff bewirkt eine Verminderung der
Stapelfehlerenergie und eine Erhöhung der Reibungsspannung. Dadurch wird
die Gleitung ausgeprägter planar und die Spannungsspitzen an
Gleitbandschnittlinien verschärfen sich. Der Beginn der ZwUUngsbildung wird
zu kleinerer Dehnung verschoben, wodurch die Versetzungsdichte bei
Einsetzen der ZwülingsbUdung und somit während des ganzen Bereiches der
Zwillingsbildung kleiner ist. Es werden somit dünnere Zwillinge gebUdet.Die verminderte Zwillingsdicke bewirkt eine Zunahme des
Verfestigungskoeffizienten. Wird die Versetzungsdichte zu klein, tritt
Sprödbruch ein. Da eine Zunahme des Stickstoffgehaltes tendenzieU dieselbe
Wirkung auf die Stapelfehlerenergie und die Reibungsspannung hat wie eine
Abnahme der Temperatur, verschiebt eine Erhöhung des Stickstoffgehaltes die
zäh-spröd-Übergangstemperatur zu grösseren Werten.
9.5 Ausblick
Die Argumentation ausgehend von den intrinsischen Eigenschaften
Stapelfehlerenergie und Reibungsspannung über deren Einfluss auf die
77
Mikrostruktur und die daraus resultierenden Eigenschaften ergibt ein in sich
konsistentes BUd der Plastizität stabü-austenitischer Stähle. Die verwendeten
ModeUe sind aber in allgemeiner Form erarbeitet und ihre Anwendungbeschränkt sich nicht nur auf diese Werkstoffgruppe. Vielmehr kann das
Konzept auf andere Materialien übertragen werden, deren Verformung sowohldurch Gleitung wie auch durch ZwülingsbUdung oder spannungsinduzierte
Martensitumwandlung getragen wird (z.B. Kupferlegierungen mit kleiner
Stapelfehlerenergie [Fran 93, Tran 93]).
78
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Vlad 76c ibid., 237
Vlad 76d ibid., 73
Ward 93 S. Wardle, L Phan und G. HugAnalysis of twin intersection in TiAl
Phil. Mag. A, 67 (1993), 497
Wit 73 R. de Wit
Theory of DisclinaÜbns
J. Res. Nat Bureau Stand. A, 77 (1973), 49,359,607Wolf 94 K. Wolf, H.-J. Gudladt, H. A. Calderon, and G. Kostorz
Transition between planar and wavy slip in cyclically deformed short rängeordered alloysActa met. mater, 42 (1994), im Druck
You89 R.K.You,Po-WeKaoundD.GanMechanical Properties of Fe-30Mn-10Al-lC-lSi AlloyMat. Sei. Eng., A117 (1989), 141
85
AI. VERSETZUNGENUND DISKLINATIONEN
A1.1 Einleitung
Im vorliegenden Anhangkapitel werden die für die Raum- und
Tieftemperaturplastizität austenitischer Stähle wesentlichen linearen
Gitterdefekte - Versetzungen und Disklinationen - mit ihren elastischen
Eigenschaften kurz beschrieben. Es ist nicht das Ziel, einen umfassenden
Überblick über diese Fehler zu geben, es soU lediglich Klarheit geschaffenwerden über die verwendeten Objekte und Begriffe.
A1.2 Versetzungen [z.B. Hirth 68]
Eine Versetzung ist ein eindimensionaler Gitterbaufehler mit einem
translatorischen Verschiebungsfeld. Sie ist durch die Versetzungslinie mit
dem Linienvektor 1 und dem Burgersvektor b_ vollständig bestimmt. Eine
Versetzung heisst Stufenversetzung, wenn b_ senkrecht zu 1 ist,
Schraubenversetzung, wenn b paraUel zu 1 ist, und gemischte Versetzung,
wenn b und 1 einen beliebigen von null und 90° verschiedenen Winkel
einschhessen. Gemischte Versetzungen werden auch nach dem von b und 1
eingeschlossenen Winkel bezeichnet. Entsprechend dem translatorischen
Verschiebungsfeld nehmen die Spannungen und Dehnungen mit
zunehmendem Abstand r von der Versetzungslinie ab und gehen für r
gegen unendlich gegen Null.
