archithese 1.06 - Swiss Performance 06
-
Upload
archithese -
Category
Documents
-
view
230 -
download
3
description
Transcript of archithese 1.06 - Swiss Performance 06
architheseHerzog & de Meuron de Young Museum, San Francisco
Pia Durisch und Aldo Nolli Max-Museum, Chiasso
Renzo Piano Building Workshop Zentrum Paul Klee, Bern
Bakker & Blanc Wohn- und Atelierhaus, Chénens FR
Peter Zumthor Wohn- und Atelierhaus, Haldenstein GR
Peter Kunz Stadtterrasse, Winterthur
Knapkiewicz + Fickert Mehrfamilienhaus, Winterthur
Ken Architekten Kindergärten, Dietikon
pool Architekten Siedlung Leimbacherstrasse, Zürich
ARGE Primas-Proplaning Erneuerung Siedlung Heumatt, Zürich
Fuhrimann/Hächler Mehrfamilienhaus am Üetliberg, Zürich
Holzer Kobler Architekturen Umnutzung Eichstrasse, Zürich
EM2N Berufswahl- und Primarschule Hardau, Zürich
Max Dudler IBM Schweiz, Zürich, und Bürohaus, Frankfurt
1.2006
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
Swiss Performance 06
arch
ith
ese
1.2
006
Jan
uar
/Feb
ruar
Pre
is:
28 C
HF
/18
Eu
roSw
iss
Per
form
ance
06
mit
THE ART OF CARPET Überall, wo es darum geht, modernen Lifestyle und Mode perfekt zu inszenieren, wo individuelles Design
und Eleganz über allem stehen, sind unsere Teppiche erste Wahl. Rund um die Welt, in bester Qualität, und das schon seit über
60 Jahren. Es ist eine Kunst, den richtigen Teppich herzustellen – und ihn zu wählen! www.tisca.ch THE TOTAL CARPET COMPANY
adve
rtis
ing,
art
& i
deas
Leserdienst 114
000_Umschlag 1.3.2006 13:00 Uhr Seite 1
2 archithese 1.2006
E D I T O R I A L
Swiss Performance 06
Als wir vor fünf Jahren mit der Konzeption eines regelmässigen, zu Jahresbeginn
erscheinenden Heftes Swiss Performance anfingen, waren wir zunächst skeptisch.
Sollte eine Zeitschrift, die sonst eher diskurs- und themenorientiert ausgerichtet
ist, mit einem Quodlibet helvetischer Gegenwartsarchitektur aufwarten? Würden
die Leserinnen und Leser ein solches Heft goutieren? Und gäbe es überhaupt ge-
nug Substanz für eine derartige Bilanz?
Nach einem Lustrum ist unsere Skepsis verflogen. Die Resonanz auf unsere Aus-
gaben zeigt sich – von vereinzelten Gegenstimmen abgesehen – durchweg positiv.
Wir selbst wissen, so wie auch Sie, dass es in den nächsten Heften in gewohnter
Weise themenorientiert weitergeht und wir mithin keinen theoriefeindlichen Trend
befördern. Und die Substanz? Reichhaltiger denn je, so liesse sich bei einem Rück-
blick auf das vergangene Jahr konstatieren. Von San Francisco aus geht die imagi-
näre Reise diesmal über Chiasso, Bern, Chénens, Haldenstein, Winterthur und Die-
tikon nach Zürich, also in die Stadt, in welcher die Redaktion arbeitet und die auch
Gegenstand des letzten Heftes war (archithese 6.2005: Planung in Zürich). Und da-
mit sind längst nicht alle gewünschten Stationen berührt – wir werden im aktuel-
len Teil der beiden kommenden Hefte also nachliefern, was eigentlich auch noch
in das vorliegende Exemplar müsste, aber keinen Platz mehr gefunden hat: das
Walker Art Center von Herzog & de Meuron in Minneapolis, die Berner «Welle» von
smarch, die Migrosbank in Neuchâtel von Geninasca Delefortrie, das Schulhaus von
huggen_berger in Uetikon, ein Mehrfamilienhaus von Jens Studer in Uerikon und
das Wohnhaus an der Bäckeranlage von Peter Märkli in Zürich.
Wie auch schon in den beiden vergangenen Nummern von Swiss Performance
ergänzen wir unsere Auswahl durch die Rubrik Swiss Unlimited, in der experi-
mentelle Bauten und Projekte zu finden sind, die in eine neue Richtung weisen
können.
