Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und ...

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1 Titel / Title: Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und Aktualita t einer klassischen Kontroverse Autor / Author: Gerhard Schurz PE PREPRINTS Annual 2002 No. 1 Edited by Dietmar von der Pfordten und Gerhard Schurz Philosophische Vorver o ffentlichungsreihe an der Universita t Erfurt Philosophical Prepublication Series at the University of Erfurt

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Titel / Title:

Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und Aktualita t einer klassischen Kontroverse

Autor / Author:

Gerhard Schurz

PE PREPRINTS Annual 2002 No. 1

Edited by Dietmar von der Pfordten und Gerhard Schurz

Philosophische Vorvero ffentlichungsreihe an der Universitat Erfurt Philosophical Prepublication Series at the University of Erfurt

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Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und Aktualita t einer

klassischen Kontroverse

Gerhard Schurz, Universitat Erfurt

1. Diltheys Abgrenzung der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften,

oder wie es zur Entgegensetzung von "Erkla ren" und "Verstehen" kam.

Beginnend mit seiner Preisschrift uber die Hermeneutik Schleiermachers im Jahre

1860 machte es sich Wilhelm Dilthey zur Lebensaufgabe, eine Grundlegung der

Geisteswissenschaften zu liefern, die diese von den Naturwissenschaften klar

abgrenzen sollte (vgl. Scholz 2001, 74f). Derartige Abgrenzungsversuche zur

Sicherung eines 'genuin geisteswissenschaftlichen' Terrains gegenuber den

expandierenden Naturwissenschaften hat es seit dieser Zeit immer wieder gegeben. In

den heutigen Zeiten, wo die Soziobiologie die Kulturwissenschaft (Wilson 1998), die

Kognitionswissenschaft die Erkenntnistheorie (Goldman 1986), und die biologische

Anthropologie die Geschichtswissenschaft erobert (Diamond 1998), ist der

Terrainstreit zwischen den beiden 'Lagern' scharfer denn je zuvor (vgl. Snow 1967;

Wilson 1998, Kap. 9). Somit ist Diltheys Anliegen nach wie vor aktuell. Moderne

Lehrbucher uber 'qualitative Methoden' wie z.B. Lamnek (1988) kann man als eine

Wiederauflage dieses alten Methodenstreites bezeichnen. Bevor ich nun schildere,

auf welche Weise Dilthey und seine Geistesverwandten die Abgrenzung vornahmen,

und wie dies mit Erklaren und Verstehen zusammenhangt, mo chte ich vorweg

eingestehen, da– ich selbst weniger von solchen Abgrenzungsversuchen halte und

statt dessen fur eine Verbindung der Erkenntnisleistungen beider 'Lager' eintrete.

Wenn Dilthey sagt, "die Natur erklaren wir, das Seelenleben verstehen wir"

(Dilthey 1924, 144) so meint er, da– wir Menschen die Natur nur hypothetisch

erkennen ko nnen, wahrend wir zum eigenen Seelenleben einen direkten Zugang

haben. Dieses direkten Zugangs bedient sich die geisteswissenschaftliche Methode

des Verstehens. Sie mu– nicht, wie die naturwissenschaftliche Methode, Gesetzes-

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hypothesen konstruieren, um die au– ere Natur erklaren und voraussagen zu ko nnen,

sondern sie kann rein deskriptiv-beschreibend vorgehen. Aus diesem Grund hat

Wilhelm Windelband (1894), zeitgleich mit Dilthey, das bekannte Schlagwort von

der nomothetischen Methode der Naturwissenschaft versus der ideographischen

Methode der Geisteswissenschaft gepragt: wahrend die erstere nach allgemeinen

Gesetzesma üigkeiten sucht, geht die letztere auf die Beschreibung der Individualita t

des verstandenen Textes oder Autors, ohne da– hierbei allgemeine Gesetzes-

ma– igkeiten beno tigt bzw. postuliert werden. Einige Jahrzehnte zuvor hatte Johann

Gustav Droysen (1858) dieselbe Verstehens-Erklarungs-Dichotomie fur die

Methodologie der Geschichtswissenschaften (als 'Paradedisziplin' der Geisteswissen-

schaften) proklamiert. Der Droysen-Dilthey-Windelbandsche Methodendualismus

war zusammenfassend also darauf zugespitzt, da– naturwissenschaftliches Erklaren

nach allgemeine Gesetzeshypothesen sucht und diese beno tigt, wahrend im Bereich

des geisteswissenschaftliches Verstehen solche Gesetze weder beno tigt werden −

denn Verstehen hat direkten Zugang zum menschlichen Geist − noch mo glich sind −

denn Geistig-Seelisches unterliegt keinen strengen Gesetzesmechanismen. In diesem

Form hat der Methodendualismus die Debatte zwischen den Lagern bis in die

heutigen Tage gepragt.

Nun mag man zustimmen, da– ein Mensch zu seinem eigenen Seelenleben einen

privilegierten introspektiven Zugang hat (obzwar spatestens seit Sigmund Freud

bekannt ist, da– wir uns auch uber unsere eigenen Seelenzustande tauschen ko nnen).

Aber beim Verstehen anderer Personen haben wir keinen solchen direkten Zugang

mehr. Dennoch gehen wir nach Dilthey auch hier nicht hypothetisch-erklarend vor.

Wir verwenden vielmehr die Methode der Einfuhlung, oder des geistigen

Nachvollzugs (Dilthey 1924, 318), die ebenso von Simmel (1892, Kap. 1) betont

wurde. Dabei versetzen wir uns derart in die Gesamtsituation der andere Person, da–

wir ihre (sprachlichen oder nichtsprachlichen) Handlungen geistig nachvollziehen

ko nnen − was genau genommen nur hei– en kann, da– wir erkennen, da– wir selbst so

gehandelt hatten, ha tten wir mit dieser Person in allen relevanten Details

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ubereingestimmt (vgl. Hempel 1942, 240). Kritiker der Verstehensmethode setzen

ublicherweise genau an diesem Punkt an: das Sich-Hineinversetzen in eine andere

Person involviert ja bereits hypothetische Annahmen, die umso starker und expliziter

werden, umso mehr die zu verstehende Person vom verstehenden Subjekt geistig

abweicht, etwa weil sie einer anderen kulturgeschichtlichen Epoche angeho rt. Im

Extremfall kann ein eine solche geistige Differenz den Verstehensproze– sogar

verunmo glichen (man denke an radikal fremde Kulturen, oder an schizophrene

Personen; vgl. Hempel 1942, 240). Aus diesem Grunde bemerkte auch Max Weber

(1921, Kap. I.1), die Methode des emphatischen (d.h. einfuhlenden) Verstehens sei

eine wichtige, doch keinesfalls uberall anwendbare Methode der Soziologie. Solchen

Einwanden zum Trotz unterstreichen Diltheyaner die geistige Verbundenheit aller

Menschen bzw. geistigen Wesen, welche einfuhlendes Verstehen ohne hypothetisch-

nomothetische Annahmen ermo glicht.

Mit der von Dilthey und verwandten Denkern des 19. Jahrhunderts begrundeten

und von Gadamer (1960), Apel (1979), und anderen zeitgeno ssischen Denkern fort-

gefuhrten philosophischen Sto– richtung erfolgte in der Geschichte der Hermeneutik

als der Lehre vom Verstehen und Interpretieren ein gewisser Richtungswechsel. Wie

Scholz (2001) ausfuhrt, war die Entgegensetzung der Begriffe Erklaren und

Verstehen in der fruheren Geschichte der Hermeneutik nicht vorhanden. In

detaillierter Untersuchung der hermeneutischen Lehren von Thomasius, Crusius,

Meier, Lambert, u.a. zeigt Scholz auf, da– von diesen Autoren das Verstehen (oder

Interpretieren) eines Textes durchwegs mit der Erkla rung dessen, was der Autor hat

sagen wollen, identifiziert wurde (ebenda, Teil I.B). Diese naturliche Korrelation der

Begriffe Erklaren é Verstehen, derzufolge wir etwas verstanden haben, wenn wir es

erklaren ko nnen, findet sich auch im Common-Sense (vgl. von Wright 1974, 19).

Angesichts dieser Tatsache mussen wir uns bewu– t sein, da– im Droysen-Dilthey-

Windelbandschen Methodendualismus (MD) zugleich doppeltes geschehen ist, zwei

Thesen (MD1, MD2) im Gewande einer einzigen ihre Ausbreitung erfuhren, namlich:

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(MD1) da– sich natur- und die geisteswissenschaftliche Erkenntnismethoden darin

unterscheiden, da– erstere nomothetisch, letztere ideographisch verfahren, und

(MD2) da– Erklaren als naturwissenschaftliche Verfahren und Verstehen als

geisteswissenschaftliches Verfahren grundsatzlich verschiedene Erkenntnisverfahren

seien.

Man kann offenbar die erste These ohne die zweite vertreten, namlich wenn man

den methodischen Verfahrensunterschied zugesteht, aber von beiden Verfahren sagt,

sie generieren Erklarungen und erzeugen Verstehen auf ihre je eigene Weise. Man

kann auch die zweite These ohne die erste vertreten, indem man sagt, sowohl Natur-

wie Geisteswissenschaften enthielten nomothetische und ideographische Methoden,

und doch sei Verstehen als geisteswissenschaftliches Verfahren wesensverschieden

von Erklaren als naturwissenschaftlichem Verfahren. In der folgenden Analyse

werden wir daher zwei Fragen stellen mussen, namlich erstens, ob These (MD1) und

zweitens ob These (MD2) zutrifft. Wir werden uns These (MD2) speziell in Abschn.

5 widmen; die anderen Abschnitte widmen sich vornehmlich (aber nicht

ausschlie– lich) These (MD1).

2. Hempels Erwiderung auf die Philosophie der Geisteswissenschaften, oder das

deduktiv-nomologische Erkla rungsmodell als einheitswissenschaftliches Programm

Das Gegenprogramm zum Methodendualismus der Philosophie der

Geisteswissenschaften wurde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts

entfaltet, im einheitswissenschaftlichen Programm des sogenannten Wiener Kreises

(Moritz Schlick, Otto Neurath, Rudolf Carnap, u.a.m.; zur Wirkungsgeschichte vgl.

