Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2007...motif is intended to express the artist’s hope...

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Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2007 Inhaltsverzeichnis Kunst- und Kulturgeschichte Liliane Châtelet-Lange, Straßburger Bürgerfrömmigkeit und der Maler David Kandel (1520/1530–1592/1596) Kurt Löcher, Der Maler Hans Krell aus Crailsheim als „Fürstenmaler” in Leipzig Arnulf von Ulmann, Rembrandt gepaust „Das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg” in der St. Petersburger Ermitage und eine weitere neu entdeckte Version mit einer Nachschrift von Ernst van de Wetering Neues zu Objekten im GNM Karin Tebbe, Der Lauf der Zeit. Immerwährende Kalender des Johann Georg Mettel aus Nürnberg Christian Steeb, Eine Neuinterpretation des Gemäldes „Trigonometrischer Disput” von Georg Melchior Kraus Frank Matthias Kammel, Lebensgenuss, Analmetaphorik und moralisierender Spott. Eine Schnupftabakdose des späten 18. Jahrhunderts im kulturgeschichtlichen Kontext Petra Krutisch, Martin Meyer und Gudrun Weiner, „die Materialien bestmöglichst ausgesuchet”. Holzartenbestimmung an den Roentgen-Möbeln des Germanischen Nationalmuseums Ruth Negendanck, Neue Quellen zu Paul Bürck. Zum Forschungsprojekt „Künstlerkolonien in Europa” Frank Kammerzell und Hanna Strzoda, Kirchners Plakatentwurf zur Ausstellung „Deutsche Graphik« im Kunstsalon Wolfsberg Bernd Fäthke, „Lieber Freund Mayer”. Neuentdeckte Briefe Alfred Kubins an Alfred Karl Mayer im Germanischen Nationalmuseum Bernd Schneidmüller, Vortrag zur Ausstellungseröffnung der mittelalterlichen Schausammlung in Nürnberg am 26. April 2006 Verzeichnis der Autoren Jahresbericht Erwerbungen, Geschenke, Leihgaben Tätigkeitsbericht Zusammengestellt von Eberhard Slenczka

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Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2007 Inhaltsverzeichnis Kunst- und Kulturgeschichte Liliane Châtelet-Lange, Straßburger Bürgerfrömmigkeit und der Maler David Kandel (1520/1530–1592/1596)

Kurt Löcher, Der Maler Hans Krell aus Crailsheim als „Fürstenmaler” in Leipzig

Arnulf von Ulmann, Rembrandt gepaust „Das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg” in der St. Petersburger Ermitage und eine weitere neu entdeckte Version mit einer Nachschrift von Ernst van de Wetering Neues zu Objekten im GNM Karin Tebbe, Der Lauf der Zeit. Immerwährende Kalender des Johann Georg Mettel aus Nürnberg

Christian Steeb, Eine Neuinterpretation des Gemäldes „Trigonometrischer Disput” von Georg Melchior Kraus

Frank Matthias Kammel, Lebensgenuss, Analmetaphorik und moralisierender Spott. Eine Schnupftabakdose des späten 18. Jahrhunderts im kulturgeschichtlichen Kontext

Petra Krutisch, Martin Meyer und Gudrun Weiner, „die Materialien bestmöglichst ausgesuchet”. Holzartenbestimmung an den Roentgen-Möbeln des Germanischen Nationalmuseums

Ruth Negendanck, Neue Quellen zu Paul Bürck. Zum Forschungsprojekt „Künstlerkolonien in Europa”

Frank Kammerzell und Hanna Strzoda, Kirchners Plakatentwurf zur Ausstellung „Deutsche Graphik« im Kunstsalon Wolfsberg

Bernd Fäthke, „Lieber Freund Mayer”. Neuentdeckte Briefe Alfred Kubins an Alfred Karl Mayer im Germanischen Nationalmuseum

Bernd Schneidmüller, Vortrag zur Ausstellungseröffnung der mittelalterlichen Schausammlung in Nürnberg am 26. April 2006 Verzeichnis der Autoren Jahresbericht Erwerbungen, Geschenke, Leihgaben Tätigkeitsbericht Zusammengestellt von Eberhard Slenczka

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ZusammenfassungEin Fachwerkhaus am Münsterplatz in Straßburg bewahrt in sei-nem ersten Stockwerk über einer alten Apotheke einen auf Putzgemalten Bilderzyklus, der weitgehend in Vergessenheit gera-ten ist. Vermutlich hat der Apotheker Martin Breun unmittelbarnach dem Erwerb des Hauses 1577 die Wandmalereien in Auf-trag gegeben. Die Malereien schuf der in Straßburg geboreneund dort vor 1596 verstorbene Maler David Kandel, der alsDrucker wohl gemeinsam mit Christoph Weiditz eine kurzlebigeOffizin in Straßburg betrieben hatte. Der Zyklus illustriert in ur-sprünglich 8 Bildfeldern den 1. Psalm, wobei Motive aus denZehn Geboten und den Werken der Barmherzigkeit die Dar-stellungen in einer zweiten Ebene ergänzen. Der Bilderzyklus istein selten erhaltenes Beispiel einer Raumausstattung mit pro-testantischen Bilderfindungen des 16. Jahrhunderts.

AbstractA half-timbered house on the Munsterplatz in Strassburgpreserves in its first upper floor, over an old apothecary shop,a largely forgotten pictorial cycle painted in oil on plaster. The-se murals were probably commissioned by the apothecaryMartin Breun shortly after he purchased the house in 1577.They were painted by the Strassburg-born artist and printerDavid Kandel (died before 1596) who apparently brieflyoperated a printing shop in Strassburg together with ChristophWeiditz. The panels of the cycle – originally eight in number –illustrate the 1st Psalm, whereby motifs from the Ten Command-ments and the Works of Mercy are employed to augment thecentral depictions. The pictorial cycle is a seldom-preservedexample of the decoration of a room with Protestant icono-graphic inventions of the 16th century.

Liliane Châtelet-Lange

Straßburger Bürgerfrömmigkeit und der Maler David Kandel(1520/1530–1592/1596)

Gegenüber den Straßburger Münsterportalen (10, placede la cathédrale) steht ein schmales Wohnhaus ausFachwerk, dessen Bescheidenheit das einzige ist, wasan ihm auffallen könnte (Abb. 1). Es besitzt zwar dreiGeschosse, doch ist seine Fassade nicht mehr als 4,00 mbreit, so dass nur ein einziger, von zwei Fenstern be-lichteter Raum dahinter Platz findet. Während das Hausschon in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erbaut wur-de1, erhielt im ersten Obergeschoss der zum Münstergewandte Raum erst gut hundert Jahre später einenprächtigen Wandschmuck, der uns hier beschäftigenwird.