Natürlich findet sich in den kommenden Heften wieder der übliche Aufbau der
archithese: Heft 2 widmet sich Hotels, Heft 3 dem Thema «Bauen für das Auto».
Heft 4 hat CAD zum Inhalt, Heft 5 Wohnungsbau von Genossenschaften und das
Heft 6 stellt schliesslich die Frage nach «privaten Visionen».
Redaktion
Herzog & deMeuron: Walker ArtCenter, Minneapolis
Jens Studer:Wohnhaus inUerikon
smarch: Welle vonBern
002-009_Edit_Ins 1.3.2006 9:27 Uhr Seite 2
18 archithese 1.2006
NEUER REALISMUSPia Durisch und Aldo Nolli: Max-Museum, Chiasso Im Rahmen der Neupositionierung von Chiasso als Zentrum für
Gegenwartskultur ist neben dem 2001 renovierten Cinema Teatro ein Kunstzentrum entstanden. Dieses besteht aus dem
Neubau des Max-Museums und einer zur Mehrzweckhalle umgebauten Garage – Spazio Officina genannt. Beide wurden
nach den Plänen von Pia Durisch und Aldo Nolli aus Lugano realisiert. Im Verzicht auf die im Museumsbau heute so belieb-
ten spektakulären Formen scheint sich hier ein neuer Realismus anzukündigen.
1
2
018-021_ Max-Museum 1.3.2006 9:37 Uhr Seite 18
19
Geschäftshaus errichten. Dank L-förmigem Grundriss wird es
vom Corso aus weiterhin einen – diagonalen – Blick auf das
ungewöhnlichste Wandbild der Schweiz freigeben: Das
metaphysische Werk von Carlo Basilico gaukelt einem mit
Wasser und futuristischen Häuserfronten den durch den
Monte Olimpino verwehrten Blick hinunter nach Como eben-
so vor wie die Traumbilder der Filmwelt.
Ein neues Kulturzentrum
Dieses Murale schmückt die modernistische Rückseite des
1936 von Americo Marazzi errichteten Cinema Teatro, das
sich zur Via Dante Alighieri hin in einem gravitätischen No-
vecento-Klassizismus in Szene setzt. Klein, aber mit grosser
kultureller Ausstrahlung, ist dieses architektonische Janus-
gesicht zum Symbol des neuen Chiasso geworden und stösst
mit seinem zeitgenössischen Theater-, Tanz-, Musik- und
Filmprogramm selbst in Mailand auf Interesse. Nun hat das
Cinema Teatro jenseits der Dante-Strasse einen fast schwe-
bend leichten Nachbarn erhalten: das Mitte November 2005
eingeweihte Max-Museum. Dessen lang gezogene Glasfas-
saden definieren den Strassenraum und geben dem Cinema
Text: Roman Hollenstein
Die Grenze bildet noch heute den Lebensnerv von Chiasso.
Ihr verdankte die südlichste Schweizer Stadt ein zeitweise
geradezu stürmisches Wachstum. Davon zeugen neben Ro-
bert Maillarts Magazzini Generali üppig dekorierte Handels-
häuser der Gründerzeit, monumentale Stadtpaläste der Dreis-
sigerjahre oder die Bankgebäude und Tankstellen der Wirt-
schaftswunderzeit. Nachdem der Strukturwandel Ende der
Neunzigerjahre das Transport-, Handels- und Geldwesen in
die Krise gestürzt hatte, begann Chiasso nach einer neuen
Identität zu suchen, die bald schon im Stadtumbau und im
Engagement für zeitgenössische Kultur ihren Ausdruck fin-
den sollte.
Städtebauliche Transformationen
Die Aufmerksamkeit galt zunächst der sich mitten durch die
Wohnquartiere von Chiasso und Vacallo dem Zoll entgegen
schlängelnden Autobahn, die nach einem Entwurf von Mario
Botta mit einem von baumartigen Konstruktionen getragenen
Schallschutzdach eingefasst wurde. Danach konnte im ver-
gangenen Sommer der erste Teil des Corso San Gottardo, der
jahrzehntelang vom Grenzverkehr verstopften Hauptarterie
der Stadt, als autofreie Flaniermeile eröffnet werden. Auch
wenn die Einwohner noch immer über den von Luca Bellinelli
und Dario Bettello gestalteten Strassenraum mit der von Was-
serspielen und etwas unglücklich platziertem Stadtmobiliar
belebten Piazza Indipendenza streiten, lässt sich doch erst
jetzt der italienische Charakter des einst im Geist des Klassi-
zismus angelegten Corsos wirklich erkennen.