Stadler 1997). Diese Philosophengruppe entfaltete neue Entwicklungen in Logik und

Naturwissenschaften zu einer neuen philosophischen Sichtweise, dem sogenannten

logischen Empirismus, dessen Programm darin bestand, gewisse methodische

Prinzipien, die sich in der Mathematik und den Naturwissenschaften als ho chst

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erfolgreich erwiesen, logisch soweit zu verallgemeinern, da– sie sich auf alle anderen

wissenschaftlichen Disziplinen, einschlie– lich der Geistes- und Kulturwissen-

schaften, anwenden lassen sollten. Nach einigen in diese Richtung gehenden

Versuchen, denen aus heutiger weniger Aktualitat beizumessen ist (wie etwa Otto

Neuraths vielmi– verstandenes Programm einer physikalistischen Einheitssprache;

vgl. Schurz 2002a, Kap. 10) war es besonderes Carl G. Hempel, ein spaterer (auf die

USA-Phase beschrankter) Abko mmling des Wiener Kreises, der diesem

Einheitsprogramm einen entscheidenden Impuls gab, und zwar durch seine Arbeiten

an einem einheitswissenschaftlichen Erklarungsbegriff (1942, 243). Wie schon der

Titel "The Function of General Laws in History" verrat, mo chte Hempel in seiner

ersten Arbeit zum Erklarungsbegriff von (1942) entgegen dem Droysen-Dilthey-

Windelbandschen Programm zeigen, da– die Suche nach allgemeinen

Gesetzesma– igkeiten ein unerla– licher Schritt sei, auf den auch die

Geisteswissenschaften und speziell die Geschichtswissenschaften unvermeidlich

angewiesen sind, sobald sie etwas zu erklaren bzw. zu verstehen suchen. Das

sogenannte Modell der deduktiv-nomologischen Erklarung, kurz D-N-Erklarung, das

Hempel in (1942) entwickelte und in Hempel/Oppenheim (1948) verfeinerte,

zeichnet sich voralledem durch seine logische Allgemeinheit aus.1 Um auf mo glichst

viele Disziplinen anwendbar zu sein, verzichtet das Modell auf jedwede

metaphysischen Annahmen uber Erklarung im Sinne einer Wesensschau, sondern

charakterisiert die Erklarung einer Tatsache E schlicht als deren logische Folgerung

aus anderen Fakten und ubergeordneten Gesetzeshypothesen, wobei

Gesetzeshypothesen wiederum keine metaphysischen Kausalannahmen involvieren,

sondern lediglich als strikte Regularitatsbehauptungen im Humeschen Sinn,

sogenannte Allsa tze der Form "Immer wenn A(x), dann B(x)", verstanden werden:

(D-N): Eine D-N-Erklarung einer (singularen) Tatsache E besteht in einem deduktive 1 Vorganger des D-N-Modells sind, u.a., Popper (1935, 31f), J. St. Mill, und nota bene Aristoteles

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Argument der Form "G, A / E" soda– gilt (Hempel 1942, 232):

(1.) (Formbedingung:) (i) G ist eine nichtleere Menge von kontingenten Allsatzen

(z.B. "Fur alle x; wenn Fx, dann Gx"); (ii) A (das Antecedens) ist eine nichtleere

Menge singularer Satze (z.B. Fa é lies: "a ist ein F"); (iii) E (das Explanandum) ist

ein singularer Satz (z.B. Ga é lies: "a ist ein G"); dabei hei– t die Pramissenmenge

G∪A auch Explanans ("das Erklarende") und die Konklusion E das Explanandum

("das Erklarte").

(2) (Folgerungsbedingung:) E ist deduktive Konsequenz von G und A.

(3) (Akzeptanzbedingung:) Die Explananspramissen sind empirisch bestatigt und das

Explanadum ist durch Explanans-unabhangige Evidenz gesichert.

Der einfachste Fall einer D-N-Erklarung ist z.B. ein Argument wie "diese Vase

leitet Strom, weil sie metallisch ist und alle Metalle Strom leiten". Weil hierbei

Antecedens und Explanandum durch ein einzelnes Gesetz implikativ verbunden sind,

sprach der D-N-Kritiker Dray (1957) vom covering law Modell der Erklarung − ein

Ausdruck, der sich spater einburgerte (vgl. Schurz 2002b, Ü 2). Aber schon in (1965,

355) wies Hempel Drays Etikettierung zuruck, da sein D-N-Modell wesentlich

komplexere Erklarungen zula– t, worin sich das Draysche "covering law" nur indirekt

aus der Gesetzesmenge deduktiv ergibt, wie etwa die D-N-Erklarung einer

Pendelbewegung aus Anfangsbedingungen und den Differentialgleichungen der

Newtonschen Mechanik (Schurz 1983, 222). Um die einheitswissenschaftliche

Funktion seines D-N-Modells zu untermauern, gibt Hempel mehrere Beispiele von

D-N-Erklarungen in den Geschichts- und Sozialwissenschaften (1942, p. 235f),

obwohl er bereits in (1942, 237) zugesteht, was ihm seine Kritiker spater vorwerfen

sollten, da– es namlich in diesen Disziplinen kaum strikte, d.h. ausnahmslos geltende

Gesetzesbeziehungen gabe; statt dessen gabe es 'weiche' Gesetzesbeziehungen, die

man als statistische Hypothesen auffassen ko nnte. M.a.W., Hempel erkennt bereits in

(vgl. Losee 1972, Kap. 1, Ü b); doch erst Hempel brachte es zur logischen Prazisierung.

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(1942) die Notwendigkeit eines induktiv-statistischen Gegenstucks zu seinem

deduktionslogischen Erklarungsmodell, welches er allerdings erst 20 Jahre spater, in

(1962) und (1965, Kap. IV.12.3), systematisch entwickeln sollte. Dennoch blieb die

philosophische Erklarungsdebatte, speziell unter den geisteswissenschaftlichen

Kritikern, bis in die heutigen Tage vornehmlich auf das deduktionslogische Modell

fixiert, wahrend den Eigentumlichkeiten des nichtdeduktiven Modells (siehe Abschn.

4, 6) wenig Beachtung zuteil wurde.

Wir haben in Abschn. 1 erfahren, da– das Verstehen im methodendualistischen

Programm aufgrund seiner angeblich rein 'beschreibenden' Natur dem Erklaren

entgegengesetzt wurde. Manche Autoren schlugen daher vor, die Kontrastierung

Verstehen é Erklaren lediglich als einen Spezialfall der Kontrastierung Beschreiben

versus Erkla ren aufzufassen (so z.B. Stegmuller 1983, 416). Wie immer man zum

Verhaltnis von Verstehen und Beschreiben steht, so ist es fur die Erklarens-

Verstehens-Debatte jedenfalls wichtig, sich vor Augen zu fuhren, da– das D-N-

Modell auf fur das Verhaltnis von Beschreiben und Erklarung eine im

einheitswissenschaftlichen Sinn verso hnende Sichtweise impliziert. In fruheren

metaphysischen Stro mungen der Philosophie hatte man Erklarung haufig als etwas

prinzipiell uber Beschreiben Hinausgehendes aufgefa– t, als eine Art Wesensschau, im

Gegensatz zu auf der Oberflache, der Erscheinungswelt verbleibenden Beschreibung.

Solche metaphysischen Erklarungskonzeptionen waren es, die Duhem (1908, 20f),

Wittgenstein (1921, 6.371) und andere zu der Behauptung veranla– ten, die

Wissenschaft ko nne grundsatzlich nur beschreiben und nichts (im Sinne einer

Wesensschau) erklaren. Auch hier wirkte Hempels antimetaphysisches Modell wie

ein Befreiungsschlag, insofern hier Erklarungen in keiner prinzipiellen Weise mehr

uber Beschreibungen hinausgehen. Denn nicht nur Explanandum und Antecedens,

sondern auch die Gesetze sind dem D-N-Modell zufolge Beschreibungen − die

Gesetze eben generelle Beschreibungen, Antecedens und Explanandum singulare

Beschreibungen. Worin Erklarungen uber Beschreibungen hinausgehen, ist dem D-

N-Modell zufolge die Herstellung eines logischen Zusammenhangs, und nichts

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weiter. Erklarungen in diesem Sinn hatten Duhem, Wittgenstein und alle Gegner

eines metaphysischen Erklarungsbegriff naturlich akzeptiert (vgl. auch van Fraassen

1980, 153-7). Wie Hempel 1965, 423-5) ausfuhrt, ko nnen metaphysische

Vollstandigkeits- oder Perfektionsanspruche in zwei Hinsichten von

wissenschaftliche Erklarungen nicht erfullt werden. Erstens gibt es keine absolut

vollsta ndigen Erklarungen: keine Erklarung kann alle (potentiell unendlich vielen)

Aspekte eines konkreten Ereignisses erklaren, sondern nur jene, die in der

Explanandumbeschreibung erfa– t werden, und das sind immer nur endlich viele. In

unserem obigen Beispiel erklarten wir z.B., warum diese Vase Strom leitet; wir

ko nnen noch vieles andere an dieser Vase erklaren, z.B. warum sie Omas

Lieblingsvase ist − aber wir ko nnen nicht alle ihrer Eigenschaften erklaren, z.B.

warum diese Vase aus genau diesen 10-hoch-so-und-so-vielen Molekulen besteht.

Zweitens gibt es keine absoluten Letzterkla rungen: jede Erklarung mu– irgend etwas

Unerkla rtes voraussetzen, denn jede noch so lange Aneinanderreihung von

Erklarungen, die nicht in einen unendlichen Regreü ausarten will, mu– einen Anfang

haben, an dem gewisse nicht weiter erklarte Pramissen angenommen werden − in der

Physik etwa das Gravitationsgesetz oder die Tatsache, da– es einen Urknall gab.

Die in den 50ern einsetzende und in vermindertem Ausma– bis heute andauernde

Erklarungsdebatte, die ihren Ansto– am D-N-Modell nahm, teilte sich alsbald in

mehrere Problembereiche auf, die man separieren mu– , um ein heilloses

Problemdurcheinander zu vermeiden. Da– die Erklarungskontroverse zu so vielen

wissenschaftstheoretischen Problemfeldern fuhrte, liegt darin, da– "Erklaren" die

wohl komplexeste wissenschaftliche Erkenntnisleistung ist, dicht verknupft mit

Gesetzeshypothese, Deduktion, Voraussage, Relevanz, Kausalitat und

Vereinheitlichung. In diesem Aufsatz konzentrieren wir uns auf ein spezielles

Problemfeld der Erklarungskontroverse, namlich auf das Begriffspaar Erklaren é

Verstehen und die Frage des natur- vs. geisteswissenschaftlichen Methodenstreits.