Eine Versetzung heisst vollständige Versetzung, wenn ihr
Burgersvektor ein Translationsvektor des Kristallgitters ist, und
Teilversetzung sonst. Im Fall der TeUversetzung ist die Versetzungsliniemit einem ebenen Fehler - einem Stapelfehler - verbunden.
Für die Beschreibung der Eigenschaften von Stufenversetzungenwird folgendes kartesische Koordinatensystem verwendet (Bild Al-1): die z-
Achse liegt entlang der Versetzungslinie, wobei die positive z-Richtung
dem positiven Liniensinn der Versetzung entspricht, die x-Achse ist
parallel zum Burgersvektor mit identischer positiver Richtung.
86
y 1 1
I =§z
b = b • ex
0*
Bild Al-1: Definition des Koordinatensystems zur Beschreibung des Spannungs¬feldes einer Versetzung.
Al.2.1 Das Volterra-ModeU einer Versetzung
Im Volterra-Modell "entsteht" eine Versetzung, wenn ein Zylinder
entlang seines Mantels aufgeschnitten wird und die Schnittflächen
gegeneinander translatorisch verschoben werden, so dass sie zueinander
paraUel bleiben. Im Anschluss an die Bewegung wird der leere Raum
zwischen den Schnittflächen mit Material aufgefüllt respektive
überschüssiges Material entfernt. Der Translationsvektor der Bewegung
entspricht dem Burgersvektor, die Zylinderachse der Versetzungslinie. In
einem unendlichen isotropen Kontinuum hat die Stufenversetzung des
Volterra-Modells folgendes Spannungsfeld (Hirth 68f):
= -Dby3x2 + y2
Al*la
j^y = Dby2 2
x -y Al*lb
2_ 2
o-y^Dbxx y,(x2 + y2f
Al*lc
87
o-zz « vfo« + 0yy) = -HJvbjr^-j-Al*ld
<*» = <*j*-°
Al*le
AI.2.2 Das Peierls-Nabarro-ModeU einer Versetzung
Im Peierls-Nabarro-Modell "entsteht" eine Versetzung, wenn zwei
halbunendliche identische und gleich orientierte Kristalle mit einer
anfänglichen Verschiebung in der x-Richtung t>° die gleich dem halben
Gittervektor ist, gemäss Bild Al-2a zusammengefügt werden. Die
a) yi
Bild Al-2: Konstruktion der Peierls-Nabarro-Versetzung; die um a0/2verschobenen halbunendlichen Kristalle (a); Einführung der Versetzungbei x=0,y=0 und der Verschiebungen U(x) (b).
Verschiebungen U(x), antisymmetrisch bezügUch der Ebene y=0, werden
nun auf die beiden HalbkristaUe aufgebracht (Bild Al-2b), so dass über die
Ebene y=0 perfekte Passung entsteht und die Versetzungslinie bei x=0, y=0
zu liegen kommt. Der Burgersvektor ist 2$°. Das Spannungsfeld dieser
Versetzung ist (Hirth 68g):
88
oPN=-DbXX '
3y-2C 2y(y-Cfx2 + (y-^ (x2+(y-C)2f
Al*2a
o=Db. 2x2y
(x2 + (y-C)2) x2+(y-CrAl*2b
o = Db2xy(y-C)
!+(y-cr (x2+(y-C)2fAl*2c
- = v(axx+oyv) = -2Dvb-J^LAl*2d
oPN=oPN=0xz yz
Al*2e
wobei £=do/2(l-v), do ist der Gleitebenenabstand.
AI.2.3 Vergleich des Volterra- und des Peierls-Nabarro-Modells
Ein Vergleich der Gleichungen Al*la-e und Al*2a-e mittels des
Parameters Sij,
s-=-a-
°ij
Al*3
zeigt, dass die Spannungsfelder der beiden Versetzungsmodelle identisch
sind für grosse Entfernungen von der Versetzungslinie, d.h. wenn gilt
r = ^x +y )%. Der Parameter t, vermeidet die Singularität, die das
Volterra-ModeU am Ort der Versetzungsünie (r=0) aufweist.
