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Politik Schweizerische Sicherheitspolitik nach dem Irakkrieg Andreas Wenger Strategie Air Strategy – Targeting for Effect Phillip S. Meilinger Luftwaffe Weiterentwicklung der Luftwaffe bis 2015 – eine Strategie Michael Grünenfelder Geschichte Operation «OVERLORD» – aus der Perspektive Luftmacht Peter Bruns Buchbesprechungen Airwar, Strategy AIR POWER REVUE DER SCHWEIZER LUFTWAFFE DES FORCES AERIENNES SUISSES Nr. 1, Oktober 2003 Beilage zur ASMZ 10/2003

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PolitikSchweizerische Sicherheitspolitik nach demIrakkrieg Andreas Wenger

StrategieAir Strategy – Targeting for Effect Phillip S. Meilinger

LuftwaffeWeiterentwicklung der Luftwaffe bis 2015 –eine Strategie Michael Grünenfelder

GeschichteOperation «OVERLORD» – aus der PerspektiveLuftmacht Peter Bruns

BuchbesprechungenAirwar, Strategy

AIR POWER REVUEDER SCHWEIZER LUFTWAFFE

DES FORCES AERIENNES SUISSES

Nr.1, Oktober 2003

Beilage zur ASMZ 10/2003

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Hansruedi Fehrlin 3

Rudolf Läubli 4

Andreas Wenger 5

Phillip S. Meilinger 14

Michael Grünenfelder 21

Peter Bruns 31

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Die Artikel der Air Power Revue können unter Angabe der Quelle frei kopiert undwiedergegeben werden.

Herausgeber: KKdt Hansruedi Fehrlin Kdt Luftwaffe

Redaktionskommission: Br zD Rudolf Läubli Redaktor ASMZDr. Michael Grünenfelder Chef LuftwaffendoktrinDr.Alexander Stucki Chef Nachrichtendienst der LuftwaffeOberst Beat Neuenschwander Chef Planung der LuftwaffeOberstlt i Gst Alain Vuitel Chef Militärdoktrin der ArmeeJürg Nussbaum Chef Kommunikation der Luftwaffe

Verlag und Druck: Huber & Co.AG, Grafische Unternehmung und Verlag,8501 Frauenfeld

Beilage zur «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» ASMZ, Nr. 10, Oktober 2003

Vorwort

Editorial

PolitikSchweizerische Sicherheitspolitik nach dem Irakkrieg

StrategieAir Strategy – Targeting for Effect

LuftwaffeWeiterentwicklung der Luftwaffe bis 2015 – eine Strategie

GeschichteOperation «OVERLORD» – aus der Perspektive Luftmacht

Buchbesprechungen

Das Air-Power-Büchergestell

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Die heutige Zeit ist auf den ersten Blick eigentlich der falscheMoment, eine Revue – wie die hier vorliegende – zu lancieren.Der Sparzwang des Bundes führt auch bei uns dazu, dass wirin regelmässigen Abständen gezwungen sind, unser Budget imVerteidigungsbereich nach unten anzupassen.Wir mussten undmüssen schwierige Personalentscheide treffen – selbst Entlassun-

gen können nicht mehr gänzlich ausgeschlossen werden.Und zu guter Letzt existiertdie Bedrohung nicht mehr, auf die man sich einst zur Begründung des eigenen Tunsso vortrefflich verlassen konnte.

Wieso also startet die Luftwaffe gerade jetzt mit einer Revue zum Thema AirPower –Luftmacht? Meines Erachtens gibt es hierfür zwei gute Gründe:

Erstens zwingt die momentane Knappheit an Bedrohung und Budgetmitteln dieLuftwaffe dazu, gegenüber dem Steuerzahler und Wähler transparent und klar zubegründen, warum sie von den immer knapper werdenden Haushaltsmitteln auch inZukunft einen nicht unerheblichen Teil für ihr Budget erhalten sollte. Diese Aufgabemuss uns dazu anregen, immer klarer und besser zu definieren, was wir tun, warumwir es tun und wie wir es besser tun können.

Zweitens führt die heutige Bedrohungslage dazu, dass wir uns mindestens aufoperativer und strategischer Stufe aus der alten Welt der Reglemente verabschiedenmüssen.Dies war die Welt der klaren Regelung,wie der Krieg gegen den damals wohlbekannten Gegner zu führen sei. Die heutige unklare Bedrohung zwingt uns zumÜbergang in die Beschreibung unseres Produktes Luftmacht in Form einer Doktrin.Doktrin ist dabei im Grunde genommen nichts anderes als ein Werkzeugkasten, ausdem die Werkzeuge zur Entwicklung einer konkreten Operation genommen werdenkönnen. Im Unterschied zum Reglement (die Beschreibung des fertigen Produktes)regelt aber Doktrin (der Werkzeugkasten zur Herstellung des Produktes) nicht, wieein Einsatz auf operativer und strategischer Stufe auszusehen hat.

Die Air Power Revue der Luftwaffe soll als offenes Forum dem Studium, demNachdenken und der Diskussion über das ebenso faszinierende wie in modernenOperationen aller Art relevante Thema Luftmacht dienen. Hierbei geht es nicht umdie Verteidigung des Althergebrachten und Gewohnten, sondern um das Findenunseres Weges in einer grundsätzlich nicht voraussehbaren Zukunft.

Geschichte,Theorie und Praxis anderer Luftwaffen stellen für uns dabei eine kos-tenlose und beinahe unerschöpfliche Quelle an Wissen und Erkenntnis dar. Diesemuss «ausgebeutet» und für unsere Zwecke genutzt werden. Der einzige Massstab,an dem uns die Geschichte messen wird, ist die Fähigkeit, kosteneffizient – und wonotwendig wirkungsvoll – dem Einsatz in Gegenwart und Zukunft zu genügen.

Ich wünsche der Air Power Revue der Luftwaffe viel Erfolg und damit eine grosseLeserschaft auf ihrem zukünftigen Weg.

Korpskommandant Hansruedi FehrlinKommandant Luftwaffe

Vorwortdes Kdt Luftwaffe

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Luftmacht – Air Power – ist zur bestimmenden Grösse in modernen Konfliktengeworden. Dies gilt vom symmetrischen «Vaterländischen Krieg» bis zum Terror-angriff vom 11. September 2001. Im Kalten Krieg waren der Gegner und seineMöglichkeiten wohl bekannt, mit dem Eintreten des Ernstfalles musste mit einergewissen Wahrscheinlichkeit gerechnet werden. Heute befinden wir uns in einerSituation ohne klar erkennbare Bedrohung in der Gegenwart und einer prinzipiellnicht vorhersagbaren potenziellen Bedrohung in der Zukunft. Gleichzeitig hat die

rasante Entwicklung der Technologie zu einer ungeheuren Zunahme der Komplexitätmoderner Operationen und deren zunehmender Abhängigkeit von Luftmacht geführt.

Operationen werden immer schneller;der Gegner wird immer mehr als System verstanden,das mittels weniger Präzisionsangriffe zum Einsturz gebracht werden kann; dabei bewegensich Präzisionswaffen preislich in der Kategorie von Mittelklassewagen (JDAM).Die Nachtist für Aufklärungssensoren zum Tag geworden; ihr Zugang zum aufzuklärenden Ziel ausder Luft und aus dem Weltraum ist nicht abzuwenden; grosse, immobile, aus Reserveverbän-den zusammengesetzte Heereskräfte, die nicht in enger Abstimmung mit Luftstreitkräfteneingesetzt werden können, werden immer irrelevanter; kein Heer bewegt sich mehr untergegnerischer Luftherrschaft. In einer durch solche Entwicklungen geprägten Welt reicht dieeinfache Regelung der Kampfführung durch Reglemente, wie schon vom Kommandantenin seinem Geleitwort erwähnt, nicht mehr aus.

Die Luftwaffe trägt der Veränderung der Umwelt Rechnung und hat eine neue Doktrin-stelle geschaffen, die ihr Produkt – Air Power bzw. Luftmacht – beschreiben und konzep-tionell entwickeln soll. Sie tut dies für und mit der Armee im Sinne eines integriertenProzesses und einer Leistung des Gesamtsystems Armee. Das Ergebnis des Doktrinprozes-ses der Luftwaffe können nicht, wie bereits angetönt, Reglemente sein, sondern ein Gesamt-werk aus Doktrindokumenten,Publikationen,Untersuchungen,Artikeln und – last but notleast – der Air Power Revue der Luftwaffe.

Die Air Power Revue stellt das Thema Air Power in seinen verschiedenen Dimensionendar, spiegelt die heute international an Universitäten und in anderen Luftwaffen geführteDiskussion, beurteilt diese und leitet die für die Schweiz relevanten Schlussfolgerungen ab.Ein grosser Teil dieser Diskussion ist landesunabhängig, seine Wahrnehmung und Verarbei-tung hat nichts mit der Neutralitätsfrage zu tun, sondern mit professionellem Vorgehen in derFindung des vom Kommandanten in seinem Geleitwort geforderten Weges in der Zukunft.Ein Teil ist aber spezifisch schweizerisch und hat mit der Bewusstseinsbildung bezüglich derRelevanz unseres Themas in diesem Land zu tun.

