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D-A-CH- Tagung 2005 in Köln, organisiert von der DGEB
in Zusammenarbeit mit der OGE und der SGEB
D-A-CH- Conference 2005 in Cologne, organized by the DGEB
in co-operation with the OGE and the SGEB
Aktuelle Themen des Erdbebeningenieurwesens und der Baudynamik
Current topics in earthquake engineering and structural dynamics
K. Meskouris I Chr. Butenweg I K.G. Hinzen (Hrsg.) Aachen 2005
ISBN:
Druck.
3-930108-09-7
Druckerei Klinkenberg, Aachen
Telefon 02 41 I 53 39 38
© 2005 I DGEB, Aachen
Vorwort
Unsere D-A-CH- Tagung am 22. und 23. September 2005 in Köln steht in der Tradition der alle drei Jahre von den Schwestergesellschaften DGEB, OGE und SGEB veranstalteten Treffen zu Themen des Erdbebeningenieurwesens und der Baudynamik. Gastgeber ist diesmal die Universität zu Köln, mit Privatdozent Dr. Klaus-G. Hinzen, Leiter der Abteilung Erdbebengeologie des Instituts für Geologie und Mineralogie und der Erdbebenstation Bensberg der Universität zu Köln als örtlichem Organisator. Im Programm der D-A-CHTagung 2005 stehen Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik gleichberechtigt nebeneinander, wobei sich die jüngsten Entwicklungen auf beiden Gebieten, die zum Teil auch in neuen und aktualisierten Vorschriften bereits ihren Niederschlag fanden, im breiten Spektrum der vorzutragenden und in diesem Tagungsband zusammengestellten Beiträge widerspiegeln. Bezüglich Erdbeben spannt sich der Bogen vom Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht und der Angabe ingenieurseismologischer Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken bis hin zu Fragen der numerischen Simulation von unterirdischen V ersorgungsleitungen, des seismischen Verhaltens von Mauerwerk und der Vulnerabilität von Baudenkmälern in der Schweiz. Auf baudynamischer Seite reichen die Themen vom V erhalten von Lärmschutzwänden an BundesbahnSchnellbaustrecken über Einsatzmöglichkeiten von Reibungsdämpfern und Schwingungstilgern und der Untersuchung des Brückenverhaltens bei Zugüberfahrten bis hin zu dynamisch beanspruchten Tribünenplatten und der Auslegung von Hochbauten im Bereich chemischer Anlagen gegen Explosionsdrücke. Die Veranstalter geben der Hoffnung Ausdruck, dass bei der vorliegenden, nicht zuletzt an den Bedürfnissen der Praxis orientierten Palette von Beiträgen, für jede(n) Tagungsteilnehmer(in) etwas Interessantes dabei ist. Sollten Sie noch nicht Mitglied einer unserer Gesellschaften sein, dürfen wir Sie höflich auf die entsprechenden Internetseiten
http://www.dgeb.org http://www.oge.or.at http://www.sgeb.ch
aufmerksam machen, in der Hoffnung, dass Sie vielleicht doch eme Mitgliedschaft m Betracht ziehen!
Konstantin Meskonris (DGEB-Vorsitzender) I Klaus-G. Hinzen (Örtlicher Organisator)
III
Inhaltsverzeichnis
Sitzung Erdbeben I
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht (B. Weber und K.-G. Hinzen) Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials (A. Elenas, I. Tsiftzis und I. Andreadis) Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung seismisch beanspruchter Tragwerke (R. Harte und WB. Krätzig) Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland (M Devaux und P. Lestuzzi) V ersuche zum Verformungsverhalten gering bewehrter Stahlbetonwände unter statischzyklischen Einwirkungen (C. Greifenhagen und P. Lestuzzi)
Sitzung Baudynamik I
Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken (P. Nawrotzki und F. Dalrner) Simulations-Studie zum optimierten Einsatz von Reibungsdämpfern in seismisch erregten Konstruktion (L. Vasiliadis und A. Elenas) Zur Auslegung von Hochbauten im Bereich chemischer Anlagen gegen Explosionsdrücke (U. Weitkernper und J. Ockert) Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung (D. Kuh/mann, W Roeser und J. Lingemann)
Sitzung Erdbeben II
SIA 2018 -Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben (T. Wenk) Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten (M Mist/er) Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten (C. Wallner und L. Sternpniewski) Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken (G. Leydecker, T. Schrnitt, H Busche und Th. Schaejer) Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung (R. Borsutzky und L. Lehmann) Der Schiefe Turm von Köln - im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko? (W Kuh/mann und M Mist/er)
Sitzung Baudynamik II
Lärmschutzwände an Schnellbaustrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis (H Sadegh-Azar und H-G. Hartmann) Experimentelle Untersuchung und FE-Modeliierung der Brücke R3 im Hinblick auf die max. Beschleunigungen bei Zugüberfahrten (R. Flesch und S. Deix) Schwingungsanforderungen in der Nanotechnik (D. Heiland und K.-H Beyer) Die Übertragungsfaktoren (0. Klingmüller) Zerstörungsfreie Ermittlung der Steiflgkeiten einer Brettsperrholzplatte (D. Gsell, G. Feltrin und M Motavalli)
V
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
B. Weber 1 und K.-G. Hinzen 1
1 Abteilung Erdbebengeologie, Universität zu Köln
1 EINLEITUNG
Die Niederrheinische Bucht (NB) ist eine der tektonisch aktivsten Regionen in Deutschland. ln historischer Zeit traten hier immer wieder Schadensbeben mit lntensitäten VII-VIII auf. Aber auch in den letzten Jahrzehnten kam es zu stärkeren Erdbeben, die kleinere Gebäudeschäden vor allem in der südlichen und westlichen Niederrheinischen Bucht verursachten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Mikrozonierung der NB, um die seismische Gefährdung und das daraus resultierende Risiko besser abschätzen zu können. Ziel dieses Projektes der Abteilung für Erdbebengeologie der Universität zu Köln ist es, den Einfluss der lokalen Geologie auf Amplitude, Frequenzinhalt und Dauer der durch Erdbeben verursachten Bodenbewegung zu untersuchen. Von besonderem Interesse ist dabei der Einfluß nichtlinearen Materialverhaltens der Lockersedimente. Einem neuen 3D-Modell der Sedimente der NB werden virtuelle Bohrlöcher entnommen und den lithologischen Einheiten werden bodendynamische Kennwerte zugeordnet. Diese Daten dienen zur Berechnung der seismischen Antwort eines Systems homogener, visco-elastischer, horizontaler Schichten, das von vertikal einfallenden Scherwellen durchlaufen wird. Weiterhin werden frequenzabhängige Bodenbeschleunigungen bei Anregung durch Erdbeben mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelt.
2 GEOPHYSIKALISCHES MODELL
2.1 Geologisches 3D-Modell der südlichen Niederrheinischen Bucht
Der Aufbau des geologischen Untergrundes hat einen großen Einfluss auf die spektralen Eigenschaften der durch Erdbeben verursachten Bodenerschütterungen. Um diese Standorteffekte flächendeckend für den Raum der südlichen NB zu berechnen und zu kartieren, wurde zunächst ein geologischee 3D-Modell der Lockersedimente erstellt. Dies ermöglicht für jeden
beliebigen Standort innerhalb des Modells den geologischen Untergrund als 1 D Modell zu extrahieren.
2. 1. 1 Entwicklung des geologischen 3D-Modells
Zunächst mussten für den südlichen Raum der NB die geologischen Untergrundsdaten erhoben werden. Breddin hat in den 50er Jahren ein Hydrogeologisches Kartenwerk im Auftrag des Wasserwirtschaftsdezernats der Regierung Aachen und des Wasserwirtschaftsdezernats der Landesregierung NRW erstellt. Einschließlich des Aachener Bezirks umfasst das Kartenwerk etwa 35 Messtischblätter. Es wurde so angelegt, dass in der Ausführung A3 eine Beurteilung der Auswirkungen der damals geplanten großen Braunkohlentieftagebaue auf die Grundwasserverhältnisse in deren Umgebung möglich wird. Die Ausführung A3 besteht aus Profilen mit einer Tiefe bis zu mehreren 100 m in einem Abstand von 2 km. Die Ausführung A 1 besteht aus flacheren Profilen mit maximal 100 m Tiefe, die einen Abstand von 1 km haben. Diese Ausführung wird mit einigen Überarbeitungen vom Geologischen Dienst NordrheinWestfalen (GD NRW) als Hydrogeologische Karte herausgegeben. Die A3-Profile des Hydrogeologischen Kartenwerks wurden von der RWTHAachen zur Verfügung gestellt und dienen hier als Grundlage für das geologische Modell (Abb. 1 ). Weitere Informationen für das Modell liefern die zahlreichen Wasserpegelbohrungen und Tiefbohrungen sowie geologische Profile der RWE Power AG, die oft sogar bis in den Festgesteinsuntergrund reichen. Das gilt auch im Bereich der Erft-Scholle, mit bis zu 1300 m mächtigen Sedimenten. Zusätzlich wurden Bohrungen aus dem Datenbestand des GD NRW verwendet. RWE Power stellte eine detaillierte Karte der Störungen für den Bereich der Niederrheinischen Bucht zur Verfügung. Als digitales Höhenmodell wurden korrigierte Höhendaten der Shuttle Radar Topography Mission (SRTM) der NASA verwendet.
1
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
Für das 3D-Modell wurden die digitalisierten Profillinien des Hydrogeologischen Kartenwerkes in den tieferen Bereichen erweitert und anhand der anderen
Abb. 1: Gebiet des 3D-Modells (GSI3D). Die weißen Linien zeigen die Störungen im Gebiet, die farbigen Linien stellen geologische Profile dar.
Abb. 2: Perspektivischer Blick auf das geologische Modell. Der Abstand der Profile beträgt 2 km.
zur Verfügung stehenden Informationen wie Bohrungen, Störungskarten und geologischen Profilen, überarbeitet. Die Erstellung und Bearbeitung dieses Modells wurde mit dem Programm GSI3D von Sobisch (INSIGHT Geological Software Systems GmbH) umgesetzt (Abb.2 und 3).
2.2 Bodendynamische Parameter
2.2. 1 Scherwellengeschwindigkeit
Die Scherwellengeschwindigkeit ist ein wichtiger bodendynamischer Parameter in bezug auf die Bestimmung von Standorteffekten. Sie verknüpft die Geologie mit den seismischen Untergrundeigenschaften. Die Abnahme der Scherwellengeschwindigkeit in den oberen Lockersedimentschichten führt oft zu einer Erhöhung der Partikelgeschwindigkeit der Transversalwellen.
2
Budny (1984) hat die Abhängigkeit der Scherwellengeschwindigkeit von der Lagerungstiefe in Lockersedimenten anhand von Bohrlochessungen an 36 Standorten in der NB untersucht. Auch die Geschwindigkeiten für mehrere Festgesteine wurden ermittelt. Aus den gemessenen Scherwellengeschwindigkeiten wurden generalisierte Geschwindigkeitstiefenbeziehungen für unterschiedliche Sedimente erstellt. Hierbei wurde sowohl nach Sedimenttyp als auch nach Alter der Sedimente unterschieden. Die Geschwindigkeitstiefenbeziehungen lassen sich in einfachen Exponentialgleichungen der Form in Gleichung (1) ausdrücken.
A= Bezugsgeschwindigkeit an der Oberfläche Z= Lagerungstiefe
(1)
B= Exponent zur Bezeichnung der Tiefenabhängigkeit Vs= Scherwellengeschwindigkeit
Für die einzelnen Materialien wurden nach Gleichung (1) Geschwindigkeitstiefenfunktionen für Fallunterscheidungen nach Lithologie und Stratigraphie erstellt.
Abb. 3: Beispiel eines geologischen Einzelprofils aus dem 3D-Modell der südlichen NB. Von Ost nach West zeigt es die Kölner-Scholle, das Erft-SprungSystem, die Erft-Scholle und das RurrandSystem. Die schwarzen Pfeile geben die Positionen virtueller Bohrlöcher an.
2.2.2 Dichte
Die Dichte ist eine weitere wichtige Größe in bezug auf Standorteffekte. Pollak und Rapoport haben in Schön (1983) eine allgemeine Dichtetiefenbeziehung aufgestellt:
p = A + B·ln(Z) (2)
p =Dichte A = Dichte an der Oberfläche
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
Z = Lagerungstiefe B = Faktor zur Bezeichnung der Tiefenabhängigkeit
Aus den Dichtemessungen von Budny ( 1984) wurden alters- und materialspezifische Dichte-Tiefe-Beziehungen nach Gleichung (2) unterschieden nach Alter und Material für die NB erstellt.
2.2.3 Schermodul und Dämpfung
Zur Berücksichtigung nichtlinearen Materialverhaltens wurde die Abhängigkeit des Schermoduls und der Dämpfung von der Scherdehnung nach empirischen Beziehungen von Seed und ldriss (1970) festgelegt.
3 NUMERISCHE MODELLIERUNG
Die numerische Modeliierung erfolgte mit einer ,randomisierten' Version des Programms Shake91 (Shake2004 ). Dafür wurden aus dem geologischen Modell an ca. 650 Standorten die Bodenprofile virtueller Bohrlöcher extrahiert. Für jedes Bohrloch wurden 200 Einzelmodelle im Streubereich der Eingangsparameter ermittelt und die Standorteffekte berechnet. Aus den Ergebnissen wurden dann die Medianwerte und die 16%- und 84%-Fraktile für die Übertragungsfunktion und die frequenzabhängigen Bodenbeschleunigungen für den jeweilige Standort berechnet. Als Anregung wurden Erdbeben mit unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeilen verwendet.
3.1 Shake2004
Shake2004 ist eine Erweiterung des Programms Sha-. ke91. Das Programm Shake91 basiert auf Arbeiten von Schnabel et al. (1972) und ldris und Sun (1992). Shake91 berechnet die seismische Antwort eines Systems homogener, visco-elastischer, horizontal gelagerter Schichten, das durch vertikal propagierende Scherwellen angeregt wird. Grundlage des Programms ist die vollständige Lösung der Wellengleichung mit Hilfe der Fourieranalyse. Die erweiterten Funktionen von SHAKE2004 umfassen zum einem die Erhöhung der maximalen möglichen Zahl von Schichten von 50 auf 150. Diese Änderung war aufgrund der großen Sedimentmächtigkeit und der Komplexität des geologischen Untergrundes im Untersuchungsgebiet notwendig. Weiterhin wurde das Programm so umgeändert, dass es mit Ein- und Ausgangsdaten in SI-Einheiten arbeitet. Außerdem wurde eine Automatisierung der Berechnung implementiert. Ein externes Programm erstellt mehrere
Input-Files für ein Bodenprofil mit variierenden bodendynamischen Parametern (in einem festgelegten Schwankungsbereich) und ruft für jede Variation eine eigene Berechnung auf. Anschließend erfolgt eine statistische Auswertung der Ergebnisse. Für die errechneten Transferfunktionen werden Minimum, Maximum, Median, Mean und festlegbare Fraktilen der Grundresonanzfrequenzen und Oberschwingungen, als auch der jeweils zugehörigen Verstärkungen ermittelt. Aus den berechneten Bodenantwortspektren werden ebenfalls Minimum, Maximum, Median, Mean und festlegbare Fraktilen für die frequenzabhängigen Beschleunigungen, Geschwindigkeiten bzw. Verschiebungen berechnet. Dies ermöglicht die Untersuchung des Einflusses der Unsicherheiten in der Kenntnis der bodendynamischer Parameter auf die Standorteffekte.
3.2 Variation der Parameter
Die Scherwellengeschwindigkeit und Dichte wurden um die in Abschnitt 2.2 erwähnten Geschwindigkeitstiefen- und Dichtetiefenbeziehungen für die einzelnen Materialien innerhalb eines Zer-Streubereichs Gaussverteilt variiert (Abb. 4 ).
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Abb. 4:
,. ,. Depth [m] Depth[m]
Die roten Kreuze markieren von Budny (1984) gemessene Geschwindigkeits· und Dichtewerte (Beispiel Sand). Die roten Linien zeigen die empi· rischen Geschwindigkeits· und Dichtetiefen· beziehungen. Das graue Band gibt den 2cr· Bereich in dem die Geschwindigkeiten und Dich· ten der Einzelmodelle variiert werden an.
Für die unterschiedlichen Materialien wurden darüber hinaus auch die empirischen Beziehungen zwischen Schermodul bzw. Dämpfung und der Scherdehnung variiert und zwar innerhalb der Kurven für die unterschiedlichen Zusammensetzungen des jeweiligen Materials. Zum Beispiel werden die zufallsgenerierten Kurven für Sand durch die Kurven von tonigem und kiesigem Sand begrenzt (Abb. 5).
3
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
Aus den Übertragungsfunktionen von den jeweils 200 4 ERGEBNISSE Berechnungen mit den oben beschriebenen Vari-
ationen wurde der Medianwert, der Mittelwert, die 4.1 Grundresonanzfrequenz und Verstärkung
0.01 0.1 sh<..-slr.in!')l]
Abb. 5: Schermodul und Dämpfungskurven für tonigen Sand, Sand und kiesigen Sand. Das graue Band definiert den Bereich der zufallsgenerierten Kur-ven.
16%- und 84%-Fraktilen, sowie das Minimum und Maximum für die Grundresonanzfrequenz und die
0.01
0.001
0.01
Vors!;lrkung
Darstellung von 10 der 200 berechneten Transferfunktionen mit variierenden Parametern
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Abb.6: Bestimmung der Medianwerte, Minimum und Maximum der Grundresonanzfrequenz und der Amplitude am Beispiel von 10 Transferfunktionen für streuende bodendynamischen Parameter.
zugehörige Verstärkung ermittelt (Abb.6). So kann aus den jeweils 200 resultierenden Werten für die Grundresonanzfrequenz und die zugehörige Verstärkung der Schwankungsbereich, der sich aus den Parametervariationen ergibt, bestimmt werden. Im Gegensatz zur einfachen Mittelung der Transferfunktion und dem Ablesen der resultierenden Grundresonanzfrequenz und Verstärkung erhält man aussagekräftige Ergebnisse, die den Einfluss der Unsicherheiten in den Parametern wiederspiegeln.
4
ln Abbildung 7 sind die Grundresonanzfrequenzen für den Bereich der südlichen Niederrheinischen Bucht für Erdbeben mit Eintrittswahrscheinlichkeilen von 10% und 2% in 50 Jahren dargestellt. Die Anregungen basieren auf einem einfachen Modell von Hinzen et al. (2000). ln beiden Fällen sind die Grundresonanzfrequenzen nahezu gleich und korrelieren, wie zu erwarten, mit den Gesamtsedimentmächtigkeiten. Bei den größten Sedimenttiefen westlich des Erftsprunges, mit· Werten von bis zu 1300 m, liegen die Grundresonanzfrequenzen zwischen 0.1 und 0.2 Hz und nehmen dann im Großraum Köln, mit Sedimentmächtigkeilen von bis zu 400 m, auf 0.8 bis 1 Hz zu. Am Rand der NB, wo sehr geringen Sedimentmächtigkeilen auftreten, steigen sie auf bis zu 1 0 Hz. Generell nehmen die Grundresonanzfrequenzen mit abnehmender Sedimentmächtigkeit zu und erreichen bei Sedimentmächtigkeilen unter 200 m den bauwerksrelevanten Bereich zwischen 1 und 10 Hz.
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Abb. 7: Medianwerte der Grundresonanzfrequenz in Hz aus jeweils 200 Rechnungen für Beben mit 10% (oben) bzw. 2% (unten) Eintrittswahrscheinlichkeit in 50 Jahren. Die schwarzen Isolinien sind die Sedimentmächtigkeilen in m. Grauen Kreuze zeigen die Lage der virtuellen Bohrlöcher.
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
Die zu den Medianen der Grundresonanzfrequenz gehörigen Mediane der Bodenverstärkung für die beiden verwendeten Eintrittswahrscheinlichkeilen sind in Abbildung 8 dargestellt. Die Verstärkungswerte bei der hohen Eintrittswahrscheinlichkeit betragen im östlichen Bereich der Erft-Scholle, sowie im tiefsten Bereich der Kölner-Schalle mit Sedimentmächtigkeilen bis 400 m, zwischen 3.5 und 4.0. Zum Rand des Beckens hin nehmen die Verstärkungen bis zum Faktor 10 zu. Die Verstärkungen bei Anregung mit den stärkeren Erdbeben der niedrigeren Eintrittswahrscheinlichkeit zeigen auch eine Zunahme der Verstärkungen bei abnehmender Sedimentmächtigkeit Die Verstärkung beträgt in den tieferen Teilen der Erft-
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Abb. 8: Die beiden Grafiken stellen die zu den Medianen der Grundresonanzfrequ<mz gehörigen Mediane der Verstärkung dar. Die obere Grafik zeigt die Verstärkungen für 475 Jahre, die untere für 2475 Jahre. Die grauen Kreuze zeigen die virtuellen Bohrlöcher an.
Scholle und in weiten Teilen der Kölner-Schalle wieder zwischen 3.5 und 4.0. Generell nehmen die Verstärkungen mit abnehmenden Sedimentmächtigkeilen zu. Im Unterschied zu den Grundresonanzfrequenzen sind sie jedoch wesentlich stärker abhängig von den lokalen Untergrundeigenschaften. So zeigen sich auf der Kölner-Schalle ähnliche Verstärkungen wie auf der östlichen Erft-Scholle, obwohl die Unterschiede in der Sedimentmächtigkeit bis zu 900 m betragen. Einflußreich sind hier die mächtigen Braunkohleflöze, die in den Tiefen Bereichen der Erft-
Scholle noch existieren, während sie in der KölnerSchalle abgebaut oder gar nicht abgelagert wurden. Im Vergleich zu der Anregung mit den schwächeren Beben zeigt sich generell eine Abnahme der Verstärkungen. So hat sich die Fläche der Verstärkungen zwischen 3.5 und 4.0 vergrößert und auch zum Rand hin treten niedrigere Verstärkungen auf. Diese generelle Abnahme der Verstärkungen lässt sich auf die berücksichtigten nichtlinearen Effekte zurückführen. Insbesondere die Zunahme der Dämpfung bei größeren Scherdeformationen wirkt sich hier aus.
4.2 Frequenzabhängige Bodenbeschleunigung
Für die Anregung durch Erdbeben der 10% und 2% Eintrittswahrscheinlichkeit in 50 Jahren wurden auch Standortantwortspektren berechnet. in Abbildung 9 sind die Median- und 84%-Fraktilenwerte der Beschleunigung aus jeweils 200 Bodenantwortspektren für eine Frequenz von 2.5 Hz bei Anregung mit Beben der hohen Eintrittswahrscheinlichkeit kartiert. Dabei treten Bereiche mit niedrigen Beschleunigungen kleiner als 0.4 m/s2 bei 2.5 Hz auf, wie zum Beispiel auf den mächtigen Sedimenten der Erft- und Rur-Scholle und östlich von Köln. in den Bereichen mit den mächtigen Sedimenten machen sich z.T. bei 2.5 Hz schon Dämpfungen bemerkbar. Östlich von Köln, ist die Distanz zu den nächstliegenden möglichen Herdquellen im verwendeten Modell relativ groß. Beschleunigungen von 2 m/s2
, z.B. im südwestlichen Teil der NB, treten bei relativ geringen Sedimentmächtigkeiten und geringer Distanz zu möglichen Herdquellen auf. Die höchsten spektralen Beschleunigungen liegen um 2.2 m/s2 im Raum Aachen. Die Werte für die 84%-Fraktile liegen hier bei 2.5 m/s2
.
Abbildung 10 zeigt die Mediane und 84%-Fraktilen aus jeweils 200 Bodenantwortspektren für die Frequenz 2.5 Hz und eine Anregung mit Beben der Eintrittswahrscheinlichkeit von 2% in 50 Jahren Die höchsten Beschleunigungen liegen bei den Medianwerten um 5 m/s2 und bei den 84%-Fraktilen bei fast 6 m/s2 Neben dem Raum Aachen, tritt hier auch der Bereich mit geringen Sedimentmächtigkeiten, nordöstlich von Bann, mit Beschleunigungen um 4 m/s2 bei den Medianwerten und bis zu 4.8 m/s2 bei den 84%Fraktilen hervor.
5
Neues Bodenverstärkungsmodell der südlichen Niederrheinischen Bucht
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Abb. 9: Median (oben) und 84%-Fraktile (unten) der Beschleunigungen aus Antwortspektren für 2.5 Hz und eine 10% Eintrittswahrscheinlichkeit in 50 Jahren. Die schwarzen Isolinien zeigen die Sedimentmächtigkeit
5 AUSBLICK
Durch die Kombination der digitalisierten und überarbeiteten Profile aus den Breddin'schen Karten und den zahlreichen Bohrlochdaten konnte ein Modell der Lockersedimente der südlichen Niederrheinischen
Bucht mit bisher nicht erreichter Auflösung erstellt werden. Die flexible Verknüpfung mit bodendynamischen Parametern gestattet es bei Ergebnissen neuer Messungen das Modell schnell zu aktualisieren. Bis
her wurden für die Anregung nur die Ergebnisse eines einfachen, vorläufigen Gefährdungsmodells verwendet, so dass die hier gezeigten Ergebnisse nicht als neue Gefährdungskarten verstanden werden sollten
sondern vielmehr einen Test der Modeliierung der Standorteffekte darstellen. Weitere geplante Arbeiten
sind:
6
• Vergleich der berechneten Transferfunktionen mit Ergebnissen anderer Studien.
• Vergleich der Ergebnisse mit den Messungen des Erdbebens bei Alsdorf am 22.07.2002 mit ei
ner Magnitude von 4.9. • Vergleich der Ergebnisse mit den Bemessungs
spektren der DIN4149(neu). • Kombination des Verstärkungsmodells mit einem
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Abb. 10: Median (oben) und 84%-Fraktile (unten) der Beschleunigungen aus Antwortspektren für 2.5 Hz und eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 2% in 50 Jahren. Die schwarzen Isolinien zeigen die Sedimentmächtigkeit. Die grauen Kreuze zeigen die virtuellen Bohrlöcher an.
LITERATUR
Budny, M. (1984). Seismische Bestimmung der bodendynamischen Kennwerte von oberflächennahen Schichten in Erdbebengebieten der Niederrheinischen Bucht und ihre ingenieurseismologische Anwendung. Geol. lnst. D. Uni. Köln, Sonderveröff. 57; Köln,
Breddin, H. (1960). Hydrogeologisches Kartenwerk von Nordrhein-Westfalen -Ausführung A3. Aachen
Hinzen, K.-G., Pelzing, R., Reamer, S.K. and J. Mackedanz, 2000. Seismic Risk Evaluation for the Northern Rhine Area Based on the Seismotectonic Potential of Active Faults. Eos Trans. AGU, 81 (48), Fall Meet. Suppl., Abstract S52A-25.
ldriss, I. und Sun, J.(1992): User's Manual for SHAKE 91, Center for Geotech.Modeling, Univ. of California, Davis.
Schnabel, P.B., Lysmer, J. and Seed, H. Ballon. (1972). SHAKE: A computer program for earthquake response analysis of horizontally layered sites. Raport No. UCB/EERC-72/12, Earthquake Engineering Research Center, University of California, Berkeley, December 1972, 102 pp.
Schön, J. (1983). Petrophysik, 405 S.; Stuttgart (Enke}
Seed, H.B. and ldriss, I.M. (1970). Soil moduli and damping
factors for dynamic response analyses. Raport No. EERC 70-10, Uni. of Cal., Berkeley
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
Anaxagoras Elenas 1, loannis Tsiftzis2 und loannis Andreadis2
1Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik, Demokritus-Universität von Thrakien, Xanthi, Griechenland 2Lehrstuhl für Elektronik, Demokritus-Universität von Thrakien, Xanthi, Griechenland
ZUSAMMENFASSUNG
Der vorliegende Beitrag präsentiert unterschiedliche Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des Schadenspotentials seismischer Akzelerogramme. Die erste Methode benutzt einen Mustererkennungs-Algorithmus zur Einteilung der Akzelerogramme in den vier Schadensklassen (gering, mittel, groß, total). Beim zweiten Verfahren ist das seismische Zeit-BeschleunigungsDiagramm ersetzt durch dessen Intensitäts-Parameter. Diese sind vorweg computerunterstützt zu berechnen. Es folgt die Bearbeitung des ParameterDiagramms nach der Vorgehensweise des ersten Fuzzy-Verfahrens. Im dritten Verfahren erfolgt die Fuzzyfizierung der Intensitäts-Parameter durch geeignete Zugehörigkeitsfunktionen, die die Fuzzy-Mengen der Schadensklassen repräsentieren. Deren Position basiert auf einer Trainingsmenge von Akzelerogrammen mit bekanntem SchadenspotentiaL Jeder Parameter ist verknüpft mit einer Zugehörigkeitsfunktion pro Fuzzy-Menge, welche die Ähnlichkeit zur spezifischen Menge ausdrückt und damit auch zur entsprechenden Schadensklasse. Abschließend ist der Mittelwert der Zugehörigkeitsfunktionen für die einzelnen Schadensklassen zu berechnen und deren Maximalwert indiziert die Klasse, der das Akzelerogramm zugehört.
Die drei vorgestellten Verfahren sind auf einen Stahlbetonrahmen angewandt. Für die nichtlinearen dynamischen Berechnungen wurden 400 natürliche Akzelerogramme verwendet. Die maximale normierte relative Stockwerksverschiebung diente als globaler Schadensindikator. Zwanzig seismische IntensitätsParameter kommen in der Berechnung zur Anwendung. Die Ergebnisse zeigen bei der Schadensklassifikation nach dem ersten Verfahren eine Fehlerquote bis zu 62 %. Im Gegensatz dazu, ist die Rate der korrekten Schadensklassifikation beim zweiten und dritten Verfahren erheblich besser und hat einen Betrag bis zu 85%.
1 EINLEITUNG
Beobachtung von Tragwerksschäden nach starken Erdbeben hat gezeigt, dass diese mit verschiedenen seismischen Parametern korrelieren. Numerische Untersuchungen belegten diese Korrelation (Eienas et al. (1999)). Somit können umgekehrt die seismischen Parameter das Schadenspotential eines Erdbebens ausdrücken. ln diesem Zusammenhang, ist das individuelle Schadenspotential für eine konkrete Konstruktion gemeint. Schadensindikatoren können, mit Hilfe nichtlinearer dynamischer Berechnungen, den Schaden quantifizieren. Bei diesen numerischen Simulationen sind die jeweiligen Erdbebenbelastungen durch Akzelerogramme dargestellt. Die Antwortparameter der Berechnungen sind von der Belastung abhängig. Da seismische Zeit-Beschleunigungsverläufe nur schwer durch eine Funktion ausgedrückt werden können, dienen seismische Parameter zu deren indirekten Beschreibung. Somit ist eine Relation zwischen den seismischen Parametern und den Antwortparametern der nichtlinearen dynamischen Berechnungen hergestellt. Insbesondere fokussiert sich die Aufmerksamkeit auf die maximale normierte relative Stockwerksverschiebung, die als globaler Schadensindikator dient.
Bekanntlich werden Fuzzy-Verfahren bei der Mustererkennung verschiedener Objekte und anderen Anwendungen erfolgreich eingesetzt (Bourland et al. (1994), Chen et al. (1994), Lam et al. (1994), Kuncheva (2000)). Der vorliegende Beitrag untersucht alternative Fuzzy-Verfahren, um unter Verwendung der seismischen Parameter die Schadensklasse des verwendeten Schadensindikators zu bestimmen, ohne eine nichtlineare dynamische Berechnung durchzuführen. Folgende Klassen sind gewählt: gering {kein Schaden oder geringer Schaden an der Konstruktion), mittel (Schaden ist reparabel), groß (Schaden ist irreparabel), total (Teil- oder Totalversagen der Konstruktion).
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Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
2 SEISMISCHE PARAMETER
Wie in der Einführung beschrieben, können seismische Parameter das Schadenspotential eines Erdbebens beschreiben. Der vorliegende Beitrag stützt sich auf Aufzeichnungen der Bodenbeschleunigung aus weltweiten Regionen mit ausgesprochen starker seismischer Aktivität. Die Berechnung der Parameter erfolgte durch eine computerunterstützte Bearbeitung der Akzelerogramme.
Im Einzelnen sind folgende Parameter berücksichtigt: die maximale Bodenbeschleunigung (PGA) ama,. die maximale Bodengeschwindigkeit (PGV) Vma,. der Term amaiVma,, die Arias Intensität, die mittlere quadratische Beschleunigung (RMSa). die Dauer der Starkbebenphase (SMD) T0.90 , die Bebenleistung P0.90 , die spekralen lntensitäten nach Housner (SIH), nach Kappos {SIK) und nach Martinez (SIM), die effektive maximale Bodenbeschleunigung (EPA) und deren Maximalwert (EPAma,). die spektrale totale seismische Energie E;0 ,, die kumulative absolute Geschwindigkeit (CAV), das seismische Schadenspotential nach Araya und Saragoni (DPAs), die Zentralperiode (CP), die Spektralbeschleunigung (SA), die Spektralgeschwindigkeit (SV), die Spektralverschiebung (SD) und die Intensität, wie sie FajfarNidic/Fischinger definierten {IFVF). Die verwendeten Spektralwerte sind für die Periode 1.18 s berechnet. Sie entspricht der Eigenperiode des untersuchten Stahlbetonrahmens. Die Definitionen der einzelnen Parameter sind in der Literatur angegeben (Jennings (1982), Fajfar (1990), Elenas et al. (1999), Meskouris (2000)) und werden hier nicht wiedergegeben.
3 SCHADENSINDIKATOR
ln der vorliegenden Untersuchung kommt die maximale normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung (MISDR: Maximum Inter Story Drift Ratio) als globaler Schadensindikator zur Anwendung. Dieser Indikator ist einfach zu berechnen und charakterisiert sowohl die strukturellen als auch die nicht-strukturellen Schäden zufrieden stellend. Beobachtungen von Gebäudeschäden nach starken Erdebeben und numerische Untersuchungen belegen die Effektivität dieses Indikators {Eienas et al. (2001 )).
Die Beziehung (1) definiert die normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung (!SDR: Inter Story Drift Ratio) als das Verhältnis der maximalen gegenseitigen absoluten Verschiebung I u Im= zweier benachbarter Deckenebenen zur Etagenhöhe h:
8
!SDR =I ulm 100 [%] . h
( 1)
Die Tabelle 1 zeigt die Grenzen der maximalen normierten gegenseitigen Stockwerksverschiebung {MISDR) für die vier Schadensklassen, jeweils für strukturelle und nicht-strukturelle Schäden (Gunturi et al. (1992)).
MI SOR-Grenzen der Schadensklassen [%] Schadensart ------------'--'--
Gering Mittel Groß Total
Strukturell :S 0.5 0.5 < MISDR s 1.5 1.5 < MISDR :S 2.5 > 2.5
Nicht-strukturell :S 0.5 0.5 < MISDR s 1.2 1.2 < MISDR :S 1. 7 > 1. 7
Tabelle 1: MISDR-Grenzen der Schadensklassen.
4 ANWENDUNG
Die in Abb. 1 dargestellte Stahlbeton-Rahmenkonstruktion ist nach den Regeln der Eurocodes 2 (EC2) und 8 (EC8) bemessen. Die Querschnitte der Plattenbalken in den Riegeln haben eine Breite von 40 cm, eine Plattendicke von 20 cm, eine Gesamthöhe von 60 cm und eine mitwirkende Plattenbreite von 1.45 m. Der Abstand zwischen den Rahmen beträgt 6 m. Nach EC8 ist die Konstruktion als "Wichtigkeitsgruppe 111, Duktilitäts-Kiasse M" eingestuft. Der Baugrund ist als Typ B und die Seismizität der Region als Kategorie I nach EC8 gewählt. Außer dem Eigengewicht und der seismischen Lasten, werden bei der Berechnung die Schneelast, die Windlast, die Verkehrslast und die Schiefstellung der Konstruktion infolge Imperfektionen nach EC2 berücksichtigt. Die Eigenperiode des Rahmens beträgt 1.18 s.
Nach der Bemessung folgte die Durchführung einer nichtlinearen dynamischen Analyse zur Berechnung der seismischen Systemantwort. Zu diesem Zweck kommt das Programm IDARC (Valles et al. (1996)) zur Anwendung. Dieses Programm verwendet den inkrementeilen Lösungsalgorithmus nach dem Newmark ß-Verfahren, kombiniert mit dem Iterationsverfahren nach New1on/Raphson. Die viskose Dämpfung ist mit dem Rayleigh-Ansatz berücksichtigt. Das nichtlineare Querschnittsverhalten des Stahlbetons ist mit dem Park-Modell einbezogen. Des Weiteren berücksichtigt das hysteretische Modell die zeitabhängige Steifigkeits- und Festigkeits-Minderung, das nichtsymmetrische Verhalten und verwendet eine trilineare Einhüllende für die monotone Belastung (Valles et al. (1996)).
Von den verschiedenen Antwortparametern, die das Programm berechnet, konzentrierte man sich auf die maximale normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung (MISDR) als den Schadensindikator der Gesamtstruktur (OSD/: Overall Structural Darnage
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
Index), da dieser in einen einzigen Wert die Summierung der einzelnen Schäden in Stützen und Balken darstellt. Der Schadensindikator ist für 400 Akzelerogramme berechnet. Die vorliegende Untersuchung stützte sich auf Aufzeichnungen der Bodenbeschleunigung aus weltweiten Regionen mit ausgesprochen starker seismischer Aktivität. Die Tabellen 2 und 3 zeigen die Anzahl Beschleunigungsverläufe Rang.
der untersuchten Zeitpro Land und pro PGA-
40/W , 40/4 0
40100
4014 0 40!60
5015 0 40/60
5015 0 40/60
50/5 0 40160
0 40/60
6016 0 40/60
6016 0
-- - -\1<JLL:ri<t1: C2W25 S400
1---('m _ I 8 m
20m
- '-
Abb. 1: Stahlbeton-Rahmenkonstruktion.
a ~
.,...; ~ ~
--
§.-'''--1
Land Anzahl der Akzelerogramme Bulgarien 2 Kanada 9 Chile 12 Griechenland 54 Japan 46 Mexiko 10 Neuseeland 2 Rumänien 4 San Salvador 6 Türkei 8 USA 247
Tabelle 2: Anzahl der Akzelerogramme pro Land.
s "_ n
PGA-Rang [g] Anzahl der Akzelerogramme
0.01-0.1 23 0.1-0.2 165
0.2-0.3 103 0.3- 0.4 50 0.4- 0.5 32 0.5-0.6 13
0.6- 0.7 7 > 0.7 7
Tabelle 3: Anzahl der Akzelerogramme pro PGA-Rang.
5 FUZZY MODELLIERUNG
Nach der Berechnung des globalen Schadensindikators (MISDR) und dessen Einordnung in den Schadensklassen nach den Grenzwerten die in der Tabelle 1 angegeben sind, folgt eine Untersuchung mit dem Ziel die gleiche Einordnung zu erzielen, ohne allerdings eine nichtlineare dynamische Analyse durchzuführen. Dafür kommen drei alternative Fuzzy Verfahren zur Anwendung, die eine Trainingsphase und eine Anwendungsphase aufweisen. Im vorliegenden Beitrag wurden sowohl für die Trainingsphase als auch für die Anwendungsphase alle 400 Akzelerogramme berücksichtigt.
Die erste Methode benutzt einen Mustererkennungs-Algorithmus zur Einteilung der Akzelerogramme in den vier Schadensklassen (gering, mittel, groß, total). Der Prozess basiert auf vorhandene Ähnlichkeiten der seismischen Zeit-Beschleunigungs-Diagramme (Lazzerini (2001 )). Als Erstes ist eine Zerlegung des (auf die Maximalwerte der Zeit und Beschleunigung aller Signale) skalierten AkzelerogrammDiagramms in Unterregionen durchzuführen (Abb. 2). Zu diesem Zweck kommt ein genetischer Algorithmus zur Anwendung. Es folgt die Berechnung der relativen Präsenz von seismischen Beschleunigungswerten in jeder Unterregion. Dieses Vorgehen entspricht der Fuzzy-Darstellung des Akzelerogramms. Seismische Zeit-Beschleunigungs-Diagramme mit bekanntem Schadenspotential dienen zur Definition des FuzzyModells für die einzelnen Schadensklassen. Zur Klassifizierung des Schadenspotentials eines unbekannten Akzelerogramms ist zunächst dessen FuzzyBeschreibung zu berechnen, unter Verwendung derselben Unterregionen wie in der Trainingsphase. Es folgt der Vergleich mit den Fuzzy-Modellen der einzelnen Schadensklassen. Abschließend indiziert ein geeigneter maximaler Fuzzy-Zugehörigkeitsparameter den Zugehörigkeitsgrad für jede Schadensklasse.
9
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
Abb. 2: Unterregionen des skalierten Zeit-Beschleunigungs-Diagramms.
25
Abb. 3: Unterregionen des skalierten Parameter-Diagramms.
10
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
Indices ofthe unknown signal X= [ I,, lz, I,, ... , In] j
Membership fimctions for
index I
Membership functions for
index 2
-----
--------------
Membership functions for
index I
... \~\/'\. , . ' L ' ' L ' ·, \' -, ,, -, ,'{ -. __
• ... .,-., .. " .. " .. " '
Membership functions for
index n
ft,n fz,n f3,n
f4,n
J;,l J;,2 !;,3 ... J;,,
/"1 /,,, /,,, ". /,,, /"I J", J", ". J", 1.,1 J.,, /4,3 ", !.,,
Abb. 4: Der Fuzzyfizierungs-Prozess.
Bei dem zweiten Verfahren ist das seismische Akzelerogramm durch ein Intensitäts-ParameterDiagramm ersetzt. Die seismischen IntensitätsParameter sind die Basis dieses Verfahrens und sind vorweg computerunterstützt zu berechnen. Die Auswahl geeigneter seismischer Parameter erfolgte im Voraus durch eine Korrelationsstudie. Im vorliegenden Beitrag sind 20 Intensitäts-Parameter berücksichtigt, wie sie im Abschnitt 2 präsentiert wurden. Das auf diese Weise hergestellte Intensitäts-ParameterDiagramm hat einen wesentlich glatteren Verlauf (Abb. 3). Es folgt die Bearbeitung des ParameterDiagramms nach der Vergehensweise wie sie beim ersten Fuzzy-Verfahren vorgestellt wurde (Lazzerini (2001 )).
Im dritten Verfahren erfolgt die Fuzzyfizierung der Intensitäts-Parameter durch geeignete Zugehörigkeitsfunktionen, die die Fuzzy-Mengen der Schadensklassen repräsentieren. Deren Position basiert auf einer Trainingsmenge von Akzelerogrammen mit bekanntem SchadenspotentiaL Jeder Parameter ist verknüpft mit einer Zugehörigkeitsfunktion pro FuzzyMenge, welche die Ähnlichkeit zur spezifischen Menge ausdrückt und damit auch zur entsprechenden Schadensklasse. Zwei alternative Zugehörigkeitsfunktionen sind berücksichtigt: eine Gaußsehe und eine dreieckige Funktion. Abschließend ist der Mittelwert der Zugehörigkeitsfunktionen für die einzelnen Schadensklassen zu berechnen, deren Maximallwert die Klasse indiziert, der das Akzelerogramm zugehört
11
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
(Jozwik (1983)). Alle im Abschnitt 2 vorgestellten Intensitäts-Parameter kommen in diesem Verfahren zur Anwendung. Der Fuzzyfizierungs-Prozess nach dem dritten Verfahren ist in der Abb. 4 dargestellt.
6 ERGEBNISSE
Die durchgeführte nichtlineare dynamische Analyse liefert die Systemantwort für alle 400 untersuchten Akzelerogramme. Der berechnete globale Schadensindikator, der im vorliegenden Beitrag als die maximale normierte relative Stockwerksverschiebung (MISDR) vorliegt, kann jetzt für jede berücksichtigte Erregung in Schadensklassen eingestuft werden. Die Grenzwerte, nach denen die Einstufung der einzelnen Schadensklassen erfolgt, sind aus der Tabelle 1 zu entnehmen. Die Einstufung der strukturellen und nicht-strukturellen Schäden erfolgt für alle 400 untersuchten Akzelerogramme. Nach der Einstufung in 4 Schadensklassen (gering (1 ), mittel (2), groß (3) und total (4)), folgt der Trainingsprozess für alle drei vorgestellte Verfahren. Die Qualitätsbeurteilung der durch den Trainingsprozess entstandenen mathematischen Modelle erfolgt durch eine erneute Anwendung der 400 Akzelerogramme. Die Ergebnisse, die aus der Anwendung der drei Fuzzy-Verfahren erfolgen, sind mit denen aus der nichtlinearen dynamischen Analyse zu vergleichen. Der prozentuale Wert an korrekter Klassifikation ist ein Maß der Qualität des angewendeten Verfahrens.
Die numerischen Ergebnisse bei der Anwendung des ersten Verfahrens wiesen aus, dass diese Methode zur effektiven Beurteilung des seismischen Schadenspotentials nicht geeignet ist. Dies ist auf den zufälligen Charakter der seismischen Akzelerogramme zurückzuführen. Ihre Anwendung ergab eine korrekte Klassifikation von bis zu 38 %, sowohl für den strukturellen als auch für den nicht-strukturellen Schaden.
Bei der Anwendung des zweiten Verfahrens sind die Nachteile des ersten durch den glatteren Verlauf des repräsentativen Intensitäts-Parameter-Diagramms weitgehend beseitigt. Demzufolge, ist die korrekte Klassifikationsrate wesentlich besser als die nach dem ersten Verfahren. Die korrekte Klassifikationsrate beträgt in diesem Fall 79.5 %für den strukturellen und 77 % für den entsprechenden nicht-strukturellen Schadensindikator. Die Tabellen 4 und 5 zeigen die Ergebnisse im Detail. Die Zeilen der Tabellen geben die Anzahl der Akzelerogramme an, die einer bestimmten Schadensklasse angehören (gering (1 ), mittel (2), groß (3) und total (4)). Deren Intersektion mit den Spalten weisen die Anzahl der Akzelerogramme vor die einer bestimmten Schadensklasse bei Anwendung des Fuzzy-Verfahrens zugewiesen
12
wurden. Die Werte in der Diagonale geben die Anzahl der korrekt klassifizierten Akzelerogramme an. So ist z.B. der Tabelle 4 zu entnehmen, dass 218 Akzelerogramme richtigerweise der Schadensklasse 1 (gering) zugewiesen wurden. Des Weiteren sind 11, 0 und 28 Akzelerogramme den Schadensklassen 2 (mittel), 3 (groß) und 4 (total) zugeordnet, obwohl diese, nach der nichtlinearen dynamischen Analyse, der Schadensklasse 1 angehören.
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 218 11 u 28
2 Mittel 8 83 2 5
3 Groß 21 10 2
4 Total 0 0 4 7
Korrekte Klassifikation: 79.5%
Tabelle 4: Klassifikationsergebnisse für den strukturellen Schadensindikator (Methode 2).
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 192 25 37 3
2 Mittel 6 60 10 5
3 Groß 0 0 30 0
4 Total 4 26
Korrekte Klassifikation: 77 %
Tabelle 5: Klassifikationsergebnisse für den nicht-strukturellen Schadensindikator (Methode 2).
Entsprechend sind die Ergebnisse nach dem dritten Verfahren in den Tabellen 6 bis 9 dargestellt. Die Tabellen 6 und 7 präsentieren die Ergebnisse für den strukturellen Schadensindikator (MISDR), zuerst mit einer Gaußsehen (Tabelle 6) und dann mit einer dreieckigen Zugehörigkeitsfunktion (Tabelle 7). ln der Folge sind die Ergebnisse für den nicht-strukturellen Schaden ebenso dargestellt, zuerst mit einer Gaußsehen (Tabelle 8) und dann mit einer dreieckigen Zugehörigkeitsfunktion (Tabelle 9). Aus den Ergebnissen ist ersichtlich, dass die korrekte Klassifikationsrate für den strukturellen Schaden bei 84 % und 83.5 % liegt, jeweils für eine Gaußsehe und eine dreieckige Zugehörigkeitsfunktion. Die entsprechenden Ergebnisse für den nicht-strukturellen Schaden liegen bei 82 % und bei 84.75%.
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
Die numerischen Ergebnisse zeigen, dass Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Scha-denspotentials erfolgsversprechend eingesetzt wer-den können. Von den drei vorgestellten Verfahren lieferte das Verfahren mit der Fuzzyfizierung der ln-tensitäts-Parameter (dritte Methode) die besten Er-gebnisse und ist somit den übrigen vorzuziehen.
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 234 21
2 Mittel 10 76 9 3
3 Groß 2 12 16 4
4 Total 0 0 10
Korrekte Klassifikation: 84%
Tabelle 6: Klassifikationsergebnisse für den strukturellen Schadensindikator (Methode 3, Gaußsehe Zu-gehörigkeitsfunktion).
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 247 10 0 0
2 Mittel 21 60 14 3
3 Groß 2 5 16 11
4 Total 0 0 0 11
Korrekte Klassifikation: 83.5 %
Tabelle 7: Klassifikationsergebnisse für den strukturellen Schadensindikator (Methode 3, dreieckige Zu-gehörigkeitsfunktion).
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 223 32
2 Mittel 8 64 8
3 Groß 0 6 21 3
4 Total 2 4 6 20
Korrekte Klassifikation: 82%
Tabelle 8: Klassifikationsergebnisse für den nicht-strukturellen Schadensindikator (Methode 3, Gaußsehe Zugehörigkeitsfunktion).
Schadensklasse
2 3 4
Gering Mittel Groß Total
Gering 244 13 0 0
2 Mittel 20 52 8
3 Groß 0 5 18 7
4 Total 2 3 2 25
Korrekte Klassifikation: 84.75%
Tabelle 9: Klassifikationsergebnisse für den nicht-strukturellen Schadensindikator (Methode 3, dreieckige Zugehörigkeitsfunktion).
7 SCHLUSSFOLGERUNGEN
Der vorliegende Beitrag präsentiert unterschiedliche Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des Schadenspotentials seismischer Akzelerogramme. Die erste Methode benutzt einen Mustererkennungs-Algorithmus zur Einteilung der Akzelerogramme in den vier Schadensklassen (gering, mittel, groß, total). Beim zweiten Verfahren ist anstelle des seismischen ZeitBeschleunigungs-Diagramms dessen IntensitätsParameter-Diagramm zu verwenden. Dieses ist vorweg computerunterstützt zu berechnen. Im Folgenden ist nach dem Mustererkennungs-Algorithmus des ersten Verfahrens vorzugehen. Zwanzig seismische Intensitäts-Parameter kommen in der Berechnung zur Anwendung. Im dritten Verfahren erfolgt die Fuzzyfizierung der Intensitäts-Parameter durch geeignete Zugehörigkeitsfunktionen, die die Fuzzy-Mengen der Schadensklassen repräsentieren.
Die drei vorgestellten Verfahren sind auf einen achtstöckigen Stahlbetonrahmen angewandt. Dieser ist nach den Regeln der Eurocodes 2 und 8 bemessen. Für die nichtlinearen dynamischen Berechnungen wurden 400 natürliche Akzelerogramme verwendet. Die maximale normierte relative Stockwerksverschiebung diente als globaler Indikator für die strukturellen und für die nicht-strukturellen Schäden.
Die Ergebnisse zeigen bei der Schadensklassifikation nach dem ersten Verfahren eine Fehlerquote bis zu 62 %, woraus ersichtlich ist, dass dieses Verfahren nicht geeignet ist. Im Gegensatz dazu, ist die Rate der korrekten Schadensklassifikation beim zweiten Verfahren 79.5 % für den strukturellen und 77 % für den entsprechenden nicht-strukturellen Schadensindikator. Die besten Ergebnisse lieferte das dritte Verfahren. Die Erkennungsrate liegt hier bei 84 % für den strukturellen Schadensindikator und 84.75 % für den entsprechenden nicht-strukturellen.
13
Fuzzy-Verfahren zur Klassifizierung des seismischen Schadenspotentials
8 LITERATUR
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Gunturi, S.K.V. & Shah, H.C. (1992), Building specific darnage estimation, Proceedings of the 10th World Conference on Earthquake Engineering, A.A. Balkema, Rotterdam, 6001-6006.
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14 I
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung seismisch beanspruchter Tragwerke
Reinhard Harte 1 und Wilfried B. Krätzig2
Bergische Universität-GH Wuppertal, Baustatik, Pauluskirchstr. 7, 42285 Wuppertal Ruhr-Universität Bochum, Institut für Statik und Dynamik, D-44780 Bochum
Seide: Krätzig & Partner lngenieurgesellschaft, Buscheyplatz 11-15,44801 Bochum
1 EINFÜHRUNG
ln den vergangenen 40 Jahren konnte das Todesfallrisiko bei Erdbeben weltweit erheblich gesenkt werden. Beben, die anfangs des 20. Jahrhunderts noch viele Tausend Menschenleben kosteten, fordern heute in Industriestaaten höchstens noch einige Dutzend. So wird auch die neue DIN 4149 dazu beitragen, die Sicherheit deutscher Bauwerke im Hinblick auf den seismischen Personenschutz weiter anzuheben.
Aber während die seismische Bedrohung in Zeiträumen mittlerer Bauwerks-Lebensdauern eher konstant bleibt, verschieben sich die Bauwerksinvestitionen dramatisch weg von der tragenden Struktur, auf welche bisher alle Maßnahmen der Erdbebensicherheit abzielen. Normiert man beispielsweise die gesamten Investitionen von Tragwerk, Ausbau und Haustechnik nebst Einrichtung - der maximal mögliche Verlust bei einer Katastrophe - auf 100%, so zeigt Abb. 1 diese Verschiebungen über 150 Jahre für zwei Extremfälle, nämlich Wohngebäude und Krankenhäuser. Man erkennt den stetig abnehmenden relativen Kostenanteil der Tragsubstanz. Ohne auf die natürlich ebenfalls erheblich ·gestiegenen Gesamtinvestitionen einzugehen, wirft die relative Kostenverschiebung der Abb. 1 zwei fundamentale Fragen auf:
• Ist der Personenschutz allein als vorrangiges Schutzziel a-seismischen Konstruierens in entwickelten Volkswirtschaften noch sinnvoll, oder muß nicht zusätzlich auch der Schutz aller Investitionen der Bausubstanz stärker beachtet werden? • Wie muß das Erreichen möglicher weitergehender Schutzziele zielgerecht gesteuert werden?
Die Fragilitätskurven aus Abb. 2 vertiefen diese Fragestellungen. Sie zeigen die Fragilitäten von Krankenhausbauten in Kalabrien [Nuti et al 2005], erbaut zwischen 1928 (Mauerwerk) und 1972 (Stahlbeton). Im Zentrum stehen die (sehr niedrigen) Fragilitäten der
Krankenhäuser Wohngebäude
100% t-Einrichtung 20%
t Haustechnik 20%
r O% Roh· ood Iba" 60%
2000
Abb.1: Wertverschiebungen zwischen Rohbau und Installation in 150 Jahren
heutigen tragenden Struktur. Links sind diejenigen der Haustechnik (Aufzüge, Medienversorgung, Brandschutz) einschließlich der medizinischen Einrichtungen dargestellt. Rechts ist das Verstärkungsziel angedeutet. Da die Untersuchungen [Nuti et al. 2005] im wesentlichen in Serie geschaltete Systemkomponenten verwenden, beziehen sich die linken Fragilitäten somit sowohl auf die haus- und medizintechnischen Einrichtungen allein als auch auf ihre Kombination mit der tragenden Bausubstanz.
Abb. 2 beweist, dass eine Berücksichtigung der nicht-tragenden Ausstattung die bei einem Beben aktivierbaren, widerstehenden Gesamt-Fragilitäten stets in Bereiche niedrigerer MERCALLI-Intensitäten verlagert. Damit steigt das seismische Risiko, sowohl dasjenige der betroffenen Menschen als auch das auf die Investitionen bezogene. Moderne europäische Verwaltungs- oder Fabrikationsgebäude zeigen ein sehr ähnliches Verhalten.
Der hieraus zu vermutende Trend zu steigenden Sach- bei begrenzten Personenschäden wurde bei allen Starkbeben der vergangenen 35 Jahre in Kalif-
15
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
ornien (San Fernando 1971, Imperial Valley 1979, Lama Prieta 1989, Northridge 1994) beobachtet. Er hat zu Überlegungen geführt, die Phase zwischen seismischer Schädigungsfreiheit und Tragwerkskollaps - dem Ende des Personenschutzes - durch zusätzliche Grenzzustände beim Tragwerksentwurfs zu unterteilen und diese durch Schädigungsmaße gegeneinander abzugrenzen.
-lstzustan dT rk H t h 'k+E' ·chtung ragwe e+ aus ec n1 mr1 - Istzustand Tragwerke
rRehabilitations ziel
~- l-- - I H h--· ~- ---". V'_
1f , ,
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' "' --,. IL .L ILL -- "" - --- j-, / V. I>' _,_ / ....... _;·~ ,
111 IV V VI VJI Vlll IX X XI XII
Modifizierte Mercalli lntensitäten
Abb. 2: Fragilitätskurven eines Krankenhauses in Kalabrien
Darnage index- Schädigungsindikator
Grenzzustände Darnage Ievei-Schädigungsstute ...J,..... ND No Darnage 0 0.00
Keine Schädigung
10 Immediate Occupancy I 0.05 Sofortige Wiederbenutzung
ID lncipient Darnage Beginnende Schädigung
LS Ufe Safety II 0.20 Keine Lebensbedrohung
CP Collapse Prevention 111 0.40 Einsturzvermeidung
IC lncipient Collapse IV 0.90 Beginnender Einsturz
Tabelle1: Grenzzustände und Schädigungsstufen nach FEMA 273
Tabelle 1 gibt einen Überblick über diese von der FEDERAL EMERGENCY MANGEMENT AGENCY - FEMA und der STRUCTURAL ENGINEERS ASSOCIATION OF CALI· FORNIA - SEAOC gemachten Vorschläge. Zusammengefaßt unter dem Oberbegriff "Verhaltensbasiertes Entwerfen" (performance-based engineering design) rücken diese Konzepte die seismischen Schädigungen viel stärker als bisher in den Mittelpunkt des Tragwerksentwurfs.
Die in Tabelle 1 in der ersten Spalte wiedergegebenen Abkürzungen der Schädigungsstufen werden in [FEMA 273] folgendermaßen erläutert:
• Level 1: Very limited structural damage, very low risk of life-threatening injury.
16
• Level II: Significant damage, low risk of lifethreatening injury. • Level 111: Substantial damage, significant risk of injury due to falling hazards. • Level IV: Collapse is imminent.
Mit derartigen Vorschlägen eines verhaltensbasierten Tragwerksentwerfens [Wen 2005] drängen sich mindestens folgende Fragestellungen auf:
• Was sind geeignete Schädigungsmaße zur Abgrenzung der Schädigungsstufen? • Wie sind diese als Entwurfsziele einzusetzen?
Interessanterweise liefern die verschiedenen FEMADokumente keine Antworten auf diese nahe liegenden Fragen, auch geben sie keine Auskunft über die anzustrebenden Partialsicherheiten der Schädigungsstufen. Forschungen hierzu kommen nur zaghaft in Gang [Y eo et al. 2003]. Die vorliegende Arbeit bietet eine erste Antwort.
2 SEISMISCHE SCHÄDIGUNGSMASSE
ln der Literatur des Erdbeben-Ingenieurwesens der vergangenen 30 Jahre finden sich viele Vorschläge für Schädigungsindikatoren, insbesondere zur Erfassung des komplizierten seismischen Versagens von Stahlbetontragwerken. Tabelle 2 und Abb. 3 geben eine Übersicht. Detailliertere Überblicke mit Quellenangaben enthalten [Krätzig et al. 1999, Meyer et al. 1988].
1. Maximalduktilität maximum ductility max I!K
Zyklische Duktilität: cyclic ductility ll;c, ll~
Kumulative Duktilität: cumulative ductility I-leu• Bartone et al. 1976
Steifigkeitsduktilität stiftnass ductility Tld• Lybas et al. 1976
Normierte dissipierte Energie: normalized dissipation Eh, Banen et al. 1981
Normiertezykl'1sch dissipierte Energie: darnage indicator Eo· Meyer 1988
Modifizierte Biegeschädigung: modified flexural darnage ratio MFDR, Roufaiel et al. 1983
2. Plastische relative Stockwerksverschiebung: plastic interstory dritt Hybrider Schädigungsindikator von ParkMAng: o*1985
3. Monetäre Schädigung: Sanierungskosten f Bauwerkwert * 100%
Tabelle 2: Ältere querschnittsbezogene (1.), tragwerksbezogene (2.) und monetäre (3.) Schädigungsmaße
Die überwiegende Anzahl dieser Indikatoren sind querschnittsbezogen, d. h. sie beschreiben seismische Schädigungen von Einzelquerschnitten. Experimentellen Auswertungen von Versuchen an Einzelkörpern entstammend, sind sie für die Schädigungsbeurteilung ganzer Tragwerke oder auch nur von Teilstrukturen meist ungeeignet.
M M
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
Hierzu denken wir uns eine beliebig diskretisierte Tragwerksstruktur, für welche wir in dem rn-dimensionalen Vektor
v~ {VI v, ... v, ... Vm}
--1--+-+--.1---+:---K alle wesentlichen äußeren Freiheitsgrade und in
(1)
+_< - K~ IJ.KC ----::r, J.l.Kc = K
Ky y
_l:-"E"''""''-'+_l:...,E"''"""-' Da~-Eu mon + L Efhc
Abb. 3: Querschnittsbezogene zyklische und nichtzyklische Schädigungsindikatoren
Eher schon kämen hierfür tragwerksbezogene Schädigungsmaße in Betracht, beispielsweise die relative plastische Stockwerksverschiebung oder der hybride Indikator von Park-Ang, der Verschiebungen mit dissipierter Energie kombiniert. Aber als moderne Indikatoren sind beide zu empirisch und außerdem zu sehr auf Stabwerke spezialisiert. Übrigens verwendet die Versicherungswirtschaft monetäre Schädigungsmaße zur Quantifizierung seismischer Risiken [Kiremidjan 1999, Sadegh 2002].
Moderne Schädigungsindikatoren zur Differenzierung von Grenzzuständen bei einer a-seismischen Bemessung sollten gegenüber der existierenden, älteren Vielfalt folgende Eigenschaften aufweisen:
• Um das physikalische Geschehen im Tragwerk mit gewünschter Genauigkeit beschreiben zu können, sollte die Tragwerksanalyse unabhängig vom Schädigungsdetektor sein. • Schädigungsindikatoren sollten aus Zustandsvariablen aufgebaut sein. • Sie sollten von 0 (ungeschädigter Ausgangszustand) bis 1.00 (Versagensschädigung) normiert sein.
Derartige Schädigungsindikatoren sollen im folgenden hergeleitet werden. Die ersten auf die Einheit 1.00 · normierten seismischen Schädigungsmaße wurden übrigens von [DiPasquale et al. 1987] sowie von [Meyer et al. 1988] vorgeschlagen.
3 GRUNDLAGEN FÜR SCHÄDIGUNGSINDIKATOREN
Die Verfolgung seismischer Tragwerksschädigungen führt - wegen der zeitabhängigen Degradation des Tragwerkswiderstandes G - stets auf nichtlineare Problemstellungen. Zum besseren Verständnis betten wir unsere gesamte Behandlung in ein modernes Konzept der Theorie finiter Elemente ein.
P ~{PI Pz ... P, ... Pm} (2)
alle korrespondierenden (dualen, zugeordneten) Knotenlastgrößen anordnen. Bezeichnen wir weiter mit V die Knotengeschwindigkeiten und mit V die Knotenbeschleunigungen, so nimmt die Bewegungsgleichung unseres nichtlinearen seismischen Schädigungsproblems die Form der folgenden impliziten Matrix-Differentialgleichung 2. Ordnung an:
M•V +G(V, V,d,t)~ P(t) . (3)
ln diesem rn-dimensionalen Satz von gekoppelten Differentialgleichungen kürzt M die globale Massenmatrix ab. Das nichtlineare Vektorfunktional G beschreibt den Tragwerkswiderstand als implizite Funktion der Knotenfreiheitsgrade V bzw. der Knotengeschwindigkeiten V. P(t) bezeichnet den seismischen Erregungsprozeß und t die physikalische Zeit. Der rndimensionale Vektor d möge die sich ausbildenden seismischen Schädigungen kennzeichnen.
Für professionelle Tragwerkssimulationen im Ingenieurwesen verwendet rnan nie die obige nichtlineare Bewegungsgleichung (3), sondern integriert deren 1. Variation inkrementeil-iterativ über die Zeit. Hierzu zerlegt man die knotenbezogenen Kinematen V, V, V und Lasten P eines gesuchten dynamischen (Nachbar-)Zustandes in die Variablen eines bereits bestimmten Grundzustandes sowie dessen Inkremente, d.h.:
V~ V +ÖV, V~ V +ÖV,V ~V +ÖV,P~ P+ÖP. (4)
Mit den infinitesimalen Variationen in (4) gewinnen wir als 1. Variation der Bewegungsgleichung (3) hinsichtlich des Grundzustandes dessen Tangentialraum-Approximation, die tangentiale Bewegungsgleichung, als dynamische Grundbeziehung für nichtlineare seismische Analysen:
.. acl . acl M•öV+-.. •öV+-_ •öV~öP. 8Vv 8Vv
(5)
Substituieren wir hierin gemäß (4) für die Lastvariation den Ausdruck öP = P (t)- P (t), so entsteht
(6)
17
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
in dieser linearen Matrix-Differentialgleichung 2. Ordnung nach der Zeit für die Weggrößeninkremente (4) verwenden wir folgende Abkürzungen:
c = aGI die tangentiale Dämpfungsmatrix, T av v
K =aGI T av
V
die tangentiale Steifigkeitsmatrix,
F, =M•V +G(V,V,d,t) den Vektor des inne-
ren Widerstandes infolge von Trägheitswirkungen, viskosen sowie elasta-plastischen Deformationen und infolge von Deterioration.
Würden wir nun die tangentiale Bewegungsgleichung (6) seismischen Entwurfsanalysen zugrunde legen wollen, so müßte der Zeitverlauf einer zukünftigen Erdbebenerregung bekannt sein [Krätzig et al. 1990]. Dies aber ist i.A. nicht der Fall. Aus DIN 4149 kennen wir lediglich ein Entwurfsspektrum, aus welchem für geeignete Paare von Eigenfrequenzen und Modalformen statische Ersatz-Bebenlasten ermittelt
Tragwerks· ebene
Finite Element Ebene
Gauss - Punkt Ebene
Materialpunkt Ebene
Schädigung auf Tragwerksebene:
KT--> A,,i =t .. .m
---i~ ~d .,
Schädigung auf QuerschniHsebene:
f'· d5 = d5 ( 0
cr(s)do),; 1
Materialschädigung: beschrieben in den Stoffgesetzen
Abb. 4: Die verschiedenen Ebenen einer nichtlinearen FE-Simulation
werden können. Somit bleibt für übliche nichtlineare 4 NICHTLINEARE PUSH-OVER-ANAL YSE
seismische Entwurfsberechnungen nur der Näherungsweg einer auf dem Entwurfsspektrum aufbauenden, quasi-statischen Push-Over-Analyse [Meskouris et al. 2003], um das seismisch-nichtlineare Tragverhalten wenigstens approximativ zu erfassen.