89
Die angegebenen Spannungsfelder sind Ergebnisse aus der linearen
Elastizität, d.h. die Gültigkeit des Hooke'schen Gesetzes, das im Bereich
kleiner Dehnungen zutrifft, wird angenommen. In der Nähe der
Versetzungslinie ist dies nicht der FaU: beim Volterra-Modell streben die
Dehnungen bei der Annäherung an die Versetzungslinie gegen unendlich,
beim Peierls-Nabarro-ModeU einer Shockley-Teilversetzung (b=l/6<112>,
kfz-Gitter) hat die Dehnung eXx an der SteUe x=0, y=0 ein Maximum von
0.15. An der SteU x=2b, y=0 ist exx=0.03.
Somit können um eine Versetzung herum sinnvollerweise drei
Bereiche definiert werden:
a) Versetzungskern
Der Versetzungskern ist der Bereich direkt an der VersetzungsUnie.Er kann als Zylinder mit dem Kernradius rk=2b beschrieben werden.
Innerhalb des Versetzungskerns ergibt die lineare Elastizität sowohl für das
Volterra- wie auch für das Peierls-Nabarro-Modell viel zu hohe
Spannungswerte und kann nicht mehr sinnvoll angewendet werden.
b) Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs
Der Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs schliesst sich direkt an den
Kern an. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die lineare Elastizität hier zwar
hinreichend genaue Resultate ergibt; die beiden Versetzungsmodelle
weichen aber zum Teil beträchtlich voneinander ab: Das Peierls-Nabarro-
ModeU führt in diesem Bereich zu besseren Werten, weil es in sich die
Kristallperiodizität enthält und keine Singularität aufweist. Eine obere
Grenze für den relativen Fehler der Spannungen kann durch den Vergleichder beiden ModeUe bestimmt werden:
AOjjOh
ix,y"x,y
Al*4
Der Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs ist nach aussen begrenzt durch den
Radius, rpn=5b+10b.
90
c) Bereich des Volterra-ModeUs
In diesem Bereich ist der Unterschied der beiden VersetzungsmodeUe
vernachlässigbar klein; und das einfachere Volterra-Modell kann mit
hinreichender Genauigkeit angewendet werden. Dieser Bereich schliesst
sich an den Bereich des Peierls-Nabarro-ModeUs an.
A1.3 Disklinationen [z.B. Roma 92]
Al.3.1 Einzelne Disklinationen und sich gegenseitig abschirmende
Disklinationen
Eine Disklination ist, wie eine Versetzung, ein eindimensionaler
Gitterbaufehler, jedoch nicht mit einem translatorischen sondern mit
einem rotatorischen Verschiebungsfeld. Sie ist durch die Disklinationslinie
mit dem Liniensinn 1 und dem Frankvektor ja vollständig bestimmt. Eine
Disklination heisst Zwirndisklination, wenn ca. senkrecht zu 1 ist,
Keildisklination, wenn ja parallel zu 1 ist, und gemischte Disklination,
wenn ja und I einen beliebigen von null und 90" verschiedenen Winkel
einschliessen. Gemischte Disklinationen werden nach dem von ja und 1
eingeschlossenen Winkel bezeichnet, der Betrag, co, von ja heisst "Stärke"
der Disklination. Entsprechend dem rotatorischen Verschiebungsfeldnehmen die Spannungen und Dehnungen mit zunehmendem Abstand r
von der DiskUnationsUnie nicht ab und verschwinden nicht, wenn r gegen
unendlich geht.Eine Disklination heisst vollständige Disklination, wenn ihr
Frankvektor eine Symmetrieoperation des KristaUgitters beschreibt und
Teildisklination sonst. Im Fall der TeUdisklination ist die Disklinationslinie
mit einem ebenem Fehler - und zwar einer Korngrenze - verbunden.
Eine Disklination "entsteht", wenn ein Zylinder entlang seines
Mantels aufgeschnitten wird, und die Schnittflächen gegeneinanderverdreht werden. Im Anschluss an die Bewegung wird der leere Raum
zwischen den Schnittflächen mit Material aufgefüllt respektive
überschüssiges Material entfernt. Der Vektor, der die Rotationsbewegung
91
definiert, entspricht dem Frankvektor, die Zylinderachse der
Disklinationslinie.
Einzelne Disklinationen sind für die Raum- und
Tieftemperaturplastizität unbedeutend, weil deren Energie diejenige von
Versetzungen um Grössenordnungen übertrifft. Anders verhält es sich mit
Gruppen von Disklinationen, die sich gegenseitig abschirmen, d.h. die
Frankvektoren summieren sich zum Nullvektor. Somit sind die
weitreichenden Spannungsfelder klein und verschwinden, wenn der
Abstand zum Schwerpunkt der Disklinationsgruppe gegen unendlich geht.Die Energie solcher Systeme kann verhältnismässig klein sein. Beispiele
sich abschirmender Disklinationsgruppen sind Dipole, Quadrupole,
Disklinationswände u.s.w.
