Claus Stortebecker - Georg Engel

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  • The Project Gutenberg EBook of Claus Strtebecker, by GeorgEngel

    This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost andwithalmost no restrictions whatsoever. You may copy it, give itaway orre-use it under the terms of the Project Gutenberg Licenseincludedwith this eBook or online at www.gutenberg.org

    Title: Claus Strtebecker

    Author: Georg Engel

    Release Date: November 17, 2012 [EBook #41382]

    Language: German

    *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CLAUS STRTEBECKER***

    Produced by Norbert H. Langkau, Heike Leichsenring and theOnline Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

    Anmerkungen zur Transkription

    Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr rmischeZahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben) sowieeinzelne Wrter und Wendungen aus fremden Sprachen (hier kursiv gesetzt).

    Offensichtliche Interpunktionsfehler wurden berichtigt. Inkonsistente und veraltete

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  • Schreibweisen (z.B. Witib/Wittib, gendiglich) wurden beibehalten, sofern nichtersichtlich Satzfehler vorlagen.

    Die brigen Korrekturen sind durch eine gepunktete Linie unter dem korrigiertenWort markiert und erscheinen, wenn Sie den Mauszeiger auf das Wort richten.

    Neben den normalen Gedankenwechseln innerhalb eines Kapitels (die alsdurchgehende horizontale Linie wiedergegeben sind), gibt es auch einenGedankenwechsel, der im Original aus einem weiten Abstand zwischen zweiAbstzen besteht und im Folgenden als gestrichelte Linie dargestellt ist.

    Georg Engel

    Claus StrtebeckerRoman in zwei Bnden

    Dreizehnte Auflage

    Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart / Berlin / Leipzig

    Alle Rechte, insbesondere das der bersetzung, vorbehalten

    Copyright 1920 by Grethlein & Co. G.m.b.H. in Leipzig / Buchschmuck nachEntwrfen von Herbert Hauschild in Leipzig / Druck der Union Deutsche

    Verlagsgesellschaft in Stuttgart

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  • Inhalt

    Erster BandDas erste BuchI.II.III.IV.V.VI.VII.Das zweite BuchI.II.III.IV.Zweiter BandDas dritte BuchI.II.III.IV.Das vierte BuchI.II.III.IV.V.

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  • Claus Strtebecker

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  • Erster Band

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  • Das erste Buch

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  • Sinnspruch

    Geschichten und Geschichtewachsen und wechseln

    im Entstehen

    Fontane

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  • I.

    ommerabend. ber die Buchenwipfel droben auf den Dnenhhen fhrt einRauschen. In langer Kette wlzt sich das bewegliche Gold der Sonne durch dieaufgescheuchten Zweige. Und zwischen den grauen Stmmen steht bla und aufrechtdas Schweigen und starrt mit seinen unbeweglichen Zgen auf die tanzende See.

    Das Meer aber spricht, seine Augen sind bald tiefblau, bald purpurn, und wildblitzen sie, wenn das Element herberruft zu den Kreidefelsen, die sich dicht unterdie Wlder schmiegen wie ein weies Knie unter ein grnes Gewand.

    Was das Meer ruft, das versteht niemand. Denn nur selten horcht ein menschlichesOhr in den Wind, obwohl es manchmal von dort klingt, als donnere von draueneine Forderung herber oder ein vergessener Schrei aus fernen Zeiten. Doch zudeuten vermag man die Sprache des Wassers nicht. Und dann liegt der ungeheureSpiegel wieder still. Das Abbild des einzelnen strahlt er niemals wieder, so tief mansich auch beugt, aber die Bewegungen des Himmels malt er ab, der goldne und dersilberne Wagen rollen ber seine Scheibe, die Zeiten huschen ber ihn hinweg undein Kranz von Vlkern fat ihn ein.

    Sommerabend.

    Und in der Rste des Tages, gerade als der purpurne Ball sich im Wasser khlt,da steigt eine andchtige Stunde herauf. Da stockt der Tanz der Zeiten ber demMeer, der Zug der Vlker wallt deutlicher, und die Vergangenheit schickt vomRande des Horizontes ihr Schattenschiff an die Gestade der Lebendigen.

    Ich stehe am Ufer und sehe die Scharen aus dem Fahrzeug an mir vorberquillen.

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  • Sie tragen meine Zge, sie reden meine Sprache, es sind Menschen, die nicht totsind, denn der Mensch stirbt nicht auf Erden, weil sein Geschick dauert. Unvermutetbin ich selbst in den Segler der Schatten gestiegen, und ich fhle, wie ich zurckgleitein den Nebel der Jahrhunderte. Oder vorwrts?

    Von den Ksten der Vergangenheit zu den Gestaden der Gegenwart schwimmtdas Schiff unaufhrlich hin und wieder. Es trgt, was lebend ist von den Toten, undtrgt das Tote fort zu den Gewesenen. Und dann gelangt es an einen Strich, wo mandie Stimmen von beiden Ksten unterscheidet, wo sie sich mischen und ergnzen.

    Horcht! Lat uns lauschen!

    Dort, wo jetzt Sanitz seine terrassenfrmig ansteigenden, weien Villen ber derWestbucht von Rgen erhebt, da trumte zum Ausgang des vierzehnten Jahrhundertstiefe Ruhe in den waldgekrnten Schluchten. Eine Ansiedlung gab es noch nicht, undder Kstenstrich fhrte nach der Ansicht grblerischer Cisterziensermnche aus demnahen Kloster nur deshalb seinen Namen, weil Graf Harro von Cona ein paar seinerSassen, die man auch Leibeigne nennen konnte, dort in eine elende Bretterhttebehaust hatte, damit sie ihm von nun an fleiig den seltenen Seelachs fingen. EinenLohn erhielten die unfreien Fischer dafr nicht, sie durften sich den Zehnten ihresFangs behalten, das brige aber muten sie mit einem Strandvogt abrechnen, der mitZahlen und Peitsche wohl umzugehen wute. Eine besondere Vergnstigung bestanddarin, da es den Sassen vergnnt war, auch am Sonntag zu fischen. Allein die Beutewar des Klosters, denn Graf Harro galt als ein frommer Mann und legte Wert darauf,seinen Lachs hufig in Gesellschaft des Abtes zu verspeisen. Wenn dann dergeistliche Herr hie und da an den Hof des Herzogs von Wolgast ritt, dann lie derGottesmann wohl auch unauffllig etwas von den Wnschen des Conaer Grafenfallen, und so bezahlte sich der Lachs, und die armen Fischer arbeiteten heimlich undohne da sie es ahnten, an der Gre ihres Herrn mit. Freilich, sonder Bewutsein.Denn in der gebrechlichen Htte lebte man dahin ohne Kenntnis von den Dingen derWelt. Man stand auf, fuhr aufs Meer und warf sich abends auf die Schilfstreu, gleicheinem Werkzeug, das nach dem Gebrauch wieder in die Ecke gestellt wird. Dasgleichmige Schweigen aber, das sich die Bewohner der Htte einander vererbten,es schrieb sich dennoch her von einem Ereignis, vor dem die Sassen eben auf Zeitenhinaus verstummt waren. Etwa um 1366 hatte es sich zugetragen.

    Der Platz in der Htte war durch Todesfall wieder einmal erledigt. Da wurde in

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  • den Bretterbau ein Sasse gesetzt namens Claus Beckera. Als der Vogt ihnhineinfhrte, da lachte der grfliche Beamte und meinte: Nimm dich in acht, Claus,da du das Querhlzlein nicht schdigst. Und diese Warnung galt mit Recht, dennder neue Bewohner mute sich tief bcken, bevor er die Schwelle berschritt. Zuriesenhaft ragte er an Wuchs und Gliedern, und ein langer fuchsroter Wirrbart hingihm bis auf den Leib. Wer ihn nicht genauer kannte, der mochte ihn infolge derHaarwildnis fr einen gereiften Mann schtzen. Er zhlte aber erst fnfundzwanzigJahre und war ein harmloser, gutmtiger Bursche, kundig des Legens und Knpfensder Netze, und ein Meister mit der Axt. Bald fing er auch an, allerlei Gert damit zuschaffen. Er baute einen hlzernen Stall fr ein paar Ziegen, er wlbte ber demoffenen Ziegelherd einen Rauchfang mit einem Abzug, ja eines Tages begann ersogar die lehmige Erde zu bahnen und legte Dielen. Alles, als wenn er geahnt htte,was ihm bevorstand. So war der Herbst hereingebrochen. Durch die Wlder derHhen wogte es, ein Knarren und chzen klagte um die Htte auf ihrem einsamenHgel, und die Seegrser auf dem gelben Sand pfiffen und schwirrten, als ob dieSichel auf einem Stein geschliffen wrde. Unten strzten die Schumer schmetterndgegen die gewaltigen Steine, jedoch Claus Beckera merkte nichts von diesemewigen Streit, denn eine finstere Nacht wlbte sich ber der Leere, und er selbsthockte geruhsam in seinem breiten Armstuhl, den er erst vor kurzem aus rohemEichenholz gezimmert, und beim Schein eines qualmenden Buchenfeuers auf demHerd rieb er eifrig an einem eisernen Widerhaken, wie er zum Aalstechen benutztwurde. Sein roter Bart glnzte gleich einer feurigen Welle. Dazu grlte er ein uraltesSchleiferlied:

    Wetze gut,Dann schnett se gut Der Claus, der ist der Sigrun gut.

    Zwar besa er keinerlei Beziehung zu solch einem Menschenkind, kannte wohlauch kaum die Trgerin eines derartigen Namens, doch der schrfenden Wirkungdes Liedes tat dies keinen Abbruch.

    Das Buchenfeuer puffte, und der Riese rieb mit seinem Stein immer emsiger berdas Eisen, bis blaue Funken unter seinen Hnden hervorspritzten.

    Da wurde mit klirrender Faust an die Tr geschlagen, zwei-, dreimal, das leichteHolz zitterte, und in der Htte drhnte es wider.

    Sachte, murmelte Claus, der vor Verwunderung aus seiner gebckten Stellungnicht emporfinden konnte. Wie? Was? Ein Mensch? Er versuchte sich zu sammeln

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  • und schttelte in dumpfem Erstaunen den gewaltigen Haarbusch; so was stellte sichhier doch nur selten ein.

    Mach auf, forderte drauen eine rauhe Stimme, und von neuem regte sich einkurzes Rasseln.

    Schwerfllig und ohne sich weiter Rechenschaft darber abzulegen, ob er klugoder vorsichtig handele, schob der Fischer den Querbalken zurck, und sofortschlug das Licht des Herdes nach drauen. Auf dem nassen, sturmgefegten Hgelstanden zwei gepanzerte Knechte. Die fhrten zwischen sich ein verwirrtes,zitterndes Geschpf, unentschieden ob Weib oder Mdchen, dessen kurze Rckeflatterten im Wind und die nackten Fe sanken tief in den Sand. Ein blaues Tuchhatte das Wesen um den Kopf gewunden. Hinter ihnen, kaum noch erreicht vomroten Flackerschein, bemerkte der Bewohner der Htte einen Cisterzienser,kenntlich an seinem grauen Gewand. Doch hatte der Mnch seine Kapuze weit berdie Stirn gezogen, wie wenn er Schutz vor dem Unwetter suche oder als ob er seinAntlitz verbergen mchte vor dem, was hier geschah.

    Inzwischen war der lteste der Eisenbewehrten ber die Schwelle getreten. Dannzeigte er auf die zwei eingestickten blauen Kugeln seines Mantels.

    Kennst du die? fragte er kurz und bedeutsam.

    Ratlos nickte der Fischer. Er starrte noch immer von einem zum anderen,betroffen ob des unerklrlichen Aufzugs.

    Wohl, rang er sich endlich ab, Ihr seid des Grafen.

    Und der Graf, berichtete der Knecht scharf und schob sich die Sturmhaube ausder Stirn, damit ihn der andere besser verstehen mchte, lt dir sagen

    Lt mir sagen? echote der Fischer und fing an mit schwerer Zunge zustammeln, weil des Unmglichen immer mehr wurde.

    Lt dir sagen, vollendete der Gewappnete finster, whrend er den Schaftseiner Lanze auf die neue Diele stie, dies sei dein Weib.

    Dies sei

    Dein Weib.

    Eine schwere Weile regte sich nichts zwischen den Menschen in der Htte. Manhrte nur die keuchenden Atemzge des Fischers und das Bersten der brennenden

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  • Buchenkltze. Einzig die hellblauen Augen lebten in dem versteinten Gesicht desSassen; die wanderten hilfeflehend und ohne eine Spur von Verstndnis von denKnechten zu dem zerzausten Mdchen, das ebenfalls mit vorgebeugtem Leib undgefalteten Hnden zu lauschen schien, bis sich der Rcken des Riesen allmhlichneigte, als ob man ihm einen Baumstamm auf den Nacken geladen.

    Pltzlich aber schnellte er empor. Das Blut scho ihm in die erblaten Wangen,und die Rechte tastete nervig nach der Axt neben dem Herde. Jetzt htte vielleichteine schnelle Gewalttat alles entschieden. Doch ehe noch der schwere Holzstielemporzutaumeln vermochte, da drngte sich hinter den Knechten die graue Gestaltdes Mnches in den Kreis der Hadernden, und eine jugendlich schmerzerfllteStimme rief:

    Fge nicht zum Leid noch die Snde!