Trotz dieser frisch herausgeputzten Strassenachse bleibt
Chiasso weiterhin ein widersprüchliches Urbanotop, das auf
einer Fläche von nur einem Quadratkilometer mit manch
grossstädtischen Bildern aufwarten kann – von düsteren La-
gerhäusern und Hinterhöfen über freskengeschmückte Villen
und einen mediterranen Monumentalfriedhof bis hin zu den
übereinander getürmten Häusern und Autobahnbrücken jen-
seits des Zolls in Ponte Chiasso, die einen für Augenblicke ins
Hinterland von Genua entführen. Kein Wunder also, dass Chi-
asso zum bevorzugten städtebaulichen Labor der an der Ar-
chitekturakademie in Mendrisio lehrenden Professoren ge-
worden ist. Nachdem das Atelier von Peter Zumthor das
«emotionale Relief» der Grenzstadt ergründet hatte, entwar-
fen die Studenten von Carmen Piños extravagante Projekte
für das in die Jahre gekommene Shoppingcenter Serfontana,
während zurzeit Aurelio Galfetti einen Meisterkurs zum
Thema «agro-kulturelle Gärten» durchführt.
Aber in Chiasso wird auch gebaut: etwa am Autobahnzoll
Brogeda, wo Cabrini Keller Verda aus Lugano ein Schalterge-
bäude und Marazzi Ostinelli aus Chiasso den grünen Glasku-
bus des Warenzolls realisierten. Einen schmalschulterigen
Altbau am Corso San Gottardo versah Emilio Bernegger aus
Massagno mit einem weinroten Dachaufsatz und wertete ihn
zum Hof hin mit einem lombardischen Laubengang auf. Un-
weit davon soll – nachdem sich Bürger gegen einen städte-
baulich unsensiblen Spekulationsbau gewehrt hatten – Ivano
Gianola aus Mendrisio ein siebengeschossiges Wohn- und
1 Nachtansicht(Fotos: Gian PaoloMinelli)
2 Situation
3–6 Grundrisse UG,EG und 1. OG sowieLängsschnitt1:300
6
5
4
3
018-021_ Max-Museum 1.3.2006 9:37 Uhr Seite 19
Text: Mathias Remmele
In Bern ist im vergangenen Sommer das von Renzo Piano ent-
worfene Zentrum Paul Klee nach mehrjähriger Planungs- und
Bauzeit unter reger Anteilnahme der Medien seiner Bestim-
mung übergeben worden.
Das kulturelle Grossprojekt, das während seiner Entste-
hung immer auch von kritischen Stimmen begleitet war, ist
zwar von allen beteiligten Personen und Institutionen – den
Stifterfamilien, der Paul-Klee-Stiftung, Stadt und Kanton Bern
sowie einer Reihe von Sponsoren – in höchsten Tönen gelobt
und von der lokalen Presse sehr wohlwollend aufgenommen
worden, stiess jedoch auch nach der Fertigstellung nicht auf
ungeteilten Beifall. Denn was die einen als «Lehrstück für ge-
lungenes Public Private Partnership», als kongeniales archi-
tektonisches «Monument» oder auch als kulturellen Meilen-
stein bezeichneten, gab den anderen Anlass von einem Mä-
zenatentum nach Gutsherrenart, von höchst fragwürdigen
architektonischen Lösungen und von einer konzeptionellen
Fehlgeburt zu reden.
Ein Augenschein in Bern bestätigt die schlimmsten Be-
fürchtungen: Die Vereinnahmung Klees in dem nach ihm be-
nannten Zentrum gleicht einer Vergewaltigung. Die jahr-
marktsmässige Betriebsamkeit des Hauses verträgt sich eben-
so wenig mit dem Charakter von Klees Kunst wie die messe-
hallenartige Atmosphäre im zentralen Ausstellungsraum.
Und die extravagante Aussenform des Zentrums beisst sich
an allen Ecken und Enden mit den funktionalen Aufgaben,
die das Gebäude zu erfüllen hat.