Auf andere Teilbereiche kommen wir nur soweit zu sprechen, als diese fur unsere

Fragestellung relevant sind. Dennoch seien die wichtigsten weiteren Problemfelder,

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die aus der Erklarungsdebatte heraus entstanden sind, zum Ende dieses Abschnitts

kurz angefuhrt (vgl. die U bersicht in Stegmuller 1983; Schurz 1983, 1988, und

1995/96):

(1.) Das Problem der Gesetzesartigkeit: Nicht alle wahren Allaussagen

beschreiben naturgesetzliche Zusammenhange; es kann sich auch um akzidentelle

(d.h. zufallig geltende) Allgemeinheiten handeln, wie etwa "alle Lehrer des xy-

Gymnasiums sind glatzko pfig". Eine Reihe von Vorschlagen wurde gemacht

(beginnend mit Hempel/Oppenheim 1948, 266), um gesetzesartige von akzidentellen

Allaussagen abzugrenzen (etwa die Forderung der raumzeitlichen Universalitat oder

jene des Nichtenthaltens von Individuenkonstanten), ohne dabei von metaphysischen

Wesens- oder Notwendigkeitskonzepten Gebrauch zu machen.

(2.) Probleme der Relevanz: Nicht alle deduktionslogisch gultigen

Zusammenhange drucken erklarungsrelevante und nicht einmal voraussagerelevante

Zusammenhange aus; z.B. folgt aus elementaren biologischen Gesetzen, da– kein

Mann, der Antibabypillen nimmt, schwanger wird (vgl. Salmon 1971, 34; Stegmuller

1973, 285), ohne da– die regelma– ige Einnahme von Antibabypillen fur sein Nicht-

Schwanger-Werden von Relevanz ware. Irrelevante Deduktionen durch logische oder

pragmatische Kriterien von relevanten abzugrenzen ist ein weiteres mit Erklarungen

verknupftes Problem (beginnend mit Hempel/Oppenheim 1948, 275; s. Stegmuller

1983, Kap. X, XI.1; Schurz 1983, Kap. 3; speziell Schurz 1991), welches auch beim

induktiv-statistischen Erklarungsbegriff eine wichtige Rolle spielt.

(3.) Die Asymmetrie von Erkla rung und Voraussage: Hempels Symmetriethese

zufolge (1942, 234; ebenso bei Popper 1935, Kap. 3.12) besitzen Erklarungs- und

Voraussageargumente dieselbe logische Struktur; sie unterscheiden sich nur in

pragmatischen Zeitumstanden des Wissenserwerbs. Ist die Konklusion des

Arguments zuerst bekannt und erfahrt man erst hinterher von den Pramissen, so

handelt es sich um eine Erklarung; sind dagegen die Pramissen zuerst bekannt und

erlangt man erst durch Deduktion der Konklusion Wissen uber letztere, so handelt es

sich um ein Voraussageargument. Diese Symmetriethese erwies sich aus mehreren

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Grunden als inkorrekt. Zunachst einmal gibt namlich nicht nur Voraussagen 'in die

Zukunft', etwa die Vorhersage einer Sonnenfinsternis, sondern auch Voraussagen 'in

die Vergangenheit', sogenannte Retrodiktionen, z.B. die 'Voraussage' einer

Hominidenspezies vor 5 Millionen Jahren aufgrund von Fossilienfunden. Nennen

wir, gema– Stegmullers Vorschlag (1983, 910, 976), alle Voraussageargumente im

'epistemischen' Sinn − worin die Pramissen zuerst bekannt sind und die Konklusion

nachtraglich daraus erschlossen wird − Begrundungen. Dann besagt die Hempelsche

Symmetriethese, D-N-Begrundungen und D-N-Erklarungen hatten dieselbe logische

Struktur, was folgende zwei Teilthesen impliziert (vgl. Hempel 1965, 367): (EB1)

jede D-N-Begrundung sei potentiell (bei veranderten Umstanden des

Wissenserwerbs) auch eine D-N-Erklarung, und (EB2) jede D-N-Erklarung sei

potentiell auch eine D-N-Begrundung.

Die Inkorrektheit von Teilthese (EB1) la– t sich gut erlautern, wenn man zwischen

Seinsgrunden (Ursachen) und Glaubensgrunden unterscheidet (vgl. Stegmuller 1983,

205f, 237). Sowohl Erklarungen wie Begrundungen liefern Antworten auf Warum-

Fragen, aber erklarungssuchende Warum-Fragen verlangen nach Seinsgrunden, d.h.

nach Grunden warum das Explanandumereignis tatsa chlich herbeigefuhrt wurde,

wahrend begrundungssuchende Warum-Fragen lediglich nach Glaubensgrunden

verlangen, d.h. nach Grunden, warum es fur uns rational ware, an die Wahrheit der

Konklusion − des 'Justifikandums' − zu glauben (Hempel 1965, 354f). Die

Unterscheidung zwischen Seins- und Glaubensgrunden ist naturlich nicht

dichotomisch; meistens sind Glaubensgrunde auch Seinsgrunde und umgekehrt −

aber eben nicht immer. Wenn ich heute Herrn Corsi sehe (auf den ein Mafia-

Anschlag geplant war), so ist dies ein deduktiv-nomologischer Glaubensgrund fur

mich, zu schlie– en, da– er gestern nicht erschossen wurde; aber naturlich ist es die

Tatsache, da– ich ihn heute sehe, nicht die Ursache dafur, da– er gestern nicht

erschossen wurde − denn Ursachen mussen zeitlich vor ihren Wirkungen liegen,

Kausalitat ist zeitlich vorwartsgerichtet. Es gibt viele weitere Arten von Beispielen,

die zeigen, da– nicht jede D-N-Begrundung Ursachen liefert bzw. als Erklarung in

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Frage kommt (vgl. Hempel 1965, 347ff; Schurz 1983, Kap. VI; 1995/96, Ü 4.1;

Salmon 1984).

Die Inkorrektheit von Teilthese (EB2) macht sich voralledem bei statistischen

Erklarungen bemerkbar. Sie liegt hier daran, da– es schwache kausale Argumente

gibt, die zwar Ursachen anfuhren, aber solche, die das Explanandum nicht

wahrscheinlich genug machen, um auch einen Glaubensgrund liefern zu ko nnen.

Beispielsweise ist unbehandelte Syphilis die einzige Ursache fur progressive

Paralyse; und obwohl sie die Wahrscheinlichkeit von progressiver Paralyse auf das

10fache erho ht, bleibt es dennoch auch nach unbehandelter Syphilis vergleichsweise

unwahrscheinlich, progressive Paralyse zu bekommen (Scriven 1959; Hempel 1965,

369). Fur eine rationale Prognose oder Begrundung ist aber ein

Wahrscheinlichkeitswert von mehr als 50% die minimale Untergrenze (Stegmullers

'Leibniz-Bedingung': 1983, 972)). Insgesamt hat die Frage, wie hoch die

Wahrscheinlichkeit des Explanandums, gegeben das Explanans, sein mu– , um ein

induktiv-statistisches Argument als Erklarung gelten zu lassen, zu einer hartnackigen

Kontroverse gefuhrt: wahrend die einen meinen, die Wahrscheinlichkeit musse

zumindest erho ht werden (z.B. Gardenfors 1980; van Fraassen 1980, 141 - 153), bei

manchen Autoren auf mehr als 50% oder ho her (z.B. der fruhe Hempel 1965, 383;

Tuomela 1981), behaupten andere mit guten Grunden, da– sogar

wahrscheinlichkeitssenkende Argumente erklarend sein ko nnen, sofern sie alle kausal

relevanten Faktoren anfuhren (z.B. Jeffrey 1971; Salmon 1984, 191; der spate

Hempel 1977, 99f).

(4.) Das Problem der Kausalita t erwachst aus obiger Einsicht, da– D-N-Argu-

mente nur dann Erklarungen sein ko nnen, wenn ihr Antecedens Kausalgrunde

anfuhrt. Die Explikationsvorschlage von Kausalbeziehungen und Kausalitat

begrunden ein weites Problemfeld der Wissenschaftstheorie (vgl. Stegmuller 1983,

Kap. VII; Haussmann 1998; Spohn 2001). Als weiteres Kennzeichen, das D-N-

Argumente besitzen mussen, um als gute Erklarungen in Frage zu kommen, wurde

das Kriterium der Vereinheitlichungsfunktion vorgeschlagen: die Pramissen guter

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Erklarungen erklaren eine Vielfalt von Phanomenen und vereinheitlichen dadurch

unser Wissen (vgl. Friedman 1974; Kitcher 1981; Schurz/Lambert 1994; Schurz

1999a). Obwohl in der Erklarungskontroverse Kausalitat versus Vereinheitlichung oft

als konkurrierende Modelle diskutiert werden (Salmon 1998), kann man auch zeigen,

da– sich beide Kriterien wechselseitig stutzen, insofern jene Theorien, die unsere

Kausalvorstellungen anleiten, zugleich jene sind, die unser Wissen am besten

vereinheitlichen (Schurz 1999a, Ü 3).

(5.) Wahrend der Arbeit in diesen Problemfeldern setzte sich bei vielen Autoren

die Einsicht durch, da– man den Erklarungsbegriff besser nicht als rein semantischen

Begriff einer zeitlos 'gultigen' Erklarung, sondern als einen auf ein gegebenes

epistemisches Hintergrundsystem bezogenen und insofern pragmatischen Begriff

expliziert. Diese "pragmatisch-epistemische" Wende wird in Stegmuller (1983, Kap.

XI) und Schurz (1988) dokumentiert.

3. Drays Kritik an Hempels Erkla rungsmodell und die jungere Erkla ren-Verstehen-

Kontroverse

Erinnern wir uns an die beiden Teilthesen (MD1) und (MD2) der

Methodendualisten. Die in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende

geisteswissenschaftliche Kritik am D-N-Modell grundete sich vorwiegend auf

Teilthese (MD1). Es wurden alternative geisteswissenschaftliche Erklarungsmodelle

entworfen, die zeigen sollten, da– geisteswissenschaftliche Erklarungen nicht

nomothetisch, sondern ideographisch-verstehend verfahren, und daher keine covering

laws beno tigen. Das hei– t, die meisten spateren Methodendualisten versuchten,

(MD1) zu begrunden, aber sahen das von ihnen explizierte Verstehen zugleich als

eine spezifisch geisteswissenschaftliche Erklarungsleistung (ohne covering laws) an,

verwarfen also die Teilthese (MD2), welche Erklarungen und Verstehen einander

entgegensetzt. Wir wollen uns in diesem Abschnitt den wichtigsten Argumenten der

jungeren Methodendualisten fur Teilthese (MD1) zuwenden.

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Der prominenteste jungere Kritiker des D-N-Modells ist ein Philosoph der

Geschichtswissenschaften − William Dray. Mit einer Fulle von Beispielen versucht er

zu demonstrieren, da– es in historischen Erklarungen keine ubergeordneten Gesetze

gabe, weil menschliches Handeln keinen determinierten Gesetzen folgt. Beruhmt

wurde sein Beispiel von Ludwig den XIV (1957, 33; Dray bezieht sich dabei auf

Gardiner 1952). Historiker erklaren dessen Unpopularitat damit, da– Ludwig der XIV

sein Land oft in Kriege verwickelte und dem Volk schwere Belastungen aufburdete.