    So ernst und mitleidsvoll klang die Mahnung, da der leidenschaftgeschttelteRiese einhielt. Die Axt entsank ihm, und mit beiden Hnden und wankend griff ernach seiner Brust, denn eine Lanzenspitze hatte das dnne Hemd bereitsdurchschnitten und suchte dort bedrohlich Eingang. Dazu schrie der gepanzerteKnecht: Wenn du leben willst, sei vernnftig.

    Vernnftig vernnftig, gellte es dem berwundenen zwischen die irren,durcheinandergehetzten Sinne. Er wute nicht, sollte er lachen oder brllen. War diesnicht Tollheit? Kehrte sich nicht alles Unterste nach oben? Schaukelte seine Httenicht auf der tobenden See, ohne da er den Ausgang fand? Oder hatte man ihmvielleicht gar die Zunge herausgeschnitten und verlangte trotzdem, er solle sprechen?Wer half? Wer half?

    In letzter Not blieben seine Blicke an dem jungen, hereingeschleppten Mdchenhaften. Warum? Weil man der Fremden wohl anmerkte, da sie scheu, zitternd undwider ihren Wunsch hier stand, und dann, weil die Dirne, die man mit ihren nacktenFen gewi von weit her bis zu ihm getrieben, gleichfalls ein Sassenkind war wie er,und deshalb gewohnt, nicht nach eigenem Willen zu schalten.

    Heftig trat er auf sie zu und besah sie. Vor seinem mchtigen Schritt erschrak dasWesen, und in ihre braunen Augen trat ein offenes Flimmern der Angst.

    Was ist mit dir? herrschte er und ahnte nicht, wie sehr sie sich vor seinenriesigen Armen frchtete und vor den Haarbscheln unter seinem Kinn. Sie kannte,was ein grimmiger Mann vermag. Dann aber faltete sie die Hnde vor der Brust undsagte sanft und in ihr Schicksal ergeben:

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  • Mir geht es schlimm.

    Nichts weiter, allein die wenigen Worte fanden den Weg zum Verstndnis desRiesen. Erstaunt wich er zurck, und tief aus seinem Inneren quoll zum erstenmal einBewutsein seines Standes und seiner Lage hervor. So geht es uns allen, murmelteer beinahe betroffen ber die neue Erkenntnis, dazu sind wir geboren.

    Genug Geschwtz, unterbrach hier der grfliche Knecht ungeduldig und schautesich hastig nach dem jungen Cisterzienser um, der allem, was sich in der Httebegab, mit gesenktem Haupt gelauscht hatte Wir haben noch einen weiten Weg.Beeilt Euch.

    Da sandte Claus Beckera einen letzten sehnschtigen Blick nach dem Ausgangder Htte. Als er sich jedoch davon berzeugte, da sich die Lanzenspitzen vonneuem drohend gegen ihn richteten und wie zu gleicher Zeit ber den Leib der Magdein ihm unbegreifliches, ja widerwrtiges Beben lief, da entschlo er sich, vor allemsein Leben zu retten, sein nacktes Leben, das einzige kostbare Geschenk seinesGottes!

    So griff er denn gewaltsam nach der Hand des Weibes, so da es taumelnd anseine Seite gerissen wurde, und in rohem Ausbruch entlud sich endlich seine Wut invollem Hohn:

    Munter munter, ihr eisernen Wichte, ihr Schnapphhne da ich mich dochgegen mein Unheil nicht wehren kann, so macht die Schandhochzeit wenigstenskurz.

    Erregt trat der Mnch hinter die sinkenden Spiee. Die spielenden Feuer huschtenber sein zuckendes Antlitz. Er malte das Zeichen des Kreuzes in die Luft undsprach mit zitternder Stimme:

    Mhsal ist das Leben, Duldung das Gebot, Seligkeit das Scheiden. Wandelt inFrieden.

    Das Weib jedoch hrte auf nichts. Es sah starr in die Flammen des Herdes, die esfortan schren sollte.

    Mhselig kroch seitdem die Zeit dahin. Ein Tag sank arbeitsgebrochen und mdezum anderen, und in der Htte richtete sich das Schweigen ein. Es wohnte dort und

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  • lie sich aus dem engen Raum nicht mehr vertreiben. Ja, wenn die junge Frauselbstvergessen einmal versuchte, einen hellen Singsang aufzuschlagen, dann traf sieaus den vergrbelten Augen des Fischers ein seltsam drohender Blick, und sofortbrach die Frhlichkeit ab, und die zur Stille Verwiesene schaffte erschreckt undniedergeschlagen an ihrem Tagwerk weiter. Sie wute recht gut, der mrrischeGeselle grollte mit ihr, weil man ihm die unwillkommene Dirne aufgedrungen. Unddas fand sie auch ganz in Ordnung. Aber manchmal strich sie doch an ihren weienArmen herunter, und ein natrliches Staunen befiel sie, weil der Riese, der so dichtneben ihr lebte, so gar keinen Gefallen an ihr finden wollte. Warum? Was ihr frherwiderfahren, ein solches Erlebnis fand sie nicht ungewhnlich. Darein muten sich dieDienenden einmal schicken. Vielen Mgden auf den Hfen der Mchtigen erging esso. Und seit sie den geschtzten Unterschlupf gefunden, glaubte sie mit dem sicherenBewutsein eines starken Menschen, da es keinen Zweck htte, noch frder an derVergangenheit zu zerren. Claus Beckera war eben ein ungefger, strrischer Klotz,dem man es nicht leicht recht machen konnte. Aber warte nur, dachte sie mitweiblichem Trotz, auch groe Muse fngt die Katz. Dabei entstand unter ihrenflinken und noch merkwrdig zarten Hnden allerlei Brauchbares und Ntzliches,was bis dahin dem rohen Bretterbau gemangelt. So oft Claus von der Seefahrtheimkehrte, entdeckte er stets irgendein neues Stck des Hausrats, ein frischesLinnenhemd, eine geflochtene Strohmatte oder gar ein festgefgtes Bettgestell frden Eheherrn, alles Dinge, die wie durch Zauber ber Nacht an Stelle von etwasAltem und Verbrauchtem in der Htte gewachsen waren. Natrlich bemerkte derRiese all diese wohnlichen Vernderungen sofort und sonder Hinweis, alleingleichmtig und ohne Dank nahm er sie hin, warf sich auf den neuen,linnenbesponnenen Strohsack und lie seine Gefhrtin nach wie vor auf derSchilfstreu in der Ecke liegen.

    Aber Hilda, so hie das junge, verschleppte Geschpf, verlangte nichts anderes.Ja, es galt ihr ganz natrlich, da der Fischer nicht einmal ihren Namen zu kennenschien, denn bei den kurzen Wnschen, die er selten an sie richtete, nannte er sieWeib oder Fru. Und darauf gehorchte Hilda und sprang zu ihm, wie einfolgsamer Hund. Doch allmhlich wurden ihre Bewegungen langsamer. Auch darumkmmerte sich Claus nicht, nur wunderte er sich zuweilen, wenn er dasbraunbezopfte Weib jetzt fter ruhend an der Fensterluke lehnend fand, von wo esdann mit einem unverstndlichen Lcheln und mit groen erwartenden Augen auf densonnenblitzenden Eisrand der See hinabstarrte.

    Claus begriff das nicht, rgerte sich auch ber die ungewohnte Versumnis, undals er sie wieder einmal feiernd vor ihrem Ausguck antraf, da fuhr es grob aus ihm

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  • heraus, whrend er die groen Lederstiefeln krachend in eine Ecke schleuderte:Was tust du?

    Sie wurde blutrot, sendete ihm einen halb listigen, halb demtigen Blick zu undstotterte, langsam zum Herd zurckschleichend:

    Ich sinne.

    Leicht htte sie auch uern knnen ich trume, denn ihre Gedanken warenjung und wanderlustig und lieen sich in den Verschlag des Schweigens nicht ebensowillig bannen wie ihr Leib. In solchen Stunden erblickte das suchende Weib diedunkle See dort drauen gleich einem gebahnten Tanzplatz, und sie sah sich selbstdort unten mit seidengeschmckten Mnnern herumspringen, die sie herzten, um ihrdann goldene Schaumnzen um den Hals zu hngen. Fegte aber schlielich einrauhes Wort ihres Gefhrten all den Glanz auseinander, dann seufzte sie tief auf undbemitleidete heimlich den strrischen Gesellen, weil er fr das feine, verborgeneSpiel keinen Sinn besa.

    Und doch auch dieser Weg ins Freie sollte der Beladenen eines Tages gestrtwerden.

    Frhlingsstrme pfiffen ber die Dnen, Hilda stand in der offenen Tr und soggierig das warme Wehen ein, das einen unbestimmten Duft von Veilchen undTannenharz mit sich fhrte. Hoch oben am Waldesrand traten die jungen Rehe herausund ugten ber die funkelnde See.

    Da stieg unten vom Strand ein einzelner Mann den gewundenen Fupfad herauf.Hilda beugte sich sphend vor. Der Ankmmling trug ein weites blaues Wams undderbe Holzschuhe. Im ledernen Grtel steckte ihm eine kurze geflochtene Peitsche,und seine Faust sttzte sich klammernd an einen mannshohen Stab, dessen Spitze ineine kleine silberne Krone auslief. Das war der Strandvogt, eine untersetzte Gestaltmit grauer Schifferkrause und scharfen umfalteten Augen. Wie er sich jetzt schwerenknirschenden Schrittes emporwand, mute man wohl erkennen, da sich der Mannfr einen Mchtigen hielt, dessen Faust das kleine zerstreute Leben hier am Strandbehten oder auch zertrmmern konnte.

    Jetzt stand er vor dem jungen Weibe, doch bevor er zu reden anhob, kniff er erstbeobachtend das linke Auge zu. Im Grunde genommen wute er bereits, was er zuerkunden strebte.

    Gott zum Gru, begann er und wies mit seinem Stabe gegen das Dach der

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  • Htte, die Sparren gegen die Windseite mssen gedoppelt werden. Vergi dasnicht. Sein einziges offenes Auge lief geschftig weiter. Sieh da auch einZiegenstall. Wieviel sind drin?

    Drei, erwiderte Hilda mit sich kmpfend, denn sie war sich des Unrechtesbewut.

    Um eines zu viel, tadelte der Vogt, das Haupt mit der Lederkappe bedchtigwiegend. Nun, man wird Nachsicht haben. Man gnnt dir das gute Fortkommen.Bedeutsam strich er sich ber den graugeringelten Bart und trat gewichtig nher.Augenscheinlich gelangte er erst jetzt zu seiner besonderen Absicht. Wo ist ClausBeckera?

    Auf See, versetzte Hilde zgernd, wobei sie den Atem anhielt.

    Ich wei, besttigte der Strandvogt. Vorsichtig blickte er sich um, als ob ereinen Lauscher frchte, dann beugte er sich ganz nahe an die Erblate heran. Wannerwartest du deine Stunde? forschte er ernst und dringend. Und als das Weib ihnfinster anstarrte und in die Htte zurckwich, um allerlei Abgebrochenes undVerwirrtes zu murmeln, da bedrngte er die Widerspenstige nicht weiter. Es ist gut,meinte er sich aufrichtend und knpfte an der groen Ledertasche unter seinemGrtel herum. Nun hadere nicht, Dirn, man will dir nicht bel. Sieh her er langtein die Tasche und wog den Inhalt dann auf der flachen Hand dessen zum Zeichensoll ich dir etwas zahlen. Es ist nicht wenig. Vier Silbergulden.

    Silber? schrie Hilda, die aus ihrer fernen Ecke hervorstrzte und ein warmerTriumph lebte in ihrer Stimme. Jetzt wird sich Claus freuen.

    Da legte der Vogt die vier Silberlinge breit auf den Tisch. Dann wandte er sichzum Gehen. Indessen ehe er die Schwelle erreichte, stand Hilda schon wieder hinterihm. Das Geld hatte sie bereits zusammengerafft.

    Da Claus mir nicht erfhrt von wem, forderte sie schroff.

    Der Angeredete wandte sich kaum. Von mir nicht, gab er gelassen zurck.Was schiert mich der Bursche? Solange er seinen Fang abliefert, bin ich ihm nichtgram.

    Damit nickte er steifnackig, stemmte seinen Stab in den Sand und schritt wuchtigden steilen Saumpfad hinab. Hilda starrte ihm finsteren Auges nach, solange sie diesilberne Krone blitzen sah.

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  • Doch seit dieser Zeit wurde die Einsame nachdenklich und oft schttelte sie sich,als ob sie sich gegen bse Gedanken zu wehren htte. Dann stach es ihr durch denaufgescheuchten Sinn: Wie, wenn man ihr dasjenige, was sie erwartete, zu nehmentrachtete? Stellten die vier Silbergulden nicht vielleicht das Kaufgeld dar? Manerzhlte sich von dem Conaer Herrn doch solche gewaltttigen Geschichten. Undwar er nicht auch mit dem jungen Mecklenburger Herzog geritten, als dieser an derSpitze von allerlei Raubgesindel und Landstreichervolk die Heerstraen derKaufleute von Stralsund unsicher machte? Nach einem solchen Zuge hatte er ihrdoch das blaue Kopftuch zugeworfen? Wtend schlug sie mit der Faust gegen dieTrpfosten und reckte sich drohend, allein gleich darauf schrak sie zusammen, undtrotz der milden Frhlingsluft wurde sie von einem Schauer durchfrstelt.