22 archithese 1.2006
MONUMENT, GESCHEITERTRenzo Piano Building Workshop: Zentrum Paul Klee, Bern-Schöngrün Als kultureller Mega-Event
wurde im vergangenen Frühling die Eröffnung des Zentrum Paul Klee in Bern zelebriert. Der Einfluss des
Geldgebers auf den Standort und die Wahl des Architekten war schon seit langem kontrovers diskutiert
worden. Nach der Einweihung zeigte sich, dass das für diverse Nutzungen ausgelegte Gebäude seinem
eigentlichen Zweck kaum gerecht wird: eine stimmige Atmosphäre zu bieten, welche es den Arbeiten von
Paul Klee erlaubt, ihre Wirkung zu entfalten.
1
022-027_Zentrum Paul Klee 1.3.2006 9:37 Uhr Seite 22
23
Vorgeschichte
Am Anfang stand ein Schenkungsakt – grosszügig, gut ge-
meint, aber in seinen Konsequenzen wenig durchdacht: Ei-
nige Jahre nach dem Tod des einzigen Klee-Sohnes Felix
unterbreitete dessen Witwe Livia Klee-Meyer 1997 der Ein-
wohnergemeinde und dem Kanton Bern den Vorschlag, rund
700 in ihrem Besitz befindliche Werke als Schenkung zu über-
geben. Als Gegenleistung verpflichtete sich die öffentliche
Hand, bis zum Jahr 2006 in geeigneten Räumlichkeiten ein
Klee-Museum einzurichten und dauerhaft zu betreiben. Klee-
Enkel Alexander wollte da nicht abseits stehen und sicherte
1998 dem künftigen Museum die Nutzung von rund 850 Wer-
ken aus seinem Besitz zu. Noch im gleichen Jahr zog auch die
durch eine jahrzehntelange fruchtbare Zusammenarbeit mit
dem Kunstmuseum Bern eng verbundene Paul-Klee-Stiftung
nach und verkündete, mitsamt ihren rund 2600 Werken in der
neuen Institution aufgehen zu wollen. So kam also in kurzer
Zeit der mit Abstand grösste Klee-Schatz der Welt zusammen
(der mit 4000 Arbeiten fast die Hälfte des Gesamtwerkes um-
fasst) – und mit ihm die Gewissheit, ein dem Meister gewid-
metes Haus inhaltlich auf höchstem Niveau bespielen zu
können.
In Bern setzte nun, wie sich das gehört, eine kontroverse
Diskussion über den Standort des projektierten Museums
und über sein Verhältnis zum Kunstmuseum ein, die von den
klammen Finanzen der öffentlichen Kassen nicht eben er-
leichtert wurde. In diese Situation platzte, für alle völlig über-
raschend, das verlockende Angebot des milliardenschweren
2
31 Eingangsfrontdes MuseumsDie linke Welle wirdfür Seminarräumeund Auditorium, diemittlere für die Klee-Sammlung, dierechte von derVerwaltung genutzt(Fotos: DominiqueUldry)
2 Haupteingang
3 Situationsplan
022-027_Zentrum Paul Klee 1.3.2006 9:37 Uhr Seite 23
28 archithese 1.2006
Bakker & Blanc: Wohn- und Atelierhaus, Chénens FR Als Inspirationsquelle für das
kleine Wohn- und Atelierhaus im Fribourger Hinterland dienten landwirtschaftliche
Zweckbauten der allergewöhnlichsten Sorte. Die Verwandtschaft mit den Vorbildern ist
dem Neubau anzusehen – dennoch stellt er eine eigenständige Interpretation des Vor-
gefundenen dar. Der lokale Bezug und die formale Reduktion waren nicht Selbstzweck,
sondern auch die ökonomischste Lösung.
KEINE FALSCHE ROMANTIK
1 TypischerZweckbau derUmgebung(Fotos: MarcoBakker)
2 Ansicht vonWesten
028-031_Solt_Bakker 1.3.2006 9:38 Uhr Seite 28
29
Text: Judit Solt
Chénens liegt auf dem Land. Das heisst: Es liegt an der
regionalen Verbindungsstrasse zwischen Fribourg und
Romont, umgeben von Wald und einer intensiv genutzten
Kulturlandschaft, die neuerdings von Pendlern aus den be-
nachbarten Städten besiedelt wird – in den letzten zwanzig
Jahren hat sich die Bevölkerungszahl auf gegenwärtig etwa
600 Personen fast verdoppelt. Dennoch ist Chénens kein he-
rausgeputztes Vorzeigedorf, es liegt weder am See noch am
Fluss, und keinem der beiden Gasthöfe ist die Aufmerksam-
keit des Guide Michelin bisher zuteil geworden. Dafür gibt es
landwirtschaftliche Betriebe, die mehr als nur Heimatgefühle
für Sonntagsausflügler produzieren, und viel Platz. Die Bau-
landpreise sind moderat.