Der leicht verzogene, etwa 6,00 m lange und 3,50 mbreite rechteckige Raum, wird an der einen Schmalsei-te von den beiden auf das Münster gehenden Fensterneingenommen, gegenüber liegt die Tür zum Flur oderEhren. An den beiden Längsseiten entwickelt sich ein ur-sprünglich achtteiliger, in bräunlicher Grisaille gemal-ter Bilderzyklus (Abb. 2). Zwar wurde er bereits 1881freigelegt2, geriet dann aber in Vergessenheit, bis er1936 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Kurz daraufpublizierte ihn Paul Lechten in einem kurzen beschrei-benden Artikel3. In der Folge gerieten die Malereien

erneut in Vergessenheit, bis zuerst 1993, dann wieder1999/2000 die Häusergruppe am Eck zwischenMünsterplatz und Krämergasse anlässlich eines Eigen-tümerwechsels bauarchäologisch untersucht werdenkonnte, allerdings mit Ausnahme des hier interessieren-den Raumes4.

Es handelt sich um eine auf den Putz aufgetrageneÖlmalerei, deren Zustand heute durch Beschädigun-gen und Verschmutzung an vielen Stellen schlecht ist.Manche Figuren, vor allem aber die Inschriften, weisenNachzeichnungen auf. Am oberen Rand fehlen wenigeZentimeter, die von einer am Anfang des 17. Jh. ein-gesetzten Stuckdecke verdeckt sind. Die verbleibendebemalte Höhe der einzelnen Bildfelder beträgt 95 cm,die Breite 90 bis 120 cm.

Der Psalmzyklus

Ursprünglich befanden sich hier acht Bildfelder, einesauf der Südseite wurde Anfang des 18. Jahrhundertsdurch Einbruch einer Tür zerstört5. Gemalte Baluster-säulchen, die leicht rötlich gehöht sind, unterteilen dieeinzelnen Grisaillefelder. Hinter den Trennsäulchen

GNM_007-028_Chatelet-Lange 02.05.2007 15:40 Uhr Seite 7

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ZusammenfassungBislang unpublizierte Briefe und Postkarten Alfred Kubins anAlfred Karl Mayer in München belegen die Freundschaft derbeiden Männer. Mayer hatte, zum Teil im Tausch, mehrere Wer-ke Kubins erworben und 1919 einen Beitrag über den Zeichnerin der Zeitschrift »Über Land und Meer« veröffentlicht.

AbstractPreviously unpublished letters and postcards from Alfred Kubinto Alfred Karl Mayer in Munich document the friendship betweenthe two men. Mayer had acquired, partly in exchange, a numberof works by Kubin and had published an article about thegraphic artist in 1919 in the journal »Über Land und Meer«.

Bernd Fäthke

»Lieber Freund Mayer«Neuentdeckte Briefe Alfred Kubins an Alfred Karl Mayer im Germanischen Nationalmuseum

Der Fonds Alfred Kubin (1877--1959) im Archiv für Bil-dende Kunst umfasst eine Materialsammlung, bestehendaus Zeitungsartikeln, Nachrufen und Reproduktionenvon Werkfotos. Daneben befinden sich im Archiv zahl-reiche Briefe Alfred Kubins in den Nachlässen von KarlArnold, Olaf Gulbransson, Franz Marc, Adolf Schinne-rer und Anton Steinhart. Die Graphische Sammlung be-sitzt eine Reihe von Zeichnungen und druckgrafischenArbeiten des Künstlers und zudem seine Bauhaus-Mappe.Die Übergabe der bislang unveröffentlichten und hiervorgestellten Briefe und Postkarten an Alfred Karl Mayer(1860–1932) in Fotokopie an das Archiv für BildendeKunst ergänzt den bereits vorhandenen Bestand.

Künstler und Intellektuelle gaben sich am Anfang des20. Jahrhunderts in Alfred Karl Mayers Wohnung inMünchen die Klinke in die Hand: Dichter, Komponisten,Schauspieler, Tänzer und Maler. Einst »ein Mittelpunktdes geistigen Münchner Lebens« , hatte ihn die Kunst-geschichte fast gänzlich vergessen oder mit anderennamensähnlichen Meyers verwechselt, bis ihn kürzlichIrene Dütsch wiederentdeckt. In seinem bescheidenenNachlass fanden sich aufschlussreiche Briefe, Postkar-ten und Federzeichnungen von Alfred Kubin, die hierzum ersten Mal publiziert werden. Die Anrede »LieberFreund Mayer« belegt das freundschaftliche Verhältnisder beiden Männer.

Alfred Karl Mayer, Spross einer Frankfurter jüdischenKaufmannsfamilie, galt noch nach seinem Tod als »echtSchwabinger Erscheinung: Kahl und hutlos, die gutenAugen hinter einer Brille«. Man erinnerte 1932 auch an»seine schöne gastliche Wohnung, die einem Museumglich. Neben prächtigen alten Stücken … dominierten

Bilder allermodernster Richtung: Franz Marc, Paul Klee,Kandinsky und die Allerjüngsten«. Im »Biedermeier-zimmer«, Mayers Speisezimmer, standen »Roßhaar-stühle, ein Roßhaarsofa und ein runder Tisch, auf dem niezwei bis drei Gedecke für unerwartete Gäste fehlten«.Während des Ersten Weltkriegs, an einem Wintertag,hatte Alfred Kubin mit an Mayers Tisch gesessen und be-dankte sich mit einer Postkarte: »Ich denke Ihrer, Ihrer sehrschönen Wohnung, der schönen Bilder, des Brathuhns,des Purées, und des Krautes, – und des Schläfchens aufdem Prachtdivan... und wünsche Ihnen allen zusammendie beste Kriegerweihnacht die Sie aufbringen können. –Ich – feiere ein Fest des Schaffens, – obgleich ich halbblind und müd bin. – Seelig im Herzen. Leben Sie wohlund denken Sie manchmal [an] Ihren alten Kubin«.

Als Kubin diese Zeilen verfasste, hatte er sich längstvom gescheiterten Lateinschüler, Fotographenlehrlingund Militäranwärter zum erfolgreichen Zeichenkünst-ler, Romanschreiber und Buchillustrator entwickelt. Sei-ne Worte an Mayer belegen, dass Kubins Weltbild kei-neswegs nur von Angst und Realitätsflucht geprägt war,sondern ebenso von Humor. Selbst die Illustration zuseinem Weihnachtsgruß widerspricht der Auffassung,es könne sich nur um das Produkt eines skurrilen undphantastischen Außenseiters handeln (Abb. 1). Somakaber die Darstellung auch erscheinen mag, so geist-reich geißelte Kubin den Krieg. Die Zeichnung bezeugtseine zeitkritische Wachheit in der Tradition der»Desastres de la Guerra« von Francisco de Goya: DerTod im Pestgewand schwingt die Kriegsfackel, dahinterein Soldatenfriedhof, Grabkreuze mit aufgestecktenPickelhauben bis zum Horizont.