    Warte, quoll es dabei ber ihre bebenden Lippen, ich sag's Claus. Der ltsich nichts nehmen. Indessen im nchsten Augenblick stand sie schon wiedererstarrt. Ach du lieber Gott, was schierte denn Claus der fremde Balg? Er kmmertesich ja nicht einmal um die Mutter, die alles nach seinem Willen tat? Nein, nein, ambesten war's wohl, auf der Hut zu bleiben und auch das Geld nicht zu zeigen, umnicht unntigen Fragen des Fischers ausgesetzt zu sein.

    So nhte sie denn die Silbergulden in ihren Rock ein, und nur manchmal streifte sieihren Genossen ngstlich und erwartungsvoll, als wnschte sie heimlich von ganzemHerzen, er mchte endlich das Geheimnis entdecken.

    Aber seitdem war Unrast ber ihr, und sie sang nicht mehr. Immer eilfertigerflogen die Tage an ihr vorber, und immer unsicherer wurde ihr Gang.

    Eines Nachts kehrte Claus nicht nach Hause zurck. Todmde lehnte Hilda an deroffenen Luke und suchte das unerkennbare Grau zu durchdringen. Vergeblich, nichtslste sich ab von dem schwarzen Dunst, in den der Sturm oftmals wie mit einemschweren Sack hineinschlug. Nur in entfesselter Wut lrmte die See, und imMorgendmmer fuhr an den Strandsteinen fast ununterbrochen eine schlngelndeweie Mauer empor. Solange die Dunkelheit whrte, hatte das verngstigte Weibvon Zeit zu Zeit einen brennenden Kienspan aus der Fensterhhlung herausgehalten,zum Zeichen fr den auf der tosenden Flche Herumirrenden, damit er nicht insWeglose getrieben wrde. Doch der wtige Zug hatte das karge Feuerlein jedesmalheihungrig gefressen, und die nackten Arme sowie die offene Brust des Weibesschauderten vor Klte. Jetzt wurde es heller. Dinge und Gertschaften traten in derHtte hervor. Und drauen im Stall begann der Geibock die harte Stirn gegen dieTr zu reiben. Verwirrt, bernchtig blickte sich Hilda in dem engen Raume um. Esfehlte etwas es war etwas von seinem Platz genommen, das sich freilich nie gtig

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  • und freundlich gezeigt, dem aber doch alles hier eignete. Sogar sie selbst. Und demman wohl auch Gehorsam und Dank schuldete. Mehr wute sie nicht. Vergessenwar ihre eigene Unkraft, verflogen die bleierne Mdigkeit der Glieder; ihrer selbstungewi ergriff sie einen rohen Ast und wankte halbnackt zum Strand hinunter.Unten ber die sonst so ebene gelbe Flche spielte das Wasser, schwrzlicheSeegrasbndel schlngelten sich der Vorwrtswatenden um die Fe, und der Sturmstemmte sich gegen sie wie eine gierige Faust, die ihr die Gewnder vom Leib zureien strebte.

    Keuchend kmpfte sich Hilda weiter.

    An einem jetzt halbversunkenen Pfahl, der gestern noch im Trockenen eingerammtwar, scheuerte und zerrte sich ein Boot an zerfasertem Strick. Das war ClausBeckera's zweiter, kleinerer Kahn, und daneben ragte aus der berflutung einderber Mann in mchtigen Stiefeln auf, abgekehrt, die Lederkappe tief ber die Stirngezogen. Seine Rechte aber klammerte sich auch jetzt an den kronengeschmcktenStab. Gerade in der Not legte er ihn nicht ab. Hilda erkannte ihn sofort. Vogt,stie sie hervor, er ist drauen.

    Der Aufseher nickte, sprach jedoch nichts. Nur sein erkennender Blick, den erauf die Erregte heftete, verriet die Meinung, wie dem Weib vielleicht bald Hilfentiger sein mchte als dem Verlorenen. Inzwischen hatte sich Hilda hoch auf dieZehen aufgerichtet. Um sich besser zu heben, hatte sie dabei ihre Hnde ganz sonderAchtung auf die Schulter des Vogtes gesttzt. Der schien nichts zu merken.

    Dann warf sie die Rechte vor. Dort drauen das Schwarze, wies sie.

    Ein Baumstamm, belehrte der andere. Ich sehe ihn schon lange. Und halbtrstend setzte er noch hinzu: Wir haben Seewind. Wenn er noch lebt, wird es ihnhereinwerfen. Auch so, kaute er mit geschlossenem Munde.

    Damit wandte er sich ab und schritt langsam die Dnen empor. Dort wollte ernoch einmal Ausschau halten. Drauen, hinter den rollenden Bergen schaukelte daslngliche, schwarze Ding auf und ab. Und wenn die Zurckgebliebene ihrSehvermgen aufs uerste anstrengte, dann glaubte ihre aufgescheuchte Einbildungeinen dunklen Kopf und eine greifende Faust zu erkennen. Die drohte oder winktezu ihr herber.

    Da hielt sie sich nicht lnger. Ihr Mitleid war strker als ihre Schwche. Ungestmbckte sie sich, so schwer es ihr fiel, lste die hnfene Schnur und kletterte in dasregengefllte Boot hinein. Ihr Glaube half ihr, denn der Kahn befand sich an der

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  • Stelle einer Strmung, so da das Schiff mit einer Kraft und Stetigkeithinausgetrieben wurde, als wren unsichtbare Segel an den fehlenden Mast gesetzt.Hochauf spritzte die Dnung, und das zerbrechliche Gert seufzte in Schmerz undJammer. Stieren Auges hockte das Weib auf dem morschen Brett, das Hauptunvernderlich nach dem herumgeschleuderten, schwarzen Sarg gerichtet.

    Jetzt und jetzt da tauchte sie wieder vor ihr auf, die Faust, die sie halb imTraum vor sich geschaut. Mit einer wilden Bewegung warf sich das Weib lang in denKahn und griff nach den krallenden Fingern. Ein wster Kampf hob an. DerVerfallene dort unten war wohl schon der Tiefe verschrieben, denn er wehrte undstrubte sich, bis eine sich blhende Woge den schweren Krper pltzlich untereinem Schwall in den rettenden Nachen strzte. Einen Augenblick wurden diePlanken berschumt und begraben, dann hoben sie sich wieder, kreiselten irreherum, und die rollenden Wasser trieben das Schifflein vor sich her, gleich einemgeprgelten Hund.

    Dster reckte sich das Land empor, und hoch oben gegen den verhngten Himmelzeichnete sich die Gestalt eines Mannes ab, der staunend das Begebnis verfolgte.

    Der Vogt hatte den Schiffbrchigen in die Htte getragen. Der mchtige Krperruhte jetzt auf dem Bettgestell und rang mit dem Tode. Und in der Ecke auf derSchilfstreu erwachte zur selben Stunde ein neues Leben. Hilda hatte einen Sohngeboren.

    Ein langes, schmchtiges Knblein. Es schrie nicht, sondern hatte die Fustegeballt, und die schwarzen, nchtigen Augen hielt es fordernd ins Leere gerichtet.Nein, nicht ins Leere. Am Fuende der Streu hing die Axt an der Wand. Sptererinnerte sich die Mutter, da ihr Sohn zur Stunde seines Eintritts unausgesetzt dieSchrfe des Beils betrachtet. Vom Vogt war aus dem Kloster einer der Cisterziensergeholt worden. Der schaffte nun kundig um die drei Unmchtigen herum. Zu jenerZeit erfllten die Klosterleute, gleichviel ob jung oder alt, willig die Pflichten desArztes und der Wehmutter, und die Gepflegten glaubten, es msse so sein. BruderFranziskus war zudem derselbe, der in jener von Hilda unvergessenen Nacht denerzwungenen Bund gesegnet hatte, jetzt tat er sein uerstes, um die bedrohteGemeinschaft zu erhalten. Bald flte er dem hingestreckten Fischer scharfe, seltsamduftende Tropfen ein, die er in einem venezianisch geschliffenen Bchslein aus seinerKutte zog, bald pustete er unter die Flamme des Herdes, um der Wchnerin einen

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  • warmen Trank zu bieten; ja, er reinigte den Neugeborenen sogar im ersten lauenBade. Dabei glitt ein wohlgeflliges Lcheln ber das ernsthaft jugendliche Antlitzdes Bruders, und whrend seine Rechte zart ber die weichen Glieder des Kleinenstrich, sprach er mit der Bestimmtheit des Erfahrenen:

    Ein edler Bau. Wie nach den Maen der alten Meister. Mge derUnerforschliche dies Kindlein zum Guten bilden.

    Hilda hrte es auf ihrer Schilfstreu. Und zum erstenmal zuckte es wie Stolz umihre Lippen, da sie daran dachte, welch adligem Ursprung der Sugling seinem Blutenach entstammte. Zugleich aber heftete sie einen erschreckten Blick auf dasBettgestell, wo sich der gewaltige Krper ihres Eheherrn zu regen begann. Sofortgriff sie hastig nach den eingenhten Silbergulden.

    Ja, ja, das war das Mittel, um sich gegebenen Falles von jedem Tadel loskaufenzu knnen. Allein sonderbar so schwer sie auch die nderung begriff es traf siekein lauter Vorwurf mehr. Noch ehe Claus auf seinen zerschlagenen Beinen hin- undherzukriechen vermochte, hatte der Mnch dem Entkrfteten kurz den Hergangseiner Rettung erzhlt. Stumpf, in sich gesunken, hockte der Fischer dabei aufseinem Lager und lie nur ab und zu einen forschenden Blick ber das Neugeborenegleiten. Weder bedankte er sich, noch gab er sonst eine Erkenntlichkeit kund. Auchberlie er nach wie vor alle Hilfeleistung fr sein Weib dem Bruder Franziskus. Unddoch es kam vor, da er zuweilen die Milch der Gei in einem Holzschaff dichtneben der Streu der jungen Mutter niedergleiten lie. Keiner wute zu welchemZweck, und man konnte doch annehmen, da der Trank fr Hilda und ihr Kindbestimmt sei. Ein andermal freilich begab sich, was der glcklichen Frau anzeigte,nun sei der Damm von Groll und belwollen vielleicht fr immer gebrochen. EinesAbends blieb der Mnch vor dem Aufbruch gedankenvoll an der Streu des Kleinenstehen, und whrend er ihn seiner Gewohnheit gem zum Abschied segnete, spracher bestimmt:

    Nun ist es Zeit. Morgen wollen wir das Kind in das Kloster tragen, die Taufe zuempfangen. Wie soll es heien?

    Hierauf regte sich Hilda nicht. Sie kehrte ihr Haupt vielmehr der Wand zu undkratzte ungeduldig mit den Ngeln gegen die Holzbohlen. Alles, um den ungestmenWunsch ihres Herzens zu betuben. Statt ihrer jedoch erhob sich der Fischer vonseinem Sitz neben dem Herd, tastete sich schwerfllig nach der Streu des Suglingszurecht, und nachdem er in das schmale Gesicht, neugierig und kopfschttelnd wiestets, herabgeschaut, da brach es pltzlich brummend und drohend aus ihm heraus,

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  • als htte er sich gegen einen Angriff zu wehren:

    Das Knblein heit wie ich, nicht anders. Claus soll es heien.

    Da nickte der Mnch mit einem stillen Lcheln, das liegende Weib jedoch hobungestm den Arm und versuchte glcklich auf der brtigen Wange des Riesenherumzustreicheln. Unschlssig und verletzt schttelte er sie ab. Aber als nach derTaufe die junge Frau wieder in der Htte auf und ab wirkte, da hrte sie drauen vordem Gebu ihren Eheherrn singen. Das war noch nicht. Auf leichten Sohlen schlichsie hinzu, um zu lauschen. Im Sonnenschein sa Claus und schliff seine Axt amFeuerstein. Dazu summte er behaglich in das Spritzen der Funken hinein:

    Wetze gut,Dann schnett se gut,Der Claus, der ist der Hilda gut.

    Er wute sonst keinen Namen. Es hatte nichts weiter zu bedeuten.