Die Air Power Revue ist aus diesen Gründen bewusst offen gestaltet worden und sollmöglichst frei von den Sachzwängen der formellen Organisationseinheit Luftwaffe gehaltenwerden.

Die Air Power Revue erfüllt zusätzlich die Rolle einer Ausbildungsplattform für dieMiliz- und die Berufsangehörigen der Luftwaffe und der Armee an den Kaderschulen undauf dem sprichwörtlichen Nachttischchen.

Die Luftwaffe beschreitet mit der Publikation der Air Power Revue in Form und inInhalt Neuland. In Bezug auf die Form haben wir bewusst auf eine vordergründig attrak-tive Aufmachung verzichtet. Das schlichte Design soll den Inhalt unterstützen. In diesemSinne hoffen wir, dass wir in Ihren – des Lesers – Augen einen nützlichen konzeptionellenBeitrag zur Sicherheit der Schweiz liefern werden.

Rudolf Läubli, Br zDEditor der Air Power Revue der Luftwaffe Redaktor ASMZ

Editorialdes Redaktors

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P O L I T I K

Andreas Wenger*

Einleitung

Das Ausbleiben einer Einigung imSicherheitsrat hatte dabei wesentlich damitzu tun, dass die Herausforderung durcheinen mit Massenvernichtungsmitteln aus-gerüsteten globalen Terrorismus in Wash-ington und den europäischen Hauptstädtenunterschiedlich eingeschätzt wurde. Seitden Ereignissen des 11. Septembers 2001hat sich die internationale sicherheitspoli-tische Debatte intensiviert – bisher mitunklaren Ergebnissen.

Auch in der Schweiz bewegte seit denTerrorakten in New York und Washingtonkein anderes internationales Ereignis dieGemüter so sehr wie die militärische Inter-vention der USA und ihrer Verbündeten imZweistromland. Gleichwohl fällt es nichtleicht,die schweizerische Sicherheitspolitikim Kontext des Irakkriegs zu diskutieren.Dies hat einerseits damit zu tun, dass dieKrise im Irak in der breiteren Öffentlich-keit in den traditionellen Kategorien derschweizerischen Aussen- und Sicherheits-

politik rezipiert wurde. Andererseits lassensich nur wenig direkte Zusammenhängezwischen den internationalen Ereignissenund der innerschweizerischen Debatte umdie Neuausrichtung der Sicherheitspolitikdes Landes finden.Der Abstimmungskampfzu den Reformvorhaben der Armee XXIund des Bevölkerungsschutzes XXI verliefparallel zum Krieg – im Wesentlichen aberauf getrennten Pfaden.

aus, dass die Irakdebatte nur in Ansätzen inden grösseren Zusammenhang der laufen-den sicherheitspolitischen Neuorientie-rung der Schweiz gestellt wurde.

ImVorfeld des Krieges war die politischeDebatte in der Schweiz von heftiger Kritikan Präsident Bushs Nahostpolitik und vonverbreiteter Ablehnung einer militärischenAbrüstung des Iraks geprägt.Angesichts derunsicheren weltpolitischen Entwicklun-gen bewerteten die Schweizerinnen undSchweizer gemäss Meinungsumfragen denStellenwert der Neutralität, vor allem beimilitärischen Konflikten, höher als in denJahren zuvor und zeigten sich allgemeinskeptischer hinsichtlich einer Annäherungan die EU und die NATO. Die Rolle derUSA als globale Ordnungsmacht wurdegrossmehrheitlich negativ beurteilt.Hinge-

gen stieg aufgrund der Ereignisse im Irakdie Zustimmung der Schweizerinnen undSchweizer zur UNO als alleiniger Hüterindes Völkerrechts markant an.Allerdings er-holte sich die aussenpolitische Öffnungs-bereitschaft nach dem Tiefstand zu Jahres-beginn im Zuge des überraschend schnel-len Kriegsendes im April und pendelte sichauf einem mit den Vorjahren vergleich-baren Niveau ein.1

Vor Beginn der Kampfhandlungen setz-te sich die offizielle Schweiz für eine fried-liche Lösung des Irakkonflikts ein. Jenseitsdes medialen Brennpunkts unterstütztenSchweizer Festungswächter auf Anfrage derUNO die Arbeiten der UNO-Abrüstungs-kommission im logistischen Bereich.Grosse mediale Beachtung fanden dagegeneinige von der neuen Bundesrätin Miche-line Calmy-Rey unter dem Stichwort der«public diplomacy» lancierte Initiativen.Während eines Treffens mit dem amerika-nischen Aussenminister Colin Powell an-lässlich des WEF in Davos regte die Aussen-ministerin ein Treffen der letzten Chancezwischen den USA und dem Irak an, einVorschlag, der international weitgehendungehört verhallte.Eine gross angekündig-te humanitäre Konferenz in Genf zur Si-tuation im Irak reduzierte sich schrittweisezu einem Treffen auf Expertenebene. Unddie Realisierung der während der Kampf-handlungen angekündigten Liste der zivi-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 5

Schweizerische Sicherheitspolitik nach dem IrakkriegIm Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit der vergangenen Monatestand die Debatte um Krieg und Frieden im Irak. Die Dynamik des in-ternationalen Meinungsbildungsprozesses war dabei von verbreitetenantiamerikanischen Reflexen, von einer tiefen Spaltung Europas und –vor Beginn der Kampfhandlungen – von einer zeitweise grossen Mobi-lisierung der Öffentlichkeit gegen einen Krieg geprägt. Der internatio-nalen Gemeinschaft und insbesondere den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates gelang es nicht, zu einem Konsens hinsichtlich derDurchsetzung des Rüstungskontrollregimes gegen Saddam Hussein aufder Basis der Resolution 1441 vom 8. November 2002 zu finden.

Auf der Basis einer klaren innenpoliti-schen Legitimation wird sich der Fokus derschweizerischen Sicherheitspolitik in naherZukunft auf die Umsetzung der erarbeite-ten Planungsgrundlagen verschieben. Da-bei sollte aber der strategische Kontext derin Angriff genommenen Reformvorhabennicht aus den Augen verloren werden. Ge-rade bei der Armeereform handelt es sichum einen langfristig ausgerichteten Re-formprozess, dessen Zielrichtung undGeschwindigkeit im Lichte der aktuellennationalen und internationalen Entwick-lungen kontinuierlich überdacht werdenmüssen. In diesem Zusammenhang er-scheint es an dieser Stelle denn auch sinn-voll und notwendig, nach den wichtigsteninternationalen sicherheitspolitischen Ent-wicklungen seit dem 11. September 2001zu fragen.Abschliessend sollen daraus eini-ge zukünftige Herausforderungen an dieschweizerische Sicherheitspolitik abgeleitetwerden.

Krieg im Irak: TraditionelleReflexe der Schweiz

Auch die politische Debatte in derSchweiz und die schweizerische Aussen-politik wurden im ersten Halbjahr 2003vom Irakkrieg dominiert. Dabei waren so-wohl die Reaktionen der Öffentlichkeit alsauch die offiziellen Stellungnahmen desBundesrates von den traditionellen aussen-politischen Reflexen des neutralen Klein-staates geprägt, der sich gegen jede Formvon Hegemonie der Grossen gegen dieKleinen stemmt und seine Interessen ambesten durch eine strikte Respektierungdes internationalen Rechts gesichert sieht.Entsprechend erschöpfte sich die Schwei-zer Irakdebatte in völkerrechtlichen Über-legungen und der damit verbundenenForderung einer zentralen Rolle der UNOals einzig legitimer Garantin des Völker-rechts.Die Auswirkungen des Konflikts aufdie regionale Stabilität im Nahen undMittleren Osten einerseits und den Kampfgegen den globalen Terrorismus und dieProliferation von Massenvernichtungswaf-fen andererseits fanden dagegen nur wenigBeachtung. Augenfällig war darüber hin-

Bei der Armeereform handelt es sichum einen langfristig ausgerichtetenReformprozess, dessen Zielrichtungund Geschwindigkeit kontinuierlich

überdacht werden müssen.

Die Rolle der USA als globaleOrdnungsmacht wurde gross-mehrheitlich negativ beurteilt.

1Karl W. Haltiner,Andreas Wenger, Jonathan Ben-nett,Tibor Szvircsev Tresch, Sicherheit 2003: Aussen-,sicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbildung imTrend (Zürich: Forschungsstelle für Sicherheitspolitikder ETH Zürich und Militärakademie an der ETHZürich, 2003).

*Andreas Wenger, Prof. Dr., Leiter der For-schungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETHZürich.

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len Opfer des Irakkriegs im Internet erwiessich – zur Überraschung weniger – alsunmöglich. Die Vorstösse entsprachen da-bei zweifellos dem Selbstverständnis derSchweiz als Vermittlerin in internationalenKonflikten einerseits und der humanitärenTradition des Landes andererseits. Ob da-mit aber nach innen ein realistisches Bildder Möglichkeiten eines Kleinstaates imBereich der traditionellen Guten Diensteund der «Konferenzen der letzten Chan-cen» gezeichnet und nach aussen dieGlaubwürdigkeit der schweizerischen Aus-senpolitik gefördert wurde, darf bezweifeltwerden.