Zur Unterdrückung der gesamten Tragwerksdynamik gewinnt man mit V= V= 0 daher aus der tangentialen Bewegungsgleichung (6) die tangentiale Steifigkeitsbeziehung:
-- + --KT(V,d) *V= P-F1 =P-G(V,d), (7)
worin das Variationssymbol nun durch ein Kreuz als Kopfzeiger ersetzt wurde. •
Diese lineare Beziehung in V soll späteren PushOver-Analysen zugrunde gelegt werden. P stellt darin die quasi-statische Ersatzlast des Bebens dar. Die ursprüngliche tangentiale Bewegungsgleichung wird nur noch im Ausgangszustand zur Ermittlung von Eigenfrequenz und Modalform benötigt. Aus (6) verbleiben folgende kennzeichnende Variablen:
KT = aGI die tangentiale Steifigkeitsmatrix, (8) av "·'-
F, = G(V,d) der Vektor der inneren knotenbezo-
genen Kraftgrößen. (9)
Zur inkrementeil-iterativen Lösung der tangentialen Steifigkeitsbeziehung (7) existieren vielfältige Vorgehensweisen, wie NEWTON-RAPHSON-, BFGS- oder Pfadverfolgungstechniken aus der Standardliteratur oder aus geeigneten Programmbeschreibungen.
18
Stofflich nichtlineare Tragwerksanalysen, wie die auszuführenden Push-Over-Analysen, können auf sehr unterschiedlichen Genauigkeitsniveaus durchgeführt werden: Von einfachen Fließgelenkberechnungen mit oder ohne Steifigkeitsiterationen bis hin zu vollständig nichtlinearen Tragwerkssimulationen. Auch wenn unterschiedliche Genauigkeitsniveaus natürlich das Gesamtergebnis der seismischen Schädigungssimulation prägen, ist es konzeptionell wichtig, die nichtlineare Tragwerksanalyse den Techniken der seismischen Schädigungsdetektion (Abschnitt 5) sorgfältig zu trennen.
Wir skizzieren im folgenden nichtlineare computerorientierte Tragwerkssimulationen. in einer (makroskopisch-) nichtlinearen FE-Simulation [Krätzig 1997] unterscheiden wir folgende in Abb. 4 dargestellte Simulationsebenen:
• die Tragwerksebene, auf welcher die GesamtSteifigkeitsbeziehung (7) definiert ist, • die Ebene der finiten Elemente, verbunden mit der vorigen durch die Zuordnung der Elementfreiheitsgrade v'; zu den globalen Freiheitsgraden V,, • die Ebene der Integrationspunkte (GAuss-Punkte), auf welcher die Kinematik des gewählten Strukturmodels beschrieben wird, und schließlich • die Ebene der Materialpunkte, die wegen der nichtlinearen seismischen Schädigungen eine Schichtenstruktur des Elementes als interne Verfeinerung erforderlich macht.
Dort, auf der Ebene der Materialpunkte, sind die jeweiligen nichtlinearen Stoffgesetze, gegebenenfalls
mit ihren Schädigungskomponenten implementiert. Behandeln wir beispielsweise Stahlbetontragwerke, so besitzt jede schichtbezogene Komponente das ihr eigene nichtlineare, schädigungsbehaftete Materialverhalten, nämlich:
Abb. 5: Multi-Levei-Simulationstechnik
• Beton zeigt im Druckregime nach Überschreiten seiner Druckfestigkeit zwei für seismische Erregung wichtige Schädigungsphänomene, nämlich den sukzessiven Abbau seiner Festigkeit und Steifigkeit; • klassische Modellvorstellungen von Beton im Zugbereich sind durch linear-elastisches Verhalten bis zur Zugfestigkeit mit nachfolgender Rißöffnung als Schädigungskomponente gekennzeichnet; • Bewehrung wird elasto-plastisch modelliert mit der Möglichkeit verschiedener Schädigungsphänomene, wie dem BAUSCHINGER-Effekt oder der lastspielabhängigen (Dauer-)Festigkeitsreduktion von Streckgrenze und Festigkeit; • in der Verbundmodeliierung zwischen Stahl und Beton treten nichtlineare Grenzflächenphänomene auf, die ein schädigungsbedingtes Nachlassen der Verbundfestigkeit unter zyklischen Einwirkungen bewirken.
Einzelheiten zu diesen Modeliierungen beschreibt [Noh 2001]. Der auf einer Berücksichtigung aller dieser Phänomene abzielende Simulationsalgorithmus
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
findet sich auf Abb. 5, in seinen Details ist er in [Krätzig 1997] beschrieben.
5 SCHÄDIGUNGSDETEKTION UND VERSAGEN
Aus der Definition (7), (8) der tangentialen Steifigkeitsmatrix KT wird ersichtlich, dass diese den geeigneten Zugang zur Detektion von Tragwerksschädigungen d, insbesondere auch seismischen, darstellt. Abb. 6 weist auf die zentrale Rolle von KT für integere, d.h. standsichere Tragwerke hin, für welche KT quadratisch, regulär und positiv definit ist. Alle Hauptsteifigkeiten sind somit positiv. Im Falle des Tragwerksversagens wird KT singulär: det KT ~ 0, und mindestens eine Hauptsteifigkeit wird Null. Die tangentiale Steifigkeitsmatrix KT begleitet somit ein seismisch beanspruchtes Tragwerk von seiner Geburt über alle Schädigungsphasen bis zum seismischen Versagen.
Definition: Tragwerksintegrität bedeutet stabile Gleichgewichtspfade. (Zur Vereinfachung seien Tragwerksinstabilitäten ausgeschlossen.)
Voraussetzung für Tragwerksintegrität:
KT: Regularität det KT -<F- 0 +T +
Positive Definitheit V • K T • V> 0 alle Eigenwerte Ai > 0, 1 6 i ~ m
Abb. 6: Tangentiale Steifigkeit und Bedingungen für Tragwerksintegrität
Da KT quadratisch und symmetrisch ist, läßt sie sich stets auf Hauptdiagonalform transformieren. Aus den so entstehenden Eigenwerten lc;, i=1, 2, ... m, den tangentialen Hauptsteifigkeiten
(10)
werden nun gemäß Abb. 7 Schädigungsindikatoren laut der dort im oberen Bildteil angegebenen Definition gebildet.
Aus dieser Definition wird deutlich, dass jeder derartige Schädigungsindikator D; den Wert
• D; = 0 im ungeschädigten Zustand, • D; = 1 im versagensgeschädigten Zustand
annimmt, eine in der modernen Schädigungsmechanik übliche Vorgehensweise. Dieser Schädigungsindikator ist somit in der Lage, alle in Tabelle 1 verwendeten Grenzzustände zu beschreiben.
19
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
Schädigungsindikator:
Ai : Eigenwerte Ai , 1 "";;; i ";:,;; m, of KT(V,d):
I<KT(V,d)- lc; 1)•<1>; = 0 1-- A1 (V,d), A2 (V,d), ... lc; (V,d), ... Am (V,d)
-->- <1>1(V,d), <1>2(V,d), ... CI>;(V,d), ... <l>m(V,d)
Die jeweiligen Eigenvektoren «<li, 1 ",;;;; i ",;;;. m , bilden den Schädigungszustand auf die äußeren Knotenfreiheitsgrade ab.
Abb. 7: Definition von Tragwerksschädigungen
Abb. 7 wendet die allgemein gültige Definition im unteren Teil auf die Eigenwerte von KT an, wozu in jeder Schädigungsphase die Eigenwertaufgabe
[ KT(V, d)- A J • u = o, => A = uT KT(V, d) u (11)
zu lösen ist. Aber auch jede andere Funktion der Eigenwerte kann zur Bildung von Schädigungsindikatoren Verwendung finden, beispielsweise die Eigenfrequenzen von KT und M. Hierzu wäre als Relikt von (6) in jedem Lastzustand die Eigenschwingungsgleichung
[ KT(V. d)- n M J • <I>= o, => n = <I>T KT(V, d) <I> (12)
nach den niedrigsten Eigenfrequenzen aufzulösen [Krätzig et al. 2003]. Letzteres ist i.A. numerisch problemloser durchzuführen als die Eigenwertbestimmung von KT.
6 SCHÄDIGUNG EINES TESTRAHMENS AUS STAHLBETON
Als erstes Beispiel werde ein Stahlbeton-Rahmen analysiert, der vor fast 30 Jahren einem sorgfältig dokumentierten Experiment unterzogen wurde [Ernst et al. 1973]. Sämtliche geometrischen und materialtechnischen Daten finden sich auf Abb. 8.
Tragwerk: P/3
t.f~J } 254w016Jl.254
t 152.•q_ •
'"' '"•~'"""'" '" mm tl/4+1/4+ 1/4---+- 1/4=+ Abmessungen und Material: I= 5.486.4 mm (18ft) h = 1.828.8 mm (6ft)
Beton: fcm= 40.82 MPa
Bewehrungsstahl: Es= 209 GPa J2j" 9.53: fylfsu= 472.3/837.0 MPa, ~>su= 0.077
~ 12.7: fy /fsu = 455.5/702.6 MPa, ~>su= 0.110
Abb. 8: Stahlbetan-Testrahmen nach G. C. Ernst, ACI Journal1973 (4), 261-269
20
~30.0 a. ;; ~ 20.0
10.0
jeweils P/3 __: __ _
I I I
o.o.;:..--+----i--+--+--+--+--i-----1 0 20 40 60 80 100 120 140 160
Durchbiegung w [mm]
Abb. 9: Last-Verformungsdiagramm des Testrahmens unter vertikalen Lasten
1.0
o- @ ~i7 c 0.8 ~
~ I
..
D, !'a""
"" 0.6 '6 c ·u;
"' 0.4 c
" "' '6 '"' 0.2 "" <.> Cl)
0.0
-c@, w i ~
I i D,
--@11 .. ..
~-T . --
' 0 10 20 30 40 50kN Gesamtlast P
Abb. 10: Schädigungsentwicklung auf der Basis von Eigenfrequenzen
1.2
1.0 --
N
"" 0.8 15 :!< ,g 0.6
"' "' ...J 0.4
0.2
0.0 0 20
ent
Computersimulation
I· 1---1--P;/3 P;/3 P;t3
1--u >i.l I I I l-I 1
40 60 80 100 120 140 Verschiebung u [mm]
Abb. 11: Last-Verformungsdiagramm des Testrahmens unter Po*+ A.2 H
Der Rahmen werde zunächst durch drei vertikale Einzellasten in seinen Riegel-Viertelspunkten belastet. Diese Last wurde monoton bis zum Versagen gesteigert. Das experimentell ermittelte Last-VerformungsDiagramm in Riegelmitte ist in Abb. 9 mit unserer Garnputersimulation [Chen 2001] verglichen, diese zeigt geringfügig größere Steifigkeiten und eine um
ca. 6% höhere Versagenslast Po = 50,0 kN als Folge zu steifer Verbundmodellierung.
Viel informativer hinsichtlich der nichtlinearen Deformationsphänomene (Zustand I, beginnende Rißbildung, Rißverzweigung und -aufweitung, Tragwerksversagen) ist zur Detektion der auftretenden Schädigungen erwartungsgemäß der Verlauf der beiden ersten eigenfrequenz-basierten Schädigungsindikatoren auf Abb. 10.
1.0
o-~ 0.8
~ ~ 0.6 "0 <:: ·c;; g> 0.4 :J
"' 'ö jg 0.2
" Ul 0.0
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1\ ! ··- ---- -----
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........ . !
I ! I
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0
Lastfaktor A.1, Last A.1 P~ Lastfaktor A.2, Last P;+ A,H
Abb. 12: Schädigungsentwicklung unter (A.1 P0*) und (Po*+ A.2 H)
Im zweiten Experiment wird der Rahmen zunächst durch Vertikallasten bis P0* = 0,53 Po = 26,5 kN vorgeschädigt. Unter Aufrechterhaltung dieser Vorlast erfolgt sodann die Push-Over-Belastung durch eine Horizontallast H, bis der Rahmen bei H = 14,15 kN versagt. Dieser Versagenslast entspricht eine spektrale Beschleunigungswirkung von 2,89 g auf den Riegel. Das Last-Verformungsdiagramm dieser zweiten Belastungsphase, bezogen a~f die horizontale Riegelverschiebung u, findet sich in Abb. 11. Erneut sind der experimentell beobachtete und der computersimulierte Verlauf gegenüber gestellt. Von den ersten beiden Schädigungsindikatoren auf Abb. 12 beschreibt D1 den Versagenspfad in der erwarteten Weise.
7 SCHÄDIGUNG EINES KÜHL TURMS
Das abschließende Beispiel bezieht sich nicht auf seismische Erregungen, sondern behandelt einen unter Sturm und Betriebseinwirkungen im Laufe seiner Lebensdauer erheblich geschädigten Naturzugkühlturm. Es soll zeigen, wie vorzüglich die Schädigungsklassifizierung nach [FEMA 273] gemäß Tabelle 1 auch auf andere Schädigungsprobleme des konstruktiven Ingenieurbaus Anwendung finden kann. Die Zahlenwerte sind aus Gründen des Kundenschutzes verfälscht.
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
Kühlergeometrie
0.16m
Wandstärke
Abb. 13: Schalengeometrie und Wanddicke eines geschädigten Kühlturms
Der auf Abb. 13 dargestellte Turm werde durch sein Eigengewicht G, den Entwurfswind (Orkan!) W, die Betriebstemperatur LI. T 45K sowie durch einen bauartspezifischen hygrischen Schädigungsprozeß LI. T hygc
beansprucht. Abb. 14 zeigt die nichtlinearen LastVerformungskurven von drei maßgebenden Lastfallkombinationen, aufgetragen jeweils über dem Windlastfaktor A.. Für die gleichen Kombinationen enthält Abb. 15 die Verläufe des jeweils ersten Schädigungsindikators D1, ebenfalls basierend auf der Evolution der Eigenfrequenzen. Diese drei Verläufe beschreiben für alle drei Kombinationen den jeweiligen Weg zum Tragwerksversagen. Erneut sind sie auf den Windlastfaklar A. bezogen. Auch ohne weitere Kenntnis des Bauwerks wird- wie bereits auf den Abb. 10 und 12-die durchaus sinnvolle Definition der Schädigungsstufen nach [FEMA 273] bzw. Tabelle 1 deutlich.
8 ZUSAMMENFASSUNG
Im Vordergrund a-seismischen Konstruierens steht in der DIN 4149 der Personenschutz. Doch mit den Wertsteigerungen der Bauinvestitionen und den Wertverlagerungen auf nichttragende Haustechnik, Installation und Einrichtung nimmt auch in Deutschland der Gesichtspunkt verstärkten Sachwerteschutzes zu. Soll diesen Aspekten bei Erdbebenrisiken Rechnung getragen werden, so müßten zusätzliche verschärfte Grenzzustände für den Tragwerksentwurf eingeführt werden.
Für die USA macht [FEMA 273] hierzu Vorschläge. Ihre Abgrenzung erfolgt durch Nennung von Tragwerks-Schädigungsniveaus, ohne die verwendeten
21
Schädigungsindikatoren zur Vulnerabilitätseinstufung
2.49 2.52
2.47
G +'AW:o
G+ßT45K+'AW"A
G + L1 T45K +ß Thy9,+ 'A W:c
Verformung [ m]
~
~
~
'"" ~ :fl ~
,g 00 ~ --'
~
ci
Abb. 14: Last-Verlormungspfade verschiedener Last
kombinationen für Punkt B
~ '_";;:,-,----o-, ~-1_---.t', .-9-"-c"-.-,,-g,-TI-,---,-,---,~-,--, ~ ;;; ~ ____ ___ f1, ungeschad1gt ~ ~- _ --
Lo·-···· I ~~ I G+/..W- I ~ - G+t.T +'AW- -;--:g 45K
1
: . =·Jf---1······ G + t.T45K +t.Thygc+ A W1 of' ~ -o. _c;;,CP rl d
-"' J ""J++of.o1, +rM' -o--.r;· ;:_"11':: ~ ~ ~ ~ S ~ ~sl-----1-- -- -- 1
I I _.,/ I • •
u u u u u •• •• •• u u u u u u Lastfaktor A
Abb. 15: Erster Schädigungsindikator für verschiede
ne Lastkombinationen
Schädigungsindikatoren genauer zu spezifizieren. Die
vorliegende Arbeit schlägt hierzu die Lastpfadevoluti
on der tangentialen Steifigkeitsmatrix KT vor. Sie leitet
aus deren Eigenwerten bzw. Eigenfrequenzen ' unter
quasi-statischer Idealisierung mittels einer Push-Over
Analyse - die bei [FEMA 273] offenen Schädigungsin
dikatoren her und zeigt deren Anwendung anhand
dreier Beispiele.
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Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
Myl<'me Devaux 1, Pierino Lestuzzi1
1Applied Computing and Mechanics Labaratory (ENAC-IS-IMAC), Ecole Polytechnique Federale de Lausanne
1 INTRODUCTION
Switzerland is not only rich in monumental buildings of European importance, but also in a large diversity of architectural styles and types. Every artistic current, from the Romanesque style to the Neo-gothic one, is weil represented through edifices of diverse value erected throughout the whole country.
ln the past, earthquakes struck the Swiss ground and seriously damaged cultural heritage buildings. For instance, the most violent earthquake recorded in the central part of Europe (1356) had its epicentre situated in the Basel area; almost every building of this citywas partially or highly damaged.
The seismic safety of common buildings is nowadays weil dealt with in Switzerland through modern building codes. On the contrary, the seismic vulnerability of cultural heritage buildings has been only addressed. ln order to fill this gap, a national research program was recently initiated, whose main purpose is to develop a methodology that allows us to assess the seismic vulnerability of monumental buildings.
lt was decided to base the research on the structural analysis of one or a few representative buildings whose results will be extended to other Swiss edifices. The cathedral of Sion was chosen to be focused on at first, because it is a basilica, which is the major kind of configuration of Swiss churches, and also because it is sitliated in Valais (highest seismic hazard zone in Switzerland).
ln the first stages of this research, the seismic vulnerability of the cathedral was assessed through simplified methods of calculation. This paper presents the results obtained up to this stage.
2 CULTURAL HERITAGE BUILDINGS IN SWITZERLAND
After being under Roman domination, Switzerland was quickly Christianised. As early as the 4'" and 5'"
c., nine bishoprics have been attested in the (Chur, Vindonissa, Augusta Raurica, Bille, Avenches, Yverdon, Martigny, Nyon and Geneva (Speich et al. (1979)).The most ancient Christian building still standing in Switzerland (baptistery of Riva San Vitale, Tessin (Figure 1)) dates from the beginning of the 51
" c. During the Carolingian period (8'"- 9'" c.), sacred
architecture was characterized by a new growth. The convent of Müstair (Figure 1) is one of the few buildings still remaining from this period.
Fig. 1: Map of Switzerland.
After the Carolingian Empire decline, the Swiss area was broadly under domination of the Kingdom of Burgundy in the weslern part, of the duchy of Souabe in the east and Milan reigned over the southern part (Speich et al. (1979)). All these cultures highly influenced the architectonic style of the Swiss edifices erected at !hat time. Moreover, these cultures sometimes merged Iogether and many edifices from !hat time present marks of different styles. For instance, the cathedral of Basel, which included ltalian, Burgundian and French infiuences, is the greatest monumental building dating from the end of the Romanesqua period.
23
Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
Gothic architecture appeared in Switzerland in the end of the 12'h century. Whereas the alpine regions were reluctant to adopt this new architectural style (the Romanesque style survived almost until the end of the Middle Ages as shown by the bell towers of churches in Valais and in Tessin), it was not the case of the cities and their surroundings. The greatest Gothic monumental edifice in Switzerland, which is also the first main gothic sacred edifice in Burgundy, is probably the cathedral of Lausanne. Erected later (1421), the collegial of Bern is likely to be the most important edifice of fiamboyant Gothic architecture.
The Renaissance style was, in a general way and except southern Switzerland and the ltalian valleys of eastern Switzerland, not adopted in Switzerland since it was considered pagan.
The Baroque architectural style appeared in Switzerland in the 17'h century. Amongst the master edifices, we can quote the abbey of Einsiedeln (Figure 2) and the abbey of SI-Gallen.
Fig. 2: Abbey of Einsiedeln (source: Tourism information centre of central Switzerland).
The Neo-classicism (18th c.) is also quite weil represented in Switzerland; a great example is the cathedral of Solothurn. Neo-classicism and Neo-gothic influenced the architectural styles of the edifices built during the 18th and 19th centuries.
3 SEISMIC HAZARD IN SWITZERLAND
Although the seismic activity in the Alps region is not as intense as in the Andes or in the Himalayan region Switzerland presents a moderate seismic hazard.
Since the 1oth c. and until 2001, 40 earthquakes of a higher intensity than or equal to VII were recorded, 12 with an intensity higher than or equal to VIII and finally, one very strong earthquake whose intensity was equal to IX (Fäh et al. (2003)).
24
ltue-noily
0 IX
0 vm 0 vu
0
0
0
0
I
Fig. 3: Historie earthquakes with an intensity higher than or equal to V between 1000 and 2001 (source: Fäh et al. (2003)).
As is shown by Figure 3, the seismically most vulnerable regions are: the Valais, the Basel region, the central region of Switzerland, the Rhine valley and the eastern part of the country.
3.1 Seismic hazard in Valais
The area of the canton of Valais is included within an unfavourable Ieetonic area which is crossed by several important E-W splits.
Research carried out at the Swiss seismological service has showed that a seism with an intensity of VIII-IX on the EMS-98 scale was likely to occur in Valais with a return period of 4 75 years. Furthermore, the Rhone valley is filled with several meters deep alluviums which could be harmful to the buildings stock since it might be at the root of site effects, i.e. amplification of the seismic waves and/or liquefaction of soil. The V-shaped Rhone valley might also intensify waves amplitudes.
4 SEISMIC VULNERABILITY OF THE SWISS CULTURAL HERITAGE BUILDINGS
Fig. 4: Engraving of the city of Basel alter the earthquake which occurred in 1356 in this region (Source: Swiss Reinsurance Company (Historie earthquakes in Europe)).
The earthquake, which occurred in October 1356 in Basel, caused very serious darnage to every kind of buildings. Moreover, in the "Roten Buch" (red book) of the city of Basel, il is written: "One should know !hat this city was destroyed and broken inlo pieces by an earthquake; no church, no tower and not even a masonry house remained completely intact in the city and the surroundings [ ... ]".
As is quite obvious in Figure 4 and as is often reported in archives, by woodcuts, engravings, papers and correspondences, the most vulnerable parts of the monumental buildings are the bell towers and the vaults.
Archives documenls also show clearly !hat monumental buildings like churches are seismically more vulnerable than common buildings.
4.1 Seismic vulnerability of churches
When hit by an earthquake, common buildings must be resistant enough in order to keep people safe inside it. On the contrary, whal matters most in the case of churches is to keep inlact the whole structure as weil as the movable goods inside the edifice. This condilion requires a thorough understanding of the seismic response of the church.
Nevertheless, the structural analysis of monumental edifices under dynamic actions is particularly complicated because of their structure complexity, the material non-linearily, etc. Besides, dimensions and material properlies are often unknown and enhanced therefore lhe calculation difficulties.
On the other hand, regarding their structure which is essentially characterized by the architectural style applied, the building techniques used and also the malerials employed, each church is unique. This fact makes the results obtained from the seismic analysis of one church generally unsuitable to be directly applied to other edifices. Therefore, lhe development of a melhodology which would allow us to assess the seismic vulnerability of a large number of churches is quite complex (Doglioni et al. (1994)).
II is also worth noling !hat besides the difficulties sei out above, the return period of the seismic evenl to be Iaken into account in the case of churches is higher than for common buildings since their lifespan is usually longer.
4. 1. 1 Seismic vulnerability of churches in Valais
The three major earthquakes, which occurred in lhe Valais since the 181
h c., namely in 1755, 1855 and 1946, caused serious darnage to many common buildings and especially to monumental edifices. For in-
Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
stance, one of the serious darnage recorded is the collapse of the spire of the St-Martin's church tower in Visp (Figure 5), due to lhe earthquake of 1855. Besides, after collapsing, the spire feil down onto the nave vaults.
Before the earthquake After the earthquake
Fig. 5: Darnage on the Saint Martin's church due to the earthquake of 1855 in the Visp region. (Source: Schmid (2001), the Swiss seismological service).
Churches in the valley of Visp also sustained serious darnage after lhe seismic event of 1855. The church in Sankt Niklaus was highly darnage and had to be rebuilt as many olher edifices in lhe same region. Besides, two chapels of the Procession lane of Visp were also seriously hil by lhe earthquake. While one edifice completely collapsed (Figure 6), the ceiling vaults of the other one feil down.
Fig. 6: Ruins of a chapel in Visperterminen (close to Visp) that collapsed in 1855.
The canton of Valais was struck again in January 1946. This time, as the epicentre was situaled lo the north of Sion, the cenlral part of the canlon was parlicularly hit. Almost every church in this region was partially or highly damaged; their bell tower especially sustained severe darnage and somelimes had to be rebuilt.
The church of Chippis (close to Sierre) was highly damaged by the seismic evenl of 1946. As you can see in Figure 7, the ceiling vaults collapsed.
25
Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
Fig. 7: Church of Chippis alter the earthquake occurred in 1946 (Source: Keystone/Photopress).
5 THE CATHEDRAL OF SION
The edifice, with Latin cross-shaped plan, has the architectural features of a basilica. lts vessel is composed of a central nave flanked by !wo aisles along three bays, a Iransept and a chancel with a polygonal apse. The sacristy and the chapels are placed on the chancel sides (Figure 8).
5.1 The structure
Each bay of the nave has quadripartite rib vaults. The buttresses, which resist the thrust coming from the vaults, follow the roof of each aisle and the thrust is brought down to the ground through massive pillars adjoining the wall (Figure 9).
Fig. 8: Plan of the cathedral of Sion (Ribordy Evequoz et al. (1995)).
The Romanesqua bell tower was built during the 12'h century. At first, there was only one side connected to the rest of the church; then, as they built a small chapel along its north fagade, the tower became almest completely integrted in the church (!wo walls are connected to the church).
5.2 The seismic vulnerability of the cathedral of Sion
From a seismic point of view, the most vulnerable structural elements are a priori the bell tower and the
26
vaults. The Iransept walls might also be seismically vulnerable and especially in their out-of-plan direction.
The last important seismic event which occurred in 1946 mainly damaged the upper part of the tower: the spire tip was broken and the masonry of the last storeys was highly dislocated.
5.2. 1 The tower seismic vulnerability
The tower is about 45 m high and has a squared cross-section of about 1Om x 11m. The three upper storeys are opened by arched windows.
Fig. 9: Views of the cathedral.
The calculations are based on a simple model of a cantilever beam with 6 punctual masses (Figure 10). The dynamic actions are determined according to the equivalent force method and also to the Swiss building code SIA 261, 2003.
The masses include the walls weight, the wooden floors weight and the bells for the mass 4 (Figure 10).
For calculating the section resistance, four L parts were allowed for in the storeys 3, 4 and 5 (s3, s4 and s5 in Figure 1 0); both first storeys were modelled without openings.
Assumptions on the structural behaviour:
- The base is rigid enough for being allowed for fully restrained and the embedment is situated at 5 m from the ground (Figure 1 0),
- The tower is free from the rest of the structure, - The rigidity distribution as weil as the masses dis-
tribution allows the application of the equivalent force method,
- The behaviour factor q is assumed to be 1
Assumptions about materials and weights:
- The masonry is not cracked and is uniformly made of Iimestone with cement.
Results: The calculated (by Rayleigh's quotient) frequency f, is about 1.26 Hz and its period T, = 0.79 s;
Nave ~
M6 5.4 m s6
M5 4.2m s5
s4 M4
4.6m M3
5m s3 M2
4.6m
5m 0
Fig. 10: Model of the tower with its cross-section.
fy is about 1.14 Hz and its period Ty = 0.88 s. ln both directions, the main problern appears at the fourth Ievei (Figure 1 0), which is probably due to the mass of the bells as weil as quite a vulnerable section (wide open space due to windows). The bending moments resulting from horizontal actions are too high for the structure, whose walls (s3 and s4, Figure 1 0) are actually not resistant enough to the seism defined by the Swiss codes for the region of Valais. The first storeys cross-section is massive and resistant enough to the moments induced by the seismic actions. Besides, cross-sections along the tower height resist the shear force due to the seismic actions.
These results, although resulting from calculations using simple models, show that this structure is seismically vulnerable. Further calculations will be performed in order to improve the accuracy of the present results. lt is worth noting that this vulnerability must have been already known few decades ago, since reinforced concrete head beams were carried out (at s5 Ievei, Figure 1 0) and connected to the beneath masonry with vertical pre-stressing tie-rods.
5.2.2 Seismic vulnerability of the transepts main side
The transepts main side is seismically vulnerable in its out-of-plane direction essentially. ln order to assess it, the applied calculation methodology is Iaken from Lagomarsino et al. (2002), (2005) and the proposed equations are:
- Without taking into account tie-rods:
S =A=!_ a h (1)
- With tie-rods:
Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
X
4.4 m y
102m~~ :;['1.3 m
I.
10.8 m
s h'·T. S =A=-+2 °
a h h·mg (2)
Where:
- Sa: Spectral acceleration activating the collapse mechanism
- T0 : Interna! force in the tie-rod - h: Wall height - h': Height of the tie-rod anchorage - s: Wall width - m: Mass ofthe wall
h2= 13.6 m
h=15 m
h,'=8.6 m
Fig. 11: Plan of the south wall of the south Iransept
Assumptions on the structural behaviour:
- Transeptswall behaves as a rigid body,
- Windows do not have other effects on the out-of-plane behaviour than just a Iack of material,
- Tie-rods are weil embedded in the perpendicular walls fabric.
Note: according to the assumptions, Sa is equal to the peak ground acceleration.
27
Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland
Results: The first step does not allow for the tie-rods and the maximal ground acceleration that can be withstood by the structure (without the overturning of the fa<;;ade) is Sa= 0.8 m/s2 This value is actually lower than the acceleration determined in the Swiss code (a9d=1.6 m/s2
) (SIA 261, 2003); consequently, the considered wall might be quite seriously damaged in case of an important seismic event (according to the code). Taking into account the tie-rods highly improves the resistance of the wall against horizontal actions. The maximal ground acceleration that could be withstood by the wall is actually Sa= 2.8 m/s2
,
which is higher than 1.6 m/s2. ·
According to the model and its assumptions, the Iransept walls are resistant enough to the prevalent seismic event determined by the Swiss code.
5.2.3 Discussion
According to these first and quite simple calculations, the bell tower is seismically vulnerable. Nevertheless, the model accuracy must be improved in order to take into account every prevalent parameter that can influence the dynamic behaviour of the tower. Consequently, for instance, as the boundary conditions must be as close as possible to the reality, the link between the tower and the other structural parts of the church
· must be allowed for. The impact of diverse masses that belang to the structural elements must be better defined and modelled, like the reinforced concrete ring beam at the last Ievei (s5 in Figure 10). Amongst the assumptions made in the calculations, the diaphragms were assumed rigid; this is actually not exact since the floors are actually supported by a flexible timber structure. This fact has also to be allowed for in the next stages of calculations. Finally, the masonry state of decay and the impact of its creep are also relevant parameters regarding the seismic vulnerability of an edifice.
The assessment of the seismic vulnerability of the transepts shows that, thanks to the tie-rods that link the Iransept front side and lateral walls, they are not highly vulnerable in their out-of-plane direction. However, the resistance from the masonry connection between perpendicular walls is not taken into account and the anchorages quality must be checked and defined. The in-plane structural behaviour must be also verified.
Furthermore, the dynamic structural behaviour of the nave, then the vaults- pillars system must be analysed in order to assess its seismic vulnerability. As it might be deficient during a seismic event, the dynamic response of the apse has also to be studied. Finally, all these studies about different parts of the structure
28
will Iead towards the understanding of the general dynamic response of the edifice.
6 CONCLUSION
As stated above and though with quite simplified methods of calcu!ation, the tower is seismically vulnerable. This result tallies the need of further more accurate investigations. Concerning the transepts, it seems that they do not present high seismic vulnerability; nevertheless, their seismic resistance is not enough, regarding the prevalent seism determined in the Swiss codes, without tie-rods. A more detailed study is then, in this case, also required.
Further analyses will be made through more complex and detailed methods of calculations, like FEM or the application of the Limit equilibrium analyses in an advanced way. Field tests will be also carried out in order to define mechanical properlies of masonry and also to calibrate the models.
Finally, these preliminary results are going to be completed by further studies about the seismic vulnerability of other edifices in Switzerland and especially in the canton of Valais.
7 REFERENCES
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Lagomarsino S. et al. (2005), Mechanical models for the seismic vulnerability assessment of churches, Structural Analysis of Historica/ constructions, eds. Modena, Louren9o & Roca, 2005, London.
Lagomarsino S. et al. (2002), Seismic response of historical churches, 12th European Conference on Earthquake Engineering, Elsevier Science Ltd., 2002, paper Ref. 471.
Doglioni F. et al. (1994), Le chiese eil terremoto, Edizioni Lint, Trieste.
Versuche zum Verformungsvermögen gering bewehrter Stahlbetontragwände unter statisch-zyklischen Einwirkungen
Christi an Greifenhagen 1 und Pierino Lestuzzi1 1Applied Computing and Mechanics Labaratory (ENAC IS I MAC)
Ecole Polytechnique Federale de Lausanne
1 EINLEITUNG
Die Beurteilung der Erdbebensicherheit bestehender Gebäude gewinnt mit der Neubewertung der Erdbebeneinwirkung in der Schweiz zunehmend an Bedeutung. Eine Vielzahl von Gebäuden weist gedrungene Tragwände auf, die hauptsächlich für den Abtrag von Schwerelasten konzipiert erheblich zur horizontalen Aussteilung beitragen. Da solche Tragwände meist nur Mindestbewehrung besitzen sowie eine für Erdbebeneinwirkungen geeignete konstruktive Ausbildung der Bewehrung fehlt, kann ein sehr ungünstiges, von Schubmechanismen dominiertes Erdbebenverhalten resultieren.
Diese Einschätzung widerspricht jedoch Beobachtungen von tatsächlich in Folge schwerer Erdbeben eingetretener Schäden. Fintel (1995) weist darauf hin, dass Wandscheibenbauten ohne duktile konstruktive Durchbildung selbst bei schlechter Ausführungsqualität ein überwiegend günstiges Erdbebenverhalten zeigen. Weiterhin wird ausgeführt, dass bei Wandscheibenbauten im Vergleich zu Rahmenstrukturen wegen der grösseren Steifigkeit die Schäden an nichttragen den Bauteilen wesentlich geringer sind.
Mit verformungsbasierten Verfahren kann das Erdbebenverhalten von Tragstrukturen realistischer erfasst werden, als dies mit kraftbasierten Verfahren der Fall ist (Priestley (1997)). ln der Schweiz wurde Ende 2004 mit Einführung des Merkblatts SIA 2018 eine Grundlage für die Anwendung verformungsbasierter Verfahren in der Beurteilung der Erdbebensicherheit von Gebäuden geschaffen (SIA 2018 (2004)). Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieses Verfahrens ist allerdings, dass der Schubwiderstand grösser oder gleich der erhöhten Querkraft ist, was der Kapazitätsbemessung entlehnt wurde um sprödes Schubversagen auszuschliessen.
Ist dies nicht der Fall, wird die Erdbebensicherheit mit dem gewohnten kräftebasierten Verfahren beurteilt.
Die Untersuchung von Versuchsergebnissen aus der Literatur zeigte, dass das statisch-zyklische Verformungsvermögen von gedrungenen Tragwänden, wie sie für bestehende Gebäude in der Schweiz typisch sind, nicht aus den zur Verfügung stehenden Daten extrapoliert werden kann (Greifenhagen et al. (2005a)).
Der Versagensmechanismus von Tragwänden wird durch Normalkraft, Bewehrungsanordnung sowie Auflagerbedingungen beeinflusst. Schubversagen infolge Schrägzug ist vor allem für Wände mit starker Biegebewehrung in den Endbereichen des Querschnitts sowie Einspannung am Wandkopf zu erwarten (Hidalgo et al. (2002)). Bei gedrungenen Wänden hat dabei die Schubbewehrung nur geringen Einfluss auf Schubwiderstand und Verformungsvermögen (Foure (1993)). Bei schlanken Tragwänden ohne Einspannung am Wandkopf, was wegen der geringen Biegesteifigkeit der Decken im Vergleich zur Biegesteifigkeit der Tragwand für Wandscheibenbauten realistisch ist, können sich hingegen in Abhängigkeit von Normalkraft, Bewehrungsanordn ung und Eigenschaften des Bewehrungsstahls für das Erdbebenverhalten günstige Biegemechanismen ausbilden (Dazio et al. (1999)). Dazu sind nur relativ geringe Querbewehrungsgehalte notwendig.
Ziel der hier vorgestellten Versuchsreihe ist die Untersuchung des statisch-zyklischen Verformungsvermögens von nicht-duktil ausgebildeten, gedrungenen Tragwänden. Versuchsparameter sind Betondruckfestigkeit, Querbewehrungsgehalt und bezogene Normalkraft. Besondere Bedeutung wird dabei dem Versagensmechanismus und dem Einfluss des Schubtragverhaltens auf das Verformungsvermögen .zugewiesen ( Greifenhagen et al. (2005b)). Der Versuchsbericht steht auf der Internetseite des Erstauthors zum Download bereit.
29
C. Greifenhagen und P. Lestuzzi
M1 Yt;:: M2
~+f- V II 0.017 < n < 0.027 0.017 < n < 0.027
Ph=0.003 t;-so N/mm2
Ph=O.ODO Pv=D.003 Pv=0.003
-y. 0 ~ m w + w ~
'· ~J c j .c NO.
a)
n T7 ~/// f/1//////
-Jf'·'o:''e.,Jr-· --"'"'--~Jf'·'"'oo~Jf-· ~ (mmJ
b)
M3 t;-20 Nfmm2
M4 0.09<n<0.10
0.5n 0.044 < n < 0.056
ph:Q.003 Ph=0.003 Pv=0.003 Pv=0.003
Abb. 1: Versuchsprogramm mitschematischer Darstellung des Versuchsaufbaus (a) und der Versuchsparameter (b).
2 VERSUCHSBESCHREIBUNG
2.1 Versuchsprogramm
Das Versuchsprogramm umfasst zwei Versuchsreihen mit jeweils zwei Versuchskörpern, die den unteren Teil einer Tragwand im Massstab 1:3 abbilden. Der Versuchsaufbau sowie die Versuchsparameter sind in Abb. 1 schematisch dargestellt. Als statisches System wurde ein Kragarm gewählt, am Wandkopf ist damit eine Rotation möglich.
Die Modeliierung der Tragwand unter Erdbebeneinwirkung als Kragarm mit Einzellast am Kragarmende und Längskraft gründet sich auf folgende Annahmen: erstens, die wegen der geringen Biegesteifigkeit der Decken geringe Rahmenwirkung der Tragwände untereinander, zweitens die Dominanz der ersten Eigenform im dynamischen Verhalten von mehrgeschossigen Gebäuden und drittens die Abbildung des Schwingungsverhaltens der ersten Eigenschwingungsform durch einen modalen Einmassenschwinger.
2.2 Versuchsparameter
Einen Überblick über die Versuchsparameter gibt Abb. 1. Es wurden drei Parameter gewählt:
Querbewehrungsgehalt - Bezogene Normalkraft - Betondruckfestigkeit
ln der ersten VersuctTeihe wird der Einfluss der Querbewehrung untersucht. Dazu wurde die mit Wand M1 baugleiche Wand M2 ohne horizontale Bewehrung ausgeführt. Betondruckfestigkeit und bezogene Normalkraft blieben in etwa gleich.
Ziel der zweiten Versuchsreihe ist es, den Einfluss der bezogenen Normalkraft zu untersuchen. Da die maximale vertikale Vorspannkraft durch den Versuchsaufbau begrenzt ist, wurden Betondruckfestigkeit und Querschnittsfläche reduziert,
30
was bei gleicher Va-spannkraft die Erzeugung einer höheren bezogenen Normalkraft erlaubt.
2.3 Versuchsaufbau
Die Versuchskörper gliedern sich in drei Teile, Kopfbalken, Wand und Sockel, wobei der Kopfbalken der Krafteinleitung und der Sockel der Verankerung der Biegebewehrung der Wand und der Lagesicherung des Versuchskörpers dient. Der mittlere Teil, die Wand, stellt die zu untersuchende Tragwand dar. Sie ist im Sockel eingespannt. Die Wandlängen und Wanddicken der einzelnen Versuchskörper sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Die vertikale Bewehrung aller Tragwände bilden gleichmässig über die Wandlänge verteilte Bewehrungsstäbe von 6 mm Durchmesser in zwei Lagen (Abb. 2.). Dies führt zu einem Längsbewehrungsgehalt von 0.3%. Die Verankerung der Biegebewehrung wird durch Einbinden in Kopfbalken und Sockel sichergestellt. Geschlossene Bügel mit 135'Endhaken fungieren als Querbewehrung. Obwohl dieses Detail in der Regel nicht in Tragwänden bestehender Gebäude zu finden ist, wurde es für diese Versuchsreihe gewählt, um die Verankerung der Querbewehrung zu gewährleisten. Dieser Kompromiss ist wegen der geringeren Länge der Versuchskörper im Vergleich zu realen Tragwänden notwendig.
Die Versuchskörper wurden liegend betoniert. Betonierfugen, wie sie in tatsächlichen Tragwerken
Wand Iw f,
[mm] [mm] [MPa]
M1 1000 100 50.7
M2 1000 100 51.0
M3 900 80 20.1
M4 900 80 24.4
Tabelle 1: Abmessungen der Wände und mittlere Betondruckfestigkeit (Zylinderdruckfestigkeit).
Gering bewehrte Stahlbetontragwände unter statisch-zyklischen Einwirkungen
Schnitt A-A Schnitt B·B
!•A !•s Schnitt C-C
Ii» 5x190
Abb. 2: Bewahrung der Wände M1- M4.
(Abmessungen in mm)
Bewehrung wande M11M2
zwischen Wänden und Decken üblich sind, wurden nicht ausgeführt. Damit verbessert sich die Schubübertragung zwischen Wand und Sockel. Ein den Schubwiderstand begrenzender Gleitmechanismus wird dadurch nicht ausgeschlossen, es ist dazu aber eine gewisse Anzahl von Zyklen notwendig in denen auf die Wand eine höhere Schubkraft aufgebracht werden kann, um den Widerstand anderer Bruchmechanismen zu untersuchen.
Horizontale und vertikale Kräfte werden über den Kopfbalken in die Wand eingeleitet. Die Höhe des Kopfbalkens wurde so bemessen, dass am Wijndkopf mit einer über die ganze Wandlänge verteilten Normalkraft zu rechnen ist. Hierfür wurde ein Lastausbreitungswinkel von 45" angenommen. Der Sockel wurde mit vier Stabspannstählen gegen den Reaktionsboden der Versuchshalle vorgespannt, um ein Abheben während des Versuchs zu vermeiden.
Die statisch-zyklischen Horizontalkräfte werden über hydraulische Pressen an den beiden Stirnseiten des Kopfbalkens aufgebracht. Durch abwechselnde Betätigung dieser Pressen wird eine statisch-zyklische Belastung mit Lastumkehr erreicht. Die Pressen stützten sich jeweils auf einen Reaktionsrahmen aus Stahlprofilen ab. Beide Reaktionsrahmen ermöglichten auch die seitliche Stabilisierung der Versuchskörper.
Zwei Stabspannglieder von je 12 m m D.Jrchmesser erzeugen eine vertikale Verspannung, die eine Normalkraft infolge vertikaler Lasten z.B. infolge Auflagerkräften der Decken modelliert. Die unteren Enden der Stabspannglieder wurden in einer Aussparung im Sockel verankert. Die oberen Enden der Stabspannglieder dienten dem Aufbringen der Verspannung, sie stützten sich über Spiralfedern gegen den Kopfbalken ab. Die Spiralfedern verringerten die Steifigkeit des vertikalen Vorspannsystems, um den Normalkraftzuwachs
Ansicht i• D 1• E Schnitt 0-D Schnitt E-E
.~D !•E Schnitt F-F )~06) /~4{04)
«<I 4x219
i. !i i : ~ i
(Abmessungen in mm)
Bewehrung Wände M3/M4
infolge vertikaler Verschiebungen während des Versuchs zu reduzieren.
Die Regelung der Normalkraft war während des Aufbringans der Horizontalkraft nicht möglich. Den Vorteilen eines einfachen und robusten Versuchsaufbaus stand so der Nachteil einer in Abhängigkeit der vertikalen Verschiebungen variierenden Normalkraft gegenüber. Der Einfluss dieser Variation auf die Versuchsergebnisse ist jedoch gering.
2.4 Materialeigenschaften
2.4.1 Beton
Für die Herstellung der Versuchskörper wurde Beton mit 16 mm Grösstkorn verwendet. Durch Veränderung des Wasser-Zementwertes und des Zementgehalts konnte die Betondruckfestigkeit in der zweiten Versuchsreihe reduziert werden. Die in Tabelle 1 angegebenen Betondruckfestigkeiten (f c) sind die mittleren Druckfestigkeiten beim Versuch und nicht die 28-Tage Betondruckfestigkeiten nach einschlägigen Normen. Sie wurden in zentrischen Druckversuchen an jeweils drei Zylindern mit 160 mm Durchmesser und 300 mm Höhe bestimmt. Die Prüfzylinder wurden, zusammen mit dem jeweiligen Versuchskörper betoniert, unter gleichen Bedingungen wie dieser gelagert und unmittelbar nach dem Versuch getestet.
2.4. 2 Bewahrung
Der Bewehrungstyp D6 (Tabelle 2) wurde bei allen Wänden für die vertikale Bewahrung und bei Wand M1 auch für die Querbewahrung verwendet. in Tabelle 2 bezeichnet t die 0.2% Fliessgrenze, t die Zugfestigkeit, Ey die Fliessdehnung, •. die Dehnung bei Höchstlast und fuify das Verfestigungsverhältnis.
31
C. Greifenhagen und P. Lestuzzi
Typ fy f" •, E "
f.Jf,
[MPa] [MPa] [%] [%] [-]
D4 745 800 0.37 2.91 1.07
D6 504 634 0.29 11.1 1.26
Tabelle 2: Eigenschaften der Bewahrung.
Die Dehnungen wurden mit Feindehnungsmessern der Basislänge 100 (D4) bzw. 200 mm (D6) bestimmt. Aus den in der Tabelle 2 angegebenen Werten sowie dem exemplarisch dargestellten Verformungsverhalten in Abb. 3 ist erkennbar, dass es sich bei Typ D4 um einen kaltverformten Betonstahl mit geringem Verfestigungsvermögen und bei Typ D6 um einen naturharten Betonstahl mit relativ grossem Verfestigungsvermögen handelt.
Es war wichtig, für die Längs bewehrung einen naturharten Betonstahl zu verwenden, da einerseits in bestehenden Bauwerken eher naturharte Betonstähle als kaltverformte Stähle anzutreffen sind und andererseits das Verfestigungsvermögen des Betonstahls einen bedeutenden Einfluss auf das statisch-zyklische Verhalten von Betonbauten hat.
2.5 Messeinrichtung
Die Versuchskörper wurden mit Kraftmessdosen und induktiven Wegaufnahmern ausgerüstet, um während des Versuchs Kräfte und Verschiebungen zu messen. Die Kraftmessdosen zur Erfassung der Schub- und Längskraft sowie die Wegaufnehmer wurden automatisch ausgelesen und die Daten gespeichert.
Die Lage der Wegaufnehmer zur Erfassung der Wandkopfauslenkung ist in Abb. 1 dargestellt. Weitere Wegaufnehmer wurden an den Stirnseiten und entlang der Einspannung der Wand angeordnet. Details zur Messeinrichtung können in Greifenhagen et al. (2005b) eingesehen werden.
2.6 Versuchsablauf
Nach einer Nullmessung, dem Aufbringen der Normalkraft und einer weiteren Nullmessung wurde die statisch-zyklische Horizontalkraft mit der in den Abbildungen 4 und 5 dargestellten Belastungsgeschichte aufgebracht.
Die Versuche M1 und M2 erfolgten kraftgesteuert. Mit Horizontalkräften von 25, 50, 75 und 150 kN wurden jeweils zwei Belastungszyklen durchgeführt. Danach wurden drei Zyklen mit 200 kN aufgebracht, das war die Maximallast die mit dem gewählten Versuchsaufbau möglich war.
Anschliessend erfolgten ein Absenken der nominellen Normalkraft auf 1 06 kN und jeweils ein
32
800
(ii' 700 a.
,---~04
~ 600
~ I ----~ 500 ~ g' 400 N
• ~ 300
~ 200
100
Dehnung[%]
Abb. 3: Verformungsverhalten der Bewahrung.
06
Zyklus mit 100 kN und 200 kN Horizontalkraft. ln der Folge wurde die nominelle Normalkraft auf 86 kN verringert und die kraftgesteuerte Belastung bis zum Bruch des Versuchskörpers fortgeführt.
Die Versuche M3 und M4 erfolgten zunächst kraftgesteuert wie in .den Versuchen M1 und M2. Jedoch wurde die Last nach zwei Zyklen nur um 25 kN gesteigert. Bei Erreichen der Proportionalitätsgrenze wurde die gemessene Verschiebung als Lastinkrement für den weggesteuerten Teil der Versuche gewählt. Hier erfolgten ebenfalls jeweils zwei Zyklen mit der gleichen Zielverschiebung. Mit dem Erreichen einer
· Schiefstellung von zirka 0.8"/o wurde dann das Lastinkrement verdoppelt und der Versuch bis zum Bruch fortgeführt. Die nominelle Normalkraft war während der Versuche M3 und M4 konstant.
3 VERSUCHSBEOBACHTUNGEN
Bei den vier untersuchten Wänden konzentrierten sich die Verformungen im wesentlichen im unteren Viertel der Wandhöhe. Durch Aufbringen der statisch-
20 0
150 z 100 6 ~ 50
:§ 0
2 50 "§ -100 I
-150
-200
1\ l
II)\ 11 An \j \ l 1/ ' vvAp~I/~MI~ \it t 1 11 \tV
I II \, I
IN-136kNI \ I \1 II ~ li.J-1 I 1 ~I N-86kN I N-
I 1 ~ 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70
Kraftstufe
Abb. 4: Belastungsgeschichte: a) Wand M1, b) Wand M2.
Gering bewehrte Stahlbetontragwände unter statisch-zyklischen Einwirkungen
zyklischen Lasten wurden insbesondere die Endbereiche der Querschnitte nahe der Einspannung in den Sockel geschädigt. Steigerung der Auslenkung, nicht Erhöhung der Horizontalkraft, führte in allen Versuchen zum Versagen der Versuchskörper.
3.1 Wand M1
Bei Wand M 1 wurde bis zu 150 kN Horizontalkraft nahezu linear-elastisches Verhalten beobachtet. Bis zum Erreichen der maximalen Horizontalkraft von 200 kN konzentrierte sich die Rissbildung in einem zirka 40 mm breiten Bereich am Wandfuss, zwischen dem untersten Bügel und der Einspannung in den Sockel. Über die gesamte Wandlänge bildeten sich mehrere kleinere Risse mit 20-30° Neigung zur Horizontalen, die sich dann unterhalb des ersten Bügels als Horizontalrisse ausbreiteten. ln den Endbereichen der Wand bildete sich je ein stärker geneigter Riss.
Bereits nach dem ersten Zyklus mit 200 kN Horizontalkraft und 0.3% Schiefstellung blieben die Risse am Wandfuss nach Entlastung des Versuchskörpers offen. Im dritten Zyklus mit 200 kN Horizontalkraft, 136 kN Normalkraft und zirka 0.5% Schiefstellung bildete sich ausgehend von einem Biegeriss im unteren Drittel der Wandhöhe ein Schrägriss (Abb. 7), der sich über die halbe Wandlänge erstreckte. ln den weiteren Zyklen nach Absenken der Normalkraft verringerte sich die Steifigkeit der Wand erheblich und die Verformungen konzentrierten sich entlang des Sockels in einem Riss.
Bei Lastumkehr wurden bedeutende Verschiebungen infolge Gleitens der Wand auf dem Sockel beobachtet. Die äusseren Stäbe der Längsbewahrung versagten bei zirka 3% Schiefstellung. Zu diesem Zeitpunkt war die Betondeckung am untersten Bügel nahezu über die gesamte Wandlänge abgeplatzt. Die im Versuch aufgebrachte Schädigung wird in Abb. 6 und 7 dargestellt.
3.2 Wand M2
Wie im Versuch cer Wand M1, so bildeten sich bis zum Erreichen der maximalen Horizontalkraft von 200 kN auch bei der bis auf die Horizontalbewahrung baugleichen Wand M2 zunächst mehrere Schrägrisse nahe des Sockels, die sich dann bis ins untere Viertel der Wandhöhe fortsetzten.
Bereits während der Zyklen mit zirka 150 kN und 0.3% Schiefstellung schlossen sich die Schrägrisse
10 E -". 5 I 0 A,A A A A A ~~s ·vvyy1 ~
-10 I N-136kNj
-15 ~,-;;---";,.--c;;;---;;;----,"..=---;,~~-:;;;---:;! a) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
10 E -". 5 g> ~ o f----'V'A.N\JV\
" ~ -5
:l' -10 I N-76kN ']
Kraftstufe
-15 !;---""--,;:;,.--c;;;-___"........,"..=....."~~-:;;;--;i b)
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Kraftstufe
Abb. 5: Belastungsgeschichte: a) Wand M3, b) Wand M4.
nach Entlastung des Versuchskörpers nicht mehr. Nach Verringerung der Normalkraft auf 86 kN bildete sich im mittleren Drittel der Wand entlang des Sockels ein durchgehender Horizontalriss, der sich mit den geneigten Rissen in den Endbereichen der Wand vereinigte.
Da dieser Horizontalriss nicht über die ganze Wandlänge durchging, wirkten die mit dem Sockel weiterhin verbundenen Endbereiche der Wand als Auflager, zwischen denen die Wand bei Lastumkehr auf dem Sockel glitt. Die Folge davon waren relativ grosse Vertikalverschiebungen des Kopfbalkens, wegen derer der Versuch bei 2.7% Schiefstellung abgebrochen wurde. Eine weitere Steigerung der Verschiebungen. war mit dem gewählten Versuchsaufbau wegen der Einspannung der Pressen für die Horizontalkraft in den Reaktionsrahmen nicht möglich. Das Rissbild von Wand M2 am Ende des Versuchs ist in Abb. 7 dargestellt.
Abb. 6: Wand M1 nach Versuch, Detail Wandmitte.
33
C. Greifenhagen und P. Lestuzzi
Wand M3
Abb. 7: Rissbilder.
3.3 Wand M3
Bis zu einer Horizontalkraft von 125 kN bildeten sich mehrere kleine Risse unterschiedlicher Neigungen zwischen dem Sockel und dem untersten Bügel. Der Primärzyklus mit 150 kN Horizontalkraft führte zu einem Schrägriss im unteren Drittel der Wandhöhe, der sich über die halbe Wandlänge erstreckte. Von diesem Zyklus an blieben die Risse am Wandfuss nach Entlastung des Versuchskörpers offen und schlossen sich erst nach Lastumkehr. Die maximale Horizontalkraft von 175 kN wurde bei einer Schiefstellung von zirka 0.5"/o erreicht. Dabei bildeten sich in den gedrückten Endbereichen der Wand nahe dem Sockel kleine vertikale Risse.
Die Steigerung der Schiefstellung auf 0.9% führte zu einem zweiten Schrägriss in der unteren Hälfte der Wand. Damit war das Rissbild in etwa symmetrisch.
200r-~------~--~--~--r-----~---,
150 X- Zweiter Diagonalriss
~ 100
~ 50
~ 0 2 -50
~ -100
-150
Bruch
KS69
-200 -1~0---~.----~,---_.~~~--~0--~,--~.~~,--_j,
Zug Druck Vertikalverschiebung [mmj, Basis: 150mm
Abb. 8: Wand M3, Vertikalverschiebungen im untersten Viertel der Wand höhe.
34
Zu Beginn des bis auf 1.2% Auslenkung führenden Zyklus platzte in der Betondruckzone die Betondeckung ab und die äusseren Stäbe der Längsbewahrung knickten aus. Nach Lastumkehr bildete sich bei der maximalen Auslenkung ein Diagonalriss, was mit einem plötzlichen Rückgang der Rückstellkraft um 15% und einem Anstieg der Auslenkung um 1 0% verbunden war.
Nach Steigerung der Schiefstellung auf 1.6% wurde ein zweiter Diagonalriss beobachtet (Abb. 7). Die Rückstellkraft sank noch einmal um 30% auf zirka 100 kN ab. Abb. 8 zeigt die gemessenen Vertikalverschiebungen an der Stirnseite der Wand. Nach Bildung des zweiten Diagonalrisses ist deutlich eine Zunahme der vertikalen Verschiebung zu erkennen (KS67). Bei Wiederbelastung in die entgegengesetzte Richtung (KS69) konnten noch zirka 130 kN Horizontalkraft mobilisiert werden. Die Schädigung der Betondruckzone wird in Abb. 9 bei maximaler Auslenkung der Wand dargestellt. Im Halbzyklus KS71 (Abb. 8) wurden dann im Vergleich zu KS67 bei gleicher Wandkopfauslenkung wesentlich grössere Vertikalverschiebungen gemessen. Dies zeigt deutlich die starke Schädigung des Betons infolge Wechselbeanspruchung und Querdehnungen. Erneute Lastumkehr führte zum plötzlichen Druckversagen des Betons auf der gesamten Wandlänge.
Gering bewehrte Stahlbetontragwände unter statisch-zyklischen Einwirkungen
3.4 Wand M4
Wand M4 zeigte bis zum erstmaligen Erreichen der maximalen Horizontalkraft von 135 kN ein ähnliches Rissbild wie Wand M3. Residuelle Rissweiten wurden bereits nach Aufbringen einer Schiefstellung von 0.4% beobachtet. Bereits eine Steigerung der Schiefstellung auf 0.5% führte bei Lastumkehr zum Gleiten der Wand auf dem Sockel und dementsprechend zu einer relativ geringen Belastungssteifigkeit Dies wird durch die starke Einschnürung der Hysteresekurve (Abb. 1 0) dokumentiert.
Die äusseren Stäbe der Längsbewehrung knickten wurde bei einer Schiefstellung von 1.3% aus. Der erste Stab der Längsbewehrung versagte bei 1.9% Schiefstellung. Die weitere Erhöhung der Auslenkung führte bei 2Yo Schiefstellung und etwa 100 kN Horizontalkraft zum Versagen der Betondruckzone und nahezu gleichzeitigem Reissen der Längsbewehrung.
4 VERSUCHSERGEBNISSE
4.1 Kraft-Verschiebungsbeziehungen
Die gemessenen Hysteresekurven sind in Abb. 10 dargestellt. Das tatsächliche Verhalten der Versuchskörper wird einer idealisierten, bilinearen Beziehung gegenübergestellt, die auf der Grundlage des von Dazio et al. (1999) beschriebenen Vergehens bestimmt wurde. Dabei wird zuerst die Horizontalkraft bei Fliessbeginn der Bewehrung berechnet. Dann wird aus den Versuchsdaten die bei dieser Horizontalkraft gemessene Verschiebung ermittelt und unter Annahme linear-elastischen Materialverhaltens bis zur Horizontalkraft beim nominellen Biegewiderstand extrapoliert. Die Verfestigung des Betonstahls wurde vernachlässigt. Damit ist der maximale Biegewiderstand gleich dem nominellen Biegewiderstand.
Bei allen Wänden konnte der nominelle Biegewiderstand erreicht werden (Abb. 10). Die berechneten Horizontalkräfte bei Fliessbeginn zeigen, dass die Näherung 0.75Fy auch für gering bewehrte Tragwände anwendbar ist. Schubmechanismen wurden durch grössere Auslenkungen und nicht durch Erhöhung der Horizontalkraft aktiviert. Es zeigt sich jedoch schon bei Verschiebeduktilitäten kleiner gleich 2.0 eine deutliche Einschnürung der Hysteresekurve und damit eine Verringerung der Energiedissipation. Diese Einschnürung ist von der Normalkraft sowie der Betondruckfestigkeit abhängig. Sie wird im wesentlichen durch Gleiten in den Rissen verursacht. Die Gleitverschiebungen nehmen mit der Anzahl der Zyklen und der Steigerung der Auslenkung zu, was
Abb. 9: Wand M3, Betondruckzone bei 1.8% Schiefstellung (KS69).
durch Vergrösserung der Rissweiten sowie Abnutzung der Rissverzahnung bedingt ist.
4.2 Maximale Verformungen
Eine Zusammenfassung der Versuchsergebnisse gibt Tabelle 3 wieder. Für jede Wand wird dort die bezogene Normalkraft (n), die Schubspannung bei maximaler Horizontalkraft ( 'm") mit zugehöriger Schiefstellung (Drift1 ), die maximale Schiefstellung (Drift2) mit zugehöriger Schubspannung ( ,;J sowie die erreichte Verschiebeduktilität ( f.',) dargestellt. Die maximale Horizontalkraft ist die grösste in einem Primärzyklus gemessene Horizontalkraft. Das Versagen des Versuchskörpers wurde angenommen, wenn die Horizontalkraft in einem Sekundärzyklus weniger als 80% der Referenzkraft betrug. Die Horizontalkraft beim zweiten Erreichen der bei 'm" gemessenen Auslenkung wurde als Referenzkraft festgelegt. Die Verschiebeduktilität bezieht sich auf die im Abschnitt 4.1 beschriebene bilineare Beziehung zwischen Horizontalkraft und Wandkopfauslenkung.
Aus Tabelle 3 ist ersichtlich, dass höhere Normalkräfte die Verschiebeduktilität verringern, aber gleichzeitig den Schubwiderstand erhöhen. Weiterhin ist erkennbar, dass die Lokalisierung der Verformungen bei Wand M1 zu einer geringeren maximalen Schiefstellung führt. Im Gegensatz dazu zeigt Wand M4 ein wesentlich günstigeres Verformungsverhalten.
Wand n 'tmax '" Drift1 Drift2 [.t,
[%] [MPa] [MPa] [%] [%] [-]
M1 2.2 2.04 1.40 0.33 0.88 5.6
M2 2.2 2.03 1.56 0.51 2.15 5.9
M3 9.5 2.44 1.86 0.57 1.25 5.8
M4 5.0 1.88 1.40 0.50 1.59 8.0
Tabelle 3: Ausgewählte Versuchsergebnisse.
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C. Greifenhagen und P. Lestuzzi
Schiefstellung [-] 250 - .~9,93 -0:02_-_Q,_Q_!_ ___ _______ Q,_Q1______QiQg______gi03
200 :-
150 ~ 2'100 l ::'!:.. i
Wand M1
Wandkopfauslenkung [mmj
Schiefstellung H
250,-~~~g ___ ,~,"-·r···········~"~-"~~~~
200
150
~ 100: ~ 50
~ o '-. ---·---";:"ro";;ii;~ffi'ft1?.\~'~o-~ c : :;;: -50: ·c .
~-1
. .1 5 10 15 20
Wandkopfauslenkung [mmj
250
200
150
2'100 "-
50
-20 -15
Schiefstellung [-] -0.01 0.01 0.02 0.03
' - - -- ------,-------r--- '
wandkopfauslenkung [mm]
Wand M4
" . '-·-~-----'-·- -~--J -10 -5 0 5 10 15 20
Wandkopfauslenkung [mm]
Abb. 10: Im Versuch ermittelte Kraft- Verschiebungsbeziehungen (RF: Reissen der Vertikalbewehrung, CF: Druckversagen Beton, DC: Diagonalriss).
5 ZUSAMMENFASSUNG
Es wurden statisch-zyklische Versuche an schwach bewehrten Tragwänden vorgestellt, die nicht für Erdbebenbeanspruchung ausgelegt sind. Solche Tragwände sind als Aussteilung bei bestehenden Gebäuden weit verbreitet.
Die vier Versuchskörper stellen im Messstab 1:3 den unteren Teil einer Tragwand dar, die als Kragarm mit Längskraft modelliert wird. Als Biegebewahrung dient eine Oberflächenbewahrung mit einem geometrischen Bewehrungsgehalt von 0.3%. Versuchsparameter sind die bezogene Normalkraft, der Querbewehrungsgehalt sowie die Betondruckfestigkeit Ziel der Versuche ist die Untersuchung des Schubtragverhaltens von schwach bewehrten Tragwänden. ·
Der günstige Einfluss einer Horizontalbewahrung auf das Verformungsvermögen von Stahlbetanbauteilen konnte mit der Versuchsreihe nicht bestätigt werden. Die Horizontalbewahrung bewirkte vielmehr eine Konzentration der Verformungen. Dies hatte zusätzliche Schädigung zur Folge.
Die Versuchergebnisse zeigen, dass in Abhängigkeit von Betondruckfestigkeit und bezogener Normalkraft schwach bewehrte, nicht für Erdbebenbeanspruchung ausgelegte Tragwände bei Schiefstellungen zwischen 0.8 und 2.1% Schubspannungen von 1.4 bis 2.0 MPa mobilisieren
können.
36
6 VERDANKUNGEN
Die Autoren danken dem Schweizerischen Nationalfonds und der Stahl Gerlafingen AG für ihre Unterstützung.
7 LITERATUR
Dazio, A., Wenk, T. & Bachmann, H. (1999), Versuche an Stahlbetonwänden unter zyklisch-statischer Einwirkung, IBK Bericht 239, ETH Zürich.
Finte!, M. (1995), Performance of buildings with shearwalls in earthquakes of the last thirty years, PCI Journal, 40, 62-80.
Foure, B (1993), Un programme d'essais des murs de contreventement, Colloquium AFPS-SECED Experimental Methods in Earthquake Engineering and Structural Dynamics, Saint-Remy-les-Chevreuse. Greifenhagen, C. & Lestuzzi, P. (2005a), Static-cyclic tests on lightly reinforced concrete shear walls, Engineering Structures, 27, 1703-1712. Greifenhagen, C., Lestuzzi, P., & Papas, D. (2005b), Staticcyc/ic tests on reinforced concrete shear walls with low reinforcement ratios, Rapport I MAC No 4, EPF Lausanne, http://imac.epfl.ch{feamiGreiflreportiMACno4.pdf.
Hidalgo, P. A., Ledezma, C. A. & Jordan, R. M. (2002), Seismic behavior of squat reinforced concrete shear walls, Earthquake Spectra, 18, 287-308.