Neben der Beschreibung von Zwillingen, wie sie in dieser Arbeit
angewendet wird, kann das Konzept der Disklinationen auch für diverse
andere Phenomene in kristallinen und amorphen Festkörpern angewendet
werden, z.B. Kinkbanddeformation in Kunststoffen und Faserverbund¬
stoffen [Pert 81], Spannungsfelder und Erholungsmechanismen
fünfzähliger Nanoteüchen [Grya 91], KorngrenzenmodeUe [Gert 89], und für
Verfestigungsverhalten kristalliner Werkstoffe [Roma 93, 92].
Al.3.2 Der Disklinationsdipol
Ein Disklinationsdipol besteht aus zwei bis auf das Vorzeichen
identischen, parallelen Disklinationen. Ein Keildisklinarionsdipol besteht
aus zwei Keildisklinationen; seine elastischen Eigenschaften sind
vollständig definiert durch den Abstand der Diskhnationslinien 2a und
dem Betrag des Frankvektors co. Für die Beschreibung der Eigenschaften
eines KeUdiskhnationsdipols wird folgendes kartesische Koordinatensystem
verwendet (Bild Al-3): die z-Achse liegt parallel den DisklinationsUnien,
wobei die positive z-Richtung dem positiven Liniensinn der Disklinationen
entspricht, die x- und die y-Achse werden so gewählt, dass die positiveDiskünation auf x=0, y=a und die negative Disklination auf x=0, y=-a zu
Uegen kommt. Das Spannungsfeld ist dann gegeben durch:
ist.AbschneideradiusäusserederRwobei
Al*6Ed=Dü)2a2-(3+ln—~\
istDipolsdesEEnergieelastischeDie
Al*5e0=°yz=Oxz
Al*5d
a)'+xz+(y=Dcova,,
Al*5c
x2+(y-a)'af+(y+lx2 „22
a+y-I=D0)XOxy
Al*5b
Al*5a
a)2J+x2+(y(y-a)2+x2a)2+(y+x2[2yy
1x2,
x2x2+(y-a)2}l,n
a)2J+(y+x2(y-a)2+x2a)2+x2+(y[2x*1, v2x2+(y-a)2
Diskünationsdipoles.einesfeldes
Spannungs¬desBeschreibungzurKoordinatensystemsdesDefinitionAl-3:Bild
Oz
t
Hz
* e•(o=(ot+a=§zI
92
93
Al.3.3 Bewegungsmechanismen des Disklinarionsdipols
Ein Dipol kann durch zwei verschiedene Versetzungsgruppen
gebildet werden, nämlich die Versetzungen bUden eine beidseits begrenzte
Versetzungswand (Dipol Typ A, Büd Al-4b), oder die Versetzungen bUden
zwei paraUele halbunendliche Wände mit entgegengesetzten Vorzeichen
(Dipol Typ B, Büd Al-4c). Den beiden Dipoltypen A und B entsprechen die
Bewegungsmechanismen A und B:
a)
-V
a)
Vd
-V
b) -L
_L
X
b)
JL
XXi
yd//yv
c) h h hr-h h
HHHHHH
c) h h h h h h.h
Y«,^yv
HHHHHH
-II
-H
Bild Al-4: a) Disklinationsdipol; b)
und c) zwei in Bezug auf die weit¬
reichenden Spannungen identische
Versetzungsanordnungen
Bild Al-5: a) Sich bewegenderDisklinationsdipol; b) und c) den
Versetzungsanordnungen AI-4b undAl-4c entsprechende Bewegungsme¬chanismen A und B.
94
a) Mechanismus A (Bild Al-5b)
Die Versetzungen der Wand bewegen sich parallel zueinander. Die
Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit des Dipols entsprechen denjeni¬
gen der einzelnen Versetzungen.
b) Mechanismus B (Büd Al-5c)
Vor dem Dipol werden Paare engegengesetzter Versetzungen
gebildet, die sich nach aussen bewegen und die Versetzungswände
verlängern. Die Bewegungsrichtung des Dipols ist senkrecht zu der der
einzelnen Versetzungen.