GNM_215-218_Faehtke 03.05.2007 8:22 Uhr Seite 215

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ZusammenfassungEine Schnupftabakdose in Form eines hockenden Menschen mitzwei Köpfen, von denen einer einen Teufel darstellt, gibt in drasti-scher Weise ihre Funktion zu erkennen, indem in witziger Art dieGegenbilder Tabak und Verdauungsprodukt bildlich verbun-den werden. Man war der Überzeugung, dass der Genuss vonSchnupftabak den Geruchssinn und die Darmtätigkeit beein-trächtigt und »Hartleibigkeit« zur Folge hat. Die Beziehungs-vielfalt zwischen Tabak und Kot war allgemein bekannt, undKot war nicht ausschließlich negativ besetzt, wie der Goldeseloder die Figur des Dukatenkackers oder Geldscheißers nahe-legen. Das doppelköpfige Wesen der Tabakdose zeigt denVerführer und zugleich den Genießer, wenn der Tabak aus sei-nem Körper entnommen und geschnupft wird. Vermutlich sindderartige Schnupftabakdosen in Deutschland von Hugenottenhergestellt worden, die von Frankreich nach Deutschland ein-gewandert aus ihrer Heimat nicht nur das Tabakrauchen und-schnupfen, sondern auch den Tabakanbau mitbrachten.

AbstractA snuff box in the form of a squatting figure with two heads, oneof which has the features of a devil, advertises its function indrastic terms, by wittily juxtaposing two opposing motifs –tobacco and the waste product of digestion. It was firmly be-lieved that the enjoyment of snuff tobacco effected both sense ofsmell and peristalsis and was a cause of »abdominal hardness«.The multiplicity of associations between tobacco and excrementwere generally known and the connotations of excrement wereby no means exclusively negative, as is shown by such figuresas – for example – the Gold-Ass in the Grimm Brother’s fairytale. When the tobacco is taken from its body and inhaled, thesnuff-box’s two-headed creature represents – at one and thesame time – both seducer and enjoyer: Such snuff boxes wereprobably produced in Germany by Huguenots who immigratedto Germany from France and brought with them not only thesmoking and inhaling of tobacco but also its cultivation.

Frank Matthias Kammel

Lebensgenuss, Analmetaphorik und moralisierender SpottEine Schnupftabakdose des späten 18. Jahrhunderts im kulturgeschichtlichen Kontext

»Entscheidend ist, was hinten raus kommt.«Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (1984)

Seit gut einem Jahrzehnt beherbergt das GermanischeNationalmuseum eine figürliche, knapp 10 cm hoheSchnupftabakdose aus Buchsbaumholz als Depositumder in München ansässigen Friedrich von Praun’schenFamilienstiftung (Abb. 1)1. Das Gefäß besitzt die Formeines menschlichen Wesens, doch eignen diesem ähn-lich einem Siamesischen Zwilling zwei miteinander ver-wachsene Köpfe. Während eines der Häupter das seliglächelnde Antlitz eines bartlosen Mannes trägt, kenn-zeichnen die über der Stirn aus der Frisur hervorwach-senden Hörner und ein zu einem breiten, zähnefletschen-den Grinsen verzerrter Mund das andere eindeutig alsdas des Teufels. Die Tracht des seltsamen Doppel-menschen besteht aus einem gestreiften Justaucorps mitWeste und Kniehose. Das Wesen ist in Kauerstellunggezeigt, wobei es die Knie mit den Händen umfasst.Aufgrund des entblößten Hinterteils und der eingenom-menen Haltung besteht kein Zweifel daran, dass dieExkretion gemeint ist. Der Rücken des seltsamen Ge-

schöpfs ist größtenteils als Klappe ausgebildet, die sichmit Hilfe eines Scharniers aus Messing öffnen lässt unddie Einfüllung von Tabak in den ausgehöhlten Leib er-möglicht (Abb. 2). Ein schlanker Stöpsel verschließt dasAfterloch des nackten Hinterns und damit jene Öff-nung, durch die das Genussmittel auf den Handrückengestreut werden konnte.

Mangel an stilkritischen Anhaltspunkten und Raritätdes augenscheinlich im diffusen Bereich volkstümlicherBildschnitzerei anzusiedelnden kuriosen Gegenstandeserschweren sowohl Datierung als auch Lokalisierung2.Allein die dargestellte Tracht lässt mit höchster Wahr-scheinlichkeit auf die Entstehung in der Zeit kurz vor1800 schließen. Die über der geknöpften Weste undder Kniehose eng anliegende, knielange Jacke mit wei-ten Schößen und Ärmelaufschlägen wurde zwar schonseit dem späten 17. Jahrhundert getragen, doch istmit dem Umlegekragen offensichtlich eine Modeer-scheinung geschildert, die eine Neuerung des letzten

GNM_137-160_Kammel 02.05.2007 16:18 Uhr Seite 137

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ZusammenfassungZu der für 1923 geplanten, doch letztlich nicht realisierten Aus-stellung »Deutsche Graphik« im Züricher »Kunstsalon Wolfs-berg« entwarf Ernst Ludwig Kirchner ein Plakat, das einen nack-ten Knaben zeigt, zu dessen Füßen ein gefallener Soldat – dasuntergegangene Kaiserreich verkörpernd – mit verrenktenGliedmaßen liegt. Hierin verbirgt sich eine Auferstehungssym-bolik, die den Hoffnungen des Künstlers auf eine neue Ordnungnach den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen infolgedes Ersten Weltkrieges Ausdruck verleiht. Der Text ist in einervon Kirchner eigens für seine Gebrauchsgraphik entwickelten,am Jugendstil orientierten Schrift entworfen, die Majuskeln undMinuskeln frei nach ästhetischen und kompositorischen Kriterienverwendet. Die Figuren des Plakats zeigen, wie Kirchner auf syn-kretistische Weise ägyptische Anregungen mit Einflüssen nord-und mittelamerikanischer indigener Völker künstlerisch umsetzte.Seine Kenntnis dieser Kulturen bezog er vorrangig aus derägyptologischen und ethnologischen Fachliteratur seiner Zeit.

AbstractFor the exhibition »Deutsche Graphic« in the Kunstsalon Wolfs-berg in Zurich, which was planned for 1923 but ultimatelynever took place, Ernst Ludwig Kirchner designed a poster. Itshows a naked youth, at whose feet a fallen soldier with con-torted limbs – the embodiment of the defunct German Empire –lies sprawled. The cryptic resurrection-symbol inherent in thismotif is intended to express the artist’s hope for a new politicaland social order after the upheaval brought about by the FirstWorld War. The Jugendstil-oriented script that is used for thetext was developed by Kirchner specifically for his appliedgraphics. It employs majuscules and minuscules at will, on thebasis of esthetic and compositional criteria. The figures on theposter show how Kirchner artistically synthesized Egyptianstimuli with ideas culled from the native arts of North andMiddle America. His knowledge of these cultures was drawnprimarily from contemporary Egyptological and Ethnologicalpublications.

Frank Kammerzell und Hanna Strzoda

Kirchners Plakatentwurf zur Ausstellung»Deutsche Graphik« im Kunstsalon Wolfsberg Zürich

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich der Züricher»Kunstsalon Wolfsberg« zu einer wichtigen Plattformfür viele namhafte avantgardistische Künstler der Zeitentwickelt. Der Gründer der Galerie, Johann EdwinWolfensberger, war nicht nur Experte im Steindruckund Pionier des schweizerischen Kunstplakatdrucks,sondern engagierte sich zeitlebens auch als Fördererder aktuellen Kunst. Die Galerie war im Jahre 1911aus einer Druckerei hervorgegangen1. So ist es nichtverwunderlich, dass ein Schwerpunkt der Ausstel-lungstätigkeit im Bereich der Druckgraphik lag. Bis heu-te vereint das Haus in der Bederstraße 109 in Zürichdie Galerie, eine Druckerei und einen auf künstlerischePublikationen spezialisierten Verlag unter einem Dach2.