Letzter Punkt spielte beim Bau des Wohn- und Atelier-
hauses, das Marco Bakker und Alexandre Blanc für ein junges
Künstlerpaar mit Kind gebaut haben, eine wichtige Rolle. Das
Budget war äusserst knapp; das zwischen November 2004
und März 2005 aus vorfabrizierten Elementen errichtete Haus
hat lediglich rund 420 000 Franken gekostet. Es besteht fast
ausschliesslich aus sehr günstigen Materialien, beim Bau hat
auch die Bauherrschaft Hand angelegt. Dass das Haus den-
noch mit Abstand das erfreulichste Ereignis der ganzen Um-
gebung darstellt, belegt einmal mehr, dass gute Architektur
nicht immer teuer zu sein braucht.
Zweckbauten als Vorbild
Der Entwurf ist von den umgebenden Bauernhöfen inspiriert.
Allerdings nicht von einer romantisch verklärten Idylle, die
sich hier allenfalls noch von einzelnen historischen Über-
bleibseln verkörpern liesse, sondern von der harten Realität
der modernen landwirtschaftlichen Produktion. Pate standen
pragmatische Nutzbauten, billig und praktisch, teilweise im
Eigenbau erstellt, ohne jeden Schnickschnack, aber mit Flie-
gengitter und – natürlich – Vordach.
Die Architekten haben vorhandene Formen, Materialien
und zum Teil auch Typologien übernommen und sie für die vor-
liegende Bauaufgabe adaptiert. Das Ergebnis ist ein zweige-
schossiger, auf einem lang gezogenen rechteckigen Grund-
riss basierender Baukörper, der entfernt an eine Scheune
neueren Datums erinnert – eigentlich an eine halbe Scheune:
vollständig geschlossene Fassaden an der Kurzseite, ein Pult-
dach, das sich als Vordach fortsetzt, ein rampenartiges Ge-
bilde als Zugang zum Obergeschoss, viel Welleternit und
Holz, ein wenig Glas, ein wenig Sichtbeton, ein wenig Well-
skobalit.
Zwar verraten die harmonischen Proportionen und die
sorgfältige Detaillierung, dass dieses Haus kein Zufallspro-
dukt sein kann; auch ist angesichts der im Erdgeschoss voll-
ständig verglasten Südfassade offensichtlich, dass es sich
um ein Wohnhaus handeln muss. Ansonsten aber fügt sich
das Gebäude so selbstverständlich in seine ländliche Umge-
bung ein, dass es kaum auffallen würde. Dass es dennoch ins
Auge sticht, hat vor allem mit den direkten Nachbarbauten
zu tun: Die Einfamilienhaussiedlung am Rande des Weilers
ist ein wahres Freilichtmuseum dessen, was die moderne
1
2
028-031_Solt_Bakker 1.3.2006 9:38 Uhr Seite 29
32 archithese 1.2006
1 Fassadendetaildes Wohntraktes:links Fenster derzweigeschossigenKüche (mit Brüs-tung), rechtsFenster des Ober-geschosses (raum-hoch)(Fotos 1–3: WalterMair)
die über das Persönliche hinausgeht und selbst Besucher zu
berühren vermag, die sich auf völlig andere Erfahrungen und
Erinnerungen berufen.
Klösterliche Stille
Das u-förmige Gebäude befindet sich gleich gegenüber von
dem bestehenden Architekturbüro. Trotz seiner Grösse fügt
es sich in die Topografie des Dorfes ein: Büro- und Bespre-
chungstrakt sind eingeschossig mit Flachdach, nur der Wohn-
trakt auf der Nordseite hat zwei Geschosse und ein mit Blech
gedecktes Satteldach. Nach aussen gibt sich das Haus weit-
gehend geschlossen, wobei dieser Eindruck gleichzeitig da-
durch relativiert wird, dass der südliche Flügel etwas kürzer
ist als der nördliche: Auf diese Weise wird der geschützte Hof
über der Diagonalen von der Strasse aus sichtbar, und auch
ein Blick in die Stube am westlichen Ende des Wohntrakts
wird angedeutet.