Gema– dem deduktionslogischen Modell mu– ten diese Historiker hierzu folgende

streng allgemeine Gesetzeshypothese annehmen:

(1) Alle Herrscher, die ihr Land in Kriege verwickeln und dem Volk schwere

Belastungen aufburden, werden unpopular.

Jeder Historiker wei– aber, da– ein solches Gesetz nie ausnahmslos gultig sein kann

− selbst dann nicht, wenn man seine Wenn-Bedingung durch weitere Konjunktions-

glieder verstarkt (z. B. "und Minderheiten diskriminieren", etc.). Eine Ausnahme liegt

immerhin nicht weit zuruck: das dritte Reich.

Was Historiker bei solchen Erklarungen dagegen wirklich im Kopf haben, war

Dray zufolge (1957, 31ff) folgende Normalfallhypothese oder normische Hypothese,

wie wir sie im Anschlu– an Scriven (1959) nennen

(2) Herrscher bzw. Regierungen, die die-und-die Bedingungen erfullen, werden

normalerweise (ublicherweise, zumeist) unpopular.

− welche aber Dray, wie noch zu sehen ist, nicht als covering law ansieht.

Als Gegenvorschlag zum deduktionslogischen Modell hatte Dray sein Modell der

rationalen Erkla rung entwickelt, demgema– die Erklarung von historischen Hand-

lungen darauf basiert, diese im Lichte der Ziele und Glaubenseinstellungen ihrer

Akteure als subjektiv-zweckrational zu erweisen − d.h., zweckrational aus der

Page 15: Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und ...

15

Eigensicht der handelnden Subjekte. Wenn jemand am Freitag den 13. sich nicht ins

Auto setzt, weil er glaubt, da– dies ein Ungluckstag ist, so ist seine Handlung

subjektiv-zweckrational, und wir ko nnen seine Handlung aufgrund seines Glaubens

und seines Wunsches, Ungluck zu vermeiden, verstehen, auch wenn er sich in seiner

Annahme irrt, also seine Handlung objektiv nicht zweckrational ist. Nur wenn

jemand irrational oder besser: a-rational handelt, z.B. aufgrund unbewu– ter Motive

oder im Affekt, so ist seine Handlung nicht einmal mehr subjektiv-zweckrational, und

wir ko nnen sie nicht mehr im Drayschen Sinne rational erklaren.

Leider wurde Drays Modell von einheitswissenschaftlichen

Wissenschaftstheoretikern nicht immer adaquat interpretiert. Rationale Erklarungen

haben die Pointe, da– wenn eine rationale Erklarung einer Handlung gelingt, diese

zugleich eine schwache, namlich subjektive Handlungsrechtfertigung liefert − die

Handlung war dann rational, wenn man die Ziele und Glaubenseinstellungen des

Handlenden akzeptiert. Aus diesem Grund diskutierten Hempel (1965, S. 469ff) und

Stegmuller (1969, S. 383) das Draysche Modell der rationalen Erklarung unter der

Annahme, da– dabei generelle Pramissen uber faktische Handlungsdispositionen

ganzlich fehlen, und somit Handlungen nur subjektiv-zweckrational gerechtfertigt,

aber nicht durch Seinsgrunde erklart werden wurden. Dies trug Dray den Vorwurf der

Vermengung von normativen Handlungsbegrundungen mit deskriptiven Handlungs-

erkla rungen ein. (Ich selbst habe in (1988, 253), beeinflu– t von Hempel und

Stegmuller, Dray nicht korrekt rekonstruiert.) Subjektive Rechtfertigungsgrunde

mussen ja nicht immer Seinsgrunde sein − z.B. kann ich meine Handlung, Frau X zu

helfen, dadurch rechtfertigen, da– ich im allgemeinen gerne helfe, obwohl ich mich in

diesem Fall der Dame blo– annahern wollte. In der Tat liegt aber das primare Ziel

auch einer Drayschen rationalen Erklarung darin, zu erklaren, warum die Handlung

tatsa chlich ausgefuhrt wurde, und nicht, warum man sie als rational ansehen kann.

Dray (1957, S. 132, 137) betont, da– auch rationale Erklarungen auf folgendem sehr

allgemeinen Normalfallprinzip beruhen (vgl. auch Gardiner 1952, 124f):

Page 16: Erkla ren und Verstehen: Tradition, Transformation und ...

16

(3) Personen handeln normalerweise (zweck)rational

d.h.: wenn Akteur a Ziel Z hat und glaubt, Handlung H sei ein geeignetes Mittel fur

die Erreichung von Z, dann wird a normalerweise H zu realisieren versuchen.

Drays Prinzip (3) druckt eine faktische Rationalitatsdisposition von Menschen aus,

die normalerweise vorliegt, aber diverse Ausnahmen hat. Damit steht die Intention

des Drayschen Modells als Modell von Erkla rung au– er Zweifel. Dasselbe gilt aber

fur die meisten Verstehenstheoretikern: immer geht es um das Verstehen, warum

jemand tatsa chlich so handelte, was ihn wirklich dazu bewog, und nicht, wie man

dies rechtfertigen ko nnte. M.a.W., die eine Grunderkenntnis der

Erklarungskontroverse, da– es beim Erklaren um Seinsgrunde geht (und nicht um

Glaubens- oder Rechtfertigungsgrunde), gilt ebenso fur das Verstehen − was

wiederum die enge Korrelation beider Begriffe anzeigt. Von Dilthey bis Gadamer ist

klar, da– gerade die Verstehensmethode der je-eigenen Wirklichkeit des zu

Verstehenden ganz besonders nahe kommen will. Wenn sowohl Dilthey wie

Gadamer die Grenzen der 'Horizontverschmelzung' zwischen Interpreten und

Interpretiertem herausarbeiten (Gadamer 1960, z.B. 285-90), dann nur deshalb, weil

sie die Grenzen der Erreichbarkeit des Verstehensziels aufzeigen wollen, aber nicht,

weil sie nicht an dieser Zielsetzung festhalten wurden. Dekonstruktivisten

Derridascher Pragung sehen das freilich anders, sie sprechen vom 'Tod des Autors'

und bringen den Text durch immer neue Interpretationen 'immer neu zum sprechen' −

und genau deshalb spielt Verstehen als Zielsetzung in dieser Philosophie denn auch

keine Rolle mehr.

Zusammenfassend geht es dem Verstehen um die subjektiv-zweckrationalen

Seinsgrunde von (sprachlichen oder nichtsprachlichen) Handlungen in Form von

Intentionen und Glaubensannahmen. Die eigentliche Barriere gegenuber einer

Subsumption unter das D-N-Erklarungsmodell liegt nur darin, da– solche geistigen

bzw. intentionalen Seinsgrunde scheinbar nicht durch strikt-allgemeine Gesetze mit

Handlungen verbunden sind, sondern lediglich durch ausnahmebehaftete

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17

Normalfallprinzipien vom Typ (3). Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte, da–

sich sowohl die Vertreter des einheitswissenschaftlichen Modells wie die

Methodendualisten lange Zeit darin einig waren, da– normischen Hypothesen der

Status echter Gesetzeshypothesen ganzlich abzusprechen sei. Denn normische

Hypothesen seien nicht falsifizierbar. Indem wir die Gegenbeispiele zum

Ausnahmefall erklaren, ko nnen wir Normalfallhypothesen vor mo glicher

Falsifikation jederzeit schutzen. Nichtfalsifizierbare Hypothesen aber hatten keinen

empirischen Gehalt − gema– dem weitverbreiteten Popperschen Abgrenzungs-

kriterium (Dray 1957, 132; Scriven 1959, 466; Popper 1934, Ü 20, Ü 67; Albert 1957,

132ff). Ergo seien normische Hypothesen quasianalytische Aussagen − "Binsenwahr-

heiten", wie Scriven (1959) sagte.

Die Verwerfung normischer Hypothesen als genuine Gesetze, in der sich

analytische Wissenschaftstheoretiker und Methodendualisten lange Zeit einig waren,

zementierte die Barriere des Methodendualismus. Wie wir in Abschn. 6 sehen

werden, ist jedoch genau diese Verwerfung normischer Hypothesen der eigentliche

Fehler, und die Anerkennung normischer Gesetze als genuiner Typ von 'weichen'

Gesetzen ist der Angelpunkt zur U berwindung des Methodendualismus. Zuvor

jedoch wollen wir uns in diesem und dem nachsten Abschnitt noch einige weitere

jungere Argumente fur den Methodendualismus ansehen, sowie Versuche, diesen zu

uberwinden.

Da ist voralledem von Wrights praktischer Syllogismus, der ebenso wie Dray eine

rationale Erklarung einer Handlung ohne covering law versucht, und zwar grob nach

folgenden Schema (von Wright 1974, 93):

(4) Person x beabsichtigt, P herbeizufuhren und glaubt, Q sei ein notwendiges

Mittel hierzu.

Folglich macht sich x daran, Q herbeizufuhren.

In von Wrights praktischem Syllogismus liegt also derselbe Grundgedanke wie in

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18

Drays rationaler Erklarung vor (mit dem Unterschied, da– von Wright die Tatsache,

da– praktische Syllogismen zugleich subjektive Rechtfertigungsgrunde liefern,

weniger stark betont als Dray). Entgegen seiner sonstigen gedanklichen Klarheit ist

von Wrights logische Analyse seines praktischen Syllogismus eigentumlich verquert

(vgl. auch Haussmann 1991, 189-203; Stegmuller 1983, 490; Kim 1971). Zum einen

behauptet von Wright (1974, 90ff), zwischen der Pramisse und der Konklusion eines

praktischen Syllogismus bestunde kein kausaler, sondern ein logisch-begrifflicher

Zusammenhang; man ko nne die Konklusion nicht verifizieren, ohne die Pramissen zu

verifizieren, und umgekehrt. Doch dies ist kaum einzusehen. Weder geho rt es zur

Definition einer Intention bzw. Absicht, da– man auch tatsachlich danach handelt,

noch kann man eine Absicht nur dann feststellen, wenn man abwartet, ob tatsachlich

danach gehandelt wurde. Man kann Absichten auch durch sprachliche A u– erungen

oder nichtsprachliche Hinweise bereits vor der Handlung (oder Nicht-Handlung)

feststellen. Etwas spater raumt von Wright dies auch ein, wenn er sagt, die Pramisse

eines praktischen Syllogismus ziehe nicht notwendig die Konklusion nach sich − es

sei auch mo glich, da– jemand die Pramisse erfullt (d.h. P beabsichtigt und Q fur ein

notwendiges Mittel halt), aber keine Anstalten macht, Q herbeizufuhren, obwohl er

weder gehindert wird noch seine Absicht vergessen hat (vgl. von Wrights

diesbezugliche Verstarkung seines Schemas (4) durch Ausschlu– von Vergessen oder

Handlungsbehinderung; 1974, 192). Von Wright spricht hier von ex post actu

Notwendigkeit (1974, 110) − d.h., erst nachdem entsprechend Absicht und Glaubens-

annahmen gehandelt wurde, lage Notwendigkeit vor. Doch das ist klarerweise

unhaltbar − eine Notwendigkeit, die von kontingenten Tatsachen abhangt, ist eben

keine Notwendigkeit − soda– von Wrights Konstruktion des praktischen Syllogismus,

wie die meisten Rezensenten ubereinstimmen, in sich zusammenbricht.