In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen ver-anstaltete der Kunstsalon Wolfsberg in unregelmäßigenAbständen Übersichtsausstellungen der Kunst einzelnereuropäischer Länder: 1924 beispielsweise wurde»Ungarische Graphik« präsentiert3, gefolgt im Jahre1927 von »Hundert Jahre Österreichische Kunst«4 und

1931 von einer »Ausstellung der Sowjetunion«5. DenAuftakt machte 1921 die mit einer Fülle von Exponatenauftrumpfende Präsentation »Deutsche Grafik. 2000Werke«6. Eine Folgeausstellung zur Deutschen Grafikwar für 1923 geplant, wurde aber aus nicht überlie-ferten Gründen – man könnte mutmaßen, wegen derdesolaten wirtschaftlichen Situation in Deutschland –nicht realisiert. Für eines dieser beiden Projekte entwarfErnst Ludwig Kirchner in Deckfarben ein in mehrfacherHinsicht bemerkenswertes Plakat (Abb. 1), obwohl seinWerk nie, den einschlägigen Kirchner-Ausstellungsver-zeichnissen nach zu urteilen, in dieser Galerie ausge-stellt war. Das überrascht vor dem Hintergrund, dassKirchner seit 1919 in Davos in Graubünden ansässigwar, dass er schon 1918 den Erfolg einer Einzelaus-stellung im Kunsthaus Zürich für sich verbuchen konnteund dass Wolfensberger die Kunstrichtung des Deut-schen Expressionismus vertrat7.

Auch wenn infolge der dürftigen Quellenlage keinunmittelbarer Zusammenhang zwischen Inhalt und Kon-

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ZusammenfassungDen 200. Todestag von David Roentgen hat das GermanischeNationalmuseum zum Anlass genommen, den Bestand seiner inder Roentgen-Werkstatt hergestellten Möbel holzbiologisch zuuntersuchen. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die aufwendigenMarketerien überwiegend aus heimischen Holzarten gefertigtsind, wobei zum Teil versucht wurde, durch spezielle Beizvor-gänge den Eindruck kostbarer exotischer Hölzer zu erwecken.Verwendet wurden sowohl von Natur aus stark farbige wieauch gefärbte Furniere. Auf elektronischem Wege ließ sich dieursprünglich starke Farbigkeit beispielhaft an den Marketeriendes Ständerschreibtischs rekonstruieren. Nahezu alle verarbei-teten Hölzer wuchsen im 18. Jahrhundert in der näheren Umge-bung von Neuwied, wo die Werkstatt von Abraham und DavidRoentgen seit 1750 ansässig war. Die ehemalige GrafschaftWied mit der Obergrafschaft Wied-Runkel, die den Wester-wald umfasst, und mit der Untergrafschaft Wied-Neuwied, wo-zu das Neuwieder Becken und die ansteigenden Höhengehören, ist in geologisch und klimatisch derart vielfältig, dasshier zahlreiche Baum- und Straucharten heimisch waren.

AbstractThe GNM has taken the 200th anniversary of the death ofDavid Roentgen as an occasion to submit its inventory of furni-ture from the Roentgen Workshop to wood-biological exami-nation. The conclusion to be noted is that Roentgen’s elaboratemarquetries were largely produced with local species of wood,whereby an attempt was sometimes made to produce the effectof exotic woods with special staining processes. Both naturallycolour-intense and artificially dyed veneers were employed. Byway of example, it was possible to reconstruct, electronically,the brilliant original hues of the marquetry of the reading desk.During the 18th century, almost all of the wood species usedcould be found growing in the immediate vicinity of Neuwied,where the workshop of Abraham and David Roentgen hadbeen established since 1750. The former County of Wied withthe Principalities Wied-Runkel – including the Westerwald –and Wied-Neuwied – with Neuwied Basin and the surroundinghighlands – is so geologically and climatically diverse that agreat variety of trees and bushes were indigenous.

Petra Krutisch, Martin Meyer und Gudrun Weiner

»die Materialien bestmöglichst ausgesuchet«Holzartenbestimmung an den Roentgen-Möbeln des Germanischen Nationalmuseums

In Vorbereitung eines Bestandskataloges der Möbel-sammlung und der Ausstellung »Weltberühmt und heißbegehrt. Möbel der Roentgen-Manufaktur in der Samm-lung des Germanischen Nationalmuseums« wurdenneun Exponate aus der Neuwieder Werkstatt genaueruntersucht. Unter anderem galt es, bei drei Schreib-möbeln, vier Stühlen und zwei Marketeriebildern dieverwendeten Holzarten zu ermitteln. In enger Abstim-mung arbeiteten die Holzbiologin Gudrun Weiner, dieKunsthistorikerin Petra Krutisch und der Möbelrestaura-tor Martin Meyer bei dem Projekt zusammen. Die Kunst-historikerin mit der Begeisterungsfähigkeit für das Mate-rial Holz und mit kritischer Hinterfragung der Ergebnis-se war Auftraggeberin und Ansporn der Arbeit. Der Mö-belrestaurator, ausgestattet mit umfangreichen Ver-gleichsmustersammlungen und als gelernter Schreinermit dem Blick für Aussehen und Erscheinungsbild einerHolzart, näherte sich zunächst intuitiv und augenschein-

lich vergleichend dem Material. Die Holzbiologinschließlich ging mit ihrer Lupe mit zehnfacher Vergröße-rung und einer Kaltlichtlampe an die botanische Bestim-mung der Hölzer heran, was die genaue Kenntnis deszellularen Aufbaus und der strukturellen Unterschiededer verschiedenen Arten voraussetzt.

Die Möbel aus der Roentgen-Werkstatt wurden aussehr fein bearbeiteten und hervorragend geschliffenenHölzern hergestellt. Geschliffene Oberflächen bietenfür die Holzartenerkennung exzellente Voraussetzun-gen. Um eine derartige Qualität zu erreichen, benötig-te man nicht nur erstklassige Handwerkerkunst, sondernvor allem Hölzer, die eine entsprechende Härte undRohdichte aufweisen. Die eingesetzten Hölzer besitzenallesamt eine Rohdichte zwischen 0,65 und 0,9 g/cm3.Zu ihnen zählen unter anderem der Ahorn (r0: 0,59–0,75 g/cm3), die Stechpalme (r0: 0,68–0,80 g/cm3),der Buchsbaum (r0: 0,79–0,97 g/cm3) und der Weiß-