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  • II.

    oldgrne Schatten spielten um die Buchenwipfel hoch ber der roten Klostermauer.Auf einer der verfallenen Grasstufen, die in breiten, unkrautbewachsenen Abstndenzu der schmalen Eingangspforte hinaufleiteten, hatte sich ein einsamer Bruderhingelagert. Achtsam trug er in einer Falte seiner Kutte ein paar Brosamen weienHirsekuchens verborgen, und nun streute er die Krumen in weitem Bogen denFinken, Meisen und Amseln des Waldes hin, die in einiger Entfernunghochaufhuschend nach den leckeren Bissen pickten. Noch hatte der Einsame seinegefiederten Freunde nicht allzulange gefttert, als der Schwarm pltzlich schwirrendund rauschend auf die untersten Zweige der Buche abzog, stutzend vor eiligenSchritten, die den Waldpfad heraufklangen. Der Klosterbruder hob das Haupt. DerTritt, dieses hastige, sprunghafte Ausgreifen deuchte ihm bekannt. Seit sechzehnJahren fast hatte er ihm prfend und abschtzend gelauscht. Und jetzt aus demschwarzgrnen Bogengang strmte es hervor. Ja, Pater Franziskus kannte jeneschlanke, geschmeidige Knabengestalt in dem weien Linnenkittel, oft hatte er diewohlabgemessene Form dieser Knie und Waden in ihrer braungesonnten Nacktheitbewundert, mit heimlichem Schrecken aber fast immer in die schwarzen begehrlichenAugen hineingeschaut, die wie zwei flimmernde Abgrnde in dem schmalenJugendantlitz brannten, ewig bereit, Nahes und Fernes zu verschlingen. Immeraufgetan zu neuer Forderung. Niemals zu mde, um zu suchen und zu fassen. Davorwar dem Mnch nicht selten ein drckendes Befremden aufgestiegen, denn dieserastlos einschlrfenden Augen widersetzten sich allzusehr dem geduckten Daseineines Sassenkindes. Ebenso wie die braunen Wellen des Haupthaares das Gebot derkurzen Schur leichtfertig miachteten.

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  • In weiten, glatten Sprngen setzte der weie Schatten durch den Wald. Daherkam es, da seine Gefhrtin, ein etwa vierzehnjhriges Mdchen, dem sein rotesRckchen hindernd um die entblten Beine wirbelte, eine geraume Strecke hinterdem Buben zurckblieb. In den Kranz der blonden Zpfe, die das Kinddichtgeflochten und eng um das Haupt trug, waren bluliche und rtliche Muschelngesteckt, und so erhielt die Kleine ein fremdartiges und wildes Aussehen. Zu demsanften Gesicht wollte der absonderliche Schmuck keineswegs passen. Auch zgertedie jetzt ruhiger Schreitende und griff sich ein paarmal verstohlen in die Flechten, insichtlicher Furcht, wie man das blitzende Stirnband an der Klostermauer beurteilenwrde.

    In der Tat war der ungewohnte Zierat das erste, was dem Bruder, whrend ersich auf seiner Grasstufe ein wenig aufrichtete, strend ins Auge fiel. Halb unwillig rider Ruhende ein paar Halme aus, bevor er mit einer raschen Kopfbewegung nachden Muscheln wies:

    Wozu das, Anna? Was soll der Putz?

    Kaum war die Mibilligung gefallen, als ein tiefes Rot ber die Wangen derGetadelten ging, ihre blauen Augen drehten sich ngstlich, und unwillkrlich faltetensich ihre Hnde vor der Brust. Dazu warf sie dem Knaben im weien Kittel einenjhen Blick zu, als wre dieser der Herr, von dem sie und ihr Schicksal abhingen.Der lie sie auch nicht im Stich.

    Ich hab's ihr hineingesteckt, sagte er lachend, und seine Augen weideten sichwohlgefllig an seinem Werk, als mchten sie sich von dem blaufeuchten Glanz derMuscheln nicht trennen. Dazu strafften sich die schlanken Beine, die er schon frhergespreizt aufgestemmt hielt, noch etwas fester in den Sehnen, und der ganze Burschesah unbekmmert und keck aus, wie wenn nach seinem Wohlgefallen sich Regen undSonnenschein zu richten htten.

    Unbehaglich bemerkte es der Mnch. Gerade dieses Aufbegehren einerunbndigen Natur suchte er zum Heile des Knaben zu unterdrcken. DerFischerssohn, dem er anhing, mute gegen sein Blut geschtzt werden. Das war's.Dazu gehrte, da man seine Unwissenheit nicht allzusehr erhellte. Auch durfte ernicht ber seinen Stand hinauswachsen oder gar, wie er es liebte, seine Gedankenfabulierend ins Weite schweifen lassen. Das Meer verlockte zu derartigenNebelfahrten. Aber solches Entgleiten war einem Sassenkind nicht gnstig jedenfalls in solcher Jugend nicht.

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  • Nimm der Dirne die Torheit aus den Haaren, befahl er darum hart.

    Claus Beckera rhrte sich nicht. Nur seine Augen blitzten hartnckig auf, undseine Rechte vollfhrte eine unglubige, fortschleudernde Bewegung, als knnte erdamit die unbegreifliche und ihm unklug dnkende Abneigung des Klosterbruderszerstreuen.

    Es sieht gut aus, beharrte er noch immer in Bewunderung vor dem fremdenGlanz. Es sind Maimuscheln. Die Gnadenbilder in der Klosterkirche und dieFruleins auf dem Schlo tragen auch solch bunte Steine.

    Eben darum ziemt sich der Tand nicht fr Anna Knuth, die Tochter derStrohflechterin, belehrte Bruder Franziskus ruhig und streckte die Hand nach demabenteuerlichen Schmuck aus, wobei er sich stellte, als bemerke er das heftigeZusammenzucken des wilden Jungen nicht. Es sind Unterschiede in die Weltgesetzt. Sie stammen von Gott.

    Er zerpflckte jetzt die Muschelschnur zwischen den Fingern, und da erwahrnahm, wie sein halbwchsiger Freund, um den er sich sorgte, die roteUnterlippe nagte, fuhr er begtigend fort: Schau um dich, Nikolaus, schau auf denWald. Hier blht der Haselstamm und wird nur ein Strauch. Daneben aber die Buchewchst ber zwanzig Ellen. Und machen doch zusammen den schattigen Wald ausund mssen sich dulden. So geht es auch bei den Menschen.

    Eine Weile raschelte der Wind durch die Zweige. Dann lachte der Knabe miteinem Male hell auf.

    Was hast du? fragte Franziskus verwundert.

    Heftig reckte sich der im weien Kittel. Ein Zug von Vorwitz und frhreiferSpottsucht lief ber sein schmales Antlitz, als er nun die Rechte bestimmt vorwarf.

    Da sieh, Geweihter, rief er selbstsicher, denn er gebrauchte hufig fr denMnch die ehrfrchtige Bezeichnung seiner Mutter, den Hasel- und den Buchbaumhier. Ob die einander gleichen?

    Nein, murmelte der Cisterzienser noch im Ungewissen, sie gleichen einandernicht. Sie sind von verschiedener Art.

    Aber die Menschen, die gleichen einander, vollendete der Knabe jetztrechthaberisch, tat einen Luftsprung und warf seiner Begleiterin einen Blick desSchutzes zu. Du hast selbst gesagt, wir wren alle nach dem Bild Gottvaters

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  • gemacht.

    Da brach der Mnch verstimmt und finster das aussichtslose Gesprch ab. Zumaler auffangen mute, wie das kleine Mdchen ob der Keckheit des Burschenverstohlen zu lcheln anhob.

    Es wre dir besser, brummte er aufgebracht, indem er sich ratlos mit beidenHandflchen die ergrauten Schlfenhaare zurckstrich, dein Vater htte dir fter mitdem Grtelriemen den Rcken gewalkt.

    Als des Vaters Erwhnung geschah, wich das vorlaute Wesen des Knabengedankenschnell. Kleinlaut senkte er das Haupt und scharrte mit dem nackten Fuber den Moosboden.

    Vater rhrt mich nicht an, meldete er nachdenklich. Er sitzt den ganzen Tag aufder Dne und sonnt sich.

    Jetzt fuhr der Bruder mitleidsvoll ber das wellige Gelock des Burschen. SeinGroll war verschwunden. Die Erinnerung an ein ehrenhaft mhselig Leben hielt ihngefangen. In deinem Vater sitzt die zehrende Sucht, sprach er leise, der Frhlingist fr ihn ein gefhrlich Ding. Und was tust du, sein Los zu erleichtern, Nikolaus?

    Ich? Der Gefragte blickte suchend umher. Endlich schienen die scharfenAugen etwas erwischt zu haben, als sie rckschweifend einen schmalen Ausschnittdes durch die Stmme schimmernden Meeres entdeckten. Ich fahre hinaus und legeseine Netze, verteidigte er sich erwartungsvoll, denn er wollte gelobt werden. Ichbringe mehr heim als er. Manchmal bin ich die ganze Nacht fort. Und ein fein Segelhab' ich gemacht aus rotem Packtuch, setzte er befriedigt hinzu, und kann denWind vor- und rckwrts abfangen. Davon hat der Vater nichts verstanden. Das istein neu und gut Ding. Und Mhe hat es gekostet.

    Dich nicht, versetzte der Mnch unbeirrt, wobei er versuchte, den irrlichterndenStrahl der schwarzen Augen auszuhalten. Lge nicht, Bursche. Dir ist es eine Lust,auf dem Wasser zu liegen und dich mit dem Wind herumzuschlagen. Du dnkst dichdann besser als andere Menschenkinder. Dort drauen fngst du auch die grilligenGedanken, die dir nicht taugen. Sage, was fhrt dich heute her?

    Jetzt trat der Knabe nher und kte zrtlich die feine weie Kutte des Mnches.Ein Staatskleid der Brder, das nur bei besonderen Anlssen getragen wurde.

    Mir war bange nach dir, Geweihter, brach es inbrnstig aus ihm heraus, und erstreichelte verstohlen das Tuch des faltenreichen Gewandes. Es qult mich oft eine

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  • Unruhe, wenn ich dich nicht nach diesem oder jenem fragen kann. Denn du weitalles, was mir fehlt.

    Da verbarg Pater Franziskus ein halbes Lcheln.

    Du Tor, wies er bescheiden die bertriebene Meinung ab, ich wei nichteinmal, was deine Gespielin dort zwischen den beiden Binsendeckeln trgt. Wasist's?

    Ja, das rtst du nicht, schrie Nikolaus Beckera, pltzlich wieder in seine wildeHeftigkeit zurckfahrend, und dabei strzte er auf das Mdchen zu und ri ihr ohneweiteres das grne Geflecht aus den Hnden. Gib her ein wunderlich Tier,stammelte er atemlos und brach die Deckel auseinander. Dergleichen gibt es sonstnicht in unserem Wasser. Und dir gehrt es, Geweihter, dir allein.

    Eine ungeheure Scholle kam zum Vorschein, dunkelgrau mit roten Punkten undwohl anderthalb Fu im Durchma. Der Fisch glnzte perlmutterfarbig in der Sonne.Bewundernd standen die drei um den seltenen Fang herum, und die Kinder lachtenvor Freude, als der Pater mit Kennermiene den Finger spitz in den Rcken derScholle setzte, um wohlgefllig das Fleisch des Tieres auf seine Festigkeit hin zuprfen.

    Ein herrlich Stck, gestand der Bruder selbstvergessen und klopfte demSpender dankbar die Wange. Allein unvermutet hielt er inne, ein feindlicher Gedankeschien seine offene Lust zu hemmen.

    Was gibt's? rief der Junge erschreckt.

    Der Bruder ma ihn prfend von oben bis unten.

    Hat der Vogt deinen Fang gesehen?

    Jetzt zuckte das kleine Mdchen, wie von einem Streich getroffen, zurck undsprang Schutz suchend hinter den nchsten Baumstamm. Claus Beckera aber wurdeseltsam bleich. Dann begannen seine schlanken Glieder vor Zorn oder vor Scham zuzittern. Etwas Haerflltes, von Leidenschaft berwltigtes brodelte aus seinenschwarzen Augen.

    Der Vogt wei von nichts, widersprach er hart und schob die Faust geballt vonsich. Ich hab' das Tier die ganze Nacht ber zwischen den Strandsteinenversteckt.

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  • Kopfschttelnd wies der Mnch das Geschenk von sich, auch entsetzte er sichheimlich darber, wie wenig sein Zgling zu Bescheidenheit und zu geduldigemDienst zu lenken wre.

    Weit du nicht, ermahnte er heftig und hob drohend den Finger, da all deinFang dem Grafen eignet? Was soll ich mit dem entwendeten Gut?

    Essen, schrie Claus, der noch immer zitterte und bebte. Und wie tckischePfeile schnellten die Worte von ihm: Der Graf hat satt. Wie kann er uns das nehmen,was wir fangen? Gehrt ihm die See?

    Wem gehrt sie sonst?

    Dem, der auf ihr segelt und Netze legt, eiferte der Knabe ohne jedes Besinnen.Schmetternd warf er den Fisch auf den Waldboden und machte Miene, ihn mitseinen nackten Fen zu zerstampfen.

    Claus, rief das kleine Mdchen hinter seinem Baum um Erbarmen flehend.

    Jetzt sprang auch der Bruder hinzu, bckte sich und ri den Flossentrger an sich.Dunkelrot war das weie Gesicht des Mnches bergossen. Es blieb unentschieden,ob vor Anstrengung oder weil er den feinen Mund des Fischerssohnes inbefriedigtem Triumph lcheln sah.

    Unsinniger, zrnte er in ehrlichem Unwillen, Gottes gedeihliche Gabevernichten? Oh, ich sehe, ich bin zu schwach gegen den bsen Geist, der in dirwohnt. Geh mir aus den Augen und kehre so bald nicht wieder.