Priestley, M. J. N. (1997), Displacement-based seismic assessment of reinforced concrete buildings, Journal of Earthquake Engineering, 1, 157-192.
SIA2018(2004), Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Merkblatt 2018, SIA, Zürich.
Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
Peter Nawrotzki, Frank Dalmer GERB Schwingungsisolierungen GmbH & Co.KG, Berlin/Essen
1 EINLEITUNG
Die Errichtung von Bauwerken unterliegt immer verschiedenen Randbedingungen. Dabei stehen wirtschaftliche Aspekte und architektonische Ansprüche nicht immer im Einklang mit Anforderungen bezüglich der Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit. Schlanke Tragwerke und der zunehmende Leichtbau erhöhen die Schwingungsanfälligkeit Daher ist hier die dynamische Überprüfung der Struktur gegenüber Belastungen wie
• Wind,
• Personen,
• Verkehr und
• Maschinenbetrieb
ein immer wichtiger werdender Aspekt bei der Auslegung eines Bauwerkes.
Bei dynamischen Strukturuntersuchungen sind die maßgeblichen Anregungs- und Eigenfrequenzen der Struktur wichtige Beurteilungsmaßstäbe. Fällt die Anregungsfrequenz in tJie Nähe einer wichtigen Eigenfrequenz, treten Resonanzerscheinungen auf. ln manchen Fällen spielt das Auftreten von Resonanz eine untergeordnete Rolle; sie wird nicht bemerkt oder kann in Kauf genommen werden. Häufig kann es jedoch dazu führen, dass die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerkes eingeschränkt wird. Beispiele dazu sind die gestiegenen Komfortansprüche der Benutzer von Gebäuden im Hinblick auf gefühlte Schwingungen oder die Einhaltung bestimmter Betriebsbewegungen von Maschinen im Zusammenhang mit deren Lebensdauer. Es ist in jedem Fall zu prüfen, ob Resonanzerscheinungen bei dem Nachweis der Standsicherheit des Tragwerks berücksichtigt werden müssen. Dazu sind z.B. Spannungsschwingbreiten zu ermitteln und Ermüdungsnachweise nach einschlägigen Normen zu führen. Die Prüfung der Resonanzgefahr und die ggf. daraus resultierenden Maßnahmen sind von dem bearbeitenden Ingenieur durchzuführen bzw. festzulegen. Dieser muss natürlich eine entsprechende Ausbildung besitzen und über genügend Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen.
Ist es nicht möglich, die Erregerkräfte zu verkleinern oder die Anregungsfrequenzen zu verändern, bestehen zur Verminderung störender oder gefährlicher Resonanzbewegungen beispielsweise folgende Möglichkeiten:
• Versteifung der Konstruktion,
• Schwingungsdämpfung oder -tilgung sowie
• Schwingungsisolierung.
Welche dieser Maßnahmen aus schwingungstechnischer Sicht möglich oder sinnvoll ist, muss im Einzelfall geklärt werden. An Hand des Verhältnisses von Erregerfrequenz zu Eigenfrequenz der Struktur (Abstimmungsverhältnis 11l können die Auswirkungen möglicher Systemveränderungen im Hinblick auf die Strukturbewegungen veranschaulicht werden (Abb. 1 ). Die Auswirkungen von Schwingungstilgern beim Einsatz zur Reduzierung von Strukturbewegungen sind einer Erhöhung der Strukturdämpfung ähnlich.
_.L_._-. -·::..=..::~:::....
Abstimmungsverhältnis 11--
Abb. 1 Beispiele von Massnahmen zur Verringerung von Resonanzeffekten
Schwingungstilger im Sinne des vorliegenden Beitrags sind auf eine vorgegebene Frequenz abgestimmte gedämpfte Feder-Masse-Systeme. Die Tilgerfrequenz kann dabei mit Hilfe einschlägiger Verfahren (z.B. nach Den Hartog, 1965) optimiert werden.
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Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
Die Wirkungsrichtung eines Tilgers sowie seine Positionierung in der Struktur sollte an Hand der zu betilgenden Schwingtarm festgelegt werden. Die Schwingmasse eines Tilgers ist im Verhältnis zur Strukturmasse generell klein. Sie ist abhängig von der "mitschwingenden" Strukturmasse, der geforderten Reduzierungswirkung sowie von der Größe der zulässigen Tilgerbewegungen. Über den Parameter Dämpfung lässt sich die Tilgeramplitude, aber auch die Breitbandigkeit der Wirkung des Tilgers im Frequenzbereich einstellen.
Bauwerke wie
• Brücken,
• Schornsteine, Türme,
• Hochhäuser,
• Treppen, Tribünen und
• weitgespannte Decken
besitzen häufig niedrige, schwach gedämpfte Eigenfrequenzen und können daher leicht zu Schwingungen angeregt werden. Vielfach sind Maßnahmen zur Erhöhung der Eigenfrequenz bzw. eine Vergrößerung der Eigendämpfung nicht oder nur mit großem Aufwand möglich. ln diesen Fällen empfiehlt sich der Einsatz von geeigneten Schwingungstilgern zur Bewegungs- und Spannungsreduktion. Schwingungstilger bieten bei richtiger Auslegung eine effektive Lösung bei Schwingungsproblemen und können zur Erhöhung der Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit verwendet werden. Häufig ist der Einbau im Bauwerk sogar nachträglich möglich.
Der Einsatz von Schwingungstilgern in dem o.a. Gebieten ist heutzutage nahezu Stand der Technik. Im Vergleich dazu werden Tilger zum Schutz von Bau
Abb. 2a Typischer Vertikal- oder Horizontaltilger
werken gegen Erdbeben in der Fachliteratur kontra- Abb. 2b Einaxialer Horizontaltilger (Beispiel) vers beurteilt. Im Ausblick des vorliegenden Beitrags werden Grundsatzuntersuchungen, numerische Simu- . lationen des Tragwerksverhaltens sowie Ergebnisse von entsprechenden Shaking-Table Tests zu diesem Thema vorgestellt und diskutiert.
2 TILGERBAUFORMEN
ln Abhängigkeit von der Wirkungsrichtung der zu betilgenden Schwingungen können grundsätzlich
• Vertikaltilger und
• Horizontaltilger
unterschieden werden. Bei Vertikaltilgern ruht die Masse i.d.R. auf Federn (Abb. 2a), oder die Masse ist mit Hilfe von Zug- oder Druckfedern aufgehängt. Neben vielen Sonderbauformen arbeiten Horizontaltilger häufig nach dem Pendelprinzip. Je nach Steifigkeitsverteilung arbeiten sie einaxial (Abb. 2b) oder in der Ebene (Abb. 2c).
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Abb. 2c ln der Ebene wirkender Hochhaustilger
Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
Die Tilgerauswahl richtet sich im wesentlichen nach
• der erforderlichen Tilgermasse (Material, Bau-form),
• dem vorhandenen lnstallationsraum,
• der Befestigung an der Hauptstruktur,
• der Tilgerfrequenz und ---<lämpfung sowie
• ggf. architektonischen Anforderungen.
Bei Bauwerken mit horizontaler Ausrichtung (z.B. Brücken) werden im wesentlichen Vertikaltilger eingesetzt. Diese können entsprechende Biege- oder Torsionseigenfarmen betilgen. Bei vertikalen Bauten kommen naturgemäß Horizontaltilger zum Einsatz, z.B. als Massependel mit einer oder mehreren Aufhängungen oder als Ringtilger.
3 STANDSICHERHEIT UND GEBRAUCHSTAUGLICHKEIT
Aus der Vergangenheit sind zahlreiche Bauwerke bekannt, bei denen die Standsicherheit durch die eingangs erwähnten Lastfälle stark eingeschränkt oder die Bauwerke sogar zerstört wurden. Bei Beschränkung auf den Lastfall Windanregung wäre als spektakuläres Beispiel der Einsturz der Tacoma-Bridge zu nennen. Der Einsatz von Schwingungstilgern bewirkt stets eine deutliche Reduzierung angeregter Eigenschwingungen und damit auch eine Verringerung der Spannungsschwingbreite. Dadurch wird die Lebensdauer der Konstruktion deutlich erhöht.
hängigkeit von der Frequenz, der Wiederkehrperiode und der genauen Nutzung des Gebäudes an (z.B. ISO 1 0137).
4 PROJEKTBEISPIELE
4.1 Millennium Bridge, London
Kurz nach Eröffnung der Millennium Bridge in London {Abb. 3a) im Jahr 2000 wurde sie wegen zu großer Schwingbewegungen wieder geschlossen. Bei normaler Fußgängernutzung wurden Amplituden von bis zu 1 0 cm gemessen. Durch nachträglichen Einbau von acht horizontal wirkenden Schwingungstilgern und 50 Vertikaltilgern konnten die Schwingbewegungen der Brücke derart reduziert werden, dass heute eine kamfortgerechte Nutzung der Brücke möglich ist. Hierbei wurde - nach Wissen der Autoren - erstmals ein Doppelpendelsystem in der Mitte der größten Spannweite eingesetzt (Abb. 3b).
Schwingungstilger zur Sicherung der Gebrauchstauglichkeit sind zumindest in Deutschland bei Fußgängerbrücken mittlerweile Stand der Technik. Häufig werden sie bereits in der Ausschreibungsphase als Eventualposition vorgesehen. Nach Fertigstellung Abb. 3a Millennium Bridge, London werden die Brücken auf Schwingungsanfälligkeit ge- · testet und, falls erforderlich, mit Tilgern nachgerüstet.
Gemessene Beschleunigung Wahrnehmung
< 0,5% g nicht spürbar
0,5 bis 1,5% g spürbar
1,5%bis5%g lästig
5%bis15%g unzulässig
Tab. 1 Einfluss der Gebäudebewegung auf Bewohner nach Ruscheweyh ( 1982)
ln Abhängigkeit vom betrachteten Bauwerk und der Nutzungsart existieren unterschiedliche Anhaltswerte, die die Gebrauchstauglichkeit von Gebäuden kennzeichnen. Tabelle 1 gibt Anhaltswerte für die Einstufung niederfrequenter Schwingbewegungen in Abhängigkeit von der gemessenen Schwingbeschleunigung für Wohngebäude. Neuere Untersuchungen geben empfohlene Spitzenbeschleunigungen in Ab-
Abb. 3b Schwingungstilger der Millennium Bridge
4.2 Chao Phya Brücke, Bangkok
Bei dieser Schrägseilbrücke {Abb. 4a) wurden bereits in der Planungsphase Tilger zur Verminderung einer
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Der Einfiuss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
möglichen Schwingungsanfälligkeit vorgesehen. Sie wurden als hängende Vertikaltilger während der Bauphase installiert. Insgesamt wurden bei diesem Projekt 16 vertikal wirkende Tilger in dem Brückenquerschnitt sowie zwei horizontal wirkende Tilger am Kopf der Pylone eingesetzt (Abb. 4b}. Hier bestand die Gefahr, dass die Pylone durch die Schrägseile zu großen Schwingungen angeregt werden. Die Tilger besitzen eine Schwingmasse von jeweils ca. 5 t, die Abstimmfrequenz variiert im Bereich von 0,3 bis 0, 7 Hz.
Abb. 4a Chao Phya Schrägseilbrücke, Bangkok
Abb. 4b Chao Phya Schrägseilbrücke, Prinzip Pylontilger
4.3 Raffinerieturm, Budapest
Der Raffinerieturm in Budapest (Abb. 5a) wird seit einiger Zeit nicht mehr mit Erdöl befüllt. Im leeren Zustand wurden Schwingbewegungen am Kopf mit Amplituden von bis zu 70 cm gemessen. Zusätzlich wurden bereits Schäden an der Verankerung des Turmes zum Fundament festgestellt. Numerische Analysen ergaben, dass die auftretenden Schwingbewegungen mindestens auf 50% reduziert werden müssen, um wieder von einer ausreichenden Standsicherheit und Dauerhaftigkeit ausgehen zu können.
Für dieses Projekt wurde ein Ringtilger (ähnlich Abb. 5b) mit einer Einzelmasse von 16 I entwickelt und
40
eingesetzt. Aufgrund der Tatsache, dass am Einbauort viele Rohrleitungen vorhanden sind, musste bei der Auslegung darauf geachtet werden, dass die maximal auftretenden Tilgerbewegungen kleiner als ± 15 cm sind. Bei neuesten, vom ungarischen TÜV durchgeführten Messungen mit aktiviertem Tilger wurden bei einer (kritischen) Windgeschwindigkeit von 11 m/s maximale Bewegungen am Kopf des Turmes von ± 22 mm festgestellt. Mit dieser Maßnahme wurde der sehr kostenintensive Abriss des Raffinerieturms vermieden.
Abb. 5a Raffinerieturm in Budapest
Abb. 5b Doppelschornstein mit Ringtilger (Bild Siegle Stahlschornstein und Behälter GmbH)
Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
4.4 Burj Al Arab, Dubai
Berechnungen in der Planungsphase dieses Gebäudes (Abb. 6a) ergaben, dass der Mast und die seitlich angebrachten Stahlkonstruktionen durch Windlasten leicht zu Schwingungen angeregt werden können. Man hat dadurch Beeinträchtigungen der Bewohner des Hotels befürchtet. Aus diesem Grund wurde entschieden, bereits in der Bauphase des Gebäudes zur Abhilfe insgesamt elf Schwingungstilger einzusetzen. Die Masse je Tilger beträgt ca. 5 t und die Abstimmfrequenz je nach Einbauort zwischen 0,8 und 2 Hz. Pendeltilger kamen zum Einsatz; sie wurden komplett in einem Containment voreingestellt angeliefert, montiert und mit Hilfe von Messgeräten fein abgestimmt. Eine Einbausituation in der Mitte der äußeren Stahlkonstruktion ist in Abb. 6b dargestellt.
Abb. 6a Burj al Arab, Dubai
Abb. 6b Burj al Arab, Tilger während der Bauphase
4.5 Air Traffic Control Tower, Edinburgh
Gebäude zur Luftverkehrsüberwachung müssen besondere Anforderungen bezüglich der Gebrauchstauglichkeit erfüllen. Das Funktionieren vieler Geräte ist hier vom Einhalten kleiner Schwingbewegungen abhängig. Im Vorfeld durchgeführte Berechnungen ergaben eine Schwingungsanfälligkeit des ca. 50 m hohen Turms (Abb. 7a) gegenüber Windanregung aufgrund zu geringer Dämpfung. Entsprechend den Vorgaben des projektierenden Ingenieurbüros wurde ein in allen Horizontalrichtungen wirkender Tilger konzipiert. Die Bauform entspricht einem aufgestellten Vertikaltilger (Abb. 7b), wobei die horizontale Steifigkeit der eingesetzten Stahlfedern für die gewünschte Frequenz sorgt. Die Abstimmung dieses Tilgers kann nachträglich im Frequenzbereich von 1,5 bis 2 Hz variiert werden.
Abb. 7a Air Traffic Control Tower, Edinburgh
Abb. 7b Air Traffic Control Tower, Tilgermontage
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Der Einfluss von Schwingungstilgern auf die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken
4.6 Teatro Diana, Mexiko
Beim Umbau eines vorhandenen Kinos in ein Theater in Guadalajara, Mexiko, wurde die Schwingungsanfälligkeit von zwei 36 m langen freitragenden Tribünen festgestellt. Die Eigenfrequenz dieser Tribünen beträgt ca. 3,2 Hz, und der Dämpfungsgrad wurde zu ca. 1 ,5 % bestimmt. Zur Abhilfe des Schwingungsproblems wurden pro Tribüne vier Schwingungstilger mit einer Gesamtmasse von ca. 1 0 t eingebaut. Die Tilger sind nicht sichtbar in den Tribünen integriert (Abb. 8). Nachträglich durchgeführte Messungen ergaben, dass die störenden Schwingbewegungen auf ca. 30 % der ursprünglichen Werte · · ·
Abb. 8 Tilger beim Teatro Diana, Projektskizze
4.7 Kongresszentrum Neue Terrassen, Dresden
Bei den Neuen Terrassen in Dresden ist elbseitig ein weit gespanntes Dach über dem Kongressbereich angeordnet. Hier finden auch Musikveranstaltungen statt, so dass die Schwingungsanfälligkeit der Konstruktion untersucht werden musste. Messungen und ergänzende Berechnungen ergaben, dass die Eigenfrequenz dieser Decke ca. 2,5 Hz beträgt und somit im gefährdeten Bereich liegt. Während der Bauphase wurden acht Vertikaltilger mit Massen von je 5 t eingebaut. Diese Tilger sind in den Deckenaufbauten integriert (Abb. 9).
Abb. 9 Kongresszentrum Neue Terrassen, integrierter Schwingungstilger
42
5 TILGER ZUM ERDBEBENSCHUTZ
Schwingungstilger wurden bisher nicht oder nur vereinzelt zum Erdbebenschutz eingesetzt. Die Effektivität ist hier wegen der breitbandigen Erdbebenanregung nicht so hoch wie bei den bisher diskutierten Anwendungen, allerdings lassen sich dennoch numerisch und experimentell Schutzeffekte nachweisen (Jurukovski et al., 2005). Je nach Massenverhältnis lassen sich Strukturantworten auf bis zu 50% der Werte reduzieren, die ohne Tilger ermittelt werden. Abb. 10 gibt einen Eindruck von den entsprechenden Prüfstandsversuchen, die im Jahr 2004 in Skopje, Mazedonien, durchgeführt wurden. Ziel dabei war die Entwicklung entsprechender Auslegungskriterien von Tilgern für Erdbebenanwendungen.
Abb. 10 Stockwerksrahmen mitTilgerauf dem Erdbebenprüfstand
Dem Einwand, dass die Gebäudefrequenz bei starken Erdbeben drastisch abfällt und daher Tilger ihre Wirkung verlieren, stehen folgende Punkte entgegen:
• Der Tilger selbst verringert die Schädigung und damit den FrequenzabfalL
• Der Tilger wird unterkritisch ausgelegt.
• Der Tilger wirkt wegen höherer Dämpfung breitbandig im Frequenzbereich.
• Bei bestehenden Gebäuden können Eigenfrequenzen gemessen werden und geben weitere Anhaltspunkte bei der Tilgerauslegung.
6 LITERATUR
J. P. Den Hartog (1965), Mechanical Vibrations, Mc GrawHill.
H. Ruscheweyh (1982), Dynamische Windwirkung an Bauwerken, Band 2.
ISO 10137, Bases for design of structures- Serviceability of buildings against vibration.
D. Jurukovski, P. Nawrotzki, Z. Rakicevic (2005), Shaking Table Tests of a Steel Frame Structure with and without Tuned Mass Control System, EURODYN 2005, Paris.
Simulations-Studie zum optimierten Einsatz von Reibungsdämpfern in seismisch erregten Konstruktionen
Lazaros Vasiliadis 1 und Anaxagoras Elenas 1
'Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik, Demokritus-Universität von Thrakien, Xanthi, Griechenland
ZUSAMMENFASSUNG
Im vorliegenden Beitrag findet eine numerische Untersuchung des nichtlinearen dynamischen Verhaltens eines zehnstöckigen Stahlrahmens mit Reibungsdämpfern statt, der nach den Regeln der Eurocodes 3 und 8 bemessen ist. Für die nichtlineare dynamische Berechnung sind verschiedene natürliche Akzelerogramme berücksichtigt, aufgezeichnet in weltweit seismisch sehr aktiven Regionen. Die MomentenKrümmungsbeziehung der Rahmenelemente ist durch ein bilineares elasta-plastisches Gesetz approximiert. Als Energiedissipationsmechanismus kommen vorgespannte Schlitzschrauben zur Anwendung, mit alternativen Reibungskräften. Das Kraft-VerformungsDiagramm der Reibungsdämpfer ist angenommen durch ein bilineares Gesetz. Als globaler Schadensindikator kommt die maximale normierte relative Stackwerksverschiebung zur Anwendung. Die Berechnungen erfolgen zunächst für den Stahlrahmen ohne Dissipationsmechanismen. Danach, erfolgen sie unter Berücksichtigung unterschiedlicher Position und Reibungskraft.
Die Ergebnisse heben die schadensreduzerende Wirkung der Reibungsdämpfer auf seismisch erregte Konstruktionen hervor. Die Verminderung des globalen Schadensindikators hängt sowohl von der gewählten Reibungskraft des einzelnen Dämpfers als auch von der Positionierung der Dämpfer in der Rahmenkonstruktion ab. Die Werte der maximalen normierten relativen Stockwerksverschiebung der gedämpften Konstruktion verminderten sich auf 64 bis 7 4 % der Anfangswerte. Diese beziehen sich auf den Rahmen ohne zusätzliche Reibungsdämpfer. Abschließend erfolgt die Optimierung sowohl der Positionierung der Dämpfer als auch der benötigten Reibungskraft durch mehrfache Anwendung der numerischen Untersuchungen.
1 EINLEITUNG
Reibungsdämpfer entwickelten sich in den zwei letzten Jahrzehnten in zunehmendem Maße zu einem wichtigen Element der Verstärkung seismisch beschädigter Bauwerke und auch der präventiven Schutzmaßnahme gegen Erdbebeneinwirkung bei Neubauten. Die günstige Wirkung der Dämpfer auf eine erdbebenerregte Konstruktion beruht auf die Dissipation eines Teils der auf das Bauwerk einwirkenden seismischen Energie. Die Reibungsdämpfer weisen bei zyklischer Belastung rechteckförmige Hystereseschleifen im Kraft-Verformungs-Diagramm auf. Diese sind typisch für die Coulomb-Reibung. Die Industrie entwickelte eine Vielzahl von Bauarten der Reibungsdämpfer, die erfolgreich in der Praxis zum Einsatz kommen. Der Einsatz der Energiedissipationselemente kann in einer Rahmenkonstruktion alternativ diagonal, X- oder /\-förmig erfolgen (Constantinou et al. (1998), Hanson et al. (2001 ). Li et al. (1995)).
Bei der Beschreibung des Schadenszustands einer Konstruktion nach einem Erdbeben haben sich globale Schadensindikatoren bewährt. ln dem vorliegenden Beitrag kommt die maximale normierte relative Stockwerksverschiebung zur Anwendung. Mittels numerischer Simulationen ist der Grad der Auswirkung der Dissipationsmechanismen auf den gewählten globalen Schadensindikator zu quantifizieren. Dies erfolgt unter Berülcksichtigung variabler Position und Reibungskraft der Dämpfer.
Die numerische Untersuchung erfolgt auf einem zehnstöckigen Stahlrahmen (mit und ohne Dämpfer). der nach den Regeln der Eurocodes 3 und 8 bemessen ist. Die günstige Wirkung der Reibungsdämpfer folgt aus der Gegenüberstellung der Ergebnisse mit den entsprechenden des Urzustands (Rahmen ohne Dämpfer).
43
Simulations-Studie zum optimierten Einsatz von Reibungsdämpfern in seismisch erregten Konstruktionen
2 REIBUNGSDÄMPFER
Reibungsdämpfer sind Vorrichtungen, die die hysteretische Energiedissipation einer Konstruktion erhöhen. Diese zusätzliche Dissipation ist auf die Reibungsenergie zurückzuführen, die sich in den Reibungsflächen zwischen den konstituierenden Elementen der Dämpfer entwickelt. Unterschiedliche Bauarten der Reibungsdämpfer wurden sowohl zur wirksamen Verstärkung von seismisch beschädigten Bauwerken angewendet als auch zur präventiven Schutzmaßnahme von Neubauten gegen Erdbebeneinwirkung. Als Beispiele sind hier erwähnt die Systeme von Pali, von Sumitomo Meta! L TD und von Tekton Arizona (Hanson et al. (2001 )). Zusätzlich können unterschiedliche Materialien in den Reibungsflächen zur Anwendung kommen (z.B. Stahl oder Messing).
Im vorliegenden Beitrag wird der von Fitzgerald (1989) vorgeschlagene Reibungsdämpfer verwendet, bei dem sich der Energiedissipationsmechanismus mit Hilfe von vorgespannten Schlitzschrauben entwickelt (slolled bolt connections). Die Dissipationsvorrichtung weist bei zyklischer Belastung rechteckförmige Hystereseschleifen im Kraft-Verformungs-Diagramm auf. Diese sind typisch für die Coulomb-Reibung. Ihr Hysterese-Verhalten ist unabhängig von der Belastungs-Frequenz und der Anzahl der Belastungszyklen.
3mm brass shims
strength bolt
3 NUMERISCHE MODELLIERUNG
Die allgemeine Bewegungsdifferentialgleichung eines Mehrmassenschwingers unter Erdbebenbelastung lautet:
wobei: M die Massenmatrix, .!::; die Dämpfungsmatrix, .ß der Vektor der nichtlinearen Rückstellkräfte, .Ev der Vektor der zusätzlichen Dämpfungskräfte (Reibungsdämpfer), !! der Vektor der Verschiebungen, ! der Vektor, der die Verschiebungen in den einzelnen Freiheitsgraden infolge Einheitsverschiebung des seismisch erregten Fußpunktes darstellt, ug die Verschiebung der Fußpunkte infolge Erdbeben, I. der zeitunabhängige Belastungsvektor und !.r der zeitabhängige Belastungsvektor.
Die zusätzlichen Dämpfungskräfte aus der Beziehung (1) berechnen sich für Reibungsdämpfer aus der Gleichung:
(2)
wobei: !! die Positionsmatrix der Dämpfer und .Ev, der Vektor mit der jeweiligen Dämpfungskraft des Dämpfers (i).
Die Dämpfungskraft Fm des Dämpfers (i) ist definiert mit Hilfe der Beziehungen (3a) und (3b).
Vor dem Beginn des Gleitens:
(3a)
slot
' stacked Bellevnre wenn I F Di I ::; J.!Di,HR Ni . spring washers
.. -·------~ - i -l co!:. I I . c::::Q::::::<
11ardened Oat washer
Abb. 1: Reibungsdämpfer aus vorgespannten Schlitzschrauben (Butterworth (1999)).
Abb. 2: Hysterese-Verhalten der Reibungsdämpfer (Li et al. (1995)).
44
Nach dem Beginn des Gleitens:
Fnt = ~Di,GR Nt, (3b)
wenn Jlnt,GR Nt~ I FDi I< Jlnt,HR Nt,
wobei: k01 die Steifigkeit, u, die Relatiwerschiebung, 1-loi.HR der Haftreibungskoeffizient, N, die auf die Reibungsfläche wirkende Normalkraft, ~oi,GR der Gleitreibungskoeffizient, jeweils des Dämpfers (i).
Die nichtlineare Gleichung (1) ist, unter Berücksichtigung der Beziehungen (2), (3a) und (3b), zu lösen. Dies geschieht mit Hilfe von direkten Zeitintegrationsverfahren (z.B. Newmark-Methode) und Iterationsverfahren im Integrationsschritt zur Lösungsopti-mierung (z.B. Newton/Raphson-Methode).
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4 SCHADENSINDIKATOR
ln der vorliegenden Untersuchung kommt die maximale normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung (MISDR: Maximum Inter Story Drift Ratio) als globaler Schadensindikator zur Anwendung. Dieser ist einfach zu berechnen und charakterisiert sowohl die strukturellen als auch die nicht-strukturellen Schäden zufrieden stellend. Beobachtungen von Gebäudeschäden nach starken Erdebeben und numerische Untersuchungen belegen die Effektivität dieses Indikators (Eienas et al. (2001), Meskouris (1999)).
Die Beziehung (4) definiert die normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung (ISDR: Inter Story Drift Ratio) als das Verhältnis der maximalen gegenseitigen absoluten Verschiebung I u Im= zweier benachbarter Deckenebenen zur Etagenhöhe h:
Bei der Untersuchung ist der Energiedissipationsmechanismus mit Hilfe von vorgespannten Schlitzschrauben realisiert. Die vorgespannten Stahlschrauben sind derart bemessen, dass sie unterschiedliche Reibungskräfte entwickeln: 100 kN, 250 kN, 500 kN, 750 kN und 1000 kN. Das Kraft-VerformungsVerhalten des Reibungsdämpfers ist durch ein bilineares Reibungsmodell approximiert (Coulomb). Ergänzend wurden Berechnungen zur Optimierung durchgeführt, sowohl der Positionierung der Dämpfungselemente als auch ihrer Dämpfungskraft. Der Untersuchung liegen vier Typen für den Rahmen zugrunde: Typ 0 (Rahmen ohne Dämpfungselemente ), Typ 1 (mit Dämpfungselementen nur im Erdgeschoss), Typ 2 (mit Dämpfungselementen in allen Geschossen) und Typ 3 (mit Dämpfungselementen in allen Ge-schossen außer im Erdgeschoss). ln allen Fällen sind
ISDR= lul=, 100 [%] h
5 ANWENDUNG
(4) die Reibungsdämpfer als Diagonalstäbe in der mittleren Öffnung des Rahmens platziert. Der vorliegenden Untersuchung wurden die gemessenen Akzelerogramme laut Tabelle 1 zugrunde gelegt. Bei den berechneten Antwortparametern konzentrierte man
Die in Abb. 3 dargestellte Rahmenkonstruktion aus Stahl ist bemessen nach den Regeln der Eurocodes 3 (EC3) und 8 (EC8). Für die Stahlbetonplatte ist eine Dicke von 20 cm gewählt. Der Abstand zwischen den Rahmen beträgt 6 m. Npch EC8 ist die Konstruktion als "Wichtigkeitsgruppe 111, Duktilitäts-Kiasse M" eingestuft. Der Baugrund ist als Typ B und die Seismizität der Region als Kategorie I nach EC8 gewählt. Außer dem Eigengewicht und der seismischen Lasten, finden bei der Berechnung die Schneelast, die Windlast, die Verkehrslast und die Schiefstellung der Konstruktion infolge Imperfektionen Berücksichtigung. Die Eigenperiode des Rahmens beträgt 2.68 s.
Nach der Bemessung folgt die Durchführung einer nichtlinearen dynamischen Analyse zur Berechnung der seismischen Systemantwort. Zu diesem Zweck kommt das Programm I DARG zur Anwendung (Valles et al. (1996)). Dieses löst die Gleichung (1) mit Hilfe des direkten Zeitintegrationsverfahrens nach Newmark, kombiniert mit dem Iterationsverfahren nach New1on/Raphson. Ein bilineares elastaplastisches Modell mit einer Verfestigung von 5 % nach dem Fliessen, modelliert die Momenten-Krümmungsbeziehung der Stahlquerschnitte. Die Fließkrümmung entspricht dem Zustand bei dem eine Faser des Querschnitts die Fließgrenze erreicht. Die Bruchkrümmung ist definiert als der kleinere Wert, entweder der Krümmung des Zustands des vollplastizierten Querschnitts oder des Zustands bei dem irgendeine Faser des Querschnitts die Bruchdehnung (E, = 22 %) erreicht.
sich im vorliegenden Beitrag auf die maximale normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung als globalen Schadensindikator, wie er in der Beziehung (4) definiert ist.
HEA 550 HEA550 HEA -so ' HEB340 HEB 500
HEA450 HEA550 HEA450
HEB 340 HEB 500 HEA450 HEA 550 HEA450
HEB 340 HEB 550 HEA450 HEASSO HEA450
HEB 340 HEB 550 HEA450 HEA550 HEA450
HEB 340 HEB 550 HEA450 HEA550 HEA450
HEB 340 HEB 550 HEA450 HEA550 HEA450
HEB400 HEB 1000 HEA450 HEA 550 HEA450
HEB400 HEB 1000 HEA450 HEA 550 HEA450
HEB 400 HEB 1000 HEA450 HEA550 HEA450
HEB400 HEB 1000
_L _L_ - L _L_
9m 12m 9m Material: Fe 510
30m
Abb. 3: Zehnstöckige Rahmenkonstruktion aus Stahl.
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Nr. Erdbeben Land Datum Station Komponente
1 San Fernando USA 9/2/1971 No.279 S16E
2 San Femando USA 9/2/1971 No.279 S74W
3 San Fernando USA 9/211971 No. 279 S74W
4 Northridge USA 17/111994 Jensen 292
5 Oroville Aftershock 6 USA 6/8/1975 USGS 0001 NOOE
6 Imperial Valley USA 15/10/1979 USGS 0958 S40E
7 Imperial Valley USA 15/10/1979 USGS 5054 S40E
8 Central California USA 4/9/1972 USGS1211 N29W
9 Northridge USA 17/111994 USC# 0055 N90E
10 Imperial Valley USA 15/10/1979 USGS 5165 N
11 Narthridge USA 171111994 USC# 0003 SOOE
12 Imperial Valley USA 15/10/1979 USGS 0958 S50W
13 Narthridge USA 17/1/1994 USC# 0013 N09E
14 Narthridge USA 171111994 USC# 0056 N46E
15 Imperial Valley USA 181511940 Na.117 SOOE
16 Imperial Valley USA 1511011979 USGA0942 S40E
17 Imperial Valley USA 1511011979 USGA5028 S40E
18 San Fernanta USA 9/2/1971 Na.128 N69W
19 Lama Prieta USA 1811011989 Appeel Array 43
20 San Fernando USA 9/2/1971 Na.122 S70E
21 San Fernando USA 912/1971 Na.110 N69W
22 Lama Prieta USA 18/10/1989 Emerville 260
23 Lama Prieta USA 1811011989 Hallister 180
24 Imperial Valley USA 15/10/1979 USGS 0942 S50W
25 Kabe Japan 17/111995 Kabe EW
26 Kabe Japan 17/1/1995 Kabe NS
27 Erzincan Met. Turkey 13/3/1992 Erzincan EW
28 Erzincan Met. Turkey 13/3/1992 Erzincan NS
29 Dursunbey Kandilli Turkey 18/7/1979 Dursunbey EW
30 San Salvadar Salvadar 10/10/1986 No. 90005 270
31 San Salvadar Salvadar 10/10/1986 N0.90006 180
32 San Salvadar Salvadar 10/10/1986 N0.90013 90
33 San Salvador Salvadar 10110/1986 N0.90014 90
Tabelle 1: Daten der verwendeten Akzelerogramme.
6 ERGEBNISSE
Die Ergebnisse der numerischen Untersuchung der 4 Rahmentypen sind als Balkendiagramme in Abb. 4 dargestellt. Während die Abzisse den Rahmentyp und die Reibungskraft der Dämpfer darstellt, geben die Ordinaten die Extremwerte und die Mittelwerte der maximalen normierten gegenseitigen Stockwerksverschiebung (MISDR) für die 66 untersuchten natürlichen Akzelerogramme wieder.
Die Mittelwerte des MISDR belegen die günstige Wirkung der Reibungsdämpfer. Voraussetzung ist allerdings, dass eine genügende Anzahl von Energiedissipationsmechanismen vorhanden ist. Gute Lösungen stellen der Rahmentypen 2 (Reibungsdämpfer in allen Geschossen vorhanden) und 3 (Reibungsdämp-
46
Nr. Erdbeben Land Datum Station Komponente
34 San Salvador Salvador 10/10/1986 N0.90014 90
35 San Salvador Salvador 10/10/1986 N0.90014 90
36 San Salvador Salvador 10/10/1986 N0.90016 180
37 San Salvador Salvador 10/10/1986 N0.90018 0
38 Hokkaido Japan 23/4/1962 SMAC-A NS
39 Hokkaido Japan 23/4/1962 SMAC-A EW
40 Hokkaido Japan 231411962 SMAC-A UD
41 Hokkaido Japan 5/4/1966 DC-3C EW
42 Hokkaido Japan 19/11/1967 SMAC-A NS
43 Hokkaida Japan 19/11/1967 SMAC-A EW
44 Hokkaida Japan 1/4/1968 SMAC-82 NS
45 Hakkaida Japan 1/4/1968 SMAC-82 EW
46 Athens Greece 7/911999 NO.OB1 L
47 Athens Greece 719/1999 N0.117 T
48 Athens Greece 7/9/1999 N0.140 L
49 Athens Greece 719/1999 N0.140 T
50 Kalamata Greece 13/9/1986 Kalamata O.T.E. L
51 Kalamata Greece 131911986 Kalamata O.T.E. T
52 Kalamata Greece 151911986 Kalamata O.T.E. L
53 Karinthas Greece 2412/1981 Kalamata O.T.E. L
54 Karinthas Greece 2412/1981 Karinthas O.T.E. T
55 Karinthas Greece 25/2/1981 Karinthas O.T.E. L
56 Karinthas Greece 25/2/1981 Karinthas O.T.E. T
57 Bucharest Rumania 4/3/1977 INCERC N270
58 Bucharest Rumania 4/311977 INCERC NO
59 NewMexico Mexica 8/5/1996 SCT1 SOOE
60 NewMexico Mexica 191911985 SCT1 N90W
61 Lama Prieta USA 17/10/1989 N0.57007 90
62 Lama Prieta USA 17/10/1989 N0.57007 0
63 Petrolia USA 25/4/1992 N0.89156 90
64 Petralia USA 25/4/1992 NO.B9156 0
65 Lama Prieta USA 17/10/1989 No.58135 90
66 Lama Prieta USA 17/10/1989 No.58135 0
fer in allen Geschossen außer im Erdgeschoss vorhanden) dar, mit einer Reibungskraft für jeden Dämpfer von 500 kN, 750 kN und 1000 kN. Der Mittelwert des MISDR reduziert sich von dem Wert 1.55 % für den Rahmentyp 0 (Rahmen ohne Reibungsdämpfer) zu 0.875 % für den Rahmentyp 3 und einer Reibungskraft von 750 kN. Darüber hinaus ist der Abb. 4 zu entnehmen, dass die Extremwerte des MISDR von den Werten 6.33 % und 0.23 % (Rahmentyp 0), auf die Werte 3.63 % (Rahmentyp 2, 500 kN) und 0.12 % ( Rahmentypen 2 und 3, 750 kN und 1000 kN) abfallen. Der Abb. 4 ist ferner zu entnehmen dass die Präsenz eines Dämpfers nicht in jedem Fall eine Minderung des Schadensindikators bewirkt (Mittelwert des MISDR für Rahmentyp 1, 500 kN, 750 kN, 1000 kN).
Simulations-Studie zum optimierten Einsatz von Reibungsdämpfern in seismisch erregten Konstruktionen
"' 0
7.0
6.0
5.0
4.0
Cl) 3.0
"' 2.0
1.0
0.0
-1.0
6,33
0.23
6.38 6.4
0.1 0.11
I I
6.43
0.11
6.49
I I
. j
0.11
1(3,56
5.51
4.61
I
0.11 0.15 0.14
3.63
~I -I
I 0.13
3.77
0.12 0.12
Rahmentyp und Reibungskraft der Dämpfer
Abb. 4: MISDR in Abhängigkeit vom Rahmentyp und der Reibungskraft der Dämpfer.
5.41
4.47 n '
0.15 0.14
3.95
i
0.13
3.72
0.12 0.12
Rahmentyp und ___ _.::Mc.IS:::D:::R=Io/.~o]'----'M-'1-'S-=D.cR.=-D:::l.=ffe:::'.=""-=z:.c(c:cal.=s..c%:._' d.=•::sccA.::n:::fa::.n:;,gw.=•:::rt.::•:=s!...) ..cM:::l.=S.=D.=R-=-E:::nccd.cw.=ert-'-"(a-=ls'-%-'o-'d"-es:._Accn.=l=an"g"w-'e'-'rt-"es"-)
Reibungskraft Maximum Minimum Mittelwert Maximum Minimum Mittelwert Maximum Minimum Mittelwert
TO 6.330 0.230 1.550 0.000 0.000 0.000 100.00 100.00 100.00
T1, 100 kN 6.380 0.100 1.536 -0.790 56.522 0.903 100.790 43.478 99.097
T1, 250 kN 6.400 0.110 1.549 -1.106 52.174 0.065 101.106 47.826 99.935
n, soo kN 6.430 0.110 1.585 52.174 -2.258 101.580 47.826 102.258
T1, 750 kN 6.490 0.110 1.624 -2.528 52.174 -4.774 102.528 47.826 104.774
T1, 1000 kN 6.560 0.110 1.643 -3.633 52.174 -6.000 103.633 47.826 106.000
T2, 100 kN 5.510 0.150 1.213 12.954 34.783 21.742 87.046 65.217 78.258
T2, 250 kN 4.610 0.140 1.037 27.172 39.130 33.097 72.828 60.870 66.903
T2, 500 kN 3.630 0.130 0.910 42.654 43.478 41.290 57.346 56.522 58.710
T2, 750 kN 3.890 0.120 0.889 38.547 47.826 42.645 61.453 52.174 57.355
T2, 1000 kN 3.770 0.120 0.894 40.442 47.826 42.323 59.558 52.174 57.677
T3, 100 kN 5.410 0.150 1.216 14.534 34.783 21.548 85.466 65.217 78.452
T3, 250 kN 4.470 0.140 1.002 29.384 39.130 35.355 70.616 60.870 64.645
T3, 500 kN 3.950 0.130 0.891 37.599 43.478 42.516 62.401 56.522 57.484
T3, 750 kN 3.720 0.120 0.875 41.232 47.826 43.548 58.768 52.174 56.452
T3, 1000 kN 3.820 0.120 0.881 39.652 47.826 43.161 60.348 52.174 56.839
Tabelle 2: Tabellarische Übersicht der Ergebnisse des globalen Schadensindikators.
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Simulations-Studie zum optimierten Einsatz von Reibungsdämpfern in seismisch erregten Konstruktionen
Die Tabelle 2 zeigt explizit die MISDR-Differenz und den MISDR-Endwert, jeweils als Prozentsatz des Anfangwertes (Rahmentyp 0). Aus dieser Tabelle ist ersichtlich dass der Maximalwert, der Minimalwert und der Mittelwert sich um bis zu 42.654 % (T2, 500kN), 47.826 % (T2, T3, 750 kN, 1000 kN) und 43.548 % (T3, 750 kN) jeweils vermindern. Somit betragen die jeweiligen Endbeträge des MISDR 57.346 %, 52.174 % und 56.452 % des Anfangswertes.
7 SCHLUSSFOLGERUNGEN
Im vorliegenden Beitrag wurde die Untersuchung des seismischen Verhaltens einer zehnstöckigen Rahmenkonstruktion aus Stahl unter Mitwirkung von Reibungsdämpfern präsentiert. Unterschiedliche Topologie der Dämpfer und verschiedene Reibungskräfte wurden berücksichtigt. Die maximale normierte gegenseitige Stockwerksverschiebung wurde als Größe gewählt, die geeignet ist den Zustand der Konstruktion nach einem Erdbeben zu beschreiben. Dieser globale Schadensindikator wurde mittels nichtlinearer dynamischer Analyse berechnet. Die Ergebnisse belegen die schadenmindernde Wirkung der Reibungsdämpfer. Die günstigste Systemantwort lieferte der Rahmentyp 2 (Rahmen mit Reibungsdämpfer in allen Geschossen) und der Rahmentyp 3 (Rahmen mit Reibungsdämpfer in allen Geschossen außer dem Erdgeschoss) mit Reibungskräften in den Dämpfern von 750 kN. ln diesem Fall verminderte sich der Mittelwert des gewählten globalen Schadensindikators um bis zu 43.548 %. Die Extremwerte des MISDR verminderten sich ebenfalls um bis zu 47.826 %.
8 LITERATUR
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Valles, R., Reinhorn, A.M., Kunnath, S.K., Li, C. & Madan, A. (1996), IDARC 2D Version 4.0: A program for the lnelastic Darnage Analysis of Buildings, Technica/ Report NCEER-96-0010, State University of New York, Buffalo.
Zur Auslegung von Hochbauten im Bereich chemischer Anlagen gegen Explosionsdrücke
Uwe Weitkemper1, Jürgen Ockert1
1BilfingerBerger AG, Ingenieurbau, Technisches Büro Wiesbaden
1 KURZFASSUNG DES VORTRAGS
Der Vortrag behandelt den Entwurf und die Bemessung von Hochbauten im Bereich chemischer Anlagen anhand von zwei Hochbauten, die sich im Bereich einer chemischen bzw. petrechemischen Anlage befinden und gegenüber Explosionseinwirkung auszulegen sind. Bei den beiden Gebäuden handelt es sich um ein zweigeschossiges Verwaltungsgebäude in Stahlbetonskelettbauweise, sowie eine eingeschossige Lagerhalle mit innenliegenden Arbeitsräumen in Stahlrahmenbauweise. Die im Bereich der betreffenden Anlage befindlichen Gebäude sind je nach ihrem Standort für Explosionsdrücke zwischen 55 bis 80 mbar und Impulsdauern zwischen 70 und 1 00 Millisekunden auszulegen. Bei den genannten Gebäuden ist der maximale Überdruck einer Druckwelle im Explosionsfall durch den Bauherrn mit 55 mbar festgelegt worden. Die Bemessung erfolgt in Ergänzung zu den Vorgaben der British Standards BS 8110-1:1997 "Structural use of concrete" und BS 5950-1:2000 "Structural use of steelwork in building" nach einem eigenen Regelwerk des Bauherrn zum Explosionsschutz, dass siehin weiten Teilen an einer Veröffentlichung der American Society of Civil Engineers (ASCE (1997)) orientiert.
Von dem genannten Explosionsdruck von 55 mbar ausgehend werden zunächst die Bemessungsdrücke für Front, Dach, Seitenwände und Rückwand mit den zugehörigen Zeitverläufen bestimmt. Der größte Druck ergibt sich dabei naturgemäß an der Gebäudefront, bezogen auf die Richtung der Druckwelle. Infelge der Reflexion der Druckwelle an der Bauteiloberfläche kommt es dort zu einer Erhöhung des Drucks auf etwa den doppelten Wert. Eine Beschreibung der bei einer Explosion auftretenden Phänomene und der zugehörigen theoretischen Grundlagen findet sich u.a. bei Baker (1973).
Um die verschiedenen Schwingungsanteile der Strukturen auf der einen und die mit unterschiedlichen Zeitverläufen einwirkenden Explosionsdrücke auf der anderen Seite zutreffend zu erfassen, erfolgt die Ermittlung der Strukturantworten und Bemessungsschnittgrößen mit Hilfe linearer Zeitverlaufsberechnungen. Aus einer Betrachtung äquivalenter Einmassenschwinger (s. Biggs (1964)) ergeben sich für die Hauptrahmen dynamische Faktoren wovNiwsTAT von etwa 0,40 für den Betonskelettbau und etwa 0,53 für den Stahlrahmenbau. Die dynamischen Faktoren geben dabei das Verhältnis der dynamischen Systemantwort zur Systemantwort bei statischem Ansatz des maximalen Explosionsdrucks an.
Grundsätzlich werden in ASCE (1997) die Schädigungsgrade niedrig, mittel und hoch unterschieden, wobei beide Gebäude wegen des häufigen Aufenthalts von Personen für niedrige Schäden im Explosionsfall bemessen werden. Bei dem Stahlrahmenbau haben Vorberechnungen gezeigt, dass bei dem vorliegenden statischen System die Ausnutzung nichtlinearer Tragreserven aufgrund der bestehenden Beschränkung der Stockwerksverschiebungen auf H/50 kaum möglich war. Bei dem Stahlbetonskelettbau ergeben sich auch bei Nichtausnutzung der inelastischen Tragreserven nur geringfügig höhere Bewehrungsmengen insbesondere in den Stützen, so dass auf nichtlineare Zeitverlaufsberechnungen mit entsprechenden Nachweisen verzichtet wird.
Bei der anschließenden Bemessung der Bauteile konnten gemäß den Vorgaben von ASCE (1997) aufgrund der hohen Dehngeschwindigkeiten modifizierte Materialkennwerte angesetzt werden. Beim Baustahl erhöht sich der Bemessungswert der Fließgrenze um etwa 31 %, beim Bewehrungsstahl um etwa 17 %. Die Teilsicherheitsbeiwerte auf der Widerstandsseite sind für den Explosionsfall einheitlich mit 1.0 festgelegt.
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Vorlage für die Beiträge zur DACH-Tagung 2003
Bei Beton zeigen sich im allgemeinen zwei Aspekte des zeitabhängigen Verhaltens: 1. das Kriechen und Schwinden des Betons und 2. die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Mikrorissbildung (Ozbolt et al. (2005)) Bei Explosionsvorgängen ist nur der zweite Anteil, also die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Mikrorissbildung von Bedeutung, die zu einer Erhöhung der Betondruckfestigkeit führt und sich darüber hinaus in einem deutlich erhöhten Betontraganteil bei der Schubbemessung äußert.
Bei der konstruktiven Durchbildung der Tragwerke ergeben sich an vielen Stellen Analogien zur Erdbebenbemessung von Tragwerken. Aufgrund der dynamischen Einwirkungen hat die Verformungsfähigkeit und Duktilität der Strukturen in Ergänzung zu ihrem Tragwiderstand gegenüber horizontalen Einwirkungen einen hohen Stellenwert.
Bei dem Stahlrahmenbau wird ein ausreichendes Verformungsvermögen der Struktur u.a. durch folgende Maßnahmen gesichert:
- Wahl ausreichender Fugenbreiten zu den Mauerwerkswänden innerhalb der Halle.
- Bereitstellung von Überfestigkeiten in den Anschlussbereichen, hauptsächlich den Rahmenecken.
- Anordnung zusätzlicher Aussteifungselemente zur Sicherung der Stützen und Dachträger gegenüber Biegedrillknicken.
- Verwendung abgestufter Anforderungen an die Duktilität mit den höchsten Anforderungen an die Hauptrahmen.
- Verwendung normalfester Schrauben und Begrenzung der Lochspiele bei den geschraubten Verbindungen.
Die wesentlichen konstruktiven Maßnahmen bei dem Stahlbetonskelettbau sind entsprechend:
- Vermeidung kurzer Stützen u.a. durch Abfugen der Brüstungen und Trennung ausgefachter Bereiche von der tragenden Rahmenkonstruktion.
- Anordnung einer ausreichenden Mindestbewehrung in Stützen, Balken und Deckenscheiben.
- Keine Verwendung kaltgewalzter Bewehrungsstähle mit geringer Duktilität.
- Bemessung der Fassadenkonstruktion und ihrer Bauteile für den auftretenden Explosionsdruck.
50
2 LITERATUR
American Society of Civil Engineers, ASCE (1997). Design of Blast Resistant Buildings in Petrochemical Facilities. Baker, W.E (1973). Explosions in Air. University of Texas Press. Biggs, J.M (1964). lntroduction to Structural Dynamics .. McGraw-Hill Book Company. Ozbolt, J. & Reinhardt, H.-W. (2005). Dehnungsgeschwindigkeitsabhängiger Bruch eines Kragträgers aus Beton. Bauingenieur 80, 2005.
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
Grundlagen Dieter Kuhlmann 1, Wolfgang Roeser"' und Jan Lingemann2
1 Wayss & Freytag Ingenieurbau (Leiter Technik & Entwicklung), Frankfurt; 2 H+P Ingenieure GmbH & Co. KG (Hegger + Partner), Aachen
1 EINLEITUNG
Bei der dynamischen Bemessung von Tribünenplatten in Sportstadien (Bild 1) ist die dynamische Anregung durch hüpfende Zuschauer bei Rock- und Popkonzerten maßgebend [1]. Als Grundlage für wirtschaftliche Konstruktionen werden Vergleichsrechnungen und Messungen durchgeführt, mit dem Ziel Kosten, Materialeinsatz und Eigenfrequenzen zu optimieren. Dabei werden Länge und Dicke der Platten, der Einsatz einer Vorspannung und die Lastansätze für hüpfende Personen untersucht. Im vorliegenden Zwischenbericht wird über die angewandten Methoden berichtet (FourierAnalyse, Finite Elemente Berechnungen und Messungen an Tribünenplatten).
Bild 1. Oberrang der Südtribüne in der "Arena Auf Schalke" im Bau
2 LASTANNAHMEN
Das Eigengewicht eines durchschnittlichen Zuschauers kann zu G = 0,80 kN angenommen werden. Der Flächenbedarf sitzender Zuschauer beträgt nach den Empfehlungen der FIFA [2] auf den Tribünen moderner Stadien 80 cm bei einer Sitzbreite von etwa 50 cm (Bild 2). ln den VIP- bzw.
Businessbereichen werden Beinfreiheit und Sesselbreite b großzügiger gewählt. Somit ergeben sich die Flächenlasten für die verschiedenen Nutzungen gemäß Tabelle 1.
Zum Vergleich betragen die Nutzlasten nach DIN 1055-3, Ausgabe Oktober 2002 [3], Tabelle 1, für
Kategorie C5: Tribünen mit fester Bestuhlung 5,00 kN/m2
Kategorie E3: Tribünen ohne feste Bestuhlung 7,50 kN/m2
(Mindestwert)
Bild 2. Beinfreiheit und Platzbedarf (nach [2]) bei fester Bestuhlung (oben) und Klappstühlen (unten)
51
52
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
a b A p
[m] [m] [m2] [kNim2j
Business- 1,00 0,60 0,60 1,33 Bereich Normal- 0,80 0,50 0,40 2,00 bereich Steh- 0,40 0,40 0,16 5,00 tribüne
Tabelle 1. Abmessungen der Aufstandsflächen und daraus folgende Statische Flächenlasten auf Tribünenplatten (p = GI A mit G = 0,8 kN)
in Fußballstadien gibt es Bereiche, in denen die Sitzplätze optional in Stehplätze umgewandelt werden können. Dies erfolgt bei Bundesligaspielen vorzugsweise auf der Nordtribüne, wo der "harte Kern" der Fangemeinde lieber stehend das Spielgeschehen verfolgt, in Teilbereichen der Südtribüne, wo die Fans der Gästemannschaften stehen, und natürlich bei Pop- und Rockkonzerten, für die eine dynamische Auslegung der Tribünenplatten für hüpfende Personen erforderlich ist.
3 HÜPFFREQUENZEN
Die Kontaktdauer zwischen Person und Tribünenplatte beim Hüpfen mit beiden Beinen beträgt aus physiologischen Gegebenheiten zwischen 0,15 und 0,20 Sekunden. Sie ist bei niedrigen Hüpffrequenzen und natürlichem Hüpfen größer als bei intensivem Hüpfen. Ab etwa 3 Hz kann für normales und rasches Hüpfen auf schwingender Unterlage als Kontaktdauer von tp,m;o = 0,15 Sekunden ausgegangen werden [1]. Den nachfolgenden Betrachtungen wird die minimale Kontaktdauer tp,m;o zugrunde gelegt (Gleichung 1 ).
min tP = 0,15 [s] (1)
Maßgebend für die Größe der dynamischen Belastung ist die zeitliche Abfolge von Kontaktdauer ( Lastphase) und Flugdauer ( lastfreie Phase), die zusammen die Periode T, bilden. Das Verhältnis von Kontaktdauer t, zur Hüpfperiode T, kann nach [1] aus der Hüpffrequenz fh für Einzelpersonen bestimmt werden zu t, I T, = 0,15 f".
Die Bandbreite der Hüpffrequenzen von Einzelpersonen liegt etwa zwischen 1 ,8 und 3,4 Hz; bei unkocrdiniert hüpfenden Gruppen beträgt die maximal erreichbare Frequenz weniger als 3 Hz. Wegen unvollkommener Synchronisation vergrößert sich beim Hüpfen von Gruppen das Verhältnis von Kontaktdauer zu Hüpfperiode auf t, I T, = 0,2 fh· Dabei kann das Hüpfen zwischen
langsam, normal und schnell gemäß Tabelle 2 unterschieden werden.
Gruppen Hüpfart Frequenz f h tJT langsam 1 ,80 bis < 2,00 "'0,40 normal 2,00 biss 2,50 "'0,50 schnell 2,50 bis s 3,00 "'0,60
Tabelle 2. Übersicht der Hüpfarten und Frequenzen
Die · durch Hüpfen oder Springen verursachte Lastfunktion kann als Halb-Sinus-Welle (Bild 3) mit Gleichung 2 beschrieben werden, deren Form von der Stoßdauer ( Kontaktzeit t,), der Periodendauer T, und dem Stoßfaktor k, bestimmt wird.
f(t)=kP·G·sin( ~~~J (2)
für 0 ,.:; t ,.:; tP
f(t)=O für tP :o;t:o;TP
Der dynamische Stoßfaktor k, ergibt sich gemäß Gleichung (3) in Abhängigkeit von Periodendauer und Kontaktzeit entsprechend dem zweiten Newtonsehen Axiom F = m · a(t) = const. Die so ermittelten Stoßfaktoren kp (Bild 4) stehen für praktische Bemessungen in ausreichend genauer Übereinstimmung zu Messungen.
4,5
4
...,3,5-•
n TP k =-·- (3)
p 2 t p
.;: 3
"-c.2.s- T P ~ 2"~f---+-------~~ 1ii j 1,5
1 tp 0,5
0 --+-~-~--1--r-
0 0,075 0,15 0,225 0,3 0,375 0,45 0,525 0,6 0,675
Zeit t [sec.]
Bild 3. Schematischer Zeitverlauf von Hüpfenden Personen im Halb-Sinus-Modell (Gleichung 2)
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
8
7
.,z" Ci 5
:; 4
~ 3 2
0
I~ ~ ------
u u ~ ~
relative Kontaktdauer t"rr •
Bild 4. Stoßfaktoren im Halb-Sinus-Modell
4 DYNAMISCHES VERHALTEN
4.1 Fourier-Reihen
-
0,6
Der zeitliche Verlauf einer periodischen Erregung kann mit Fourier-Reihen [4, S] beschrieben werden. Die trigonometrische Form der Fourier-Reihe entspricht Gleichung 4.
x{l) = a0 + 2.: an cos (n 0 I) + 2.: bn cos {n 0 I)
Mit: = 1/T J x(t) dt = 2/T J x(t) cos (n 0 I) dt = 2/T J x(t) sin (n 0 I) dt = Frequenz der Anregung =2n/Tp
(4)
Um Resonanzen zu vermeiden, müssen die Eigenfrequenzen der Tribünenplatten oberhalb der zweiten Harmonischen liegen. Die kritischen Grenzwerte werden von Bachmann in [10] gemäß Tabelle 3 angegeben:
Empfohlene Eigenfrequenzen
Stahlbeton > 6,S Hz Spannbeton > 7,0 Hz Verbundbau > 7,S Hz Stahl > 8,0 Hz Konzertsäle mit fester > 3,4 Hz Bestuhlung
Tabelle 3. Mindestwerte der Eigenfrequenzen für Tribünenplatten gemäß Bachmann [6]
4.2 Dämpfung
Das logarithmische Dämpfungsdekrement o erhält man aus dem Verhältnis zweier zeitlich aufeinander folgender Amplituden einer Ausklingkurve gemäß Glerichung (Sa).
(Sa)
Das äquivalente viskose Dämpfungsmaß ~ wird
auch als Lehr'sches Dämpfungsmaß 0 bezeichnet (Gleichung Sb).
0 c ~=D=-=- (Sb)
2n ckri, Das Dämpfungsmaß D setzt sich aus dem Anteil
der nackten Platten (D = 1 ,S bis 3 %) und dem Anteil der "passiven" Zuschauer (D = 1 bis 2 %) zusammen und kann für Bemessungszwecke bei Stahlbetonplatten näherungsweise zu D = 2,S bis S % abgeschätzt werden.
4.3 Vergrößerungsfunktion
Als Abstimmung '1 wird das Verhältnis der Erregerfrequenz 0 zur Eigenfrequenz robezeichnet ('1 = 0 I ro). Hieraus errechnet sich die dynamische Vergrößerung V (Bild S) der Auslenkung mit Gleichung (6)
V. - 1 (") - '( 2 ) 2 2
\j 1-11 +(2·D·11) (6)
Für die verschiedenen Grenzfälle erhält man:
20 l > I ~
~ 15 J!! ., "' c 10 2 ~ =e s-2' ~
0 0
Tribünenplatte ungedämpft:
D=O V =-1
-("J 1-112
Resonanz:
11=1 V. =-1-(") 2 · D
Sehr
11~0
Sehr
11~00
0,5
kleine
V("J = 1 große
V("J = 0
0=5%
Erregerfrequenz:
Erregerfrequenz:
2 2,5
Abstimmungsverhältnis 11 = ntro
Bild 5. Vergrößerungsfaktoren für Dämpfungswerte D = 2,S%, S% bzw. 10%
53
54
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
4.4 Phasenwinkel
e: 150 e-
-.; 120-
"' c 90 "§:
c " 60 U) ., .c 30 0..
0
0,0 0,5 1,0 1,5 Abstimmung '1 = OJro
Bild 6. Phasenverschiebung <p zwischen Kraft und Antwort
Der Phasenwinkel <p beschreibt das Nacheilen der Antwort hinter der Erregung (Gleichung 7) und ist von der Dämpfung abhängig.
11 < 1,0 =:. cp = arctan (Z·s·;) 1-11
11 = 1,0 =:> qJ = 90°
(7)
11 > 1,0 =:. cp = 180° + arctan (Z·/;· 11 ) 1-11'
4.5 Kraft-Zeit-Funktion
Der Kraftverlauf über die Zeit wird unter Berücksichtigung der Phasenverschiebung zwischen der Kraft und der Antwort <p; mit Gleichung (8) beschrieben.
F,,, (I) = F,1a1 ([1 +V(l]1) r1 sin (0 I+ <!>1 - <p1)
+ ... + V(lJ;) r; sin (in I+ <j>;- <p;)] (8)
Mit:
4.6
dem Fourierkoeffizient r,
rn =~a~ +b~
und der Phasenverschiebung der Fourierreihe
<l>n
~n = arctan( ::)
gemäß Anhang
Berechnungsbeispiel
Als Beispiel für die Fourier-Analyse wird eine Tribünenplatte mit zwei Sitzreihen (L = 8,00 m) als
beidseitig gelenkig gelagerter Träger betrachtet, wobei die Eigenfrequenz zwischen 6,5 Hz, 8,0 Hz und 10 Hz variiert wird (Bilder 7 bis 9). Es wird der Fall des dynamischen Hüpfens mit 1 I T, = 2 Hz und einer Kontaktzeit von t, IT, = 0,4 untersucht. Dabei werden in der Fourier-Analyse sechs Reihenglider eingesetzt. Es zeigt sich, dass im vorliegenden Fall mit zunehmender Eigenfrequenz der Platte die dynamische Beanspruchung F ''" zunächst abnimmt (Bild 8 zu Bild 7) und dann wieder zunimmt (Bild 9 zu Bild 8). Dieses Verhalten ist auf den unterschiedlichen Phasenwinkel <p zurückzuführen, der bei der Platte mit 10 Hz in der fünften Harmonischen bei dem untersuchten Beispiel zu einer stärkeren Systemantwort führt, als bei der Platte mit 8 Hz in der vierten Harmonischen.
0,0 0,5 1,0
Zeit I [sec.]
__ I 1,5
Bild 7. Dynamische Vergrößerung bei fe = 6,5 [Hz] und D = 0,025 (6 Reihengleider)
?r······························--------------------------
6
5
:I: 4
~ 3
~ 2 ~
~ 1-
0
-1.
0 0,5 1,5 2
Zeit I [sec.]
Bild 8. Dynamische Vergrößerung bei fe = 8,0 [Hz] und D = 0,025 (6 Reihenglieder)
8
6
:r: 4
• tL' 2
"1. ,;:: 0
-2 I~ -4 l_ __ _
o.o
6,65
-3,11
0,5 1,0 Zeit I [sec.]
1,5
Bild 9. Dynamische Vergrößerung bei fe = 10 [Hz] und D = 0,025 (6 Reihenglieder)
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
Eine Betrachtung mit nur drei Reihengliedern in der Fourier Analyse führt bei einer Eigenfrequenz von 10 Hz zu einem abweichenden Ergebnis gegenüber Bild 9, da die fünfte Harmonische maßgebend für die Vergrößerung ist, die erst mit dem fünften Reihenglied der Fourier Analyse erfaßt wird. Dies zeigt, dass es bei der Fourier-Analsyse wichtig ist, die Anzahl der Reihenglieder für den jeweiligen Anwendungsfall geeignet festzulegen.
5 MESSUNG UND FE-BERECHNUNG
ln Messungen an stufenförmigen Tribünenplatten der Länge 8,0 m bzw. 10,0 m wurden die Eigenfrequenz, das Dämpfungsmaß und das Schwingungsverhalten unter Hüpfen im Takt experimentell und numerisch untersucht. Bei der 10 m Platte handelt es sich um eine Spannbetonplatte mit Vorspannung ohne Verbund, die vor und nach dem Vorspannen hinsichtlich der dynamischen Eigenschaften untersucht werden. Die Messungen erfolgten in Zusammenarbeit mit Herrn Dipl.-lng. M. Mistler (Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik der RWTH Aachen) und Herrn Dr.-lng. M. Malter (Bremer AG, Paderborn). ln der Messung kam ein hochempfindlicher triaxialer Beschleunigungs-aufnehmer (ACF 24 von Ziegler Instruments GmbH) und ein triaxialer Geschwindigkeitsaufnehmer (LE-3D von Lennartz Electronic GmbH} zum Einsatz.
Für den Tribünenträger No. 1 mit einer Spannweite von 8,0 m wurde die erste Eigenfrequenz zu f1 = 11 ,4 bis 11,9 Hz gemessen (Bild 1 0). Diese steht in guter Übereinstimmung zur eigenen Finite Eiernnieberechnung mit einer ersten Eigenfrequenz f1
= 12,22 Hz (Bild 11 oben). Die maximale Beschleunigung ergab sich entsprechend der geneigten Hauptträgheitsachse der Platte unter einem Winkel von 17" zur Vertikalen. ln einer zweiten Messung wurde der Geschwindigkeitsaufnehmer exzentrisch am Plattenrand angeordnet. Dabei wurde die zweite Eigenfrequenz f2 = 17,9 Hz gemessen, die in guter Übereinstimmung zur Torsionsform in der Finiten Elemente Berechnung steht (Bild 11 mitte ). Die gemessenen und berechneten Eigenfrequenzen sind für den Einsatz als Tribünenplatten als unbedenklich einzustufen, da die geforderte Eigenfrequenz von 6,5 Hz entsprechend Tabelle 3 deutlich überschritten wird.
~ 0.06
E o.os .s "' 0.04 " ... "' 0.03 ;; c
"ji 0,02 .c " 0.01 .. " C>
0
~~ I
1
I
~. ~~~ I I
1
0 3 6 9 12 15 18 21 24
Frequenz [Hz]
Bild 10. Gemessene erste Eigenfrequenz der Tribünenplatte L = 8,0 m
Der Tribünenträger No. 2 hat eine Spannweite von 10 mundwurde im Alter von 2 und 31 Tagen geprüft. Zunächst wurde der Träger ohne Vorspannung untersucht. Er erreichte im nichtvorgespannten Zustand eine Eigenfrequenz von 6,9 Hz ohne Personen im nicht gerissenen Zustand I. Durch koordiniertes Hüpfen von 35 Personen ging der Träger in den gerissenen Zustand II über und erreichte eine Eigenfrequenz von 4,47 Hz unter dynamischem Hüpfen.