Al.3.4 Der Disklinationsquadrupol
Ein Disklinationsquadrupol besteht aus vier identischen, parallelen
Disklinationen, wovon zwei ein positives und die anderen zwei ein
negatives Vorzeichen haben. Bild Al-6 zeigt einen Keildisklinations-
quadrupol, dessen Disklinationslinien ein Parallelogrammprisma
beschreiben. Die Energie E'W dieses Quadrupols ist gegeben durch:
El'P = Dco2
2 (a2+a2) -4a2a2cos2<pafln
4
2+&2
(a2+a2) -4a2a2cos2(pIni L +
af
+2aia2lni+a2+2aia2!COS(plal +a2-2a1a2|cos(p| Al*7
wobei 2ai und 2a2 die Seiten und 9 der spitze Winkel des Parallelogrammssind. Die Energie dieser Disklinationsgruppe ist nicht abhängig von einem
äusseren Abschneideradius. In den Gleichungen Al*8 sind die Energien
folgender Spezialfälle gegeben: a) rechteckiger Quadrupol, E^'Te, b)
95
Bild Al-6: Disklinationsquadrupol aus vier bis auf das Vorzeichen identischen
Keildisklinationen.
rechteckiger Quadrupol mit a2»ai, j?Fe>a2>>ait c) quadratischer Quadrupol
(ai = a2 = a>, Eq,c', und d) rhombischer Quadrupol (ai = a2 = a>, EVh.
El're = 2Dco2-I a?ln^ai+ailn^±ai>af 4 )
Al*8a
El're'a2>>ai = 2Dco2a2 • f1+21n52-l - 4Dco2a2 • ln^ Ai*8bk al) al
E9'^=41n2Dco2a2
E** =4Dco2a2ln(2+2|cosq>|)
Al*8c
Al*8d
Al.3.5 Versetzungsgruppen und Disklinationsgruppen
Das Spannungsfeld einer Disklination kann durch Versetzungenbeschrieben werden und ebenso das Spannungsfeld einer Versetzung durch
Disklinationen. So kann z.B. eine Disklination als halbunendliche
Versetzungswand betrachtet werden.
Der Unterschied der beiden Betrachtungsweisen besteht darin, dass
im ModeU der halbunendUchen Versetzungswand eine Aussage über die
Lage und die diskrete Struktur der Grenzfläche gemacht wird, wogegen im
96
FaU der Disklination die Grenzfläche als kontinuierUcher Fehler behandelt
wird und nicht lokalisiert wird. Somit unterscheiden sich die
Spannungsfelder nur in den Bereichen zwischen den Versetzungen und
unmittelbar in der Nachbarschaft der Versetzungswand.
97
A2. VERFORMUNGSZWILLINGE
A2.1 PefinitiQTtm
Definition Zwillingslamelle:Die Zwillingslamelle ist die Gesamtheit der von den
ZwiUingsversetzungen begrenzten Stapelfehler ohne deren Versetzungen.
Definition Zwillingsfront:Die ZwUlingsfront ist die Gesamtheit der ZwUUngsversetzungen.
Definition Zwilling:Der Zwilling ist die Gesamtheit von Zwillingslamelle und
ZwUlingsfront.
Definition Zwillingwachstum:Als Zwillingswachstum wird das Dickenwachstum der
ZwiUingslameUe bezeichnet, d.h. die Anzahl der übereinandergeschichteten
Stapelfehler nimmt zu.
Definition Zwillingbewegung:Als Zwillingsbewegung wird die Bewegung der Zwillingsfront
bezeichnet.
A2.2 Disklinationsheschreibung von Zwillingen
Die ZwUUngsversetzungen können im Prinzip eine beliebige Form
innerhalb ihrer Gleitebene haben. Da die wesentüchen Hindernisse für die
Bewegung der Zwillingsfront - und somit für die Bewegung der
ZwiUingsversetzungen - ZwillingslameUen anderer Habitusebenen sind,
werden die meisten ZwiUingsversetzungen entlang der <110>-Richtungenverlaufen. Sie beschreiben somit ungefähr Polygone, die aus reinen
StufenVersetzungen und aus 30°-Versetzungen zusammengesetzt sind.