Im Grunde stellt sich fur von Wright genau dasselbe Problem wie fur Dray:

Absichten und Glaubensannahmen sollen Seinsgrunde fur die Handlung sein, aber

man sieht nicht, wie diese Seinsgrunde in gesetzesma üigen Weise mit den

Handlungen verknupft sein ko nnen, ohne ein Normalfallprinzip vom Typ (3) anzu-

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19

nehmen.

Ein anderes methodendualistisches Argument, voralledem von Apels

Verstehenstheorie (1979) beansprucht, verweist darauf, da– menschliche Handlungen

grundsatzlich (obzwar in unterschiedlichem Ma– e) das Produkt subjektiver

Willensfreiheit sind, und eben deshalb keinen strengen 'naturgesetzlichen'

Determinismen unterliegen ko nnen (vgl. auch Haussmann 1991, 223). Doch erinnern

wir uns, da– gesetzesma– ige Zusammenhange von den Einheitswissenschaftern in

metaphysisch neutraler und bereichsunspezifischer Weise verstanden wurden. Wenn

eine Person aus freien Stucken P (durch Handlung Q) herbeizufuhren trachtet, dann

macht diese Person ihre Absicht (zusammen mit ihren Glaubensannahmen) in frei-

und-selbstbestimmter Weise zur Ursache seines Handelns. M.a.W., im Bereich des

freien Handelns setzten wir unsere Handlungsursachen aufgrund unseres freien

Willens selbst; da– unser Handeln damit einer strengen oder blo– normischen

Regelma– igkeit vom Typ (3) gehorcht, spricht nicht im mindesten dagegen, da –

unsere Handlung frei war (vgl. Acham 1974, 330). Ersichtlicherweise gelangt man

bei diesen U berlegungen nirgendwo zu einem Widerspruch zwischen (strikter)

Kausalitat und Freiheit, sondern bestenfalls zu der Kantischen Unterscheidung

zwischen Kausalitat als Naturnotwendigkeit, und Kausalitat durch Freiheit (1788,

A169ff). Naturlich stellt sich letztlich die Frage des sogenannten Leib-Seele (oder

mind-body Problems), wie namlich geistig-intentionale Phanomene mit physikalisch-

materiellen zusammenhangen. Doch die Analyse des Erklaren-Verstehen-Problems

setzt keine vorgefa– te Einstellung zum Leib-Seele-Problem voraus (wie. Z.B.

Monismus, Dualismus, Supervenienz, oder Reduktionismus), sondern ist davon

unabhangig.

Die Apelsche Auffassung, da– alle covering law Ansatze zur Handlungserklarung

a-rationale Erklarungsversuche waren (wahrend nur 'ideographisches' Verstehen den

Menschen qua Subjekt anerkenne; vgl. Apel 1979, vgl. z.B. Kap. III.1), ist daher

ganzlich inkorrekt. Es ist freilich wahr, da– eine Reduktion des Menschen auf a-

rationale (geistig 'blinde') Gesetzeszusammenhange tief anti-humanistische Zuge

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20

tragt, insofern sie ihn zum manipulierbaren 'Objekt' degradiert und seiner

Subjektivitat beraubt. Umgekehrt enthalt Apels Auffassung (die er mit vielen

antipositivistischen Kritikern der 70er Jahre teilte) einen tief polemischen (und sogar

demogagischen, d.h. 'aufhetzenden') Aspekt: denn Apel stellt damit alle

einheitswissenschaftlichen Erklarungsansatze in eine anti-humanistische Ecke, in der

sie sich tatsachlich nie befunden haben.

Womit die Kritik an dieser Art von Argumentation beschlossen sei. Ohne damit

das Thema, namlich in welchem Ma– menschliche Handlungen tatsachlich eher

rational oder besser a-rational zu erklaren sind, schon erscho pft zu haben. Nicht nur

die Psychoanalyse, auch die moderne Kognitionswissenschaft zeigt auf, da– viele

menschlichen Denk- und Handlungsprozesse zumindest teilweise a-rational zustande

kommen: sie entspringen aus unbewu– ten Ursachen, und erst nachtraglich 'erfindet'

das Bewu– tsein (schein-)rationale Begrundungen (vgl. Piatelli-Palmarini 1977;

Schurz 1999b). Erst Recht sind soziale Phanomene, welche die Geschichte

bestimmen, nur selten das Resultat globaler Intentionen, und Erklarungen, die solche

Annahmen machen, sind meist idealistisch verklarend. Dennoch gibt es ein

traditionelles Prinzip der Hermeneutik, das eine grundsatzliche prima-facie Pra ferenz

von rationaler vor a-rationaler Erklarungen behauptet (auch Prinzip der Billigkeit,

Nachsicht oder charity genannt) und besagt, da– man bei der Interpretation von

(sprachlichen oder nichtsprachlichen) Handlungen prima facie − d.h. in Ermangelung

triftiger Gegengrunde − die Handlung zunachst rational zu erklaren versuchen solle,

und nur wenn dies hartnackig scheitert, sollten a-rationalen Erklarungen zuhilfe

genommen werden (Details zu Geschichte und Aktualitat dieses Prinzips in Scholz

2001). Fur diese hermeneutische Grundregel gibt es, wie Scholz ausfuhrt (2001,

155ff), zwei Typen von Grunden. Erstens den deskriptiven Grund, da– Menschen,

zumindest in normalen Alltagskontexten, de fakto meistens subjektiv-zweckrational

handeln, m.a.W., da– das Prinzip (3) gilt. Wir werden diese Art von Begrundung in

Abschn. 6 evolutionstheoretisch fundieren. Zweitens gibt es auch normative Grunde,

insofern Menschen sozial kooperierende Wesen sind, wofur gegenseitiges Vertrauen

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21

und daher die wechselseitige Unterstellung von (kommunikativer) Rationalitat

Voraussetzung ist. Dies ist nicht so zu interpretieren, da– ohne solche

Voraussetzungen Kommunikation unmo glich oder gar undenkbar ware (so wie bei

Apel oder Habermas), doch es impliziert, da– die Kosten einer falschen Zuschreibung

von A-Rationalitat oder Irrationalitat im Regelfall die Kosten einer falschen

Zuschreibung von Rationalitat uberwiegen.

Fur die Frage nach covering laws spielen diese U berlegungen naturlich keine

Rolle. Hier geht es allein um die Frage, ob sich menschliche Handlungen − ob

rational oder a-rational − durch ubergeordnete Gesetze erfassen lassen. Darauf

reduziert sich nun der Kern der Methodendebatte, dem wir uns jetzt weiter zuwenden.

4. Induktiv-statistische Erkla rungen und andere nicht sehr befriedigende Versuche,

die Kritik zu bereinigen.

Seinsgrunde verweisen immer auf generelle Zusammenhange. Was "A und B" von

"A weil B" unterscheidet, ist, da– unter hinreichend gleichen Umstanden B A wieder

bewirken wurde. Same Causes, same effects: zumindest das ko nnen wir von Humes

beruhmter Kausalanalyse 'mitnehmen'. Auch vermeintlich rein ideographische

Analysen begnugen sich nicht mit einer blo– en Aneinanderreihung von Fakten,

sondern es schmuggeln sich diverse Weils ein. Eben das betont auch Hempel (1942,

236) und fugt hinzu, solche Weils seinen als Erkla rungsskizzen zu verstehen (1942,

238), als 'elliptische' Formulierungen (1965, 415), worin das covering law nicht

ausgesprochen, sondern durch das "weil" nur angedeutet wird. Naturlich ist man sich

heute aus besagten Grunden (s. Ende Abschn. 2) einig, da– Seinsgrunde nicht auf

Humesche Regularitaten reduzierbar sind, doch sie implizieren solche Regularitaten:

wo immer ein "Weil" behauptet wird, wird ein genereller, vom individuellen Fall

ablo sbarer Zusammenhang behauptet. Wer das nicht anerkennt, o ffnet einem

magischen Denken die Tur: wenn ich sage, ich hatte das gestrige Scho nwetter

verursacht, aber leider gelang mir das nur gestern, so sage ich nichts, was irgendwie

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uberprufbar oder anderswie verwertbar ware − obwohl jeder, der dies glaubt, tief

beeindruckt sein durfte.

In der Tat stimmen dieser Minimalthese, da– Weils auf generelle Zusammenhange

verweisen, auch die meisten Verstehenstheoretiker zu (vgl. Scholz 2001). Generelle

Zusammenhange mussen aber durch irgendeine Art von generellen Hypothesen

beschrieben werden. Die Frage ist, wie diese zu formulieren sind. Und da beginnt das

Dilemma der Einheitswissenschafter. Konfrontiert mit Drays Kritik sah man damals

(im wesentlichen) nur zwei Alternativen: die deduktionslogisch-strikte und die

induktiv-statistische Alternative.