    Einen Augenblick blieb es still zwischen den dreien, dann wandte sich PaterFranziskus, den Fisch noch immer in den flachen Hnden, und stieg mit weitenSchritten die Grasstufen in die Hhe. Bald mute er das kaum mannshohe Pfrtleinin der Mauer erreicht haben. Da geschah etwas Unerwartetes.

    Ebensoschnell wie Claus Beckera in Zorn und Wut hineingerast war, so erfateihn jetzt eine verzweifelte Reue. Urpltzlich fllten sich seine funkelnden Augen mitTrnen und unbekmmert darum, ob seine kleine Gefhrtin sein Handeln begriffe,strzte er auf die unterste Stufe nieder, wo er die Arme wild emporwarf, als knnteer so den Entweichenden zurckhalten.

    Tu das nicht, Geweihter, schluckte er schmerzzerrissen. Ich hab' dich lieb. Undwer soll mir die Hand auf die Stirn legen, wenn mich die Schmerzen qulen, die michblind machen? Nein, tu das nicht, Geweihter tu das nicht.

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  • Noch zitterte die Klage dieses wahrhaftigen Knabenschmerzes unter densonnenstillen Bumen, noch hatte sich der leichtgerhrte Bruder nicht vllig gewandt,da klang in der Schwrze des Waldes ein Horn. Zugleich hrte man den Hufschlagder Rosse.

    Einen Augenblick wurzelten die drei auf der grnen Lichtung fest. Dann gerietLeben in den Mnch, und whrend er die Scholle eilfertig auf einen Mauervorsprungzu betten suchte, segnete er Gott im stillen fr die gelegene Unterbrechung. Wohlttigenthob sie ihn der begehrten Vershnung mit dem aufgeregten Knaben.

    Sie kommen, rief er dem verblfften Fischer zu, der ohnehin alles, was bis dahingeschehen, lngst vergessen hatte. Ungestm war er aufgesprungen, um nun,fiebernd vor Neugier, das dicke Gehlz zu durchdringen.

    Vier fnf zehn Pferde, zhlte er, sieh sieh, Anna, Stahlpanzer und seideneMntel.

    Dnische Herren, berichtete der Bruder erregt und strich sich die weie Kutteglatt, reiten auf Tagfahrt nach Stralsund und nehmen zur Nacht hier Obdach.

    Gespannt drngten sich die Kinder an beide Seiten ihres Freundes. Kaum konnteer sich ihrer erwehren.

    Dnen? stammelte Claus zweifelhaft. Denn er vermochte nicht mit Sicherheitanzugeben, wo jene Vlkerschaft sehaft wre. Was treiben die in Stralsund?

    Doch der Mnch schttelte ihn ab, ohne den stets regen Eifer des Wibegierigenbefriedigen zu wollen.

    Wozu brauchst du das erfahren, Claus? weigerte er sich vorsichtig. Waskmmern dich die Hndel von Knigen und Herren? Diesmal zwar handelt es sichum eine gerechte Sache, setzte er mehr fr sich hinzu, gilt es doch, die Horde dergesetzlosen Schuimer zu vertilgen.

    Da packte ihn der Knabe heftig am Kleid. Was sind Schuimer? drngte erungebrdig. Sag es mir.

    Der Mnch erschrak. Gar zu wild brannten die dunklen Knabenaugen in dieseinen. Das geheimnisvolle Wort, das im Volk fr die unter der schwarzen FlaggeHerumstreifenden umging, schien in der unbeherrschten Seele ein Feuer entzndet zuhaben. Wieder rettete der Pater seine Verlegenheit hinter strenge Abweisung.

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  • Schweig, befahl er. Was schiert sich ein Sasse, der von der Herrschaft gutgehalten wird, um die von jedem Ehrsamen gemiedene Brut der Friedlosen? DankeGott im stillen dafr der du ein nhrend Gewerbe und einen sicheren Platz hast da die Frsten und Stdtischen dem wsten Drang ein Ende machen wollen. Merk'dir, Bursche, solange das Gelichter nicht von der See fortgefegt wird, so langekannst du, wenn du ehrlich bist, unter deinem Dach nicht ruhig schlafen.

    Schon wurden die buntgeschirrten Rosse unter den Stmmen sichtbar. So bliebPater Franziskus nur noch Zeit, die Kinder beiseite zu schieben und den wesenlosGaffenden gutmtig zuzuflstern:

    Schaut auf die Vordersten. Ja, die Beiden. Das sind die Gesandten der Knigin.Der Drost Reichshofmeister Henning von Putbus. Und der Hauptmann Konrad vonMoltke. Gar stolze und mchtige Herren.

    Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Claus Beckera nun das sich entwickelndefarbige Bild. Er merkte nicht einmal, wie er dabei krampfhaft die Hand seiner kleinenGefhrtin ergriffen hatte. So bergewaltig, so betrend wirkte auf ihn der goldigeGlanz der Groen. Allmhlich spann sich ein feines, unwirkliches Netz vor seinehinstarrenden Blicke, und er zuckte beinahe schmerzhaft zusammen, sobald aus demGewebe ein besonders greller Blitz auf ihn zuscho. Da

    Trat aus der Pforte ber den Grasstufen nicht der Abt mit seinem Prior hervor?Beides hinfllige Greise. In seinem schneeweien Gewand, das goldene Kreuzklappernd auf den drren Gliedern, trippelte das Mnnchen, achtsam auf jedemAbsatz die Schleppe hebend, auf den ersten der Reiter zu, um endlich demReichshofmeister mit zitternder Hand einen silbernen Pokal entgegen zu reichen. Aufbreitem Gaul sa der Drost zurckgelehnt, die berlangen Beine gewaltig gespreizt,denn die flickenreiche Zaddeltracht beengte den hochaufgeschossenen Mann.Zwiefltig war das Staatskleid zusammengesetzt, auf der linken Seite rot, auf derrechten gelb, whrend Arme und Beine umgekehrt bekleidet waren. Dazu sa ihmeine ungeheure blaue Wulsthaube auf dem verkerbten Haupt, von der ihm noch eineriesige blaue Fahne fast bis an die Knie hinunterflo. Man sah ihm an, der lange Ritthatte ihm hei gemacht, denn er schob luftschpfend an dem schwarzen Ledergrtelunterhalb seiner schmalen Hften herum, und wenn die tiefliegenden lauerndenAugen nicht widersprochen htten, so htte man den Reichshofmeister der KniginMargaretha fr einen abgedienten und eitlen Hfling halten knnen. Aber die Augenwohnten ihm unter graustruppigen Brauen wie der Fuchs in seinem Bau.Aufmerksam, sprungbereit. Und ber die verschrumpfte Stirn flog manchmal einerhellender Blitz. Nicht umsonst ging die Sage, diese vermorschte, im Winde

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  • schwankende Leiter htte die Sprossen geboten, auf denen die zierlichen Feseiner Knigin bis in die kltesten Hhen der Staatskunst emporgeklettert wren.Doch die Sage fgte ihm Unrecht zu, denn er selbst hatte in dem frstlichenFrauengemach erst die unmerklichen Windungen und herzenskhlen Methodengelernt, die die nordische Welt jetzt in Spannung hielten. Von ganz anderer Art warsein Gefhrte, der dicht neben ihm seinem gescheckten Schimmel wuchtig denschweienden Hals klopfte. In einem verregneten Lederkoller hockte derHauptmann Konrad von Moltke auf seinem abgetriebenen sehnigen Gaul. Seinlinkes, von einem grnen Strumpf umspanntes Bein hatte er lssig in die Hhegezogen, so da er den Arm darauf sttzen konnte. Und auf diesem ruhte wieder dervllig kahle, in der Sonne glnzende Schdel, unter dem eine krumme Geiernaserauflustig und hochmtig in die Welt stach. Die eiserne Sturmhaube, die denbeinernen Totenkopf wohl allzusehr drcken mochte, hing ihm schaukelnd vomSattel, und die rot verschwollenen Augenlider blieben hartnckig geschlossen,vielleicht vor Mdigkeit, vielleicht aus Abneigung gegen das Mnchsgesindel, demseine Herrin so auffallende Bevorzugung erwies. Man munkelte da allerlei. Derverkniffene Mund des Dnen jedoch redete laut von Geiz und Beutesucht.

    Er sieht aus wie der Seeadler, wenn man ihm die Federn ausgerupft hat, dachteClaus Beckera staunend, ohne den gierigen Blick von dem Knochenmann abwendenzu knnen.

    Inzwischen hatte sich die hinfllige Kinderfigur des Abtes auf den Zehenaufgerichtet. ngstlich vor dem scharrenden Braunen ausweichend, reichte er demReichshofmeister seinen Becher dar. Das Mnnchen, dem ein paar einzelne graueLocken verloren um die Stirn flatterten, machte unverkennbar den Eindruck, als ober sich hinter seinen Pergamentrollen wohler fhle als bei dieser ungewohntenStaatshandlung.

    Herr Henning von Putbus, lispelte er ohne Mark und kaum hrbar,Reichshofmeister und Drost der gromchtigen

    Hier klatschte der Knochenmann seinem Gaul hchst wuchtig gegen den Hals undkniff seine Lider immer unbegreiflicher zusammen.

    Der Abt verwirrte sich.

    Der Herr fhrte Euch zum Segen an die deutsche Kste, stotterte er verlegenund begann mit dem Becher hin und her zu zittern. Er fhrte Euch an die Kste ja und mge die Tagfahrt zu Stralsund Euren Wnschen entsprechen.

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  • Hflich streckte der Hagere seine Beine noch steifer von sich, ergriff den Becherund verneigte sich so geschmeidig, wie man von dem vertrockneten Gerst in demGeckengewand kaum erwarten konnte. Da der redliche Abscheu Eures Ordensgegen die Vergewaltiger der See bekannt ist, sprach er ziemlich unbeteiligt, sowerden Eure Gebete mit uns sein. Ich wei ich wei. Er fhrte den Pokaloberflchlich und ohne zu nippen an seinen Mund. Sein Nachbar jedoch, derHauptmann von Moltke, ri ihm ungeduldig den Pokal, bevor er noch dazuaufgefordert wurde, aus der Hand, tat einen tiefen Blick hinein und strzte dasGetrnk gierig hinunter. Der Kriegsmann mochte durstig sein. Allein unvermutet hielter inne, und whrend er bse die verschwollenen Augen aufri, go er gereizt denRest auf die Erde.

    Gemischt, knurrte er, und seine Stimme klang, wie wenn man Scherbengegeneinander reibt. Himmel und Hlle ich

    In diesem Augenblick schlug erneutes Pferdegetrappel aus dem Wald heraus, derReiter verschluckte das weitere, hob die abschreckend drre Hand und schwenktesie dem neuen Ankmmling entgegen. He, Cona, krhte er immer in demselbenbitteren, menschenverachtenden Ton, meiner Seel, Ihr standet gut im Futter, seit wiruns zuletzt begegneten. Wit Ihr noch auf der Tagfahrt zu Wismar? Man sagt,Liebwertester, Ihr httet ber See recht eintrgliche Geschfte betrieben. Undkenntet die Schliche der Schuimer aus Erfahrung.

    Es mute eine besonders giftige Anspielung in jener Anrede liegen, denn derReichshofmeister, der pltzlich noch fahler aussah als gewhnlich, hob abwehrenddie Rechte, schpfte vergeblich Luft und versuchte, sein Unbehagen hinter einembegrenden Lcheln zu verbergen. Er brachte es jedoch nur zu einem Grinsen,zumal er wahrnahm, wie der Graf von Cona, der nun in der Abendsonne dicht nebenseinem jungen Sohne mitten auf der Lichtung hielt, verrgert und beschmt das feisteVollmondgesicht verzog. Sphend blinzelte der so Wohlgenhrte im Kreise umher,ob auch die Mnche den beienden Spott verstanden htten. Dann strich er mit derfleischigen Hand ber den halblangen blauen Tappert, der ihn schlafrockartigumhllte, und stie endlich kurzatmig, nach Art der Dicken hervor:

    Seid gegrt, Ihr Herren. Auch du, Moltke. Immer munter. Immer gelenkig.Wollen absteigen und das Nachtmahl einnehmen, das der Herr Abt fr uns gerstet.Aus leerem Magen steigt zudem allerlei verwirrtes Zeug. Und wenn es Euch wirklichErnst gegen die Freibeuter ist, die ja manchem ein verstecktes Pltzchen gut zubezahlen wuten nicht wahr, nicht wahr, so ist es doch? dann werden wirmorgen in Stralsund weiter sehen. Werden sehen, wo unser Vorteil liegt. Und nun zu

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  • Tisch, liebe Herren.

    Schwerfllig und chzend schwang er das rechte Bein vom Ro. Allein durch dieweitausladende Bewegung des unfrmlichen Krpers mochte der drre unruhigeGaul des Dnenhauptmanns gereizt werden. Mit einem schrillen Wiehern stieg dasTier kerzengerade in die Hhe. Ringsum wurde ein einziger Schrei laut. Doch ohneZgern schlossen sich die sehnigen Beine des Kriegers um den Leib seiner Scheckezusammen. Ja, er rhrte sich kaum, so fest sa er im Sattel. Zu gleicher Zeit aber sahman, wie der Knabe im weien Kittel hochauf in den Zgeln des Schimmels hing.Die kleinen Fuste rissen erbarmungslos am Maulbgel des Tieres.