Haben alle Zwillingsversetzungen dieselbe Form, so beschreibt die
98
[111]
INo[121]
Bild A2-1: Schnitt durch das Zwillingsprisma: gestrichelte Linien bezeichnen
(lll) Ebenen, ausgezogene horizontale Linien (111) Ebenen, und
ausgezogene vertikale Linien (l2l) Ebenen; dicke Linien stehen für die
Zwillingsgrenzen.
Zwillingsfront ein 3+6 seitiges Prisma. Im Folgenden wird eine Seite dieses
Prismas im Disklinationsmodell beschrieben.
Büd A2-1 zeigt einen Querschnitt des Zwillingsprismas durch eine
Seite mit reinen Stufenversetzungen. Diese Seite ist anschaulicher
darstellbar als die Seiten mit 30°-Versetzungen; die Betrachtung kann aber
analog auf die anderen Seiten übertragen werden. Das Spannungsfeld der
ZwiUingsversetzungen entspricht dem eines DiskUnationsdipols mit der
Stärke coz:
coz = 2arctan1
272: 38.94° A2*l
cozentspricht somit dem Winkel zwischen der Ebene (lll) und deren
Spiegelbild im ZwUling (BUd A2-1).
Die Gleichung A2*l folgt aus der Beziehung zwischen dem
Burgersvektor b, dem Versetzungsabstand h, und der KristaUrotation co
einer Versetzungswand
b = 2htan-2
A2*2
mit co=co2, b=bz=a0/V6, h=a0/V3. A2*2 ist aber nicht exakt, weü hier
Relaxationsprozesse nicht berücksichtigt werden [Naza 89]. Die exakte Form
liegt zwischen den Grenzen A2*2 und A2*3:
99
b = 2hsin— A2*32
Für den FaU der ZwülingsbUdung hegen die Werte der Gleichungen A2*2
und A2*3 nur um 5 Prozent auseinander, so dass der relative Fehler der mit
A2*l berechneten Spannungen (Gleichung 4*15) sicher kleiner als 0.05 und
demnach kleiner als der Fehler der Dipolnäherung einer ZwUlingsfront ist
(Kapitel 4). Da beide Beziehungen (A2*2 und A2*3) die elastischen Eigen¬schaften einer Versetzungswand leicht falsch beschreiben, A2*2 aber die
Zwillingsorientierung exakt wiedergibt, wird diese Beziehung verwendet.
100
A3. UNTERSUCHTE STÄHLE
A3.1 Chemische Zusammensetzung
Nr Cr Ni Mn Mo Nb c N
la 17 13 1.5 2.5 - 0.017 <0.04
lb 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.25
lc 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.45
ld 17 13 1.5 2.5 - 0.017 0.53
2a 18 - 18 - - 0.03 0.6
2b 18 - 18 - - 0.03 1.04
3 16 17 4 3 0.1 0.03 0.26
4 21 13 7 3 0.1 0.02 0.39
5 17 12 1.6 2.2 - 0.017 0.04
Tabelle A3+1 Chemische Zusammensetzung der untersuchten Stähle
A3.2 Mechanische Eigenschaften
Nr T/K Rp0.2/MPa Rm/MPa e/% 636%-56%/MPa Bruchart
la,5 298 260 595 56 740 duktil
lb 298 400 705 53 820 duktil
lc 298 455 860 53 1260 duktil
ld 298 510 900 54 1580 duktil
2a 298 500 845 67 duktil
2a 77 1330 1680 9.2 spröd2a 4.2 1921 1981 2.5 spröd2b 4.2 - 1450 0 spröd
3 4.2 1350 1730 32 spröd4 4.2 1505 1960 8.2 spröd
Tabelle A3+2 Mechanische Eigenschaften der untersuchten Stähle. T ist die
Temperatur, Rp0.2 die Streckgrenze, Rm die Zugfestigkeit, e die Bruch¬
dehnung und &36%-56% ist ier mittlere Verfestigungskoeffizient zwischen
36% und 56% Kaltverförmung durch Rundhämmern
101
A4. INTEGRALE ZUM MODELL DER GLFJTSTRUKTUR
Gleichung 2*2 enthält vier Summanden entsprechend den
Aufstauungen HV in BUd 2-3:
0 0 i=——
°Mx=xo,y=0 \(nM°^L-x,0dX =i(^cl|-^fdX
^L,y=o = H>'
A4*I
A4*n
h „2 J2oSl -f«J5k<»J dy=-f y Xp?Vy(L-y)dy A4*LH
^Uo,jM) {(y) "Tlxc-y
BJ(y2+x2^n^
r4(x) = Oxj(L-x) A4*IV
Das zugehörige Koordinatensystem ist in BUd A4-1 gegeben.