Ansonsten aber lässt das Haus mit seinen glatten Sicht-
betonmauern wenig von seinem Innenleben erahnen. Man
betritt es über ein langes und schmales Entrée im Wohntrakt,
das parallel zum lang gezogenen Gebäudekörper und ortho-
gonal zur Gehrichtung verläuft, und gelangt unvermittelt in
Zumthors privates Atelier. Hier herrscht – trotz der relativ ex-
ponierten Lage gleich beim Eingang – meditative Ruhe. Der
hallenartige, zweigeschossige Raum lässt innehalten. Auf
der Südseite, zum Hof hin, ist die Fassade auf der ganzen
Höhe verglast; ein sanfter Widerschein organischer Üppig-
keit dringt nach innen. Ahornbäume verschiedener Sorten,
Text: Judit Solt
Ein Wohnhaus für sich selbst zu bauen, ist nicht jedes Archi-
tekten Sache. Wenn es dennoch einmal geschieht, kann es
zum Ereignis werden. Dem Entwerfer, Bauherr und Nutzer in
Personalunion steht bei der Verwirklichung lange gehegter
Utopien für einmal nichts im Weg, und sowohl Autor als auch
Publikum hoffen auf ein exemplarisches Gebäude. Doch das
Haus, das aus einer solchen Konzentration auf ein bestimm-
tes Individuum resultiert, verkörpert nicht nur dessen Ent-
wurfsstrategien und Raumkonzepte; bewusste oder unbe-
wusste Wünsche, Sehnsüchte und Gefühle drücken sich mit
ebensolcher Unmittelbarkeit darin aus. Die Auseinanderset-
zung des Architekten mit dem Entwurf setzt sich, kaum sind
die Bauarbeiten abgeschlossen, mit neuer Intensität am ei-
genen Leib fort und geht nahtlos in eine tägliche Begegnung
mit der eigenen Persönlichkeit über.
In Peter Zumthors neuem Wohn- und Atelierhaus in Hal-
denstein vollzieht sich dies mit grosser Gelassenheit – viel-
leicht auch deswegen, weil das Persönliche in Zumthors Ar-
chitektur ohnehin immer stark präsent ist und sich im eige-
nen Haus lediglich noch etwas ausgeprägter manifestieren
kann. Wie alle Bauten Zumthors ist auch dieser von der sinn-
lichen Abstraktion individueller Empfindungen geprägt –
eine sehr dichte, sehr persönliche Komposition von Stim-
mungen. Zumthor hat sich mit der Realisierung Zeit gelassen,
hat die Bilder reifen lassen, und das merkt man. Doch so in-
tim Haus und Architekt miteinander verbunden sind, so deut-
lich ist auch, dass diese Verbindung eine Qualität generiert,
ATMOSPHÄRENPeter Zumthor: Wohn- und Atelierhaus, Haldenstein GR In Peter Zumthors Haus verdichten
sich Erinnerungen, Stimmungen und Sehnsüchte. Das Gebäude – eine Komposition von grosszü-
gigen Räumen und verborgenen Nischen, Offenheit und Geheimnis, sinnlichen Texturen und
strengen Formen – strahlt eine ungewöhnliche, heitere Ruhe aus.
032-037_Solt-Zumthor 1.3.2006 9:38 Uhr Seite 32
33
032-037_Solt-Zumthor 1.3.2006 9:38 Uhr Seite 33
76 archithese 1.2006
zum Kontext der europäischen Stadt: die Wahrnehmung aus
der Ferne und der Nähe, die verschiedenen Abstufungen von
Öffentlichkeit, angemessene Formen der Repräsentation.
Eingangsbereich und Fassade, denen in diesem Zusammen-
hang besondere Bedeutung zukommt, sind mit grosser Auf-
merksamkeit gestaltet.
Bei der Gliederung der Bauten hielt sich Dudler als Ant-
wort auf die Heterogenität der modernen Stadt bewusst an
klassische Prinzipien. Die Teilung in Sockel, Schaft und Attika
knüpft an die Tradition des florentinischen Palazzo und des
städtischen Geschäftshauses an. Vertraute Elemente wie
Vorplatz und Eingangshalle erleichtern die Orientierung; der
Kräfteverlauf ist nachvollziehbar, die Proportionen ruhig, die
Architektursprache reduziert, die Details perfektioniert. Doch
trotz dieses Willens zur Kontinuität und trotz formaler Zu-
rückhaltung sind die beiden Bauten nicht zu übersehen: Ihre
beeindruckende Präsenz verdanken sie ihrer kompakten Vo-
lumetrie und nicht zuletzt auch der Ausbildung der Fassade,
die Dudler in beiden Fällen als dreidimensionales Element
interpretiert.