Die deduktionslogische Alternative verlangt die Umwandlung von normischen

Zusammenhangen wie z.B. (3) in strikte (empirisch gehaltvolle) Gesetze durch

konjunktive Verstarkung des Wenn-Gliedes (so wie dies z.B. Hans Albert, 1957, 132-

34, forderte). Denn nur aus strikten Gesetzen, d.h. aus Allsa tzen − im Gegensatz zu

normischen oder probabilistischen Hypothesen − la– t sich deduktiv schlie– en. Doch

die Ausnahmen, deren Auftreten man im Gesetzesantecedens verbieten mu– te, damit

aus einer Normalfallhypothese ein ausnahmslos gultiges Gesetz wird, sind im

Regelfall unuberschaubar und durch keine endliche Liste aufzahlbar − eine strikte

Vervollkommnung ist also unmo glich. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, da–

dennoch und gerade im deutschen bzw. europaischen Bereich die Erklaren-

Verstehen-Debatte auf strikte Gesetze und deduktive Erklarungen konzentriert blieb

(der deduktivistische Einflu– von Poppers Philosophie durfte daran nicht unbeteiligt

sein). Hervorragende Verteidiger von Covering Law Erklarungen in den Human- und

Sozialwissenschaften, wie etwa Perrez (1972) oder Haussmann (1991), versuchen

unglucklicherweise dann ihre allgemeinen Argumente fur covering laws

deduktivistisch zu exemplifizieren, mit dem Resultat, da– die von ihnen

vorgeschlagenen strikten Gesetzesbeispiele ihrer Gesamtargumentation enorme

Plausibilitatseinbuüen bescheren. Perrez (1972, 91) gelangt beispielsweise zu

folgender strikter Gesetzeshypothese zu Freuds Erklarung des "Wolfsmann":

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(5) Immer wenn ein Knabe in einem bestimmten Alter durch seine altere Schwester

verfuhrt wird, und er sich zu dieser Zeit in einer sadistischen Phase befindet, so

bewirkt die Verfuhrung, da– der Sadismus in Masochismus umgewandelt wird.

Auch Perrez mu– klar gewesen sein, da– es hoffnungslos ist, auf diese Weise

jemals zu ausnahmslos gultigen Gesetzen zu gelangen; es braucht dem Knaben ja nur

ein Ziegel auf den Kopf zu fallen und sein Gedachtnis auszulo schen; davon

abgesehen ist es sogar fraglich, ob es sich bei (5) wenigstens um einen normischen

Zusammenhang handelt. Haussmann (1991, 285f) versucht seine Argumente fur

covering laws in den Geschichtswissenschaften durch strikte Gesetzesvorschlage wie

etwa folgenden zu demonstrieren:

(6) Wannimmer eine Regierung ihre Herrschaft legitimieren will, wird sie

Handlungen vollziehen, die geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen.

- so als ob alle Regierungen rational handeln wurden! Ebenso offenbar inkorrekt ist

die Ansicht des im allgemeinen scharfsichtigen Haussmann (1991, 207), da – es

denkunmoglich sei, da– jemand die Pramissen eines von Wrightschen praktischen

Syllogismus (4) erfulle und auch frei von Gedachtnisfehlern und au– eren Zwangen

ist, und sich dennoch nicht daran macht, entsprechend zu handeln − man braucht

doch nur geeignete Nervenbahnen im Gehirn zu durchtrennen, um zu verhindern, da–

es zu irgendeiner efferenten Aktivitat kommt. Aus Tausenden von denkbaren

Grunden ist es unmo glich, das Normalfallprinzip der Zeckrationalitat (3) in ein

striktes Gesetz umzuwandeln − aber nicht zuletzt deshalb, weil komplexe

physikalische Systeme eben nicht durchgangig deterministisch funktionieren (vgl.

Horgan und Tienson 1996; Earman 1986).

Die induktiv-statistische Alternative wurde von Hempel bereits in (1942)

angedeutet und in (1962, 1965) beschritten. Sie besteht darin, aus unspezifischen

Normalfallhypothesen numerisch-statistische Gesetze Auf diese Weise gelangt

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24

Hempel (1965, pp. 381ff) zu seinem Modell der induktiv-statistischen (I-S)

Erklarungen, welche grob gesprochen folgende Form besitzen:

(I-S) (Gesetz:) Die Wahrscheinlichkeit von Gx, gegeben Fx, ist r .

(Antecedens:) Fa [r]

(Explanandum:) Ga

Ein Beispiel ware: "Die Wahrscheinlichkeit, da– ein Herrscher unpopular wird, der

sein Land in Kriege verwickelt, ist 84%; Ludwig der XIV verwickelte sein Land in

Kriege; also wird Ludwig der XIV mit bedingtem induktiven

Wahrscheinlichkeitsgrad von 84% unpopular". Generell fordert Hempel, da– (i) der

Wert r hoch sein (wesentlich ho her als 50%), (ii) das Explanans das Explanandum im

Grade r induktiv wahrscheinlich macht (was durch "//r" ausgedruckt wird), und (iii)

eine weitere, gegenuber dem deduktiven Fall prinzipiell neue Bedingung erfullt ist,

die sogenannte Bedingung maximalen Spezifita t des Antecedens. Auf die

philosophisch tiefe Bedeutung dieser Bedingung kommen wir in Abschn. 6 zu

sprechen.

Aber auch das I-S-Erklarungsmodell stand vor schweren Hindernissen. Erstens

sind in typischen Normalfallhypothesen keine numerischen Wahrscheinlichkeitswerte

bekannt; und zweitens ware es praktisch meist wenig sinnvoll, nach solchen zu

suchen. Wie gro– ist die Wahrscheinlichkeit, ausgedruckt in %, da– ein Herrscher,

der sein Land in Kriege verwickelt, unpopular wird? Kein Geschichtswissenschafter

kann auch nur ungefahre Haufigkeiten uber derartige Ereignisse angeben, denn

solche Werte hangen viel zu empfindlich vom historischen Kontext ab, um

verallgemeinerbar zu sein (vgl. Dray 1957, S. 51ff). Oder ein Alltagsbeispiel: wie

gro– ist die Wahrscheinlichkeit, da– das Licht angeht, wenn man den Lichtschalter

druckt? Wieder hangen numerische Werte extrem empfindlich vom Kontext ab −

man mu– te Faktoren wie die Wahrscheinlichkeit von Blitzschlagen,

Kriegsverwustungen, Nachlassigkeit oder Abnormalitat von Hausbewohnern in

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diesem Viertel, etc., berucksichtigen, um zu reproduzierbaren Samples zu gelangen.

Dasselbe gilt fur das psychologische Rationalitatsprinzip (3). Es lie– e sich

einwenden, da– man doch zumindest eine plausible untere Grenze fur die exakte

Wahrscheinlichkeiten angeben ko nne − die bereits erwahnte Leibniz-Bedingung,

derzufolge die Wahrscheinlichkeit des Normalfalles gegenuber der Ausnahme

zumindest gro – er als 50% sein mu– (Stegmuller 1983, S. 972; Tuomela 1981, S.

276). Doch diese Bedingung ist zu uninformativ, um nutzlich zu sein. In praktischen

Anwendungskontexten sind die normischen Gesetzen zukommenden bedingten

Wahrscheinlichkeiten − man denke an Ausfallsquoten technischer Gerate oder die

Funktionsfahigkeit biologischer Organismen − signifikant ho her, nahe bei 1, und

mussen dies auch sein, um praktischen Erfolg zu gewahrleisten. Nur − wie hoch sie

jeweils sind bzw. vom Kosten-Nutzen-Standpunkt her sein sollen, ist

bereichsspezifisch ganz verschieden. Daher ist die Festlegung von gerade noch

akzeptablen unteren Wahrscheinlichkeitsgrenzen dem jeweiligen Anwen-

dungskontext zu uberlassen (vgl. Schurz 1997).

Abschlie– end sei noch eine historische Komplikation erwahnt. Obwohl Hempel

vorschlug, normische Hypothesen statistisch zu rekonstruieren, hat er von Wrights

praktischen Syllogismus in einer wenig plausiblen strikt-deduktivistischen Weise

rekonstruiert, und zwar wie folgt (1965, 470f):

(7) 'Gesetz': Alle Personen, die zweckrational sind und sich in Situation S befinden

(dazu zahlen die Absicht P; die Glaubensannahme, Q sei notwendig fur P; und die

Abwesenheit von Gedachtnisfehlern und Zwangen), machen sich daran, Q

herbeizufuhren.

'Antecedens': Person a ist zweckrational, und Person a befindet sich in Situation S.

Explanandum: Also macht sich Person a daran, Q herbeizufuhren.

Hempels Rekonstruktion wurde von Stegmuller ((1983, 49ff) und Haussmann (1991,

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75ff) kritiklos ubernommen − doch sie erweckt nur den Anschein, strikt-deduktivis-

tisch zu sein. In Wahrheit ist "Zweckrationalitat" gerade so definiert, da– in einer

Situation S Q herbeigefuhrt (bzw. dies versucht) wird. Dieses 'strikte' Gesetz ist

mithin analytisch wahr und keine empirisch gehaltvolle Gesetzeshypothese.

Stattdessen steckt im linken Antecedenskonjunkt, die Person a sei zweckrational, die

eigentliche empirische Gesetzeshypothese, die nicht strikt, sondern nur normisch gilt,

denn diese Behauptung ist eine Dispositionsaussage uber Person a, welche beinhaltet,

da– Person a (uber die variable Zeit betrachtet) sich normalerweise zweckrational

verhalt, d.h. in einer Situation vom Typ S Handlung H normalerweise ausfuhren

wird. Diese normische Rationalitatshypothese spricht zwar nur uber Person a, doch

zu ihrer Rechtfertigung beno tigen wir (im Regelfall) unsere allgemeine normische

Hypothese (3). Erst spater haben Tuomela (1978, 50f) und Niiniluoto (1978, 225f)

den praktischen Syllogismus in der hier vertretenen Weise rekonstruiert, worin das

normische oder statistische Prinzip (3) als covering law zu den Pramissen des

praktischen Syllogismus (4) hinzutritt.

Als weitere Komplikation sei knapp erwahnt, da– menschliche Absichten

inkoha rent sein ko nnen. Eine Person x kann die Absicht P haben und Q als

notwendiges Mittel fur P ansehen, aber zugleich wissen, da– Q einer anderen Absicht

P* von ihr zuwiderlauft, welche die Absicht P aufwiegt − soda– es dann fur x nicht

zweckrational ware, Q herbeizufuhren. Darauf basiert auch die Kritik von Kim

(1973) am von Wrightschen Syllogismus (vgl. Haussmann 1991, 209). Um dies in

das normische Prinzip (3) und den damit angereicherten praktischen Syllogismus (4)

einzubauen, kann man beispielsweise zwischen prima facie Absichten und

ultimativen (oder Total-) Absichten unterscheiden (m.a.W., das Absichtssystem einer

Person ist nichtmonoton im Sinne von Abschn. 6 strukturiert). Unsere Person wurde

in diesem Fall P nur prima facie, aber nicht ultimativ beabsichtigen, und das

normische Prinzip (3) gilt nur mehr fur ultimative, jedoch nicht fur prima facie

Absichten. Um (3) auch fur prima facie Absichten anzuwenden, mu– te man das

Resultat der Herbeifuhrung von Q fur alle Absichten und mo gliche Umstande

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aggregieren oder 'aufsummieren' (wobei. es hierfur bekanntlich verschiedene

entscheidungstheoretische 'Rationalitatsmodelle' gibt; vgl. Hempel 1965, 463ff;

Stegmuller 1983, 439ff).