GNM_161-183_Krutisch 02.05.2007 16:36 Uhr Seite 161

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Zusammenfassung1533 erhielt Hans Krell das Bürgerrecht der Stadt Leipzig, nach-dem er zuvor als Hofmaler in Diensten des Königs Ludwig vonUngarn gestanden hatte. In Leipzig malte Krell Fürstenbildnissefür die Porträtgalerie Herzog Albrechts von Preußen sowie fürden Kurfürsten Moritz von Sachsen. Den umfangreichsten Auf-trag erhielt der Maler 1551 oder bald danach vom Rat derStadt Leipzig zur Ausstattung des Rathauses. Krell sollte eineFürstengalerie mit lebensgroßen Bildnissen der Herzöge undKurfürsten des Hauses Wettin, der Landgrafen von Hessen, mitdenen die Wettiner durch Heirat verbunden waren, und einigerFrauen der Regenten schaffen. Zusätzlich wurden im Rathaus-saal die Bildnisse der Kaiser von Sigismund bis Karl V. und vondessen Sohn Philipp aufgehängt, womit der Rathaussaal auchzum Kaisersaal wurde. Das Programm der Fürstengalerie imLeipziger Rathaus sollte die Legitimation des 1547 mit der Kur-würde betrauten Landesherrn Herzog Moritz, der sich der Re-formation angeschlossen hatte, unterstützen. Wohl um diesenkonfessionellen Anschluss abzusichern, treten die jüngeren An-gehörigen der albertinischen und ernestinischen Linie und desHauses Hessen gleichwertig auf. Den Kaisern verdankte dieStadt Leipzig wichtige Privilegien, und das Haus Wettin bekun-dete durch die Präsentation der Kaiserbilder seine Loyalität.Krell war bestrebt, jeden Fürsten, der dem Betrachter in ganzerFigur entgegentritt, in der ihn charakterisierenden Haltung undin der einer Standesperson angemessenen Kleidung ins Bild zusetzen. Phantasievolle und abwechslungsreiche Kostüme ver-hindern eine ermüdende Uniformität. Als im 18. Jahrhundert dasalte Leipziger Rathaus umgebaut wurde, schaffte man die Bild-nisse auf den Dachboden des Gewandhauses, wo sie, teils miterheblichen Schäden, in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundertsaufgefunden wurden.

AbstractIn 1533, after serving as court painter to King Ludwig of Hungary,Hans Krell acquired citizenship rights in the city of Leipzig.There, he painted princely portraits for the portrait galleries ofDuke Albrecht of Prussia and the Elector Moritz of Saxony. In1551 or shortly thereafter, Krell received from the Leipzig citycouncil his largest commission. For the decoration of the TownHall, the painter was charged to create a gallery of life-sizedimages of the dukes and electors of the house of Wettin, thelandgraves of Hessia, with whom the Wettins were allied bymarriage, and a number of their wives. In addition, portraits ofevery emperor from Sigismund to Charles V and his son Philipwere hung in the great hall of the Town Hall, thereby turning itinto an Imperial Hall. The purpose of the pictorial program ofthe royal gallery in the Leipzig Town Hall was to reinforce thelegitimation of Moritz, Duke of Saxony and since 1547 PrinceElector, who had embraced the Reformation. The balanced re-presentation of the younger members of both the Albertine andErnestine lines and the House of Hessia was undoubtedly meantto bolster the confessional affiliation. Leipzig was indebted tothe emperors for important privileges and the House of Wettinasserted its loyalty through the presentation of the imperialportraits. Krell sought to depict the princes, each of whomconfront the viewer in full figure, in individually characteristicposes and appropriate uniforms. Imaginative and richly variedcostumes preclude tiresome monotony. When the old TownHall of Leipzig was remodeled in the 18th century, the portraitswere removed to the attic of the Gewandhaus, where they werefound again, some of them in severely damaged condition, inthe second half of the 19th century.

Kurt Löcher

Der Maler Hans Krell aus Crailsheimals »Fürstenmaler« in Leipzig

Im Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfrankenerschien 1995 mein Beitrag »Der Maler Hans Krell ausCrailsheim in den Diensten des Markgrafen Georg vonBrandenburg-Ansbach und König Ludwigs II. von Un-garn«1. Den Anstoß gab damals der von Hans JürgenWunschel aufgefundene und publizierte Brief desMalers an Markgraf Georg den Frommen aus demJahr 15252. Krell schildert darin – ein Jahr vor dem TodKönig Ludwigs in der Schlacht von Mohács, der Krells

Hofdienst ein Ende setzte – seine sich verschlechtert ha-benden Lebensverhältnisse, die den wachsenden undin der vorübergehenden Einziehung der FuggerschenGüter gipfelnden Aversionen der Ungarn gegen diedort lebenden und ihre Geschäfte treibenden Deut-schen und der Zahlungsunwilligkeit seines königlichenAuftraggebers und dessen Gemahlin angelastetwerden3. In den ersten Jahren nach 1526 wissen wirnichts über Krell, doch dürfen wir annehmen, dass sich

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ZusammenfassungIn Privatbesitz fanden sich drei bislang unpublizierte Hefte, indie der Maler Paul Bürck (1878–1974) Landschaftsdarstellun-gen eingeklebt hat. Zusammen mit seinem Studienfreund Niko-laus Schmid-Dietenheim (1878–1915) war er in Tirol gewan-dert, wo beide romantische Burgen und Landschaften gezeich-net haben. Auch Schmid-Dietenheim füllte auf dieser Wande-rung ein Heft mit Skizzen, die später in denselben Privatbesitzgelangten. Es ist reizvoll und aufschlussreich, die unterschied-lichen Auffassungen und Sichtweisen beider Künstler bei derUmsetzung gleicher Motive zu studieren. Paul Bürck hat späterseine Landschaftsdarstellungen mit ornamentalen Rahmen ver-sehen und dadurch dem Heft ein einheitliches Erscheinungsbildgegeben. Hier kündigt sich bereits Bürcks Vorliebe für dieGestaltung von Büchern an, wofür er später berühmt werdensollte, als er an die Künstlerkolonie nach Darmstadt und an dieBuchgewerbeklasse der Kunstgewerbe- und Handwerkerschulenach Magdeburg berufen wurde.

AbstractThree previously unpublished sketchbooks have come to light inprivate possession, into which the painter Paul Bürck (1878—1974) had pasted landscape drawings. He and a fellowstudent, Nikolaus Schmid-Dietenheim (1878—1915), had beenhiking together in Tyrol, where both had produced sketches ofromantic castles and landscapes. A sketchbook filled withdrawings by Schmid-Dietenheim on the same hike later cameinto the same hands. It is both appealing and instructive to studythe differing perceptions and points of view of the two artist-friends in their approaches to the same motives. Paul Bürcklater framed his landscape drawings with ornamental borders,thereby giving the sketchbook an appearance of uniformity.Here we obtain a hint of the predilection for book design, forwhich Bürck would later became famous when he was calledto the artists' colony at Darmstadt and then to the book-artsmaster class of the Magdeburg school of crafts and appliedarts.