Nicht nur in diesen Fragen konnten dieoffiziellen Verlautbarungen aus dem Bun-deshaus nicht darüber hinwegtäuschen,dassdie Situation im Irak selbst im Bundesratmit unterschiedlichen Konnotationen ein-geschätzt wurde. Auf Antrag der Aussen-ministerin präzisierte der Bundesrat am 22.Januar 2003 seine Position in der Irakkrise.Nach Ansicht des Bundesrates reichte dieUNO-Resolution 1441 nicht aus, um da-rauf eine Militäraktion gegen den Irakabzustützen. Ohne eine weitere expliziteAutorisierung durch den Sicherheitsratmusste die Intervention der USA und ihrerKoalitionspartner gemäss dieser Sichtweiseals bewaffneter Konflikt zwischen Staatenbetrachtet werden. Nach dem Beginn der

Kampfhandlungen durch die USA unter-richtete Bundespräsident Pascal Cou-chepin – unter deutlichem Hinweis auf dieMitverantwortung des Iraks für den Aus-bruch der Feindseligkeiten – die VereinigteBundesversammlung, dass aufgrund desAusbleibens einer Zustimmung durch denSicherheitsrat das Neutralitätsrecht zur An-wendung komme. Gemäss der schweizeri-schen Neutralitätspraxis wurde für Staaten,die sich an der militärischen Interventionim Irak beteiligten, sowohl der Transitdurch die Schweiz als auch das Überfliegendes schweizerischen Hoheitsgebietes inZusammenhang mit dem bewaffnetenKonflikt verboten. Auch die Ausfuhr vonKriegsmaterial für die laufenden Operatio-nen wurde untersagt.

Die Anwendung der fast hundertjähri-gen Rechtsgrundsätze der Neutralität er-wies sich in der Praxis einmal mehr alsnicht einfach. Umstritten war im Bundes-rat einerseits, ob dem amerikanischenÜberflugsbegehren – insbesondere fürÜberwachungsflüge – stattgegeben werden

unterschiedlichen Einschätzungen auf daseuropäische Umfeld der Schweiz lässt sichkeine nennenswerte Debatte in derschweizerischen Öffentlichkeit feststellen.Dieser Mangel an strategischer Kulturerklärt denn auch, weshalb die mit demBericht 2000 zur schweizerischen Sicher-heitspolitik in Angriff genommene sicher-heitspolitische Neuausrichtung der Schweizjenseits der Irakdebatte auf innenpolitischseit langem vorbestimmten Bahnen verlief.

Sicherheitspolitik 2000: klareinnenpolitische Legitimationsbasis

Mit dem Bericht 2000 unter dem Mot-to «Sicherheit durch Kooperation» hatteder Bundesrat rund eine Dekade nach demEnde des Kalten Krieges strategische Kon-sequenzen aus der veränderten Bedro-hungslage und der Anpassung der interna-tionalen Sicherheitsstrukturen gezogen.4

Die sicherheitspolitische Konzeption desBundesrates leitete eine Neuausrichtungvon der autonomen, reaktiv geprägtenLandesverteidigung zur kooperativen,präventiv geprägten Sicherheitspolitik ein,deren Ausgestaltung innenpolitisch aller-dings umstritten blieb. Dabei war der Preiszwischen dem aussen- und sicherheitspoli-tisch Notwendigen und dem innenpoli-tisch Durchsetzbaren,dass der Bericht 2000zwei zentrale Fragen offen liess: Wie vielKooperation ist ohne institutionelle Ein-bindung in die für Europas Sicherheit rele-vanten Organisationen überhaupt mög-lich? Und zweitens: Welchen Beitrag solleine neu konzipierte Armee im Rahmender internationalen Dimension der skiz-zierten Kooperationsstrategie leisten?

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin6

sollte, solange der Krieg im Irak noch nichtbegonnen hatte. Gegenstand kontroverserDiskussionen war andererseits, ob undwann die Schweiz Überflugrechte im Falleeines Irakkriegs mit UNO-Mandat zu-sagen sollte. Am Ende gestattete der Bun-desrat keine militärischen Überflüge, er-möglichte aber über 100 amerikanischenund britischen Militärflugzeugen auf me-dizinischer und humanitärer Mission dieDurchquerung des Schweizer Luftraums.

Zu Konfusion und zu umstrittenen Ent-scheiden führte die Erklärung des Neutra-litätsfalls auch bei der Frage der Einschrän-kungen von Waffenexporten an Kriegführende Staaten – obwohl diesbezüglichmit dem Kriegsmaterialgesetz eine aktuelleund klare Rechtsgrundlage vorlag.2 Am 16.April erklärte der Bundesrat den bewaffne-ten Konflikt zwischen Staaten überra-schend früh beendet, obwohl die Kampf-handlungen keineswegs vollständig zumErliegen gekommen waren. Dieser neutra-litätsrechtlich problematische Schritt er-laubte es der Landesregierung, die Waffen-exportrestriktionen frühzeitig aufzuheben.Dabei waren handfeste wirtschaftliche In-teressen des Bundes im Spiel.Keine einzigeRüstungsfirma musste denn auch wegendes Irakkrieges auf eine Lieferung in dieUSA oder nach Grossbritannien verzichten.

Vor dem Hintergrund der breiten öf-fentlichen Ablehnung des Krieges erstauntes wenig,dass der Bundesrat seine Irakpoli-tik an der Richtschnur der Neutralität ori-entierte. Innenpolitisch war einer solchenPolitik der Konsens gewiss, wenn auchmanch einem die Feinheiten der Debatteum die neutralitätsrechtlichen und neutra-litätspolitischen Positionen und Verpflich-tungen entgangen sein dürften.3 Was einesolche Politik in der Schweiz aber verhin-derte, war eine interessengeleitete Diskus-sion der sicherheitspolitischen Konsequen-zen der divergierenden Ansichten dies-und jenseits des Atlantiks,wie mit den Un-sicherheiten eines globalisierten Umfeldsumgegangen werden soll. Nur wenige in-ternationale Experten – auch unter denKriegsgegnern – würden den Irakkrieg alsklassischen zwischenstaatlichen Konfliktbezeichnen. Unbestritten war auch, dassder Irak gegen seine Abrüstungsverpflich-tungen verstossen hatte und dass SaddamHussein nur durch eine breit abgestützteDrohung mit militärischen Sanktionsmit-teln zum Einlenken gebracht werdenkonnte – wenn überhaupt. Umstritten wardagegen,wie viel Zeit dem Abrüstungspro-zess gegeben werden sollte und ob von ei-ner Politik der militärischen Abrüstung desIraks positive oder negative Impulse für dieStabilität im Nahen und Mittleren Ostenund für den Kampf gegen den globalenTerrorismus und die Proliferation vonMassenvernichtungswaffen ausgehen wür-den. Zur Frage der Rückwirkungen dieser

Die Anwendung der fasthundertjährigen Rechtsgrundsätzeder Neutralität erwies sich in der

Praxis einmal mehr als nicht einfach.

Die sicherheitspolitische Konzeptiondes Bundesrates leitete eine

Neuausrichtung von der autonomen,reaktiv geprägten Landesverteidigung

zur kooperativen, präventivgeprägten Sicherheitspolitik ein.

2514.51 Bundesgesetz über das Kriegsmaterial(Kriegsmaterialgesetz, KMG) vom 13. Dezember1996 (Stand am 26. November 2002).

393.098 Bericht über die Aussenpolitik derSchweiz in den 90er-Jahren vom 29.November 1993.Anhang: Bericht zur Neutralität.

497.667d «Sicherheit durch Kooperation», Berichtdes Bundesrates an die Bundesversammlung über dieSicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2000) vom7. Juni 1999; Andreas Wenger und Jon Fanzun,«Schweizer Sicherheitspolitik 2000: Umbruch oderAufbruch?» in Österreichische Militärische Zeitschrift (6)2000: S. 733–742.

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Die Umsetzung der neuen strategischenLeitlinie in den vergangenen vier Jahrenwar von einer aussen- und verteidigungs-politischen Ausmarchung im Rahmeneines beinahe permanenten Abstimmungs-kampfes geprägt. Im Bereich der Aussen-politik war das herausragende Ereignis dieZustimmung von Volk und Ständen zumUNO-Beitritt der Schweiz. Am 10. Sep-tember 2002 wurde die Schweiz anlässlichder Eröffnung der 57. Session als 190. Mit-gliedstaat offiziell in die Vereinten Natio-nen aufgenommen. Nach der deutlichenAblehnung der Initiative «Ja zu Europa» imMärz 2001 vereinbarten die Schweiz unddie EU eine neue Runde bilateraler Ver-handlungen. Am 1. Juni 2002 traten diebilateralen Verträge I, u.a. mit den DossiersPersonenverkehr und Landverkehr, miteiner Übergangszeit von zwölf Jahren inKraft. Kurze Zeit darauf begann die zweiteRunde der Verhandlungen zu den zehnDossiers der Bilateralen II, welche die zweipolitisch heiklen Dossiers zur Zinsbesteue-rung und zu Schengen/Dublin beinhalten.Unter dem Stichwort «Kein EU-Beitrittdurch die Hintertür» kündigte die Aktionfür eine unabhängige und neutrale Schweiz(AUNS) bereits das Referendum gegen dieBilateralen II an. Im Zentrum der Europa-debatte der Schweiz dürften damit nochfür einige Jahre die Schengen-Bestimmun-gen stehen.5 Der aussenpolitische Bezugs-rahmen für die sicherheitspolitischen Re-formvorhaben war damit vorerst einmaldefiniert.