Eine dritte, in jungerer Zeit intensiver diskutierte Alternative ist die Verwendung

von sogenannten indefiniten ceteris paribus Gesetzen (Fodor 1991; Horgan/Tienson

1996, Kap. 7; Gadenne 1984) worunter − angewandt auf Beispiel (3) − Hypothesen

folgender Form zu verstehen sind

(8) Sofern weitere Storfaktoren abwesend sind, handeln Menschen zweckrational (im

Sinne von 3).

Hier wird im Bereich des Allquantors uber beliebige unbekannte Sto rfaktoren

quantifiziert. Auch dieser Vorschlag ist unbefriedigend − denn Hypothesen, worin

man unbekannte Sto rfaktoren im Antecedens ausschlie– t, sind empirisch gehaltleer,

wie man im Detail nachweisen kann (Schurz 2001a). Die Sache verhalt sich hier

ahnlich wie mit dem singularen "weil": man kann jedes "post hoc" (jedes "und") in

ein "ceteris paribus propter hoc" (in ein "ceteris paribus weil") verwandeln, ohne

damit etwas U berprufbares auszusagen. Zusammenfassend ko nnen wir den Stand der

Debatte nun so zusammenfassen: eine Vielzahl von Argumenten zeigt, da– auch

geisteswissenschaftliche Erklarungen 'schwache' normisch-generelle Hypothesen

verwenden, doch man ratselt man daruber, ob und wie man diese als gehaltvolle und

praktikable Gesetzeshypothesen rekonstruieren kann. Bevor nun in Abschn. 6 ein

dahingehender Vorschlag gemacht werden soll, werden wir im nachsten Abschnitt

die zweite Teilthese des Methodendualismus (MD2) widerlegen, derzufolge Erklaren

und Verstehen disjunkt-entgegengesetzte Verfahrensweisen sind.

5. Erkla ren und Verstehen als korreliertes Begriffspaar, oder warum der (vermeint-

liche) Gegensatz nicht zwischen Erkla ren und Verstehen, sondern (wenn uberhaupt)

zwischen natur- und geisteswissenschaftlichem Erkla ren/Verstehen liegt

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Um zu erkennen, da– Erklaren und Verstehen durchga ngig korrelierte Begriffspaare

sind, soda– jeder Erklarungsart eine Verstehensart entspricht, mu– man bereit sein,

den Bedeutungsspielraum beider Begriffe gleich weit aufzufassen. Haussmann (1991,

141-4) wird dieser Forderung nicht ganz gerecht, wenn er beim Handlungsverstehen

drei Arten des Verstehens unterscheidet − verstehen (i) was man macht, (ii) wie man

es macht, und (iii) warum man etwas macht − dann aber meint, nur (iii) entspreche

einem Erklaren. Haussmann schrankt dabei Erklaren auf "Warum-Erklaren" ein; doch

naturlich gibt es auch Was- und Wie-Erklarungen. Genauer kann man folgende

Unterscheidungen und Zuordnungen vornehmen (fur das folgende vgl. Schurz 1988,

Kap. I.1 é I.4). Erstens einmal gilt folgende generelle Korrelation:

(9) Etwas verstehen = es erklaren ko nnen

In Schurz/Lambert (1994, 109) haben wir das so ausgedruckt: Erkla rungen sind ein

Mittel des Verstehens.2 D.h., jedes Verstehen (vom Typ i) wird durch ein Erklaren

(vom selben Typ i) bewirkt, und jedes Erklaren bewirkt ein (typengleiches)

Verstehen (vgl. auch Schurz 1988, 257). Zweitens lassen sich folgende Haupttypen

des Erklarens und Verstehens unterscheiden:

(1.) Bedeutungs-Erkla ren/Verstehen: Ich verstehe die Bedeutung einer sprachlichen

oder nichtsprachlichen A u– erung bzw. eines Textes, wenn ich erklaren kann, was

damit gemeint ist. Hier handelt es sich um Was-Erkla rungen.

(2.) Wie-Erkla ren/Verstehen: Ich verstehe, wie jemand eine Handlung bewerkstelligt,

oder wie ein Proze– ablauft, indem ich im ersten Fall die Handlungsweise und im

zweiten Fall den Kausalmechanismus erklaren kann, der zum Ergebnis fuhrt.

(3.) Warum-Erkla ren/Verstehen: Ich verstehe, warum jemand so-und-so gehandelt 2 Vgl. ebenso Scriven 1959; Hempel 1977, 100; Friedman 1974, 6; Kitcher 1981, 508; Essler

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hat, oder warum ein Ereignis eingetreten ist, indem ich die Handlung bzw. das

Ereignis auf die zugrundeliegenden Seinsgrunde zuruckfuhren kann, welche im

ersten Fall Motive und Glaubensannahmen und im zweiten Fall physikalische

Ursachen sind.

(4.) Zweck-Erkla ren/Verstehen (bzw. Wozu-Erklaren/Verstehen): Ich verstehe, wozu

ein (quasi-)teleologischen System eine bestimmte Eigenschaft/Funktion besitzt, wenn

ich ihren Zweck fur die Identitatserhaltung dieses Systems erklaren kann.

(5.) Normatives-Erkla ren/Verstehen: Ich verstehe eine Handlung im normativen

Rechtfertigungssinn, wenn ich erklaren kann, warum sie rational gerechtfertigt war.

Wie Haussmann zurecht bemerkt, geht es in allen Fallen des Erklarens bzw.

Verstehens um ein Erfassen bzw. Begreifen (1991, 146). Auch spielen bei allen

Typen des Erklarens/Verstehens ubergeordnete Hypothesen eine Rolle, welche beim

Wie-, Warum- und Wozu-Erklaren/Verstehen in empirischen Gesetzeshypothesen,

beim Bedeutungsverstehen in semantischen oder pragmatischen Bedeutungshypo-

thesen und beim normativen Erklaren/Verstehen in normativen Prinzipien bestehen.

Ein weitere Unterscheidung, die in korrelierter Weise fur Verstehen und Erklaren

gemacht werden kann, ist die zwischen dem statischen Erklarungsbegriff, der uber

einen stationaren epistemischen Zustand eines Subjekts aussagt, da– in ihm etwas

verstanden wird bzw. erklart werden kann, und dem dynamischen Erklarungsbegriff,

der eine epistemische Zustandsveranderung eines Subjekts beschreibt, worin eine

neue Erklarung gefunden wird und damit etwas neues verstanden wird (Schurz 1988,

243f). Die Vernachlassigung dieser Unterscheidung fuhrt ebenfalls leicht zu begriff-

lichen Konfusionen: es mu– klar sein, ob mit Erklaren das Haben einer Erklarung (im

Sinne eines Argumentes) oder das Finden einer Erklarung im Sinne eines

hypothesengenerierenden, sogenannten abduktiven Prozesses gemeint ist. Wenn

einige Autoren Erklaren bzw. Verstehen mit abduktiver Hypothesengenerierung

identifizieren (z.B. Shanahan 1989), so haben sie offenbar den dynamischen

1975; Achinstein 1983, 16.

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30

Erklarungsbegriff im Auge.

In beiden Fallen bleibt die Symmetrie von Erklaren und Verstehen erhalten −

statisch: wer verstanden hat, verfugt uber eine Erklarung − und dynamisch: wer

Verstehen erreicht, hat Erklarungen generiert. Fuhrt man sich diese durchgangige

Symmetrie von Verstehen und Erklaren hinreichend lange zu Gemute, so wird man

die Teilthese (MD2) des Methodendualismus uber kurz oder lang verwerfen, und es

erscheint nachtraglich sogar eigenartig, wie es zu dieser 'Lageraufteilung' von

Verstehen als Handlungserfassung und Erklaren als physikalischer Ereigniserfassung

uberhaupt kommen konnte. Als Grund ko nnte man vermuten, da– das einfuhlende

Verstehen zwischen Menschen eben tatsachlich eine Sonderform des Verstehens ist,

in der uns aufgrund der inneren Verwandtschaft von all uns Menschen das Erfassen

oft scheinbar ganz spontan, ohne irgendeine bewuüte Hypothesenbildung gelingt −

was naturlich nicht hei– t, da– nicht auch beim spontanen Verstehen Hypothesen im

Spiel sind, sondern nur, da– wir uns dieser hier nicht bewu– t werden. Wenn ich mich

beispielsweise in Peters Verhaltnis zu Hans einfuhle und dabei fuhle, da– Peter ganz

scho n eifersuchtig auf den erfolgreicheren Hans sein durfte, dann kann ich seine

Abneigung gegenuber Hans verstehen − und ich habe unbewu– t die fallible

Hypothese gebildet, da– Peter auf Hans eifersuchtig ist, wenngleich ich diese weder

formuliert und noch gar nicht einmal in mir bemerkt habe. Sobald ich mir solche

unbewu– ten Hypothesen (oft 'Vorurteile') bewu– t mache, merke ich, da– auch noch

in der Intimitat des einfuhlenden Verstehens ein hypothesenbasiertes Erklaren am

Werk ist.

Nachdem wir die methodendualistische Teilthese (MD2) verworfen haben, wen-

den wir uns der abschlie– enden Auflo sung von Teilthese (MD1) zu.