Ruth Negendanck

Neue Forschungen zu Paul (Wilhelm) Bürck

Nach dem Ende der Ausstellung »Künstlerkolonien inEuropa. Im Zeichen der Ebene und des Himmels« imGermanischen Nationalmuseum in Nürnberg im Jahre2002 erschien es wünschenswert, weitere Forschungs-arbeit in dieses interessante Phänomen einzubringen,da »Forschungsfelder noch brach« liegen1. Die Künst-lerregion des Chiemsees gehört mit ihrer ursprüng-lichen Künstlerkolonie Frauenchiemsee zu einem dieserausstehenden wissenschaftlichen Desiderate, zumal sieim damaligen Katalog und in der Ausstellung nicht be-arbeitet wurde. Die Aufarbeitung ist nunmehr in einerumfangreichen Publikation in Vorbereitung. Ein Teiler-gebnis dieser Arbeit soll hier vorgestellt werden.

Im Frühjahr 2006 fanden sich in einem Privathaushaltdrei blaue, großformatige aufwändig gestaltete Zei-chenhefte des als Jugendstilkünstler geltenden PaulBürck, geboren am 3. September 1878 in Strassburgund am 18. April 1947 gestorben in München. Zu demFund gehörten außerdem drei weitere, mit reichhaltigemMaterial gefüllte Hefte seines Studienfreundes Nikolaus

Schmid-Dietenheim, geboren am 24. Februar 1878 inDietenheim und am 7. März 1915 gefallen in Nord-frankreich. Zeichenhefte geben immer Auskunft überIdeen und Einfälle eines Künstlers, doch diese sind vonbesonderer Art. Das erste Heft von Paul Bürck trug 1896den Titel »Die alte und die neue Zeit«. Es umfasste 20 Blät-ter mit 27, teils mehrfarbigen Zeichnungen. Die zwei wei-teren Hefte von 1897 hatten eine Tirolwanderung mitSchmid-Dietenheim zum Thema, die jeweils 20 Blätter, mit34 und 37 meist kolorierten Zeichnungen enthielten. SeinWanderfreund nahm seinerseits die Reise zum Anlass,seine eigenen Zeichnungen auch in einem Zeichenheft zusammeln. Dieses Heft enthält 23 Blätter mit 44 Bleistift-zeichnungen, teils koloriert. Die zwei weiteren Hefte vonSchmid-Dietenheim zeigen großformatige Zeichnungenaus Venedig und vom Chiemsee. Alle sechs Zeichenhefteentstanden in einer Zeit, in der sich beide Künstler nochin ihrer künstlerischen Entwicklung befanden.

Alexander Koch hatte Paul Bürck »entdeckt« und ihnim Jahre 1899 den Lesern seiner Zeitschrift »Deutsche

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Bernd Schneidmüller

Mittelalter begreifenVon der nationalen Sinnstiftung zum ethnographischen Blick

Vortrag zur Eröffnung der Mittelalterausstellungim Germanischen Nationalmuseums am 26. April 2006

Die heutige neue Präsentation der Mittelalterabteilung istein Meilenstein in der Geschichte dieses Hauses und inder Reihe internationaler Mittelalterausstellungen zu-gleich. Dieses Ereignis fällt in eine Zeit anhaltender Erin-nerung an ältere Epochen deutscher Geschichte, die vonrunden Jubiläen geleitet wird. Vor 900 Jahren starbHeinrich IV., der Canossakaiser. Vor 200 Jahren fanddas Heilige Römische Reich sein Ende. Das historischeGedächtnis der Deutschen wird heute weniger durch ei-ne breite Schulbildung als durch große Ausstellungenund Inszenierungen geprägt. Mit dieser Eröffnung ent-steht ein neues Glanzlicht, in Qualität wie Ruhm einSpitzenstück europäischer Museumskultur. Die aktuelleZurschaustellung will nicht nur die modernen Möglich-keiten von Ausstellungsarchitektur oder -beleuchtung nut-zen, sie setzt vielmehr mittelalterliche Kultur ganz neu inSzene und zeigt Zusammenhänge und überraschendeVerbindungen auf. Dieser neue Anfang lässt uns überden wechselnden Umgang mit »Mittelalter« nachden-ken, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Im Mu-seum geht es immer zugleich um die Bewahrung wie umdie beständige Neuerung unserer Vergangenheitsbil-der. Dem kulturellen Erbe geben wir Sinn und Ordnung,indem wir es zeigen, in Szene setzen und anschauen.Von Beginn an entfaltete sich das Germanische National-museum als Forschungsinstitut. Darum beruht die Neu-formierung der Schausammlung auf dem besten wissen-schaftlichen Kenntnisstand kulturhistorischer Forschung.Freilich – das anhaltende Gespräch mit der Vergangen-heit und ihren Schätzen verändert Wissen beständig,weil Erkenntnis dem Interesse folgt. Darum verlohnt dieKenntnis der Mittelalterbilder aus 150 Jahren.

Über die Geschichte des Germanischen National-museums wurde bei den Jubiläumsfesten der vergan-genen Jahre viel gesprochen. Hier genügen darum diewichtigsten Striche zur Bedeutung des Mittelalters. Zwi-schen dem Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806und der Begründung des ersten Deutschen Kaiserreichs1871 schlug man in Nürnberg einen eigenständigenWeg zur Bewahrung und Benutzung deutscher Kultur

ein. Das Handeln des fränkischen Freiherrn Hans vonund zu Aufseß und der bayerischen Könige stand imRahmen einer breiteren nationalen Bewegung. Dochder kühne Griff nach der ganzen deutschen Vergan-genheit zielte weiter, als es die kleindeutsche Lösungunter preußischer Führung später gebrauchen konnte.Bis heute erhielt sich die Spannung zwischen demsupranationalen kulturellen Anspruch und den institu-tionellen Interessen nationaler Geldgeber.

Im 19. Jahrhundert boten germanische Vorzeit undMittelalter hochfliegenden deutschen Wünschen idealeBezugssysteme. Das Alte schien groß und beispielhaft,vom frischen Schwung der Anfänge geprägt. Über zweiJahrhunderte, von der Romantik bis ins ausgehende 20.Jahrhundert, erstand das deutsche Mittelalter aus demZauber der Einheit und dem Glanz der Größe. 1799gab Novalis in seiner Rede »Die Christenheit oder Euro-pa« der Sehnsucht seiner Zeit eine Richtung: Das Mittel-alter als eine glückliche, ferngerückte Epoche von Ganz-heit und Gemeinschaft, eine christliche Einheitskultur un-ter fürsorglicher Leitung der Kirche. Erst Luthers Beharrenauf der Schrift hätte die heile Welt philologisiert und ge-spalten. Dieses Mittelalter war eigentlich gar keine Ver-gangenheit, sondern Utopie. Bis heute fangen uns solchehistorischen Verlockungen ein, wenn wir Geschichte ausaktuellen Sehnsüchten neu gestalten. Zu den Konstruk-tionen gehört durchaus auch die Herauslösung kirch-licher Kunst aus ihren Funktionszusammenhängen. Prä-sentiert in russfreien Schatzkammern aus kühlem Licht er-glänzen Spitzenstücke aus Gold und Elfenbein wie eineVerheißung ferner Größe. Dieses Haus ist zu Recht stolzauf solche Zimelien: das Ardennenkreuz, den CodexAureus aus Echternach, Elfenbeine, Goldschmiede-arbeiten, Bronzen, Emails, Reliquienkästen, Kruzifixe ausHolz, Glasmalereien. Mittelalterliche Kirchenkunst wirdheute zum Anlass säkularen, musealen Staunens.