    La los, krhte der Dne ungehalten und fletschte die stockigen Zhne. Da wardas Pferd schon zur Erde gebracht. Und der Helfer stand nun, keineswegs befangen,sondern die Hnde stolz in die Hften gesetzt, geschwellt von einem rauschendenKraftgefhl, mitten in dem ihn umgaffenden Kreis. Wieder merkte er es kaum, daseine Gefhrtin auf ihn zugestrzt war, um ihm ngstlich Brust und Glieder zubefhlen.

    Unsinn, schimpfte der Hauptmann mifllig. Ragazzaccio maledetto!vervollstndigte er seinen Fluch auf welsche Art, denn er hatte sich seinen erstenKriegsruhm in den italienischen Stdtekriegen erworben. Gezwungen nestelte er anseiner Ledertasche, um dem Buben ein paar Scheidemnzen zuzuwerfen, doch einerbesseren Einsicht folgend unterlie er diese Spende wieder auf halbem Wege.

    Wer ist der Bursche? fragte statt seiner der Graf von Cona, der inzwischen aufkrummen Beinen neben dem gleichfalls abgestiegenen Reichshofmeister stand. Undda er den einfachen linnenen Kittel und daneben den prchtigen Wuchs des Knabennicht recht zusammenzureimen wute, setzte er dringlich hinzu, denn die nahe Tafellockte den immer Hungrigen: Schnell, schnell, wer ist es? Gbe einen stattlichenKnecht.

    Eine Stille entstand. Bis das Schweigen von der Stimme des Bruder Franziskusunterbrochen wurde. Einem unwiderstehlichen Trieb folgend, hatte sich der Pater vordie Kinder aufgepflanzt. Jetzt gab er besorgt die Auskunft:

    Es ist der Sohn des Fischers Claus Beckera.

    Das ist ein lauer Hund, stotterte der Dicke, der im ersten Augenblick seineunangenehme berraschung nicht meistern konnte. Sorgt schlecht fr uns. Undsein Doppelkinn unter dem Kragen des blauen Tappert weit hervorschiebend,begann er vor Verlegenheit zu poltern: Wozu treibt sich der Sasse hier herum?

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  • In das Antlitz des Jungen war Hitze gestiegen, bse zerrten die dunklen Augen andem blauen Faltenrock herum.

    Mein Vater schrie er.

    Da wurde er von dem Mnch zurckgerissen. Zugleich fhlte er, wie ihm dieLippen fest verschlossen wurden.

    Er hat eine Sternscholle fr die Tafel gebracht, erklrte der Bruder ruhig undzeigte nach dem Mauervorsprung, auf dem der Riesenfisch in der Abendsonneglitzerte.

    Neugierig wandte sich der Graf. Mochte es nun sein, da ihn der Anblick desmchtigen Fanges vershnte, oder war er sonst froh, der lstigen Begegnungberhoben zu sein, gemtlich schob er seinen Arm unter den des Reichshofmeistersund zog ihn mit sich.

    Man speist gut bei den Brdern, schmatzte er mit breitem Lachen. Wer wei,welche berraschung unser wartet. Kommt, Herr Drost, ihr Herren kommt. Mansoll den Koch nicht warten lassen.

    So zogen die Gste, gefhrt von den Mnchen, durch die enge Pforte ber denGrasstufen. Die Knechte leiteten die Pferde um die Mauer herum in die Stlle, undbald lag die Lichtung in Einsamkeit.

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  • Nur ein einzelner Reiter war zurckgeblieben. Auffllig zgerte er mit demAbsitzen, lenkte seinen Rappen vielmehr spielerisch hin und her, bis der JunggrafMalte von Cona seinen Entschlu gefat haben mute. Mit einem Sprung setzte seinPferd hinter den bereits heimkehrenden Kindern her, und whrend dieJungmnnerfaust keck und ohne Umstnde in die Haarflechten des aufschreiendenMdchens griff, rief er wie zur Beruhigung mit einem zugleich harmlosen undgebieterischen Lachen, denn das Ganze sollte nach der Sitte der Zeit einen Scherzdarstellen.

    Dirn, versteh Spa, wo kommst du her?

    Die Kleine starrte ihn mit blauen Augen flehentlich an und begann vor demvornehmen Herrn zu zittern.

    La ab, Herr, stammelte auch Bruder Franziskus in aufsteigender Emprung,es ist noch ein Kind.

    Doch der Jngling warf dem Mnch nur einen verchtlichen Blick zu, eskmmerte den Geschorenen nichts, mit wem der Grundherr seine Belustigung aufoffener Strae treiben wollte. Doch verwunderlich dnkte es den Reiter, auf welcheWeise der Fischerknecht den gndigen Scherz aufnahm. Atemlos lehnte der weieKittel an einer mchtigen Buche, von wo der Knabe zuvrderst ohne genaueErkenntnis des Vorganges die bunte Pracht des Adligen in unruhiger Gier verschlang.Die berlangen Schnbel der rosa Strmpfe, die enggeprete rote Schecke desWamses und darber den kurzen gelben Kragen, der mit blitzenden Gold- undSilberstcken besetzt war. Und doch die Faust des Burschen ri und zerrte dabeiauf eine sonderliche Art an einem stmmigen Ast herum. Wollte der Lmmel etwadie schuldige Ehrfurcht vergessen? Unglubig und geringschtzend zuckte der Junkerdie Achsel, dann lie er seinen Blick von neuem hartnckig ber die feine Gestalt derDirne laufen, die sein Anruf so vllig der Sprache beraubt hatte.

    Komm zu dir, Rotrckchen, meinte er ungeduldig, obwohl er beifllig genug aufdie nackten Fe des Kindes herabschaute. Wo kommst du her? Bist du dieSchwester des Sassen da?

    Noch immer hielt er das Ganze fr einen ihm ziemenden Scherz und wunderte sichnur, warum das Mdchen so sehr in Zittern und Beben versank.

    Nein, flsterte sie und senkte das Haupt, ich bin Anna Knuth.

    Und meiner Mutter Schwestertochter, sprach Claus hart dazwischen. Er hatte

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  • den Ast herabgerissen und trat nun, auf alles vorbereitet, nher. Dabei schauertenseine Glieder dennoch wie im Frost, denn die vererbte Achtung bumte sich gegendie Gier, ein Abenteuer zu erleben. Rastlos schwankte die Zufallswaffe in seinergekrampften Faust. Er wute selbst nicht, wogegen er kmpfen sollte.

    Du bist nicht gefragt, schleuderte ihm der Junggraf unwillig entgegen, wobei erherrisch die Rechte vorwarf, als wolle er die nahende, die unbegreifliche Auflehnungan ihren Platz bannen. Gleich packst du dich von dannen, Tlpel.

    Der im weien Kittel rhrte sich nicht. Nur der Buchenast hrte auf zu zittern, ja,das Holz gewann von Minute zu Minute eine immer straffere Spannung. Eine Weileverharrten die drei Gestalten bewegungslos, wie in der Tiefe eines Traumes. Selbstdas Pferd stand gepret unter dem einfangenden Druck. Da vermochte sich derCisterzienser in seiner Herzensangst am frhesten aus der Lhmung emporzuraffen.Kaltbltig schritt er, als wre nichts Erhebliches geschehen, bis dicht an die Flankedes Rosses heran, um dort dem Tier kosend ber den Hals zu klopfen. Mit groenAugen verfolgten die Jungen, die Aufgeregten, sein Tun.

    Ja, es sind Annerbulkenkinder[*], sprach er im weichen Dialekt der Gegend,und keine Hast, keine Unruhe verrieten in dem ebenen Antlitz, wie sehr er mit derberlegenheit des Alters bemht war, die aufgepeitschten Sinne der anderen zubesnftigen. Anna Knuths Vater ist ertrunken. Man sagt, die Schuimer htten ihn insMeer geworfen. Da hat sich ihre Mutter nun ein Httlein dicht neben den Beckeraserrichtet, und Mutter und Tochter nhren sich recht und redlich vom Mattenflechten.Ein mhselig Gewerbe, Herr, das die Finger zerschneidet.

    [*] Vetter und Base.

    Weisend hob er den Arm der Kleinen empor, und der Graf bemerkte nunverdutzt, wie die Hand der Blonden von schwrzlichen Kerben durchfurcht war. Daslenkte seine unberlegte Begehrlichkeit wohlttig ab. Sofort suchte er nach Art dergroen Herren das Leid der Armen durch ein Almosen zu lindern.

    Warum sagtest du das nicht gleich, dummes Gr, tadelte er wohlwollend,whrend er ungestm an einer Silbermnze seines gelben Kragens herumdrehte.Matten? Gut, da magst du die weichsten von deinem Geflecht auf unseren Hofbringen. Mein Hund soll darauf liegen. Und hier, Rotrckchen, hier hast du deinenLohn im voraus.

    Lachend, mit einer freigebigen Gebrde schleuderte er den abgerissenen Knopfdem Mdchen vor die Fe. Und ehe die drei Zurckgebliebenen sich noch

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  • besinnen konnten, hatte der gewandte Reiter seinen Gaul zur Seite geworfen undsprengte nun um die Mauer herum dem Stalle zu.

    Eilt nach Hause, drngte der Bruder die beiden Kinder, die bestrzt auf das sichentfernende Klingeln der silbernen und goldenen Mnzen lauschten. Geht gehtrasch, der Mann will euch nicht wohl.

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  • III.

    ie saen in der Htte der Beckeras zum kargen Nachtmahl vereint. Die Alten hattenihren Hunger bereits gestillt und hockten ausruhend am Herd, von wo einverglimmender Kienspan leuchtete. Zu ihnen hatte sich Anna Knuths Mutter gesellt,ein hageres, frh ergrautes Weib mit unzhligen Sommersprossen im abgemagertenAntlitz. Arbeitsverbittert sah sie aus, und vor der hereinstrmenden Khle desMeeres frstelte die Abgezehrte hufig zusammen.

    Kalt immer kalt, schttelte sie sich. Dann hob sie den gespendetenSilberknopf von ihrem Scho, um ihn beinahe unglubig gegen den ungewissenLichtschein zu kehren. Warum er das wohl geschenkt? suchte sie in fruchtlosenZweifeln zu ergrnden; als aber die Hausfrau, die prall und rund, voll gesparter,selbstbewuter Kraft ihr gegenberlehnte, eine heftige Bewegung gegen die Esseausfhrte, wie wenn sie das Wertstck am liebsten in die Flammen schleudernmchte, denn Hilda kannte die Aufmerksamkeiten der Herren, da schttelte dieMattenflechterin mde das Haupt. Nicht doch nicht doch, wehrte sie sichgegen diesen Gedanken ihrer gewaltttigen Schwester. Wie kme ich wohl jewieder zu solch einem Schatz? Morgen segle ich nach Stralsund und kaufe fr unsDecken. Die Hauptsache ist, da wir es warm haben.

    Ja, ja, hbsch warm, murmelte der alte Claus Beckera und zog seine allmhlichspindeldrr gewordenen Beine bis tief unter seinen Sitz, da der Husten, der nicht zumAusbruch kommen wollte, seinen ausgemergelten Leib wieder verkrmmte. Mituerster Kraft rang er danach, das laute Bellen zu verhindern. Nicht eigentlich, umseine Umgebung nicht zu erschrecken, denn der kranke Riese war noch immer nichtzart und nachgiebig geworden. Nein, er mochte nur nicht die Augen des Weibes so

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  • gro und erkennend auf sich gerichtet fhlen. Das Weib wute alles, sie war klug undlie sich nicht tuschen. Ja, der Fischer glaubte, sie lese ihm Zeit und Stunde desKommenden ganz sicher von der Stirn. Und dagegen strubte er sich. Es war wohlnoch gar nicht so schlimm, und er wollte einmal sehen, wer zher war, er oder dieAugen von ihr.

    So strich er sich scheinbar aufgerumt ber die Welle des roten Bartes, der jetztdoppelt scharf gegen die vergilbten, eingefallenen Wangen abstach, und gegen denTisch gewandt richtete er die wohlwollende Ermahnung an seinen Sohn:

    I, Jnging, i.

    Der Knabe trumte vor der rohen Platte, hielt das Haupt aufgesttzt, und nur abund zu fhrte er den Holzlffel ungewi und willensunmchtig in den Napf mit demwarmen Hirsebrei. Seine sonst so blitzenden Augen aber hatten sich verschleiert, wienach innen gerichtet schienen sie Bilder und Vorstellungen zu verfolgen, die auf demGrund seiner Seele dahinstiebten. Unwillig zuckten seine Lippen oft, als knne er dasFliehende weder erkennen noch festhalten. Betroffen beobachteten seineAngehrigen das an dem immer Unruhigen befremdliche Wesen.

    I, Claus, bat die kleine Anna Knuth, die dem Versunkenen gegenber sa,wobei sie ebenfalls versumte, ihren Lffel gegen den Napf zu lenken, denn ihrGemt nahm willigen Anteil an dem vlligen Verstummen ihres Gefhrten. Wir sindlange gelaufen du bist mde.