Im Bereich der Verteidigungs- und Ar-meepolitik bildete die knappe Zustim-mung der Bevölkerung zur Bewaffnungvon Friedenstruppen im Ausland und zurAusbildungszusammenarbeit mit auslän-dischen Streitkräften im Juni 2001 denAusgangspunkt für zähflüssige Debattenzwischen Bundesrat und Parlament rundum die Neuausrichtung der SchweizerArmee.6 Die Arbeiten am Armeeleitbildentwickelten sich angesichts skeptischerVernehmlassungsantworten der Parteien, inderen Mittelpunkt ein klareres Bekenntniszur Miliz und zur Kernaufgabe der Landes-verteidigung standen, äusserst zögerlich.Nach langwierigen Differenzbereinigungs-verfahren im Parlament, die sich auf struk-turelle und ablauftechnische Detailfragen(Dauer der RS;Anzahl,Grösse und Unter-stellung der Verbände; Miliz versus Profisusw.) konzentrierten, fanden die überarbei-teten Vorlagen zur Armee XXI und zumBevölkerungsschutz XXI im Parlament imOktober 2002 deutliche Mehrheiten.7Trotzdem lancierten politische Kräfte ausdem rechtsbürgerlichen Lager das Refe-rendum, wobei weder eine Partei noch dieAUNS eine federführende Position ein-nahmen.

Aufgrund des Abstimmungskampfeszeigte sich die Landesregierung bei der

vom Fleck zu kommen. Der Auftakt zurArmeereform XXI erfolgte im Zeichenpolitischer Kompromisse, der Finanz-knappheit des Bundes und der subsidiärenHerausforderungen.

Armeereform XXI: Auftakt imZeichen der Finanzknappheit undder subsidiären Einsätze

Angesichts der jahrzehntelangen Aus-richtung der Schweizer Armee auf eineautonome Landesverteidigung gegen eineklare militärische Bedrohung handelt essich bei der anstehenden Armeereform umeinen Prozess von revolutionärem Charak-ter. Im Kern geht es um den Übergang vonder Ausbildungs- zur Einsatzarmee mitumfassenden Konsequenzen im doktri-nalen, strukturellen und operationellenBereich. Insgesamt ist in konzeptionellerHinsicht eine Verlagerung von der Terri-torialverteidigung zu mehr Krisenreaktionfestzustellen. Das Armeeleitbild forderteinen Ausbau der nationalen und interna-tionalen Kooperationsfähigkeit der Armeemit militärischen und zivilen Partnern inBezug auf alle drei Armeeaufträge (Beiträge

zur Friedensunterstützung und Krisenbe-wältigung; Raumsicherung und Vertei-digung; subsidiäre Einsätze zur Präventionund Bewältigung existenzieller Gefahren).Interoperabilität mit militärischen Partnernim strategischen Umfeld wird als Quer-schnittsfähigkeit erfasst, welche die Armeeals Gesamtsystem betrifft. Auch die Joint-ness hält mit der Schaffung eines Teilstreit-kräftemodells und eines Joint-Stabes aufoperativer Stufe Einzug in der SchweizerArmee. Die Präsenzkomponente wird mitden Durchdienern und der Erhöhung des

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 7

Umsetzung der konzeptionellen Grund-lagen sehr zurückhaltend. Gewichtige per-sonelle und organisatorische Veränderun-gen im VBS wurden erstens nur schrittweisein die Wege geleitet. Mitte 2002 beschlossder Bundesrat, im VBS eine Direktion fürSicherheitspolitik zu schaffen, die denDepartementschef unter Leitung von Bot-schafter Philippe Welti in der Führung dersicherheitspolitischen Kerngeschäfte unter-stützen soll. Am 1. Januar 2003 übernahmKorpskommandant Christophe Keckeis

sein Amt als Generalstabschef, der mit derUmsetzung der Armee XXI ab Anfang2004 seine neue Position als Chef der Ar-mee (CdA) antreten wird. Zweitens wurdeder militärische Friedensförderungsbeitragnur unwesentlich ausgeweitet. Das Swiss-coy-Kontingent im Kosovo wurde imOktober 2002 zum Selbstschutz bewaffnetund umfasste 220 statt bisher 160 An-gehörige.Vor kurzem beschloss der Bun-desrat, dass die Swisscoy bis mindestensEnde 2005 im Kosovo bleiben und maxi-mal vier Schweizer Offiziere in die Stäbeder auf der Basis einer UNO-Resolutionmandatierten International Security and Assis-tance Force in Afghanistan entsandt werdensollen. Drittens verzichtete der Bundesratauf die Anschaffung eines Transportflug-zeuges und legte sowohl im Jahr 2002 alsauch im Jahr 2003 ein deutlich geringeresRüstungsprogramm als geplant vor.

Die stereotypen Argumente der Gegnerder beiden Vorlagen – Armee XXI alsVorbereitung eines NATO-Beitritts, Aus-höhlung des Milizsystems – entsprachenweder den Absichten der Landesregierungnoch fanden sie bei den Stimmbürgerin-nen und Stimmbürgern Gehör. Am 18.Mai 2003 – nur kurze Zeit nach dem Ab-schluss der militärischen Phase des Kon-flikts im Irak – wurden die Gesetze für dieArmee XXI und den neuen Zivilschutz inallen Kantonen sehr deutlich angenom-men.Rund 76% der Bevölkerung stimmteder Armeevorlage zu, über 80% derZivilschutzvorlage. Mit diesen deutlichenAbstimmungsresultaten ist nach dem aus-senpolitischen nun auch der verteidigungs-politische Rahmen für die Umsetzung dersicherheitspolitischen Reformvorhabengeklärt. Damit besteht eine klare innen-politische Legitimationsbasis für die wohlanforderungsreichste Reform im Armee-bereich überhaupt. Gleichwohl scheint dieNeuausrichtung der Armee nur langsam

5Daniel Möckli, «Schengen und Dublin: Die Be-deutung der europäischen Zusammenarbeit in denBereichen Justiz und Inneres für die Schweiz», in Bul-letin zur schweizerischen Sicherheitspolitik, Zürich: For-schungsstelle für Sicherheitspolitik, 2001, S. 125–146.

601.065 Botschaft zur Armeereform XXI und zurRevision der Militärgesetzgebung vom 24. Oktober2001.

700.075 Bericht des Bundesrates an die Bundes-versammlung über die Konzeption der Armee XXI(Armeeleitbild XXI) vom 24. Oktober 2001; 01.066Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlungüber die Konzeption des Bevölkerungsschutzes (Leit-bild Bevölkerungsschutz XXI) vom 17.Oktober 2001.

Damit besteht eine klare innen-politische Legitimationsbasis für diewohl anforderungsreichste Reform

im Armeebereich überhaupt.

Die Armee kann aber nurso weit reformiert werden,

wie dies Politik und Gesellschafteines Landes zulassen.

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Berufspersonals mit Blick auf Existenz-sicherungsbeiträge deutlich vergrössert.8

Die Armee kann aber nur so weit refor-miert werden, wie dies Politik und Gesell-schaft eines Landes zulassen.Die Politik hatzwar auf der Basis des ALB zu einem trag-fähigen Kompromiss gefunden, und dieArmee XXI darf als militärisch ausgewoge-ner und politisch machbarer Schritt nachvorne bezeichnet werden.Mit Blick auf diemittel- und langfristige Ausrichtung desRestrukturierungsprozesses der SchweizerArmee – dies ist im internationalen Ver-gleich bereits heute absehbar – harren dreizentrale Problembereiche aber weiterhinder Lösung: Erstens ist unklar, wie weit dieGewichtsverlagerung von der Territorial-verteidigung zur Krisenreaktion gehen soll– insbesondere mit Blick auf die militä-rische Friedensunterstützung und Krisen-bewältigung. Weder die Bedeutungsver-lagerung zurück zum strategischen Mittel-punkt der Raumsicherung und Verteidi-gung als Kernkompetenz im Laufe des Ver-nehmlassungsverfahrens am Armeeleitbildnoch die innenpolitisch bedingte Ergän-zung des Militärgesetzes um die Forderungdes zwingenden Vorliegens eines UNO-oder OSZE-Mandates und des Ausschlus-ses der Teilnahme an Kampfhandlungen

zur Friedenserzwingung haben hier Klar-heit geschaffen.