Auch bei einer Anregung der 1Om Platte durch gezieltes Hüpfen bei Frequenzen von 1,8 bis 2,5 Hz konnte im Versuch kein Aufschaukeln in der dritten Harmonischen herbeigeführt werden. Trotz Taktgeber war ein absolut synchrones Hüpfen nicht zu erzielen, was sicherlich mit den unterschiedlichen Temperamenten und Altersklassen der 35-köpfigen Gruppe zu erklären ist (Bild 12). Der Gleichzeitigkeitsfaktor kann zu weniger als 60% abgeschätzt werden. Allerdings ist in Bild 13 deutlich die Vergrößerung bei der Frequenz von 4,47 Hz für die Anregung bei 2,23 Hz zu erkennen. Als rechnerische Vergrößerung ergab sich durch Foruieranalyse der Wert F dyn = 7 ,0.
55
56
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
1. Eigenform (erste Biegung), f1 = 12,22 Hz (gemessen: f= 11,6 Hz)
2. Eigenform (erste Torsion), f2 = 17,95 Hz (gemessen: f= 17,9 Hz)
3.Eigenform (zweite Biegung), f3 = 25,44 Hz
Bild 11. Erste bis dritte Eigenform der Tribünen-platte mit L = 8,0 m in der Finite Elemnte Berechnung
Im gerissenen Zustand II war die verbleibende Eigenfrequenz der 1 Om-Piatte nach dem Hüpfen 5, 7 Hz ohne Personen. Nach dem Aufbringen der Vorspannung ohne Verbund stieg die Eigenfrequenz wieder auf 6,75 Hz an, so dass der Ursprungswert von 6,9 Hz gemäß Zustand I wieder annähernd erreicht wurde. Dies zeigt, dass durch die Vorspannung der steifigkeits-abmindernde Einfluss der Rißbildung wieder aufgehoben werden kann. Die gemessene Frequenz wird gemäß Tabelle 3 als ausreichend angesehen, da die 10 m Platte im eingebauten Zustand eine feste Bestuhlung und eine Linienlagerung auf einer Wandscheibe am unteren Plattenrand erhält, und somit die geforderte Eigenfrequenz weit überschritten wird.
Die Dämpfung wurde nach Anregen der Platten durch jeweils einen einmaligen Sprung einer Person ermittelt. Bild 14 zeigt die Ausschwingkurve der 1 0 m weit gespannten Tribünenplatte im Zustand I. Das Lehrsehe Dämpfungsmaß als Prozentsatz der kritischen Dämpfung aus der Ausschwingkurve über 12 Perioden ergibt sich zu D = 2,26 %.
ii=_!_·m(4
'9654
)=o 1421 12 0,9026 ,
I;= D = 0
'1421
·100=2,26% 2·1t
Bild 12: Koordiniert hüpfende Personengruppe im Versuch
0 4 8 12 16 Frequenz [Hz]
Bild 13. gemessene Frequenz beim Hüpfen von 35 Personen auf nicht vorgespannter 1 Om-Piatte
·6'----
3 4 5 Zeit [sec.]
Bild 14. Dämpfungsmessung an der10m Tribünenplatte
6
Im Zustand II nahm die Dämpfung auf 3,2 bis 3,5 % zu und nach dem Aufbringen der Vorspannung nahm die Dämpfung wieder auf 2,6% ab. Die 8m -
Optimierung von Tribünenplatten unter dynamischer Beanspruchung
Stahlbetonplatte hatte im Vergleich dazu ein Dämpfungsmass von 1,4 bis 1 ,9%.
Bei einer Messung der 1 Dm-Platte mit stoßartiger Belastung durch 35 Personen (einmaliges annähernd synchrones Hüpfen) ergab sich als Dämpfung D = 10%, was auf die Interaktion zwischen dem FederMasse-System aus der Personengruppe und der Platte zurückzuführen ist.
6 ZUSAMMENFASSUNG
Zur dynamischen und wirtschaftlichen Optimierung von Tribünenplatten in Fußballstadien werden rechnerische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Dabei werden die Spannweite, die Eigenfrequenz, die Dämpfung und der Einfluss einer Vorspannung untersucht.
Für die Bemessung mit Fourier Analyse ist es wesentlich die Anzahl der Reihenglieder geeignet festzulegen, insbesondere wenn die Phasenverschiebung zutreffend erfasst werden soll. Mit Finite Elemente Berechnungen können darüber hinaus Torsionsschwingungen betrachtet werden, wie sie in den eigenen Messungen auch experimentell belegt wurden. Die Vorspannung wirkt sich günstig auf die Rissbildung der Platte aus, so dass Eigenfrequenz und Dämpfung beeinflusst werden.
ln einem Experiment an einer gerissenen Tribünenplatte der Spannweite von 10 m war es nicht möglich diese durch eine Gruppe von 35 Personen durch koordiniertes Hüpfen dynamisch aufzuschaukeln, auch wenn kruzzeitig Resonsanz erreicht wurde. Dies ist auf das nicht exakt synchrone Hüpfen der Personengruppe zurückzuführen.
ln den noch ausstehenden weitergehenden Untersuchungen sollen anhand der hier beschriebenen Grundlagen verschiedene Plattentypen hinsichtlich Materialeinsatz (Beton, Bewehrung, Spannstahl, Schalung) wirtschaftlich optimiert werden.
Bild 15. Hüpfende Person
Literatur
[1] Bachmann, H., Ammann, W.: Schwingungsprobleme bei Bauwerken; Structural Engineering Documents 1987
[2] Federation Internationale de Football Association (FIFA): Technische Empfehlungen und Anforderungen für den Neubau oder die Modernisierung von Fußballstadien
[3] DIN 1055-3 (Ausgabe Oktober 2002): Einwirkungen auf Tragwerke, Teil 3: Eigen- und Nutzlasten fOr Hochbauten
[4] Ji, T., Ellis, B.R.: Floor vibration induced by dance-type Ioads: theory; The Structural Engineer, Valurne 72, No. 3, Februar 1994
[5] Meskouris, K.: Baudynamik; Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[6] Bachmann, H.: Praktische Bauwerksdynamikam Beispiel der menschenerregten Schwingung; Beton- und Stahlbeton bau, Heft 9, 1988
57
58
Anhang: Fourier-Koeffizienten rn mit Phasenwinkeln ~n
a = t.JTo
0,30
0,35
0,40
0,45
0,50
n=1
a" 1,0797
bo 1,486
ro 1,8368
~(Grad) 36'
<1> (rad) 0,6283
ao 0,8083
bo 1,5863
r" 1,7804
~(Grad) 2r
~ (rad) 0,4712
ao 0,5305
bo 1,6327
r" 1,7168
~(Grad) 18'
<1> (rad) 0,3142
a" 0,2576
bo 1,6264
ro 1,6467
~(Grad) 9'
~ (rad) 0,1571
a" 0
bo 1,5708
ro 1,5708
$(Grad) 0
<1> (rad) 0
Wenn 2 * n * a = 1 ,0
2. und 3. Quadrant
4. Quadrant
n=2
-0,4341
1,3359
1,4046
342'
5,9690
-0,7198
0,9907
1,2246
324'
5,6549
-0,8391
0,6097
1,0372
306'
5,3407
-0,8076
0,2624
0,8492
288'
5,0265
-0,6667
0
0,6667
270'
4,7124
=> =>
n=3
-0,8076
0,2624
0,8492
288'
5,0265
-0,5722
-0,0906
0,5793
261'
4,5553
-0,2750
-0,1998
0,3399
234'
4,0841
-0,0655
-0,1286
0,1444
2or
1,8064
0
0
0
0
0
bo=n/2
~ + 180'
<I>+ 360'
n=4 n=5
-0,275 0
-0,1998 0
0,3399 0
234' 0
4,0841 0
-0,0279 -0,0889
-0,0859 0,0889
0,0904 0,1257
198' 315'
3,4558 5,4978
-0,0207 -0,1333
0,0636 0
0,0669 0,1333
342' 270'
5,9690 4,7124
-0,1094 -0,0519
0,0795 -0,0519
0,1353 0,0735
306' 225'
5,3407 3,9270
-0,1333 0
0 0
0,1333 0
270' 0
4,7124 0
n=6
-0,1094
0,0795
0,1353
306'
5,3407
-0,1087
-0,0353
0,1143
252'
4,3982
-0,0087
-0,0267
0,0280
198'
3,4558
-0,0245
0,0338
0,0417
324'
5,6549
-0,0571
0
0,0571
270'
4,7124
SIA 2018- Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
ThomasWenk Wenk Erdbebeningeniewwesen und Baudynamik GmbH, Zürich
1 EINLEITUNG
ln den neuen Tragwerksnormen SIA 260 bis 267, die Anfang 2003 in der Schweiz in Kraft getreten sind, wurden die Erdbebenbestimmungen gegenüber früheren Normengenerationen wesentlich verschärft. Im Allgemeinen sind jedoch bei Neubauten die Mehrkosten, die zur Erzielung der normengernässen Erdbebensicherheit notwendig sind, trotzdem von unbedeutender Grösse, falls die Erdbebeneinwirkung bereits von der frühen Entwurfsphase an berücksichtigt wird. Werden ältere, gernäss früheren Normen bemessene Bauwerke nach den neuen Normen überprüft, können die erforderlichen Nachweise der Erdbebensicherheit oft nicht erbracht werden. Die Ertüchtigung auf das Anforderungsniveau für Neubauten ist meisi nur mit be-
-- SIA 261 Baugrundklasse A - - SIA 160 (1989) steife Böden - - - SIA 160 (1970)
2
1.5 "...,
.!!! .s u
L - \ • Cf)
Cl
" " Cl "<" " ., :;:: -::::
V f-
" 0.5 "' ., CO \\
- - -- I~ -\
0 0.01 0.1 1 10
Schwingzeit T [s]
Abb. 1: Vergleich der Antwortspektren der Beschleunigung für elastisches Tragwerksverhalten auf Baugrundklasse A (Fels) in der niedrigsten Zone Z1 der bisherigen drei Normengenerationen der Schweiz
trächtlichem baulichen Aufwand und betrieblichen Folgekosten möglich. Ohne spezifische Regeln für die Überprüfung bestehender Bauten, besteht die Gefahr, dass erhebliche volkswirtschaftliche Mittel zur Reduktion des Erdbebenrisiko ineffizient im Vergleich mit der Prävention gegen andere Gefahren eingesetzt werden.
Ende 2004 ist als Ergänzung zu den Erdbebenbestimmungen in den SIA-Tragwerksnormen das Merkblatt SIA 2018 Oberprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben erschienen. Darin wird ein neuartiges, innovatives Vorgehen zur risikobasierten Überprüfung der Erdbebensicherheit eingeführt. Im ersten Schritt der Überprüfung erfolgt die Zustandserfassung des bestehenden Gebäudes gernäss den Grundsät-
E -g
Cf)
Cl
" " .D ., E " ['!
~
0.3
0.2
0.1
0 0.01
-- SIA 261 Baugrundklasse A
- - SIA 160 (1989) steife Böden --- SIA 160 (1970)
I
. , .
•
d
0.1 10 Schwingzeit T [s]
Abb. 2: Vergleich der Antwortspektren der Verschiebung für elastisches Tragwerksverhalten auf Baugrundklasse A (Fels) in der niedrigsten Zone Z1 der bisherigen drei Normengenerationen der Schweiz
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SIA2018- Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
zen der Tragwerksnormen für neue Bauten. Anschliessend wird im zweiten Schritt, der Zustandsbeurteilung, die Notwendigkeit und das Ausmass von Ertüchligungsmassnahmen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen gegenüber Neubauten beurteilt. Im letzten Schritt, der sogenannten Massnahmenempfehlung, werden basierend auf den Ergebnissen der Zustandsbeurteilung konkrete Ertüchtigungsmassnahmen empfohlen. in der Regel ist es aufgrund von Kosten-Risiko-Überlegungen nicht sinnvoll, bestehende Bauten auf das Sicherheilsniveau der Normen für neue Bauten zu ertüchtigen. Das komplette Merkblatt SIA 2018 Oberprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben kann von den Internetseilen des Bundesamts für Wasser und Geologie heruntergeladen werden (BWG 2005).
2 NORMENVERGLEICH
Im Jahre 1970 wurden in der Schweiz erstmals Erdbebenbestimmung eingeführt und seither zweimal revidiert. Je nach Schwingungsverhalten des Bauwerks erreicht die Erdbebeneinwirkung in den Normen heute fast den 10-fachen Wert von 1970. Abbildung 1 zeigt als Vergleichsgrösse die Bemessungsspektren der Beschleunigung für elastisches Tragwerksverhalten der bisherigen drei Normengenerationen mit Erdbebenbestimmungen. Die gleiche Entwicklung als elastische Bemessungsspektren der Verschiebung ist in Abbildung 2 dargestellt. Sie zeigt gerade den umgekehrten Trend. Die Erdbebeneinwirkung ist mit jeder neuen Erdbebengeneration zumindest für die grössten Verschiebungen im Bereich der längeren Schwingzeiten über etwa T = 2 s zurückgegangen.
Die maximal zu erwartenden Beschleunigungen wurden früher stark unter- und die Verschiebungen stark überschätzt. Typisch waren völlig unrealistische, gegen unendlich strebende Spektralwerte der Verschiebungen für lange Schwingzeiten. Beispiele für solche Spektren finden sich neben der Norm SIA 160 (1970) z.B. auch in den Vornormen des Eurocodes 8 (1994). Mit dem Aufkommen verformungsbasierter Berechnungsverfahren wurden die Verschiebungen in neueren Normspektren auf realistische Werte reduziert. Der maximale Verschiebunsbedarf erreicht dann nur noch vergleichsweise kleine Werte. Dies lriffi insbesondere bei niedriger bis mittlerer Seismizität zu, wie sie in den D-A-CH-Staaten vorherrschend ist. Und dort wo der Verschiebungsbedarf gering ist, wird die Anwendung verformungsbasierter Berechnungsverfahren für bestehende Bauten um so interessanter.
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3 ALTERSSTRUKTUR DES BAUWERKSBESTANDS
Im Vergleich zur Entwicklung der Erdbebennormen hat sich der Bauwerksbestand in der Schweiz während den letzten 35 Jahren langsam verändert. Aufgeteilt auf die im Kapitel 2 erwähnten Normengenerationen fallen gut 70% der Gebäude auf die Zeit vor 1970 und knapp 20% auf die Zeitspanne zwischen 1970 und 1989. Nur 10% sind seit1989 nach aus heutiger Sicht modernen Erdbebennormen erstellt worden (Abbildung 3). Der Anteil der nach den neuen Tragwerksnormen von 2003 ausgelegten Bauten ist vorläufig noch vernachlässigbar. Obwohl ältere Gebäude dank konstruktiver Aspekte oder Windbemessung einen gewissen Grundschutz gegen Erdbeben aufweisen, ist davon auszugehen, dass die meisten die Anforderungen der heutigen Normen für Neubauten nicht erfüllen. Dies war der Hauptgrund für die Erarbeitung besonderer Regeln für die Erdbebensicherheit bestehender Gebäude.
I D vor 1970 lll 1970 bis 1989 111 nach 19891
10%
Abb. 3: Altersstruktur des Gebäudebestandes in der Schweiz aufgeteilt auf die Zeitperioden der bisherigen Normengenerationen mit Erdbebenbestimmungen
4 INHALT DES MERKBLATTS SIA 2018
Die wesentlichen Teile des Merkblatts werden in den Kapiteln 4.1 bis 4.7 dieses Beitrags beschrieben. Eine detaillierte Beschreibung befindet sich in der Dokumentation SIA D0211 (2005), die als offizieller Kommentar von den Autoren des Merkblatts erarbeil worden ist (Bargähr 2005, Dazio 2005, Kölz & Duvernay 2005, Lang & Lestuzzi 2005, Vogel 2005, Vogt 2005, Wenk2005).
4.1 Erdbebeneinwirkung
Grundsätzlich ist für bestehende Bauten die gleiche Erdbebeneinwirkung wie für neue Bauten zu berücksichtigen. Dementsprechend verweist das Merkblatt als Regelfall auf die Norm SIA 261 für die Bestimmung der Erdbebeneinwirkung.
SIA 2018 - Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
Bei der Überprüfung eines bestehenden Bauwerkes kann jedoch eine aufwendigere Bestimmung der Erdbebeneinwirkung gerechtfertigt sein, insbesondere dann, wenn damit auf eine kostspielige Ertüchtigung verzichtet werden kann. Praktisch bedeutet dies, dass für Neubauten übliche Vereinfachungen und Schematisierungen, wie z.B. die Einteilung in Erdbebenzonen und Baugrundklassen, durch verfeinerte Untersuchungen im Einzelfall ersetzt werden dürfen. Ferner sieht das Merkblatt als Alternative zu den Antwortspektren der Norm SIA 261 die Bestimmung eines standartspezifischen Antwortspektrums durch eine bodendynamische Untersuchung vor. Die Vergehensweise dazu wird in BWG 2004 ausführlich beschrieben.
Für das neu eingeführte verformungsbasierte Berechnungsverfahren wird die Erdbebeneinwirkung in der Form von elastischen Bemessungsspektren der Verschiebung und der Beschleunigung im Merkblatt vorgegeben.
4.2 Tragwerksanalyse
Im Merkblatt werden allgemeine Empfehlungen für die Modellbildung und die Steifigkeitsannahmen gegeben mit dem Ziel, ein möglichst wirklichkeitsnahes Tragwerksmodell zu erhalten. Für die Steifigkeit der Bauteile ist ein mittlerer Wert bis zum Fliessbeginn in Rechnung zu stellen. Neben der Biegesteifigkeit soll auch die Schubsteifigkeit der Bauteile und die Nachgiebigkeit des Baugrunds berücksichtigt werden. Bei durch Tragwände ausgesteiften Gebäuden darf die Rahmenwirkung durch die Decken angerechnet werden.
Bei der kräftebasierten Tragwerksanalyse wird empfohlen, das Antwortspektrenverfahren anstelle des Ersatzkraftverfahrens anzuwenden und zwar auch dann, wenn die Regularitätskriterien erfüllt sind. Mit diesen Regeln soll vermieden werden, dass sich durch eine strikte Anwendung der Normen für Neubauten eine Überlagerung von Annahmen, die für bestehende Bauten zu stark auf der sicheren Seite liegen, ergeben würde.
Die im Rahmen des Merkblatts SIA 2018 in der Schweiz neu eingeführte verformungsbasierte Tragwerksanalyse wird ausführlich beschrieben zumindest für einfache Tragwerke. Die Beurteilung der Erdbebensicherheit besteht bei dieser Methode aus dem Vergleich des Verformungsvermögens des Tragwerks in der Form einer Kapazitätskurve für horizontale Einwirkung mit der Erdbebenauswirkung in der Form einer Zielverschiebung entsprechend dem elastischen Bemessungsspektrum. Die verformungsbasierten Berechnungen erfolgen mit charakteristischen Baustoffeigenschaften, um das wirkliche nicht-lineare Ver-
formungsverhalten des Tragwerks besser zu erfassen. Diese im Vergleich zu den Baustoffeigenschaften auf Bemessungsniveau günstige Annahme wird anschliessend durch einen Partialfaktor ro = 1,3 kompensiert. Die verformungsbasierte Berechnung ist besonders geeignet für die Überprüfung bestehender Bauten, da das plastische Verformungsvermögens, anstelle einer Abschätzung mit einem pauschalen Verhaltensbeiwert, aufgrund einer detaillierten Tragwerksanalyse mit nicht-linearen Baustoffeigenschaften berechnet wird.
4.3 Tragfähigkeit von Betonbauten
Die Tragfähigkeit von Betonbauten kann entweder kräftebasiert oder verformungsbasiert berechnet werden. Voraussetzung für das verformungsbasierte Verfahren ist, dass das Tragwerk sogenannt verformungsfähig ist. Als verformungsfähig gilt ein Tragwerk, wenn alle seine tragenden Bauteile ein stabiles zyklisch-plastisches Verformungsverhalten aufweisen und spröde Versagensmechanismen, wie z.B. Schubzug- oder Schubdruckversagen, Biegeversagen mit Betonbruch vor Stahlfliessen und Biegeversagen infolge Reissen der Längsbewehrung bei kleiner plastischer Dehnung, ausgeschlossen sind. Tragwerke gelten als beschränkt verformungsfähig, wenn sie die Anforderungen an verformungsfähige Tragwerke nicht erfüllen.
Beim kräftebasierten Verfahren erfolgt die Berechnung mit dem Verhaltensbeiwert q, der gleich wie bei Neubauten aufgrund der Betonstahleigenschaften und der konstruktiven Gestaltung der Bewehrung angenommen wird. Das kräftebasierte Verfahren darf bei allen Tragwerken angewandt werden.
Beim verformungsbasierten Verfahren wird die maximale Sehnenverdrehung der Stahlbetonbauteile mit Hilfe der Spannungs-Dehnungs-Diagramme für Beton und Stahl bestimmt. Dazu werden einfache Formeln zur Abschätzung der nominellen Fliesskrümmung und der Länge der plastischen Gelenke nach Paulay & Priestley (1992) vorgegeben. Aus den Sehnenverdrehungen der Bauteile wird die horizontale Kraft-Verformungs-Beziehung des Tragwerks (Kapazitätskurve) berechnet und mit dem Verschiebungsbedarf verglichen. Das verformungsbasierte Verfahren darf nur bei verformungsfähigen Tragwerken angewandt werden.
4.4 Tragfähigkeit von Mauerwerksbauten
Die Beurteilung von Mauerwerksbauten erfolgt in der Regel nach dem kräftebasierten Verfahren mit dem gleichen Verhaltensbeiwert q = 1,5 wie für unbewehrtes Mauerwerk bei Neubauten. Auf die Normierung
61
SIA 2018 - Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
des verformungsbasierten Verfahrens wurde vorläufig 1_2
verzichtet, da die in der Literatur beschriebenen Vor-gehansweisen zu stark vom bewährten kräftebasierten Verfahren gernäss Norm SIA266 abweichen. Im Sinne einer Ausnahmeregelung wird auf den Teil 3 des Eurocodes 8 verwiesen (Eurocode 8 2004). Dort erfolgt der Vergleich zwischen Erdbebenauswirkungen und Verformungsvermögen auf der Basis von Stockwerkschiefstellungen.
Der Tragwiderstand einer Mauerwerkswand senkrecht zur Wandebene ist ebenfalls zu untersuchen. Er wird nicht formal berechnet, sondern durch Vergleich mit einer minimalen Wandschlankheit überprüft. ln Abhängigkeit von Erdbebenzone, Bauwerksklasse und Lage des betrachteten Stockwerks im Gebäude darf die Wandschlankheit höchstens 1/20 bis 1/17 betragen, um ein Versagen senkrecht zur Wandebene auszuschliessen.
4.5 Tragfähigkeit von Stahl· und Holzbauten
Für Stahlbauten, Stahl-Betan-Verbundbauten und Holzbauten stehen vorläufig im Merkblatt noch keine baustoffspezifischen Regelung zur Verfügung. Die Beurteilung erfolgt in der Regel nach dem kräftebasierten Verfahren.
4.6 Zustandsbeurteilung
Der zentrale Begriff für die Zustandsbeurteilung ist der Erfüllungsfaktor aeff· Er wird aus dem Vergleich des normengernässen Widerstands bzw. Verformungsvermögen Rd mit den normengernässen Auswirkungen Ed der Bemessungssituation Erdbeben bestimmt:
(1)
Bei einem Erfüllungsfaktor aerr= 1 werden die normgemässen Anforderungen für Neubauten voll erfüllt.
Für die Beurteilung des vorhandenen Erdbebenwiderstandes wird der Erfüllungsfaktor aerr mit den Reduktionsfaktoren aminund aadm verglichen. Je nach Lage des Erfüllungsfaktors werden bezüglich der Notwendigkeit von Ertüchtigungsmassnahmen drei Bereiche unterschieden: zurnutbare Massnahmen erforderlich, verhältnismässige Massnahmen erforderlich oder keine Massnahmen empfohlen, wie in den Abbildungen 4 und 5 dargestellt.
Der Reduktionsfaktor aminstellt das minimal erforderliche Sicherheitsniveau unabhängig von der Restnutzungsdauer dar. Es entspricht einer Begrenzung des Individualrisikos auf 10-5 pro Jahr. Das Individualrisiko entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass eine Einzelparsen infolge Erdbeben in einer Zeitspanne von einem Jahr zu Tode kommt. Für Bauwerksklasse I (normale Wohn- und Geschäftsgebäude) und Bau-
62
1.0
~ 0.8 keine assna fnen e pfohle Oodm
f..- r-..... ~ 1ii 0.6 ~ 0 ~
i'i 0.4 I/ verhal ismäs ige Ma snahm n ertor er! ich
w
0.2
0.0 10 20 30
""" zum tbare assna men e orderli h
40 50 60 70 80 90 100 Restnutzungsdauer [a]
Abb. 4: Beurteilung der Erdbebensicherheit in Funktion des Erfüllungsfaktors und der Restnutzungsdauer bei Bauwerksklassen I und II (SIA2018 2004)
werksklasse II (Schulen, Theater, Einkaufszentren usw.) wurde ein Reduktionsfaktor amin = 0,25 festgelegt (Abbildung 4). Für Bauwerksklasse 111 (Notfallzentralen, Feuerwehrgebäude, Ambulanzgaragen, usw.) wurde der Reduktionsfaktor auf amin = 0,4 erhöht, um der bei diesen Bauwerken grossen Bedeutung der Funktionstüchtigkeit nach einem Ereignis Rechnung zu tragen (Abbildung 5).
Der Reduktionsfaktor aadm grenzt denjenigen Bereich ab, oberhalb dessen keine Ertüchtigungsmassnahmen mehr empfohlen werden. Er ist abhängig von der Restnutzungsdauer des Bauwerks und entspricht ungefähr einer konstanten Überschreitungswahrscheinlichkeit des Bemessungserdbebens innerhalb der Zeitspanne der angenommenen Restnutzungsdauer (Abbildungen 4 und 5).
Die Beurteilung der Tragsicherheit erfolgt bei allen drei Bauwerksklassen aufgrund des Erfüllungsfaktor aeff· Bei der Bauwerksklasse 111 erfolgt zusätzlich die Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit (SIA 260) da dort die Verfügbarkeil von grosser Bedeutung ist.
1.2
1.0 kei e Mas nahme empf hlen
Oadm
• 0 0.8
~ • 0.6 " ~ 0
" " 0.4 "
/ -verh tnismä sioe M ssnah en erf rderlic
/ ""'" w
0.2 zum tbare assna mene orderli h
0.0 10 20 30 c BO 60 m 80 ao 100
Restnutzungsdauer [a]
Abb. 5: Beurteilung der Erdbebensicherheit in Funktion des Erfüllungsfaktors und der Restnutzungsdauer bei Bauwerksklasse 111 (SIA 2018 2004)
SIA 2018 - Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
Obwohl der Erfüllungsfaktors primär für die Beurteilung rechnerischer Nachweise konzipiert wurde, kann die Einhaltung der konzeptionellen und konstruktiven Massnahmen gernäss der Norm SIA 261 sinngernäss mit einem Erfüllungsfaktor beurteilt werden.
4.7 Massnahmenempfehlung
Grundsätzlich ist der normgernässe Zustand für Neubauten anzustreben. Wenn die Verhältnismässigkeit solcher Massnahmen gegeben ist, müssen diese ausgeführt werden. Wenn das Erreichen des normgernässen Zustands unverhältnismässige Kosten verursachen würde, sind Massnahmen nur soweit zu ergreifen, als sie noch verhältnismässig sind.
Solange der Erfüllungsfaktor unter dem Reduktionsfaktor amin liegt, sind Massnahmen zu ergreifen, deren Kosten zurnutbar sind. Wenn mit zurnutbaren Ertüchtigungsmassnahmen der Erfüllungsfaktor nicht mindestens auf den Reduktionsfaktor aminerhöht werden kann, muss das Individualrisiko mit betrieblichen Massnahmen begrenzt werden.
5 VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT UND ZU MUTBARKElT
Die Beurteilung der Verhältnismässigkeit und der Zumutbarkeit einer Erdbebenertüchtigungsmassnahme erfolgt über die sogenannte Rettungseffizienz. Als verhältnismässig gilt eine Massnahme, wenn die Rettungskosten kleiner als CHF 10 Mio. und als zumutbar, wenn sie kleiner als· CHF 100 Mio. pro gerettetes Menschenleben sind.
5.1 Rettungskosten
Die Rettungskosten sind definiert als Verhältnis der zu einer Massnahme gehörenden Sicherheitskosten SKM und der durch die Massnahme erzielbaren Risikoreduktion i1RM· Die Sicherheitskosten SKM in Franken pro Jahr berechnen sich als Produkt aus den anfänglichen sicherheitsbezogenen Investitionskosten für die betrachtete Massnahme und einem Diskontierungsfaktor in Funktion der angenommenen Restnutzungsdauer. Der anzunehmende Diskontzinssatz wurde auf 2% festgelegt. Die resultierenden Diskontierungsfaktoren sind im Merkblatt in Funktion der Restnutzungsdauer tabelliert.
Zu den Investitionskosten einer Massnahme gehö, ren sowohl die Baukosten inklusive Honorare als auch allfällige Kosten der eingeschränkten Nutzung während des Umbaus. Die Verhältnismässigkeit einer Ertüchtigungsmassnahme wird meist wesentlich verbessert, wenn sie zusammen mit einem sowieso geplanten Umbau oder einer Instandsetzung erfolgt
1.0E-03
1.0E-04
1.0E-06
t.OE-07
~
o.o o.1 o.2 o.3 o.4 o.s o.e o.7 o.a o.9 1.0 1.1 1.2 Erfüllungsfaktor u~11
Abb. 6: Risikofaktoren RF zur Berechnung der Risikoreduktion in Funktion des Erfüllungsfaktors aus SIA 2018 (2004)
und nicht alle Aufwendungen den sicherheitsbezogenen Investitionskosten angerechnet werden müssen.
5.2 Risikoreduktion
Die Risikoreduktion i1RM, ausgedrückt in geretteten Menschenleben pro Jahr, errechnet sich aus der Differenz des kollektiven Personenrisikos vor und nach der Umsetzung einer Ertüchtigungsmassnahme. Das Merkblatt ermöglicht eine einfache Abschätzung der Risikoreduktion i1RM als Produkt aus der mittleren Personenbelegung PB in Personen pro Jahr und der Differenz der Risikofaktoren i1RF vor und nach Umsetzung einer Massnahme:
(2)
Die dimensionslosen Risikofaktoren RF sind im Merkblatt in Funktion des Erfüllungsfaktors aeff gegeben {Abbildung 6). Zur Bestimmung der Differenz i1RFwerden die Risikofaktoren RF entsprechend dem Erfüllungsfaktor vor und nach der Realisierung einer Massnahme aus Abbildung 6 herausgelesen.
Für PB ist der Erwartungswert der Personenbelegung im Jahresdurchschnitt anzunehmen. Miteinzurechnen sind jene Personen, die im Umfeld des Bauwerks durch dessen Versagen gefährdet sind. Für die Abschätzung der Personenbelegung PB gibt das Merkblatt Richtwerte für die spezifische Personenbelegung von üblichen Gebäudetypen.
Im Allgemeinen genügt es, einzig die Risikoreduktion bezüglich geretteter Menschenleben zu betrachten. Die Risikoreduktion bei den Verletzten ist darin eingerechnet. Wenn Sachschäden eine gegenüber Personenschäden nicht zu vernachlässige Grösse annehmen z.B. bei besonders wertvollen Gebäudeinhalten, sollte die Risikoreduktion bei den Sachschäden
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SIA 2018 - Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben
ebenfalls berücksichtigt werden. Sie kann direkt bei den Sicherheitskosten SKM abgezogen werden.
Die Risikofaktoren RF wurden auf der Grundlage der Verletzbarkeilsklassen und der Schadengrade der EMS-98-Intensitätsskala für das Erdbebengefährdungsniveau in der Schweiz berechnet (Kölz & Duvernay 2005). Charakteristisch für den Kurvenverlauf in Abbildung 6 ist der starke Anstieg des Risikofaktors RF unterhalb eines Erfüllungsfaktors aeffvon etwa 0,3.
5.3 Fallbeispiel
Zur Veranschaulichung der Grössenordnungen von verhältnismässigen Sicherheitsinvestitionen werden diese in einem fiktiven Beispiel pro Person und für eine Restnutzungsdauer von 40 Jahren berechnet. Dies entspricht einem Diskontierungsfaktor von 0,037 pro Jahr. Ausgehend von einem relativ niedrigen Erfüllungsfaktor aeff = 0,1 im lstzustand, werden für eine Ertüchtigung bis zu einem Erfüllungsfaktor von 0,3 Investitionskosten bis zu CHF 14'000.-- bei einer mittleren Personenbelegung von einer Person verhältnismässig. Für eine weitergehende Ertüchtigung bis zu einem Erfüllungsgrad von 1 ,0 betragen die verhältnismässigen Investitionskosten CHF 16'000.-- pro Person. Für die Ertüchtigung über 0,3 hinaus bis 1 ,0 steht also nur die Differenz zwischen CHF 16'000.-- und CHF 14'000.-- oder CHF 2'000.-- pro Person als verhältnismässig zur Verfügung.
Mit dem Kriterium der Zumutbarkeit ergeben sich im gleichen Beispiel immerhin CHF 135'000.-- pro Person, um ausgehend vom Erfüllungsfaktor aeff = 0,1 aus den minimalen Reduktionsfaktor amin = 0,25 zu erreichen.
6 ERSTE ERFAHRUNGEN
Das Merkblatt SIA 2018 ist erst Ende 2004 erschienen, so dass noch wenige praktische Erfahrungen vorliegen. Im Allgemeinen zeigt es sich, dass Ertüchtigungsmassnahmen über einen Erfüllungsfaktor von etwa 0,3 hinaus oft unverhältnismässig sind. Andererseits stehen aufgrund des Kriteriums der Zumutbarkeit meist genügend Mittel zur Verfügung, um den Minimalwert des Erfüllungsfaktors von 0,25 zu erreichen. Es ist vorgesehen, das Merkblatt drei Jahre nach Erscheinen durch eine aufgrund der Erfahrungen überarbeitete Fassung zu ersetzen.
7 LITERATUR
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BWG (2005), Beurteilung der Erdbebensicherheit bestehender Gebäude, Konzept und Richtlinien für die Stufe 3, Weg-
64
Ieitungen des BWG. Bundesamt für Wasser und Geologie, www.bwg.admin.ch/themen/natur/d/pdf/ebvgs_3d.pdf, Siel.
DazioA. (2005), Tragfähigkeit von Betonbauten, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA 2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Eurocode 8 (1994), Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben- Tei1-1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und allgemeine Anforderungen an Bauwerke, Europäische Vornorm ENV 1998-1-1, Europäisches Komitee für Normung (GEN), Brüssel.
Eurocode 8 (2004), Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben- Teil 3: Beurteilung und Ertüchtigung von Gebäuden, Europäische Norm prEN 1998-3, Schlussentwurf, Europäisches Komitee für Normung (GEN), Brüssel.
Kölz E. & Duvernay B. (2005), Verhältnismässigkeit und Zumutbarkeit, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Lang K. & Lestuzzi P. (2005), Mauerwerk, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA 2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Paulay T., Priestley M.J.N. (1992) Seismic Design of Reinforced Concrete and Masonry Buildings. John Wiley & Sons, New York.
SIA 160 (1970) Normen fürdie Belastungsannahmen, die Inbetriebnahme und die Oberwachung der Bauten, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
SIA 160 (1989) Einwirkungen auf Tragwerke, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
SIA 260 (2003) Grundlagen der Projeldierung von Tragwerken, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
SIA 261 (2003) Einwirkungen auf Tragwerke, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
SIA 2018 (2004) Oberprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Merkblatt, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
SIA D0211 (2005), Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Vogt, R. (2005), Tragwerksanalyse, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA 2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Vogel, T. (2005), Einführung, Grundsätze, Massnahmenempfehlung, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Wenk T. (2005), Erdbebeneinwirkung, in: Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben, Einführung in das Merkblatt SIA 2018, Dokumentation SIA D 0211, Schweizer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
Michael Mistler1
'Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik, RWTH Aachen
1 EINLEITUNG
Im April 2005 ist die Neuausgabe der deutschen Erdbebennorm DIN 4149 "Bauten in deutschen Erdbebengebieten" im Weißdruck erschienen und beinhaltet wesentliche Änderungen gegenüber der alten Fassung. Die seismische Belastung ist durch Änderung der Erdbebenzonen und durch die Berücksichtigung der Untergrundverhältnisse den neueren Erkenntnissen angepasst worden. Dadurch können sich in Abhängigkeit vom Gebäudestandort höhere seismische Belastungen als nach der alten DIN 4149 ergeben. Insbesondere kann es bei Mauerwerksbauten in Erdbebenzone 3 und sogar auch schon in Erdbebenzone 2 zu Problemen in der Nachweisführung kommen, auch wenn die Möglichkeit gegeben ist, die Nachweise durch die Berücksichtigung der Tragwerksreserven mittels eines Verhaltensbeiwertes günstiger zu gestalten. Dieser Verhaltensbeiwert beschreibt das Verformungsvermögen eines Bauwerks und ist für die verschiedenen Mauerwerkstypen in der DIN 4149 pauschal festgelegt. Die Pauschalisierung liegt jedoch in den meisten Fällen auf der konservativen Seite. Durch eine stärker bauwerksspezifische Betrachtung ist es möglich, die Reserven besser auszunutzen. Häufig gelingt damit der Nachweis von Bauwerken, die nach dem Verfahren der Norm nicht nachweisbar sind. Die bauwerksspezifischere Betrachtung ist aber mit einem höheren rechnerischen Aufwand für den Tragwerksplaner verbunden, so dass in der Praxis aus Gründen des Kostendrucks die Gefahr besteht, das Mauerwerk durch andere Baustoffe, wie z.B. Stahlbeton, zu ersetzen.
Zur Lösung dieser Probleme wird in diesem Beitrag die Anwendung der Kapazitätsspektrumsmethode auf den Nachweis von Mauerwerksbauten vorgestellt und das seismische Verhalten von Mauerwerksgebäuden untersucht. Diese Methode ist bisher als fester Bestandteil in den amerikanischen Richtlinien verankert, ATC-40 (1996). Durch eine programmtechnische
Umsetzung dieser Methode kann außerdem die Berechnungszeit für den Tragwerksplaner minimiert werden. Dies macht den Einsatz von Mauerwerk auch in höheren Erdbebenzonen attraktiver.
2 KAPAZITÄTSSPEKTRUMSMETHODE
Die Kapazitätsspektrumsmethode ist ein nichtlineares statisches Berechnungsverfahren, das die Erdbebeneinwirkung direkt der Widerstandsfähigkeit des Gebäudes unter Berücksichtigung der plastischen Reserven gegenüberstellt. Das Verfahren ist 1975 von Freeman et al. entwickelt worden und wird seitdem insbesondere in den USA als anerkannte Methode zur Tragwerksanalyse herangezogen, ATC-40 (1996), FEMA 273 (1997). Auch in der europäischen Norm ENV 1998 (2004) werden nichtlineare statische Analysen mit einbezogen. Bei dieser Methode wird die seismische Beanspruchung mit Hilfe eines Antwortspektrums und die Kapazität des Gebäudes durch eine inelastische statische Last-Verformungskurve unter monoton wachsender Horizontallast bei konstant gehaltenen Vertikallasten (Pushover-Kurve) beschrieben. Seide Kurven werden in ein gemeinsames Spektralverschiebungs-Spektralbeschleunigungs-Diagramm überführt (Abb. 1 ). Der Schnittpunkt (Performance Point) beider Kurven gibt die maximale Spektralverschiebung an. Eine Beschränkung der Methode ergibt sich bisher
Antwortspektrum
Performance Point
'
Kapazitätss~ektrum
Sct,p Spektralverschiebung
Abb. 1: Kapazitätsspektrumsmethode
65
Seismisches Verhalten von Maue~erksbauten
-- .. ·•··· ,_.....,...
Abb. 2: Dynamisches Ersatzsystem
dadurch, dass sie auf dem Modell eines zweidimensionalen Einmassenschwingers basiert. Torsionseffekte bleiben unberücksichtigt. Dies soll im Folgenden dadurch wettgemacht werden, indem ein dreidimensionales Modell eines Einmassenschwingers mit Exzentrizität zugrunde gelegt wird, Abb. 2. Es werden die erforderlichen Berechnungen und Transformationen beschrieben, die dazu notwendig sind.
3 BESTIMMUNG DES KAPAZITÄTSSPEKTRUMS
Grundlage der Kapazitätsspektrumsmethode ist die Ermittlung der Pushover- bzw. Kapazitätskurve des gesamten Gebäudes und ihre Transformation im Kapazitätsbeschleunigung-Kapazitätsverschiebung-Diagramm (Sa-Sd-Diagramm). Ist das Gebäude im Aufriss regelmäßig und sind die lastabtragenden Schubwände vom untersten bis zum obersten Geschoss durchgängig vorhanden, kann davon ausgegangen werden, dass solche Mauerwerksbauten in ihrem Erdgeschoss (EG) versagen, Tomazevik et al. (1994). Daher reicht es aus, die vollständige Pushover-Kurve lediglich für das EG zu bestimmen. Wird weiterhin das Vorhandensein schubstarrer Decken vorausgesetzt, kann die Pushover-Kurve aus den bekannten Kapazitäten der in der betrachteten Belastungsrichtung vorhandenen aussteifenden Wände ermittelt werden.
3.1 Berechnung der Geschoss-Kapazitätskurve
Bei symmetrischen Grundrissen mit symmetrischer Masseverteilung lässt sich durch Superposition der einzelnen Wand-Kapazitätskurven eine Gesamtkapazität des Geschosses ermitteln, wenn die angreifende
--Massenmittelpunkt
""··~ > H dX
' =-····• ................ .
Initialisierung t
Last in Richtung der Symmetrieachse wirkt. Sind unregelmäßige Geometrien oder ungleichmäßige Massenverteilungen vorhanden, stellen sich auch Rotationen und Verformungen senkrecht zur Belastungsrichtung ein. ln diesem Fall muss die Gesamtkapazitätskurve des Geschosses durch einen doppeltiterativen Algorithmus ermittelt werden. Zunächst wird dem Stockwerk in Belastungsrichtung eine Verformung aufgezwungen und die resultierenden Kräfte aller Schubwände ausgewertet. Das resultierende Gesamtmoment bewirkt eine Rotation des Systems um den Massenmittelpunkt. Das System wird nun solange gedreht, bis sich das Moment zu Null ergibt. Die sich dabei einstellenden Ungleichgewichtskräfte senkrecht zur Belastungsrichtung sind durch eine Translation senkrecht zur Achse der ursprünglichen Auslenkung auszugleichen. Diese beiden Schritte werden so lange wiederholt, bis das System sich im Gleichgewicht befindet. Die aufgezwungenen Verformung und die in dieser Richtung resultierende Kraft ist ein Wertepaar der Last-Verformungs-Kurve des Stockwerks. Wird die Auslenkung weiter vergrößert, lässt sich die gesamte Kapazitätskurve des Geschosses ableiten.
3.2 Transformation in das Sa-Sd-Diagramm
Die Darstellung der Kapazitätskurve im Sa-Sd-Diagramm erfordert die Transformation eines jeden Punktes (Fb.;. L1EG.;) in den zugehörigen Punkt (Sa.;. sd.;), basierend auf dem Modell eines äquivalenten Einmassenschwingers unter Berücksichtigung der reduzierten Steifigkeit des (geschädigten) Erdgeschosses:
(1)
r/JEG.I Grundeigenfarm-Ordinate auf Höhe des EG
ß1 modaler Anteilsfaktor für die erste Grundeigenform ~~des Systems
Iteration
effektive Gesamtmasse des Gebäudes unter Berücksichtigung veränderlicher Massen,
Verhältnis der effektiven Modalmasse zur
I: F =0 - y I:M=O
. .................... :.j;
Abschluss
Abb. 3: Iterative Berechnung der Kapazitätskurve eines Geschosses
66
k • .: ...
Abb. 4: Ersatzsystem und Eigenformen im ungeschädigten und geschädigten Zustand
effektiven Gesamtmasse des Systems Mro~·
Vereinfachend wird angenommen, dass das Bauwerk nur horizontale Freiheitsgrade auf Stockwerkshöhe hat (Abb. 3).
Die sich verringernde Steifigkeit im Erdgeschoss hat erheblichen Einfluss auf das Schwingungsverhalten des Gebäudes. Bei der Transformation der Kapazitätskurve in das Kapazitätsspektrum sollte dies direkt berücksichtigt werden: Wird die Modalform im ungeschädigten Zustand der Transformation zu Grunde gelegt, ergeben sich deutlich größere Spektralverschiebungen als für das Modell mit sehr weichem EG (Abb. 5). Realitätsnäher kann das Kapazitätsspektrum dadurch bestimmt werden, indem für jeden Verschiebungszustand die Eigenform und der modal Anteilsfaktor unter Ansatz der zugehörigen Sekantensteifigkeit des EGs ausgewertet und für die Transformation benutzt werden. Für die übrigen Geschosse wird weiterhin elastisches Verhalten vorausgesetzt. Das resultierende Kapazitätsspektrum liegt zwischen den beiden vorher erwähnten Ansätzen. Zu bemerken ist, dass ein plötzlicher Steifigkeitsabfall, z.B. durch Versagen eines einzelnen Bauteils, gleichzeitig zu einer Abnahme der Spektralbeschleunigung und der Spektralauslenkung führt.
4 ABGEMINDERTES ANTWORTSPEKTRUM
Für die Kapazitätsspektrumsmethode wird ein elastisches Antwortspektrum Se(T) zur Charakterisierung der seismischen Beanspruchung benötigt. Dies kann ·
I i
-~ -----·: , , : k1=k2=k3 =const , ,
:__.=,_~~--- : kl << k2 = k3 \... ..... : ............... .
//kl <=k"=k, ' / k1 : Sekantensteifigkeit :
j I
k1,k2,k3 = const
Spektralverschiebung
Abb. 5: Auswirkung der Schädigung im EG auf das Kapazitätsspektrum
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
z. B. nach DIN 4149, Teil 1 bestimmt werden. Der Bemessungswert der Bodenbeschleunigung ag sowie die vom Untergrundtyp abhängigen Kontrollperioden Ts(S), Tc(S) und T0 (S) werden den Erdbebenkarten für den jeweiligen Gebäudestandort entnommen. Der Dämpfungs-Korrekturbeiwert '7 berücksichtigt die vorhandene ·viskose Dämpfung und hat für 5 % viskoser Dämpfung den Referenzwert von 1 . Er kann nach folgender Gleichung abgemindert werden:
(2)
( viskose Dämpfung der Struktur in [%].
Die Umrechnung des Antwortspektrums in das Sa-S,Diagramm erfolgt für jeden einzelnen Punkt i mit folgender Gleichung:
S . = T,' ·S . d,1 4Jr2 a,• (3)
Der Einfluss der Energiedissipation im nichtlinearen Bereich der Last-Verformungskurve infolge hysteresischen Verhaltens findet durch die Ermittlung einer äquivalenten elastischen Dämpfung und einer entsprechenden Abminderung des elastischen Antwortspektrums Berücksichtigung. Diese ist zu jeder spektralen Verschiebung neu zu bestimmen. Dadurch ist eine iterative Bestimmung des Performance Point notwendig. Dies hat zur Folge, dass zu jeder Spektralverschiebung quasi ein anderes Antwortspektrum zugeordnet wird.
1 E i' -1' +K·i' i' - D '::ocff - ':10 ':>eq • ':leq - 4-E
7r So
,;',ff effektive viskose Dämpfung
( 0 viskose Bauwerksdämpfung,
(4)
,;,, äquivalente viskose Dämpfung infolge hyste-resischen Verhaltens,
K materialspezifischer Korrekturbeiwert,
ED Hystereseenergie,
Es, maximale Dehnungsenergie.
Die physikalische Interpretation dieser Werte ist in Abb. 6 illustriert und kann entsprechend dieser Abbildung auch wie folgt berechnet werden:
S ·S -S ·S ~ = Ü 63 7 . a,y d,pi d,y a,pi
':lcq ' S · ·S . a,p1 d,p1
(5)
Zyklische Belastungsversuche für Mauerwerkswände zeigen, dass sich der tatsächliche Verlauf von Hystereseschleifen für Mauerwerk erheblich von dem durch den bilinearen Ansatz idealisierten Verlauf unterscheiden kann. Besonders deutliche Abweichungen
67
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
' '
Abb. 6: Bestimmung der äquivalenten viskosen Dämpfung
vom idealisierten Verhalten ergeben sich für ausgeprägte inelastische Verformungen. Daher erfolgt eine Anpassung und Begrenzung des hysteretischen Dämpfungsanteils ( 0 in der Form eines Anpassungsfaktors Kin Abhängigkeit der Wandverformung. Dieser entspricht dem Verhältnis zwischen der Fläche, die die tatsächliche Hysteresekurve umschließt, mit der aus der idealisierten, bilinearen Näherung ermittelten Hystereseschleife. Verbleibt die Wand im elastischen Zustand, ist dieser Faktor gleich 1. Für das stark eingeschnürte Hystereseverhalten wird im ATC 40 (1996) ein Wert von 0,33 vorgeschlagen.
5 NORMATIVE ANFORDERUNG AN DEN BE· RECHNUNGSABLAUF
Wie zuvor erwähnt ist der Nachweis der Tragfähigkeit erbracht, wenn ein Schnittpunkt zwischen beiden Kurven existiert, bevor es zu keinem Versagen wesentlicher Bauteile gekommen ist. Für den Nachweis der Gebrauchstauglichkeit (Schadensbegrenzung) kann die Stockwerksverschiebung mit Hilfe der ermittelten Spektralverschiebung berechnet werden.
Während das in den meisten europäischen Erdbebennormen für den Standsicherheitsnachweis verwendete Antwortspektrenverfahren auf einer rein kraftbasierten Methode unter Verwendung eines globalen Verhaltenbeiwerts basiert, stellt die Kapazitätsspektrumsmethode einen verschiebungsbezogenen Ansatz dar, der die tatsächlich vorhandene Duktilität und das materialspezifische hysteretische Verhalten berücksichtigt. Trotz dieses wesentlichen Unterschieds sollen und können die grundlegenden normativen Anforderungen an das Bauwerk in dieses Nachweisverfahren eingebunden werden.
Dazu gehört, dass die Trägheitsmassen unter Berücksichtigung der Vertikallasten ermittelt werden (vgl. Abschnitt 5.5, DIN 4149). Planmäßige Torsionswirkungen sind durch das Verfahren an sich schon berücksichtigt. Dagegen sind nicht planmäßige Torsionswirkungen, die sich aus der nicht genauen Kennt-
68
nis bezüglich der Lage der Massen und der räumlichen Veränderlichkeit der Erdbebenbewegung ergeben, direkt bei der Ermittlung der Pushever-Kurve zu berücksichtigen, indem der Massenschwerpunkt gegenüber seiner planmäßigen Lage in jeder Richtung um eine zufällige Exzentrizität en verschoben anzusetzen ist.
(6)
L; ist Geschossabmessungen senkrecht zur Einwirkungsrichtung. ln der Regel wird die horizontale Erdbebeneinwirkung durch zwei zueinander orthogonale Komponenten beschrieben, die als gleichzeitig wirkend zu betrachten sind. Die Kombination der Schnittgrößen darf entweder durch die Quadratwurzel der Quadratsumme oder mit Hilfe der folgenden Kornbinationsregel berücksichtigt werden (DIN 4149, Abschnitt 6.2.4):
EEdx El10,30·EEd,
0,30. E,dx EB EEdy (7)
EEd, und EEdy sind die sich infolge der Erdbebenlast ergebenden Schnittgrößen in Richtung der x-Achse bzw. y-Achse. EB bedeutet "zu kombinieren mit".
Das in Abschnitt 3.1 vorgestellte Verfahren zur Ermittlung der Kapazitätskurve eignet sich besonders gut zur direkten Einbeziehung der orthogonal wirkenden, zusätzlichen Erdbebenlast Bei der iterativen Ermittlung des Kräftegleichgewichts wird lediglich gefordert, dass die Summe der in senkrechter Richtung aktivierten Kräfte 30 % der aufnahmbaren Kraft in Hauptrichtung beträgt. Während sich das System ohne Einbeziehung der orthogonalen Belastung rein transialarisch verformen würde, resultiert aus der zusätzlichen Last neben einer Verschiebung in Richtung der Querachse auch eine Verdrehung des Systems, die wiederum zu einer Absenkung der Kapazität in der nachzuweisenden Hauptbelastungsrichtung führt.
Aufgrund der nichtlinearen Kapazitätsverläufe der Wände kann eine orthogonal wirkende Last auch günstigen Einfluss auf das als erstes versagende Bauteil haben aufgrund der Verschiebung des Steifigkeitszentrums. Damit wird es erforderlich, die orthogonale Last in beide Richtungen getrennt zu untersuchen. Des Weiteren sollte zur Berücksichtigung der zufälligen Massenexzentrizität der Nachweis der Tragfähigkeit eines Mauerwerksbauwerkes für vier verschiedene Positionen des Massenschwerpunkts erfolgen. Zusammen mit den jeweils zwei unterschiedlichen Laststellungen der orthogonal angreifenden, zusätzlichen Erdbebenlast ergeben sich daraus acht zu untersuchende Einwirkungskombinationen für jede
der beiden Bemessungsachsen. Der Nachweis der Tragfähigkeit ist erbracht, wenn der PerformancePoint ohne Wandversagen für alle Fälle existiert.
6 BERECHNUNG DER KAPAZITÄTSKURVE EINZELNER SCHUBWÄNDE
Die Anwendung der Kapazitätsspektrumsmethode erfordert die Berechnung der Kapazitätskurven aller vorhandenen Schubwände. Um diesen Berechnungsablauf zu vereinfachen, ist der Aufbau einer ( evtl. web-basierten) Datenbank in Abhängigkeit des Materials, des Geometrieverhältnisses und der Auflast vorgesehen. Die Einträge dieser Datenbank liefern Versuchsergebnisse und numerische Simulationen. Das hierfür programmierte verschmierte, nichtlineare orthotrope Materialmodell auf Basis der mehrflächigen Plastizität weist jedem Versagensmechanismus eine Fließfunktion (Abb. 7) und ein spezifisches Entfestigungsverhalten (Abb. 9) zu. Die dadurch entstehende zusammengesetzte Fließfigur ermöglicht eine nachvollziehbare und anschauliche Abbildung des nichtlinearen Materialverhaltens von Mauerwerk. Verwendet werden die Bruchkriterien der Schubbruchtheorie nach Mann und Müller (1978). Diese liegen der aktuellen deutschen Mauerwerksnorm DIN 1053, Teil 1 (1996) zu Grunde. Das Materialmodell wurde in das FE-Paket ANSYS® implementiert und kann das Tragverhalten von Mauerwerk unter monotoner und zykli-
G
(a) (b)
Abb. 9: Entfestigungsverhalten bei Schubversagen (a) bzw. Druckversagen (b)
+ I * *
I I *
I * e
* I 4 d -.
z "' • " J1
Plane ~ elements 0
-~ "'
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I\ ~ I I I I l I I I I I I I I I I I I I I I 1 I I I I I I\ I I I I I I I
Contact elements
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
-T
Abb. 7: Versagensfläche des numerischen Modells
scher bzw. dynamischen Belastung simulieren. Beispielhaft werden in Abb. 8 die numerisch berechnete Kapazitätskurve eines Schubwandversuchs mit den Versuchsergebnissen "ZW1" von Lurati und Thürlimann (1990) verglichen. Die Wand ist auf einem Betonfundament gebaut. Eine konstante Auflast von 345 kN wurde über eine Betondecke gleichmäßig aufgebracht und die horizontale Last auf diese Betondecke verschiebungsgesteuert aufgebracht. Abb. 8 zeigt das Finite-Elemente-Modell. Bei der Auflagerung sind die horizontalen Freiheitsgrade festgehalten, wohingegen Kontaktelemente in vertikale Richtung ein Abheben der Bodenplatte zulassen. Die Simulationsergebnisse stimmen mit den Versuchsergebnissen gut überein.
7 ANWENDUNGSBEISPIELE
7.1 Beispiel1: 3stöckiges Reihenhaus
Mit Hilfe des beschriebenen Verfahrens nun ein typisches, dreistöckiges Reihenhaus mit den Abmessungen von 6.5 m x 13.0 m und einer lichten Stockwerkshöhe von 2,50 m untersucht. Das Eigengewicht der Decken beträgt 5 kN/m2
. ln yRichtung ist das Gebäude durch zwei durchgängige
500
400
300
100 --o--- Experimental results "ZW1"
- Numerlcal simulation
0 0 5 10 15 20
Horizontal displacement {mm]
Abb. 8: Finite-Eiemente.Modell und berechnete Kapazitätskurve des "ZW1 "-Versuchs
69
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
0 Essen W2 HJD[] J bl []
KO~ 0 LX Wohnen
HJD~ r· 0 ßl r· Abb. 1 0: Reihenhaus-Grundriss
Außenwände ausgesteift, die eine ausreichende Stabilität des Gebäudes in dieser Richtung gewährleisten. Der seismische Nachweis wird daher nur in X
Richtung geführt. in dieser Richtung sind aus Hochlochziegel (HLZ 12/Jia) bestehende vier 1,25 m lange Außenwände (W2) und zwei 2,0 m lange Innenwände (W1) achsensymmetrisch angeordnet. Eine zufällige Ausmitte wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, da davon ausgegangen werden kann, dass torsionale Bewegungen des Gebäudes durch die sehr steifen Längswände in y-Richtung verhindert werden. Außerdem ist durch die Vernachlässigung von Ausmitten ein direkter Vergleich zwischen der Kapazitätsspektrumsmethode und des Antwortspektrenverfahrens möglich. Die Kapazitätskurven der Einzelwände werden den Versuchsergebnissen der zyklisch getesteten Schubwandversuche an der Universität Dortmund entnommen (Öles et al. (2003)). Die gesamte Kapazitätskurve des Stockwerks in X
Richtung, in Abb. 11 zu sehen, weist eine maximal aufnahmbare Last von 465 kN auf. Nach Transformation der Gesamtkapazitätskurve werden beide Kurven in das Sa-Sd·Diagramm eingetragen. in diesem Fall ist das Antwortspektrum nach DIN 4149 (Erdbebenzone 3, a9 = 0,8 m/s2
, Bodentyp B-R) gewählt worden. Der Schnittpunkt beider Kurven liegt im nichtlinearen Bereich des Kapazitätsspektrums. Dennoch tritt bei dieser Erdbebenstärke kein Stabilitätsversagen des Gebäudes ein. Zur besseren Interpretation wird der Verlauf der zugehörigen Dämpfungsanteile in Abb. 12
500
400
! 300
~ :s 200
~
- • - Kapazitätskurve W1
-:- • • · Kapazitätskurve W2
--Gesamtkapazitätskurw eines Stockv.erks
100 / '·--- •
. :.·-.-------- .. -".-" .-:..-.'"-=-""-""---0 .
0 0,2 0.4 0,6 0,8
Verschiebung [cm]
Abb. 11: Gesamtkapazitätskurve eines Stockwerks
70
dargestellt. Solange das Bauwerk sich linear verhält, ist die gesamte äquivalente viskose Dämpfung gleich der viskosen Bauteilsdämpfung. Im nichtlinearen Bereich wird der hysteretische Dämpfungsanteil, umgerechnet in eine äquivalente viskose Dämpfung, aufaddiert.
Mittels der Kapazitätsspektrummethode ist es auch möglich, die maximale Erdbebenstärke zu bestimmen, bei der das Gebäude gerade noch standsicher ist. Dies erfolgt in einem iterativen Prozess duch wiederholende Berechnungen mit dem skalierten
i 2,50 l ~ 2,00 i , "' '§ 1,50-.!!
~ 1,00.
"' • ~ 0,50.
i U) 0,00
- abgerrindertes Antw::lrtspektrum
- Kapazitätsspektrum
.... ----~-~--~-~
0,000 0,002 0,004 0,006 0,008 0,010
35
30
25
~ "'20 c
-a E 15 l!l
10
Spektrale Verschiebung des 1. stockwerks [m]
• - • • äquivalenter viskoser hysteretischer Dämpfungsanteil
- • -viskose Bauteildämpfung
--gesamte äquivalente viskose Dämpfung
... " " .
: 1_. ,_' _· -_·_·_· __ _ 0 0,002 0,004 0,006 0,008 0,01
Spektralverschiebung des 1. stockwerks [m]
Abb. 12: Bestimmung des Performance Point und Auswertung der äquivalenten viskosen Dämpfung
Ausgangsspektrums mittels des Bodenbeschleunigungswerts a9, bis sich die beiden Kurven gerade noch schneiden, Abb. 13. Der maximale Grundwert der Bodenbeschleunigung beträgt dann a9.max = 1 ,56 m/s2
• Die zu diesem Erdbeben auftretende maximale Schubkraft des Gebäudes, das eine Eigenperiode von T1 = 0,176 s hat, lässt sich mit Hilfe des Antwortspektrenverfahren ermitteln. Unter Verwendung eines Verhaltensbeiwertes von q = 1 ,5 (h/1 = 1) und eines berechneten modalen Anteilsfaktors von 0,92, ergibt sich ein Wert von 577 kN. Die maximal aufnahmbare Schubkraft liegt jedoch, wie erwähnt, bei nur 465 kN, vgl. Abb. 11. Obwohl das noch kein Versagen des
- Antwortspektrum "!; 4,5 Ii;' 5,0 l '; 4,0 - Kapazitätsspektrum 0 & 3,5 : "2 3,0 .il 2,5 ii 2,0 -1l 1,5 ." :1! 1,0 ].. 0,5 "' 0,0 -1'----~---~--~
0,000 0,002 0,004 0,006
Spektralverschiebung [m]
0,008 0,010
Abb. 13: Maximal aufnehmbares Erdbeben ( ag = 1,56 m/s2
)
Gebäudes stattgefunden hat, kann die Stabilität mit Hilfe des Antwortspektrenverfahrens nicht nachgewiesen werden. Dies bedeutet, dass das vereinfachte Antwortspektrenverfahren nicht alle im Mauerwerk vorhandenen plastischen Reserven ausnutzt und dass eine rein kraftbasierte Bemessung den realen Tragwerkswiderstand nicht erfassen kann.
7.2 Beispiel2: Freistehendes MW-Gebäude
Anhand eines freistehenden MW-Gebäudes mit den ·Abmessungen 5,0 m x 20,0 m (Abb. 15, links) soll der Einfluss von Torsionseffekten auf die Kapazitätskurve untersucht werden. Die Geschossanzahl, die Stockwerkshöhe und das Eigengewicht pro Flächeneinheit sollen gleich sein wie im ersten Beispiel. Alle Schubwände haben eine Länge von 2,50 m und sind vom gleichen Mauerwerkstyp wie in Beispiel 1. Zwei Außenwände sind in y-Richtung, drei Wände in X
Richtung vorhanden. Die Stützen haben keinen horizontalen Steifigkeitsbeitrag. Aufgrund konstanter Massenverteilung kann allein mit Hilfe des geometrischen Parameters 11 die Exzentrizität definiert werden.
Wl
Erdhebeurichtung
5,00
Abb. 15: Grundriss Beispiel 2
............ q
J
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
Für 11 = 3, 75 m ist der Steifigkeitsmittelpunkt genau im Massenschwerpunkt (keine Exzentrizität). in diesem Fall haben nur die Wände W1, W2 und W4 einen Einfluss auf die horizontale Steifigkeit des Gebäudes in x-Richtung. Alle drei Wände versagen gleichzeitig. Die zugehörige Pusheverkurve ist in Abb. 14, rechts (blau gestrichelt) dargestellt.
Für 11 = 0,0 m liegt der Steifigkeitsmittelpunkt unterhalb des Massenschwerpunkts. Eine Anregung des Massenschwerpunkts in x-Richtung erzeugt eine viel größere Verschiebung der Wand W1 als in den anderen vier Wänden. Daher wird Wand W1 zuerst versagen. Danach wird sich das Steifigkeitszentrum plötzlich viel weiter weg vom Massenschwerpunkt verschieben. Trotz des Versagens von Wand W1 hat das Gebäude eine Resttragfähigkeit, vgl. Kapazitätskurve
400 -1 /'~,
3501 / \ ' ' ' '
~ 300 I //\ \._ --mitExzentrizität
I ~~~ \( l,, -------V ~---so --- ------~-
0 -------,---------'
-- -- - ohne Exzentrizität
0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0
Erdgeschoss-Verschiebung [cm]
Abb. 14 Kapazitätskurve der beiden Konfigurationen
in Abb. 14, rechts (rot), einhergehend mit großen Verformungen. Die maximal aufnehmbare Schubkraft ist wesentlich geringer als in dem Fall ohne Exzentrizität.
8 DERVERHALTENSBEIWERT
Ein Vergleich beider Verfahren ist möglich, wenn mit Hilfe der Kapazitätsspektrumsmethode der Verhaltensbeiwert (Behaviour Factor) ermittelt und mit dem nach Norm erlaubten Wert verglichen wird. Dieser qFaktor wird definiert, indem die Kapazitätskurve eines tatsächlichen Bauwerks mit der Systemantwort eines rein elastischen Bauwerks mit den gleichen Anfangssteifigkeitseigenschatten verglichen wird. Der q-Faktor mit q = H,/Hdu ist das Verhältnis der Erdbebenkraft He bei linear-elastischem Strukturverhalten zu der minimalen seismischen Kraft Hdu des realen Bauwerks unter Miteinbeziehung zulässiger plastischer Verformungen (Tomazevik et al. (2004)).
Um den q-Faktor entsprechend der vorangestellten Definition zu bestimmen, ist es notwendig, erst das maximale Erdbeben zu bestimmen, das gerade noch kein Systemversagen zur Folge hat, vgl. Abschnitt 7.1. Aus dem sich ergebenden Performance Point wird die angreifende Erdbebenkraft H"" ermittelt. Die-
71
Seismisches Verhalten von Mauerwerksbauten
se wird ins Verhältnis gestellt mit der Erdbebenkraft He eines sich linear elastisch verhaltenden Gebäudes mit einer konstanten Steifigkeit, die gleich der Anfangssteifigkeit des realen Gebäudes ist. Daraus ergibt sich, dass der q-Faktor mit folgender Gleichung berechnet werden kann:
q = sa (Telastisch). aelastisch. MTot,cff
sa (TPerfPoint). aPerfPoint . MTot,eff
(8)
wobei S,(T) die zugehörige Spektralbeschleunigung und a das Verhältnis der effektiven Modalmasse zur effektiven Gesamtmasse MTot des Systems ist. a.1,.11,ch
ist im elastischen Zustand ermittelt, aPertPolot im Bereich der maximalen Auslenkung (Performance Point). Die Auswertung dieser Gleichung ergibt eine q-Faktor von 2,5. Zu Vergleichszwecken sind in Tabelle 1 die q-Faktoren für einen weiteren Bodentyp und für Kalksandsteine ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Annahme eines q-Faktors von 1,5 bei h/1 = 1 nach DIN 4149 (2005) eine auf der konservativen Seite liegende Annahme ist. Durch die verformungsbasierte Bestimmung der Kapazitätskurven unter Berücksichtigung des sich ändernden Schwingungsverhaltens und der tatsächlichen Wandkonfiguration können die Tragwerksreserven besser ausgenutzt werden.