Yi
x0
B-T-
L x
Bild A4-1: Koordinatensystem zur Definition der Integrale A4»I * A4*IV.
Die Integrale wurden numerisch gelöst.
102
LEBENSLAUF
Angaben zur Person
Name Müllner Peter
Geburtsdatum, -ort 3. Oktober 1966, Zürich
Bürgerort Nürensdorf (ZH), Schweiz
Zivilstand verheiratet mit Deborah Müllner - Russak
Kinder David Paul, geboren am 16. 4.1991
Ivana Rahel, geboren am 7. 5.1993
Ausbildung
1973-1979
1979-1985
1985
1986-1991
1991
1991-1994
Primarschule in WattwU, SG und in Nürensdorf, ZH
Gymnasium in Winterthur
Matura Typus C (MNG)Studium an der Eidgenössischen Technischen
Hochschule Zürich, Abteüung für Werkstoffe
Diplom als WerkstoffingenieurDoktorand am Institut für Metallforschung und
MetaUurgie, ETH Zürich, bei Prof. Dr. M. O. Speidel.
Praktische Tätigkeiten
4.11. -13.12.1985
WS 87/88
29.2.-8.4.1988
5.3. -12.4.1990
1991-1994
Werkstattgrundkurs bei Sulzer, Winterthur
Hilfsassistent am Inst. f. Umformtechnik,ETH Zürich, Prof. J. Reissner
Praktikum bei Contraves, Abt. Raumfahrttechnik
Praktikum bei Alusuisse-Lonza, F+E, Neuhausen,
Abteilung Keramische Werkstoffe
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Inst. f. Metall¬
forschung und MetaUurgie, ETH Zürich
Auszeichnung
1991 ETH SUbermedaUle für die Diplomarbeit
103
Veröffentlichungen
On the effect of nitrogen on the dislocation structure of austenitic stainless
steel
P. Müllner, C. Solenthaler, P. J. Uggowitzer und M. O. Speidel,Materials Science & Engineering, A164,164.
Second order twinning in austenitic steel
P. Müllner, C. Solenthaler und M. O. Speidel,Acta metallurgica et materialia 42 (1994), 1727.
Brittle fracture in austenitic steel
P. Müllner, C. Solenthaler, P. J. Uggowitzer und M. O. Speidel,Acta metallurgica et materialia 1994, im Druck.
The intersection of deformation twins in austenitic steel
P. Müllner, C. Solenthaler und M. O. Speidel,Materials Week '93, Symposium 'Twinning in advanced materials",
Pittsburgh, October 18-21,1993, ed.: M. H. Yoo und M. Wuttig., TMS,im Druck
A proper model of a deformation twin for twin intersection problemsP. Müllner und C. Solenthaler,
Phüosophical Magazine Letters 69/3 (1994), 111.
The shape of a blocked deformation twin
P. Müllner und C. Solenthaler,
Phüosophical Magazine Letters 69/4 (1994), 171.
Cold and warm work of austenitic nitrogen steels
N. Paulus, P. J. Uggowitzer, P. Müllner, und M. O. Speidel,La metallurgia italiano 1994, im Druck.
Disclination model of twins
P. Müllner und A. E. Romanov,
Scripta metallurgica et materialia 1994, in Vorbereitung.
Vorträge
Die Entwicklung der Vesetzungsstruktur während der Kaltverformung von
austenitischem Stahl AISI 316 L mit unterschiedlichem StickstoffgehaltTagung an der Generalversammlung des SVMT, Bern, 9. 4.1992
On the effect of nitrogen on the dislocation structure of austenitic stainless
steel
Int. Conf. on Fundamental aspects of dislocation interactions, LEDS m
Ascona, 30.8. - 4.9.1991
The intersection of deformation twins in austenitic steel
Materials Week '93, Symposium 'Twinning in advanced materials",
Pittsburgh, 18. - 21.10.1993
Die Bedeutung der Zwillingsbildung für die Plastizität austenitischer Stähle
ArlbergkoUoquium, Lech, 18. - 20.4.1994
Zürich, im Juni 1994