    Doch auch diese warme Bitte erreichte den in Fremdes Hinabgetauchten nicht.Offenbar hatte er die sanfte, demtige Stimme gar nicht vernommen. ber dieSchulter seiner Freundin hinweg starrte er immer ausdrucksloser durch die offeneLuke der Htte, dorthin, wo das letzte Abendrot fern auf den Wassern schaukelte.Langsam stieg die blaue Wand der Nacht ber die Rnder der See. Und zugleichverfinsterte sich auch die Stirn des Trumenden immer aufflliger.

    Willst du wohl antworten, wenn man dich fragt? drohte Hilda, seine Mutter,ungeduldig. Heftig war sie hinter den Schemel des Sohnes getreten. Nun lie sie ihreHand klatschend auf den Nacken des Abgewandten niederfallen. Ihre lebhafte,tatbereite Natur strubte sich gegen solch ein zweckloses und unheimlichesHindmmern. Was hatte der groe, krftige Bursche in sich hinein zu horchen, anstattseinem arbeitsunfhigen Vater hilfreich zur Seite zu stehen? Verlangte doch der Vogtnach wie vor den vollwichtigen Fang. Junge, willst du wohl?

    Mutter, unterbrach der kranke Riese erschreckt, indem er abermals gegen den

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  • gefhrlichen Hustenreiz ankmpfte, und dabei versuchte er, sich zu erheben, was ihmaber nicht sofort gelang. La la den Jungen. Wer wei, was er hat. Er trgtGedanken in seinem Kopf. Und Gedanken kann man nicht immer verstehen.

    Hieraus war zu entnehmen, was Hilda lngst wute, da der alte Beckera inscheuer Achtung vor der wilden trotzigen Art seines Sohnes dahinlebte, da er abergeradezu in Aberglauben und Bewunderung versank, sobald sein Pfleglingmerkwrdige Fragen und Ansichten uerte, wie sie der Rotbart in seinemeinfrmigen Gewerbe niemals fr mglich gehalten. Je weniger der Plumpe einderartiges hitziges Arbeiten des Hirns begriff, desto rckhaltloser fhlte er sichheimlich geschmeichelt, weil solches an seinem eigenen Sassenherde geschah.

    La ihn, Mutting, la, wer wei?

    Ih, was hier, wer wei? schalt Hilda. Was ntzt das? Sie schlug noch einmalzu.

    Mit einem Sprung war der Knabe auf den Fen. Der zweite Hieb hatte ihngeweckt. Der Napf auf dem Tisch zitterte vor dem ungestmen Auffahren, selbst derKienspan auf dem Herd schickte seine Flamme in dem Luftzug rauchend zur Hhe.

    Was ist? ermannte sich der Bursche, und seine Blicke umfingen seineAngehrigen so dunkel und fremd, da alle merkten, sein Krper sei eben erst, wieein Stein aus Himmelshhen, unter sie gefallen.

    Staunend, mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ihn der alte Beckera, seinharmloses Gemt bckte sich tief vor diesem vornehmen Entrcktsein in eine andereWelt. Abwehrend hob er wiederum die abgezehrte, faltenreiche Faust.

    La, murmelte er noch einmal, kaum hrbar.

    Die Mutter aber wnschte ihren Jungen aus seinem zwecklosen Hindmmernaufzujagen.

    Fehlt dir was? forschte sie barsch, whrend sie ihm ohne weiteres den Holznapffortnahm, denn die Ziegen konnten noch recht gut von den Resten gesttigt werden.Wozu hockst du hier und glotzt vor dich hin?

    Heftig schttelte sich der junge Claus, dann sprang er an die offene Luke und trotzder feuchten Abendluft ri er sich den weien Kittel vorn am Hals auseinander, bisihm der Zugwind ber die nackte Brust splte.

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  • Kalt, frstelte die Mattenflechterin in ihrer Ecke wehleidig zusammen. Auch deralte Fischer hustete unvorsichtig.

    Zu warm, viel zu warm, wehrte sich der Knabe. Pltzlich aber warf er dasbraune Lockenhaar ungestm zurck und fhrte mit geballter Faust einenbesinnungslosen Hieb gegen die Bohlen des Fensters. In Wut und strmischerAuflehnung entlud sich, was in seinem schwelenden Hinbrten bedrohlich gegen ihnaufgestanden war.

    Wir wissen hier von nichts, schrie er in bitterem Zorn, und seine funkelndenAugen klagten alle Anwesenden der Reihe nach eines unshnbaren Verbrechens an,wir wissen nichts von dem, was drauen geschieht.

    Verstndnislos maen sich die anderen. Allein, wenn sie auch nicht begriffen,wonach diese entfesselte und von einem flchtigen Lichtstrahl geblendete Seeleschrie, die unverbildeten Menschen fhlten doch, da sich hier etwas Ungewohntesund in seiner Anmaung Gefhrliches rege, etwas Aufstndisches, Unbotmiges,das mit den Fusten gegen den Kfig der Unmndigkeit und des Elends zu hmmernbegann. Und das erfllte sie mit Abneigung und Mitrauen. Die geduckten Nackenhatten ja lngst verlernt, sich zu recken, und weil sie zu tief in Abhngigkeit gebeugtwaren, so hielten sie es beinahe fr eine Wohltat, die unwissenden Hupter nichtmehr dorthin erheben zu brauchen, wo in der Hhe die Blitze zuckten. Gott bewahreuns vor Ungemach. Unwillkrlich falteten sich ihre Hnde. Und nur der kranke Rieseatmete ein paarmal mhsam auf, aber als er sich zu einer kleinlauten Frageanschickte, da bebte doch etwas von zurckgedrngter Genugtuung in seinergebrochenen und heiseren Stimme, denn ihm kam es vor, als wenn seine Htte durchall dies sehr geehrt und begnadet wrde. Gott wahre uns vor Ungemach.

    Was wissen wir nicht, Jnging? rusperte er sich demtig und klammerte sichmit beiden Fusten an das Lehnbrett seines Schemels, um aufrecht sitzen zu knnen.Was wissen wir nicht?

    Da bi der Angeredete in seine Unterlippe und zugleich rttelte er, von neuerBesessenheit befallen, an der Umfassung der Luke, als msse er sich durchaus einenverbreiterten Ausblick schaffen. Dazu tobte er voller Verachtung gegen dieDumpfheit, die ihn hier umgab.

    Wit ihr, da ein paar Meilen von uns zu Stralsund eine Tagfahrt gehalten wird?Was ist eine Tagfahrt?

    Der alte Fischer ri an seinem langmhnigen Bart, die Brust drohte ihm

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  • stillzustehen, und durch sein blondgraues Struwelhaar drang ihm der Schwei. Vorberraschung verging ihm vllig das Denken. Alle guten Geister, um was kmmertesich die junge Brut?

    Groe Herrensache, vermochte er endlich seiner Atemnot abzuringen, siereden da.

    Sein Pflegling trat ihm nher.

    Von was reden sie da? forderte er begierig.

    Den Alten umwirrte jetzt vollkommene Betubung. Noch nie war so etwasUnntiges von ihm verlangt worden. Und nun gar von dem angenommenen Sohne.Und doch ergriff ihn die ungewisse Ahnung, in diesem Drngen wehe eine kstlicheLuft, nach der er sich schon lange gesehnt, weil sich in ihr atmen liee. Ja atmen,atmen, denn das Ersticken nahte wohl bald. Hohl sthnte er auf, dann keuchte erhervor:

    Sie reden da von uns, und was man uns nehmen soll, damit wir steuern.

    Es klang wie das Heulen eines gemihandelten Hundes. Alte Erinnerungen vonZwang und Demtigung richteten sich in dem Gestammel empor. Und bei diesenaufreizenden Lauten beugte sich ihm der Sohn lauernd entgegen, und seine Augendrohten unheilverkndend in der Htte umher, als suchten sie jetzt schon denEindringling, der da kommen sollte, um erpretes Gut zu verlangen. Gott schtze unsvor Ungemach. Welcher Geist war zur bsen Stunde in das junge Blut gefahren!

    Sie reden da von uns? Und fragen uns nicht? rang es sich wie von selbst ausdem erwachenden Bewutsein ab. Sind wir denn Steine?

    Der alte Claus zitterte vor Angst. Ganz unvermittelt schmte er sich, weil er sichvon dem Unbekannten soweit verleiten lie.

    La, mein Jnging, la, wir verstehen das nicht.

    Eben, wir verstehen das nicht, zischte der Knabe. Ratlos schlug er sich mit derFaust vor die Stirn.

    Vom Herd erhob sich eine schrille Stimme. Dort stie Hilda die Feuerzangewtend unter ihre Tpfe. In Scherben klirrte ein Napf auf den Ziegelestrich.

    Was ist das fr ein Zeug? zeterte sie in ihrer Befrchtung, rchendeHerrenhnde knnten sich an ihrem lebenden Schatz vergreifen. Hab' ich dich dazu

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  • aufgefttert, damit du hier allerhand Unkraut sst? Meinst du, wir knnten vomWortefangen leben? Gleich schere dich dort hinaus, wohin du gehrst. Oder willst duabwarten, bis dir die Peitsche des Vogts Beine macht?

    So laut ihre Stimme auch gellte, der schlanke Bursche wandte den Blick auf dieeifernde Frau, aber ihre Vorwrfe glitten von ihm ab, als wren seine Ohren nochimmer fr die Dinge des Alltags und der einfrmigen Gewohnheit verstopft. Aufrechtstand er da, pltzlich ein Fremder unter diesen kleinen furchtsamen Sassen, von derZaubergerte einer Erkenntnis berhrt, die er nicht zu bewltigen vermochte; und nurals durch seine Trume das Wort Peitsche hindurchpfiff, da zuckte ein kurzerSchauer ber seinen Nacken, und seine Hnde zitterten widerstrebend nachrckwrts. Gleich darauf jedoch war auch diese Schwche abgeschttelt und erkonnte geschmeidig bis dicht an den Sitz des Alten herangleiten, um demaufhorchenden Fischer von neuem zuzuflstern:

    Sag' mir, was sind Schuimer?

    Oh, oh, winselte Anna Knuths Mutter klglich, und zu gleicher Zeit nestelte sieaufgescheucht den silbernen Knopf in einen Schlitz ihres Rockes. Bse Menschen,Claus, glaub mir, bse Menschen. Sie segeln in ihren Raubschiffen, sie plndern dasGut der Reichen und morden die Armen. Ich kenne sie. Versaufen undverschlemmen in einem Tag, was wir des Jahres zusammengescharrt.

    Seid still, stie Hilda an ihrem Herd hervor. Leichenbla war sie geworden, seitihre Sorge um ihren Einzigen sich an einen bestimmten Begriff klammern konnte.Sprich ein Ave, mein Jnging. Ein frommer Christenmensch darf die Rotte nichtkennen.

    Ave Maria, heilige Mutter sprach die kleine Anna folgsam vor sich hin.Auch ihr Gespiele faltete unwillkrlich die Hnde, denn der Wunsch der Mutter galtdem Aufgestrten immer noch als ein unabwendbares Gebot. Dennoch hinderte ihndie Bewegung nicht, seinem Vater abermals zuzuraunen:

    Wer aber hat die Mnner so weit gebracht?

    Ja, wer? murmelte der Fischer betubt. Pltzlich aber fate er den Kopf desSohnes in beide Hnde, und sein Leid und seine Krankheit und die Bedrngnis einesganzen Lebens vom Grund seiner Seele auffegend, schrie er unvermutet in irremGeheul:

    Die Not, mein Jnging, ich mein' die Not.

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  • Ja, die Not, sprachen die anderen jetzt gepackt und gleichfrmig vor sich hin.

    Da war der fesselnde Bann von dem Knaben gewichen. Ungehindert und in derLust sich zu befreien, brannte es hemmungslos aus ihm weiter:

    Und wer gibt den Herren seidene Kleider und uns Lumpen? Wer gibt ihnen Goldund Edelsteine und uns die Peitsche? Und wer gibt ihnen die fremden Sprachen, diewir nicht verstehen, und uns und uns die Dummheit?

    Ja, wer, wer? wiederholten die anderen geistesabwesend.

    Die armen Menschen hockten da, als seien sie mit Ngeln an ihre Sitze geheftetund mten es dulden, da ihre Zungen die Eingebungen eines fernen Geistesnachfften. Endlich endlich entri sich Hilda jener lhmenden Verzweiflung. Miteinem Sprung war sie bei ihrem Kinde, das sie der Macht des Teufels entreien zumssen whnte, ein Schlag ihrer geballten Faust schmetterte mitten in sein weiches,fieberndes Antlitz.

    Mutter!

    Da ri sie ihn an seinen langen Haaren und schleifte ihn fast bis zur Schwelle derKate.