Bodentyp Material
Hochlochziegel Kalksandstein (HLZ 12/IIa) (KS 20/DM)
B-R 2,5 3,4
C-R 2,1 2,8 .. ..
Tabelle I: q-Faktor emes dreistockigen Gebaudes
9 SCHLUSSBEMERKUNG
ln diesem Beitrag werden Mauerwerksbauten mit Hilfe eines auf der Kapazitätsspektrumsmethode basierenden Verfahrens untersucht und mit dem vereinfachten Antwortspektrenverfahren verglichen. Das Antwortspektrenverfahren ist ein rein kraftbasiertes Verfahren, das zur Berücksichtigung nichtlinearer Effekte mit pauschalen Verhaltensbeiwerten arbeitet. Die Kapazitätsspektrumsmethode ist eine verformungsbasierte Methode, die Materialfestigkeit, Duktilität und die infolge Hysterese dissipierte Energie berücksichtigt. Dabei erfolgt eine Berechnung an der konkret vorliegenden Bauwerkskonfiguration, es wird im Gegensatz zum Antwortspektrenverfahren kein konservativer pauschaler Verhaltensbeiwert verwendet. Ein Vergleich der beiden Verfahren erfolgt durch die Ableitung eines Verhaltensbeiwertes aus den Ergebnissen der Kapazitätsspektrumsmethode.
72
Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass die nichtlinearen Tragwerksreserven des Mauerwerks in vielen Fällen durch den normativ vorgegebenen Verhaltensbeiwert nicht ganz ausgenutzt werden. Für die Baubranche bedeutet dies, dass eine Verwendung von unbewehrtem Mauerwerk auch in der Erdbebenzone 3 eine alternative sein kann.
Die Anwendung der Kapazitätsspektrumsmethode für den Berechnungsingenieur in der Praxis kann durch eine programmtechnische Umsetzung unterstützt werden. Die Berechnungszeiten lassen sich durch Hinterlegung der Kapazitätskurven in einer Datenbank minimieren. Neben der besseren Ausnutzung der nichtlinearen Tragwerksreserven sind eine Berücksichtigung zusätzlicher Torsionseffekte und eine Erweiterung auf bewehrtes, verstärktes oder eingefasstes Mauerwerk problemlos möglich. Hierbei müssen nur die entsprechenden Kapazitätskurven in der Datenbank hinterlegt werden.
10 LITERATUR ATC-40 (1996}, Seismic Evaluation and Retrofit of Concrete Buildings, Applied Technology Council, Val. 1.
DIN 1053 (1996}, Teil 1, Mauerwerk, Berechnung und Ausführung, Normenausschuss Bauwesen (NABau} im DIN Deutsches Institut für Normung e.V.
DIN 4149 (2005}, Bauten in deutschen Erdbebengebieten, Normenausschuss Bauwesen (NABau} im DIN Deutsches Institut für Normung e.V.
ENV 1998 (2004 }, Eurocode 8 - Design of Structures for Earthquake Resistance, Comite Europeen de Normalisation, Brussels.
FEMA 273 (1997}, NEHRP guidelines for the seismic rehabilitation of buildings. Federal Emergency Management Agency. Washington, D.C., USA.
Freeman, S. A., Nicoletti, J. P., Tyrell, J. V. (1975}, Evaluations of existing buildings for seismic risk. Proceedings of 1st U.S. National Conference on Earthquake Engineering, 113-22. Berkeley, EERI, USA.
Lurati,f., Thürlimann, B. (1990}, Versuche an Mauerwerkswänden aus Zementstein, Bericht Nr. 8401-3, Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich.
Mann, W., Müller, H. (1978}, Schubtragfähigkeit von Mauerwerk. Berlin, Ernst & Sohn.
Öles, A., Löring, S. (2003} Tastversuche zur Identifizierung des Verhaltensfaktors von Mauerwerksbauten für den Erdbebennachweis. Abschlussbericht Lehrstuhl für Tragkonstruktionen, Universität Dortmund.
Tomazevik, M.; Weiss, P. (1994}, Seismic Behaviour of Plain - and Reinforced-Masonry Buildings. Journal of Structural Engineering, Val. 120, 323-338, ASCE.
Tomazevik, M., Bosiljkov, V., Weiss, P., Klemenc, I. (2004}, Experimental research for identification of structural behaviour factor for masonry buildings. Part I - research report P 115/00-650-1. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerksbau e.V. (DGIM}. Ljubljana, Slowenien.
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Christian Wallner und Lothar Stempniewski Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe (TH)
1 KURZFASSUNG
Die Ergebnisse verschiedener experimenteller Untersuchungen zur nachträglichen Verstärkung von seismisch beanspruchten Mauerwerksscheiben durch die Oberflächenapplikation von Faserverbundwerkstoffen werden vorgestellt. Zunächst erfolgten in Kleinversuchen Voruntersuchungen zur Bewertung und Auswahl potentieller Laminatwerkstoffe. Ausgewählte Materialien wurden anschließend auf realmaßstäbliche Mauerwerksbauteile aufgebracht, die in ihrer Ebene pseudodynamisch geprüft wurden. Hierbei wurden sowohl tragende Wandscheiben als auch Mauerwerksausfachungen von Stahlbetonrahmen berücksichtigt. Insgesamt ergaben sich so sieben Großversuche.
2 EINLEITUNG
Größere Erdbeben haben weltweit gezeigt, dass Mauerwerksscheiben in Form von tragenden Wänden oder als Ausfachungen von Stahlbetonrahmen den durch Erdbeben hervorgerufenen Horizontalbelastungen häufig nicht standhalten und dies zu großen Schäden bis hin zum Einsturz ganzer Bauwerke führen kann. Gründe hierfür können neben einer vor allem bei älteren Bauwerken häufig geringen Schubtragfähigkeit dieses traditionellen Baustoffes auch eine Unterschätzung möglicher auftretender Erdbebenlasten sein. Aufgrund der weltweiten Verbreitung dieser Bauweise gewinnt die Thematik der Erdbebenverstärkung von Mauerwerk daher zunehmend an Bedeutung.
Prinzipiell existieren verschiedene Möglichkeiten, die Schubtragfähigkeit und somit die Erdbebensicherheil von Mauerwerk im Bestand zu erhöhen. Diese reichen beispielsweise von stahlbewehrten Spritzbetonschichten über externe Vertikalvorspannung des Mauerwerks bis hin zu aufgeklebten und evtl. mechanisch verankerten Lamellen aus Stahl oder kohlefaserverstärktem Kunststoff (EIGawady et al. (2004 )). Meist sind diese Verfahren jedoch mit verschiedenen Einschränkungen verbunden. Eine interessante Alter-
Kohlenstoff Polyester Polyethylen E-Gias
(Tenax) (Diolen) (Dyneema)
Zugfestigkeit [Nimm']
3500 2400 1250 3000
E-Modul
[kN/mm'] 235-475 73 11 95
Bruchdehnung 0,7-1,5
[%] 3,3 14 3,6
Dichte [glcm']
1,80 2,60 1,38 0,97
Tabelle 1: Typische Eigenschaften der verwendeten Fasermaterialien.
native stellt daher das großflächige Auflaminieren von Faserverbundwerkstoffen auf die Mauerwerksoberflächen dar.
3 FASERVERBUNDWERKSTOFFE ZUR MAUER-WERKSVERSTÄRKUNG
Faserverbundwerkstoffe (FVW) entstehen durch Einbettung einer Faserstruktur in eine Matrix ("Kleber"). Aus mechanischer Sicht sind für die Festigkeit und Steifigkeit des hergestellten Verbundwerkstoffes hauptsächlich die Fasern verantwortlich, die Matrix gewährleistet die Kraftübertragung zwischen dem Grundmaterial und den Fasern sowie zwischen den einzelnen Fasersträngen und schützt die Fasern vor mechanischen und/oder chemischen Einwirkungen. Zur Bauteilverstärkung kommen im Wesentlichen flächige Fasergebilde in Form von Geweben (bei geringer Fadendichte als Gittergewebe bezeichnet) aus verschiedenen Materialien (Tabelle 1) zum Einsatz.
Als Matrix existieren zum einen die bauüblichen Epoxidharzsysteme, die neben ihren hohen Festigkeiten und chemischen Beständigkeilen allerdings auch diverse Nachteile besitzen (dampfsperrend, erhöhter erforderlicher Arbeitsschutz). Dennoch stellen faser-
73
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Epoxidharz mod. Zement-Mörtel (EH) (ZM)
Dichte [gicm'] 1,31 1,98
Zugfestigkeit [Nimm'] 30 7
E-Modul [Nimm'] 3800 17000
pH-Wert [-] 7,8 12,8
Diffusionszahl [-] ~ 10000 150
Tabelle 2: Eigenschaften der verwendeten Matrizes.
verstärkte Kunststoffe (FVK) bislang immer noch den Standard im Bereich der Mauerwerksverstärkung durch FVW dar (z.B. Schwegler (1994), Triantafillou (1998), EIGawady (2004)). Eine interessante Alternative besteht in zementgebundenen, kunststoffmodifizierten Matrizes, die aufgrund ihrer mineralischen Basis die bauphysikalisch wichtige Dampfdiffusion bei gleichzeitiger Flüssigkeitsundurchlässigkeit zulassen und deren mechanische Eigenschaften temperaturunabhängig sind. Der Kunstharzzusatz verbessert die Zugfestigkeit des Materials sowie die Verbundfestigkeit zu den eingebetteten Fasern.
ln den eigenen Untersuchungen wurden zwei verschiedene Matrizes zur Imprägnierung der Faserprodukte verwendet (Tabelle 2). Neben einem klassischen Epoxidharz wurde ein modifizierter Zementmörtel eingesetzt, der neben der hydraulisch abbindenden Hauptkomponente noch einen geringen Epoxidharzanteil besitzt. Anzumerken ist, dass die Fasern von gebräuchlichem E-Gias ("elektrisches Glas") im alkalischen Milieu aufgrund der Glasfaserkorrosion nicht beständig und somit für den Einsatz in zementgebundenen Matrizes nicht geeignet sind (vgl. pH-Wert, Tabelle 2). Auch eine Beschichtung der Fasern gewährleistet keinen vollkommenen Schutz, da diese beim Einbau zerstört werden kann.
Ein weiterer, entscheidender Unterschied zwischen den beiden Materialien ist das Brandverhalten. Hierzu wurden einfache Versuche durchgeführt, um den qualitativen Unterschied aufzuzeigen. Beide Materialien wurden mit Hilfe eines Bunsenbrenners mit einer rauschenden (blauen) Flamme beaufschlagt (Abb. 1 ). Es zeigte sich, dass das Epoxidharz entflammbar war und dies zu einer für eine Kunststoffverbrennung typischen Rauchentwicklung sowie zum Ausspritzen von Harzpartikeln führte. Der Zementmörtel hingegen war nicht zu entflammen, sondern zersetzte sich ähnlich wie andere zementgebundene Materialien an der Stelle der Hitzezufuhr. Beide Materialien verhielten sich bei Entfernen der Brandquelle selbstverlöschend.
74
Abb. 1: Durchführung einfacher Brandversuche an Epoxidharz (a) und Zementmörtel (b).
4 KLEINVERSUCHE
Zunächst wurden verschiedene Fasergewebe-MatrixKombinationen in Kleinversuchen untersucht und im Hinblick auf die späteren Großversuche einer Bewertung ihres mechanischen Verhaltens unterzogen.
Die Hauptbeanspruchung oberflächenapplizierter Laminate tritt über Rissen im Grundmaterial (Mauerwerk) auf, dessen Rissufer sich gegenseitig verschieben und vom Laminat überbrückt werden müssen. ln schubbeanspruchten Mauerwerksscheiben stellen verschiedenst orientierte Zugrisse in den Mauersteinen oder den Mörtelfugen sowie Scherrisse in den Lagerfugen die wesentlichen Versagensmechanismen dar. Hieraus ergaben sich zum einen die Aufbauten der Kleinversuche sowie die Forderung an die eingesetzten Fasergewebe, eine bidirektionale Struktur aufzuweisen, um den möglichen, im Voraus nicht eindeutig vorherzusagenden Rissorientierungen bestmöglich begegnen zu können.
4.1 Zugversuche
Für jede der neun berücksichtigten Gewebe-MatrixKombinationen wurden zwei verschiedene Winkel zwischen dem durch die trockene Steinfuge simulierten Riss des Grundmaterials und den Faserorientierungen der bidirektionalen Gewebe untersucht (Tabel-
Zwei-Stein-Prüfkörper (KS, SFK 12, unvermörtelt)
FVW-Laminat (beidseitig)
Abb. 2: Aufbau der Zug-Kieinversuche.
le 3). Zum einen wurde eine im Verhältnis zum Riss orthogonale bzw. parallele Ausrichtung (0° bzw. 90°) der Gewebestrukturen gewählt, zum anderen eine diagonale Orientierung (45°). Insgesamt ergaben sich somit 18 Kleinversuche auf Zug, deren Aufbau in Abb. 2 dargestellt ist.
Alle Epoxidharz-Prüfkörper versagten unabhängig vom Material der verwendeten Fasern oder deren Ausrichtung spröde ohne Vorankündigung. Mit Ausnahme von PK 5 (Geweberiss) löste sich durchweg das Laminat inklusive der äußeren Kalksandsteinschicht ab {Abb. 3a). Da das Versagen im Wesentlichen von der Oberflächenzugfestigkeit des Kalksandsteines (KS-Stein), die kleiner als die Verbundfestig-
Prüf-·Faser- Faser-
Flächen-Maximalkraft
körper aufbau material
gewicht Matrix [kN]
(PK) [glm']
112 GW Kohlenstoff 285 EH 10,34 I 9,69
314 GW E-Gias 395 EH 9,64 I 8,55
516 GW Polyester 265 EH 6,91 I 6,62
718 GW Polyethylen 130 EH 9,09 I 8,12
9 I 10 GW Kohlenstoff 285 ZM 6,51 I 4,91
11 I 12 GW Kohlenstoff 375 ZM 7,66 I 7,47
13 I 14 GT Kohlenstoff 2x159 ZM 3,00 I 3,92
15 I 16 GW Polyester 265 ZM 3,75 I 2,41
17 I 18 GW Polyethylen 130 ZM 4,85 I 2,76
GW=Gewebe ; GT =Gittergewebe
Tabelle 3: Zusammenstellung und Ergebnisse der Zug-Kleinversuche (0° I 45°-0rientierung).
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Abb. 3: Versagensmechanismen in Zugversuchen in Abhängigkeit der Matrix (Bruch in der Steinhaut bei Epoxidharz (a), Ablösungen bei Zementmörtel (b )).
keit zwischen Stein und Laminat ist, und nicht von den mechanischen Eigenschaften des Laminates selbst abhängig ist, waren die Unterschiede in den maximal aufnahmbaren Kräften nur gering.
Bei allen Prüfkörpern mit Zementmatrix hingegen traten aufgrund der geringeren Verbundfestigkeiten zwischen Faser und Matrix Gewebeablösungen auf, die ausgehend von der Fuge allmählich weiter fortschritten. Bei diagonal zur Fuge ausgerichteten Fasern (45°) schnürte sich das abgelöste Gewebe auf seiner freien Länge ein und verzögerte so den Ablösungsprozess (Abb. 3b ).
Allgemein ist festzustellen, dass die erreichten Maximalkräfte bei diagonal zum Riss ausgerichteten Faserlaminaten aufgrund der auftretenden Umlenkkräfte und der damit verbundenen zusätzlichen Beanspruchung des Verbundes kleiner sind als bei einer orthogonalen Anordnung. Eine Ausnahme im Rahmen der Versuchsergebnisse stellt lediglich das zweilagig applizierte Kohlenstoff-Gitter (PK 13/14) dar, dessen Ergebnisse jedoch zweifelhaft sind, da die hier geprüfte Laminatbreite von 70 mm vermutlich zu klein ist, um bei einer Maschenweite des Gitters von ca. 46 mm zuverlässige Ergebnisse gewährleisten zu können.
75
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
FVW~Laminat
(beidseitig)
Drei-Stein-Prüfkörper (KS 3DF, SFK 12, Mörtelfugen 12 mm)
Abb. 4: Aufbau der Schub-Kieinversuche.
4.2 Schubversuche
Von den ursprünglich neun geprüften Laminatvarianten verblieben nach Ausschluss ungeeigneter Kombinationen (z.B. Versagen durch Geweberiss im Zugversuch} noch fünf, die in den folgenden Schubversuchen weiter untersucht wurden. Hierbei wurden wiederum die zwei verschiedenen Winkel zwischen Faser- und Rissorientierung berücksichtigt (vgl. Kapitel 4.1 ). Der Versuchsaufbau (Abb. 4) wurde in Anlehnung an die Vorgaben der DIN EN 1052-3 zur Prüfung der Scherfestigkeit von Mauerwerk konzipiert. Ein Prüfkörper, bestehend aus drei vermörtelten Mauersteinen, wird hierbei mit einer über den Versuch konstant gehaltenen Vorlast überdrückt, während der mittlere Stein vertikal gegen die beiden aufgelagerten äußeren Steine belastet wird. Die verschiedenen Laminate waren auf beiden Seiten der Prüfkörper aufgebracht. Vorab wurde ein unverstärkter Referenzversuchskörper geprüft, um den Anteil der Mörtelfuge am Gesamtergebnis zu bestimmen.
Unabhängig von der Faserorientierung führte ein Epoxid-Laminat auch hier zu einem spröden Versagen infolge eines Bruches im Stein. Die Prüfkörper mit Zementmörtel-Matrix und einer 0°-Ausrichtung der Fasern zur Fuge konnten hingegen die aufnahmbaren Kräfte über größere Verschiebungen hinweg auf einem erhöhten Niveau halten (Abb. 5a). Grund hierfür sind die schrittweise auftretenden Ablösungserscheinungen ausgehend von der Fuge, die sich infolge der Umlenkkräfte im Bereich der sich schräg stellenden Faserstränge entwickelten. Dies führte zu einem vorteilhaften pseudoduktilen Versagensmechanismus über der Fuge.
Ein Vergleich mit den zugehörigen Prüfkörpern, die eine diagonale Ausrichtung der Faserstruktur aufwiesen (Abb. 5b}, zeigt, dass eine solche Orientierung zu einer deutlichen Reduktion der Duktilität des Laminat-
76
a)
1,6T""------:---===--------, -unverstärkt 1 -Glas-Gewebe (395 g/m")+EH
,4 ·-•--· Kohlenstoff-Gewebe (285 gfm~)+ZM f ·· •- Kohlenstoff-Gewebe (375 gfm')+ZM E 1 ,2 ·-... ·~Polyester-Gewebe (265 g/m")+ZM _ -+--Kohlenstoff-Gitter (2x159 gfm')+ZM
~ 10 "' , c ~ 0,8 c
"' ]" 0'6 nll- •~-r~l····c:c;:jtc:::: :"''+'":-·-~·~---···· ~
~ 0,4 1'-1""---
b)
0,2
o+-~--~--~~--~--r-~ 0 5 10 15 20 25 30 35
Verschiebung (mm]
1,6T""--------;::.,.,..-----~ -unverstärkt
5
-Glas-Gewebe (395 g/m')+EH ~•-Kohlenstoff-Gewebe (285 g/m')+ZM ~•···Kohlenstoff-Gewebe (375 g/m')+ZM ~.t..- Polyester -Gewebe (265 g/m')+ ZM -+-Kohlenstoff-Gitter {2x159 g/m')+ZM
10 15 Verschiebung [mm]
Abb. 5: Ergebnisse der Schub-Kleinversuchs bei einer Faserorientierung von oo (a) und 45o (b).
systems führt. Die Faserstruktur wurde bereits bei kleinsten Rissuferverschiebungen unmittelbar beansprucht und löste sich entlang der Prüfkörperdiagonalen ab, was zum abrupten Ausfall der Laminatverstärkung führte.
5 GROSSVERSUCHE
ln den anschließenden Bauteil-Großversuchen (Maßstab 1:1) sollte der Ertüchtigungserfolg von ausgewählten Laminat-Werkstoffen an tragenden Mauerwerkswänden, die durch die auftretenden Erdbebenlasten zusätzlich horizontal schubbeansprucht werden, sowie an Mauerwerksausfachungen von Stahlbetonrahmen überprüft werden.
Die Aufbringung der seismischen Horizontalbelastung in Prüfkörperebene erfolgte mit Hilfe der pseudodynamischen Versuchsmethodik (z.B. Shing et al. (1996)). Eine realistische Erdbebenbelastung des Systems wird hierbei durch eine iterative Lösung der Bewegungsdifferentialgleichung ermittelt. Dies übernimmt ein EDV-ausgeführter Rechenalgorithmus, der parallel während des Versuchsablaufes für jeden Zeit-
Schwingungsdauer [sec]
Abb. 6: Antwortspektrum des verwendeten Akzelerogrammes (5 % viskose Dämpfung).
schritt die auf den Prüfkörper aufzubringenden Verschiebungen ermittelt. Der große Vorteil dieser Methodik ist, dass die auftretenden Trägheits- und viskosen Dämpfungskräfte rechnerisch simuliert und daher nicht experimentell abgebildet werden müssen. Lediglich die direkt prüfkörperabhängigen Gleichungsanteile in Gestalt der teils stark nichtlinearen Rückstellkräfte werden mit Hilfe üblicher Versuchseinrichtungen experimentell bestimmt. Somit wird der Prüfkörper einer aus der Systemantwort interaktiv ermittelten, ständig aktualisierten Lastgeschichte unterworfen und erfährt die gleiche Belastung, die im Falle eines realen Erdbebens auf ihn einwirken würde.
Zur Berechnung und Steuerung der Last- bzw. zur Erfassung der Messgrößen wurde der von Thiele (2000) entwickelte Algorithmus verwendet. Als Ausgangsbeschleunigungsverlauf diente die gemessene Nord-Süd-Komponente des Vrancea-Erdbebens (Rumänien) aus dem Jahre 1990. Dieses seismische Ereignis besaß eine Richter-Magnitude von 6,7 und einen Spitzenwert der Beschleunigung von 0,77 rn/sec". Das zugehörige Antwortspektrum ist in Abb. 6 dargestellt. Die Steigerung der Belastung erfolgte durch schrittweises Hochskalieren des Akzelerogrammes.
5.1 Wandversuche
Insgesamt wurden fünf Bauteilversuche an Mauerwerkstragwänden durchgeführt, wobei ein unverstärkter Prüfkörper als Referenz für die restlichen ertüchtigten Versuchskörper diente (Tabelle 4). Letztere wurden vor ihrer Ertüchtigung pseudodynamisch mit dem unskalierten, real gemessenen Erdbebenbeschleunigungsverlauf vorgeschädigt, um einen realistischen und konstant definierten Ausgangszustand zu erzeugen. Im Rahmen dieser Vorschädigung wurde die Traglast der unverstärkten Prüfkörper überschritten und erste Risse bildeten sich. Anschließend wurden die verschiedenen FVW-Laminate beidseitig auf die Wandoberflächen aufgebracht. Um die erwartungs-
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Auflast 132 kN/m
Stahlt•eton-Elalken Hydraulikzylinder
GEWI-Stangen
Mauerwerkswand (d= 24 cm)
Abb. 7: Aufbau der Wand-Großversuche.
gemäß erhöhten Kräfte zwischen dem ertüchtigten Mauerwerk und den angrenzenden Betonbauteilen übertragen zu können, wurden die Übergangsfugen mittels aufgedübelter Stahlbänder verstärkt.
Die Mauerwerksscheiben hatten einheitlich eine Größe von 2,5 x 2,5 x 0,24 m3 (Abb. 7). Eine konstante Auflast von 0,55 Nimm' wurde aufgebracht, um den Effekt darüber liegender Geschosse nachzubilden. Seitliche Zugstangen am Kopfbalken behinderten eine freie Rotation des Wandkopfes, um den Einfluss angrenzender Bauteile, wie z.B. durchlaufender Deckenplatten, zu simulieren. Die Wahl der Baustoffe für die Versuchskörper sollte den Verhältnissen entsprechen, die häufig in besonders schadensanfälligen, meist älteren Bauwerken anzutreffen sind. Es wurden daher kleinformatige Vollsteine (KS 4DF) der Steinfestigkeitsklasse (SFK) 12 in Verbindung mit einem niederfesten Normalmauermörtel (mittlere Prismendruckfestigkeit 2,5 Nimm') verwendet. Das Fugenraster entsprach einem mittigen Läuferverband und die Stoßfugen wurden vermörtelt
Bei Verwendung von Epoxidharz (Wand 4) wurden 50 cm breite Gewebestreifen auf die Wanddiagonalen aufgebracht (Abb. 8a), d.h. der Winkel zwischen den
Prüf-Faserverstärkung
körper
Flächengewicht
[glm']
Referenz (unverstärkt)
2 Kohlenstoff-Gewebe 285
3 Polyester-Gewebe 265
4 E-Gias-Gewebe
395 (Diagonalstreifen)
5 Kohlenstoff-Gitter
2x159 (zweilagig)
Matrix
Zementmörtel
Zementmörtel
Epoxidharz
Zementmörtel
Tabelle 4: Zusammenstellung der Wand-Prüfkörper.
77
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Abb. 8: Applikation der FVW-Laminate an Wand 4 (a) und Wand 2 (b).
Fasern und den Mauerwerksfugen betrug 45°. Die Applikation der Zementmörtel-Laminate erfolgte vollflächig (Abb. Sb), wobei die Orientierung der Faserstruktur der Ausrichtung des Mauerwerksfugenrasters entsprach (0°/90°).
Der unverstärkte Prüfkörper (Wand 1) entwickelte nach anfänglich elastischem Verhalten ein für Schubwände typisches Fugenversagen entlang den Diagonalen der Wandscheibe (Abb. 9) mit Öffnungen der Treppenrisse bis zu 15 mm. Diese Versagensart ist durch größere plastische Verformungen gekennzeichnet, deren erstmaliges Auftreten ohne Vorankündigung stattfindet. Dies veranschaulicht Abb. 10a die eine Überlagerung der Hysteresen der verschied~nen Laststufen darstellt.
Abb. 9: Rissbild der unverstärkten Referenzwand (Wand 1) nach Versuchsende.
78
-15 -10 -5 0 5 10 15 20 25 Verschiebung [mm]
Abb. 10: Hysteresen Wand 1 (a) und Wand 2 (b).
Bei allen ertüchtigten Prüfkörpern war in den ersten Laststufen lediglich ein Kippen der Wandscheiben wahrzunehmen. Mit zunehmender Steigerung des Lastniveaus traten Schädigungen des Mauerwerks im Bereich der unteren Wandecken sowie Ablösungen der Laminate auf. Die Versuche an Wand 2 und 3 wurden eingestellt, als die Ablösungen so weit fortgeschritten waren, dass kein weiterer Einfluss der Ertüchtigung zu erwarten war bzw. das darunter liegende Mauerwerk starke Zerstörungen aufwies. Allgemein entwickelten sich Schädigungen bzw. plastische Verformungen im Gegensatz zur unverstärkten Wand schrittweise mit durch die Gewebeablösungen optisch und akustisch wahrnehmbarer Vorankündigung. Dies bestätigt der deutlich symmetrischere Kurvenverlauf exemplarisch fürWand 2 (Abb. 10b).
Bei der streifenförmig verstärkten Wand 4 bildeten sich in den unverstärkten Wandbereichen zahlreiche Risse im Mauerwerk aus. Das Versagen trat schließlich infolge großflächiger Ablösungen des FVKLaminates in den Wandecken und einem Riss des Gewebes über der gesamten Streifenbreite in Wandmitte ein. Bei Wand 5 führte ein Riss der Gitterlagen entlang einer Lagerluge auf der ganzen Wandlänge, verbunden mit starken Ablösungen in diesem Bereich, zu einem Ausfall der Verstärkungsmaßnahme.
Analog zu den Beobachtungen in den Kleinversuchen zeigte sich auch hier, dass bei Verwendung einer Epoxidharz-Matrix das Verbundversagen infolge emes Sprödbruches im Mauerstein eintritt, während
600~-----------------------------.
500
~ 400 ~
""' ]§ 300
2 "§ 200 J:
100 Wand 1 (Referenz)
Wand5 -·-·-·-.
··-wand 3
o+------.------,------.----~ 0 10 20 30 40
Kopfverschiebung [mmJ
Abb. 11: Quasi-statische Einhüllenden der pseudodynamischen Wandversuche.
ein zementöses Material zunächst schrittweise Ablösungen der Faserstruktur von der Matrix zulässt
Die Zusammenstellung der Einhüllenden aller Wandversuche (Abb. 11) zeigt deutlich das verbesserte Strukturverhalten der ertüchtigten Wandscheiben. Die Traglasten erhöhten sich !rotz vorangegangener Vorschädigung der Wände erheblich (um bis zu 150 %) und das Versagen änderte sich von einem spröden zu einem sich durch eine allmähliche Steifigkeitsabnahme ankündigenden Mechanismus. Des Weiteren konnte die Anfangssteifigkeit der ungeschädigten Wand durchweg wiederhergestellt werden.
5.2 Rahmenversuche
ln einer zweiten Versuchseinrichtung wurde die Möglichkeit zur Ertüchtigung von ausgefachten Stahlbetonrahmen durch die nachträgliche Verstärkung des unter Horizontallasten entscheidend mitwirkenden Mauerwerks geprüft.
Der Versuchsaufbau (Abb. 12) entspricht prinzipiell dem der Wandversuche. Die Prüfkörper waren nun jedoch bewehrte Stahlbetonrahmen mit quadratischen Stützenquerschnitten und einer mittleren Betondruckfestigkeit von 30,6 Nimm' (nach 28 Tagen). Statt eines Plattenbalkenquerschnittes wurde für den Riegel ein äquivalenter Rechteckquerschnitt gewählt Die Vorbemessung des Rahmens zur Ermittlung der angeordneten Bewehrung erfolgte für eine Lastkombination aus üblichen Vertikallasten (Eigengewicht, Verkehrslasten) sowie Windeinwirkungen. Der untersuchte Rahmen repräsentiert hierbei ein Innenfeld im untersten Geschoss eines fünfstöckigen Skelettbaus. Erdbebenbeanspruchungen wurden hierbei nicht berücksichtigt Die Auflast pro Rahmenstütze betrug jeweils 400 kN.
Das Mauerwerk wurde im Rahmen der Vorbemessung als nichttragend angesehen und blieb gegenüber den Wandversuchen unverändert, lediglich die
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
Mauerwerkswand (d= 17,5 cm)
Hydraulikzylinder
b/h= 30/60 cm 4020 je Seite Bü010-20
Abb. 12: Aufbau der Rahmen-Großversuche.
Wanddicke wurde auf 17,5 cm (3DF-Steine) reduziert. Die Ausfachungswand wurde weder durch Fugen vom Rahmen abgetrennt, noch durch spezielle Konstruktionen an diesen angeschlossen, sondern satt eingemauert.
Der erste Rahmen diente als unverstärkter Referenzprüfkörper. Das im Vergleich zum Rahmen wesentlich steifere Mauerwerk erreichte aufgrund der fehlenden Auflast bereits bei geringen Kopfauslenkungen seine Schubtragfähigkeit Das Kraftniveau blieb jedoch durch Ausbildung einer Druckstrebe im allseitig eingefassten Mauerwerk und dadurch aktivierte Fugenreibung auch bei zunehmenden Verschiebungen nahezu konstant (Abb. 14). Erst bei großen Kopfverschiebungen war die Ausfachung so druckgeschädigt, dass ein Kraftabfall eintrat
Das Rissbild im Mauerwerk (Abb. 13) war zunächst durch getreppte Diagonalrisse geprägt, die sich anfangs infolge des noch elastischen Rahmens wieder schlossen. Mit zunehmender Laststeigerung passte sich das eingeschlossene Mauerwerk der durch den Rahmen vorgegebenen Verformungsfigur an, was zu gegenseitigen Verschiebungen der einzelnen Steinlagen und somit zu Scherrissen in den Lagerfugen führte. Im Bereich der Rahmenecken bildeten sich in den Stützen Biegerisse, die sich mit fort-
Abb. 13: Rissbild des unverstärkten Referenzrahmens (Rahmen 1) nach Versuchsende.
79
Nachträgliche Verstärkung von Mauerwerk für Erdbebenlasten
600
500 z =. 400 "" ~
I :
~
]i 300 c 0 N 200 ·c 0 :r:
100
0 0
,•
__ - -- Rahmen 2 ---- --------Rahmen 1
(Referenz)
25 50 Kopfverschiebung [mm]
75
Abb. 14: Quasi-statische Einhüllenden der pseudodynamischen Rahmenversuche.
schreitender Laststeigerung in Richtung Stützenmitte ausbreiteten.
Der zweite Versuchskörper wurde zunächst analog zum Vorgehen bei den Wandversuchen vorgeschädigt und anschließend ertüchtigt. Hierzu wurde ein 375 g/m2 schweres, bidirektionales Kohlenstofffasergewebe vollflächig in Kombination mit der Zementmörtel-Matrix einlagig auf beide Wandseiten appliziert. Im Versuch löste sich das Laminat verstärkt über den Lagerfugen des Mauerwerks ab, ohne dass es einen entscheidenden Verstärkungseinfluss auf das Gesamtsystem hatte (Abb. 14 ). Der Hauptgrund hierfür dürfie in den im Vergleich zu den Wandversuchen veränderten Randbedingungen für das Mauerwerk liegen. Eine rahmeneingefasste Ausfachungswand besitzt nicht die Möglichkeit, sich zunächst durch Kippen der Last zu entziehen, sondern wird unmittelbar durch die Kammerung in eine vorgegebene Verformung gezwängt, was zu einer zusätzlichen Beanspruchung des Laminates und somit einem frühzeitigen Versagen der Ertüchtigungsmaßnahme führt.
Zumindest die Anfangssteifigkeit des ungeschädigten, unverstärkten Prüfkörpers (Rahmen 1) konnte wiederhergestellt werden.
6 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Umfangreiche experimentelle Untersuchungen zur nachträglichen Erdbebenverstärkung von vorgeschädigten Mauerwerksstrukturen durch den Einsatz oberflächenapplizierter Faserverbundwerkstoffe wurden durchgeführt. Während durch die Ertüchtigung des in einem Stahlbetonrahmen eingefassten Mauerwerks im Wesentlichen der Ausgangszustand der ungeschädigten Struktur wiederhergestellt, jedoch kaum verbessert werden konnte, waren die Auswirkungen bei reinen Wandscheiben deutlich ausgeprägter. So konnten die Traglasten im Vergleich zur unverstärkten Struktur signifikant erhöht werden. Im Gegensatz zu
80
einem mauerwerkstypisch spröden Bruchvorgang konnte ein sich ankündigender Versagensprozess erreicht werden. Vor allem die Verwendung von modifizierten Zementmatrizes kann sowohl unter mechanischen als auch bauphysikalischen und brandschutztechnischen Aspekten ausdrücklich empfohlen werden.
in weiteren Versuchen soll geklärt werden, zu welchen Verbesserungen die ausgewählten Ertüchtigungsmaßnahmen bei geänderter Wandgeometrie (z.B. durch Einfügen einer Wandöffnung) führen.
7 LITERATUR
DIN EN 1052-3 (2002), Prüfverfahren für Mauerwerk -Teil 3: Bestimmung der Anfangsscherfestigkeit (Haftfestigkeit), Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. EIGawady, M., Lestuzzi, P. & Badoux, M. (2004), A Review of Conventional Seismic Retrofitting Techniques for URM, Proceedings of the 13th International Brick/Biock Masonry Conference, Amsterdam, 4-7 July 2004, 381-390.
EIGawady, M. (2004), Seismic ln-Plane Behavior of URM Walls Upgraded with Composites, EPFL Lausanne. Schwegler, G. (1994 ), Verstärken von Mauerwerk mit Faserverbundwerkstoffen in seismisch gefährdeten Zonen, EMPA Dübendorf. Shing, P. B., Nakashima, M. & Bursi, 0. S. (1996), Application of Pseudodynamic Test Method to Structural Research, Earthquake Spectra, 12, 1, 29-43.
Thiele, K. (2000), Pseudodynamische Versuche an Tragwerken mit großen Steifigkeitsänderungen und mehreren Freiheitsgraden, Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich. Triantafillou, T.C. (1998), Strengthening of Masonry Structures Using Epoxy-bonded FRP Laminates, Journal of Composites for Construction, 2, 2, 96-103.
Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
Günter Leydecker1, Timo Schmitt1, Holger Busche 1 und Thomas Schaefer"
1 Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 2 Bundesamt für Strahlenschutz, Salzgitter
1 EINLEITUNG
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat in den Jahren 2001 bis 2003 im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach § 6 des Atomgesetzes (AtG) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz für die Standorte von Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente an deutschen Kernkraftwerken bzw. nach § 7 AtG für den Rückbau eines Kernkraftwerkes im Auftrag des TÜV-Nord gutachterliehe Stellungnahmen zu den jeweiligen gutachterlieh empfohlenen ingenieurseismologischen Kenngrößen erstellt. Für 13 Standorte wurden von uns entsprechend der Regel des Kerntechnischen Ausschusses KTA 2201.1 standortbezogene Gutachten angefertigt. Die Bestimmung der Intensität des jeweiligen Bemessungserdbebens erfolgte deterministisch und auch probabilistisch für eine Überschreitenswahrscheinlichkeit von 10"5 I Jahr, sofern die Erdbebendaten einer gesicherten statistischen Auswertung genügten. Einbezogen wurden immer die geologische Entwicklung der Standortumgebung und die Neotektonik.
2 VORGEHENSWEISE ZUR BESTIMMUNG DES BEMESSUNGSERDBEBENS
Die Aufgabe der gutachterliehen Stellungnahmen der BGR bestand darin, das den Standort betreffende ingenieurseismologische Gutachten des Kraftwerkbetreibers zu prüfen und eine Bewertung abzugeben. Dazu wurde von der BGR eine eigene Begutachtung des Standortes durchgeführt und anschließend die Ergebnisse beider Gutachten verglichen.
Die Erstellung eines ingenieurseismologischen Gutachtens ist nicht normiert. Basis eines solchen Gutachtens ist das Regelwerk KTA 2201 .1 in der derzeit gültigen Fassung von 1990: "Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen, Teil1: Grundsätze". Darin werden die grundlegende Vorgehensweise und die Inhalte festgelegt. Wie de-
tailliert ein Gutachten auszuführen ist und welche Annahmen und Festlegungen im Einzelnen getroffen werden dürfen oder müssen, liegt in der Verantwortung des Verfassers. Allerdings muss sich der Gutachter am Stand von Wissenschaft und Technik orientieren, seine zugrunde gelegten Daten müssen nachprüfbar, seine Argumente nachvollziehbar und seine Schlussfolgerungen plausibel sein.
Abb. 1: Epizentrenkarte (Leydecker 2005) und seismotektonische Einteilung von Leydecker & Aichele (1998).
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Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
Grundlage unserer Gutachten ist der Erdbebenkatalog für die Bundesrepublik Deutschland (Leydecker 2005) in der jeweils aktuellen Fassung und die seismotektonische Einteilung von Leydecker & Aichele (1998) (Abb. 1 ). Der Oberrheingraben wurde - wie in. Leydecker & Aichele (1998) vorgeschlagen -von uns weiter unterteilt. Für eine Einteilung in seismotektonische Regionen sind geologische Entwicklung, Tektonik und Seismizität zu berücksichtigen. Innerhalb jeder Region wird eine Gleichverteilung· zukünftiger Epizentren angenommen.
2.1 Deterministische Ableitung des Bemes-sungserdbebens
Laut KTA 2201.1 (1990) ist als Bemessungserdbeben "das Erdbeben mit der für den Standort größten Intensität anzunehmen, das unter Berücksichtigung einer größeren Umgebung des Standortes (bis etwa 200 km vom Standort) nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auftreten kann." Dabei ist für Beben innerhalb der Standortregion anzunehmen, dass solche auch in der Nähe des Standortes eintreten können. Nach unserem Verständnis ist damit ein Beben an der dem Standort nächstgelegenen "aktiven" Störung anzunehmen. Als "aktiv" ·wird von uns eine Störung mit Letztbewegungen im Zeitraum der letzten 5 Mio. Jahre, d.h. seit Ende Tertiär und im Quartär, angesehen. Erdbeben aus umliegenden Regionen sind an der dem Standort nächstgelegenen Stelle auf der Grenze ihrer seismotektonischen Einheit anzunehmen und ihre Auswirkungen auf den Standort sind zu bestimmen. Die Berechnung der Schütterwirkung auf den Standort erfolgt mit dem Intensitäts-Abnahmegesetz in Spanheuer (1960):
ls = I o- 3log( ~) -1,3a(r - h) (1)
mit: ls = Standortintensität [MSK] ! 0 = Epizentralintensität [MSK] r = Hypozentralentfernung [km] h = Herdtiefe [km] a = Absorptionskoeffizient des Untergrundes
[km.1] (hier 0,002/km)
Für jede Region wurde eine charakteristische Herdtiefe ermittelt. Diese beschreibt den Bereich maximaler Energiefreisetzung. Einige Regionen weisen zwei charakteristische Herdtiefen auf. ln diesen Fällen wurde zur Berechnung der Schütterwirkung am Standort konservativ die größere Herdtiefe angenommen.
Die KTA 2201.1 (1990) verlangt die Bestimmung des Bemessungserdbebens unter der Annahme eines
82
Erdbebens mit der für den Standort größten Intensität, das nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auftreten kann. D.h. nicht die Auswirkung des maximal beobachteten Bebens einer Region ist zur Ermittlung des Bemessungserdbebens anzunehmen, sondern die des maximal möglichen Bebens einer Region. Dies erfordert in der Regel einen Intensitätszuschlag zum maximal beobachteten Beben, welcher berücksichtigt, dass das für die jeweilige Region anzunehmende größtmögliche Beben im Beobachtungszeitraum möglicherweise noch nicht aufgetreten ist. Der Intensitätszuschlag für die jeweilige Region wurde in Abhängigkeit folgender Faktoren gewählt:
- Höhe der maximal beobachteten Intensität (wegen der Nichtlinearität der makroseismischen Skala)
- Umfang und Verlässlichkeit der Dokumente zu historischen Erdbeben
- Beobachtungszeitraum und Vollständigkeit des Erdbebenkataloges
- Größe der tektonischen Einheit und deren Seismizität
- Anzahl der Erdbeben mit der größten beobachteten Intensität in einer seismotektonischen Einheit
Letzteres begründet sich damit, dass in Regionen, in denen die größte Intensität in einem langen Beobachtungszeitraum verhältnismäßig oft aufgetreten ist, diese Intensität als eine Art Obergrenze angesehen werden kann.
Aus der Abschätzung der maximal möglichen Schütterwirkungen der Beben jeder Region auf den Standort ergibt sich die deterministisch bestimmte Bemessungsintensität
2.2 Probabilistische Gefährdungsanalyse
ln KTA 2201.1 (1990) wird zur Bestimmung des Bemessungserdbebens zwar ein deterministisches Vorgehen vorgeschrieben, aber gleichzeitig wird die Anwendung der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse verlangt. Hierzu zählt vor allem die probabilistische Bewertung des deterministisch gefundenen Bemessungserdbebens. Eine solche wechselseitige Überprüfung der Ergebnisse zweier unabhängiger Verfahren bietet die Gewähr, für eine zuverlässige Gefährdungsanalyse.
Die probabilistische Analyse ermöglicht die Angabe von Überschreitenswahrscheinlichkeiten von Beben bestimmter Intensität. Hierzu gibt es zahlreiche Computerprogramme von denen die meisten, so auch das von uns verwendete Programm EQRISK von McGuire, auf der theoretischen Arbeit von Cornell (1968) basieren. Nach Garneil (1968) wird vorausgesetzt, dass die Erdbeben gemäß einer Poissonver-
Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
teilung auftreten, d.h. dass es unabhängige Ereignisse sind. Eine Beschreibung der Theorie und der Arbeitsweise von EQRISK findet sich in der Anleitung zum Rechenprogramm (McGuire 1976). EQRISK wurde von uns mit einer Subroutine ergänzt, um das Intensitäts-Abnahmegesetz von Spanheuer (1960) zu implementieren. Das Ergebnis der probabilistischen Analyse lässt sich in Form einer Gefährdungskurve darstellen.
Grundlage der probabilistischen Analyse ist die seismotektonische Einteilung, das Seismizitätsmodell. Zunächst werden die seismotektonischen Regionen im Umkreis von etwa 200 km um den jeweiligen Standort betrachtet. Für jede Region mit Erdbebendaten, die für eine statistische Berechung ausreichen, werden mittels Regression die Parameter der kumulativen Intensitäts-Häufigkeitsverteilung bestimmt. Zuvor wurden abhängige Ereignisse (Vor- und Nachbeben) aus dem Katalog entfernt, um das Kriterium der Poissonverteilung zu erfüllen. Hierzu wurden alle Vor- und Nachbeben, die jeweils innerhalb eines Zeitintervalls von ± 10 Tagen zum nachfolgenden oder vorausgehenden stärkeren Beben aufgetreten sind, vor der Regression eliminiert. Diese vereinfachte Methode ist hier hinreichend genau. Die Beziehung zwischen Epizentralintensitäten und kumulativen Häufigkeilen lässt sich gut durch folgende Formel beschreiben:
logN = a+b·lo (2)
mit: ! 0 = Epizentralintensität N =(kumulative) Anzahl der Beben
Die jährliche Aktivitätsrate einer Region berechnet sich nach:
I O(a+b.J)
ny( I) = -:::-c-'-:..___,----::--:--. Zeitraum in Jahren
(3)
Neben den Eckkoordinaten für jede Region werden für die probabilistische Berechnung mit EQRISK als Eingabeparameter benötigt:
- der a-Wert und b-Wert aus der kumulativen Häufigkeitsverteilung für den gewählten Beobachtungszeitraum
- die Aktivitätsrate ny (I) - die maximal beobachtete Intensität plus eventuell
eines Intensitätszuschlages - Standardabweichung der lntensitäten - die charakteristische Herdtiefe - der Absorptionskoeffizient a (hier 0,002/km)
Für jede Region erfolgt die Wahl .eines Startjahres, ab dem die Daten des Erdbebenkataloges für die Statistik benutzt werden, separat. Das Startjahr ist unter der
Annahme der vollständigen Erfassung der nachfolgenden Beben im Katalog ab einer unteren Grenzintensität gewählt. Als untere Grenzintensität lm;n wird für jede Region diejenige Intensitätsschwelle festgelegt, ab der die vollständige Erfassung aller Beben mit 10 <: lm;n im betrachteten Zeitraum angenommen werden kann. Die "Schwäbische Alb" zeigt eine besonders starke Zunahme der seismischen Aktivität in jüngerer Vergangenheit. Ab 1911 sind dort zwei Erdbeben (1911 und 1943) der Intensität VIII MSK aufgetreten und eines 1978 mit VII-VIII MSK. Da diese erhöhte Aktivität auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, wurde von uns für diese Region konservativ für das Startjahr des Beobachtungszeitraums der Beginn des Einsetzens der erhöhten seismischen Aktivität angenommen. Abb. 2 zeigt die die normale und kumulative Häufigkeitsverteilung der Region Schwäbische Alb, Tabelle 1 enthält die zugehörigen Parameter. Als charakteristische Herdtiefe wurde 9 km angenommen.
\
3
.
.
11 2 3 4 5 6 7 8 9
lo
1000
0
0
0
\'
.
.
11 2 3 4 5 6 7 8 9
lo
Abb. 2: Intensitäts-Häufigkeitsverteilung der Region Schwäbische Alb für Beben ab dem Jahre 1911 und lo <: 6 MSK; halbe lntensitäten wurden zur nächst höheren Intensität gezählt.
Die Intensitäts-Häufigkeitsverteilung einer Quellregion muss zwei Voraussetzungen genügen. Zum einen muss eine ausreichende Anzahl von Ereignissen vorhanden sein und zum anderen muss die Häufigkeits-
83
Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
verteilung Formel (2) erfüllen, d.h. schwächere Erdbeben treten häufiger auf als stärkere.
Bebenzahl lmax Regression (kumulativ) beob. (Wertebereich)
Aktivitätsrate
(lmio = 6) a b n, (Ia = 6)
5,085 -0,561 53 8,0 2,070
(6-8)
Tabelle 1: Parameter der Region Schwäbische Alb für Beben ab dem Jahre 1911 und Ia ~ 6 MSK.
Einfach überprüfbar wird diese Forderung, wenn zunächst die normale Intensitäts-Häufigkeitsverteilung gezeichnet wird. Bereits in dieser Darstellung muss sich die Punktverteilung ab einer gewissen Intensität durch eine Gerade nach (2) annähern lassen. Weiterhin lässt sich damit leichter entscheiden, ab welcher Intensität die Vollständigkeit der Daten angenommen werden kann. Sind zu wenige Ereignisse vorhanden oder wird Formel (2) nicht erfüllt, so darf diese Region nicht für die Gefährdun~;~sberechnung als eigene Quellregion verwendet werden. ln diesem Fall muss eine Modifizierung der Quellregion in Betracht gezogen werden, oder die Beben können möglicherweise zur sogenannten "Hintergrundseismizität" gezählt werden. Die Hintergrundseismizität enthält alle Beben im Umkreis von 200 km um den Standort, die nicht einer der seismischen Quellregionen angehören. Die Fläche der Quelle "Hintergrund" bestimmt sich aus der Kreisfläche mit 200 km Radius abzüglich der auf die seismischen Quellregionen entfallenden Teilflächen. Es wird dabei angenommen dass die Beben überall auftreten können, d.h. auch am Standort sofern dieser in der Region "Hintergrund" liegt.
Norddeutschland zeichnet sich durch seine geringe Seismizität aus. Für den Standort Grohnde besteht das Seismizitätsmodell ausschließlich aus dem Hintergrund, einem Kreis mit 200 km Radius um den Standort. Dazu wurden alle Erdbeben der umliegenden Regionen zu einer Häufigkeitsverteilung zusammengefasst, um genügend Ereignisse für eine zuverlässige statistische Berechnung zu erhalten.
Als Standardabweichung der lntensitäten wurde einheitlich 0,5 MSK angenommen. Da in der Theorie (Cornell 1968) und damit auch im Rechenprogramm dem Fehler der lntensitäten eine Gauß-Verteilung zugeteilt wird, bedeutet dies, dass mit äußerst kleinen Wahrscheinlichkeilen beliebig große Intensitätswerte auftreten können. Die probabilistische Analyse darf auch deshalb nicht bis zu beliebig kleinen, rechnerisch möglichen Überschreitenswahrscheinlichkeiten
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durchgeführt werden und nicht nur aus Gründen der Begrenztheit des Beobachtungszeitraums jedes Erdbebenkataloges.
Der deutsche Erdbebenkatalog (Leydecker 2005) beginnt im Jahre 800 und umfasst somit 1200 Jahre. Die Vollständigkeit des Kataloges ab einer bestimmten Intensität ist zeit- und regionsabhängig. Allein auf dem Katalog basierend, können unseres Erachtens noch einigermaßen zuverlässige Aussagen für Überschreitenswahrscheinlichkeiten in Gebieten moderater Seismizität nur bis 104
/ Jahr, d.h. für 10.000 Jahre, getroffen werden. Zur Absicherung kleinerer Überschreitenswahrscheinlichkeiten, bis etwa 10-s/ Jahr, wurden von uns die geologische Entwicklung und Kenntnisse über die Neotektonik in der weiteren Umgebung des Standortes deterministisch berücksichtigt. Die Angabe von Intensitätswerten mit Überschreitenswahrscheinlichkeiten < 10·5 I Jahr wird von uns abgelehnt, weil deren Seriosität äußerst zweifelhaft ist. Als Beispiel zeigt Abb. 3 die von uns berechnete seismische Gefährdungskurve für den Standort Philippsburg.
10-1 v <> 0,50; a = 0,002 km"1
o cr- 0,0; Zuschlag N-OR 1,0 MSK; a = 0,002 km"1
' ~ 10-2 ~
r-s..:··:l!!! ~ ~ ~ ~ ,,~
~ ~
i ,,. {;
" I\"
~ 0
10° 4 5 6 7 8
Standortintensität 15 (MSK)
Abb. 3: Seismische Gefährdungskurve für den Standort Philippsburg (durchgezogene Linie); die gestrichelte Linie ist eine Variante bei der die Standabweichung zu 0 gesetzt wurde und der Intensitätszuschlag für die Standortregion Nördlicher Oberrheingraben um 0,5 auf 1,0 MSK erhöht wurde (BGR).
9
Zur Berücksichtigung von Unsicherheiten wird in den letzten Jahren in probabilistischen seismischen Gefährdungsanalysen immer häufiger die LogischeBaum-Methode angewendet. Diese gestattet zwar die Variation aller Eingabeparameter in weiten Grenzen, verlangt aber jeweils deren explizite Wichtung, die zwangsläufig auf der persönlichen Einschätzung des Bearbeiters basieren muss. Wegen der breiten Palette
Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
an Möglichkeiten der Parametervariationen ist das Ergebnis der Berechnungen sehr schwer durchschaubar und lediglich Plausibilitätsbetrachtungen zugänglich. Daher wird von uns diese Methode nicht angewendet. Stattdessen sind von uns für Parameter, welche das Ergebnis stark beeinflussen können wie Standardabweichung der lntensitäten, maximal mögliche Intensität einer Standortregion, charakteristische Herdtiefe und Regioneneinteilung, Varianten einzeln durchgerechnet worden, um damit die Einzeleffekte darzustellen und Ergebnisse von Kombinationen durchschaubar zu machen.
Für die küstennahen Standorte Brokdorf, Brunsbüttel, Unterweser und Stade sowie für den Standort Krümme! wird auf eine probabilistische Berechnung mangels einer ausreichenden Anzahl von Ereignissen verzichtet. Für die Abschätzung der Überschreitenswahrscheinlichkeiten dieser Standorte werden die Gefährdungskurven der probabilistischen Analyse der weiter südlich liegenden Standorte Lingen und Grohnde herangezogen sowie die aus früher erstellten Gutachten zu den Erkundungsbergwerken für radioaktive Endlager Konrad und Morsleben. Die seismische Gefährdung der nördlicheren Standorte Brokdorf, Brunsbüttel, Unterweser, Stade und Krümme! ist aufgrund der geringeren Seismizität kleiner als jene der weiter südlich liegenden Standorte.
2.3 Festlegung des Bemessungserdbebens
Das Bemessungserdbeben wurde - wie zuvor beschrieben - sowohl deterministisch als auch probabilistisch für jeden Standort abgeleitet. Die probabilistische Analyse gibt, im Gegensatz zur deterministischen, Überschreitenswahrscheinlichkeiten für verschiedene Standortintensitäten an. Die Angabe von Überschreitenswahrscheinlichkeiten für das Bemessungserdbeben ermöglicht das Gefährdungsniveau zu quantifizieren. Für die hier begutachteten Zwischenlager Standorte mit erhöhtem Sekundärrisiko wird -wie international üblich - eine Überschreitenswahrscheinlichkeit zwischen 104
/ Jahr und 10"5/ Jahr fest
gelegt. Grundlage der Bestimmung der Bemessungs
intensität für alle 13 Standorte ist die deterministisch ermittelte Standortintensität nach KTA 2201.1. Diese wird im Idealfall durch die probabilistische Analyse bestätigt. Die endgültige Festlegung des Bemessungserdbebens erfolgt unter Betrachtung der probabilistischen Analyse und unter Berücksichtigung des deterministischen Ergebnisses und ist konservativ.
3 ABLEITUNG INGENIEURSEISMOLOGISCHER PARAMETER
Nach der Festlegung des Bemessungserdbebens werden die sogenannten ingenieurseismologischen Parameter Antwortspektrum, maximale Bodenbeschleunigung bzw. Starrkörperbeschleunigung und Starkbewegungsdauer bestimmt. Diese sind nicht nur von der Intensität des Bemessungserdbebens sondern auch von der Untergrundklasse abhängig. So unterscheiden sich die ingenieurseismologischen Parameter der bayerischen Standorte Grafenrheinfeld und lsar trotz der gleichen Intensität des Bemessungserdbebens (VI 1
/2 MSK). Der Untergrund am Standort lsar gehört zur Untergrundklasse M (mittelfeste Sedimente), wohingegen der am Standort Grafenrheinfeld mit R (Fels, Festgestein) klassifiziert wird. Darüberhinaus gibt es die Untergrundklasse A (unverfestigte Lockersedimente) wie sie z.B. für die Nordwestdeutschen Standorte typisch ist. Die von uns verwendete Einteilung in drei Untergrundklassen (Hasser 1987) ist in Tabelle 2 dargestellt. Hauptkriterium für die Untergrundklassifikation ist - soweit bekannt- die Schwerwellengeschwindigkeit Zur Beurteilung des Untergrundes lag der BGR jeweils ein Bodengutachten des Antragstellers vor.
Unter- Vp Vs Dichte Poisson-grund-
klasse [km/s] [km/s] [g/cm'] zahl
A < 1 < 0,4 1,8 0,4-0,5
M 1-3 0,4-1,1 2,1 0,3- 0,4
R 3-4,5 1 '1 - 2,8 2,4 0,2-0,3
Tabelle 2: Untergrundklassen (A = Lockersedimente, M = verfestigte Sedimente, R = Fels); in Hasser (1987).
Liegen keine gemessenen Werte vor, kann die Scherwellengeschwindigkeit bei Kenntnis des dynamischen Schubmoduls und der Dichte auch über die folgende Beziehung abgeschätzt werden:
Vs=t (4)
mit: v, = mittlere Scherwellengeschwindigkeit der oberen Bodenschichten [m/s]
G = dyn. Schubmodul des Bodens [N/m2]
p = Dichte des Bodens [kg/m3]
Antwortspektren sind in Abhängigkeit von Intensität und Untergrundklasse von Hasser (1987) angegeben
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Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
und werden bei unserer Begutachtung für Standorte mit einer Intensität des Bemessungserdbebens kleiner als Vll 1
/ 2 MSK verwendet. Für die beiden Standorte mit einer höheren Intensi
tät des Bemessungserdbebens (Philippsburg VII 3/ 4
MSK und Neckarwestheim VII 1/ 2 MSK) wurden von
uns zusätzlich eigene standortspezifische Auswertungen von Strang-Motion Registrierungen auf der Basis von Magnitude und Entfernung vorgenommen. Bei der Auswertung der Zeitverläufe wurden weltweite Daten verwendet. Beim Standort Biblis mit Bemessungsintensität VII 3
/ 4 MSK wurde von Dritten bereits bei einer früheren Begutachtung in jüngerer Vergangenheit entsprechende Auswertungen vorgenommen. Auf eine erneute Auswertung konnte verzichtet werden.
Die Fraktile des Antwortspektrums ausgewählter Strang-Motion Registrierungen oder von Antwortspektren aus der Literatur ist immer im Zusammenhang mit der Festlegung der Überschreitenswahrscheinlichkeit des Bemessungserdbebens zu sehen, d.h. mit dem geforderten Sicherheitsniveau. Bei kerntechnischen Anlagen verwenden wir Medianspektren (50%-Fraktile) in Verbindung mit einer Überschreitenswahrscheinlichkeit des Bemessungserdbebens von 10"5
/ Jahr. Der Median einer Strang-Motion Auswertung ist bei einer ausreichenden Anzahl von Registrierungen stabiler als die 84%Fraktile.
Die angegebenen Antwortspektren beziehen sich auf die einzelne Horizontalkomponente. Die KTA 2201.1 (1990) fordert jedoch die Angabe resultierender Horizontalbeschleunigungen. Um beide horizontalen Freiheitsgrade der Bodenbewegung zu erfassen, muss das Spektrum noch mit einem Faktor skaliert werden. Nach eigenen empirischen Auswertungen kann ein Resultierendenfaktor von 1,3 angesetzt werden. Ist das Antwortspektrum festgelegt, so ergibt sich die Starrkörperbeschleunigung durch Ablesen des Wertes im hochfrequenten Bereich, bzw. bei Periode 0. Das vertikale Antwortspektrum ist laut KTA 2201.1 (1990) zu 50 % der horizontalen Beschleunigungen der Komponente anzunehmen.
Die für die Generierung von Beschleunigungszeitverläufen aus Antwortspektren benötigte Starkbewegungsdauer wird hier als das Zeitintervall definiert, in das 70 % .der Beschleunigungsenergie der seismischen Wellen fallen (5% und 75% Fraktilwerte).
4 ERGEBNISSE UND SCHLUSSBEMERKUNGEN
Alle begutachteten Zwischenlager-Standorte sind in der Karte in Abb. 4 gekennzeichnet. Die von der BGR
86
ermittelten ingenieurseismologischen Parameter: MSK-Intensität des Bemessungserdbebens, Starrkörperbeschleunigung, Starkbewegungsdauer und Untergrundklasse (A = unverfestigte Sedimente, M = mittelfeste Sedimente, R = Fels) sind ebenfalls angegeben. Das dargestellte Antwortspektrum für die Horizontalkomponente ist noch mit dem Faktor 1,3 zu multiplizieren, um das nach KTA 2201.1 geforderte resultierende Antwortspektrum zu erhalten. Im Hintergrund der Karte sind neben den Schadenbeben ab dem Jahre 800 (Leydecker 2005) die ersten Ergebnisse unserer in Arbeit befindlichen probabilistischen Erdbeben-Gefährdungskerle für eine Überschreitenswahrscheinlichkeit von 10-5 I Jahr dargestellt. Eine solche Gefährdungskarte dient der ersten Bewertung eines Standortes, kann jedoch kein standortspezifisches Gutachten ersetzen. Alle Standortparameter sind noch einmal in Tabelle 3 zusammengefasst.
Die Ableitung des Bemessungserdbebens erfolgte für alle Standorte nach deterministischer Vorgehansweise und soweit möglich auch probabilistisch. Erst der probabilistische Rechenweg ermöglicht die Angabe von Überschreitenswahrscheinlichkeiten pro Jahr für Beben bestimmter Stärke. Trotzdem hat auch der in KTA 2201.1 vorgeschriebene deterministische Weg seinen Stellenwert: Einmal für Standorte in Gebieten sehr geringer Seismizität, wo sich die probabilistische Analyse auf Grund der für eine verlässliche Statistik ungenügenden Anzahl der Erdbeben verbietet; zum anderen dient sie auch zur gegenseitigen Kontrolle der Ergebnisse aus beiden weitgehend unabhängigen Verfahren. Zwingend erforderlich ist in jedem Fall, dass alle Eingabeparameter bei der Abschätzung des Bemessungserdbebens aufgelistet werden, um die Berechnungen und Ergebnisse nachvollziehbar und überprüfbar zu machen.
Für die Ableitung eines standortspezifischen Antwortspektrums an Standorten geringerer seismischer Gefährdung wurde auf Werte aus der Literatur zurückgegriffen. Bei Standorten mit höherer Gefährdung (Intensität des Bemessungserdbebens <: Vll 1
/2 MSK) wurde zusätzlich eine eigene Auswertung von StrangMotion Registrierungen entsprechend der Stärke und Entfernung des Bemessungserdbebens sowie unter Berücksichtigung der Untergrundbedingungen am Standort durchgeführt.
_________ l_ng~e_n_ieurs~~~mologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an d~~t~chen K~-~~~~~ftwerken
S'E 6'E 55'N
Bemessungsdaten
54'N
53'N
52'N
51'N
49'N
48'N
47'N 5'E 6'E
7'E B'E 9'E
•
7'E S'E 9'E
10'E 11'E 12"E 13"E 14"E 15'E 55'N
-2003
54'N
(MSK) für 1
53'N
Hannover
+ 52'N
51'N
50'N
49'N
48'N
10'E 11'E 12"E 13"E 14'E
Abb. 4: Karte mit allen Zwischenlager-Standorten an deutschen Kernkraftwerken (gelbe Sterne). Die von der BGR ermittelten ingenieurseismologischen Parameter und die standortspezifischen Antwortspektren (Horizontalkomponenten) sind jeweils den Kästchen zu entnehmen. Im Hintergrund der Karte sind neben den Schadenbeben ab dem Jahre 800 (Leydecker 2005) erste Ergebnisse unserer in Arbeit befindlichen probabilistischen ErdbebenGefährdungskarte für eine Überschreitenswahrscheinlichkeit von 10·5 I Jahr dargestellt
87
I I I
I I I I
Ingenieurseismologische Parameter für Standorte von Zwischenlagern an deutschen Kernkraftwerken
Standort
Brunsbüttel
Brokdorf
Stade
Unterweser
Krümmel
Lingen
Grohnde
Grafenrheinfeld
Biblis
Philippsburg
Neckarwestheim
lsar
Gundremmingen
I (BE)
[MSK]
VI
VI
VI
VI%
VI%
VII%
VII%
VII%
VI%
VII Y.
PGA
[cm/s2]
42
56
42
80
70
156
200
164
80
120
T10
[s]
4,0
2,0
4,5
3,0
2,0
5,0
5,0
2,5
3,5
4,0
UKL
A
M
A
M
R
A
A
R
M
M
Tabelle 3: Ingenieurseismologische Parameter für die Standorte der Zwischenlager an deutschen Kernkraftwerken (BGR); I (BE): Intensität des Bemessungserdbebens, PGA: maximale Bodenbeschleunigung (Horizontalkomponente), T1o: Starkbewegungsdauer, UKL: Untergrundklasse (siehe Tabelle 2).
5 LITERATUR
Cornell, C.A. (1968): Engineering seismic risk analysis, Bull. Seism. Soc. Am., 58(5), pp. 1583-1606.
Hasser, D. (1987): Realistische seismische Lastannahmen für Bauwerke - Ergebnisse einer interdisziplinären Forschungsarbeit, Bauingenieur, 62, 567-574, Springer Verlag.
KTA 2201.1 (1990): Sicherheitstechnische Regel des KTA (Kerntechnischer Ausschuss). - Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen, Teil 1: Grundsätze, Fassung 6/90, Kerntechnischer Ausschuss (KTA), Carl Heymanns Verlag.
Leydecker, G. (2005): Erdbebenkatalog für die Bundesrepublik Deutschland mit Randgebieten für die Jahre 800 -2003, Datenfile (http://www.bgr.de/quakecat); Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover.
Leydecker, G. & Aichele H. (1998): The Seismogeographical Regionalisation of Germany. - The Prime Example for Third-Level Regionalisation, Geol. Jahrbuch, E 55, 85-98.
McGuire, R.K. (1976): FORTRAN Computer Program for Seismic Risk Analysis, United States Department of the lnterior, Geological Survey, Open-File Report 76-67.
Sponheuer, W. (1960): Methoden zur Herdtiefenbestimmung in der Makroseismik, Freib. Forsch.-H. C 88, Akademie Verlag Berlin.