Zweitens stellt der konzeptionelle Spagat,die künftige Armee im Bereich der Raum-sicherung und Verteidigung sowohl auf au-tonomes als auch auf kooperatives Handelnauszurichten, die Armeeplaner vor schwie-rige Herausforderungen. Die Vorstellung,dass eine autonome Produktion von Si-cherheit nicht nur die finanziellen Mög-lichkeiten des Kleinstaates sprengt, sondernaufgrund der technischen und organisato-rischen Neuerungen moderner Streitkräftefür eine in erster Linie zahlenmässig starkeArmee dem real Machbaren immer weni-ger entspricht, bereitet vielen politischenKräften dieses Landes nach wie vor Mühe.Drittens ist die Debatte um die Milizfähig-keit gewisser Schlüsselbereiche der mili-tärischen Leistungserbringung auch nachdem klaren politischen und verfassungs-mässigen Bekenntnis zum Milizprinzip

Einsätzen von Truppenteilen des Heeresund der Luftwaffe für das WEF in Davosund für den G8-Gipfel in Evian. In Davosunterstützten 1800 Soldaten die zivilen Si-cherheitskräfte unter Einbezug der Luft-waffe zur Sicherung des Luftraumes. Weildie polizeilichen Mittel der betroffenenKantone Genf, Waadt und Wallis zur Be-wältigung des Gipfels in Evian nicht aus-reichten, hiess der Bundesrat Anfang 2003deren Gesuch um Unterstützung durch die

Armee gut und unterbreitete dem Par-lament im Februar eine entsprechendeBotschaft zur Bereitstellung von 4500 Sol-daten.10 Der Luftraum wurde während desGipfels von der Schweizer Luftwaffe inKooperation mit Frankreich überwacht,was die Armee unter dem Aspekt derInteroperabilität vor neuartige Herausfor-derungen stellte.

Anlass zu teilweise sehr kritischen Kom-mentaren über die zivilen Kapazitäten derSchweiz gab der Beizug von ausländischenPolizeikräften. Im zivilen Bereich wurdedie Schweiz während des Gipfels von 1000deutschen Polizisten verstärkt, da die kurz-fristig geäusserten Genfer Forderungennach zusätzlichen Sicherheitskräften andersnicht erfüllt werden konnten. Bei der zivi-len Einsatzkoordination, insbesondere denzahlreichen Schnittstellen zwischen denDepartementen, aber auch zwischen Bundund Kantonen, waren grössere Problemefestzustellen. Insgesamt zog der Bundesrattrotzdem ein positives Fazit des Einsatzes.Die Sicherheit der Gipfelgäste sei jederzeit

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nicht vom Tisch. Mittelfristig wird diePolitik hier erneut Antworten liefernmüssen, soll die Schweiz über eine bedro-hungsgerechte und nach innen wie aussenglaubwürdige Armee verfügen.

Der Restrukturierungsprozess der Ar-mee wird weiter erschwert durch diefinanziellen Engpässe des Bundes. Das VBShatte einen Beitrag an die Restrukturie-rungskosten im Sinne einer Anschubfinan-zierung in der Grössenordnung von CHF100 Millionen beantragt. Angesichts dersich zuspitzenden Finanzprobleme konnteder Bundesrat dieser Forderung nicht zu-stimmen. Er verpflichtete das VBS, dieRestrukturierungskosten selber zu über-nehmen, womit Einsparungen bei denRüstungsprogrammen unabdingbar wur-den. Das Verhältnis von Unterhalt- undPersonalkosten zu Investitionskosten fälltallerdings nach wie vor ungünstig aus.

Im November 2002 führte die sich ak-zentuierende Finanzknappheit zum abrup-ten Abbruch des Vorhabens «Überprüfungdes Systems der inneren Sicherheit derSchweiz» (USIS), womit sich die im politi-schen Dialog bereits abzeichnende Schlag-seite zugunsten einer Umsetzung derKooperationsstrategie im Inland weiterverstärkte.9 Aus Kostengründen entschiedder Bundesrat, dass keine der verbliebenenVarianten zur Schliessung der Lücke beiden Polizeikräften weiterverfolgt werdensoll. Weder werden die kantonalen Korpsmit finanzieller Unterstützung des Bundesausgebaut, noch wird ein bundeseigenesPolizeikorps auf Bundesebene geschaffen.Schon seit längerem hatte sich abgezeich-net, dass die Aufweichung der kantonalenPolizeihoheit weder bei den Parteien nochim Bundesrat breite Unterstützung findenwürde.

Weiter entschied der Bundesrat, dienachweislich vorhandenen sicherheitspo-lizeilichen Lücken auf Bundesstufe mitArmeekräften zu schliessen – ein Ent-scheid, der von den kantonalen Justiz- undPolizeidirektoren aus verfassungsrechtli-chen Gründen heftig kritisiert wurde. Umdie innere Sicherheit rasch und dauerhaftzu verbessern, soll das Grenzwachtkorpsmit Festungswächtern verstärkt werden,wobei vor allem professionelle Armeean-gehörige zum Einsatz kommen sollen. Fürden Botschaftsschutz sollen anstelle der Fes-tungswächter die Durchdiener der ArmeeXXI zur Verfügung stehen, während fürden Objektschutz vermehrt WK-Truppenherangezogen werden sollen. Der verstärk-te Einsatz der Armee zur subsidiären Un-terstützung der zivilen Kräfte für Grenz-,Konferenz- und Objektschutz wird damit– zumindest vorläufig – vom Ausnahme-zum Regelfall.

Die Akzentsetzung bei den subsidiärenMilitäreinsätzen wurde für die breitere Be-völkerung sichtbar mit den subsidiären

Zweitens stellt der konzeptionelleSpagat, die künftige Armee imBereich der Raumsicherung und

Verteidigung sowohl auf autonomesals auch auf kooperatives Handelnauszurichten, die Armeeplaner vor

schwierige Herausforderungen.

Gemäss Meinungsumfragenfinden die subsidiären Einsätze

der Armee denn auch einebreite Zustimmung, und die Armee

wird zunehmend als multi-funktionales Sicherheitsinstrument

wahrgenommen.

8Markus Mäder, «Euro-atlantischer Streitkräfte-wandel nach dem Kalten Krieg – wo steht dieSchweizer Armee?», in Bulletin zur schweizerischen Si-cherheitspolitik, Zürich: Forschungsstelle für Sicher-heitspolitik, 2001, S. 41–68.

9USIS. Überprüfung des Systems der inneren Si-cherheit der Schweiz Teil I.Analyse des Ist-Zustandesmit Stärken-Schwächenprofil.Bern,26.Februar 2001.USIS. Überprüfung des Systems der inneren Sicher-heit der Schweiz Teil II.Grobe Soll-Varianten, Sofort-massnahmen. Bern, 12. September 2001.

1003.012 Botschaft zum Bundesbeschluss über denEinsatz der Armee im Assistenzdienst zugunsten derzivilen Behörden und im Rahmen des Staatsvertragesmit Frankreich anlässlich des G8-Gipfels in Evian vom1. bis 3. Juni 2003 vom 12. Februar 2003.

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gewährleistet gewesen und die Truppenhätten ihre Einsatztauglichkeit bewiesen.Die Sichtbarkeit des Armeebeitrages zurProduktion von Sicherheit hat sicher mitzum positiven Ausgang der Abstimmungzur Armee XXI beigetragen. Gemäss Mei-nungsumfragen finden die subsidiärenEinsätze der Armee denn auch eine breiteZustimmung, und die Armee wird zuneh-mend als multifunktionales Sicherheits-instrument wahrgenommen.11

Sowohl der Verteidigungsminister alsauch der Generalstabschef haben in denvergangenen Wochen die Akzentsetzungim Bereich der subsidiären Einsätze als Fol-ge der vermehrten Übernahme sicher-heitspolizeilicher Aufgaben durch die Ar-mee mehrfach kommentiert. Unbestrittenist einerseits, dass die Nachfrage nach sub-sidiären Aufgaben zunimmt, und anderer-seits, dass die Ausrichtung nach der Wahr-scheinlichkeit des Einsatzes grundsätzlichsinnvoll ist. Ebenso klar ist allerdings, dassdie vermehrten subsidiären Einsätze nacheiner Einsatzdoktrin verlangen, die auf diespeziellen Rahmenbedingungen der Zu-sammenarbeit von Polizei und Armee aus-gerichtet ist. Entscheidend aber ist, dass dieZunahme der subsidiären Einsätze nichtbloss als Folge finanzieller Engpässe, son-dern im strategischen Rahmen zunehmen-der asymmetrischer Bedrohungen verstan-den wird.

Der in Angriff genommene Reform-prozess der Armee richtet sich nicht alleinan subsidiären Einsätzen aus. Gegen innenkann sich eine Armee von 200000 An-gehörigen mit einem Jahresbudget vonüber CHF 4 Milliarden mittelfristig nichtin erster Linie über Existenzsicherungs-beiträge legitimieren.Von aussen wird dieSchweizer Armee an der Bereitschaft ge-messen, sich mit situationsgerechten Mit-teln an der Krisenbewältigung zu beteili-gen. Leistet die Armee in diesem Bereichkeinen substanziellen und international an-erkannten Beitrag, dann wäre dies gleich-bedeutend mit einer fortbestehenden Kon-zentration auf die klassische Gefährdungdes schweizerischen Territoriums durchkonventionelle Streitkräfte, was aufgrundder derzeitigen Bedrohungslage auf ab-sehbare Zeit ausgeschlossen werden kann.Eine nicht bedrohungsgerecht ausgerichte-te Armee verliert aber nicht nur im inter-nationalen Umfeld an Glaubwürdigkeit, siefindet auch bei der militärdienstleistendenGeneration immer weniger Verständnis.Eine schleichende Erosion der Glaubwür-digkeit der Armee stellt mittelfristig auchihre wirtschaftliche Verträglichkeit und ihrefinanzielle Basis in Frage.