Dem Zauber der Einheit folgte im 19. Jahrhundertder Glanz der Größe. Auf die vollständige Erfassungder deutschen Altertümer zur sittlichen Erziehung derNation zielten die Pläne der Freiherrn vom Stein und

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ZusammenfassungDas streitende Ehepaar auf einem Gemälde mit dem nichthistorischen Titel »Trigonometrischer Disput« des aus Frankfurtstammenden Malers Georg Michael Kraus (1737–1806) istvermutlich mit Friedrich Carl Freiherr von Groschlag zu Dieburg(1729–1799) und seiner Gemahlin Sophie Gräfin von Stadion(1753–1828) zu identifizieren. Wichtigstes Indiz für die Be-stimmung ist die Wiedergabe des Kommandeurskreuzes desköniglich ungarischen St. Stephans-Ordens, das Maria Theresia1765 Groschlag verliehen hatte. Groschlag stand in Dienstender Mainzer Erzbischöfe, Kurfürsten und Erzkanzler FriedrichCarl Graf von Ostein (1690–1763) und Emmerich JosephFreiherr von Breidbach-Bürresheim (1707–1774). DessenNachfolger Friedrich Karl Joseph Freiherr von und zu Erthal(1719–1802) entließ unmittelbar nach seinem Amtsantritt1774 Groschlag aus allen Ämtern. Das Gemälde dürfte kurzdanach entstanden sein.

AbstractThe disputing couple in a painting by the Frankfurt painterGeorg Michael Kraus (1737–1806) that bears the non-historical title »Trigonometrischer Disput« are probably to beidentified as Baron Friedrich Carl von Groschlag zu Dieburg(1729–1799) and his wife Countess Sophie von Stadion(1753–1828). The most important evidence in support of thisidentification is the representation of the Commander’s Cross ofthe Royal Hungarian Order of St. Stephan, which was awardedto Groschlag by Maria Theresia in 1765. Groschlag served un-der two consecutive archbishop-electors and archchancellorsof Mainz, Count Friedrich Carl von Ostein (1690–1763) andBaron Emmerich Joseph von Breidbach-Buerresheim (1707–1774). Immediately after taking office in 1774, the successorto the latter, Baron Friedrich Karl Joseph von und zu Erthal(1719–1802), discharged Groschlag from all of his offices.The painting probably dates to shortly thereafter.

Christian Steeb

Eine Neuinterpretation des Gemäldes »Trigonometrischer Disput«von Georg Melchior Kraus

Im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums1996 publizierte Peter Strieder eine anregend ge-schriebene und äußerst detaillierte Auseinandersetzungmit dem kaum bekannten Gemälde »TrigonometrischerDisput« des aus Frankfurt am Main stammenden MalersGeorg Melchior Kraus (1737–1806) in der Sammlungdes Germanischen Nationalmuseums (Abb. 1)1. Striederist in seinem Aufsatz zahlreichen Details nachgegan-gen, um das recht seltene Thema eines offensichtlich hef-tig streitenden Paares dem Betrachter näher zu bringen.Es gelang ihm, neben biographischen Angaben zumKünstler und seinem künstlerischen Umfeld den kunst-historischen Kontext dieses seltenen Themas aufzuzei-gen. Von Strieders Forschungsergebnissen ausgehendlassen sich, vor allem aus dem historischen Kontext,einige bisher unbekannte oder zu wenig beachtete De-tails zur Interpretation dieses Gemäldes hinzufügen.Peter Strieder selbst hatte schon auf den dokumenta-rischen Charakter dieses Kunstwerkes und auf das in-dividuelle Erlebnis, welches zur Entstehung des Bildesmaßgeblich beigetragen haben musste, am Ende seiner

Betrachtungen hingewiesen2. Nimmt man diese zweifels-ohne richtige Hypothese zum Ausgang für die Deutungdes Bildinhaltes, muss eine enge persönliche Verbindungzwischen dem Auftraggeber und dem ausführendenKünstler bestanden haben. Ein derart privates Thema,wie die Szene eines heftigen Streites zwischen Eheleuten,wäre sonst wohl kaum darstellbar gewesen. Mein Haupt-interesse lag zunächst daran, die beiden Personen aufdem Gemälde zu identifizieren und die Verbindungzum ausführenden Künstler zu dokumentieren. Nebendem künstlerischen Werdegang von Georg MelchiorKraus wurde damit auch der faszinierende Lebenswegeines der talentiertesten Diplomaten des 18. Jahrhun-derts wieder lebendig.

Zur Stiftung und Bedeutungdes königlich ungarischen St. Stephans-Ordens

Beginnen wir mit einem wichtigen Detail, dem auffälligan der Kante des Schreibtisches positionierten Ordens-zeichen im Vordergrund des Bildes. Dieses, durch

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ZusammenfassungDer in Haunsheim bei Lauingen an der Donau 1684 geboreneund 1738 in Nürnberg gestorbene Zinngießer und Silber-stecher Johann Georg Mettel schuf zu Beginn des 18. Jahrhun-derts silberne Kalendarien, verbunden mit Elfenbeintafeln, diesich mit einem Stift beschreiben ließen. Die Kalendarien be-stehen aus beweglichen Scheiben, mit deren Hilfe sich ver-schiedene astronomische Daten feststellen lassen. Die Nach-frage nach derartigen kostbaren und aufwändig gearbeitetenEnsembles entstand bald nach der Einführung der Gregoria-nischen Kalenderreform auch in den deutschen protestantischenLändern und Städten im Jahre 1700.

AbstractAt the beginning of the 18th century, the pewterer and silver en-graver Johan Georg Mettel (born 1684 in Haunsheim nearLauingen on the Danube; died 1738 in Nuremberg) producedsilver calendaria in combination with ivory tablets that could beinscribed with a stylus. These perpetual calendars consist ofmoveable discs, with the help of which it was possible tocalculate various astronomical data. The demand for such com-plex and exquisite ensembles arose soon after the Gregoriancalendar reform was adopted by the Protestant states and citiesof Germany in 1700.

Karin Tebbe

Der Lauf der ZeitImmerwährende Kalender des Johann Georg Mettel aus Nürnberg

Im Rahmen des bis 2005 von der Deutschen For-schungsgemeinschaft finanzierten Projekts zur Nürn-berger Goldschmiedekunst 1541–1868 stießen dieMitarbeiter wiederholt auf schriftliche Quellen, in de-nen Objekte genannt sind, von deren Aussehen undFunktion man zunächst keine rechte Vorstellung gewin-nen kann. Schriftliche Quellen überliefern die zeit-genössische Bezeichnung dieser Objekte, und es gehtsomit darum, Wort und Sache zur Deckung zu bringen.Außerdem gibt es mitunter Objektgruppen aus Edel-metall, die weder ein Beschauzeichen noch eine Mei-stermarke aufweisen. Auch hierfür können schriftlicheQuellen mitunter eine Begründung liefern.