88
Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
Robert Borsutzky1•2
, Lutz Lehmann1
11nstitut für Angewandte Mechanik, TU Braunschweig 21nternationales Graduiertenkolleg 802 "Risikomanagement bei Natur- und Zivilisationsgefahren für Bauwerke
und lnfrastrukturanlagen", TU Braunschweig
1 EINLEITUNG
Unterirdische Versorgungsleitungen transportieren Substanzen, wie Gas, flüssige Brennstoffe, Trinkoder Abwasser, die für die Zivilisation lebenswichtig sind und daher als Lifelines bezeichnet werden. Die erdbebensichere Auslegung von Lifelines ist in seismisch gefährdeten Gebieten von höchster Bedeutung für die dort lebenden Menschen. Ein Beispiel für die verheerenden Folgen von seismisch geschädigten Versorgungsleitungen ist das Kobe Erdbeben, bei dem 1995 aufgrund gebrochener Gasleitungen ganze Stadtteile niederbrannten. Zur Vermeidung solcher Katastrophen ist ein möglichst detailliertes Verständnis des Verhaltens unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung notwendig.
Seismische Schädigungen unterirdischer Lifelines können im Wesentlichen durch drei Phänomene verursacht werden: Wellenausbreitung im Boden, permanente Bodendeformation und aktive seismische Verwerfung. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit seismischer Wellenausbreitung. Es wird ein dreidimensionales numerisches Modell zur wirklichkeitsnahen Simulation des Verhaltens unterirdischer Lifelines vorgestellt. Hierbei wird nicht nur das Antwortverhalten der Rohrleitung numerisch untersucht, sondern auch der die Leitung umgebende Boden modelliert (BodenStruktur-Interaktion). Für die transienie Berechnung wird ein hybrides Modell verwendet, in dem das mit Finiten Elementen (FE) abgebildete Nahfeld mit der von Wolf und Song entwickelten Scaled Boundary Finite Element Method (SBFEM) gekoppelt wird (Wolf et al. (1996), Wolf (2003)). Während die FEModellierung eine detaillierte Simulation des Nahfeldes mit nichtlinearem Materialverhalten ermöglicht, wird mit der Beschreibung des linear-elastischen, unendlichen Halbraums durch die SBFEM die Sommerfeld'sche Abstrahlbedingung erfüllt.
Bei Berechnungen zur seismischen Boden-StrukturInteraktion wird zumeist die Fortpflanzung der seismischen Wellen innerhalb des untersuchten Gebietes aufgrund der relativ geringen Abmessungen des Gebietes vernachlässigt. Da die hier untersuchten Schädigungen unterirdischer Versorgungsleitungen gerade durch Wellenausbreitungseffekte auftreten, verbietet sich diese Vereinfachung für den vorgestellten Anwendungsfall. ln diesem Beitrag wird mit der von Bielak et al. entwickelten Domain Reduction Method (Bielak et al. (2003)) eine Möglichkeit der dynamischen Lastaufbringung vorgestellt, durch die die seismische Wellenausbreitung in ausgedehnten Gebieten simuliert werden kann.
2 DOMAIN REDUCTION METHOD
Die Domain Reduction Method ist eine Zweischritt Finite Elemente Methode zur Modeliierung der von Erdbeben induzierten Bodenbewegung, die von Bielak und seinen Partnern entwickelt und verifiziert wurde (Bielak et al. (2003), Yoshimura et al. (2003)).
ln dem ersten Schritt dieser Methode wird ein Gebiet großer Dimensionen betrachtet, welches sowohl die Erdbebenquelle als auch die Umgebung der zu untersuchenden Struktur enthält. Dieses Gebiet enthält die wichtigsten geologischen Eigenschaften des Ausbreitungspfades der seismischen Wellen, aber weder eine detaillierte Modeliierung des interessierenden Gebietes an der Erdoberfläche noch die zu untersuchende Struktur. Die Ausbreitung der Erdbebenwellen wird entlang des Pfades vom Hypozentrum bis zu dem Gebiet, in dem sich die zu analysierende Struktur befindet, simuliert. D"iese erste Simulation kann durch verschiedene numerische Methoden erfolgen.
ln einem zweiten Schritt wird das betrachtete Gebiet auf die Umgebung der interessierenden Struktur reduziert und mit zur Erdbebenanregung äquivalenten
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Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
II I
II Qo II
II R II
r ~.r II
.-.I I:
,, ,, n+
I ------i t:TJ --------~ -~o~ r- b e
~ -Pe~ /r+
a) Schritt 1: Gebiet mit Erdbebenquelle
--------------------- .--:------.-----.--;-r--,--: . .
. . . . . . -----------------------------------------------------------~
b) Schritt II: Gebiet mit Struktur
Abb. 1: Die zwei Schritte der Domain Reduction Method
Kräften belastet, welche die seismische Welle in das betrachtete Gebiet induzieren. Dieses zweite Gebiet enthält nun die zu analysierende Struktur.
2. 1. 1 Theorie
Die Theorie der Domain Reduction Method ist ausführlich in Bielak et al. (2003) erläutert. Im Folgenden sind die wesentlichen Schritte der Methode aufgeführt.
Zunächst wird ein Gebiet großer Dimension betrachtet (Abb. 1a), das das Gebiet, in dem sich die zu analysierende Struktur befindet, sowie die Erdbebenerregung in Form eines Lastvektors P. beinhaltet. Wird dieses große Gebiet in einen Bereich n, , der die die Umgebung der interessierenden Strukturen beschreibt, und einen äußeren Bereich n+ aufgeteilt, lässt sich die Bewegungsgleichung der FEM unter Vernachlässigung von Dämpfungseinflüssen wie folgt darstellen:
90
[M"• M"• 0
1r1 " ib
Mn• ~~ M"" " Q' b; Mbb +Mbb be ub
0 M"' Mn+ ··o
"' ee 0 e
[ K"' K""
K~:]j:l)={~} ( 1)
" ;b
+ KJ'" n n-Kbbo +Kbb
n• K., Kee 0 e Pe
ln GI. (1) bezeichnet der Index i die Größen im Inneren des Gebietes Q 0 , b die auf dem die beiden Gebiete trennenden Rand r und e die im äußeren Gebiet n+ liegenden Größen. Da das Gebiet n, die zu analysierende Struktur nicht enthält, handelt es sich bei den Feldern u~, u: und u: um Freifeldbewegungen. Das totale Wellenfeld u. im äußeren Gebiet n+ unter Berücksichtigung der Interaktionswirkung der Struktur kann durch die Summe der Freifeldbewegung u: und einer Relativbewegung w. beschrieben werden:
(2)
Stellt man nun analog zur GI. (1) die Bewegungsgleichung für das die Struktur enthaltende Modell (Abb. 1 b) dar und ersetzt unter Verwendung der umgeformten GI. (2) u, durch w., ergibt sich:
[M~ M~
n n. 6.+ Mbi Mbb +_Mbb
n-0 M.,
(3) K~
n ö.+ Kbb +Kbb
K"' ,, Durch Umformen lässt sich der Lastvektor der rechten Seite der GI. (3) wie folgt schreiben:
(4)
p'ff stellt die zur Erdbebenanregung P. äquivalenten Belastung am Rand des interessierenden Gebietes dar. Aus GI. (4) ist ersichtlich, dass die effektiven Lasten p'ff nur von den unbekannten Verschiebungsgrößen auf dem Rand r und einem unmittelbar an ihn anschließenden Rand r, abhängig sind und auch nur dort wirken, da die vorkommenden Submatrizen nur für die dortigen Freiheitsgrade Einträge ungleich Null besitzen.
I
Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
2.1.2 Anwendung
Auf den Umformungen der Gleichungen (2) bis (4) des bekannten FE Schemas kann nun die Zweischritt Methode aufgebaut werden.
ln dem ersten Schritt (Abb. 1 a) werden nach der Aufteilung des Gebietes in Q 0 und o• die Freifeldbewegungen u: und u: auf den Rändern r und r, berechnet und an den jeweiligen Knoten gespeichert. Für diesen ersten Schritt kann jede geeignete Methode verwendet werden, durch die die Wellenausbreitung zwischen Erdbebenzentrum und interessierendem Gebiet modelliert werden kann. Neben der FEM stehen beispielsweise die Randelementmethode (BEM) oder Green'sche Funktionen zur Auswahl.
Das äußere Gebiet o• kann in dem zweiten Schritt (Abb. 1 b) auf ein Gebiet n• reduziert werden, da die effektiven Lasten p'ff der Erdbebenanregung aus GI. (4) nur in einer Schicht um das interessierende Gebiet wirken. Diese Kräfte werden aus den Bewegungsfeldern u: und u: ermittelt. Daraufhin können die totalen Bewegungsfelder u, , u, und das relative Feld w, aus GI. (3) berechnet werden, die das Verhalten des detailliert modellierten Bodens und der mit ihm verbundenen Struktur beschreiben.
Entsprechen sich die beiden inneren Gebiete Q 0
und Q aus den beiden Schritten so verschwindet die Relativbewegung w, in dem äußeren Gebiet n• . Fügt man hingegen eine zu untersuchende Struktur in das Gebiet Q ein, ist es notwendig, auf dem Rand r• durchlässige Randbedingungen in das Modell zu implementieren, die eine ungewünschte Reflektion der Welle in das Gebiet Q vermeiden. Eine geeignete Methode die Wellenabstrahlung in den unendlichen Halbraum zu modellieren ist die Scaled Boundary Finite Element Method.
3 SCALED BOUNDARY FINITE ELEMENT METHOD
Die von Wolf und Song entwickelte Scaled Boundary Finite Element Method (SBFEM) verbindet das Konzept der geometrischen Ähnlichkeit mit der Standard Finite Element Prozedur (Wolf et al. (1996), Wolf (2003)).
Betrachtet wird eine wie in Abb. 2 dargestellte Struktur mit dem sie umgebenden Boden. Sowohl die Struktur als auch der lokale Boden werden im Nahfeld durch gewöhnliche Finite Elemente modellierte. Das an das Nahfeld gekoppelte Fernfeld repräsentiert den unendlichen Halbraum und wird durch Scaled Boundary Finite Elements abgebildet.
Abb. 2: Schematische Darstellung der Diskretisierung und Aufteilung in Nahfeld und Fernfeld
3.1 Scaled Boundary Transformation
ln der SBFEM wird die Geometrie des zu analysierenden Gebietes durch eine zweidimensionale Finite Element Diskretisierung auf dem Rand in den lokalen Koordinaten 11 und I; und in radialer Richtung durch den Skalierungsfaktor I; beschrieben. Durch die Scaled Boundary Transformation wird das Kartesischen Koordinatensystem x, y , z in das Scaled Boundary Koordinatensystem I;, 11, 1; überführt.
Während die Koordinatenachsen 11 und 1; in Umfangsrichtung des Randes verlaufen, hat die radiale Koordinate I; ihren Ursprung in dem Skalierungszentum 0 und nimmt auf dem durch 11 und I; beschriebenen Rand den Wert 1 an (Abb. 3).
Durch die numerische Behandlung des Gebietes in Umfangsrichtung mit Finiten Elementen werden die das Problem beschreibenden partiellen Differentialgleichungen zu gewöhnlichen in radialer Richtung. Die Koeffizienten dieser gewöhnlichen Differentialgleichungen werden durch die FE-Näherung in Umfangsrichtung bestimmt, woraufhin die Gleichungen analytisch in radialer Richtung gelöst werden können.
Für ein unbegrenztes Medium zeigt die radiale Koordinate I; vom Rand aus ins Unendliche. Die Rand-
Skalierungzentrum
~'~/_,~~~ ~ ~- -- -_-_.
Finites Element der Grenzfläche
Abb. 3: Scaled Boundary Finite Element Koordinatensystem
91
Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
bedingung dort wird durch die analytische Lösung beschrieben.
Ausgehend von den Gleichungen der linearen Elastizität kann mit der Methode der gewichteten Residuen und dem Prinzip der virtuellen Arbeit eine dynamische Steifigkeitsmatrix für das unbegrenzte Gebiet im Frequenzbereich gewonnen werden. Für Berechnungen im Zeitbereich muss diese Matrix durch eine inverse Fourier-Transformation in die Einflussmatrix (acceleration unit impulse response matrix) Mro überführt werden.
Mit der Matrix Mro können die Wechselwirkungskräfte r des unendlichen Halbraums durch ein Faltungsintegral bestimmt werden:
' r(t)= jMro(t-<)Ü,(<)d<. (5)
0
Diese Wechselwirkungskräfte werden an der Grenzfläche des durch Finite Elemente modellierten Nahfeldes zum unendlichen linear elastischen Halbraum aufgebracht und beschreiben dort dessen Antwortverhalten. Sortiert man die Größen des reduzierten FEGebietes Ö.+ un aus GI. (3) so, dass die auf dem die Grenzfläche darstellenden Rand r• liegenden mit dem Index r bezeichnet werden, erhält man die gekoppelte Bewegungsgleichung der beiden Methoden:
[M: M~ 0
l'l M~ n Q+ ni 0 ü, M"+M" M,,
0 Ö' Ö' Q+ •• M,, M" Mre we
0 0 ö• Me· ..v, (6) M"
[K: K~ 0 0 n j'r) K~
n ö+ Ö' 0 u ptff + ' K"+K" K,, b - b
Ö' Ö' Ö' W - peff · 0 K,, K" K" 0 0 Ö' Ö' w: p~/+r K" K"
4 ANWENDUNG
Mit der zuvor erläuterten Vergehensweise soll nun das seismische Antwortverhalten einer unterirdischen Versorgungsleitung simuliert werden.
4.1 Simulation der Erdbebenanregung
ln dem ersten Schritt der Domain Reduction Method wird die Ausbreitung der seismischen Welle von ihrem Entstehungsort zu dem Gebiet hin simuliert, in dem sich die zu analysierende Struktur befindet.
Für die hier beschriebene Untersuchung wird eine Rayleighwelle induziert. Rayleighwellen sind Oberflächenwellen, die aus der Interaktion von Primärwellen und der vertikalen Komponente von Scherwellen entstehen und bei einem Erdbeben mit bis zu 70% die
92
Abb. 4: Randelementnetz mit Anregung und Gebiet 0 0
meiste Energie transportieren. Sie sind deshalb auch für unterirdische Versorgungsleitungen, die durch seismische Wellen beansprucht werden, die häufigste Schadenursache. Zur Simulation der durch eine impulsartige Belastung an der Bodenoberfläche induzierten Rayleighwelle wird die BEM verwendet.
Das in Abb. 4 dargestellte BEM-Netz besteht aus linearen Dreieckselementen, die die Oberfläche des als unendlicher linear-elastischer Halbraum modellierten Bodens diskretisieren. ln Abb. 4 ist das Gebiet n, eingezeichnet, in welchem sich im zweiten Schritt die Versorgungsleitung befinden wird. Das Gebiet 0 0
liegt so weit von dem Belastungsort entfernt, dass sich die durch einen vertikalen Impuls erzeugte Rayleighwelle auflbauen kann.
Als Eingangsgrößen für den zweiten Schritt der Domain Reduction Method müssen die Bewegungsgrößen an den Rändern r und r, (Abb. 5) gespei-" eher! werden. Da in der folgenden FE-Berechnung nur diagonal besetzte Massenmatrizen verwendet werden, vereinfacht sich GI. (4) zu
(7)
Dies bedeutet, dass lediglich die Verschiebungen u: und u: an den Rändern ausgelesen werden müssen. An den Knoten der Oberfläche des Gebietes n, ergeben sich die Verschiebungen direkt aus der Randelementberechnung. Die Verschiebungen der unterhalb liegenden Punkte werden danach durch eine Innenpunktauswertung bestimmt.
4.2 Detailliertes Modell
Das dynamische Verhalten des reduzierten Gebietes wird durch ein hybrides FE-SBFEM-Modell beschrie-
Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
a) Gebiet ohne Rohrleitung
b) Gebiet mit Rohrleitung
Abb. 5: Halbe FE-Netze der reduzierten Gebiete mit den Rändern 1 und 1,
ben. Der Boden wird darin durch Kontinuums-, die Rohrleitung durch Schalenelemente abgebildet. ln Abb. 5a ist das reduzierte Gebiet ohne die zu analysierende Versorgungsleitung abgebildet. Abb. 5b zeigt das Modell der in den Boden eingebetteten Rohrleitung. ln beiden Abbildungen sind die Ränder r und r, eingetragen, an denen die aus GI. (7) berechneten und zur Erdbebenanregung p, äquivalenten Kräfte p'ff angreifen.
4.2.1 Gebiet ohne Rohrleitung
Zunächst wird die Freifeldbewegung des Gebietes Q 0
zur Verifizierung der Domain Reduction Method berechnet. Die Graphen in Abb. 6 zeigen die vertikale Verschiebung des Knotens A. Die Kurvenverläufe der SEM-Berechnung und der Simulation durch das hybride FE-SBFEM-Modell stimmen gut überein. Die Abweichungen der beiden Verschiebungsverläufe sind einerseits auf die unterschiedlichen Eigenschaften der
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1 1.,'1-.-.L~-rg.-es~~les··l·m· "'_'_·,.n(ßEM) ---· -Reduziertes Gebiet (FEM-5BFEM)
____L_______j__ ~--=-~~~-~ebiet~:C:~~C:M"'::) ~~ 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5
Zeit[s]
Abb. 6: Vertikale Freifeldverschiebungen am Knoten A
beiden numerischen Näherungsverfahren andererseits auf eine eventuell zu grobe Diskretisierung des Gebietes und der Zeit zurückzuführen. Da eine feinere Diskretisierung allerdings einen größeren numerischen Aufwand bedeuten würde und die Verläufe für eine Erdbebensimulation genügend gut übereinstimmen, wird auf eine genauere und aufwendigere Berechnung verzichtet.
ln Abb. 6 ist zusätzlich der Verschiebungsverlauf aus einer reinen FE-Simulation aufgetragen. Man erkennt im Bereich über 0,27 s eine deutliche Abweichung von den beiden anderen Verläufen. Diese Abweichung resultiert aus der Refiektion der auf den Rand r• treffenden Wellen, die durch die Kopplung mit der SBFEM vermieden wird.
4.2.2 Gebiet mit Rohrleitung
Nach der Verifizierung der Domain Reduction Method wird die zu analysierende Versorgungsleitung, wie in Abb. 5b dargestellt, in das numerische Modell eingefügt. ln Abb. 7 sind wie zuvor die vertikalen Verschiebungsverläufe der reinen FE-Simulation und der hybriden FE-SB FE-Berechnung an Punkt A zu sehen. Als Referenz ist die mit der BEM berechnete Freifeldverschiebung aufgetragen.
Es ist zu erkennen, dass die Verschiebungen des Gebietes mit der Versorgungsleitung kleiner ausfallen als die des Freifeldes, qualitativ aber ähnlich verlaufen. Das Boden-Rohrleitung-System verhält sich also wie erwartet steifer als der alleinige Boden. Für die FE-Simulation ist wieder die durch Refiektionseffekte
93
Numerische Simulation unterirdischer Versorgungsleitungen unter Erdbebeneinwirkung
3
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/ -- Large Scale Simulation (BEM) -Reduziertes Gebiet (FEM-5BFEM) - -=-·::: Reduziertes Gebiet (FEM)
4o'---coc;_o"'s---coo"-_1c-coo.ec15~-oo"oc.2-~ ···0.3 0.35 0.4 0.45 o.s
Abb. 7: Vertikale Verschiebungen am Knoten A für das Gebiet mit Rohrleitung
verursachte deutliche Zunahme der Verschiebungen ab dem Zeitpunkt 0,27s zu sehen.
Das Verschiebungsfeld des halben Gebietes n zum Zeitpunkt 0,2375 s ist in Abb. 8 dargestellt. Es sind die durch eine ellipsenförmige Partikelbewegung auftretenden Druck- und Zugzonen zu erkennen, welche für eine Rayleighwelle typisch sind. Neben den Verschiebungsverläufen werden also auch die charakteristischen Eigenschaften der Wellen durch die äquivalenten Kräfte p'ff in das innere Gebiet n implementiert.
Die Anwendung zeigt, dass die Domain Reduction
i 2E-07 1 E-07
=~~:g~ -3E-07
Abb. 8: Verschiebungsfeld des halben Gebietes Q
(t=0,2375 s)
94
Method in Kombination mit der SBFEM die realitätsnahe Simulation einer sich fortpflanzenden seismischen Welle in einem Gebiet ermöglicht, welches nicht deren kompletten Fortpflanzungspfad umfasst. Die vorgestellte Methode ist daher besonders für die Analyse von Strukturen wie unterirdischer Versorgungsleitungen geeignet, die aufgrund ihrer Ausdehnung durch Wellenausbreitungseffekte gefährdet sind.
5 ZUSAMMENFASSUNG
ln diesem Beitrag ist eine Methode zur numerischen Untersuchung von unterirdischen Versorgungsleitungen vorgestellt. Zur Erzeugung einer seismischen Anregung wird die Domain Reduction Method verwendet. Die Analyse der Versorgungsleitung und des umgebenden Bodens basiert auf einer hybriden FESBFE Methode.
Berechnungen bei denen das Verhalten einer Rohrleitung unter der Einwirkung einer Rayleighwelle untersucht wird, zeigen dass durch die vorgestellte Methode eine realistische seismische Wellenausbreitung in dem betrachteten Gebiet simuliert wird.
Auf diesen Ergebnissen aufbauend sollen die an der Oberfläche numerisch berechneten Verschiebungen einem gemessenen Verlauf angepasst werden, der bei einem Erdbeben aufgezeichnet wurde. Durch diese sehr realitätsnahe Belastung wird für Bemessungen die Zuverlässigkeit des Lastfalls Erdbeben erhöht und die Auslegung von seismisch gefährdeten Versorgungsleitungen sicherer.
6 LITERATUR
Bielak, J. & Loukakis, K. & Hisada, Y. & Yoshimura, C. (2003), Domain Reduction Method for Three-Dimensional Earthquake Modeling in Localized Regions, Part 1: Theory, Bulletin ofthe Seismological Society of America, 93(2), 817-824. Wolf, J. P. (2003), The Scaled Boundary Finite Element Method, John Wiley & Sons Ud, Chichester. Wolf, J. P. & Song, C. (1996), Finite-Element Modelling of Unbounded Media, John Wiley & Sons Ud, Chichester. Yoshimura, C. & Bielak, J. & Hisada, Y. & Fernandez, A. (2003), Domain Reduction Method for Three-Dimensional Earthquake Modeling in Localized Regions, Part II: Verification and Applications, Bulletin of the Seismological Society of America, 93(2), 825-840.
I I ! !
Der "schiefe Turm" von Köln - im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
Wolfram Kuhlmann 1• Michael Mistler> 'Fachbereich Baudynamik, Kempen lngenieurgesellschaft, Aachen
2Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik, RWTH Aachen
ZUSAMMENFASSUNG
Im September 2004 kam es bei einer unterirdischen Baumaßnahme zu einem Absacken des Bodens unterhalb des Kirchturms St. Johann Baptist in Köln. Als Konsequenz neigte sich das Fundament und bewirkte damit eine horizontale Schiefstellung des gesamten Turms von ca. 77 cm bezogen auf die Turmspitze.
ln diesem Artikel werden die daraufhin durchgeführten Berechnungen zur Erdbebensicherheit des .. schiefen Turms" von Köln präsentiert.
Allgemein sind Glockentürme aufgrund ihrer Schlankheit und ihrer Nutzung in besonderer Weise dynamischen Einwirkungen ausgesetzt. Dabei handelt es sich zum einen um die dynamischen Einwirkungen infolge der Erregung durch das Geläut, zum anderen um Erdbebeneinwirkungen. Beide für diese Lastfälle relevanten Normen wurden dem aktuellen Stand der Technik angepasst und im April 2005 neu herausgegeben.
Daher wird die Erdbebenuntersuchung des .. schiefen Turms" von Köln sowohl nach der alten als auch der neuen Erdbebennorm durchgeführt. Im vorliegenden Artikel werden dadurch auch die resultierenden Unterschiede zwischen den Normfassungen erläutert. Es zeigt sich, dass die Neufassung der Erdbebennorm zu größeren Belastungen führt, die Schiefstellung des Turms jedoch fast keinen Einfluss auf die Standsicherheit im Erdbebenfall hat.
1. EINLEITUNG
1.1 Aktueller Stand der Normung
ln den vergangenen Jahrzehnten ist es an einer großen Zahl von Glockentürmen zu sanierungsbedürftigen Schäden gekommen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Ursache meist im baudynamischen Verhalten der Glockentürme liegt.
Während die statische Berechnung und Bemessung bestehender Türme in der Regel einwandfrei ist, sind bei vielen Türmen die dynamischen Berechnungen unzureichend oder oft gar nicht berücksichtigt worden. Dies trifft insbesondere auf sehr alte Türme zu.
Am Ende der 70er und Beginn der 80er Jahre wurden zwei für Glockentürme besonders relevante Normen herausgegeben: die damals neue DIN 4178 .. Glockentürme - Berechnung und Ausführung" aus dem Jahr 1978 [1] und die überarbeitete DIN 4149 .. Bauten in deutschen Erdbebengebieten" aus dem Jahr 1981 [2]. Da beide Normen inzwischen über 20 Jahre alt sind, wurden sie in den vergangenen Jahren dem aktuellen Stand der Technik - u.a. durch Mitwirkung der Autoren dieses Artikels bei der DIN 4149 -angepasst, so dass im April 2005 Neufassungen der beiden Normen [3], [4] erschienen sind. Es stellt sich nun die Frage, welche Veränderungen bei den rechnerischen Untersuchungen von Glockentürmen durch die neuen Normen zu erwarten sind.
Die Autoren dieses Artikels haben eine Vielzahl von Kirchen und Glockentürmen messtechnisch und numerisch untersucht. Dabei wurden sowohl der Last-
. fall Erdbeben als auch der Lastfall Glockengeläut betrachtet [5], [6], [7]. [8], [9], [1 0], außerdem wurden Berechnungen sowohl nach den alten und neuen Normen durchgeführt. Aus den dadurch gewonnenen Erfahrungen werden anhand des .. schiefen Turms" von Köln die Berechnungen für den dynamischen Lastfall Erdbeben vorgestellt.
1.2 Türme unter Erdbebenlast
Glücklicherweise liegt Deutschland nicht am Rand einer Kontinentalplatte und hat deswegen keine katastrophalen Beben mit Magnituden um 7,5-8 auf der Richterskala wie Kalifornien oder Japan zu befürchten. Trotzdem gibt es auch in Deutschland seismisch aktive Regionen wie z.B. den Oberrheingraben oder
95
w. Kuhlmann, M. Mistler: Der .. schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
die Niederrheinische Bucht. Paläoseismische Untersuchungen liefern Hinweise dafür, dass in der Niederrheinischen Bucht Beben mit Magnituden um 6,5 möglich sind.
Insbesondere Türme sind für dynamische Bodenerregungen aufgrund ihrer Schlankheit besonders empfindlich. Oft hat die erste Modalform und damit die erste Eigenfrequenz des Turmes den wesentlichen Einfiuss auf das dynamische Verhalten. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn die Einspannung der Türme nicht mehr als Volleinspannung angesehen werden darf. Jedoch reicht es in verschiedenen Fällen nicht aus, Türme als Einmassenschwinger zu betrachten, z.B. wenn die Steifigkeitsverteilung bzw. Massenverteilung der Türme über die Höhe sehr streut. Dann ist eine Berücksichtigung der höheren Modalbeiträge zu empfehlen.
Für die Auslegung und Beurteilung von Gebäuden bzw. Türmen in Erdbebengebieten ist es also wichtig, die Stärke des möglichen Bebens (..Gefährdung am Standort") und die Verletzlichkeit ( .. Vulnerabilität") des Bauwerks zu kennen. Sowohl die Standortgefährdung als auch die Methodik der Tragwerksberechnung sind in der DIN 4149 .. Bauten in deutschen Erdbebengebieten" normativ geregelt. ln der im April 2005 erschienenen Neufassung dieser Norm [4] sind wesentliche Änderungen gegenüber der alten DIN 4149 (1981) [2] vorgenommen worden: Für die Spezifizierung der Standortgefährdung sind neben neu definierten Erdbebenzonen neue elastische Antwortspektren unter Berücksichtigung der Untergrundverhältnisse eingeführt, und zwar sowohl für die horizontale als auch für die vertikale seismische Komponente. Nach alter DIN 4149 gab es die Erdbebenzonen 1 bis 4, in der neuen Fassung reichen die Zonen von 0 (keine Belastung) bis 3 (starke Belastung). Für die Tragwerksberechnung werden zwei Verfahren, das "vereinfachte Antwortspektrenverfahren" und das "Antwortspektrenverfahren unter Berücksichtigung mehrerer Schwingungsformen" zugelassen. Die Erdbebeneinwirkung in zueinander senkrecht stehenden Richtungen ist nach vorgegebenen Regeln zu kombinieren. Das neue Nachweiskonzept basiert auf dem Sicherheitskonzept mit Teilsicherheitsfaktoren. Materialspezifisch sind außerdem Verhaltensbeiwerte (qFaktoren) definiert, die zur Herleitung von Bemessungsspektren in Abhängigkeit von den Tragwerkseigenschaften herangezogen werden können. Deshalb sind die besonderen konstruktiven Anforderungen zur Sicherstellung einer ausreichenden Duktilität beim jeweiligen Tragwerkstyp auch normativ geregelt [11].
96
2. BAUWERKSBESCHREIBUNG UND ANLASS DER BERECHNUNGEN
Der Glockenturm der Kirche St. Johann Baptist in Köln (Abb. 1) hat einen quadratischen Grundriss mit einer Länge von etwa 7 m. Die Höhe des Turms beträgt etwa 40 m. Der Turm besteht aus einem Erdgeschoss, vier weiteren Segmenten und dem Dach. Der Turm ist in Mauerwerksbauweise ausgeführt, die Zwischendecken bestehen aus Stahlbeton. Im 4. OG befindet sich die Glockenstube mit den Schallöffnungen. Im Rahmen einer unterirdischen Baumaßnahme kam es am 29.09.2004 zu einer außerplanmäßigen Schiefstellung des Turms. Die Absenkung des Fundaments von 14 cm in die dem Kirchenschiff abgewandte Richtung führte zu einer Schiefstellung der Turmspitze von ca. 77 cm (entspricht 2%). Daraufhin wurde innerhalb kürzester Zeit die in Abb. 1 erkennbare Stahlstützkonstruktion errichtet. Im Rahmen der Fortsetzung der Baumaßnahme muss diese Stützkonstruktion jedoch wieder entfernt werden. Allerdings war nicht abzusehen, ob und wann eine Aufrichtung des Turmes stattfinden kann. Daher ist im Rahmen der Prüfung der Standsicherheit durch den Prüfingenieur Dipl.-lng. Alexander Pirlet im Auftrag der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) unter anderem untersucht worden, ob die Erdbebensicherheit des Turmes trotz Schiefstellung nach Abbau der Stützkonstruktion gewährleistet ist.
Abb. 1: Glockenturm mit der Stützkonstruktion
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
3. MODELLIERUNG
3.1 Grundlagen der Modeliierung
Eine genaue Berücksichtigung räumlicher Effekte erfordert die dreidimensionale Abbildung des Turmes mit Hilfe eines Finite-Elemente-Modells, in diesem Fall dem Software-Paket Infograph [12]. Es ist so eine direkte Ausgabe der Spannungen in den Tragwerkselementen möglich. Für die Definition der Erdbebenlasten wird sowohl die alte DIN 4149 (1981) als auch die neue DIN 4149 (2005) verwendet.
Bei den verwendeten Finiten Elementen handelt es sich um vierknotige Schalenelemente. Diese werden sowohl für das Mauerwerk als auch für die Stahlbetonbauteile mit den jeweiligen Materialkennwerten benutzt. Für die Stützen wurden Balkenelemente ( Biegestäbe) verwendet. Weiterhin wird die Schrägstellung des Turmes um 2%, die Masse des Glockengeläuts, eine Verkehrslast auf den Stahlbetondecken von 0,5 kN/m2 und die Entkopplung von Kirchenschiff und Turm infolge Schiefstellung berücksichtigt.
Abb. 2: 3D-Ansicht des Turmes mit und ohne Darstellung derWände
Während sowohl die Geometrie als auch die Materialparameter des Mauerwerks und des Stahlbetons recht genau bekannt sind, liegt die größte Unsicherheit des Modells in den nur grob bekannten dynamischen Materialeigenschaften des Baugrundes.
3.2 Abbildung des Bodens
Entsprechend dem vorliegenden Baugrundgutachten stehen unter dem Fundament 4,8 m Sand-SchluffGemisch, 1,5 m sandiger Schluff und ca. 29 m Sand,. Kiessand und Kies an. Für die Berücksichtigung des Baugrundes im Modell wird der dynamische Bettungsmodul benötigt. Nach [13] wird dieser für den vorhandenen Boden mit
Ck =30+100 MN 1m 3
angegeben. Alternativ lässt sich der dynamische Bettungsmodul nach DIN 4178 (1978) [1] aus
E C _ S,dyn
k- J·.fÄ
berechnen, wobei c, der dynamische Kippbettungsmodul, Es, dyo der dynamische Steifemodul für Fre
quenzen bis 6 Hz, A die Fläche des Fundamentes und f ein vom Fundamentseitenverhältnis und
Tiefenwirkung abhängiger Beiwert ist, der zu 0,35 angesetzt werden darf, ist.
Daraus ergibt sich der dynamische Bettungsmodul zu:
Ck 507250
MN!m'=19,3+96,5 MN 1m3
0,35-~7,42
Damit zeigt der Vergleich der beiden möglichen Wege zur Ermittlung des dynamischen Bettungsmoduls sehr ähnliche Ergebnisse für den dynamischen Bettungsmodul, der somit im Bereich zwischen 20 und 100 MN/m3 angenommen wird. Nachträglich wurde jedoch noch der Boden unterhalb des Turmfundaments bis zu einer Tiefe von ca. 6-8 m verfüllt bzw. verpresst Dadurch weisen die beiden obersten Schichten nun verbesserte Bodenkennwerte auf. Diese sind jedoch noch nicht experimentell bestimmt worden. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass sich der dynamische Bettungsmodul um etwa 50% erhöht haben kann, jedoch nicht über die zuvor ermittelten Maximalwerte hinaus. Im Modell wird daher mit Werten zwischen 30 und 100 MN/m3 gerechnet.
3.3 Ermittlung der Eigenfrequenzen
Die Eigenfrequenzen und Eigenperioden werden für unterschiedliche dynamische Bettungsmoduli und zum Vergleich auch für eine feste Lagerung berechnet
97
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
(s. Tabelle 1 ), jeweils unter Berücksichtigung einer Tabelle 2: Höhere Eigenfrequenzen mit Richtung Schiefstellung von 2%.
ln Abb. 3 sind die ersten 3 Eigenfrequenzen graphisch dargestellt. An dieser Stelle wäre eine experimentelle Überprüfung mittels einer Messung zu empfehlen, da der Turm jedoch bisher noch abgestützt ist, ist dies nicht möglich.
Tabelle 2 zeigt die ersten 13 Eigenfrequenzen mit Angabe ihrer Richtung für einen dynamischen Bettungsmodul von 100 MN/m2
• ln den weiteren Berechnungen wurde unter Berücksichtigung von 25 Modalbeiträgen gerechnet.
Tabelle 1: Grundeigenfrequenzen in Abhängigkeit vom dynamischen Bettungsmodul
N-S-Richtung 0-W-Richtung
Dynamischer Bettungsmodul
1. EF 1. EP 1. EF 1. EP
[MN/rn'] [Hz] [s] [Hz] [s]
30 0,57 1,76 0,57 1,74
45 0,68 1,47 0,69 1,46
60 0,77 1,31 0,78 1,29
80 __ 0,86 1,17 0,87 1,15
100 .. 0,93 1,08 0,95 1,05
fest gelagert 1,77 0,56 1,89 0,53
Abb. 3: Eigenformen Nr. 1 bis 3 (translatorisch in N-S-Rtg., transialarisch in 0-W-Rtg. und torsional)
98
Eigen- Richtung der Periode der Schwin-frequenz Schwingung gung [s]
1 N-S 1,077
2 0-W 1,053
3 Torsion 0,217
4 Torsion 0,163
5 0-W 0,160
6 vertikal 0,132
7-10 lokal 0,113-0,107
11 N-S 0,089
12 0-W 0,087
13 Torsion 0,084
4. ERDBEBENBERECHNUNG
4.1 Grundlagen der seismischen Berechnung
Nach alter DIN 4149 (1981) liegt der Standort Köln in der Erdbebenzone 2. Zur Zone 2 korrespondiert ein anzusetzender Bodenbeschleunigungswert von 0,40 m/s2
. Die multimodale Ermittlung der Schnittgrößen infolge Erdbebeneinwirkung basiert auf einem Antwortspektrum, für das ein Baugrundfaktor K von 1 ,4, die Bauwerksklasse 2 und damit a = 0,7 zugrunde gelegt sind. Damit ist
cal a = a0 · K · a = 0,392 m/s2.
Der von der Bauwerksperiode abhängige Wert ß (Abb. 4) ist definiert durch die Gleichung
ß = 0,528 . T;-0'8
•
1,0 1-------
::!: 0,8
l'! 1! 0,6 t: • . l: 0,4 ,jj
0.2
o.o L_ _ __::_:0.4:::51_ ___ ~--------I
o.o 0,5 1.0 1.5 2.0
SchwingungsdauerT [s]
Abb. 4: Beiwert ß nach alter DIN 4149 (1981)
Die jeweils anzusetzende Erdbebenlast ergibt sich aus Multiplikation der Basisbeschleunigung cal a mit dem frequenzabhängigen Beiwert ß, der Bauwerksmasse sowie einem Beiwert y für das dynamische Verhalten in Abhängigkeit von der Eigenform. Anschließend wird die multimodale Berechnung durchgeführt. Bei der Berechnung wird berücksichtigt, welche der beiden horizontalen Bebenkomponenten zu größeren Belastungen führt. Eine Kombination auf-
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln - im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
einander senkrecht stehender Erdbebeneinwirkungen muss nicht berücksichtigt werden.
Im Gegensatz zur alten Fassung liegt Köln nach der neuen DIN 4149 (2005) in der Erdbebenzone 1, ebenfalls mit einem dazugehörigen Bodenbeschleunigungswert von 0,4 m/s'. Hier wird jedoch die Einwirkung um den Faktor y1 = 1,2 aufgrund der Bedeutungskategorie 111 erhöht. Mit den vorhandenen Untergrundverhältnisse (hier: Untergrundklasse T, Baugrundklasse B) und dem Verhaltensbeiwert, der für Mauerwerkswände init einem Seitenverhältnis h/1 " 1 gleich 1,5 ist, ist das anzusetzende Spektrum mit Hilfe des Programms SEISQUICK [14] generiert worden und ist in Abb. 5 dargestellt. Bei der Berechnung werden die zu verschiedenen Kombinationen der Bebenrichtungen berücksichtigt (1 00% x + 30% y bzw. 30% x und 1 00% y).
:;:: 0,09
~ 0,08
: 0,07
~ 0,06 , ·W o.os al 0,04
~ 0,03 .c 0,02 c ~ 0,01
.ß 0,00
1/\ - Horizontall
~ --------
o.o 0.5 1.0 1.5 2.0
SchwingungsdauerT [s]
Abb. 5: Ermitteltes Antwortspektrum nach DIN 4149 (2005)
4.2 Nachweis der Standsicherheit
Für die Lastfallkombination "Eigengewicht und Erdbeben" wird nun das Mauerwerk auf Grundlage der DIN 1053-1 (1996) [15] nach dem genaueren Berechnungsverfahren nachgewiesen [16]. Ein vereinfachter Nachweis ist nicht möglich, da die Gebäudehöhe größer als 20 m ist. Der Nachweis soll hier für die Druck-, Zug- und Biegezugspannungen und für den Schub geführt werden. Als zulässige Spannungen werden dafür folgende Werte zu Grunde gelegt: Grundwert der zulässigen Druckspannungen o0 :
1,2 MN/rn' Rechenwert der Druckfestigkeit ßR:
2,67 · a0 = 3,2 MN/rn' Rechenwert der abgemind. Haftscherfestigkeit ßRHs:
2,0 · OoHs = 0,08 MN/rn' Rechenwert der Steinzugfestigkeit für Vollsteine ßRZ:
0,04 · ßN,t = 0,48 MN/m2
Nach alter DIN 4149 (1981), Abschnitt 9.4 dürfen für den Standsicherheitsnachweis diese zulässigen Spannungen im Lastfall Erdbeben auf das 1 ,5fache
erhöht werden. Der globale Sicherheitsbeiwert v ist mit 2,0 zu berücksichtigen. Für den Nachweis der Druckbeanspruchung muss die v-fache Gebrauchslast ohne Mitwirkung des Mauerwerks auf Zug im Bruchzustand aufgenommen werden können:
V · a s 1 ,5 · ßR Dies ist für den gegebenen Bemessungslastfall stets eingehalten. Zug- und Biegezugspannungen rechtwinklig zur Lagerfuge dürfen in tragenden Mauerwerkswänden nicht in Rechnung gestellt werden, da eine Schubübertragung bei Auftreten von Zugspannungen nicht mehr gewährleistet ist. Die FESimulation (Abb. 6) zeigt, dass der Turm im Lastfall Erdbeben auch für den ungünstigsten angesetzten Bettungsmodul im Bereich des Mauerwerks vollständig in vertikaler Richtung, also senkrecht zur Lagerfuge im Mauerwerk, überdrückt ist. Zugspannungen treten ausschließlich in Bereichen von bewehrten Unterzügen bzw. Ringanker und im Bereich des Betonfundamentes auf.
-1· 00e+061
-1-00e+Ol
-5·00e+OO
-1· OOe+OO:';! ii i
0· OOe+OO~
1· OOe-011
2· OOe-0 1·;:;;
5· OOe-0 1 ;'d
1• OOe+OOV~ ~&2]
Abb. 6: Maximale vertikale Spannungen a [MN/m']
Die vorhandenen Schubspannungen T und die zugehörigen Normalspannung a in der Lagerfuge müssen folgenden Bedingungen für Gleiten in der Lagerfuge und Steinversagen genügen:
y• t $ J,5·f3 RHS + 0,4 ·Ci
.----" " 0,45 ·1,5. [3 RZ • I+---,--
1,5 • [3 RZ
99
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sich_erh<:i_(!;~i,;i~o?
Der Nachweis wird an den maßgebenden Stellen geführt, an denen die Druckspannungen minimal (maximale vertikale Spannungen) und die Schubspannungen maximal werden. Im vorliegenden Fall ist der Schubnachweis an jeder Stelle erbracht. Zusätzlich zu den geführten Spannungsnachweisen ist eine Überprüfung der Bodenpressung und Fundamentklaffung nötig. Die FE-Berechnung zeigt, dass das Fundament für den ungünstigsten Fall überdrückt ist und somit keine Fundamentklaffung auftritt. Die maximalen und minimalen Bodenpressungen liegen im zulässigen Bereich. Der Turm kann daher nach DIN 4149 (1981) für den Lastfall Erdbeben als standsicher erachtet werden.
Nach der neuen DIN 4149 (2005) dürfen die zulässigen Spannungen entsprechend dem Abschnitt "Besondere Regeln für Mauerwerksbauten" für den Standsicherheitsnachweis im Lastfall Erdbeben nicht mehr um 50% erhöht werden, jedoch kann der globale Sicherheitsbeiwert zu y = 1,33 angenommen werden. Außerdem ist hier zu beachten, dass ein Verhaltensfaktor von 1 ,5 schon a priori in die Definition des Antwortspektrums mit eingegangen ist und die Duktilitätseigenschatten schon hierdurch berücksichtigt sind.
Auf der Grundlage der neuen DIN 4149 können nun die Spannungsnachweise analog durchgeführt werden. Auch die maximalen und minimalen Bodenpressungen liegen im zulässigen Bereich.
Ein Unterschied ergibt sich aber im oberen Wandbereich des oberen Turmabschnitts. ln diesem Bereich ist unabhängig vom gewählten Bettungsmodul das Mauerwerk nicht mehr überdrückt Es treten Zugspannungen senkrecht zur Lagerfuge auf (Abb. 7). Deren Maximalwerte nach Überlagerung der Lastfallkombinationen liegen bei 0,08 MN/m2 und können somit in der Realität ev11. vom Material übertragen werden können. Dennoch kann nach Norm der Schubnachweis für diese Bereiche, in denen es zu Zugspannungen kommen kann, nicht geführt werden.
ln Tabelle 3 sind die Ergebnisse der für die Nachweise wesentlichen Berechnungsergebnisse nach alter und neuer DIN gegenübergestellt.
Tabelle 3: Vergleich der Ergebnisse nach alter und neuer DIN 4149
DIN 4149 1981 2005
Maximale Druckspannung [MN/m"] 1,30 1,41 Maximale Zug- und Biegezugspannung
0 0,08 [MN/m2
]
Maximale Bodenpressung [kN/m'] 465 498
Minimale Bodenpressung [kN/m'] 142 118
100
i i· ' i
-1· 00e+061 -1·00e+Ol
-5-00e+OO
-1, OOe+OO; __ , '~ i
o.ooe+oo~
1• OOe-01~ _:;J
2· OOe-0 t < .,.
5·00e-Ol
l·OOe+OOVB
:: :::::~~,~~ 5, OOe+Ol
Abb. 7: Maximale vertikale Spannungen a [MN/m"]
5. WEITERE VERGLEICHSBERECHNUNGEN
5.1 Berechnung mit erhöhter Schiefstellung
Zur Untersuchung der Auswirkung einer möglichen erhöhten Schiefstellung des Turmes ist eine weitere Untersuchung durchgeführt worden. Der komplette Turm im 3D-FE-Modell wurde dafür um 3% geneigt, anschließend wurde die komplette Berechnung erneut durchgeführt: Die Ergebnisse sind exemplarisch für die Bodenpressungen in Tabelle 4 zusammengestellt. Man erkennt, dass die erhöhte Schiefstellung zu größeren Bodenpressungen führt und dass die Ergebnisse nach der neuen DIN erneut stets größer sind als die nach alter DIN. Für die Nachweise, insbesondere auch den Nachweis der Druck- sowie der Schubbeanspruchung sind diese Unterschiede jedoch nicht entscheidend.
Tabelle 4: Vergleich der Ergebnisse mit 2% und 3% Schiefstellung
Schiefstellung 2% 3%
DIN 4149 1981 2005 1981 2005 Maximale Boden-pressung [kN/m']
465 498 498 531
Minimale Boden-
pressung [kN/m'] 142 118 109 84
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
5.2 Berechnung mit einem vereinfachten Modell Geländeoberkante stets kleiner als das aus Windbe-
Zum Vergleich ist der Turm stark vereinfacht als eingespannter Balken modelliert worden. Der Baugrund wird mittels einer Drehfeder berücksichtigt. Die Federsteifigkeit der Drehfeder wird nach [1], [17] berechnet. Korrespondierend zu dynamischen Bettungsmoduli von 30 bzw. 100 MN/m3 sind die Drehfedersteifigkeiten 7250 bzw. 24000 MNm. Zum Vergleich wird auch eine Berechnung mit starrer Einspannung durchgeführt.
Für die erste Eigenfrequenz in den beiden Horizontalrichtungen ergibt sich dabei eine sehr gute Übereinstimmung mit dem Ergebnis des 3D-Modells unter Verwendung einer festen Lagerung. Unterschiede ergeben sich insbesondere durch die genauere Berücksichtigung der Öffnung zwischen Turm und Kirchenschiff. Allerdings ist die Abbildung der Lagerung mit einer Einspannung sehr ungenau. Bei Berücksichtigung des Baugrundes ergeben sich deutliche Unterschiede. Im Vergleich zum Baugrund spielt dabei die unterschiedlich angesetzte Glockenmasse und die geringfügig andere Steifigkeit nur eine untergeordnete Rolle.
Nach der Eigenfrequenzermittlung ist die modalanaly1ische Erdbebenuntersuchung durchgeführt worden. in Tabelle 5 sind die Ergebnisse zusammengestellt.
Es zeigt sich, dass eine abnehmende Steifigkeit der Bettung zu abnehmenden Schnittgrößen infolge Erdbeben führt. Dies liegt an den abnehmenden Eigenfrequenzen und damit an den (zumeist) abnehmenden anzusetzenden Belastungen aus dem Antwortspektrum.
Tabelle 5: Ergebnisse des Balkenmodells
max. Moment an
Version der Geländeober-
DIN 4149 kante [kNm]
0-W- N-S-Rtg. Rtg.
1981 6984 7975 starre Einspannung
2005 9202 10884
festerer Untergrund 1981 4327 4479 (k = 24000 MNm, ent-
2005 4892 5096 spricht 100 MN/m') weicher Untergrund 1981 2917 3113 (k = 7250 MNm, ent-
2005 2994 3240 spricht 30 MN/m')
Berücksichtigt man die zulässige Erhöhung der maximalen Spannungen im Erdbebenfall um den Faktor 1,5 in den Ergebnissen der Erdbebenuntersuchung, so ist das resultierende Biegemoment auf Höhe der
lastung (außer bei fester Einspannung und Berechnung nach DIN 4149 (2005)).
6. VERGLEICH ZWISCHEN ALTER DIN 4149 (1981) UND NEUER DIN 4149 (2005)
Die Ergebnisse der Erdbebenberechnung des Glockenturms nach alter DIN 4149 (1981) und neuer DIN 4149 (2005) führen zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen. Dies ist auf die zugrunde liegenden Antwortspektren und die Kombination der horizontalen Bebenkomponenten zurückzuführen.
Die Ermittlung der beiden Spektren ist nicht direkt vergleichbar. ln das in Abb. 5 dargestellte Antwortspektrum nach DIN 4149 (2005) gehen der Bemessungswert der Bodenbeschleunigung (0,40 m/s2
), der Bedeutungsbeiwert in Abhängigkeit der Wichtigkeit des Gebäudes (1 ,2), der Untergrundparameter (1 ,0) und der Verstärkungsbeiwert (2,5 für viskose Dämpfung) ein. Der Plateauwert liegt bei 0,0815 g, d.h. 0,80 m/s2
• Demgegenüber wird der frequenzabhängige Beiwert ß nach DIN 4149 (1981) aus Abb. 4, der einen Plateauwert von 1,0 hat, noch mit dem Rechenwert der Horizontalbeschleunigung (0,392 m/s2
) und dem eigenformabhängigen Beiwert y multipliziert. Insgesamt resultieren daraus deutlich höhere Spektralwerte nach DIN 4149 (2005).
Der zweite Grund der höheren Schnittgrößen unter Verwendung von DIN 4149 (2005) liegt in der geänderten Kombination der beiden horizontalen Richtungen. Während man nach der alten DIN davon ausging, dass nur eine horizontale Bebenkomponente wirkt, sind nach der neuen DIN die beiden horizontalen Bebenkomponenten mit der 100% I 30%-Regel miteinander zu kombinieren. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass sämtliche Ergebnisse unter Verwendung der DIN 4149 (2005) größer sind als die nach DIN 4149 (1981).
7. AUSBLICK
Für Glockentürme sind die dynamischen Einwirkungen von entscheidender Bedeutung. Die relevanten Normen für den Lastfall Glockengeläut (DIN 4178) und für den Lastfall Erdbeben {DIN 4149) sind überarbeitet worden.
ln diesem Artikel wurde der Lastfall Erdbeben anhand der Berechnungen des "schiefen Turms" von Köln erläutert. Die Untersuchungen wurden nach alter und neuer Fassung der Erdbebennorm durchgeführt. Für die Berechnungen wurde ein 3D-Finite-ElementeModell erstellt.
101
W. Kuhlmann, M. Mistler: Der "schiefe Turm" von Köln- im Erdbebenfall ein Sicherheitsrisiko?
Die Ergebnisse zeigen, dass die Schiefstellung des Turmes fast keinen Einfluss auf die Berechnungsergebnisse hatte.
Allerdings wurde deutlich, dass für den Lastfall Erdbeben die Berechnungen nach der Neufassung der Norm zu höheren Belastungen und damit höheren Schnittgrößen führen.
Für den berechnenden Ingenieur sind daher die auf den aktuellen Stand der Technik gebrachten Neufassungen der Normen nach ihrer Einführung unbedingt zu beachten, um auf der sicheren Seite liegende Ergebnisse zu erhalten.
Im Falle des "schiefen Turms" von Köln wurde !rotz der durchgeführten Berechnung die Stahlstützkonstruktion nicht abgebaut, um letztlich aus eher psychologischen Gründen keine Besorgnis in der Nachbarschaft auszulösen. ln der Zwischenzeit wurden unter dem Turm auf der dem Schiff abgewandten Seite zwei Bohrpfähle mit je 1 ,20 m Durchmesser und einer Länge von 28 m und im Schiff 14 Kleinbohrpfähle eingebaut. Unter dem Turm wurde außerdem ein Stahlbetonträgerrost eingebaut. Zukünftig steht der Turm dann auf dem Trägerrost, das wiederum die Lasten über die Pfähle in den Untergrund abträgt. Mit Hilfe von hydraulischen Pressen soll etwa gegen Ende Oktober 2005 der Turm wieder aufgerichtet werden.
8. LITERATUR
[1] DIN 4178, Glockentürme - Berechnung und Ausführung, Berlin: Beuth 1978.
[2] DIN 4149, Bauten in deutschen Erdbebengebieten, Berlin: Beuth, 1981.
[3] DIN 4178, Glockentürme - Berechnung und Ausführung, Berlin: Beuth 2005.
[4] DIN 4149, Bauten in deutschen Erdbebengebieten, Berlin: Beuth 2005.
[5] Kuhlmann, W., Butenweg, C., Meskouris, K.: Baudynamische Untersuchung des Aachener Doms unter Erdbebenbelastung, Bautechnik, Vol. 80, Heft 10, S. 675-684, 2003.
[6] Kuhlmann, W.: Historie Buildings under Earthquake Load, IABSE Symposium "Metropolitan Habitats and lnfrastructure", Shanghai 2004.
[7] Kuhlmann, W., Mistler, M.: Türme unter Glocken- und Erdbebenlast nach alter und neuer DIN 4178 und 4149, Beton- und Stahlbetonbau, Vol. 100, Heft 7, S. 561-573, 2005.
[8] Kuhlmann, W., Mistler, M.: Simulationen und Messungen von Glockentürmen - Widerspruch oder Ergänzung?, Bautechnik, Vol. 82, Heft 10, 2005.
[9] Kempen lngenieurgesellschaft, Fachbereich Baudynamik, www.igkempen.de, www.baudynamik.biz, 2005.
102
[1 0] Kuhlmann, W.: INFO-BELL, Software zur numerischen Untersuchung von Glockengeläuten und Glockentürmen, Aachen 2005.
[11] Meskouris, K., Butenweg, C., et al.: Einstiegsseminar in die neue DIN 4149, Tagungsunterlagen, Lehrstuhl für Baustatik und Baudynamik, RWTH Aachen, 2005.
[12]1nfograph, Software für die Tragwerksplanung, v. 6.20, www.infograph.de, Aachen 2005.
[13] Smoltczyk, U. (Hrsg.): Grundbau-Taschenbuch, 4. Auflage, Teil1, Berlin: Ernst & Sohn 1990.
[14] Kuhlmann, W.: SEISQUICK, v.2.1. Software zur Anwendung von DIN 4149 (April2005), Aachen 2005.
[15] DIN 1053: Mauerwerk, Teil1: Berechnung und Ausführung, Berlin: Beuth 1996.
[16] Meskouris, K., Kuhlmann, W., Mistler, M.: Baudynamisches Gutachten zur Standsicherheit im Erdbebenfall -Glockenturm SI. Johann Baptist, Aachen 2005.
[17] Meskouris, K.: Baudynamik- Modelle, Methoden, Praxisbeispiele, Bauingenieur-Praxis, Berlin: Ernst & Sohn 1999.
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken· Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus d~r Praxis
Hamid Sadegh-Azar 1 und Hans-Geerg Hartmann2
1'2 HOCHTIEF Construction AG, HOCHTIEF Consult IKS Energy, Frankfurt a.M.
1 EINFÜHRUNG
Lärmschutzwände an den Schnellbahnstrecken der Deutschen Bahn sind erheblichen Belastungen aus den Luftdruckwellen der passierenden Züge ausgesetzt. Gemäß den Bemessungsgrundlagen der DB sind sie für die entsprechenden Druck- und Sogeinwirkungen auszulegen. Nach DB ProjektBau (2004) ist dem nicht vorwiegend ruhenden Charakter der Druck-Sogeinwirkung und der zu erwartenden dynamischen Anregung bei der Bemessung der Schutzwände Rechnung zu tragen. in den früher gültigen Auslegungsunterlagen war lediglich ein statischer Lastimsatz vorgegeben, der die dynamischen Einflüsse mit abdecken sollte. Auf Grund von mehreren Schadensfällen hat die DB diese Auslegungsgrundlagen modifiziert.
Das Problem lässt sich in zwei Teilaufgaben untergliedern:
a) Dynamische Anregung und Lasteinwirkung b) Dynamische Beanspruchbarkeil und Ermüdung
ln Aufgabe a) werden für verschiedene geplante Systeme dynamische Zeitverlaufsberechnungen vorgenommen und die maximalen Schnittkräfte und Verschiebungen der Lärmschutzelemente und Pfosten ermittelt.
in Aufgabe b) wird anhand von Normen (z.B. Eurocode 3) die Beanspruchbarkeil der Elemente und Pfosten ermittelt.
Am Beispiel eines aktuellen Neubauprojektes der DB wir hier eine derartige dynamische Berechnung präsentiert. Bei den geplanten Wandsystemen handelt es sich entweder um Stahlbetonfertigteile oder um patentierte Mischkonstruktionen aus verschiedenen Materi-
alien (Aluminium, Dämmstoffe, Elastomere, Verbindungsmittel etc. ). Es sollen hierfür Querschnittsteifigkeiten abgeschätzt und die maximalen Wandverschiebungen bei Zugvorbeifahrten ermittelt werden.
Zur dynamischen Berechnung wird ein geeignetes Berechnungsmodell entwickelt. Das 3D-Modell bildet einen typischen Ausschnitt einer Lärmschutzwand bestehend aus Streifenfundament, Pfosten und Wandelementen ab. Es umfasst einen Randpfosten sowie zwei Nachbarpfosten. Das Modell ist so konzipiert, dass Varianten und Optimierungen leicht eingearbeitet werden können.
Erfasst werden das dynamische Verhalten von Pfosten, Wandelementen und deren Anschlusskonstruktion und der Einspannung der Pfosten im Fundament. Eine Berücksichtigung der Torsions- und Biegesteifigkeit des Streifenfundamentes und der dynamischen Steifigkeit des Baugrundes erweist sich für die vorgegebenen Systeme als nicht notwendig. Eine rechnerisch klaffende Sohlfuge tritt nicht auf und sollte wegen der Dauerfestigkeitsanforderungen auch vermieden werden.
Als wesentliche Ergebnisse werden die Schnittgrößen von Pfosten und Streifenfundamenten sowie die Sohlspannungen und der Einfluss der Pfosteneinspannung ermittelt. Auf dieser Grundlage können dann weitere Varianten und Optimierungen vorgenommen werden.
Weiterhin ist untersucht worden, welchen Einfluss variierte Eingabeparameter auf die Berechnungsergebnisse haben. Variiert worden sind u. a. die Querschnittssteifigkeiten von Pfosten und Wandelementen die Steifigkeit der Anschlusskonstruktion, die Torsi: onssteifigkeit des Streifenfundamentes, die Baugrundsteifigkeit und die Dämpfungen von Wand und Baugrund.
103
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis
2 DRUCK-SOGEINWIRKUNGEN AUS ZUGVORBEIFAHRT
Die Druck-Sogeinwirkungen aus Zugvorbeifahrt (Regelzug: ICE3 ( Doppelzug 205 m + 205 m) mit 300 km/h im Abstand 3.8 m von der Gleismitte) sind in [R1] definiert.
Für die charakteristische Druck-Sogeinwirkung aus Zugverkehr w, gilt:
mit
2 Vzug
wk =cp ·Cz. PLuft "2
cp : resultierender Druckbeiwert
(1)
Cz : Höhenfaktor (variiert zwischen 1.0 und 0.6) PLuff : Dichte der Luft (hier 1.25 kg/m3
)
Vzug : Zuggeschwindigkeit (hier 83.3 m/s)
Als Druck-Sogeinwirkung ergibt sich somit:
w = c · c · 4 34 kN I m2 k p z • (2)
Abb. 2.1 zeigt den Zeitverlauf des Luftdrucks w, für den Regelzug. Der Maximalwert des Luftdrucks liegt bei 0.6 kN/m2
. Man erkennt deutlich Druck- und Sogwellen an Bug und Heck des Zuges sowie den Druckanstieg in der Mitte an der Kupplung der beiden Zuggarnituren.
0,5
" E o.3 ~ 0,1
~ -0,1 u 3 -{),3
Zeii(S.)
Abb. 2.1: Druck-Sogeinwirkung w, für Regelzug ICE3 (vz,9 ; 300 km/h, a9 ; 3.8 m, c,; 1.0)
3 DYNAMISCHE BERECHUNGEN
Es sind mehrere Systeme der Schallschutzwände zum Vergleich der dynamischen Eigenschaften und zur Optimierung untersucht worden. Hier wird beispielhaft ein System dargestellt. Das System besteht aus Wandprofilen und Stahlpfosten. Es himdelt sich um asymmetrische I Profile aus Aluminium, die mit einer Feldlänge von 5 m in Pfostenprofilen montiert sind. Die Höhe der Wand beträgt
104
insgesamt 2.80 m, davon 0.80 m Betonelemente und 2.00 m Aluminiumelemente. Die Pfostenprofile haben einen T -förmig zusammengeschweißten Querschnitt mit rückwärtiger Abstrebung. Bild 3.1 zeigt einen skizzenhaften Wandquerschnitt mit dem Pfostenprofil und eine typische Ansicht der Wandprofile.
Das Berechnungsmodell des Systems besteht aus zwei Wandfeldern und ist in Abb. 3.2 dargestellt. Es werden zunächst in einer modalen Analyse die Eigenfrequenzen, Eigenformen und modalen Dämpfungen ermittelt. Die Zeitverläufe der Verschiebungen und Schnittkräfte erhält man aus der Integration der modalen Differentialgleichungen.
Abb. 3.1: Lärmschutzwand (System 1)
Abb. 3.2: Berechnungsmodell (System 1)
Die Pfosten werden mit Stab-Elementen modelliert, die Beton- und Aluminiumteile als Schalen-Elemente.
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis
Dynamische Lasten Der Lastfall "Druck und Sogeinwirkung" wird in vier zeitlich versetzten Stufen auf das Modell angesetzt. Die erste Stufe ist in Bild 3.3 dargestellt. ln der zweiten Stufe wird die zweite Hälfte des ersten Wandfeldes belastet usw.
Der Zeitversatz beträgt 0.03 s bei Annahme eines ICE3 mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h:
0 =2.5 m -> v = 300 kmlh = 83.33 mls
->L11 =Div=0.03 s.
Das Spektrum des Zeitverlaufs der Druck-SogWirkung {Abb. 2.1) ist in Abb. 3.4 für verschiedene Dämpfungswerte zu sehen. Diese Darstellung entspricht vereinfacht einer quasi-statischen Last auf die Lärmschutzwand bei Systemen mit der gegebenen Frequenz {horizontale Achse). Für ein nahezu starres System würde dieser Wert bei 0.6 kN/m2 liegen (s. Abb. 2.1 und 3.4). Für ein schwach gedämpftes, flexibles System kann dieser Wert bis auf knapp 4 kN/m2
{bei ca. 3.2 Hz) anwachsen.
Abb. 3.3: Erste Stufe aus vier zeitlich versetzen Stufen des Lastfalls "Druck und Sogeinwirkung"
Wie aus diesem Bild zu erkennen ist, liegen die ungünstigen Frequenzen (mit einer Überhöhung der statischen Maximallast) in Bereich von etwa 1.5 Hz bis 9 Hz. Im nächsten Abschnitt werden die Frequenzen des Systems ermittelt.
Frequenzen Die resultierenden Frequenzen und effektiven modalen Massen des Systems sind in Tab. 3.1 zusammengefasst.
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Abb. 3.4: Spektrum des Zeitverlaufs der Druck-Sog-Wirkung (Abb. 2.1)
Frequencyl~ UY UZ I SumUX 1 SumUY [ SumUZ ! I H~=:J UniU<?S~ Unitles~ ~--r~---·-···-- .. i----~'"····---····-~·-··---~~-1
No. Uni!less ~ ~itless L~'!.~!-~~-~LbJI~J.!!~~~U 1 9.57 0.0000 0.7460 0.0000 0.0000 0.7460 0.0000 2 9.65 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.7460 0.0000 3 17.87 00000 0.0084 0.0000 0.0000 0.7545 0.0000 4 18.85 00000 00000 0.0000 0.0000 0 7545 0.0000 5 34.91 0.0000 0.0001 0.0000 0.0000 0.7546 0.0000 6 36.60 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.7546 0.0000 7 39.70 00000 0_0006 0.0000 0.0000 0.7551 0.0000 8 43.89 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0_7551 0.0000 9 46.19 0.0000 0.0693 0.0000 0.0000 0.8244 0.0000
10 53.20 0_0000 0_0000 0.0000 0.0000 0.8244 0.0000 11 54.42 0.0000 0.0188 0.0000 0.0000 0.8432 0.0000 12 66.86 0_0000 0.0000 0.0000 0_0000 0_8432 0_0000 13 73.46 0_0000 0_0001 0.0000 0.0000 0.843-3 0.0000 14 80.74 0.0000 0.0536 0.0000 0.0000 0.8969 0.0000
Tab. 3.1: Frequenzen und effektive modalen Massen des Systems (in %)
Die erste und wichtigste Frequenz in V-Richtung (quer zur Wand) liegt bei 9.6 Hz, also oberhalb des ungünstigen Frequenzbereiches, mit einer effektiven modalen Masse von 75%. Die erste Eigenform ist in Abb. 3.5 zu sehen.
Abb. 3.5: Erste Eigenform des Systems
105
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis
Verformungen Die Maximalverformung des Systems infolge DruckSogeinwirkung ist in Abb. 3.6 dargestellt.
Abb. 3.6: Maximalverformung des Systems infolge DruckSogeinwirkung
Die Maximalverformung der Aluminiumelemente liegt bei etwa 3 mm in beiden Richtungen quer zur Wand. Die Betonelemente zeigen entsprechend eine maximale Verformung von 1 .8 mm.
Momentenzeitverläufe in den Elementen Abb. 3. 7 zeigt den Zeitverlauf des Moments (M33, quer zur Wand) am Fußpunkt des mittleren Pfostens.
Abb. 3.7: Zeitverlauf des Moments am Fußpunkt des mittleren Pfostens.
Das maximale Moment beträgt etwa 7.6 kNm. Die Maximalmomente in Wandquerrichtung um die ZAchse (M11) sind in Abb. 3.8 dargestellt.
Einfluss der Fundamentnachgiebigkeit Um den Einfluss der Nachgiebigkeit des Fundamentes auf dem Boden zu untersuchen, ist die Einspannung am Fußpunkt des Pfostens durch Bodenfedern ersetzt worden.