Eine Schweizer Armee, die zur Bewäl-tigung aller drei Armeeaufträge koopera-tionsfähig sein soll, ist darauf angewiesen,sich diese Fähigkeit zu erwerben. Eine ver-stärkte Ausbildungszusammenarbeit und

wandelnden Bedrohungslage unter Vertei-digung verstanden werden? An welchenRichtgrössen soll sich der militärischeTransformationsprozess in der Schweizausrichten? All dies sind Fragen, mit denensich nicht nur die Schweiz auseinandersetzen muss.

Internationale Sicherheitspolitikseit dem 11. September 2001

Mit den Ereignissen des 11. September2001 veränderte sich die Ausgangslage derinternationalen sicherheitspolitischen De-batte markant. Die überraschenden Terror-attacken auf das World Trade Center inNew York und das Pentagon in Washingtonwurden von vielen Beobachtern als ein-schneidende Zäsur in der Entwicklung desinternationalen Systems interpretiert. Da-bei kann der internationale Terrorismusdurchaus als Kind der Epoche der wirt-schaftlichen Globalisierung verstandenwerden. Die tragischen Ereignisse des 11.Septembers 2001 prägten die Unsicherhei-ten eines globalisierten Umfeldes tief in dasBewusstsein einer medialisierten Welt-öffentlichkeit ein und zogen eine intensiveDebatte über das Wesen der aktuellen Be-drohungslage nach sich.Die Politik melde-te sich zurück, trieb die Suche nach neuensicherheitspolitischen Antworten und denStrategieformulierungsprozess in natio-nalen, regionalen und internationalenGremien voran und beschleunigte denAnpassungsprozess der internationalenInstitutionen und Regime.

Die inhaltliche und geografische Aus-weitung des Risikospektrums, welche dieRisikowahrnehmung im euroatlantischenRaum bereits seit dem Ende des KaltenKrieges geprägt hatte, ist seit dem 11. Sep-tember 2001 weiter fortgeschritten. Dabeimachten sich im Dialog zwischen Wash-ington und den unter sich wiederum un-einigen europäischen Hauptstädten vordem Hintergrund der Irakdebatte zuneh-mend Unterschiede in der Risikowahr-nehmung bemerkbar. In den 1990er-Jahren war der euroatlantische Sicherheits-dialog von den innerstaatlichen Konfliktenan der europäischen Peripherie, insbeson-dere auf dem Balkan, und ihren nicht-militärischen Rückwirkungen auf die Ge-sellschaften des Westens geprägt gewesen.Mit den Terrorattacken des 11. September2001 rückte eine Bedrohung ins Zentrumder internationalen sicherheitspolitischenDebatte, die von nur schlecht greifbaren,oft unsichtbaren nichtstaatlichen Netz-werken ausgeht, die geschickt mit derglobalen Gesellschaft verschmelzen undneuartige Unsicherheiten bis in die offenen

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 9

ein vermehrter Erfahrungsrückfluss auspraktischen Felderfahrungen in militäri-schen Friedensoperationen sind entschei-dend für einen erfolgreichen Modernisie-rungsprozess der Schweizer Armee. DieBefähigung zur multinationalen militäri-schen Zusammenarbeit wird zunehmendzum Schlüssel für den Erhalt der militä-rischen Handlungsfähigkeit mit Blick aufein möglichst breites Einsatzspektrum. DieNeuausrichtung der Armee kann langfris-tig nur über eine vertiefte Kooperation mitdem Ausland gelingen.Angesichts der der-zeitigen diffusen Bedrohungslage muss dieArmee als lernende Organisation demKreislauf der Doktrinschöpfung besondereBeachtung schenken: Doktrin – Training –Übung – Mission – Doktrin. Die Militär-doktrin ist das Mittel, um dem Restruktu-rierungsprozess gegen innen eine gemein-same Marschrichtung vorzugeben. Gleich-zeitig bildet sie angesichts der diffusen

Bedrohungslage die Basis, um die Leistun-gen der Armee bei der Produktion vonSicherheit gegenüber Politik und Gesell-schaft transparent zu machen.

Vor diesem Hintergrund erscheint esangezeigt, dass die verteidigungspolitischeDebatte in der Schweiz die sicherheits-und verteidigungspolitischen Entwicklun-gen im Ausland seit dem 11. September2001 reflektiert und für die Restrukturie-rung der Schweizer Armee unter Berück-sichtigung der spezifischen politischen, ins-titutionellen und finanziellen Rahmenbe-dingungen der Schweiz fruchtbar macht.Nicht mehr der Verteidigungsfall und einklar umrissenes operatives Verteidigungs-konzept bestimmen die Armeeplanungen.Vielmehr geht es im Rahmen der Formu-lierung einer Militärdoktrin um die Erar-beitung fundamentaler Prinzipien, nachwelchen die Armee ihren Beitrag zu densicherheitspolitischen Zielen des Landesleisten soll. Planungsgrundlagen modernerStreitkräfte bilden Leistungen, die auf diewahrscheinlichen Einsätze ausgerichtetwerden.Welches aber sind im Rahmen ei-ner umfassenden Präventions- und Stabili-sierungsstrategie die wahrscheinlichenEinsätze? Und was soll angesichts der sich

Eine verstärkte Ausbildungs-zusammenarbeit und ein vermehrter

Erfahrungsrückfluss auspraktischen Felderfahrungen

in militärischen Friedensoperationensind entscheidend für einen

erfolgreichen Modernisierungs-prozess der Schweizer Armee.

11Haltiner et al., Sicherheit 2003.

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Gesellschaften tragen.Seit diesem Momentsind asymmetrische Herausforderungenzum strukturierenden Faktor der interna-tionalen Beziehungen geworden.12

Die Risikodebatte der vergangenen Jah-re wies drei wesentliche Merkmale auf.Erstens setzte sich die Erkenntnis durch,dass eine strikte Trennung zwischen äusse-rer und innerer Sicherheit angesichts derneuen Risiken analytisch immer wenigersinnvoll ist. Die neue Durchlässigkeit terri-torialer Grenzen im Zeichen der Globali-sierung wird auch von den Schattennetz-werken der organisierten Kriminalität, desTerrorismus und des Handels mit Drogen,Menschen und Massenvernichtungswaffengenutzt. Die Verwundbarkeiten und derSchutz der zivilen Infrastruktur von hoch-technisierten Gesellschaften haben mar-kant an Bedeutung gewonnen.13 Eine voll-ständige Abriegelung des innerstaatlichenBereiches ist nicht mehr möglich – auchnicht auf Kosten grosser Einschränkungender persönlichen Freiheiten.Die innere Si-cherheit demokratischer Gesellschaften isteng verknüpft mit globaler Stabilität undeiner weltweiten Sicherheit.

Zweitens konzentrierte sich die Auf-merksamkeit in sicherheitspolitischen Ex-pertenkreisen zunehmend auf die Heraus-forderung der Staatenwelt durch nicht-staatliche Akteure. Dabei interessierte ins-besondere die Frage, inwieweit die beste-henden Regeln des Völkerrechts und die

Entscheidungsmechanismen im UNO-Sicherheitsrat sowie beispielsweise dieVerpflichtungen von Rüstungskontrollver-trägen auf die Regulierung nichtstaatlicherGewaltanwendung ausgedehnt und ange-wandt werden können. Das Vorgehen inder UNO gegenüber Afghanistan machtedabei deutlich, dass ein Recht auf Selbst-verteidigung gegen nichtstaatliche Akteureunter gewissen Umständen Anerkennungfindet.

Drittens verschob sich der geografischeFokus der internationalen Aufmerksamkeitweg von den innerstaatlichen Konfliktenim Bereich der ethnischen Splitterstaatenauf dem Balkan und weg vom Phänomendes afrikanischen Staatenzerfalls im Zugebeschleunigter Marginalisierungsprozessehin zu den Krisengebieten des Nahen undMittleren Ostens. In keiner anderen Re-gion kumulieren und verdichten sich die

Mischung von militärischen und zivilenInstrumenten zur Bewältigung der neuenRisiken anbelangt.Bereits vor dem Hinter-grund der innerstaatlichen Konflikte der1990er-Jahre machte sich ein Trend inRichtung vermehrter sicherheitspolitischerArbeitsteilung zwischen den USA undihren europäischen Verbündeten bemerk-bar. In Washington konzentrierten sich dieEntscheidungsträger in erster Linie auf dieglobalen militärischen Aufgaben und ver-liessen sich immer häufiger auf eine Koa-lition der Willigen und Fähigen. Die

Europäer engagierten sich dagegen eher imRahmen begrenzter Peace Support Opera-tions, vornehmlich an der europäischenPeripherie, und bemühten sich um eineKoordination ihrer zivilen und militäri-schen Mittel in einem institutionellenRahmen.