    Gleich packst du dich in dein Boot, schumte sie in bertriebener Wut, obgleicheine unnennbare Angst ihr die Seele zudrckte. Geh geh, Miggnger undMaulaffen brauchen wir hier nicht. Bring lieber was Tchtiges heim, damit wir Ruhehaben vor dem Vogt. Und gnade dir Gott, wenn du jemals wieder dein Maul auftustber Dinge, die uns nichts angehen. Ohne jeden bergang fiel sie dem schon in dieNacht Geschobenen um den Hals, klammerte ihre Arme fest um seinen Nacken, undzum erstenmal hrte der berwltigte Sohn seine Mutter betteln und sthnen:

    Tu's nicht, mein liebes Kind schlag' dir solche Gedanken aus dem Kopf.Taugen nichts fr arme Leut' richten dich und uns zugrunde. Sieh, die Herren sindnun einmal in Samt und Seide geboren und leiden nichts anderes. Geh sei wiedermein lieber, guter Junge geh, geh! Gewaltsam drngte sie den Zgernden, der inheier, geweckter Zrtlichkeit ihren Mund suchte, von sich und wute nicht, da sieihn seinem Schicksal entgegentrieb.

    Noch befangen von all dem Widerspruchsvollen glitt Claus die Dnen hinab; aber

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  • je klter ihm der scharfe Seewind um die Ohren strich, desto klarer erholten sichseine lebhaften Sinne, und kaum sprten seine Fe den feuchten Strand unter sich,da hatte das bewegliche und stets nach Neuem schweifende Gemt des Knabenbereits den Streit mit den Seinen vergessen. Krftig zog er sich den Ledergrtelenger und horchte im Schreiten auf das unheimliche Schreien der wilden Schwne.

    Jetzt eine Armbrust, wie sie den Herren eignet, dachte er, und ein paarstattliche Federn fr die Kappe sollten mir nicht fehlen.

    Die Nacht und die graue Leere, die sich wie ein offenes Tor auftat, schrecktenund hinderten ihn so wenig, da seine Augen vielmehr anfingen, halb im Spiel denSchimmer der weien Strandwellen von dem Gefieder der belauschten Vgel zuunterscheiden. Sie kmpfen da drauen, urteilte er gespannt, und stoen einandergegenseitig die Brust ein. Und dann scho es ihm durch den Kopf, ob es nichtmglich sei, sich solch ein knigliches Tier zu zhmen. Noch niemand hatte das zwarversucht. Es mochte wohl schwer halten. Aber sein nach Pracht und Glanz ewigdrstendes Herz wurde von dieser Idee vllig bestrickt. Beinahe verga er bereitsdie Jagd nach den unsichtbaren Geschpfen.

    Man mte gegen den Wind heranschleichen murmelte Claus, und dann Da stutzte er. Dicht neben dem Pfahl, an dem sein Boot angebunden lag, erhobsich eine dunkle Gestalt. Der breite, untersetzte Mann mute bis dahin auf demBordrand gesessen haben, jetzt wendete er sich voll dem Ankmmling entgegen, unddurch die Nacht schimmerte zuvrderst eine gewaltige Schdelplatte. Auch wenn dieschwere, wuchtige Figur noch tiefer von Finsternis bedeckt gewesen wre, diesesbeinerne Dach, gegen das sich rechts und links zwei dicke graue Haarwlsteabbuschten, wrde den Besitzer verraten haben. Zudem stand niemand so herrischauf gespreizten Beinen wie der Vogt. Schweigsam musterte der Sechziger denFischer, denn auch seinen Blicken bot die Dunkelheit kein Hindernis, und erstnachdem er ein paarmal ber die kurze, vermottete Bartkrause gestrichen, spuckteer hart und abfllig, wie es in seiner Art lag:

    Der Mond steigt schon. Warum kommst du so spt?

    Ich?

    Ja, dich meine ich, wen sonst?

    Oh, da war es abermals. Claus Beckera kniff die Fuste zusammen, bis die Ngelihm ins Fleisch schnitten. Und doch erzhlten seine mhsam zurckgepretenAtemzge ganz deutlich davon, welche Anstrengung es ihn kostete, um seinen

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  • unzhmbaren Ha gegen den ewigen Zwang hinunterzuwrgen. Knirschend vorberwindung bckte er sich, und seine Hnde rissen viel heftiger an den Strickendes Bootes herum, als ntig gewesen wre, um die Knoten zu lsen. Dabei stie erhinter zusammengebissenen Zhnen hervor, da er ein Segel besitze und deshalb vielschneller die Fahrt zurcklegen knne, als es selbst der Vogt mit seinen plumpenRudern vermchte. Und berdies allein das weitere verlor sich. Schon stemmte erdie Schultern gegen den Kahn, und unbekmmert um den Beobachter begann er dasSchifflein zwischen den groen Steinen hindurchzuschieben.

    Aufmerksam hrte der Vogt zu. Endlich jedoch nickte er wie in galligemVergngen ber die Kraft des Jungen, dann uerte er mit seiner markigenGelassenheit:

    Schn, du wirst dein Segel ntig haben, denn ihr seid im Rckstand. Langewarte ich nicht mehr.

    Claus Beckera schob, er schob, als ob er den Strand von den Wldern undBergen losreien wollte. Ruhig lie es der Vogt geschehen. Als aber der Bug desSchiffes gerade in das Wasser hinabtauchen wollte, da schlenderte er pltzlich nherund legte seine Faust hemmend auf den Bordrand.

    Ruckartig fuhr der Bursche empor. Was gibt's? drohte er gepret, und jetztkonnte er es nicht mehr hindern, da sich das Weie seiner Augpfel unheimlich zudrehen begann. Wozu hltst du mich, Vogt?

    Voll dumpfer Warnung durchschnitt es die Nacht, der salzige Wind fhrte frmlichdie Vorahnung einer Gewalttat, den Ruch eines aufschnellenden Raubtiersprunges,mit sich; doch den Machthaber schien diese sich windende Bosheit mehr zuergtzen. Fast wohlwollend knurrte er:

    Kuck, Shnlein, deine Lichter funkeln wie faules Holz. Wollen sehen, ob man siezu was Ntzlichem brauchen kann. Er warf den Arm vor und wies seitwrts gegendas Meer. Pa auf, was siehst du da?

    Von dem Ernst des Mannes getroffen, kehrte sich Claus berrascht derangedeuteten Richtung zu, heimlich geschmeichelt, weil der Gefrchtete offenbarseine Hilfe in Anspruch zu nehmen gedachte.

    Nun? forschte der Alte nach einer Pause.

    Merkwrdig, der Junge beugte sich ber das Boot und starrte hinaus. Zu seinerLinken, dort, wo der Umschwung der Wlder dunkel und schwarz zur Stubnitz

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  • abbog, glomm ein schmaler Feuerstreifen auf dem Gewsser. Eine schaukelnde roteLache wiegte es sich, immer wieder von der ebbenden Flut zerrissen und ebensooftvon neuem zu einem losen, blitzenden Flie gesammelt. Auffllig stach der Scheinvon den blassen, silbernen Rillen ab, die weit hinten am Horizont der heraufgleitendeMond in das Wasser furchte.

    Was konnte das bedeuten?

    Gepackt strengte Claus Beckera sein Sehvermgen aufs uerste an, lngst warer auf die umsplten Strandsteine gesprungen, und nun suchte er dort drauen,suchte, ob vielleicht ein Schiff mit entzndeten Pechfackeln seines Weges glitte.

    Doch der Vogt lehnte brummig eine solche Vermutung ab. Seit drei Nchtenfahnde er vergeblich den Strich entlang. Auch dort oben auf der Freiplatte vonStubbenkammer htte er nachgeforscht. Umsonst auer ein paar Rehen nichtsBesonderes! Und doch, wie zum Hohn flimmere die verwnschte rote Haut auf demWasser.

    Verrgert kehrte sich der Alte ab, als mchte er das ffende Feuerspiel nichtlnger betrachten.

    Sieh zu, Shnlein, meinte er zum Abschied, und es klang wieder recht giftig undberlegen, ob du klger bist als wir anderen. Hltst dich ja ohnehin fr einenstattlichen Hecht. Am Ende glckt dir der Fang. Wird dir gewi greren Spabereiten, als Heringe ziehen und Flundern. Aber gib acht, setzte er noch imFortgehen hinzu und hob warnend den kronengeschmckten Stab, da du nicht ineine Falle gertst! Wer wei? Die Rotte mchte vielleicht den Herren zu Stralsundwas zum Raten aufgeben. Und schon auer Hrweite lachte er kurz in sich hinein:Wer kriegt heraus, wo die Freunde des armen Mannes gern gesehen werden? Es istBecherspiel.

    In demselben Augenblick setzte Claus Beckera von seinem Stein mit einem weitenSprung in das Boot. Hochauf peitschte der Schaum, und der Wind trieb ein hellesJauchzen herber.

    Es steckt ander Blut in ihm, dachte der Vogt, als in dem faulen Bauch.Bauernblut, Sassenblut, das Blut des armen Mannes. Die Augen des Jungen glhen,wie wenn eine Htte brennt. Man wird ihm fter eins auf den Kopf geben mssen. Schade, mag ihn gern leiden.

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  • Es war zur gleichen Stunde, als die beiden dnischen Groen im Gastzimmer desKlosters ihre Betten aufsuchten. Der Reichshofmeister Henning von Putbus sabereits entkleidet auf dem breiten Pfhl, und seine nackten Beine sahen so elendmager und abgezehrt aus, da der Hauptmann Konrad Moltke, der nach einemreichlichen Trunk mit der lleuchte in der Hand in dem kahlen Raum herumtaumelte,um einen Nagel fr seinen Lederkoller zu finden, von Zeit zu Zeit in ein heiseresKichern des Abscheus ausbrach. Als aber der Drost whrend seines tiefen Grbelnssich noch eine spitze Nachtmtze ber den langen Schdel zog, da kannte dasVergngen des halb Berauschten keine Grenzen.

    Bellissimo, lallte er und hielt seinem Gefhrten die zinnerne Lampe fast unter dieNase, damit er ihn besser betrachten knne. Man tut Euch Unrecht, Drost; aufmein Schwert, bitteres Unrecht, Drostlein. Ich wei es jetzt Ihr bezaubert unsereerhabene Knigin durch die Schlagfertigkeit Eures Witzes sagt nichts, ich bezeugees. Ja, wenn Ihr noch ein Pfaff wret, solch ein weicher, niedlicher, dann, dann Krampfhaft schluckte er ein paarmal, und die Erinnerung an die eben genossenenTafelfreuden stie wieder empfindlich gegen sein schwankes Hirn. Gut, gut, gab erden neuen Eindrcken nach und sank, immer die Leuchte zwischen den Fingerndrehend, mitten in dem Zimmer auf einen geflochtenen Stuhl nieder. Es kommenjetzt reiche Zeiten. Wir brauchen nur brauchen nur den Schuimern all die hbschenDinge aus den Taschen zu ziehen, die sie gar fleiig zusammengekratzt, und Ihr knntEuch Margretlein in einem seidenen Hemd vorstellen. Meiner Seel

    Steht auf und seht zu, ob wir nicht behorcht sind? sagte der Drost einsilbig statteiner Antwort.

    Behorcht? fuhr der Krieger etwas ernchterter empor und tastete sich beleidigtan die Stelle, wo frher sein Wehrgehenke befestigt war Ihr meint die Kutten? Ih,da soll doch gleich ein Mordsdonner

    Schwerfllig wankte er bis zu dem engen Pfrtlein und lugte hinaus. Allein seinemtrben Blick enthllte sich nichts als ein dnischer Knecht, der am Ende desschmalen Ganges unter einem Bogenfenster die Wache hielt. Undeutlich glitzerte dasMondlicht auf seinem Kettenhemd.

    Knallend warf der Hauptmann die Tr ins Schlo. Dann frstelte er zusammen.

    Nichts, stellte er ermdet fest und schaute wieder verglast auf den langenMenschen unter der Zipfelmtze. Habe ihnen einen unserer Spiee in den Weggestellt. Was sonst?

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  • Was sonst? Behutsam war der Drost unterdessen ins Bett gekrochen, undwhrend er nun den Schlafsack ber sich zog, der fr die unmige Lnge dieserGliedmaen keineswegs ausreichte, da blinzelte er zu seinem wieder hingesunkenenGefhrten hinber und schien zu prfen, ob die glhende Geiernase noch einTrpfchen Vernunft zu wittern imstande wre.

    Solltet Ihr mich verstehen, sprach er endlich mit seiner leisen, salbungsvollenStimme, dann rate ich Euch, Herr Hauptmann, versprecht morgen den Hansischenund denen vom preuischen Orden und namentlich den mitrauischen Stdtern, wasunter dem Himmel Raum hat. Wir Dnen schicken Schiffe, da man die See nichtmehr wahrnimmt, und Wppner, soviel als Sterne um den Mond wandern. Greift tiefin den Beutel unserer guten Absichten und seid nicht sparsam.

    Der auf dem Strohstuhl hielt sich die Hand hinter das Ohr, damit er kein Wortverliere, und der runde glnzende Schdel begann lebhaft zu nicken. Die Aussicht aufdie nahe Beute vertrieb dem Habschtigen sogar den Weindmmer ein wenig.

    Recht, recht, stimmte er gierig zu. Wir tonnen die Schuimer. Ihr wit, meineErfindung. Wir stecken sie in Fsser, den Kopf nach drauen, und lassen sieschwimme