106
(M11)
Die Bodenfedern lassen sich aus folgenden Gleichungen ermitteln (Bowels, 1996):
k,
k,
0.8·G'(2L)
l-v
2.24·G'(2L)
2-v
tr(2L) · G' · B' [I+ (ln(3 -4v))'] 2-2v "
(3)
(4)
(5)
Es ist ein Streifenfundament der Breite 1.2 m und der Höhe 1.10 m vorgesehen. Bei der konservativen Annahme von G' = 75000 kN/m2 und v = 0.3 für den Boden ergibt sich:
kz = 428'000 kN/m
ky = 494'000 kN/m
kex = 313'000 kNmlrad
Unter jedem Pfosten wird die Einspannung durch diese Federn ersetzt. Die Berechnungen zeigen, dass durch den Einsatz der Federn die erste Frequenz der Wand kaum beeinflusst wird (f = 9.45 Hz anstelle von 9.6 Hz bei Volleinspannung).
Auch die Gesamtschubkraft am Boden quer zur Wandrichtung (Base Shear) erhöht sich praktisch nicht (FYmax = 11.23 kN anstelle von 11.07 kN bei Volleinspannung). Somit ist hier eine Berücksichtigung der Fundamentnachgiebigkeit nicht erforderlich.
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis
4 DYNAMISCHE BEANSPRUCHBARKElT UND ERMÜDUNG
Die dynamische Beanspruchbarkeil wird in diesem Falle hauptsächlich durch die Ermüdung der Elemente beeinflusst. Zuvor müssen die einwirkenden Betriebslasten ermittelt werden. Unter den einwirkenden Betriebslasten versteht man die bei der praktischen Nutzung auf ein Bauteil zeitlich veränderlichen Belastungen. Für die zu untersuchenden Bauteile werden die maßgebenden Beanspruchungszeitverläufe nach einem angemessenen Klassierungsverfahren ausgewertet und in Form von Beanspruchungskollektiven dargestellt.
Klassierungsverfahren sind statistische Zählverfahren zur Bestimmung der in Größe und Häufigkeit auftretenden Spannungsschwingbreiten aus dem zeitlich veränderlichen Spannungszustand im BauteiL Zu den bekanntesten Zählverfahren gehören die RainflowMethode und die Reservoir-Methode.
Bei der Rainflow-Methode werden nach "Kippen" des Spannungs-Zeit-Verlaufs die lokalen Minima und Maxima durch gerade Linien verbunden. Anschaulich stellt man sich Regenwasser vor, das entlang der Gefällepfade herunterläuft und an den Kanten auf ein gleich langes oder längeres Gefälle tropft. Hiermit ist die entsprechende Hysterese geschlossen und wird gezählt. Bei der Reservoir-Methode wird der Spannungs-ZeitVerlauf anschaulich wie ein Reservoir mit Wasser gefüllt. Am tiefsten Punkt 1 wird das Wasser abgelassen, die Höhe des "Wasserstandes" entspricht der Spannungsdifferenz Ll.o1. ln gleicher Weise werden die restlichen (noch gefüllten) Kammern des Reservoirs nacheinander geleert und die "Wasserstände" bzw. Ll.a2 , Ll.a3 usw. ermittelt.
t;(l}
Abb. 4.1: a) Rainflow-Methode b) Reservoir-Methode
Der Kollektivumfang wird für eine Zugzahl n=100 /Tag und eine Lebensdauer von 50 Jahren ermittelt. Somit ergibt sich die Gesamtzahl von 1.825 Millionen Zugvorbeifahrten. Die einzelne Beanspruchung wird definiert durch den Zeitverlauf der maßgebenden Schnitt-
größe (z.B. Abb. 3.7). Die zulässigen Spannungen werden im Eurocode 3 durch eine Reihe von Ermüdungsfestigkeitskurven (Abb. 4.2) bestimmt.
Liegt der Maximalwert der Spannung Ll.Omax unterhalb der Dauerfestigkeit Ll.a0 des betreffenden Kerbdelails, vgl. Abb. 5.1, ist kein Ermüdungsnachweis erforderlich:
r Ff und r Mf sind Teilsicherheitsbeiwerte ( r FJ =1.0 und r Mf =1.15 für Baustahl und Aluminium)
Für den Momentenzeitverlauf in Abb. 3. 7 ist:
Kerbfa/1160 ->!'>.a-n = 117 N!mm2
-> 1.0*29.2 « 11711.15 = 101.7 Nlmm2
Spannuogsschwlngbreite Ao (Nfmm')
1000
"'""""'"'-Efr!IOdllllg$fG'$llgkelt
Abb. 5.1: Ermüdigungsfestigkeitskurven für Spannungsschwingbreiten der Längsspannungen
Ähnliche Betrachtungen können für jeden einzelnen Bestandteil der Wände durchgeführt werden.
5 ZUSAMMENFASSUNG
Um Lärmschutzwände für Luftdruckwellen aus Zugvorbeifahrten zuverlässig auslegen zu können, sind generell dynamische Berechnungen des Schwin-
107
Lärmschutzwände an Schnellbahnstrecken: Dynamische Probleme und Lösungsansätze aus der Praxis
gungsverhaltens erforderlich. Der Beitrag demonstriert Modellabbildung und Berechnungsverfahren am Beispiel eines derzeit geplanten Neubauprojektes.
Mit den hier aufgeführten Berechnungen lassen sich ungünstige Frequenzbereiche der Schallschutzwände ermitteln. Die auf dem Markt gängigen Systeme der Schallschutzwände können auf ihre dynamischen Eigenschaften hin untersucht und optimiert werden.
6 LITERATUR
DB ProjektBau, PZ NÜR 1 vom 12.02.2004: Bemessungsgrundlagen für Schutzwände an der NBS-NIM
Eisenbahn-Bundesamt: Ril 800.2001, Lärmschutzwände
DIN-Fachbericht 101 "Einwirkungen auf Brücken", Ausgabe 2001, Kapitel IV, 6.6 und Anhang N (DS 804, Anlage 28)
DIN 4150 Erschütterungen im Bauwesen, Teil 1: Vorermittlung von Schwingungsgrößen, Juni 2001
DIN 4150 Erschütterungen im Bauwesen, Teil 3: Einwirkungen auf bauliche Anlagen, Februar 1999
ENV 1993-1-1 (Eurocode 3): Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten; Teil 1-1, Allgemeine Bemessungsregeln, Bemessungsregeln für den Hochbau, 1.04.1992
CEB-FIB Model Code 1990
Bowels, J.E., Foundation Analysis and Design, McGraw-Hi/1, 1996
108
Experi!fle~telle Un~ersuchung und FE - Modeliierung der Brücke R3 im Hmbhck auf d1e max. Beschleunigungen bei Zugsüberfahrten
Rainer Flesch 1 und Siefan Deix 1
1Geschäftsfeld Verkehrswege, arsenal research, Wien
1 AUFGABENSTELLUNG
ln der TSI Infrastruktur und Fahrzeuge wird für neue Eisenbahnbrücken die Durchführung dynamischer Zugsüberfahrtsberechnung nach der EN 1991-21 Kapitel 6 verlangt. Das Kapitel 6 der EN 1991-2 ist leider sehr unübersichtlich und nicht anwenderfreundlich. Die geforderten Berechnungen führen in vielen Situationen - insbesondere bei kleinen Tragwerken - zu fragwürdigen und überzogen erscheinenden Ergebnissen. Auf Initiative der Eisenbahn - Hochleistungsstrecken AG (HL-AG)I Brückenbau wurde ein österreichischer Expertenkreis für diese Fragestellung eingerichtet. Die Plausibilität der in der EN1991-2 enthaltenen Forderungen wurden hinterfragt und Wege für Vereinfachungen und Verbesserungen gesucht. Über erste Ansätze und Ergebnisse wurde in Flesch (2003) und Flesch et al. (2004a) berichtet. Insbesondere besteht die Absicht, durch Kombination von Messungen und Berechnungen die Vorgangsweise (die Berechnungsmethode selbst sowie die erforderlichen Eingabeparameter) mittelfristig zu verbessern. Hierbei spielt das Know-how von arsenal research betreffend die Durchführung von dynamischen in-situ Versuchen, FE - Berechnungen und Model - Updating eine wesentliche Rolle (siehe Flesch et al. (2005a). Wegen der Wichtigkeit der Materie wird das "Computational Model - Updating" im Abschnitt 5 beschrieben. Im Abschnitt 4.2 wird dann zusätzlich anhand des Beispieles der Brücke R3 eine relativ einfache, ingenieurmäßige Vorgangsweise demonstriert.
2 VERSUCHSPROGRAMM
Im August 2004 wurden Mess- und Versuchsfahrten auf der Westbahnstrecke zwischen Prinzersdorf und Ybbs an der Donau durchgeführt. Auf Grund der Trassierung ist dort das Fahren mit Geschwindigkeiten bis zu 300 kmlh möglich. Bereits in der 27. Kalenderwoche 2004 wurden bei drei
ausgewählten Brücken Beschleunigungsmessungen bei Regelverkehr über jeweils ca. 8 Stunden durchgeführt. Für die Hochgeschwindigkeitsfahrten wurde von der DB der /CE-SI Messzug kurz bestehend aus Triebkopf - Mittelwagen - Triebkopf und der /CE-SI Messzug lang bestehend aus Triebkopf- 7x Mittelwagen - Triebkopf zur Verfügung gestellt. Die Messungen an den Brücken fanden in der Kalenderwoche 34 mit dem kurzen Messzug und in der darauf folgenden Woche mit dem langen Messzug statt.
Die Auswahl der zu untersuchenden Eisenbahnbrücken erfolgte bei einer gemeinsamen Begehung durch die HL-AG, das Ingenieurbüro Kirsch - Muchitsch und arsenal research. Bei der Selektion wurde Augenmerk auf die Art der Tragkonstruktion und die Spannweite gelegt. Es wurde eine vorgespannte Einfeldplatte (Objekt R3), ein unten offener Stahlbetonrahmen und ein geschlossener Stahlbetonrahmen ausgewählt. Alle drei Brücken zählen zu jenen kleinen Objekten mit Spannweiten zwischen sechs und vierzehn Metern, für die Berechnungen gemäß EN 1991-2 häufig unzulässig hohe Tragwerksbeschleunigungen ergeben.
Die standardmäßigen Zugsüberfahrtsberech-nungen für die drei Brücken nach EN 1991-2 wurden vom Ingenieurbüro Kirsch- Muchitsch vorgenommen. arsenal research erarbeitete zusätzlich für das Objekt R3 ein FE- Modell, welches optimal an die Versuchsergebnisse angepasst werden sollte.
Das Objekt R3 besteht aus 4 ähnlichen Einzeltragwerken (für jedes Gleis ein eigenes Tragwerk). Fugenbänder zwischen den 4 Tragwerken sowie das durchgehende Schotterbett führen zu einer maßgeblichen dynamischen Koppelung in Querrichtung.
Auf allen drei Brücken wurden neben 10 Beschleunigungsaufnehmern auch 2 DMS - Messstellen auf der Schiene angeordnet um die Achsfolge,
109
R. Flesch und S. Deix
die Achslasten und die Fahrgeschwindigkeit ermitteln zu können.
3 DYNAMISCHE IN-SITU VERSUCHE AM OBJEKT R3
Zur Ermittlung der Eigenfrequenzen wurden Schwingungsuntersuchungen mittels des Schwingungsgenerators VICTORIA durchgeführt, welcher hierfür unter dem Tragwerk 4 auf der Straße positioniert wurde. Zur vertikalen Anregung wurde der Hydraulikkolben von VICTORIA über eine Stabkette mit dem Tragwerk verbunden (siehe Abb. 1 ).
Abb. 1: Schwingungsgenerator VICTORIA
Einige gemessene Eigenformen werden in den Abbildungen 2 bis 4 dargestellt.
Abb. 2: Zweite Eigenform des Gesamtsystems. Eigenfrequenz: 11 ,83 Hz, Dämpfung: 2, 7 % (ohne Zug). Dieser Mode wird vom untersuchten Tragwerk/Gleis 4 geprägt.
arsenal research verwendete in diesem Projekt die Software SOFISTIK zur Brückenmodeliierung und Durchführung der Zeitverlaufsuntersuchungen. Da SOFISTIK keine Möglichkeiten für ein computergestütztes Model - Updating besitzt, wurden Voruntersuchungen mittels der Software MATFEM
110
und UPDATE_ G durchgeführt. Betreffend die Grundlagen für Model - Updating wird auf Abschnitt 5 verwiesen.
Abb. 3: Dritte Eigenform des Gesamtsystems. Eigenfrequenz: 15,22 Hz, Dämpfung: 2,5 % {ohne Zug). Dieser Mode wird von einem Nachbartragwerk geprägt.
Abb. 4: Vierte Eigenform des Gesamtsystems. Eigenfrequenz: 21 ,09 Hz, Dämpfung: 4,6 % (ohne Zug). Dieser Torsionsmode wird vom untersuchten Tragwerk geprägt.
Da die dynamischen in-situ Versuche eine deutliche Schwingungskoppelung der 4 Tragwerke aufzeigten, wurden zunächst die beiden unmittelbaren Nachbartragwerke in die Modeliierung einbezogen. Die Lagerfedern sowie die Koppelungsiedern zwischen den nebeneinander liegenden Tragwerken wurden als Anpassungsparameter gewählt. Diese Strategie lieferte zwar sehr gute Ergebnisse (siehe Abb. 5 und 6), die jedoch gemäß den neuasten Untersuchungen nicht die physikalisch plausibelsie Lösung darstellen (siehe Abschnitt 4.2). Model -Updating ist ein sehr leistungsfähiges Werkzeug, bei der Anwendung ist allerdings sehr viel Feingefühl und Erfahrung erforderlich.
Noch bevor sich herausstellte, dass die erste Updating - Strategie keine realistischen Ergebnisse liefert, war klar, dass ein derart großer Modellierungsaufwand für die Überprüfung der TSI -Konformität nicht toleriert werden kann. Es wurde daher versucht, mit dem Programm SOFISTIK eine befriedigende Modeliierung des Tragwerks 4 ohne Einbeziehung der Nachbartragwerke vorzunehmen. Endziel ist ein möglichst einfaches, dem Praktiker
Experimentelle Untersuchungen und FE - Modeliierung der Brücke R3 im Hinblick auf die max. Beschleunigungen bei Zugsüberfahrten
zurnutbares Modell, mit dem man in der vorliegenden Situation zu vertretbaren Ergebnissen kommen kann.
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Abb. 5: Frequenzdifferenzen der 3 Moden vor und nach dem Updating
Abb. 6: MAC - Werte der 3 Moden vor und nach dem Updating Prozess
4 FE- MODELLIERUNG VON TRAGWERK 4 DES OBJEKTES R3
4.1 Modell1
Das SOFISTIK - Modell 1 stellt eine möglichst naturgetreue 3D Modeliierung des Tragwerks 4 als Einfeld-Plattenbrücke dar. Der erste Schritt war die Ermittlung aller wesentlichen Koordinaten dieser schiefen Brücke aus den Plänen. Die vorgespannte Platte hat eine maximale Stärke von 0,7 m. ln Längsrichtung besitzt sie von der Mitte weg ein Gefälle von etwa 1 ,5%. Die beiden Endquerträger sind etwa 1 m breit und haben eine Höhe von 1,2 m. Die Höhe des Schotterbettes ist in Querrichtung veränderlich. ln Tragwerksmitte variiert sie zwischen beiden Rändern von 0,45 bis 0,67 m. Die Gleisachse liegt deutlich exzentrisch und ist zum südlichen Tragwerksrand parallel (Abstand 2,19 m). Die Spannweite in Gleisachse beträgt 10,57 m. Die Breite variiert von etwa 6,3 bis 6,8 m.
Die Brücke besitzt an jedem Ende 3 Lager. Beim Widerlager Salzburg befindet sich in der Gleisachse ein allseitig festes Lager und beim Widerlager Wien ein in Längsrichtung bewegliches Lager. Die zwei
weiteren Lager an jedem Ende sind Elastomerlager (vertikal: 2,4.1 06 kN/ m; horizontal: 3.103 kN/ m). Als E- Modul des Betons wurde 3,7.107 kN/ m2 angesetzt. Die spezifische Masse des Betons wurde mit 2,5 t/ m3
und die des Schotters mit 2,0 t/ m3 angenommen. GemäßEN 1991-2/ Kapitel6 wurde als Dämpfung der Wert 2,53% der kritischen Dämpfung angesetzt.
Zunächst wurde die Platte unter Verwendung des RAST - Satzes im Modul GENF generiert. Um das Gefälle in Längsrichtung bequem berücksichtigen zu können und gleichzeitig auch die Gleisachse als Knotenlinie zu bekommen, wurde die Platte in 4 Sektoren unterteilt. Es wurden QUAD Elemente verwendet.
Die beiden Endquerträger wurden ebenfalls durch QUAD - Elemente dargestellt. Die Randknoten der Platte wurden anschließend mit den entsprechenden Knoten der beiden Endquerträger durch Koppelungsbedingungen verbunden.
Die Berechnung der Zugüberfahrten kann mittels der von SOFISTIK entwickelten Routine unter Verwendung des CONT - Satzes durchgeführt werden. Ferner wurde von Flesch bereits für die Berechnungen im Buch Baudynamik - praxisgerecht/ Bd. 2 (Beispiel 6) ein Modul programmiert, der mittels Berechnungsschleifen für jeden durch eine fortschreitende Last betroffenen Knoten die zugehörige Belastungsgeschichte generiert. Die Belastung im Knoten j beginnt hierbei, wenn die bewegte Last den Knoten j-1 verlässt. Die Aufteilung zwischen benachbarten Knoten kann linear erfolgen, es können aber auch beliebige andere Zusammenhänge angesetzt werden. Der Modul wurde vor zwei Jahren auf die dynamische Zugsbelastung erweitert. Mittlerweile können die Lastmodelle gemäß EN 1991-2 (HSMLA 1 bis 10) sowie der ICE-S aus der Versuchsserie verwendet werden.
Bei der SOFISTIK Vorgangsweise erfolgt die Berechnung mittels schrittweiser Integration. Im Modul von Flesch kann auch die Methode der modalen Lösung der Bewegungsgleichungen verwendet werden. Der Vorteil bei der zweiten Methode ist, dass man jeder Mode eine bestimmte Dämpfungszahl zuweisen kann. Gerade bei der Modellanpassung kann es manchmal hilfreich sein, unrealistische Moden über die Eingabe einer hohen Dämpfung zu unterdrücken. Beeindruckend ist auch die kurze Rechenzeit im Vergleich zur direkten Integration, was sich z.B. bei umfangreichen, nicht vollständig automatisierten Bearbeitungen als sehr angenehm erweist.
111
R. Flesch und S. Deix
Die Untersuchung wurde über die projektspezifische Aufgabenstellung hinaus zu einer grundlegenden Studie ausgeweitet. Es kam sowohl das Verfahren der schrittweisen direkten Integration als auch die modale Lösung der Bewegungsgleichungen zur Anwendung. Zwecks besserer lnterpretierbarkeit von Unterschieden in den Ergebnissen (max. Beschleunigungen in vertikaler Richtung) bei Anwendung der beiden Rechenverfahren wurden in Parameterstudien insbesondere die Einflüsse folgender Parameter untersucht:
1) Berechnungszeitschritt (bei direkter Integration besonders maßgeblich), 2) Einfluss exzentrischer Koppelungen (Platte mit Endquerträgern) 3) Elementteilung der Platte, 4) Verwendung einer diskreten bzw. konsistenten Massenmatrix.
Zusätzlich wurde auch eine Modeliierung als Stabmodell (Untersuchung - STUFE 2 gemäß den Vorstellungen des Österreichischen Expertenkreises, siehe Flesch (2003)) vorgenommen.
Über die erzielten Ergebnisse wurde in Flesch et al. (2004b) berichtet.
4.2 Modell2
Nach Abschluss der Parameterstudien wurde das endgültige SOFISTIK - Modell 2 erstellt. Die Modeliierung erfolgt analog zu Modell 1, allerdings wird nun ein feineres Elementnetz verwendet. Die beiden schmäleren Sektoren mit 2,19 m Breite wurden in 20 x 8 Elemente und die beiden breiteren Sektoren in 20 x 20 Elemente unterteilt. Es wurden QUAD Elemente verwendet.
Die beiden Endquerträger wurden jeweils durch ein Netz von 28 x 2 QUAD - Elementen dargestellt. Die mittlere Knotenlinie in Querrichtung wurde so angesetzt, dass die Lagerpunkte auf ihr liegen. Geringe Unterschiede zu den gegebenen Koordinatenpunkten können hierbei vernachlässigt werden, bei größeren Abweichungen könnten die automatisch generierten Lagerknoten nachträglich in die richtige Position gerückt werden.
Als E- Modul des Betons wurde entsprechend den vorhandenen Prüfprotokollen 4,3302.1 07 kNI m2
angesetzt. Vor den nächsten Versuchen für ein Model -
Updating (in diesem Fall ein einfaches händisches Updating unter Verwendung des lngenieurverstandes) wurden nochmals alle gemessenen Werte kritisch betrachtet.
112
Die Auswertung der operational modeshapes von Tragwerk 4 bei Zugsüberfahrt auf dem Nachbartragwerk ergab im Mittel eine erste Biegeeigenfrequenz von 11,35 Hz. Bei Zugsüberfahrten auf Tragwerk 4 lässt sich die erste Biegeeigenfrequenz im Mittel mit 1 0,15 Hz abschätzen, wobei sich die niedrigere Frequenz durch die Zusatzmasse des Zuges ergibt. Auf einem Nachbartragwerk, auf dem ebenfalls gemessen worden war, lag die erste Biegeeigenfrequenz bei Zugsüberfahrten (somit inkl. Zusatzmasse) im Bereich 9,5- 10,2 Hz.
Aus den obigen Ergebnissen bestätigte sich somit neuerlich, dass die Eigenfrequenz 11 ,83 Hz (2. Eigenfrequenz des gekoppelten Systems) mit sehr großer Wahrscheinlichkeit maßgeblich vom Tragwerk 4 geprägt wird und somit als erste Biegeeigenfrequenz aufgefasst werden kann. Ferner repräsentiert die Eigenfrequenz 21,09 Hz (4. Eigenfrequenz des gekoppelten Systems) mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die erste Torsionseigenfrequenz des Tragwerkes 4.
Mit dem Modell 2 wurden für die leere Brücke die ersten beiden Eigenfrequenzen 7,341 Hz und 19,575 Hz errechnet.
Zur näherungsweisen Berücksichtigung der Masse des über die Brücke fahrenden Zuges (in diesem Fall !CE-S) wurden folgende Ansätze ausprobiert:
- Anordnung von 39 t im Knoten 589 (auf Gleisachse in Tragwerksmitte). Es ergaben sich folgende Eigenfrequenzen: 6,391 Hz (1. Biegung), 18,207 Hz (2. Biegung), 19,546 Hz (1. Torsion).
- Anordnung von 39 t im Knoten 1 024 und 25,7 t im Knoten 183 (auf Gleisachse, etwa in den Viertelpunkten). Es ergaben sich folgende Eigenfrequenzen: 6,767 Hz (1. Biegung), 17,735 Hz (2. Biegung), 20,026 Hz (1. Torsion).
Als nächstes wurde der Einfluss der Versuchseinrichtung abgeschätzt. Der Erreger VICTORIA war über die vertikale Stabkette mit der Brücke verbunden. Diese Situation kann durch eine vertikale Feder in Tragwerksmitte (Knoten 595) + angehängte Masse modelliert werden. Die Masse wurde mit m = 750 kg, die Feder (für die 3 m lange Stabkette) mit k = 38265 kNim angesetzt. Es ergaben sich folgende Eigenfrequenzen: 7,320 Hz (1. Biegung), 19,557 Hz (1. Torsion). Zusätzlich tritt bei 35,9 Hz eine vertikale Eigenschwingung in Längsrichtung (Richtung des zusätzlichen Freiheitsgrades) auf. Der Einfluss des Schwingungsgenerators auf die gesuchten ersten beiden Eigenfrequenzen ist somit vernachlässigbar.
Experimentelle Untersuchungen und FE - Modeliierung der Brücke R3 im Hinblick auf die max. Beschleunigungen bei Zugsüberfahrten
Bereits bei Modell 1 wurde festgestellt, dass insbesondere die erste Biegeeigenfrequenz sehr sensibel auf eine horizontale Steifigkeit in Längsrichtung reagiert. Bei Ansatz einer horizontalen Feder (Verwendung von Halbraumformeln; angenommene wirksame Fläche 6,3 x 1,2 m; k = 6,96.1 05 kN/m) müsste deren E- Modul 78,6 MN/ m' betragen (entspricht Sand, Kies), um derart die 1. Biegeeigenfrequenz von 11,83 Hz zu erzielen. Es wäre tatsächlich denkbar, dass zwischen Hinterfüllung und Endquerträger eine .. Bodenfeder" wirksam ist.
Die Torsionseigenfrequenz 21,09 Hz lässt sich z.B. erzielen, wenn der E-Modul des Tragwerks um den Faktor 1,16 erhöht wird (= 5,023.107 kN/ m').
Als nächstes wird die Mitwirkung der Schienen untersucht. Hierzu werden beide Schienen als zusätzlicher Biegebalken mit Schwerpunkt in der Höhe 0,63 cm über der Tragplatte modelliert. Die Plattenknoten und die Schienenknoten wurden mit der Koppelungsbedingung KF (Einspannung) exzentrisch verbunden. Hierdurch ergaben sich folgende Eigenfrequenzen: 11,24 Hz (1.Biegung), 20,679 Hz (1. Torsion). Bei Verwendung der Koppelungsbedingung KP (gelenkig) ergaben sich geringfügig niedrigere Eigenfrequenzen: 11,206 Hz (1.Biegung), 20,670 Hz (1. Torsion). Insgesamt zeigt dieser Ansatz die Wichtigkeit der Modeliierung von Schiene und Schotterbett bei kleinen Brücken.
Falls man die Schienen als Längsfeder abschätzen will, so ergibt sich für die Gesamtfiäche von zwei Schienen (0,0154 m') und einer geschätzten Federlänge von 1,5 m eine Federsteifigkeit von 2,15. 106 kN/ m. Man erkennt deutlich, dass sogar bei Ansatz einer größeren Federlänge eine der abgeschätzten .. Bodenfeder" vergleichbare Wirkung denkbar ist.
Schließlich wurde noch eine Modeliierung des Schotterbetts durch vertikale und horizontale Verbindungsfedern zwischen Plattenknoten und Schienenknoten vorgenommen. Der abgeschätzte Startwert der Schotterfedern betrug 6,5.1 05 kN/ m. Die Schotterfedern wurden in mehreren Rechenläufen so lange erhöht, bis sich die Eigenfrequenzen 11,725 und 20,898 Hz ergaben (k= 3,2.1 06 kN/ m).
Für das endgültige Modell wurden dann folgende Annahmen getroffen:
- E - Modul Beton: 4.4385.107 kN/ m' (gegenüber Prüfprotokoll mit Faktor 1,025 multipliziert)
- Modeliierung Schotterbett mittels vertikaler und horizontaler Schotterfedern mit k= 3,2.1 06 kN/ m
- Ansatz Schienen: Biegewirkung + Längsfeder (Schienen an beiden Enden über Brücke hinaus geführt und dort fix verankert angenommen)
Mit diesen Ansätzen ergaben sich folgende Eigenfrequenzen: 11,828 Hz (1.Biegung), 21,111 Hz (1. Torsion).
Es wurde dann noch zusätzlich die Zugmasse 39 I im Punkt 589 angesetzt. Dieses Modell besitzt die Eigenfrequenzen 10,215 Hz (1.Biegung) und 19,874 Hz (1. Torsion) und wurde für die Zugüberfahrtsberechnungen durch den ICE-S lang verwendet. Die maximalen vertikalen Beschleunigungen werden in Abb. 7 für drei Knoten in der Mitte der Spannweite (Knoten 589 auf Gleisachse; Knoten 581 und 609 an den Tragwerksrändern) dargestellt.
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Brücke R3, Ruchnung Sofistik Modell II
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Abb. 7: Berechnete maximale vertikale Beschleunigungen in den Knoten 589, 581 und 609.
Leider liegen von der Brücke R3 nur Messwerte für den Geschwindigkeitsbereich von ca. 200 - 204 km/ h vor, da sich das Tragwerkam Beginn der Teststrecke (Beschleunigungsbereich} befand. Der Vergleich mit den Messwerten bei ca. 200 km/ h (max. 0,65 m/ s') zeigt, dass mit der Berechnung ein konservativeres Ergebnis erzielt wurde. Ein Grund hierfür ist z.B. die Tatsache, dass für die leere Brücke höhere Dämpfungen gemessen wurden, als sie gemäß EN 1991-2 anzusetzen sind. Es wird vermutet, dass bei Zugsüberfahrt noch höhere Dämpfungen wirksam werden.
Über die neuasten Erkenntnisse wurde in Flesch et al. (2005b) berichtet.
5 COMPUTATIONAL MODEL UPDATING
5.1 Einleitung
Die ansteigenden Anforderungen an Finite Element Berechnungen zur Analyse von dynamischen Eigenschaften im Bauwesen fordern vermehrt die Implementierung von gemessenen (dynamischen) Eigenschaften. Durch die Forschungsarbeit der letzten Jahre ist es möglich Bauwerksmodelle an gemessene Eigenformen und Eigenfrequenzen
113
R. Flesch und S. Deix
anzupassen. Die Analyse solcher verbesserter Modelle sollte im Normalfall eine qualitative und quantitative Verbesserung im Vergleich zu normalen FE - Berechnungen ermöglichen. Jedoch können Messunsicherheiten und unsichere bzw. falsche Annahmen bei der Modellbildung zu nicht plausiblen Ergebnissen führen. Daher ist es insbesondere für automatisierte Model - Updating Verfahren wesentlich, dass das Ergebnis mit sehr großer Sorgfalt und sehr großem Ingenieursverständnis auf Plausibilität untersucht wird.
5.2 Mathematische Formulierung
Computational Model - Updating ist ein Vorgang, um Ergebnisse einer experimentellen Modalanalyse einer Struktur in ein FE - Modell zu integrieren. Durch Parametervariation wird eine Differenzfunktion zwischen gemessenen und durch das FE - Modell errechneten Daten minimiert. Durch einen mathematischen Optimierungsalgorithmus wird entweder die Steifigkeitsmatrix und/ oder auch die Massenmatrix an experimentelle, aus dynamischen Testergebnissen extraHierte Daten angepasst. Weiters existieren auch Verfahren um geometrische Daten für die Anpassung freizugeben, dies wird aber im Normalfall nicht allzu oft angewandt.
Durch eine iterative Kombination aus einer nichtlinearen Optimierung in Verbindung mit einer kleinsten Quadratsumme (least square) Prozedur wird eine Anpassurig der Designvariable errechnet. ln der folgenden mathematischen Beschreibung wird die Methode der erweiterten gewichteten kleinsten Quadratsumme beschrieben, so wie sie in UPDATE_G2 und MATFEM implementiert ist.
5.2.1 Die gewichtete kleinste Quadratsummen Methode
Eine einfache allgemeine Schreibweise einer Kleinstquadrat Punktion eines Optimierungsproblemes stellt GI. (1) dar:
] m 2
f(B)=- L(z,(B)-Z,] (1) 2 i
Hierbei definiert jedes z,(B) eine nichtlineare Funktion einer modalen Größe abhängig von einer so genannten Designvariable 8 ER", und z, bezieht sich auf den gemessenen Wert dieser modalen Größe. Das Residuum ist allgemein definiert als die Differenz dieser Werte:
'i = z,(B)- Z, (2)
Für das Residuum der Eigenfrequenz gilt:
114
A..(B)-X · {1 } rf = I ~ I ' l E , .... ,mf .:t,
(3)
und
r = tft: (17) _ ~1 , i E {l, .... ,m,}
' tft;(ry) t),' (4)
sei das Residuum der Eigenformen. t)/ (77)
bezeichnet jede Komponente des r/J, (77) Vektors und
t); ( T7) die Referenzkomponente. Analoges gilt für die
gemessenen Komponenten r/J, .Gemeinsam ergeben
diese den Residuumsvektor R:
R =[;,] (5)
Um bei einem Optimierungsproblem eine eindeutige Lösung zu erhalten, muss die Anzahl der Residuen größer sein als die Anzahl der Designvariablen. Ansonsten erhält man ein "i/1 conditioned estimation problem", das durch Regularisieren der Matrix bereinigt werden kann (Link (1999)). Aber wie bereits erwähnt werden lokale Fehler dabei über die Struktur verteilt. Die Gewichtungsmatrix W ist definiert als:
(6)
Damit ergibt sich der gewichtete Residuumsvektor und für die Objective Function gilt dann:
f(B) = }_R(B)rWR(8) 2
(7)
Der Vorgang der Gewichtung ermöglicht es, den unterschiedlichen Residuen in einem Residuumsvektor R verschiedenes Gewicht in der Gleichung zuzuordnen. Durch diese Gewichtung kann die Qualität der Resultate verbessert werden. Die Tatsache, dass die Genauigkeit der gemessenen Eigenfrequenzen die der Eigenformen weit übersteigt, kann und soll in der Gewichtungsmatrix berücksichtigt werden. Das Minimierungsproblem mit Gewichtungstaktoren wird dann zu GI. (8).
min[/] = min _!_[R(B)rWR(BJ]= 2
min±llw~R<B>II' (8)
Experimentelle Untersuchungen und FE- Modeliierung der Brücke R3 im Hinblick auf die max. Beschleunigungen bei Zugsüberfahrten
5.2.2 Physikalische Parameter und Korrekturfaktoren 6 SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Anpassung von Finiten Element Modellen basiert auf der Änderung der physikalischen Parameter des Modells. Beispielsweise werden Steifigkeitsparameter verändert, um bessere Systemmatrizen zu erhalten. Wie bereits erwähnt, ist die Wahl der zu ändernden Parameter sehr wichtig für das Resultat. Um die Selektion zu erleichtern, wurden auch automatische Parameterbestimmungsmethoden getestet. Dennoch wird in den meisten Referenzen (z. B.: Link (1999)) zu diesem Thema betont, dass man sich nicht immer auf diese automatischen Verfahren verlassen kann, sondern letztlich der Anwender eine vernünftige Auswahl treffen sollte.
5.3 Korrekturparameter
Das verbesserte Modell kann auch irrelevante bzw. unphysikalische Ergebnisse liefern. Um diese Möglichkeit auszuschließen müssen einige Dinge berücksichtigt werden. Durch ein prinzipielles Verständnis der Struktur für dynamische Eigenschaften können sowohl bei der Modeliierung als auch bei der Messung Fehler vermieden werden. Weiters ist das Bewusstsein über Messunsicherheiten und Fehlerfortpflanzung im Updating - Prozess essentiell. Speziell die Unsicherheit in den modalen Daten durch unterschiedliche Randbedingungen sowie Annahmen für die Modalanalyse selbst (im Falle einer modellbasierten Modalanalyse im Zeitbereich) können zu missverständlichen Änderungen im FE Modell führen (siehe Deix et al. (2005)).
Unterschiedliches Verhalten beim iterativen Minimierungsprozess verursacht durch die Wahl der Korrekturparameter muss berücksichtigt werden. Verschiedene "Sets" von Korrekturfaktoren können unterschiedliche Ergebnisse liefern !rotz gleicher Initialmodelle und gleicher Referenzdaten. Dies gilt es immer zu berücksichtigen. Beispiele für verschiedene Parametriesierungsmethoden sind auch in Theugels (2003) beschrieben.
5.4 Unsicherheiten
Unsichere Annahmen in der Modeliierung sowie Messunsicherheiten und Fehlerfortpflanzung in der Messanalysekette können die Ergebnisse eines Computational Model Updating Vorganges empfindlich stören. Deshalb sollte der Analyst diese Unsicherheiten immer berücksichtigen, um so die Zuverlässigkeit der Analyse bewerten zu können. Betreffend diese Problematik wird auf Deix et al. (2005) verwiesen.
Insgesamt lassen sich aus den in Österreich bisher durchgeführten experimentellen und/ rechnerischen Untersuchungen Schlussfolgerungen ableiten:
oder folgende
1) Zu Beginn wurden die in der EN 1991-2 vorgesehenen Dämpfungswerte als zu konservativ eingestuft. Es stellte sich jedoch in vielen Fällen heraus, dass der wirklichkeitsnahe Ansatz der Massen und Steifigkeiten maßgeblicher ist als die angesetzte DämpfungszahL
2) Bei Einfeldbrücken hat die Schlankheit einen wesentlichen Einfluss auf das Schwingungsverhalten. Falls das Verhältnis Querschnittshöhe zu Spannweite den Wert 1/12 nicht unterschreitet (was den neuesten HL - Richtlinien entspricht) und die Masse nicht sehr klein ist, können die Beschleunigungskriterien gemäß EN 1991-2 meist eingehalten werden.
3) Falls man sich bei der Modeliierung der Brücke streng an die EN 1991-2 hält, liefert die Berechnung meist zu niedrige Eigenfrequenzen. Es tritt hierbei ein Faktor der Größenordnung 1,1 - 2 auf. Dies wurde eindeutig durch den Vergleich von gemessenen und berechneten Werten nachgewiesen. Ferner sind im Allgemeinen die berechneten Beschleunigungen höher als die gemessenen Werte.
4) Die gemessenen Zeitverläufe müssen entsprechend der Vorschrift mit der oberen Grenzfrequenz 30 Hz, bzw. der 1,5 fachen niedrigsten Biegeeigenfrequenz gefiltert werden. Durch die Filterung reduziert sich der Maximalwert der Beschleunigung etwa auf 1/3 des ungefilterten Wertes. Die Beiträge der höheren Frequenzen sind laut Ansicht der BAM/ Berlin für die Oberbaustabilität nicht relevant.
5) Nur die gefilterten Messergebnisse dürfen mit den Rechenergebnissen verglichen werden, da das dynamische Lastmodell (die bewegte Achslast -Kette) mit Ausnahme von Harmonischen der Fahrfrequenzen keine zusätzlichen höheren Frequenzen anregt.
6) Ein Beispiel für die Anregung zusätzlicher höherer Frequenzen ist die Impulsanregung durch Flachstellen von Rädern. ln der Versuchsserie 2004 wurde z.B. ermittelt, dass Flachstellen etwa die 7 -fachen Beschleunigungen auslösen, die allerdings nur über ca. 0,3 s einwirken und somit für die Oberbaustabilität nicht relevant sind.
7) Die höchsten vertikalen Beschleunigungen von Brücken treten nicht zwangsläufig bei Hochgeschwindigkeitsfahrten auf. ln der Versuchsserie 2004 traten die Maximalwerte meist beim regulären Verkehr (z.B. Güterzüge mit
115
R. Flesch und S. Deix
100 km/ h) auf. Die Schwingungsantwort einer Brücke hängt stets von ihrem Eigenschwingverhalten sowie von den Anregungsfrequenzen ab. Letztere ergeben sich aus der vorliegenden Zugskonfiguration und der Fahrgeschwindigkeit. Die "Fahrfrequenz" f ergibt sich hierbei zu:
J[lls]= v~~J] (9)
wobei v die Fahrgeschwindigkeit und die "charakteristischen" (regelmäßig auftretenden) Längen, wie z.B. Waggonlängen, Achsabständen im Drehgestell, Drehgestellabständen, etc. darstellen. Häufig treten in der Anregung auch Vielfache (Harmonische) der einzelnen Fahrfrequenzen auf. Die Fahrfrequenzen des I CE-S sind in der folgenden Abb. 8 dargestellt. Es ist klar erkennbar, dass die beiden maßgeblichen Eigenfrequenzen von etwa 1 0,22 Hz und 19,87 Hz bei ca. 100 km/ h maßgeblich angeregt werden.
" 001--;-~-+~-~1
" 00
5l 40
! : ,.
ZugsgescliwiRdlgkeit (kmlhl
-1=2,5m - -1=2,5m *2 - -1=3,0m *2 -~1=4,85m
-1=4,9m - -1=4,9m *2 """""""' """1=8,46m *2 ---1=16,5m
Schwelle
Abb. 9: Fahrfrequenzen des ICE-S
---1=3,0m ~ """'1=4,85m*2 -1:8,46m - -1=16,5m *2
8) Bei Brücken mit kleiner Masse wird das Beschleunigungskriterium gemäß EN 1991-2 häufig überschritten. Besonders betroffen sind hiervon kleine Tragwerke mit nur einem Gleis.
9) Es bestehen große Zweifel, ob der Grenzwert 3,5 m/ S2 bei kleinen Brücken mit Schotterbett gerechtfertigt ist. Die Gefahr von Oberbau Stabilitätsproblemen wird von den Autoren gegenüber Tragwerken mit großen Spannweiten als wesentlich geringer eingeschätzt, da das Schotterbett im Bereich einer geringen Spannweite durch den über die Brücke hinaus reichenden Gleisrost relativ gut gehalten wird. Zusätzlich könnten seitliche Halterungen für das Schotterbett (z.B. Trogquerschnitte) vorgesehen werden.
1 0) Das Beschleunigungskriterium 3,5 m/ s2 basiert auf Laborversuchen der BAM/ Berlin. Es wurde festgestellt, dass ein Schotterbett bei etwa 7 m/ s2
instabil werden kann. Es wurde somit der Sicherheitsfaktor 2 angesetz1. Zumindest im Fall von
116
kleinen Brücken könnte angedacht werden, diesen Sicherheitsfaktor zu reduzieren.
11) ln Österreich wird das gesamte Streckennetz alle 4 bis 8 Monate durch den Oberbaumesswagen überprüft. Für einige Bestandbrücken wurden Berechnungen durchgeführt, welche Überschreitungen des Beschleunigungskriteriums ergaben. Laut den Messergabnissen des Oberbaumesswagens befindet sich der Oberbau derzeit bei allen betroffenen Brücken in einem ausgezeichneten Zustand. Einschränkend muss allerdings hinzugefügt werden, dass momentan nur einzelne Fahrten mit 200 km/ h durchgeführt werden.
12) Model Updating kann ein äußerst leistungsfähiges Werkzeug darstellen. Bei der Anwendung ist jedoch viel Feingefühl und Erfahrung erforderlich.
7 LITERATUR
Deix, S. & Ralbovsky, M. (2005) Uncertainties in Model Updating - Problems and Reliability, Proceedings of the INCE Symposium on Managing Uncerlainties in Noise Measurement and Prediction, Le Mans, France, June 2005. Flesch R. (2003): Die Berechnung von Eisenbahnbrücken nach der prEN1991-2. Proc. D-A-CH Tagung 2003 Aktuelle Probleme der Brückendynamik, Zürich, Sept. 2003.
Flesch R., Geier R. (2004a): Simulation of Bridge Vibrations lnduced by High Speed Train Passages. Proc. IMAC XXII Conference, Jänner 2004, Dearborne, USA.
Flesch R., Deix S., Köllner W., Ralbovsky M., Handel C. (2004b): Schwingungen von Eisenbahnbrücken bei Zugsüberfahrten - Berechnung und Messungen. "Dynamik Fachgespräche" der Firmen FIDES und SOFISTIK. Herbst 2004, Mainz, München, Berlin.
Flesch R., et. al. (2005a): Dynamic in-situ Measurements, FE- ModeHing and Model- Updating- Innovative Tools in Civil Engineering. 1st IOMAC, Copenhagen, April 2005.
Flesch R., Deix S. (2005b): Vibrations of Railway Bridges during Train Passage - Measurements and Calculations. Henderson Colloquium on Structural Dynamics, Cambridge, July 2005.
Link, M. (1999), Updating of Analytical Models- Basic Procedures and Extensions, Modal Analysis and Testing (J.M.M. Silva and N.M.M. Maia, eds), NATO Science Series, Kluwer Academic Publ., 1999 MATFEM, MATFEM 02 User's Guide Rev. 14 Jul 2003, Universität Kassel, Fachgebiet Leichtbau und Laboratorium für Struktur Mechanik, Kassel, 2003
Theugels, A. (2003), Inverse Modelling of Civil Engineering Structures Based on Oparational Modal Data, PhD thesis, K. U. Leuven, Belgium, 2003
UPDATE_ G, Update_g User's Guide (input description_7_03.doc), Universität Kassel, Fachgebiet Leichtbau und Laboratorium für Struktur Mechanik Kassel, 2003
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnik
Dieter Heiland', Karlheinz Beyer" 11ngenieurbüro für Baudynamik Dr. Heiland, Bochum
2Büro für Baudynamik GmbH, Stuttgart
1 EINFÜHRUNG
Das Einhalten von Schwingungsanforderungen gehört bei einer Präzisionsfertigung schon länger zum Stand der Technik. Mit der noch jungen Nanotechnik kommen jedoch völlig neue Dimensionen von Schwingungskriterien auf den Bauingenieur zu. Aus Mikroprozessoren werden in Zukunft Nanoprozessoren. Vor 1 0 Jahren war man noch stolz, Strukturbreiten von 0,35 ~m herstellen zu können, inzwischen plant man die Massenproduktion von 65 nm Strukturen. Prüfgeräte müssen noch mindestens eine Zehnerpotenz genauer auflösen können. Forschungsgeräte lösen nochmals eine Zehnerpotenz höher auf(< 1 nm). Alle diese Prozesse müssen in Gebäuden ablaufen, die die Einhaltung einer Reihe von Rahmenbedingungen ermöglichen. Erst wenn diese sicher gegeben sind, kann das Bauwerk als "gebrauchstauglich" bezeichnet werden.
Die Schwingungsanforderungen in der Nanotechnik sind ein Teil dieser Randbedingungen. Begrenzung des Luftschalls (primär und sekundär) sowie der elektromagnetischen Wechselfelder sind Beispiele für weitere strenge Randbedingungen, die diese neue Technologie erfordert.
Die Anwendung der Nanotechnologie hält weiten Einzug in das praktische Leben: Farben werden kratzfest, Materialeigenschaften verändern sich, Nanomaterialien eröffnen völlig neue Möglichkeiten in der Medizin usw. Der Bedarf an entsprechenden Produktionsstätten ist vorhanden und wird weiter ansteigen.
Der vorliegende Artikel soll einen Einblick in die baudynamischen Herausforderungen der Nanotechnologie geben. Er soll auch einen Überblick über den aktuellen Stand der Technik auf diesem Gebiet ermöglichen.
2 SCHWINGUNGSANFORDERUNGEN
2.1 Allgemeines
Die Schwingungsanforderungen eines empfindlichen Produktionsgerätes resultieren aus seiner angestrebten Herstellungsgenauigkeit sowie seinem inneren Schwingverhalten.
,--------------------.
Abb. 1: Vereinfachte Prinzipskizze eines schwingungsempfindlichen Gerätes
Die in Abb. 1 dargestellte stark vereinfachte Skizze stellt beispielhaft ein Produktionsgerät dar, das mit einer Präzision von ±50 nm arbeiten soll. Dabei sind sowohl mechanische Arbeitsvorgänge (Fräsen, Sägen, Schleifen, Laser, ... ) als auch lichtoptische Prozesse (Elektronenmikroskop, Lithographie, ... ) vorstellbar. Die von außen, also über die Geräteaufstellung auf das Gerät einwirkenden Schwingungen wer-
117
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
den in das Geräteinnere übertragen, teilweise verstärkt und führen zu Relativbewegungen am kritischen Fertigungsort. Man sieht schnell ein, dass diese Relativverformungen Ober folgende Mechanismen beeinflussbar sind:
Reduktion der Immissionen am Aufstellort (Maßnahmen am Gebäude I Fundament) Schwingungsisolierung des Gerätes (aktiv+passiv) Innere Steifigkeit des Gerätes (Eigenfrequenz) Aktive, geregelte Komponenten im Gerät
2.2 Geräteempfindlichkeit
Um den Einfluss der inneren Gerätesteifigkeit zu verdeutlichen, wurden anhand einfacher linearer Systeme einige Parameterstudien durchgeführt. Ausgehend von einer angenommenen Fertigungsgenauigkeit von zulässigen ±50nm ergeben sich die in Abbildung 2 dargestellten maximalen Erschütterungspegel am Aufstellort. Dabei ist eine Schwingungsisolierung mit einer Eigenfrequenz von 5 Hz und einer Dämpfung von 10% berücksichtigt worden. Diese Art der Schwingungsisolierung ist in den meisten schwingungsempfindlichen Geräten bereits werksseitig integriert.
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Zulässige Schwingungungspegel in Abhängigkeit der inneren Geräteeigenfrequenz
nnare Gerätedämptung:D"'1%, Schwing~siso~enmg 0=10%, fe=S Hz alle Werte Schwinggeschwindigkeiten im Te17Spektrum (RMS-Werte)
10000 ------- _ ........... ~,-. ---·"""""'
__ ,miJ=. ~<• 1000
--100Hz
100
-30Hz
10
10 100 1000
Frequenz [Hz]
Abb. 2: Auswirkungen unterschiedlicher innerer Gerätesteifigkeiten auf die Schwingungsempfindlichkeit bei konstanter innerer Genauigkeit von 50nm.
Größere innere Gerätesteifigkeiten führen zu höheren inneren Eigenfrequenzen und damit zu einer geringeren Schwingungsanfälligkeit in Abb. 2 ist zum Vergleich eine in der Halbleiterindustrie übliche Grenz-
118
Zulässige Schwingungungspegel in Abhängigkeit der Geräteauflösung, int. Geräteeigenfrequenz fi =250Hz
10000
mere Ger.'ltedämpfung:1%, Schwingungsisoüe~ f=3 Hz. 5% Schwinggeschwindigkeiten im Terzspektnm (RMS-Werte)
~ 1000 8
100 -1A
10 - 6.- Nano E-F
10 100 1000
Frequenz [Hz]
Abb. 3: Auswirkungen unterschiedlicher innerer Gerätesteifigkeiten auf die Schwingungsempfindlichkeit bei konstanter innerer Genauigkeit von 50nm.
kurve, das VC-E Kriterium (VC=Vibration Criteria) mit eingezeichnet worden. Dass diese Kurve ihre Berechtigung hat, kann in diesem einfachen Beispiel nachvollzogen werden. Die in Abb. 2 angenommene Geräteauflösung von 50nm ist in der Halbleiterproduktion für eine Fertigung von Strukturbreiten von etwa 0,5(Jm erforderlich. Seit diesem Jahr (2005) werden Strukturen von 0,09(Jm bereits als Massenprodukte hergestellt (z.B. Prozessoren von AMD und INTEL). Die Hersteller der schwingungsempfindlichen Geräte haben ihre Geräte wesentlich steifer konstruiert und die Schwingungsisolierungen verbessert. Abb. 3 zeigt anhand des gleichen Berechnungsmodels, jedoch mit den Parametern eines modernen Gerätes (fi=250 Hz, fe=3 Hz) die zulässigen Erschütterungen in Abhängigkeit der Produktionsgenauigkeit Es wird deutlich, dass bei gleicher Schwingungsempfindlichkeit, d.h. bei gleichen Anforderungen an den Aufstellort ca. zehnmal (1 Ox) höhere Fertigungsgenauigkeiten möglich sind. Steigert man die Genauigkeit auf das fünfhundertfache (<tlso auf 1 A = 0,1 nm), befindet man sich im Auflösungsbereich von modernen, hochgenauen Elektronenmikroskopen. Auffällig ist, dass die bisher gültigen Grenzwertdefinitionen hier versagen. Aus diesem Grund wurden von den Autoren neue Schwingungskriterien definiert, die für moderne hochgenauer Produktions- und Inspektionsgeräte verwendet werden können und sich bereits bei mehreren Projekten bewährt haben.
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
VC Linien Schwingungspegel Tabelle typischer Nutzungen
(Vibration Criterta) [~m/s] (8-100Hz)
RMS-Terzspektren
Menschlich Fühl- 100 Menschliche Fühlschwelle, für empfindliche Schlafbereiche, für Opern,
schwelle Theater, für Mikroskope mit 1 00-facher Vergrößerung
Line A 50 in fast allen Umständen geeignet für optische Mikroskope mit Ver-größerungen bis zu 400-fach
Line B 25 Ein geeigneter Standard für Mikroskope mit Vergrößerungen bis zu
1000-fach, Lithografie Geräte (inkl. Stepper) bis zu 3 ~m Strukturbreite
Line C 12,5 Ein guter Standard für die meisten Lithografie- und Inspektionsgeräte bis hinunter zu 1 ~m Strukturbreite
Line D 6,25 Passend unter fast allen Umständen für sehr hochwertige Elektronenmik-roskope (REM's, TEM's), e-beam Systeme usw., die bis an ihre Leis-
tungsgrenze eingesetzt werden.
Une E 3,1 Ein schwieriges Kriterium, das nur in wenigen Fällen eingehalten werden kann. Es wird für Geräte höchster Präzision erforderlich.
Tabelle 1: VC-Kurven (Orginal von BBN, Los Angeles, ca.1970)
Nano-Linien Schwingungspegel Tabelle typischer Nutzungen [~m/s] (1-5/20 -100
Hz) RMS-Terzspektren
Nano-D 1,6/6,4 Sehr schwierig einzuhaltendes Kriterium für REM's der Nanotechnologie
für Auflösungen bis 1 nm, Obergeschosse mit hohen Anforderungen an die dynamische Steifigkeit und Eigenfrequenz
Nano-E 0,8/3,2 Extremes Kriterium für REM's der Nanotechnologie für Auflösungen bis 2-5A (10A=1 nm), nur auf sehr massiven Bodenplatten und nur bei sehr
günstigen Baugrundvoraussetzungen einhaltbar.
Nano- EF 0,53/2,1 Strengstes Kriterium für REM's und TEM'S der Nanotechnologie für Auflösungen im Sub Angströmbereich (10 A = 1 nm). Das Kriterium ist nur unter sehr speziellen Bedingungen und besonderen Baukonstruk-
Iianen einhaltbar.
Tabelle 2: Nano-Linien zur Definition geeigneter Erschütterungsgrenzen in der Nanotechnologie
2.3 Definition von Schwingungsgrenzwerten
Für schwingungsempfindliche Produktionsgeräte werden seit ca. 30 Jahren die so genannten VC-Kurven
verwendet. Diese Kurven (vgl. Tabelle 1) wurden in den frühen ?Der Jahren im amerikanischen Ingenieurbüro Bol! Beranek & Newman lnc. (BBN) entwickelt.
Andere mit der damals noch aktuellen Mikrotechnologie befassten Büros entwickelten andere Kriterien ( Gordon 1991 ). Erste Entwicklungen von Grenzwerten
für die Nanotechnology wurden von Amick (Amick
2002) vorgestellt.
Um den neuesten schwingungsempfindlichen Geräten der Nanotechnologie gerecht zu werden, wurden jetzt die in Tabelle 2 dargestellten Grenzwertdefi
nitionen neu entwickelt. Es handelt sich, genau wie bei den VC- Kurven, um Terzspektralwerte. Die Grenzwerte sind in Abb 4. zusammen mit den VC
Linien dargestellt. Die Anwendung dieser Kurven führt zu einer sinn
vollen Berücksichtigung der Anforderungen der neuesten Gerätegeneration. Als Beispiel sind die Spezifikationen zweier Hersteller der Kurve Nano E-F in Abb.
5 gegenübergestellt.
119
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
1000
i 100
"' ~ • ~ m 10
" -.. ~ 0 • • 0
0,1
Grenzlinien für schwingungsempfindliche Produktionen
S hwi hwind" k. "te . T ktrum (RMS Werte) ' nggesc 19 91 n1m erz::;pe
I I
I i ~'i--
~
I I I 1'--i'- I i I I ~'i-- i Ii i I I
f::i--I I I I
I
' I I I'- ! ! ' I I
I ~i ' '
I I
' I I I
I I I
10
Frequenz [Hz]
[;-~~;;~,"-~~~~!~--=-~~~E
I
II
II I '
100
""*'"VC-D
""*""Nano E-F
! : i I ' I I I I
Abb. 4: Darstellung der Schwingungsspezifikationen
100
0,1
Beispiel von Spezifikationen Terzspektren, nns- Mittelungen, 4096 Punkte FFT, Overfap 50%
I I
I '
I I I I I
\ I J I ..... . ' I
I . r ~~rr I ~ I
~~ --~
I 10 100
Frequenz [Hz]
1000
1000
==-------c= ·-············· ... .. .. ----l 1
-l.B) -rrtanhorizonllll -Trtanvenil<al
.
- Te<:nniSiandardverti<al -TecneiS:rldardlelt-rj;jh_l --TecnalSianda .. rd front-bacK
1
-.-Tecnal FEG undUTfront-back-Tecnal FEG un<l UTieJHight --Tecn.a~ F8i lßd UTvartbl
• • •NanoE-F ------- -----------
Abb. 5: Vergleich der Herstellerspezifikationen von extrem schwingungsempfindlichen Geräten der Nanotechnik mit der Spezifikation Nano E-F.
3 MESSUNGEN
3.1 Schwingungsmessungen
Schwingungsmessungen an Gebäuden der Nanotechnik müssen mit äußerst empfindlichen Geräten durchgeführt werden. Am besten eignen sich hochempfindliche Geophone, mit denen im Frequenzbereich von 1-100 Hz bzw. 1-315 Hz zuverlässig gemessen werden kann. Der Vorteil der Geophone besteht darin, dass im wichtigen Frequenzbereich von 1-30 Hz Signale von weniger als 0,1 j.Jm/s aufgelöst werden können. Dies ist mit Beschleunigungssensoren auf Piezo-Basis praktisch nicht möglich, da die
120
zugehörige Beschleunigung bei 1 Hz weniger als a=6,0E-7 m/s2 beträgt.
Messungen werden in allen drei Raumrichtungen durchgeführt. Die Messdauer je Messpunkt und Messkanal muss unter sorgfällig ausgewählten Zuständen und unter Berücksichtigung der äußeren und
Messort I Messgrund Optimale Messzeit
1 Baugrund, unbekanntes Grundstück 4- Sh
2 Baugrund, unbek. Grundstück, in der 6 -12h Nähe zur Eisenbahn I Autobahn I
Schwerindustrie
2 Fundamente in unbekanntem Gebäude 2h (Lastfall Einwirkungen von außen)
3 Fundamenteam Immissionsort (Decke) y,- 2h
4 Einzelaggregate bei eindeutiger Ein- 10-30 wirkung (z.B. in der Nähe von Motoren) Minuten
Tabelle 3: Empfehlungen geeigneter Messzeiten
inneren Einflüsse hinreichend lange gewählt werden, die in Tabelle 3 aufgelisteten Werte haben sich bewährt. Die Messrecords werden im Nachgang ausgewertet.
3.2 Auswertung der Frequenzspektren
Aus dem Zeitschrieb werden mittels FFT -Analyse (Beispielparameter: T=4s, df=0,25Hz, n=4094 Punkte, Window = Hanning, Overlap = 50%) Schmalbandspektren berechnet, die anschließend im geeigneten Mittelungsverfahren überlagert werden. ln Abhängigkeit der Nutzung (Belichtungsdauer, Fräßdauer, usw. ), der Charakteristik der Störsignale sowie der Schwingungsanfälligkeit des Bauwerkes kommen folgende Mitlelungsverfahren in Frage:
Energetische Mittelung (am häufigsten) - Peak-Hold Auswertung (bei Einzelereignissen) - Statistische Auswertung (Komfortauswertung)
Aus den Schmalbandspektren werden entweder Terzspektren oder PSD-Spektren (Power spectral density) gebildet, um normierte Schwinggeschwindigkeitswerte zu erhalten. Sowohl die VC- Kurven als auch die Nano-Kurven beziehen sich auf Terzspektren.
3.3 Beurteilung nach Eintrittswahrscheinlichkeilen
Beim Vorliegen einer auskömmlichen Datenbasis können die Schwingungsanforderungen im Hinblick
lE-84 ~ 1-1--l-+-h-4
2 1-H-++-+++-1-1 E-115 1-i-l--l-+H-+-E;
5 1-Hf-1--1-+-!-
2 IE-ffi
5
IE-8~ Abb. 6: Freifeldmessung für Labor der Nanotechnik. Aus
wertung von jeweils 3min Einzelereignis. PeakHold-Auswertung mit Erwartungswerten 3 min, Y, h, 1 h, 2 h
IE-~ 1+-1-~-+-1-2 1-1-++++-H-+
I E -115 ~H-1-1-+-1-f' 51++++-1-+ 21-1-+++
I E -!Ii 1-i-l--+. 5
lE-B~
h
Abb. 7: Wie Abb. 6, jedoch Einzelereignis 30 min. PeakHold-Auswertung mit Erwartungswerten Y, h, 1h, 2h
auf die Prozessdauer bzw. auf eine erträgliche Überschreitungshäufigkeit eines Schwingungskriteriums abgestimmt werden. Diese Anforderungen hängen vom Prozesstyp und vom Automatisierungsgrad der Prozesskette ab. Während Messaufgaben in der Forschung oft stundenlanges Justieren erfordern, der Messvorgang aber nur kurz ist und auch wiederholt werden kann, wird in automatisierten Produktionsprozessen die Fehlerrate (auch} durch das gelegentliche Überschreiten der zulässigen Erschütterungen bestimmt.
Das zu einem Zeithorizont T gehörige Erschütterungsniveau L wird durch die Erwartung definiert, dass der Pegel L innerhalb dieses Zeitraums mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% nicht überschritten wird.
Pr(x 5, L) = 0.5 (1)
Daraus ergibt sich mit der Messbasis T 8 des Einzelereignisses die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit des Einzelereignisses für T = n * T 8 zu
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
R(X5,L)=1-o.sYn (2)
woraus sich bei bekannter Verteilung der Messwerte der Erwartungspegel L(f) ergibt. Dieses Vorgehen ermöglicht die Berücksichtigung kundenspezifischer Belange und ist besonders für peakholdbewertete Messungen geeignet und dann - bei einigermaßen "vernünftigen" Messdaten - weitgehend von der Messbasis unabhängig.
Die Ergebnisse von rms-Mittelungen und damit auch deren Erwartungswerte hängen bei stochastischem Ereignischarakter hingegen stark von der jeweiligen Mittelungsdauer ab. Damit wird die Festlegung der Messparameter zu einem notwendigen Bestandteil des Erschütterungskriteriums. ln den Abbildungen Abb. 6. und Abb. 7 sind Messungen auf dem Fundamentierungshorizont eines geplanten Labors unter dort üblichen Umgebungseinflüssen wiedergegeben. Sie unterscheiden sich lediglich in der Mittelungsdauer.
3.4 Steifigkeitsmessungen
Steifigkeitsmessungen an Betonstrukturen bzw. auf dem Baugrund dienen dazu, die dynamische Anregbarkeil aufgrund dynamischer Lasten zu bestimmen. Als Anregungsmechanismus eignet sich zum Beispiel ein lmpulshammer. Hierbei wird sowohl der eingeleitete Kraftimpuls als auch die Schwingungsantwort gemessen.
Die Admittanzen [mm/s/kN] werden durch Bildung der mittleren Transferfunktion (Betrag und PhasenSpektrum) des Kraftimpulses zu der Schwingungsantwort errechnet:
TF = SA(f) · Se(f) * SE(j) . Se(f) *
SA(f): komplexes Spektrum der Systemantwort SE(f): komplexes Spektrum der Systemerregung
(3)
Aus den so ermittelten Admittanzen werden durch Integration die dynamischen Steifigkeiten berechnet.
Zu tiefen Frequenzen hin nähert sich der dynamische Wert der statischen Steifigkeit (kasy). Bei höheren Frequenzen spiegelt der Kurvenverlauf das frequenzabhängige Verhalten der Struktur wider (Abb. 8).
Wenn zur Erreichung eines hinreichenden Schwingungsniveaus größere Kräfte erzeugt werden müssen, eignet sich zur Anregung auch ein Unwuchterreger mit messbaren Unwuchtkräften. Ein solches Gerät wurde von den Autoren bei Messungen auf einer sehr großen und dicken Bodenplatte einer Halbleiterfertigung sowie an Tunnelbauwerken eingesetzt,
121
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
Dynamische vertikale Steifigkeit von Bodenplatten MeSS~Jngoo bei vmschiod<lnen Projekten 19!19- 2!104
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Fraqua~ [H~]
-+-i:i0%eifu'nd~,;;.,;;t 1x1xtl,5m aul angewit!er\em Syen~ - Bodenplatte d~20.,;;; ;;;~ ;;t;"wimmon<Jem Eslfich
-Bodonplalle l,Sm+ 1m Bodenverbesseomg au! S.<>d--Bodenplatte 0..25cm aulangewitter\em Syenit
-&-llodenplalle d•100cm auf Fels .....,._ Bodonplalle d-150cm auf S&i\dlil>se
Abb. 8: Dynamische Steifigkeiten von Bodenplatten (Messwerte unter verschiedenen Bedingungen)
bei denen außer der Tunneladmittanz auch das Übertragungsverhalten zu Bauwerken gemessen werden sollte.
4 DYNAMISCHE DINiENSIONIERUNG
4.1 Auslegungskriterien
Ein Gebäude für die Nanotechnik muss, sofern schwingungsempfindliche Geräte aufgestellt werden sollen, schwingungstechnisch dimensioniert werden. Dabei sind insbesondere die Lastfälle
- Schwingungseinwirkung über den Baugrund - Turbulente Winderregung - Innere Erregungen (Personen, Maschinen, Rohrlei-
tungen)
zu berücksichtigen, Diese Lastfälle erzeugen Schwingungen im Bauwerk, die unterhalb des jeweils zu Grunde zu legenden Schwingungskriteriums bleiben müssen.
4.2 Erschütterungsprognose
Eine Prognose der zu erwartenden Schwingungen ist mit guter Genauigkeit auch für völlig neu zu errichtende Bauwerke möglich. Dazu sind eine gute Basis von Messdaten auf dem Baugelände sowie Emissionsdaten der erschütterungserzeugenden Geräte erforderlich. Falls die Emissionsdaten nicht verfügbar sind, können diese durch Schwingungs- und Steifigkeitsmessungen an einem anderen (Vergleichs-) Standort ermittelt werden.
Es können sowohl vergleichende "semi analytische" Prognoseverfahren verwendet werden, die an bekannte und messbare Verhältnisse anknüpfen und die veränderten Parameter im Prognosemodell berücksichtigen als auch analytische, bei denen die erforderlichen Strukturparameter durch FEM-Modelle
122
berechnet werden, die dann in MDOF Modelle eingehen.
4.3 Gründung
Die einfachste Konstruktion einer Fläche mit möglichst geringem Schwingungspegel ist die Flachgründung (vgl. Abb. 10). Zumindest entfällt hier die üblicherweise vorhandene zusätzliche Elastizität der Geschossdecken und damit die Verstärkung der Schwingungen. Allerdings muss auch eine Flachgründung optimiert werden, um die in der Nanotechnik angestrebten niedrigen Schwingungspegel zu erreichen.