Die Meinungsverschiedenheiten in derWahl der Mittel verschärften sich mit denEreignissen des 11. Septembers 2001. DieEuropäer warnten davor, die militärischenMittel in das Zentrum der internationalenStrategie gegen den Terrorismus zu stellen.Washington dagegen argumentierte, dassein Zusammenfallen von so genannten«Schurkenstaaten» mit Massenvernich-tungswaffen und globalem Terrorismus mitunwägbaren Risiken verbunden sei. Einefrühzeitige Beseitigung dieser Gefahr –notfalls auch mit militärischen Mitteln – seiangezeigt.Entsprechend drängten die USA

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neuartigen Risiken an der Schnittstelle vonStaatenzerfall, autoritären Regimes, globa-lem Terrorismus fundamental-islamischerAusprägung und Weiterverbreitung vonMassenvernichtungswaffen mit umfassen-den sozialen und wirtschaftlichen Struk-turproblemen sowie mit schwachen ord-nungspolitischen Strukturen zu einemvergleichbaren Potenzial an Instabilität.Allerdings konzentrierten sich die USA inerster Linie auf das Risiko, dass Massenver-nichtungswaffen aus dem Irak in die Hän-de terroristischer Akteure gelangen könn-ten. Eine solche Entwicklung würde dieOrdnungsfunktion der USA in der Regionin Frage stellen,argumentierte Washington,was wiederum heissen würde, dass SaddamHussein seine Hegemonialpläne unter demSchutzschild von Massenvernichtungswaf-fen als arabischem Mythos in aller Ruheweiterverfolgen könnte. Die Europäer da-gegen fokussierten in ihrer Problemanalysevermehrt auf die Zusammenhänge zwi-schen den strukturellen Problemen derarabischen Welt, dem Phänomen des Staa-tenzerfalls und der Stärkung terroristischerNetzwerke.

Im Zuge dieser inhaltlichen und geogra-fischen Ausweitung der internationalenRisikoperzeption erfuhr das traditionelleVerständnis von Verteidigung zunehmendeine Neudefinition.Im Rahmen einer um-fassenden Präventions- und Stabilisie-rungsstrategie ist der Übergang von dennach innen zu den nach aussen wirkendenInstrumenten und von den zivilen zu denmilitärischen Mitteln ein fliessender. Vordiesem Hintergrund wird der national undinternational koordinierte Einsatz sichgegenseitig ergänzender Mittel zum ent-scheidenden Element einer effizientenSicherheitsproduktion. Die «Verteidigung»des amerikanischen Territoriums hat am11. September 2001 trotz unvergleichbarermilitärischer Macht versagt – entsprechendbemühen sich die USA unter dem Stich-wort Homeland Defense um die Integrationder zivilen und militärischen Mittel zumverbesserten Schutz der zivilen Infrastruk-tur des Landes.14 Staaten wie Deutschlandund Schweden betrachten internationaleStabilisierungsbeiträge im Rahmen vonKonfliktverhütung und Krisenbewältigungals Teil einer umfassend verstandenen Ver-teidigung.15 Eine ähnliche Entwicklungspiegelt sich im Rahmen der EU in derkomplementären Entwicklung der Ge-meinsamen Europäischen Sicherheits- undVerteidigungspolitik und der Zusammen-arbeit im Bereich der inneren Sicherheitund der Migration (Justiz und Inneres)wider.16

Die Unterschiede in den Risikoperzep-tionen zwischen Washington und deneuropäischen Hauptstädten manifestiertensich in einer unterschiedlichen strategi-schen Akzentsetzung, was die richtige

Es setzte sich die Erkenntnis durch,dass eine strikte Trennung zwischen

äusserer und innerer Sicherheitangesichts der neuen Risiken

analytisch immer weniger sinnvoll ist.

Eine Strategie des wiederholtenRegimewechsels ist international

nicht akzeptabel, sie ist wederim amerikanischen Kongress noch

in der amerikanischen Öffentlichkeitmehrheitsfähig.

12Christopher Daase (Hg.), Internationale Risiko-politik: der Umgang mit neuen Gefahren in den internatio-nalen Beziehungen (Baden: Nomos, 2002).

13Andreas Wenger, Jan Metzger and MyriamDunn, International CIIP Handbook: An Inventory ofProtection Policies in Eight Countries (Zurich:Center forSecurity Studies at the ETH Zurich, 2002).

14President Bush Signs Homeland Security Act.Remarks by the President at the Signing of H.R.5005 the Homeland Security Act of 2002. URL:http://www.whitehouse.gov/news/relea-ses/2002/11/20021125-6.html

15Bundesministerium für Verteidigung: Verteidi-gungspolitische Richtlinien für den Geschäftsberichtdes Bundesministers der Verteidigung. URL:http://www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php

16Andreas Wenger, «Von Köln bis Nizza: Die Be-deutung der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik für die Schweiz», in: Bulletinzur schweizerischen Sicherheitspolitik, Zürich: For-schungsstelle für Sicherheitspolitik, 2001, S. 99.

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in der Irakfrage immer vehementer auf ei-ne Abrüstung durch eine Militärinterven-tion und auf einen Regimewechsel. Ver-stärkte Bemühungen zur Bewältigung derpolitischen, sozialen und wirtschaftlichenUrsachen des Terrorismus im Rahmen ei-ner internationalen Präventionsstrategiesind das eine.Sogar präemptive militärischeSchläge gegen eine unmittelbar bevorste-hende terroristische Bedrohung könnenzuweilen notwendig sein. Etwas ganz an-deres ist es, die präemptive Option auf«Schurkenstaaten» auszudehnen. Eine Stra-tegie des wiederholten Regimewechsels istinternational nicht akzeptabel, sie ist wederim amerikanischen Kongress noch in deramerikanischen Öffentlichkeit mehrheits-fähig und hätte höchst bedenkliche Folgenfür die langfristige Zielsetzung, Massen-vernichtungswaffen über Verträge, Regeln,internationales Recht und definierte Pro-zeduren zu kontrollieren.

Die genaue Rolle der militärischen Mit-tel im Rahmen einer umfassenden Präven-tions- und Stabilisierungsstrategie wirdGegenstand kontroverser Debatten blei-ben. Unbestritten ist allerdings dies- undjenseits des Atlantiks, dass der Transforma-tionsprozess in Richtung kleinerer, leichte-rer und mobilerer Streitkräfte im Nach-gang zu den Kampfhandlungen in Afgha-nistan und im Irak in beschleunigter Formweitergehen wird. Luftmacht,Technologie,Spezialtruppen und Kreativität im Einsatzhaben gegenüber konventioneller Feuer-kraft und grossen Truppenzahlen stark anBedeutung gewonnen. Der Transforma-tionsprozess umfasst technische und orga-nisatorische Neuerungen und kann imeuropäischen Umfeld aus finanziellen undrüstungstechnischen Gründen nur im in-ternationalen Rahmen bewältigt werden.Ausgangspunkt des militärischen Transfor-mationsprozesses bildet die politische Er-kenntnis, dass sich das Aufgabenspektrummoderner Streitkräfte parallel zur Auswei-tung des Risikospektrums erweitert hat,wobei die Schwergewichtsverlagerung vonder Territorialverteidigung zur Krisen-reaktion international den entscheidendenTrend darstellt.

Die Gestaltung militärischer Transfor-mationsprozesse ist vor diesem Hinter-grund zu einer der Hauptaufgaben der eu-ropäischen Sicherheitsinstitutionen gewor-den. Unter dem Stichwort der Force Inte-gration geht es in der erweiterten NATOdarum, die Streitkräfte der ehemaligenWarschauer-Pakt-Staaten und heutigenBündnismitglieder zur Zusammenarbeit ineinem multinationalen Rahmen zu befähi-gen.Mit Blick auf die transatlantischen Be-ziehungen geht es unter dem StichwortForce Transformation darum, die technischeund organisatorische Lücke zwischen denUSA und ihren europäischen Allianzpart-nern nicht noch weiter anwachsen zu

und Transaktionen zwischen den USA undden Koalitionspartnern und nicht multi-laterale Konsultationen die diplomatischenBemühungen nach dem 11. September2001.Die politisch entscheidende Frage imVorfeld des Irakkriegs wiederum war, wiedas UNO-Abrüstungsregime gegenüberdem Irak durchgesetzt werden konnte. Po-litische Konsultationen im Rahmen derNATO hätten in der gegebenen Konstella-tion wenig zur Entscheidung im Rahmen

der UNO beitragen können. Allein derUNO-Sicherheitsrat hätte eine Militär-intervention zur militärischen Abrüstungdes Iraks legitimieren können. Militärischgesehen verfügten die europäischen Staa-ten mit Ausnahme von Grossbritannienund Frankreich zudem über keine relevan-ten militärischen Kapazitäten, die in derPhase umfassender Kampfhandlungen inder Golfregion oder sogar noch weiter ent-fernt ohne Reibungsverluste hätten zumEinsatz gebracht werden können.