In dem hier zu behandelnden Fall beginnt die Ge-schichte mit einem Verbrechen: Kein großes Vergehen,eher die alltägliche Gaunerei eines stadtbekanntenKleinkriminellen. Nach den Nürnberger Ratsverlässenvon 1714 zeigt der Nürnberger Jurist Dr. Johann JobstHeder an1, dass Johann Georg Hassler »ein Draht-zieher, ihm eine helffenbeinerne, in grün Sammt ge-bundene, und mit Silber beschlagene Schreibtafelaus dem Schubsack [Rocktasche] gezogen, und EvaCath.[arina] Messerin, wie auch n. Stadlerin, eineBleyweißschneiderin, solches gesehen haben sollen«2.

Der dem Rat als Wiederholungstäter bekannte Jo-hann Georg Hassler wurde daraufhin verhaftet. Nach-

dem Hassler als Dieb überführt und bestraft worden ist,lässt dessen Frau bei dem bestohlenen Johann Jobst He-der sogleich unverfroren anfragen, ob dieser nicht Tauf-pate für das soeben geborene Kind des Delinquentenwerden wolle3, da der Vater – nun in Haft sitzend – sichoffensichtlich außerstande sah, für das Kind zu sorgen.

Auch wenn der weitere Verlauf der Ereignisse nichtbekannt ist, lässt sich doch über die Art des Streitobjek-tes einiges sagen. Ganz offensichtlich handelt es sichbei der gestohlenen »Schreibtafel« um ein für das be-ginnende 18. Jahrhundert typisches, multifunktionalesNürnberger Erzeugnis, ein silbernes Kalendarium mitElfenbeintafeln für eine wohlhabende Käuferschicht, zuder auch Johann Jobst Heder gehörte. Einige dieser inNürnberg hergestellten »Immerwährenden Kalender«haben sich bis heute erhalten und geben eine Vorstel-lung von dem Diebesgut.

Ein Ensemble, das aus einem ewigen Kalender mitSchreibtafeln, Stift und einem zweiteiligen Lederetui be-steht, befindet sich im Museum Huelsmann, Bielefeld(Abb. 1)4. Zwei flache, rechteckige Silberplatten bildendie Deckel eines Notizblocks mit drei dünnen Schreib-täfelchen aus Elfenbein. Ein zweiteiliges Lederetui undein silberner Stift, der mit einer Kohlemine bestückt wer-den konnte, komplettieren das Set. Die beiden Außen-seiten zeigen jeweils eine bewegliche, kalendarische

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ZusammenfassungIm Institut für Kunsttechnik und Konservierung am Germa-nischen Nationalmuseum wurde ein kleines Tafelgemälde ausMünchner Privatbesitz mit der Darstellung des »Gleichnissesder Arbeiter im Weinberg« untersucht. Eine zweite, gleichgroße und nahezu identische Fassung dieses Themas mit derSignatur von Rembrandt und der Jahreszahl 1637 ist im Besitzder Ermitage in St. Petersburg. Es galt zu klären, in welchemVerhältnis die St. Petersburger und die bislang unbekannteMünchner Fassung zueinander stehen. Differenzierte Unter-suchungen der Vorzeichnungen mit Infrarotlicht sowie Beob-achtungen und Interpretationen von Unterschieden dieser Vor-zeichnungen lassen den Schluss zu, dass das St. PetersburgerBild eine womöglich in Rembrandts Atelier gefertigte Wieder-holung des Münchner Bildes ist. Ernst van de Wetering hältnach eingehender Untersuchung entgegen früherer Meinungdes »Rembrandt Research Projects« das St. Petersburger Bild fürdas Original.

AbstractA small panel painting from a private collection in Munichthat depicts the Parable of the Laborers in the Vineyard wasexamined in the Institute for Art Technology and Conservationat the GNM. A second version of this theme, identical in sizeand almost identical in detail, is owned by the Hermitage inSt. Petersburg. It bears the signature of Rembrandt and the date1637. The objective was to clarify the relationship between theSt. Petersburg painting and the previously unknown Munich ver-sion. Differentiated examinations of the preliminary drawingswith infrared light and analysis of the differences in the prelimi-nary drawings permit the conclusion that the St. Petersburgpainting is a copy, possibly painted in Rembrandt’s studio, ofthe version in Munich. After detailed examination, Ernst van deWetering now regards the St. Petersburg painting – counter tothe earlier opinion of the Rembrandt Research Project – as theoriginal.

Arnulf von Ulmann

Rembrandt gepaust»Das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg« in der St. Petersburger Ermitage

und eine weitere neu entdeckte Versionmit einer Nachschrift von Ernst van de Wetering

Dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg wurdeaus Münchner Privatbesitz eine kleine Bildtafel mit dem»Gleichnis der Arbeiter im Weinberg« präsentiert, diebereits auf den ersten Blick als eine genaue Wiederho-lung einer Tafel der St. Petersburger Ermitage erkanntwerden konnte. Das Münchner Bild kam vor zwanzigJahren in den derzeitigen Besitz und wurde in einemMünchner Atelier restauriert. Die St. Petersburger Tafelkam 1772 mit der vollständigen Sammlung Crozatdurch Katharina II. in die kaiserlichen Sammlungen. Esist in das Rembrandt-Corpus aufgenommen (Abb. 1und 2)1.

Vordergründig stellt das Bild die Entlohnung von Ar-beitern in einer Diele dar, während andere miteinandergestikulieren oder noch verschiedene Aufgaben ver-richten. Wie es zu dem Bildtitel kam, sei hier dahin-gestellt. Das Inventar der Sammlung Crozat von 1740bezeichnet das Gemälde »Judas und die Silberlinge«,während alle folgenden Verzeichnisse die Tafel unterdem Titel »Gleichnis der Arbeiter im Weinberg«

führen2. Die Parabel der Entlohnung der Arbeiter imWeinberg schildert der Evangelist Matthäus in Kapitel20, Vers 1–16. Mit dem abschließenden Satz desGleichnisses, »so werden die Letzten die Ersten seinund die Ersten die Letzten« beschreibt der Evangelistdie Gleichheit aller Menschen vor Gott. Ein Weinberg-besitzer hatte zu unterschiedlichen Tageszeiten Tage-löhner zur Weinlese angeworben und jedem einenDenar geboten. Als am Abend der Verwalter des Wein-bergs die Arbeiter mit je einem Denar entlohnte, regtesich lauter Unmut unter den Tagelöhnern, da sie an-nehmen durften, entsprechend ihrer Arbeitszeit ausge-zahlt zu werden.

Auf dem Tafelbild ist das Gleichnis in drei Hand-lungsabläufen dargestellt. Auf der rechten Bildseite ge-hen drei Männer noch ihrer mühsamen Arbeit mit Wein-fässern und geschnürten Ballen nach. Offenbar wissensie, dass ihre Zeit der Entlohnung noch nicht gekommenist. Die mittlere Arbeitergruppe vermittelt den Eindruck,als habe sie ihren Denar schon bekommen, aber mit

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