Zur Optimierung werden die
- Steifigkeit (Dicke der Platte) Gründungstiefe bzw. zusätzliche Pfähle
- Horizontalen Abmessungen der Bodenplatte
variiert. Mit diesen Parametern kann der Schwingungspegel auf der Bodenplatte frequenzabhängig beeinflusst werden. Dabei kann häufig der Weilsnausgleichseffekt ausgenutzt werden, also die Eigenschaft einer steifen Gründungsplatte, wie ein Schiff auf die Wellenbewegungen des Baugrundes ausgleichend zu wirken. Abb. 9 zeigt die Wirkung einer Gründung, die bei einem Bauwerk messtechnisch ermittelt wurde sowie die theoretische Funktion. Sie zeigt allerdings auch deutlich die Grenzen der Möglichkeiten, insbesondere bei Frequenzen < 10 Hz. Wenn dieser Frequenzbereich maßgebend ist - und das kommt insbesondere bei weichen Böden großer Mächtigkeit vor - können zusätzliche Verbesserungen dadurch erreicht werden, dass die Gründung in tiefere Bodenschichten einbindet, um die dort vorhandenen günstigeren Schwingungswerte auszunutzen. Dies kann durch Bodenverbesserungen beziehungsweise durch zusätzliche Bohrpfähle erreicht werden.
Wichtig ist zu beachten, dass bei nicht geschichte-
Neubau Institut für Nanotechnik, Proj. 40-1010
Ausgleichsfunktion vertikal (1=20,80m, k=unendl.}
0 10 20 30 40 50 60 70
Frequenz [Hz]
Abb. 9: Theorie und Messwerte des Ausgleichseffektes.
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
Abb. 10: Prinzipskizze einer großflächigen Bodenplatte auf dem Baugrund, dargestellt ein separiertes Einzelfundament
tem Baugrund die Effizienz dieser Maßnahmen wesentlich von der Einbindetiefe abhängt. Bei Bohrpfählen muss mindestens eine Tiefe von ca. einer Weilenlänge der maßgebenden Frequenz (A) gewählt werden, um eine deutliche Reduktion der Erschütterungen zu erreichen. ln diesem Zusammenhang soll hier auf eine spezielle Gründungssituation hingewiesen werden, die von den Autoren vereinzelt vorgefunden wurde. Innerhalb einer größeren Bodenplatte wurden einzelne Flächen herausgetrennt und als "schwingungsberuhigte" Einzelfundamente ausgeführt. Auf diesen Fundamenten sollen besonders schwingungsempfindliche Geräte aufgestellt werden.
Bei Messungen an derartigen Fundamenten wurde in praktisch allen Fällen beobachtet, dass die Schwingungspegel auf solchen Fundamenten höher waren als in der Umgebung. Wie in Abb. 10 dargestellt profitiert ein solches Fundament nicht mehr von dem Ausgleichsverhalten der großen Bodenplatte. Sowohl die Drehfreiheitsgrade als auch die translatorischen Freiheitsgrade können von Bodenwellen sehr viel leichter angeregt werden als die umgebende Bodenplatte. Lediglich bei hochfrequenten Einwirkungen auf der umgebenden Bodenplatte wird durch den Trennspalt eine Verbesserung erreicht. Das Heraustrennen solcher Fundamente muss daher wohl überlegt sein und besonderen Sonderfällen (wie separate Tiefengründung bei geschichtetem Baugrund) vorbehalten bleiben.
Da die Reduktionswirkung einer steifen Bodenplatte vom Verhältnis der Steifigkeiten des Baugrundes und der Bodenplatte abhängt, ist bei steifem Baugrund (Fels) eine Schwingungsreduktion nur durch sehr große Plattendicken beziehungsweise nur für höhere Frequenzbereiche realisierbar.
4.4 Elastische Lagerung
Elastische Lagerungen zur Schwingungsisolation sind bei so hochsensiblen Nutzungen immer ein Thema. Sie werden idealer Weise da vorgesehen, wo emittie-
rende Aggregate Erschütterungen erzeugen. Dies ist mehr oder weniger bei allen HVAC-Anlagen (Heating, vacuum, airconditioning) der Fall. Bei der Schwingungsisolierung muss ausser auf eine ausreichend niedrige Lagerungseigenfrequenz von meistens etwa 3,5 Hz auch auf einen niedrigen Schwingungspegel des Aggregates selbst sowie seiner Anschlussleitungen geachtet werden. Dies ist meist nur durch ausreichend schwere Massefundamente möglich.
Der gelegentlich anzutreffende Gedanke, die komplette Fertigungsdecke oder den kompletten Fertigungstisch als Raum-in-Raum Lösung tieffrequent elastisch zu lagern, um so eine Reduktion der Baugrundschwingungen zu erreichen, hat in der Vergangenheit zu folgenschweren Sanierungsfällen geführt. Dies wird sofort einsichtig, wenn man bedenkt, dass die Nutzung dieser Flächen durch Personen Schwingungen erzeugt, die auch bei sehr großen trägen Massen im Frequenzbereich < 10 Hz um eine oder mehrere Größenordnungen über den zulässigen Werten liegen.
5 QUALITÄTSSICHERUNG
Der Sicherung der Qualität der schwingungstechnischen Eigenschaften und damit der Gebrauchstauglichkeit kommt hier eine besondere Bedeutung zu, zumal insbesondere bei Bauwerken der Nanotechnologie die Ausrüstung mit Geräten ein vielfaches der Kosten des Bauwerkes ausmacht und bei fehlender Gebrauchstauglichkeit die Ausfallkosten immens sind.
Die baubegleitenden messtechnischen OS-Maßnahmen in Form von Steifigkeitsmessungen und Schwingungsmessungen (Abb. 11: Vibration Maps als 2h Erwartungswerte relativ zum Kriterium) haben sich bewährt. Problemstellen innerhalb der Fertigungsfläche werden sichtbar und können behoben werden. Dieses Instrument kann auch über Jahre dazu benutzt werden, die schwingungstechnische Entwicklung (durch z.B: fortschreitenden lnnenausbau) zu beobachten und ggf. rechtzeitig korrigierend einzugreifen.
123
Schwingungsanforderungen in der Nanotechnologie
Abb.12 zeigt die Steifigkeitsmessungen an 24 Messpunkten einer 10.000 qm großen Fertigungsfläche im 2. Obergeschoss einer Nanofabrik in Europa. Die Sollwerte der asymptotischen Steifigkeit von kasy=2,0E9 N/m wurden an allen Messpunkten erreicht. Der monolithische biegesteife Verguss der Fertigteile (Waffeltischelemente) sowie die ausreichend steife Auflagerung auf den Stützen wurde nachgewiesen. Die so ermittelten dynamischen Eigenschaften dienen nicht nur der Qualitätssicherung, sondern sie können bei späteren Umbauten oder Nutzungsänderungen auch zu präzisen Prognosen herangezogen werden.
6 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Bauwerke der Nanotechnologie müssen baudynamisch sehr genau untersucht werden. Die extrem geringen zulässigen Erschütterungspegel der Fertigungsanlagen, insbesondere im niederfrequenten Bereich < 10 Hz, erfordern eine sorgfältige Standortanalyse sowie eine schwingungstechnische Optimierung des Bauwerks. Eine Reihe von Neubauprojekten
w
(t N
Abb. 11 :Vibration Map einer Produktionsfiäche, Angabe der Schwingungspegel relativ zum Kriterium [dB]
124
Dynamische Steifigkeit Waffeltisch +12,5 m 20 Impulse, LAnget: 30s, FFT·Window 1.6s, n:4096, fo'o1,0 kHz, Wir><l<lw'Rechteck
1.00E+10
I ~
~ Q
! ---M307 ~ M308 -+-M309 - M310
1,00E+<l9 . M311 --M312 -J<-M313 ~ M314
• -M315 ... M316 -M317 - M318 _,. __ M319 ·- M320
_,. -M321 -·- M322
10 100 1000 Frequenz [Hz]
Abb. 12: Steifigkeitsspektren von 24 Messpunkten einer 10.000qm Fertigungsfläche der Nanotechnik (2.0G)
der Nanotechnik wurde bis heute geplant und zum Teil bereits ausgeführt. Die aus diesen Erfahrungen resultierenden Grenzwerte für Gebäude der Nanotechnologie wurden vorgestellt.
Auch zukünftig werden die Anforderungen steigen. Auf der Basis der gewonnen Erfahrungen blicken wir optimistisch auf neue Herausforderungen.
7 LITERATUR
Heiland, D., Beyer, K.: Auslegung von schwingungsempfindlichen Produktionsstätten. Beton- und Stahlbetonbau 98, Heft 3 2003, Ernst& Sohn, Berlin
Gurr-Beyer, C., Heiland, D.: Vibration Maps - Qualitätssicherung in schwingungsempfindlichen Produktionsstätten. VDI-Berichte Nr. 1754, S.477-489, VDI Verlag GmbH, Düsseldorf 2003, Vortrag 14./15. Mai 2003
Heiland, D.: dynamische Auslegung von erschütterungsarmen Produktionsstätten. Festschrift Prof. Dr.-lng.Friedhelm Stangenberg 60 Jahre. Lehrstuhl für Stahlbeton-. und Spannbetonbau, Ruhr- Universität Bochum, Oktober 2002
Amick, H., Gendreau, M. Gordon,C.: Facility Vibration lssues for Nanotechnology Research, Paper presented at Symposium on Nano Device Technology 2002 May 2-3, National Chia-Tung University, Hsinchu, Taiwan
Beyer, K., Heiland, D.: Schwingungsreduzierung an einem stählernen Produktionstisch im Bereich niedriger Amplituden mittels viskoser Dämpfer. D-A-CH der Deutschen Gesellschaft für Erdbeben und Baudynamik, Berlin, 1999
Heiland, D., Beyer, K.: Vibrations in Semiconductor Fabs. Workshop on Effect of High-Speed Train Vibrations on Structures and Equipment. NCKU, Tainan, 30.4-1.5.1998
Gordon, Colin G.: Generic Criteria for Vibration-Sensitive Equipment. Proceedings of lnt. Society for Optical engineering (SPIEE), Vol.1619, San Jose, CA, 11/1991
Haupt, W.: Bodendynamik. Grundlagen und Anwendung. Viaweg & Sohn, Braunschweig, 1986
Die Übertragungsfaktoren
Dr.-lng. Oswald Klingmüller Gesellschaft für Schwingungsuntersuchungen und dynamische Prüfmethoden mbH, Mannheim
ZUSAMMENFASSUNG
Die vielfach getroffene Annahme konstanter Faktoren für die Ermittlung von Decken- I bzw. Obergeschosserschütterungen aus Fundamentanhaltswerten wird anhand mehrerer Fallbeispiele untersucht.
Bei stationärer Anregung wie z.B. durch Spundwandeinrüttlung sollte die in DIN 4150 Teil 1 angegebene Annahme eines konstanten Übertragungsfaktors gelten. Es zeigte sich aber auch ein Beispiel, wo sich bei konstanter Fundamentschwingung die Deckenschwingung ändert. Die beim Anlaufen solcher Geräte entstehenden Resonanzfälle oder resonanznahe Anregungen führen je nach Dauer des Hochfahrens in Abhängigkeit des Verhältnisses von Erregerfrequenz zu Eigenfrequenz jeweils zu verschiedenen Übertragungsfaktoren.
Bei Sprengungen ergibt sich eine große Streubreite, die wohl auch in der unterschiedlichen Ausbreitung der Druckwelle im Gebirge begründet ist, wodurch die Anregungswerte in unterschiedlicher Weise transformiert werden.
Bei der Untersuchung einer Anregung aus Straßenverkehr zeigte sich eine systematische Abhängigkeit von den Maximalamplituden, die durch ein lineares Übertragungsmodell nicht erklärt werden kann. Auch hier muss die individuelle Transformation der Anregung in Abhängigkeit von z.B. Fahrzeugkonstruktion und Fahrgeschwindigkeit berücksichtigt werden.
1 EINFÜHRUNG
Bei der Prognose der Erschütterungseinwirkung auf Gebäude oder auf Menschen in Gebäuden wird häufig davon ausgegangen, dass die Freifelderschütterung beim Übergang auf das Fundament abgemindert wird und die Fundamenterschütterung zu einer verstärkten Anregung von Gebäudeteilen, insbesondere Decken führt. Für diese Übertragung vom Fundament wird ein lineares Strukturverhalten angenommen, so dass in Abhängigkeit von der Eigenfrequenz des schwingenden Bauteils Decke ein konstanter Übertragungsfaktor angesetzt wird.
Bei der Dimensionierung von Abstimmungsauslegungen für Feder-Masse-Systeme im Schienenverkehr wird häufig auch eine Sprungprobe auf einer Decke ausgeführt und aus der so ermittelten Eigenfrequenz die Übertragung vom Fundament auf die Decken ermittelt. Auch dieses Vorgehen hat als Vorraussetzung, dass der Übertragungsfaktor ein allein strukturabhängiger Wert ist und für ein Bauwerk als konstant anzusehen ist.
Die DIN 4150 gibt im Abschnitt 1 - Vorermittlung der Schwingungsgrößen - Abschnitt 4.3 Übertragung auf Bauwerke - an, dass eine solche Abschätzung konstanter Übertragungsfaktoren nur für überwiegend harmonische gleichphasige Anregung gilt. Als konservative Abschätzung wird der Resonanzwert 1/(2 Do) angegeben. Für Do = 0,02 bis D=0,05 ergibt sich ein Übertragungsfaktor von 10 bis 25.
Die Bedeutung der Erschütterungen in den oberen Geschossen ergibt sich einerseits aus den Vorgaben der DIN 4150 Teil 2 für die lmmissionswerte, die auf den Decken der bewohnten Räume zu bestimmen sind, andererseits auf den Vorgaben des Teils 3 für die Beurteilung der Einwirkungen auf Gebäude. ln Tabelle 1 werden Anhaltswerte für die oberste Deckenebene angeben. Es wird zwar einerseits in Abschnitt 5.1 angegeben, dass für die Beurteilung der
125
Die Übertragungsfaktoren
Einwirkungen die Schwingungen in der obersten Deckenebene "wesentliche Hinweise" geben. Weiter unten heißt es in diesem Abschnitt, dass wenn die Anhaltswerte der Tabelle 1 eingehalten werden, Schäden im Sinne der Verminderung des Gebrauchswertes nicht auftreten. Das heißt aber auch, dass die Erschütterungen in der obersten Deckenebene bekannt sein müssen. Diese müssen entweder durch Messungen oder aus den Fundamentwerten mit zuverlässigen Übertragungsfaktoren bestimmt werden.
Vor allem bei dem zurzeit bestehenden hohen Kostendruck wird häufig auf eine Messung in der obersten Deckenebene verzichtet und nur die Messung an den Fundamenten zur Beurteilung herangezogen.
2 MESSUNGEN
2.1 Tunnelsprengung
Bei einer Überwachung einer Tunnelbaumaßnahme wurde seitens der Bauüberwachung die Messung in den oberen Stockwerken als Oberflüssige Maßnahme angesehen. Bei dem Versuch, zuverlässige Übertragungswerte zu ermitteln, zeigte sich, dass die Werte in einem größeren Bereich streuen als angenommen. Es konnte auch keine Systematik festgestellt werden.
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Erschütterungen. Das Überwachungsprogramm sah vor, die Erschütterungen schon zu einem frOhen Zeitpunkt zu messen, nämlich ungefähr zu einer Zeit als die Erschütterungen am Einwirkungsort spürbar wurden. Erst wenn eine Annäherung an die Anhaltswerte der Tabelle 1 der DIN 4150 Teil 3 festgestellt wurde, wurde auch eine Messstelle in der obersten Deckenebene eingerichtet (siehe Abb.2). Für diesen Zeitraum bis zum Abbruch der Messungen konnten die Übertragungsfaktoren als Verhältnis der Schwingungen in der
Schwinggeschwindigkeiten und
zugehörige Frequenzen
x-Richtung y-Richtung z-Richtung
[mm/s]([Hz]) [mm/s]([Hz]) [mm/s]([Hz])
Keller I 0,35 (19) 0,36 (21) 1,11 (38))
Fundament
Dach 0,92 (29) 0,64 (21) 3,38 (18)
Übertragung 2,63 1,78 3,05
Tabelle 1: Übertragungsfaktoren für Spundwandrüttlung
126
obersten Deckenebene zu den Schwingungen am Fundament bestimmt werden.
Da bei der vorstehend beschriebenen Überwachung lediglich die Maximalwerte der Ereignisse aufgezeichnet wurden, konnte eine genauere Analyse nicht vorgenommen werden. Es konnte lediglich festgestellt werden, dass für die vertikalen Deckenschwingungen ein leichter Trend zu erkennen ist, dass die Übertragungsfaktoren mit der absoluten Größe der Erschütterungsamplituden ansteigen (siehe Abb.3).
2.2 Spundwandrammung mit ROttelgerät und Vibrationsverdichtung
Die DIN 4150 gibt in Teil 1 an, dass Übertragungsfaktoren bei Gleichphasigkeit der harmonischen Erregung, z.B. bei SpundwandeinrOttelung oder Vibrationsrammung, wohl definiert sind.
Beim Anlaufen des ROttelgeräts zeigt sich eine Resonanzanregung der vertikalen Deckenschwingung im Obergeschoss, wobei sich ein Übertragungsfaktor von ca. 10 ergibt (siehe Abb. 4 unten). Beim Übergang zum Dauerbetrieb bei 40 Hz ist die Reaktion im Obergeschoss gering und es ergibt sich ein Übertragungsfaktor von 0, 1. Wenn lediglich aus den Maximalwerten der Übertragungsfaktor bestimmt wird, ergibt sich dieser zu 3,05 (vgl. Tabelle 1 ). Wie zu erkennen ist, tritt allerdings der Maximalwert am Fundament zu einer ganz anderen Zeit auf als der auf der Decke des Obergeschosses. Zwischen diesen Messwerten besteht also gar kein mechanisch definierbarer Zusammenhang.
Auch in den horizontalen Erschütterungen zeigt sich dieser Effekt der ansteigenden Frequenz beim Anfahren des ROttelgeräts (siehe Abb. 5).
Diese Unterschiede in den Übertragungswerten ergeben sich somit eindeutig aus dem Eigenschwingverhalten des Gebäudes und dem Unterschied zwischen einer erzwungenen Schwingung und einer Anregung im Resonanzbereich.
Bei einer anderen Spundwandrammung konnte ebenfalls die Resonanzanregung beim Anlaufen festgestellt werden, wobei sich das Verhältnis von Anregungsamplitude zu Reaktionsamplitude nur in Abhängigkeit der Frequenz feststellen lässt. Überraschend ist das Anwachsen der Reaktionsamplitude bei konstanter Frequenz und konstanter Anregungsamplitude (siehe Bild 6). Als ein durch die Dämpfung begrenztes Aufschwingen kann dieses Verhalten nicht erklärt
werden, da das Aufschwingen sehr langsam mit vielen Lastwechseln erfolgt, was nur bei einer unbegründet hohen Dämpfung erwartet werden kann. Zudem nimmt im späteren Verlauf der Anregung die Reaktionsamplitude wieder ab (diese nachfolgende Messsequenz ist hier nicht gezeigt).
Gegenüber der Spundwandrammung ist eine Verdichtung mit Vibrationswalze oder Rüttelplatte zwar ebenfalls durch einen harmonische Anregung dominiert, durch das Hin- und Herfahren und den variierenden Abstand zum Messpunkt sowie die kontinuierliche Veränderung des zu verdichtenden Materials ergibt sich aber eine maßgebliche Beteiligung anderer Frequenzen (siehe Abb. 7).
Das Amplitudenspektrum in Abb. 8 zeigt, dass das Bauwerk aus dem Frequenzangebot im Wesentlichen die Deckenschwingungen herausfiltert, wobei die Resonanzanregung im Anfangsbereich der Messung, beim Anlaufen des Geräts deutlich ist, während in der Arbeitsfrequenz nur eine geringe Beteiligung der Deckeneigenschwingung zu erkennen ist.
Trotz im Wesentlichen harmonischer Anregung ist somit ein Übertragungsfaktor nicht eindeutig definiert. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass verschiedene Ereignisse bei einer einfachen Relation der Maximalwerte jeweils unterschiedliche Übertragungsfaktoren ergeben (siehe Tabelle 2).
Schwinggeschwindigkeiten und Übertragungsfaktoren für zwei Ereignisse
X-Richtung y-Richtung z-Richtung
Keller/ 0,62 mm/s 0,44 mm/s 0,74 mm/s
OG 2,92 mm/s 2,38 mm/s 3,69 mm/s
Übertragung 4,7 5,4 5,0
Keller/ 1,75 mm/s 0,61 mm/s 1,09 mm/s
OG 1,4 mm/s 1,14 mm/s 1,77 mm/s
Übertragung 0,8 1,9 1,6
Tabelle 2: Einfache Maximalwertübertragung bei Rüttelrammung
2.3 Untertägige Gewinnungssprengung
Bei einer gewerberechtlich erforderlichen Erschütterungsüberwachung ist die Einhaltung der Messwerte nach DIN 4150 Teil 2 nachzuweisen. Das heißt es
Die Übertragungsfaktoren
darf keine erhebliche Belästigung im Einflussbereich der Erschütterungsausbreitung bei normaler Nutzung der Wohnungen geben. Das hieße aber, dass auch in den am meisten benutzten Räumen gemessen kontinuierlich werden müsste. Das ist aber nicht möglich, da bei der Benutzung der Räume durch Hin- und Hergehen häufig höhere Erschütterungen auftreten als durch die Sprengungen. Die erhebliche Belästigung ergibt sich daraus, dass die Erschütterungseinwirkung wahrgenommen wird, wenn im übrigen Ruhe im Gebäude ist. Um eine Überwachung zu ermöglichen muss somit eine Messstelle gewählt werden, an der es möglichst wenige Störungen gibt. Die möglichen Erschütterungen in Deckenmitte der Wohnräume müssen dann durch Übertragungsfaktoren abgeschätzt werden.
Bei einer ersten Auswertung in einem modernen Gebäude mit Betondecken zeigten sich bei jeder Sprengung unterschiedliche Übertragungsfaktoren KellerObergeschossdecke (siehe Tabelle 3).
Eine Untersuchung des zeitlichen Verlaufs der Erschütterungen ergab, dass die Maximalwerte auf den Decken unabhängig waren von den Maximalwerten im Keller.
Die jeweiligen Maximalwerte sind in Abb. 9 durch
Messung 3
z z X X y y
OG 0,71 -0,63 0,78 -0,92 0,71 -0,59
Keller 0,12 -0,14 0,16 -0,23 0,22 -0,18
Übertragung 6,08 4,32 4,81 3,98 3,27 3,30
Absolutwerte 6,08
Amplituden · 5,11
Messung 5
z z
5,65
4,32
X X
3,95
3,29
y y
OG 0,65 -0,63 1 ,04 -0,99 0,60 -0,54
Keller 0,12 -0,18 0,21 -0,21 0,25 -0,19
Übertragung 5,34 3,48 4,85 4,65 2,37 2,84
Absolutwerte 5,34 4,88 3,16
Amplituden 4,23 4,75 2,57
Tabelle 3: Übertragungsfaktoren bei Gewinnungssprengungen
127
Die Übertragungsfaktoren
Kreuze in den Zeitverläufen gekennzeichnet.
Bei einem anderen Gebäude mit weichen Holzbalkendecken zeigt sich ein direkter Zusammenhang zwischen den Maximalamplituden bei einer Sprengung, indem die Maximalwerte jeweils bei der ersten Zündung auftreten (siehe Abb. 1 0).
Bei einer späteren Sprengung treten die Maximalwerte auch bei derselben Zündung auf (siehe Abb. 11 ).
Eine Spreizung im Zeitbereich zeigt in Abb. 12 aber, dass zwischen den beiden Maximalwerten kein direkter mechanischer Zusammenhang besteht.
Die Festlegung der Übertragungswerte um eine Überwachung durch die Messungen im Keller zu ermöglichen, ist also für jedes Gebäude individuell aus mehreren Sprengungen zu bestimmen.
2.4 Straßenverkehr
Aufgrund einer Beschwerde wegen Risseschäden waren Erschütterungen aus Straßenverkehr zu bestimmen. Bei einer Messung von 9 Uhr bis 18 Uhr wurden ca. 120 Ereignisse bei Überschreitung der Triggerschwelle von 0,1 mm/s im Keller aufgezeichnet. Das Gebäude liegt ca. 35 m entfernt von einer Hauptverkehrsstraße mit einer etwas unregelmäßigen Straßendecke. Obwohl das Gebäude, ein Einfamilienhaus, nicht direkt an der Straße lag und sogar durch ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus mit Kellergaragen gegenüber der Straße abgeschirmt war, konnte durch die Messung bestätigt werden, dass die Erschütterungen im Arbeitszimmer des BewÖhners deutlich spürbar sind.
Zur Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150 Teil 2 und Teil 3 wurde im Keller (Fundamentanhaltswerte) und in der Mitte der Decke des Arbeitszimmers gemessen, da dort die Erschütterungen am deutlichsten wahrgenommen wurden.
Eine Sortierung der Maximalwerte der aufgenommenen Zeitverläufe zeigt einen deutlichen Trend, dass die Übertragungsfaktoren bei kleineren Anregungsamplituden geringer werden (siehe Abb. 13).
Während dieses Verhalten auf einen nichtlinearen Zusammenhang hindeutet, der bei den geringen Dehnungen nicht zum üblichen mechanischen Modell passt, lässt sich die große Streubreite durch eine genauere Betrachtung des Zeitbereichs erklären.
128
Bei zwei Messungen mit Amplitude 1 mm/s im Arbeitszimmer ergab sich für die eine ein Übertragungswert von 5,74 und für die anderen von 9,02. Wird im Zeitverlauf die Z-Richtung betrachtet, zeigt sich für die eine Messung ein unregelmäßiger Verlauf der Erschütterungen im Keller, bei der Messung mit Übertragungsfaktor 9,02 zeigt sich eine an/abschwellende Schwingung, die zudem noch im Frequenzbereich der Eigenschwingung der Decke entspricht (siehe Abb. 14).
Die Streuung in den Übertragungswerten ist somit den unterschiedlichen Anregungen durch die LKWs zuzuschreiben. Je nach Fahrzeugkonstruktion und wahrscheinlich auch Geschwindigkeit ergibt sich für den Messpunkt Fundament eine unterschiedliche Anregungscharakteristik.
3 SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Untersuchung der Übertragungsfaktoren zeigt, dass vielfach auch für instationäre Anregung verwendete konstante Werte jeweils einer genaueren Bestimmung bedürfen. Auch bei gleichartigen Anregung am Fundament können die Unterschiede zu unterschiedlichen Schwingungen auch der Decken führen, wie anhand von Gewinnungssprengungen und Straßenverkehr gezeigt wird.
Weiterhin lassen sich Zusammenhänge zwischen Erschütterungsamplituden und Übertragungsfaktoren bestimmen, die durch ein lineares mechanisches Modell nicht erklärt werden können.
Die lineare Modellbildung kann zwar Unterschiede bei resonanznaher Anregung im Anfahrbereich von Vibrationsgeräten erklären, nicht jedoch die auch bei konstanter Anregung auftretenden Abweichungen in der Reaktion. Auch ein solches Verhalten kann durch ein lineares Modell nicht erklärt werden.
Die Übertragungsfaktoren
ANHANG: ABBILDUNGEN
~14~.~ooo~=-----~================~--~~3o~.o~o~==============================~
---vx 12,00 10,00
8,00 6,00
4,00 2,00
0,00
~ vy 1------------c:-------c~"H ~VZ'J-----
13 01 2003 01 02 2003 24 02 200
Abb. 1: Schwinggeschwindigkeitsamplituden
im Keller/Fundament
t~~---------'·00 '·'"' ,_oo
''"' •. oo 0,00 .
1 4 1 w 13 16 19 ~ ~ ~ a1 M ~ ~ a e
----------
Abb 3 : Übertragungsfaktoren ab 6.2.2003, z, x und y
Keller Vz = 1,11 mm!s
1rnrrJo
O.S rnmlo
-o,; "''"''
Dachgeschoss Vz = 3,38 mm/s
3 ,.,.,,
2 .... ,,
1 .... ,,
·1 mml'
·2 mmlo
-3 .... ,,
Abb 4 : Erschütterungen bei Spundwandrammung
::.·::.-·- 1=~1---. vx
15,00
10,00 i----p
5,00
0,00 +--=------_;:_~ __ "_l,(___ _ _.:._ ____ ---1
0 10 20 30 40
Abb. 2 :Schwinggeschwindigkeitsamplituden
OG ab 6.2.2003 bis 24.2.2003
----- ,--------"',="''
50
z
(Zeitbereich 10 s, Wertebereich oben 1 ,25 mm/s, unten 4 mm/s)
129
Die Übertragungsfaktoren
Keller maxvx = 0,35 mmls
1 mmlo
0,5 rnmlo
,, ,, -0,5 rnrnlo
-1fl\tfa\:
Dachgeschoss maxvx = 0,92 mmls
2 mmlo
1 mmlo
,, ,, ,, ,, -1 .. mlo
·2 mmlo
Abb 5 : Erschütterungen bei Spundwandrammung
Keller Obergeschoss - Deckenmitte
I :=·· -- ---~- ------~
! :~··1+-------------1 : ,_., 'I. I .'.:·J+-----,.----."..----.,....---..."~.1 I_,_., I
,! i ·-Lf-41 .... _ ..... ____ 11!!1111 ________ 1111!
' ~=·<
Abb 6 : Spundwandrammung mit ungewöhnlicher Reaktion in Z-Richtung
(Messbereich 30 Sekunden, Amplitude 4 mm/s)
Keller
130
Deckenrand
X
,, "'
X
,,
Die Übertragungsfaktoren
Abb 7 : Anregung durch Rüttelplatte (gesamte Messzeit oben : 30 Sekunden; Anfangsbereich 5 Sekunden unten Amplitude obere Begrenzung : links 4 mm/s, rechts 0,8 mm/s)
Keller Deckenrand
-------------- ----------- ---;_1:----- ,, _________ _
L/\ , __ ii..J
•• •• i&(
Abb 8 : Anregung durch Rüttelplatte - Amplitudenspektrum - Z -Richtung
----------,
I II
)'-.
(oben : Anfangszeitbereich der Messung, unten : mittlerer Zeitbereich; Frequenzbereich 130 Hz)
131
Die Übertragungsfaktoren
3.Messung 5.Messung
~~~~-~~~~:,~;~·~W~~~'~'~---~~ rK7"v:RictiiungKellei- - -- - --- - - -
fE~~~:~;~~:;m:~ ~ '' ~ '* •• 1: K7 Y -Ricl1tung Keller
50 100 5D 100
Abb 9 : Messung Keller und OG bei Gewinnungssprengungen
Keller VZ max = 0, 58 mm!s
:~~t 11>""1' .. ~ I<~ """''"fi4'1"* + -t >1'1->r-i Dachgeschoss max Vz = 1,56 mm/s
Abb 10: Schwinggeschwindigkeiten bei Gewinnungssprengungen
132
Keller: max Vz = 0,34 mm!s
'~!-~~·-..~~-~·"""' .. .... . .,..!.,.=;,,:-f" •.• .,.... --r-· rl ·~· tl ,i- ..... , .... _,, _ ........ . .
OG max Vz = 1,69 mm/s
Abb 11 : Schwinggeschwindigkeiten bei Gewinnungssprengungen
Ausschnitt Keller mit max Vz = 0,34 mm!s, LlT = 0,157 sec, Zeitbereich 0,4 sec
'';ll, "' ~c '·~iV V·T~viT) v~r~··lf'a, .. V V '\jm·'' '·.· '•=· ·0->-'> ' 'J • -o.•"""' .,.._,, . .
Abb 12 : Schwinggeschwindigkeiten bei Gewinnungssprengungen
10,00
9,00
~ 8,00 .9 7,00 -"' .l!1 cn 6,00 Cl c
5,00 :::> Cl ~ 4,00 1:: Q)
3,00 ..c ':::l
2,00
1,00 abnehmende Maximalamplituden
0,00
0 50 100
Abb 13: Übertragungsfaktoren bei Straßenverkehr
Die Übertragungsfaktoren
'
133
Die Übertragungsfaktoren
Straßenverkehr- Übertragungsfaktor 5, 7 4
11 11.733 12 ' 11 12
12[mmls]
0.004 mmfsJ7.~ Hz
I~N\Ai1-ltt\fllltt\liillttttf1/'if"tP~~""""'"'t1'<11 . Jlilbi. l . . . •. . . o Nvr1_11
' :1. ViJ\kf:~;~,.,.M!N,,":r.f'A',.•·<·""·~--~~---J 10: ffi(K4'0.01) X-Richtung Keller
l/>lloAf.rf'l.t1i''\fb!..\i'I!Jl-!l\il11il\\i\/v~!.'\NI..of\.o/Jrol\iss,lo\\l• \~O,,,JW'I,!;I'-/~~~o.oo" mm1:1 ~~rm'"
. -- ~"j"~.JY I • oWl'\",•YI~~~'""'IN.{'Y~""'I,J~A..v"~~~-__j II 12: ffi(K6'0.01) Y-Rich!ung:KeDer
20 Hz 10 20 30 40 Hz
Übertragungsfaktor 9,02
10.5 11.0 11.173 11.5 10.0 10.5 11.0 11.5
1.2{mmfs]
~~~~+l-l+\fi+\-Ai'lf\M~~~"'t/':d',Niooo%[m~'~ ~~v~~' o •• ,;.J 'V IV ~flv,._~,~.-,.,M..;...v/'.'\''"-·····"·'-""-~·-~· 4: ffi(K3'0.01) X-Rich!t.rngArbellszimmer !
~-0-~).mm~s,J --; _ _ 11 -._1550~z _ i
~V\I\+l#l+f1rftAAttf\!Jrftf'Jlo'V-~~""""'~1 ~ \ i~V/I~W/'I\1 11 • · I _o "ö~ijl;1_~-l~~ ~~i/'l'lJ.f\•-"-,..")\''V'o...<r,·""-·r..--.,_._,.~-~""'~,_j 8: fft{K2'0.01) Z-Richlung Ke~er
12.63 Hz
20 " "' Abb 14 : Deckenanregung bei Straßenverkehr
134
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
Daniel Gsell, Glauco Feltrin, und Masoud Motavalli Abteilung Ingenieur-Strukturen, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), Dübendorf
1 ZUSAMMENFASSUNG
Brettsperrholzplatten (Massivholzplatten) werden in Holzbauten zunehmend als tragende Elemente eingesetzt. Holz ist ein flexibler Baustoff, deshalb wird die Dimensionierung von belasteten Holzkonstruktionen durch Gebrauchstauglichkeitskriterien wie die Beschränkung der maximalen Durchbiegungen und Schwingungsamplituden bestimmt. Dies erfordert Kenntnisse über die elastischen Eigenschaften des Werkstoffes. in diesem Beitrag wird eine zerstörungsfreie Methode zur Bestimmung globaler, elastischer Eigenschaften von kreuzweise verleimten, rechteckigen Holzplatten vorgestellt. Die experimentelle Modalanalyse zur Ermittlung der Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen ist der wesentliche Bestandteil dieser Methode. Ein Simulationsmodel, basierend auf Reddy's Plattentheorie, wird verwendet um die Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen in Funktion der elastischen Eigenschaften zu beschreiben. Alle drei Schubmoduli und zwei Steifigkeiten in der Plattenebene konnten durch Minimieren der Fehlerquadrate zwischen experimentell bestimmten und theoretisch berechneten Resonanzfrequenzen erfolgreich bestimmt werden. Die Schwingungsformen werden über die MAC-Werte identifiziert und einander zugeordnet.
Durch den Vergleich der experimentellen und theoretischen Schwinungen, sowie mit Hilfe eines statischen Biegeversuches, konnte gezeigt werden, dass das angenommene globale, orthotrope Materialverhalten das mechanische Verhalten der Massivholzplatte, bezüglich Verformungen und Schwingungen, hinreichend genau beschreibt.
2 EINFÜHRUNG
Aufgrund seiner Mikro- und Makrostruktur weist Holz ein stark anisotropes Verhalten auf. Parallel zu den Fasern ist die Steifigkeit als auch die Festigkeit um eine Grössenordnung höher als senkrecht zu den Fasern. Holz ist ein natürlicher gewachsener Werk-
stoff und es ist auf Grund seiner Funktion im Baum nicht homogen. Astansätze, Faserwinkeländerungen, Druckholz und andere Strukturelemente führen zu starken lokalen Variationen der mechanischen Eigenschaften, als auch zu Spannungskonzentrationen. in den Konstruktionsnormen wird dies mit tiefen zulässigen Spannungen und niedrigen elastischen Eigenschaften berücksichtigt. Um diese Nachteile auszugleichen, werden durch Verleimen kleiner Elemente, grosse Bauteile hergestellt. Dadurch werden die Defekte über ein grosses Volumen verteilt, was in einer Homogenisierung der Eigenschaften resultiert. Diese Technik erlaubt aus Schnittholz minderer Qualität Bauteile hoher Güte herzustellen. Durch eine kreuzweise, rechtwinklige Anordnung der starken Faserrichtung einzelner Lagen kann durch Verkleben eine Platte aufgebaut werden, welche vorbestimmte Steifigkeiten in beiden Hauptrichtungen besitzt.
Holz ist ein relativ weicher und leichter Werkstoff. Die Bemessung von Holzkonstruktionen wird überwiegend durch . Gebrauchstauglichkeitskriterien bestimmt. Die Qualität der Vorhersage des mechanischen Verhaltens und damit die Wirtschaftlichkeit des Bauteils sind stark von der Genauigkeit der elastischen Materialeigenschaften abhängig. Es bedarf daher leistungsfähiger, zerstörungsfreier Methoden zur Materialcharakterisierung. Um den konstruktiven Ingenieuren vereinfachte Berechnungsmodelle zur Verfügung zu stellen, sollen über die Plattendicke verschmierte, globale orthotrope Eigenschaften bestimmt werden. Es gilt zudem zu zeigen, dass diese Vereinfachung das wirkliche Verhalten hinreichend genau abbildet.
Die zerstörungsfreie Bestimmung elastischer Eigenschaften anisotroper Materialien ist ein gut erforschtes Gebiet. Ditri (1994) und Rose (1999) massen Phasengeschwindigkeiten ebener elastischer Wellen in unterschiedliche Materialrichtungen. Durch die Lösung der Christoffei-Gleichungen können die elastischen Eigenschaften bestimmt werden. Bucur et al. (1984) haben diese Technik auf kleine Holzproben
135
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
angewendet. Chimenti (1997) und Gsell et al. (2004) benutzten geführte mechanische Wellen in plattenund hohlzylinderförmigen Strukturen um die Eigenschaften zu ermitteln. Alle diese Methoden ermöglichen die Bestimmung quasi lokaler Materialeigenschaften, es werden nur die Gebiete berücksichtigt, welche auch von der Welle durchlaufen werden. Um globale Aussagen zu erhalten, müssen statische oder dynamische Experimente an grossen Strukturen durchgeführt werden. Da statische Versuche kostenintensiv sind, zeigt sich die Modal Analyse als effiziente und präzise Alternative um elastische Eigenschaften zu bestimmen (Frederiksen (1997a), Frederiksen (1997b) und Larsson (1997)). Diese Verfahren basieren auf drei Hauptschritten. Im Experiment werden die Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen bestimmt. Ein analytisches Modell der Struktur wird herangezogen. Es. beschreibt die Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen in Funktion der zu bestimmenden, elastischen Eigenschaften. Danach wird das inverse Problem gelöst. Durch systematisches Anpassen der unbekannten, elastischen Parameter werden die theoretisch berechneten Resonanzfrequenzen mit den im Experiment bestimmten Frequenzen optimal in Übereinstimmung gebracht. Alle benötigten Verfahren sind einzeln in der Literatur ausführlich dokumentiert und müssen noch kombiniert werden.
Die Grundlagen der experimentellen Modal Analyse sind in ·Maia et al. (1997) ausführlich beschrieben. Aufgrund seiner Effizienz wird hier die Matrix-PenciiMethode von Hua et al. (1990) in Kombination mit dem Modell-Wahl Kriterium von Akaike (1974) implementiert.
Verschiedenste Plattentheorien sind veröffentlicht worden; angefangen mit der Theorie von Kirchhof!, welche das dynamische Verhalten dünner, isotroper Platten im niedrigen Frequenzbereich beschreibt. Aufgrund des schubweichen Verhaltens der Holzplatten müssen Schubverformungen berücksichtigt werden. Reissner-Mindlin (Mindlin (1951)) Plattentheorien beinhalten dies. Die Schubspannungen werden konstant über die Plattendicke angenommen, weshalb ein Schubkorrekturfaktor eingefügt werden muss. ln diesem Beitrag wird der anisotrope Ansatz von Reddy (1984) benutzt: Kubische Ansatzfunktionen werden über die Plattendicke angesetzt. Daraus resultiert eine quadratische Schubspannungsverteilung, so dass auf die Einführung der Korrekturfaktoren verzichtet werden kann.
Das inverse Problem wird mit dem nichtlinearen Parameterschätzalgorithmus von Britt et al. (1973) gelöst, was einen iterativen Prozess zur Folge hat. Um eine voll automatische Methode zu erhalten, wer-
136
Abb. 1: Geometrie der Massivholzplatte und verwendetes Koordinatensystem.
den mit Hilfe der MAC-Werte jeweils die theoretisch bestimmten den entsprechenden experimentell ermittelten Schwingungsformen zugeordnet.
3 METHODIK
3.1 Material und Geometrie der Probe
Die hier untersuchte Massivholzplatte besteht aus Nadelholz (Fichte, picea abies karst. ). Die Platte ist aus drei Schichten aufgebaut. Die Deckschichten weisen gleiche Faserrichtungen auf, während die Mittelschicht senkrecht dazu orientiert ist. Die Schichtstärken betragen 10/50/10 mm, wodurch ein symmetrischer Aufbau resultiert. Die einzelnen Schichten sind wiederum aus kleineren, verleimten Holzbalken mit Rechteckquerschnitten aufgebaut. Die Dimensionen der dynamisch untersuchten Platte betragen: 2a = 1.5m , 2b = l.Om und 2h = 0.07m (Abb. 1 ). Diese Platte wurde aus einer grösseren mit den Dimensionen 2a = 2.5m und 2b = 2.5m herausgeschnitten. Der statische Biegeversuch wurde an der grossen Platte durchgeführt. Die Massivholzplatte wurde während mehreren Monaten in einem klimatisierten Raum bei einer Temperatur von 20"C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50% gelagert. Dadurch wird eine Gleichgewichtsfeuchte der Platte von 11% erreicht.
3.2 Analytisches Modell
Die Eigenschwingungsformen und die Resonanzfrequenzen sollen in Abhängigkeit der elastischen Konstanten dargestellt werden. Es werden ausschliesslich Biegeschwingungen der Platte betrachtet. Im hier untersuchten Frequenzbereich sind die auftretenden Wellenlängen deutlich grösser als die Dicke der Platte sowie deren Mikrostruktur. Als gute Näherung kann daher das Material als homogen angenommen werden und das Modell kann auf effektiven Malerialeigenschaften basieren. Das linear elastische Gesetz für orthotrope Werkstoffe schreibt sich
(1)
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
Dabei sind CüM die neun unabhängigen Elemente des Steifigkeitstensors, aü und "" die Elemente des Spannungs- bzw. Dehnungsvektors. Im Folgenden werden die vier Indizes des Spannungstensors auf zwei zusammengezogen. Ein ebener Spannungszustand a 33 = 0 wird angenommen, was zu folgender Beziehung führt
(2)
die in Gleichung (1) eingesetzt wird. Im Werkstoff Holz ist der Elastizitätsmodul in Richtung der Faser um mehr als eine Grössenordnung grösser als die Schubmoduln senkrecht dazu. Schubdeformationen müssen somit berücksichtigt werden. Deshalb führt Reddy (1984) im Verschiebungsfeld der Platte neben Rotationsfreiheitsgraden, die eine lineare Abhängigkeit in Dickenrichtung ergeben, zusätzlich quadratische und kubische Terme ein. Aufgrund der Randbedingungen an(z = ±h) = 0 und a 23 (z = ±h) = 0 können die quadratischen Terme nicht existieren und eine Beziehung für die kubischen kann hergeleitet werden. Das führt zu folgendem, dreidimensionalen Verschiebungsfeld
/ 0 l j ) 0 --;;;-,;- !t'.(x,y)
z-1,- -i"!- . lf/2(x,y)
0 I u30
(x,y)
(3)
Die Verschiebungen in Richtung k werden mit u, bezeichnet. u30 ist die Querverschiebung der Plattenmittelfläche und \1', sind die Rotationen der Normalen zur Mittelebene. Somit wird angenommen, dass die Verschiebung u3 unabhängig von der Dickenkoordinate ist, was im betrachteten Frequenzbereich zulässig ist. ln der Zeit wird ein harmonischer Ansatz, mit w als Kreisfrequenz, angenommen.
Die zweidimensionalen Rotations- und Verschiebungsfelder werden mit dem Produkt von zwei vollständigen Reihen von Legendre-Polynomen parametrisiert. Die Felder können dargestellt werden als
(4)
wobei q, die Koeffizientenvektoren und p der Vektor mit den Legendre Polynomen der Ordnung L ist. Mit der Gleichung (4) kann (3) geschrieben werden als
Ü = r·p ·q ·eiUJI (5)
wobei r die· Operatormatrix der Gleichung (3) ist. Mit linearen, kinematischen Relationen, in denen die Dehnungen über die Operatormatrix D mit den Verschiebungen verknüpft sind, und durch Anwendung des Hamilton'schen Prinzips, unter Annahme von spannungsfreien Rändern, kann das dynamische Verhalten der Platte in Integralform wie folgt beschrieben werden
öq' fp'r'o'corpqdV -öq' fpm'p'r'rpqdV = o (6) V i
Der erste Term stellt die Variation der elastischen Energie und der zweite Term die Variation der kinetischen Energie dar. Wird die Gleichung (6) über das Plattenvolumen integriert, resultiert das folgende Eigenwertproblem
(7)
K ist die Steifigkeitsrnatrix und M stellt di.e Massenmatrix dar. Aufgrund der Orthogonalität der LegendrePolynomen ist M diagonal, wodurch das Eigenwertproblem einfach und effizient gelöst werden kann.
Die Genauigkeit des beschriebenen Modells ist von der Wahl der Polynomordnung L abhängig. ln Abb. 2 sind einige ausgewählte Frequenzen in Funktion der Polynomordnung dargestellt. Wobei die relativen Änderungen bezogen sind auf die jeweilige Frequenz berechnet mit der Ordnung L = 19 . Die Frequenzen wurden mit den Geometrie- und Materialdaten der Massivholzplatte berechnet, welche hier untersucht wird. Die grösste relative Differenz einer Resonanzfrequenz berechnet zwischen Polynomordnungen L = 17 und L = 19 , der ersten 25 Schwingungsformen, was einen Frequenzbereich bis 1 kHz abdeckt, beträgt weniger als 0.1 %. Somit ist der Ansatz der Rotations- und Verschiebungsfelder basierend auf Legendre-Polynomen der Ordnung L = 19 für das Plattenmodell hinreichend genau.
3.3 Experimentelle Modal Analyse
137
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
Die Feuchtigkeit des Holzes hat einen grossen Einfluss auf die elastischen Materialeigenschaften, deshalb werden die Experimente in einem klimatisierten Raum durchgeführt. in dynamischen Versuchen sind Randbedingungen wie Einspannungen oder einfache Auflager kaum sauber realisierbar, da immer ein Teil der mechanischen Energie abfliesst, anstatt vollständig reflektiert zu werden. Deshalb wird hier die freie Konfiguration untersucht. Um freie Ränder zu realisieren, wird die Platte an leichten, dünnen und langen Fäden aufgehängt. Ein Impulshammer (PCB 086D20) wird verwendet, um die Struktur anzuregen. Eine möglichst breitbandige Anregung wird durch die Wahl einer harten Hammerspitze erreicht. Die Platte wird an 56 Punkten angeregt, angeordnet auf einem gleichmässigen 7 mal 8 Gitter, wie dies in Abb. 3 ersichtlich ist. Um die Messresultate mitteln zu können, wird jeder Punkt 10-mal angeschlagen. Die dynamische Antwort der Platte wird mit kleinen, leichten Beschleunigungssensoren (Kistler 8636C1 0) delektiert. Die Sensoren sind auf der Rückseite der Platte angeordnet. Damit möglichst jede Schwingungsform erfasst wird, werden zwei Sensoren im Bereich der Ecken der Platte und einer etwas neben der Mitte angebracht. Die analogen Signale werden digitalisiert und gespeichert (OROS OR38).
An jedem Messpunkt wird die. Übertragungsfunktion für jeden Hammerschlag berechnet. Im Frequenzbereich erfolgt die Mittelung der 10 Signale des gleichen Messpunktes. Diese gemittelten Übertragungsfunktionen werden zurück in den Zeitbereich transformiert, was zu den Impulsantworten führt. Diese Vergehensweise ist schematisch in Abb. 4 dargestellt. Die Impulsantwort x. (t) des Punktes j der Struktur
1 .
kann, wie in Gleichung (8) gezeigt, als Summe von M Exponentialfunktionen dargestellt werden
10.-----~------~------r------r----~
9 11 13 15 17 19
Polynomerdung
Abb. 2: Konvergenz einiger Resonanzfrequenzen der untersuchten Massivholzplatte bei Erhöhung der Polynomordnung.
138
~EJ 0 0.5 1.0 0 1
.f-J,L------.--~ B 0 0.5 1.0 0 1
Frequenz [kHz] Zeit [s]
127.54 Hz
' 233:~"' 25689H, I I 456
:1"'
·~·""' t ~ 748.41H,
f Abb. 4: Schematisches Vorgehen zur Bestimmung der
Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen.
M
x (t) = "A~ · e'":' + w(t) mit o/ = m + iö (8) 1 ~1 m m m
m~l
mit A; als komplexe Amplitude des Messpunktes j, mm der Resonanzfrequenz und om dem Dämpfungsfaktor der rn -ten Schwingungsform. w(t) stellt das Messrauschen dar. in einem ersten Schritt wird die unbekannte Anzahl harmonischer Funktionen M für alle Punkte simultan bestimmt. Dazu wird Akaike's Modell-Auswahl-Kriterium verwendet (Akaike (1974)
Abb. 3.: Experimenteller Aufbau im klimatisierten Raum. Die schwarzen Punkte auf der Platte bezeichnen die Messpunkte.
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
und Reddy et al. (1993)). ln linearen mechanischen Systemen sind die Resonanzfrequenzen Invariante und die Dämpfungsfaktoren werden als konstant über die ganze Struktur angenommen, daher werden die komplexen Frequenzen w: parallel für alle Messpunkte bestimmt. Dazu wird ein Forward-Backward-MatrixPencil Algorithmus, wie er von Hua et al. (1990) vorgestellt wurde, auf die Impulsantworten angewendet. Werden die extrahierten, komplexen Frequenzen in Gleichung (8) eingesetzt, entsteht ein überbestimmtes lineares Gleichungssystem, dessen Lösungen den Amplituden A; der einzelnen Schwingungsformen entsprechen.
3.4 Inverses Problem
Das analytische Modell benötigt neun unabhängige elastische Eigenschaften um das mechanische Verhalten der Massivholzplatte zu beschreiben. Da nicht alle dieser Parameter Cij im untersuchten Frequenzbereich einen hinreichend grossen Einfluss auf das dynamische Verhalten haben, um sauber bestimmt werden zu können, wird vorerst eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Zudem hat sich gezeigt, dass sich Plattendimensionen von 2a =I .Sm und 2b = l.Om (die Dicke ist mit 2h = 0.07m gegeben) gut eignen und immer noch gross sind im Vergleich zur Plattendicke und der Mikrostruktur der Platte. Somit ist das theoretische Modell noch gültig. Eine grobe Sensitivitätsanalyse wurde für die drei Steifigkeitselemente in der Plattenebene und für die drei Schubmoduln durchgeführt. Dabei wurde jeweils eine einzelne Eigenschaft
Abb. 5: Sensitivitätsanalyse der ersten 20 Schwingungsformen der Massivholzplatte. Die relativen Änderungen der Resonanzfrequenzen sind aufgelistet. Die Hintergrundfarbe der Zellen ist ein visueller Indikator der Grösse der Änderung.
um 1 0% erhöht und der relative Einfluss auf die Resonanzfrequenzen dargestellt (Abb. 5). Das Element C12 hat nur einen sehr kleinen Einfluss auf die Resonanzfrequenzen, die maximale relative Änderung beträgt 0.03%. Deshalb scheint es nicht möglich zu sein, diesen Parameter mit der vorgeschlagenen Methodik zu bestimmen. Die Einflüsse der anderen fünf untersuchten Steifigkeitselemente liegen zwischen 0.7 und 4. 7% und sind somit signifikant höher und auch bestimmbar.
Die unbekannten Steifigkeitselemente werden simultan mit einem Best-Fit-Algorithmus nach Britt et al. (1973) bestimmt. Das Optimierungsproblem kann analytisch wie folgt beschrieben werden
minimiere [ e' Q~e J wobei g(C, f) = 0 (9)
wobei f = f + e d~r Vektor der ungestörten Resonanzfrequenzen, f der Vektor der gemessenen Resonanzfrequenzen und der Vektor e beschreibt die Messfehler, wobei angenommen wird, dass diese normalverteilt sind. Die Kofaktormatrix Qrr wird benötigt um die verschiedenen Genauigkeitsstufen der Beobachtungen zu beschreiben und kann somit als Gewichtungsmatrix interpretiert werden. Um alle Frequenzen gleich zu gewichten, werden die i-ten Diagonalelemente dem Quadrat der entsprechenden Resonanzfrequenz gleich gesetzt. Die Modellfunktion g(C,f) = 0 entspricht hier dem Eigenwertproblem der Gleichung (7), welches die Beziehung zwischen den Frequenzen und den zu bestimmenden Parametern C" beschreibt. Sie kann beschrieben werden als
g(C, f) = eig (K(C), M)- (21rf )'. (1 0)
Solche Optimierungsprobleme können durch Einführung von Lagrange'schen Multiplikatoren A gelöst werden
<I> = e' Q~e- 2A · g(C, f) (11)
Da die Modellfunktion nichtlineare Terme in C und f enthält, kann keine geschlossene Lösung gefunden werden. Das Problem wird linearisiert um die momentanen Schätzwerte C j und die Frequenzen f . Somit entsteht ein iterativer Prozess, wobei in jedem Schritt eine Verbesserung I'>C berechnet wird.
Für diesen Prozess müssen im ersten Schritt Startwerte angenommen werden. Da es sich lediglich um grobe Schätzungen handelt, stimmt die Reihenfolge der experimentell bestimmten und der theoretisch berechneten Schwingungsformen nicht zwingend überein. Um sicherzustellen, dass nur die Frequenzen von jeweils zusammengehörenden Schwingungsformen zur Schätzung der elastischen Eigenschaften
139
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
gebraucht werden, werden MAC (modal assurance criterion) Werte verwendet.
l~x·~a .I' MAC(" T • ) ' T
~x,,~aJ=( r •)( r •) ~x.~x, · ~a.~a,
(12)
dabei sind l;x, und l;a, die Amplitudenvektoren der iten experimentell bestimmten und der j-ten berechneten Schwingungsform. Für jede experimentelle Schwingungsform wird die zugehörige analytisch bestimmte Form über den höchsten MAC-Wert identifiziert. Einander zugeordnete Schwingungsformen mit MAC-Werten unter einem bestimmten Grenzwert, werden als nicht zuverlässig klassifiziert und vom momentanen Iterationsschritt ausgeschlossen.
4 EXPERIMENTE UND RESULTATE
4.1 Bestimmung der elastischen Eigenschaften
Um die elastischen Eigenschaften zu bestimmen, müssen die Geometrie und das Gewicht der Platte bekannt sein. Die Platte wiegt 44 kg und die Dimensionen der untersuchten Struktur betragen 2a =!.Sm, 2b = l.Om und 2h = 0.07m . Zudem müssen Schätzwerte für die nichtbestimmbaren Eigenschaften angenommen werden. Da diese nur einen sehr kleinen Einfluss auf die Eigenschaften haben, können Werte aus der Literatur (Stamer (1935)) entnommen werden. Die folgenden Werte werden verwendet: C
12 = 0.5GPa , C
13 = 0.2GPa , C
23 = 0.2GPa , und
C33
= 0.5GPa . Zuerst werden die aufgezeichneten Beschleuni
gungsdaten digital gefiltert. Es wird ein Chebyshev Typ II Bandpassfilter der Ordnung 10 mit Eckfrequenzen von 50 Hz bzw. 1 kHz verwendet. Die Abtastfrequenz beträgt 4.096 kHz. Aus den digitalisierten und gefilterten Daten werden die Resonanzfrequenzen und die Schwingungsformen mit Hilfe des MatrixPencil Algorithmus bestimmt.
Zur Lösung des inversen Problems werden zusätzlich grobe Schätzungen der zu bestimmenden Para-
Startwert GPa] Endwert [GPa]
cll 7.00 ~ 8.33
Czz 5.00 ~ 4.73
c .. 0.40 ~ 0.540
Css 0.10 ~ 0.0949
c •• 0.60 ~ 0.747
Tabelle. 1: Startwerte und Endwerte des Algorithmus zur Bestimmung der elastischen Parameter.
140
meter benötigt. Wie in Abb. 5 ersichtlich ist, sind die Schwingungsformen 1 und 4 dominant von einer elastischen Eigenschaft abhängig, daraus können Schätzungen für C66 und C22 gewonnen werden. Die übrigen Parameter werden wiederum aus der Literatur entnommen. Basierend auf diesen geschätzten, elastischen Eigenschaften, werden Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen mit Hilfe des Modells berechnet. Anschliessend wird ein erster Satz MACWerte bestimmt, womit die einzelnen, experimentellen und analytischen Schwingungsformen einander zugeordnet werden. Als minimalen MAC-Wert, damit ein Paar als zulässig gilt, wird 0.95 angesetzt.
ln einem ersten Iterationsschritt werden bessere Schätzwerte der Cif bestimmt. Basierend auf diesen werden aktualisierte MAC-Werte berechnet und die Schwingungsformen neu zugeordnet. Diese Schlaufe wird so oft durchlaufen, bis die Änderungen der zu bestimmenden Parametern hinreichend klein sind. Wie von solchen Optimierungsprozessen erwartet wird, konvergieren die Schätzwerte asymptotisch. Die Startwerte und die optimierten Werte sind in Tab. 1 aufgelistet. Nach 1 0 Iterationen beträgt die grösste Änderung in einem Parameter weniger als 0.001%. ln Tab. 2 sind alle Schwingungsformen, die als gültig klassifiziert wurden, aufgelistet. Die 5 Unbekannten Steifigkeitselemente wurden mit 12 Schwingungsformen bestimmt. Die Fehler zwischen experimentell bestimmten und den mit den gefundenen Steifigkeiten berechneten Resonanzfrequenzen betragen maximal 1.5%. Die Genauigkeit der berechneten Resonanzfrequenzen ist auch im höheren Frequenzbereich sehr gut. Zudem ist kein Trend zur Über- oder Unterschätzung der Frequenzen ersichtlich. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass das angenommene Platten- als auch das Materialmodell die Physik hinreichend genau beschreibt.
4.2 Validierung mit statischem Versuch
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
Mode 01
Mode 02
Mode 03
Mode 04
Mode 05
Mode 06
Mode 07
Mode 08
Mode 10
Mode 11
Mode 16
Mode 17
fexp [Hz]
61.3
127.5
168.7
233.3
256.9
286.4
318.6
333.5
456.3
484.1
652.7
665.0
ftheo [Hz]
61.42
127.42
169.02
234.14
256.49
284.81
317.85
330.82
461.18
490.02
643.22
666.33
Fehler[%]
-0.21
0.10
-0.17
-0.38
0.16
0.54
0.25
0.82
-1.06
-1.22
1.48
-0.21
MAC
1.00
0.98
1.00
1.00
0.96
0.95
0.98
0.97
0.96
0.98
0.95
0.97
Tabelle 2: Schwingungsmoden, die zur Bestimmung der elastischen Eigenschaften verwendet wurden.
2a=2'.45m
a/2 a/2
an drei Punkten gemessen. Dazu wurden LVDTMesstaster verwendet.
Der statische Versuch wurde mit dem Plattenmodell nach Reddy numerisch nachgebildet. Das Verschiebungsleid und die Rotationsfelder wurden wiederum mit Legandre Polynomen parametrisiert, die jedoch mit einfachen quadratischen Funktionen vormultipliziert wurden, welche die kinematischen Randbedingungen erfüllen. Der Simulation liegen die dynamisch bestimmten, elastischen Eigenschaften zu Grunde. Die aufgebrachte äussere Kraft wurde als Punktlast angenommen. Das resultierende Verschiebungsfeld ist in Abb. 6 dargestellt.
ln Tab. 3 sind die berechneten und die gemessenen Durchbiegungswerte miteinander verglichen. Die berechneten Verschiebungen unterschätzen die gemessenen um ca. 6%. Neben experimentellen Unsicherheiten, kann dieser Unterschied erklärt werden,
Verschiebung [mm]
Abb. 6: Massivholzplatte, welche für den statischen Biegeversuch verwendet wurde. Links sind die Messpunkte und der Punkt der Krafteinleitung eingezeichnet. Der grau markierte Bereich entspricht der ausgeschnittenen Platte, an welcher die dynamischen Versuche durchgeführt wurden. Rechts ist das Verschiebungsfeld infolge einer Punktlast von 45 kN dargestellt.
Um die ermittelten, elastischen Parameter zu verifizieren wurde ein statischer Biegeversuch durchgeführt. Alle Kanten der hierfür verwendeten, quadratischen Platte sind einfach aufgelagert. Die Lager wurden so konstruiert, dass sie auch das Abheben der Ecken unterdrücken. Die Plattendimensionen betragen 2a = 2.45m und 2b = 2.45m . Da die kleinere Platte, an welcher die dynamischen Versuche durchgeführt wurden (Abb. 6, grauer Bereich), aus dieser grösseren Platte ausgeschnitten wurde, hat sie dieselbe Plattenstärke und denselben Aufbau. Mit einem Servo-Hydraulischen Zylinder wurde eine Punktlast von 45 kN senkrecht zur Platte aufgebracht. Der Kraftangriffspunkt liegt im Viertelpunkt der Platte, wie dies in Abb. 6 eingezeichnet ist. Die Durchbiegungen wurden
wenn man die dynamisch bestimmten, elastischen Eigenschaften betrachtet. Die Durchbiegungen sind linear von den elastischen Eigenschaften abhängig. Das heisst auch, dass die dynamisch bestimmten Parameter um 6% zu hoch ermittelt wurden. Aufgrund des Unterschiedes der Dehnungsraten, wie sie in den dynamischen Versuchen auftreten, verglichen mit
Experiment [mm] Simulation [mm] Fehler[%]
11.91 11.27 5.38
10.75
11.24
9.93
10.56
7.6
6.09
Tabelle 3: Vergleich der gemessenen und der berechneten Durchbiegungen für die 3 Messstellen.
141
Zerstörungsfreie Ermittlung der Steifigkeiten einer Brettsperrholzplatte
dem statischen Test, wird die Abhängigkeit der elastischen Eigenschaften von den Belastungsgeschwindigkeiten bemerkbar. Dieses Ergebnis deckt sich mit Aussagen aus der Literatur (Machek et al. (2001 )).
5 SCHLUSSFOLGERUNGEN
Ein voll automatischer Algorithmus zur Bestimmung von elastischen Eigenschaften in orthotropen, dicken Platten wurde vorgestellt. Eine kreuzweise verklebte
Massivholzplatte wurde untersucht. Hierfür wurde ein homogenisiertes, linear elastisches Materialverhalten angenommen. Der Algorithmus basiert auf folgenden Schritten:
Die Resonanzfrequenzen und Schwingungsformen werden mit der experimentellen Modal Analyse bestimmt. Ein orthotropes, linear elastisches Modell der Platte, basierend auf Reddy's Theorie, wird verwendet. Ein nichtlinearer Optimierungsalgorithmus zur Bestimmung der gesuchten Materialeigenschaften
wird verwendet. Basierend auf den MAC-Werten werden die
Schwingungsformen einander zugeordnet.
Fünf elastische Parameter konnten mit 12 Biegeschwingungsformen der Platte zuverlässig bestimmt werden. Die kleinen Fehler zwischen experimentell und theoretisch bestimmten Frequenzen zeigen, dass das verwendete Material- und Plattenmodell das mechanische Verhalten solcher kreuzweise verklebter
Holzplatten hinreichend genau beschreibt. Die bestimmten, elastischen Materialeigenschaften wurden mit einem statischen Biegeversuch verifiziert.
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3 BERZ, Gerhard (Hrsg. ): 10,00 5,00 Erdbebeneinwirkungen auf nichttragende Bauelemente. DGEB-Publikation Nr. 3, 1991, ISBN 3-930108-01-1
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Erdbebeningenieurwesen - Ingenieurseismologische Grundlagen, Vorschriften und Standards, Fallstudien DGEB-Publikation Nr. 5, 1991, ISBN 3-930108-02-X
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8 SAVIDIS, Stavros A. (Hrsg.): 181,50 181,50*) Earthquake Resistant Construction and Design (ERCAD second conference, Berlin 1994) A.A. Balkema, 1994, Val. 1: ISBN 90 5410 393 0, Val. II: ISBN 90 5410 394 9
9 SAVIDIS, Stavros A. (Hrsg.): 10,00 5,00 Paläoseismologie, Eurocode 8 und Schwingungsisolierung. (DGEB-Workshop, Karlsruhe 1997). DGEB-Publikation Nr. 9,1998, ISBN 3-930108-05-4
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B Schriftenreihe der DGEB
Heft 1 Construcciones Antisismicas, 1991, ISBN 3-930108-50-X 5,00 2,50
(Spanische Übersetzung von: Erdbebensicheres Bauen, Eine Planungshilfe für Bauherren, Architekten und Ingenieure, herausgegeben vom Innenministerium Baden-Württemberg)
143
144
2 SCHWARZ, Jochen (Hrsg.): IDNDR- Schadensauswertungen, Normenentwicklung, Experimentelle Untersuchungen, Berechnung, Soziale und ökonomische Aspekte, 1992, ISBN 3-930108-51-8
3 KLEIN, Günter (Hrsg.): Bau- und Versicherungswirtschaft in der Internationalen Dekade der Vereinten Nationen für Katastrophenvorbeugung (IDNDR), Dokumentation zum Workshop am 4./5. März 1992 in Neu-lsenburg, 1992
c Weitere von der DGEB mit herausgegebene Veröffentlichungen
1 MATTHEES, W., BRANDES, K., LIU, W.K., BEL YTSCHKO, T. und DROSTE, B. (Hrsg.): Extended and Updated Selected Papers from the SMiRT -12 Post-Conference Seminar, No. 12, IMPACT-IV, 23./24. August.1993 in Berlin, erschienen in: NUCLEAR ENGINEERING AND DESIGN, Valurne 150, 1994, Nos. 2-3, ISSN 0029-5493
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