IBM Schweiz, Zürich
Der in der Nähe des Bahnhofs von Zürich-Altstetten gelegene
IBM-Hauptsitz geht auf einen im Auftrag der Technologie-
firma durchgeführten eingeladenen Wettbewerb zurück, den
Max Dudler im Jahr 2000 für sich entscheiden konnte. 2002
verabschiedete der Zürcher Gemeinderat den von IBM ein-
gereichten Gestaltungsplan. Errichtet wurde der Neubau in-
des von der als Totalunternehmerin fungierenden Allreal Ge-
neralunternehmung; Bauherrin und Besitzerin ist die Allreal
Vulkan AG. Die IBM selbst, die das Generalmandat aus-
schrieb und einen Investor für das Bauvorhaben suchte, ist
Mieterin für mindestens zehn Jahre. Aus dieser Konstellation
folgt, dass das Gebäude einerseits ästhetisch und funktional
auf die Bedürfnisse der IBM auszurichten war, anderseits
Text: Judit Solt
Zur Zeit seiner Entstehung vor rund hundert Jahren war das
Bürohochhaus ein fast ausschliesslich von wirtschaftlichen
Zwängen, Pragmatismus und technischen Errungenschaften
geprägter Bautypus. Das Wachstum des Sekundärsektors
und die durch Spekulation angeheizte Explosion der Boden-
preise im Stadtzentrum führten im Chicago des ausgehenden
19. Jahrhunderts zu Versuchen, in die Höhe zu bauen. Tech-
nische Neuerungen wie die feuersichere Verkleidung der
Strukturelemente beim Stahlskelettbau, die Windversteifung
und schwimmende Fundamente ermöglichten die Erstellung
erster Hochhäuser. Die für den Benutzer wohl spektakulärste
Innovation, der ab 1857 von Elisha Otis eingesetzte Perso-
nenaufzug, prägte denn auch den Namen der neuartigen
Bauten, die vorerst als elevator buildings bezeichnet wur-
den; der auf den visuellen Eindruck bezogene Begriff sky-
scraper kam erst später auf. Louis H. Sullivan beschrieb die
eilig hochgezogenen Zweckbauten als «sterile, grobe, rohe,
brutale Haufen» mit der «starren, widerspenstigen Fratze
ewigen Kampfes»1.
Dennoch gab es von Anfang an Bestrebungen, das Hoch-
haus als auch architektonisch befriedigendes urbanes Ge-
bäude auszubilden. Entscheidende gestalterische Themen
waren – und sind bis heute – die Wirkung des hohen Baukör-
pers im urbanen Umfeld, die Kombination von öffentlichem
Erdgeschoss, gleichförmigen Büroetagen und Dachabschluss
sowie das Verhältnis zwischen Tragstruktur und vorgehäng-
ter Fassade.
Mit diesen Themen setzen sich auch die beiden Hochhäu-
ser auseinander, die Max Dudler dieses Jahr in Zürich bezie-
hungsweise Frankfurt am Main fertig gestellt hat. So unter-
schiedlich die zwei Bauten auf den ersten Blick erscheinen –
der eine hat eine skulptural wirkende Granitfassade, der an-
dere eine Glas-Metall-Haut –, die ihnen zu Grunde liegenden
Überlegungen sind die gleichen. Im Zentrum steht der Bezug
MODULAR, NICHT MONOTON
Max Dudler: IBM Schweiz, Zürich, und Bürohochhaus an der Ulmen-
strasse, Frankfurt am Main Ein Granitblock mit Lochfassade in Zürich,
ein Hochhaus mit Glas-Metall-Fassade in Frankfurt – die beiden
von Max Dudler erbauten Geschäftshäuser sind auf den ersten Blick
komplett unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen der Bezug zum
urbanen Umfeld, die Anknüpfung an traditionelle Bautypen der euro-
päischen Stadt und die Interpretation der Fassade als plastisches
Element.
076-083_Solt-Dudler 1.3.2006 9:43 Uhr Seite 76
77
1 IBM SchweizEingangshalle (Fotos 1, 4+5: WalterMair)
076-083_Solt-Dudler 1.3.2006 9:43 Uhr Seite 77