6. Normische Gesetze und Erkla rungen als ubergreifendes Paradigma fur die

Wissenschaften des 'Lebenden', oder ein Versuch der Auflosung des Gegensatzes

Im Alltagsdenken sowie in allen wissenschaftlichen Disziplinen, von der Biologie

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aufwarts bis zu den Geisteswissenschaften, haben wir es uberwiegend mit

normischen Gesetzeshypothesen zu tun: normalerweise ko nnen Vo gel fliegen,

handeln Menschen zweckrational, versuchen Regierungen die Wirtschaft ihres

Landes intakt zu handeln, funktionieren Lichtschalter, usw. − uberall gibt es

Ausnahmen. Was ist der Grund fur diese Omnipra senz normischer Gesetze − sind sie

lediglich das Resultat einer subjektiven Zurechtinterpretation, Verscho nerung einer in

Wahrheit viel komplexeren Wirklichkeit, oder entspricht ihnen ein Realgrund, der

normische Gesetze als genuinen Typ von nomologischen Gesetzesbeziehungen

auszeichnet? In Schurz (2001b, 2002c) habe ich eine objektive, namlich evolutions-

theoretische Fundierung normischer Gesetze entwickelt, welche diese als genuinen

Typ von nomologischen Hypothesen fur alle Wissenschaften lebender Systeme und

ihrer Produkte auszeichnet, und damit ein ubergreifendes Paradigma fur diese

Disziplinen liefern ko nnte. Im folgenden seien die Grundideen dieses Ansatzes knapp

umrissen. Meine erste These lautet: normische Gesetze beschreiben das

pha nomenologische Verhalten selbstregulativer Systeme, welche durch ihre Regula-

tionsmechanismen dafur sorgen, da– gewisse letztlich uberlebenswichtige Sollzustan-

de normalerweise eingehalten werden. Meine zweite These lautet: selbstregulative

Systeme und die sie beschreibenden normischen Gesetze sind das Resultat des

Wirkens der Evolutionsgeschichte. Die Regulationsmechanismen evolutiver Systeme

haben sich im Verlaufe einer langen Evolutionsgeschichte entsprechend ihres

Beitrags zum Reproduktionserfolg des jeweiligen Systemtyps nach und nach heraus-

gebildet. Sie verdanken ihre Leistungskraft dem nachhaltige Wirken von naturlicher

oder kultureller Selektion. Naturlich ist ihre Kompensationskraft begrenzt, weshalb

jedes normische Systemverhalten seine Ausnahmen hat. Und doch ist es dem Wirken

des evolutiven Selektionsdrucks zu verdanken, da– die idealtypischen

Normalzustande von selbstregulativen Systemen auch im statistischen Sinn nor-

malerweise eingehalten werden − denn wurden sie diese nicht einhalten, so wurden

diese Systeme bald aussterben. Vo gel ko nnen normalerweise fliegen, denn das ist fur

sie uberlebenswichtig. Aus analogen Grunden handeln Menschen normalerweise

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zweckrational. Und Regierungen versuchen normalerweise, die Wirtschaft ihres

Landes intakt zu halten − jene, die das nicht tun, werden in Demokratien bald

abgewahlt oder in Diktaturen gesturzt und ko nnen so nicht die statistische Oberhand

gewinnen. Auch Lichtschalter ko nnten am Markt nicht uberleben, wenn sie nicht im

Regelfall funktionieren wurden.

Die evolutionstheoretische Fundierung normischer Gesetze erklart also nicht nur

deren Omniprasenz im Alltag sowie in allen 'ho heren' Wissenschaften des Lebenden,

sie erklart zugleich, warum normische Zusammenhange auch numerisch-unspezi-

fische statistische Majorita tsbeziehungen implizieren und dadurch empirischen

Gehalt besitzen. Ich sage damit nicht, da– normische Gesetze auf statistische Hypo-

thesen reduzierbar sind, denn naturlich gibt es viele akzidentelle statistische

Zusammenhange, die keine evolutionstheoretischen Anpassungsresultate sind, und

die nicht durch evolutionar entstandene Regulationsmechanismen standig stabilisiert

werden. Doch normische Gesetze implizieren statistische Majoritatsbehauptungen,

und deshalb trifft auf sie der Vorwurf der Immunisierung vor empirischen

U berprufungen nicht zu: wenn die Anzahl der Ausnahmen im Verhaltnis zu den

Normalfallen immer gro – er wird, sind wir gezwungen, ein normisches Gesetz

empirisch zu verwerfen.

Platzgrunde untersagen es, diese kurze Skizze zu einer hinreichend uberzeugenden

Begrundung meines Ansatzes auszubauen (s. Schurz 2002c); stattdessen mo chte ich

abschlie– end einen wichtigen Unterschied des Schlie– ens aus normischen Gesetzen

im Vergleich zu strikten Gesetzen hervorheben: die Nichtmonotonie normischen

Schlie– ens (fur das folgende vgl. Schurz 2001b). Diese Nichtmonotonie, welche nor-

mische Schlusse mit induktiv-statistischen Schlussen gemeinsam haben,

unterscheidet sie grundsatzlich von deduktiven Schlussen. Die Monotonie

deduktionslogischer Schlusse ist folgende Eigenschaft: ist ein deduktiver Schlu–

gultig, so bleibt er auch gultig, wenn ich beliebige neue Pramissen hinzufuge. Das

hei– t, wenn ich mir der Wahrheit der Pramissen einmal sicher bin, dann kann ich

getrost von der Wahrheit der Konklusion ausgehen und brauche mich nicht darum zu

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kummern, was ich sonst noch uber den Einzelfall wei– , uber den die Konklusion

spricht. Dies ist bei Schlussen aus normischen Gesetzen ganz anders. Ein Beispiel:

solange wir uber dieses Tier nichts anderes wissen, als da– es ein Vogel ist, nehmen

wir per default an, da– es sich um einen normalen Vogel handelt, und schlie– en, da–

er fliegen kann. Dies ist ein wesentliches Prinzip der sogenannten nichtmonotonen

Logik, die deshalb auch default logic genannt wurde: in Ermangelung gegenteiligen

Wissens nehmen wir immer den Normalfall an. Sobald wir aber gegenteilige Evidenz

erwerben, beispielsweise da– dieser Vogel einen gebrochenen Flugel hat", wird die

Normalfallhypothese "Vo gel ko nnen normalerweise fliegen" durch das spezifischere

normische Ausnahmegesetz "Vo gel mit gebrochenen Flugel ko nnen normalerweise

nicht fliegen" blockiert: wir durfen unseren ursprunglichen Schlu– nicht mehr ziehen,

sondern mussen das Ausnahmegesetz anwenden. Genau das ist Nichtmonotonie.

Erlautern wir nun dasselbe anhand der Handlungserklarung von Personen am

Beispiel der Wiederkandidaturfrage eines Politikers. Im ersten Fall nehmen wir einen

Politiker a an, der aufgrund fortschreitender Alzheimererkrankung nicht mehr zum

Prasidentenamt kandidieren kann. Hier besitzen wir ein (zumindest nahezu) striktes

Gesetz: fortschreitende Alzheimerkrankheit fuhrt ausnahmslos zu ein Politikeramt

verunmo glichendem Gedachtnisverlust. Im zweiten Fall nehmen wir einen Politiker b

an, der aufgrund fortwahrender Herzbeschwerden voraussichtlich nicht mehr zum

Prasidentenamt kandidieren wird. Hier verfugen wir nur uber ein normisches Gesetz:

normalerweise zwingen fortwahrende Herzbeschwerden einen Politiker zum

Niederlegen seines Amtes. Im strikten Fall brauche ich, au– er da– a Alzheimer hat,

nichts uber a zu wissen, um die Konklusion zu erschlie– en. Neu hinzukommendes

Wissen ist hier nur dann relevant, wenn es unsere bestatigende Evidenz fur a's

Alzheimerkrankheit betrifft − seine politischen Absichten, Familienverhaltnisse,

Psyche etc., sind ohne Belang. Solange ich nur sicher bin, da– a Alzheimer hat, kann

ich die Prognose vom Rest des Wissens, den 'Teil' vom 'Ganzen' abspalten.

Ganz anders im zweiten Fall. Die Adaquatheit einer Erklarung ist hier abhangig

vom gesamten Hintergrundwissen uber Politiker b: jedes neue Wissen uber b kann

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den bisherigen Schlu– zunichte machen, ohne die Wahrheit von b's Herzbeschwerden

zu betreffen. Wenn wir z.B. erfahren, da– b bereits bei der letzten Kandidatur ebenso

starke Herzbeschwerden hatte und dennoch kandidierte, so werden wir bezweifeln,

da– seine Herzbeschwerden ein ausreichendes Motiv fur seine Nichtkandidatur

abgeben. Erfahren wir weiters, da– b die Landespolitik langst ano det und er sich

weltpolitische Verdienst erwerben mo chte, werden wir erneut ein Motiv fur b's

Nichtkandidatur erblicken, welches aber wiederum entkraftet wird, wenn wir

erfahren, da– b dieses Motiv nur vorspielt, und b in Wirklichkeit vor einer ihn

zerruttenden Ehe steht, weil die Politik ihm jede Zeit fur die Familie nimmt, usw.

Jedes neue Fakt uber b kann mo glicherweise relevant werden: um b's Nichtkandidatur

begrundet vorauszusagen, d.h. um zu wissen welche normischen Gesetze auf b

angewandt werden durfen und welche nicht, mu– ich mo glichst alles Relevante uber

b wissen. Genau dies besagt auch Hempels Bedingung der maximalen Bestimmtheit

bei I-S- Erklarungen (Abschn. 4): das Antecedens mu– die gesamte relevante

verfugbare Information uber den Einzelfall enthalten.3 Ich mu– , wie man auch sagen

kann, b's Situation wirklich verstehen. Genau das ist im strikt-deduktiven Fall nicht

so: ich mu– den armen a nicht wirklich verstehen, seine Absichten, seine Psyche,

usw., um sein Nichtkandidieren aufgrund Alzheimer voraussagen oder erklaren zu

ko nnen.

Die Nichtmonotonie normischen Schlie– en und die sich daraus ergebene

maximale Bestimmtheitsforderung erlauben es, einen prazisen rationalen Kern der

traditionellen Verstehenstheorien herauszuarbeiten: in den Geschichts- und

Humanwissenschaften geht es deshalb vorwiegend um den individuellen, besonderen

Fall, weil hier normische Erklarungen vorliegen, die nichtmonoton sind. Um zu

3 Bemerkenswerterweise wurden die tiefliegenden Konsequenzen der maximalen

Bestimmtheitsforderung von Erklarens-Verstehens-Analytikern kaum wahrgenommen. So betont Haussmann (1991) auf S. 92, da– fur eine perfekt rationale Handlungserklarung vollstandige Information uber das U berzeugungs- und Zielgefuge einer Person notwendig ware, ohne einen Zusammenhang zur maximalen Bestimmtheitsforderung herzustellen, die er auf S. 26 kommentarlos anfuhrt, und aus der dies bereits folgt.

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wissen, was wir fur den Einzelfall mithilfe unserer normischen Gesetze erschlie– en

durfen, mussen wir unser gesamtes Wissen um diesen Einzelfall berucksichtigen.

Eben dies ist bei strikt-deduktiven Erklarungen, wie wir sie vornehmlich aus der

Physik und Chemie kennen, nicht der Fall. So ko nnen wir der Besonderheit des

Einzelfallverstehens in allen Wissenschaften des 'Lebendigen' Rechnung tragen, ohne

die Grundannahmen des einheitswissenschaftlichen Programms der analytischen

Wissenschaftstheorie preiszugeben. Sowohl im physikalischen wie im human- und

sozialwissenschaftlichen Bereich gibt es empirisch uberprufbare Gesetzeshypothesen;

soweit ein Methoden'monismus'. Doch wahrend wir im ersteren Bereich vornehmlich

strikte Gesetze und monotone Schusse vorfinden, finden wir im letzteren Bereich

vorwiegend normischer Gesetze und nichtmonotone Schlusse vor; soweit ein

Methoden'dualismus'. Mit dieser Verso hnung des Gegensatzes sei dieses Kapitel

beschlossen.

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