Jenseits der überbordenden Rhetorik imZeichen des Vergleichs von «Venus undMars»17 ist dreierlei festzustellen:Erstens hatdie NATO in diesen Tagen das Kommandoder International Security Assistance Force inAfghanistan übernommen, die auf derBasis eines UNO-Mandates operiert.18

Mit Blick auf militärische Friedensförde-rungsbeiträge in der Phase der Stabilisie-rung hat das Bündnis damit seinen geogra-fischen Rahmen stark erweitert. Gegen-wärtig intensivieren sich die Diskussionenhinsichtlich einer möglichen Rolle derNATO im Rahmen der dringend benötig-ten Internationalisierung der Sicherheits-produktion im Zweistromland. Zweitens istdie eingespielte Zusammenarbeit in denmilitärischen Strukturen der NATO – ge-meinsame Kommandoerfahrung, einge-spielte Prozeduren, übereinstimmendeDoktrinen, technische und organisatori-sche Transformation – eine entscheidendeVoraussetzung dafür, dass vergleichbaremultinationale Operationen überhauptmöglich sind. Drittens schliesslich ist die

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lassen. Europa weist in militärischer undstrategischer Hinsicht einen grossen Nach-holbedarf auf, will es vermehrt als globalerAkteur in Erscheinung treten und ein at-traktiver Partner für Washington bleiben.Weiterführende Ambitionen einzelnerEU-Mitglieder – Europa als Gegengewichtzu den USA – sind ebenso wenig im lang-fristigen sicherheitspolitischen InteresseEuropas wie die neo-konservative Visioneines amerikanischen Alleingangs im lang-fristigen Interesse der USA ist – ganz abge-sehen davon, dass der politische und finan-zielle Preis beider Ambitionen eine Ver-wirklichung von Vornherein ausschliesst.

Auch in den Beziehungen zwischen derNATO und den Partnerstaaten der Part-nerschaft für den Frieden (PfP) gewinnt dasThema der militärischen Transformationzunehmend an Bedeutung. Die Warte-raumfunktion der PfP hat aufgrund derzweiten Erweiterungsrunde der NATOdeutlich an Gewicht verloren. Dagegengewinnt die Aufgabe eines zielgerichtetenRestrukturierungsprozesses der Streitkräftezur Erlangung einer Kooperationsoptionim erweiterten europäischen Sicherheits-raum auch für Staaten an Bedeutung, diekeine Mitgliedschaft in der NATO anstre-ben. Entsprechend nimmt das Thema dermilitärischen Transformation Konturen an,sei dies im Rahmen der Ausbildungs-zusammenarbeit, der Planung und Durch-führung grosser Übungen oder im Rah-men des Planungs- und Überprüfungs-verfahrens (PARP).

Ist die NATO angesichts der neuenglobalen Risiken – wie Kritiker meinen –irrelevant geworden? Im Fall Afghanistan

kam der Anrufung von Artikel V desNATO-Vertrages in erster Linie eine sym-bolische Bedeutung zu, und im Fall Irakwurde die Beistandsklausel gar zum Spiel-ball der politischen Auseinandersetzungzwischen dem «alten Europa» und denUSA.In keinem der beiden Fälle wurde dieNATO als Forum der politischen Konsul-tation genutzt,wie dies beispielsweise nochwährend der Kosovokrise der Fall gewesenwar.Das sollte aus zwei Gründen allerdingsauch nicht allzu sehr erstaunen: Die poli-tisch entscheidende Frage im Vorfeld desKrieges in Afghanistan war, ob es den USAgelingen würde, regionale Schlüsselstaatenwie Russland, Pakistan, die zentralasiati-schen Staaten und China in die Anti-Ter-rorismus-Koalition einzubinden. Entspre-chend prägten bilaterale Abmachungen

Ist die NATO angesichts derneuen globalen Risiken – wie Kritiker

meinen – irrelevant geworden?

Die eingespielte Zusammenarbeitin den militärischen Strukturen

der NATO ist eine entscheidendeVoraussetzung dafür, dass vergleich-

bare multinationale Operationenüberhaupt möglich sind.

17Robert Kagan, «Power and Weakness», in PolicyReview (2002), Nr 113: S. 3–28.

18United Nations Security Council. Resolution1386 (2001). Adopted by the Security Council at its4443rd meeting, on 20 December 2001.

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NATO als politisches Forum im DreieckUSA – Europa – Russland gefordert, sollder Weg zurück zum Pragmatismus be-schritten werden. Eine Wiederaufnahmeund Ausweitung der Debatte um den Wan-del der internationalen Sicherheitspolitikseit dem 11. September 2001 im Rahmeneines aktiven Politikfindungsprozesses inmultilateralen Gremien tut Not, sollen dieinternationalen Regeln und Regime erfolg-reich den aktuellen Herausforderungenangepasst werden.

Ähnliches lässt sich mit Blick auf die Ge-meinsame Sicherheits- und Verteidigungs-politik im Rahmen der EU feststellen. DieSelbstblockade der EU in der Irakdebatteim Zeichen einer Kakophonie der innen-politisch determinierten Sonderzüge ver-deutlichte einmal mehr die Grenzen Euro-pas als weltpolitischer Akteur. Nun war esparadoxerweise gerade das Versagen der eu-ropäischen Streitkräfte in der Kosovokrisegewesen, das den Startschuss zu einerbis vor wenigen Jahren nicht gekanntenverteidigungspolitischen Dynamik der EUgegeben hatte. Das Ausschöpfen von Effi-zienzgewinnen im Rahmen der Umstruk-turierungsprozesse der europäischen Streit-kräfte und Rüstungsindustrien unter derBedingung schrumpfender nationaler Ver-teidigungsbudgets dürfte auch nach demIrakkrieg eine wesentliche Antriebskrafthinter der ESVP darstellen.Wie im Bereichder Wirtschaft erfordert die wachsende Be-deutung von Information und Kommu-nikation auch im Bereich der Streitkräftevertiefte Zusammenarbeit, vermehrte Ar-beitsteilung und konvergierende Streit-kräfte und Rüstungsplanungen.

Der neue geografische Fokus der USAauf die Krisen im erweiterten arabischenRaum zwingt die Europäer,vermehrte Ver-antwortung auf dem Balkan zu überneh-men. Eine Stärkung des militärischen undzivilen Krisenreaktionspotenzials im Rah-men der so genannten Petersberg-Auf-gaben steht im Zentrum der ESVP. Am31.März 2003 übernahm die EU mit eini-gen hundert Soldaten die Friedensmissionin Mazedonien von der NATO.Diese Mis-sion weist erstens darauf hin, dass eine engeKooperation mit der NATO entscheidendfür den Erfolg europäischer Friedensmis-sionen ist und bleibt. Zweitens kommt imvorbeugenden Einsatzspektrum die Stärkeder EU zum Tragen, die sowohl über zivileals auch über militärische Mittel verfügt.Drittens wird die EU vorerst nur beiMissionen mit begrenzter geografischerReichweite zum Einsatz kommen.Dies er-scheint nicht nur angesichts der limitiertenmilitärischen Kapazitäten sinnvoll, sondernauch aufgrund der integrativen und kon-fliktdämmenden Wirkung der Konditiona-litäten einer Beitrittsperspektive im un-mittelbaren Umfeld der EU.19

hen. So stellt sich beispielsweise die Frage,ob epidemische Risiken im Gesundheits-sektor im Zeitalter des Bioterrorismus neueingeschätzt werden müssen. Auch wenndie Schweiz bisher nicht zum primärenZiel terroristischer Akte geworden ist, ist sievon den geostrategischen, wirtschaftlichen,politischen und gesellschaftlichen Rück-wirkungen der Terroranschläge in mannig-facher Art und Weise betroffen. Ein konti-nuierlicher interdepartementaler und in-ternationaler Risikodialog im Zeichen derneuen Verwundbarkeiten offener Informa-tions- und Technologiegesellschaften ge-winnt zunehmend an Bedeutung.

Vor dem Hintergrund der inhaltlichenund geografischen Ausweitung der inter-nationalen Risikoperzeption stellen sichzweitens Fragen des konzeptionellen Ver-ständnisses von Sicherheitspolitik. Diestaatliche Aufgabe, Sicherheit zu produzie-ren, wird zunehmend in den Rahmeneiner umfassenden Präventions- und Sta-bilisierungsstrategie gestellt, welche dieSphären der inneren und äusseren Sicher-heitspolitik gedanklich integriert und ineinen Gesamtzusammenhang stellt. Darausergeben sich drei strategische Herausforde-rungen.

Erstens ist im Rahmen eines solchenStrategieansatzes entscheidend, dass diezivilen und die militärischen Mittel derSicherheitspolitik sowohl gegen innen alsauch gegen aussen koordiniert zum Einsatzkommen. Die zivile und die militärischeFriedensförderung ergänzen sich in ihrerWirkung. Die Herstellung einer minima-len Sicherheit und Ordnung in Krisenge-

bieten ist Voraussetzung für den Erfolg derzivilen Friedensförderungsmassnahmen.Politische, wirtschaftliche und soziale Pro-zesse der Konfliktlösung sind andererseitsnotwendig, damit die militärischen Mittelohne Rückfall in die Konfrontation abge-zogen werden können. Auch im Bereichder Existenzsicherung und der Raumsi-cherung ist eine vermehrte Koordinationzwischen den zivilen und den militärischen

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin12

Schlusswort: SicherheitspolitischeHerausforderungen der Schweizin der Zukunft

Nach den klaren Abstimmungsresultatenist der Weg frei, die sicherheitspolitischenReformvorhaben schrittweise umzusetzenund die mit dem Bericht 2000 in Angriffgenommene Neuausrichtung der schwei-zerischen Sicherheitspolitik auf solidenPlanungsgrundlagen und auf einer breiteninnenpolitischen Basis voranzutreiben.Strukturelle, organisatorische und ablauf-technische Herausforderungen werden da-mit zumindest kurzfristig grosse Kräfte

binden. Nun werden die derzeitigen Re-formen aber zu Recht als Prozess begriffen.Die rasanten Entwicklungen im sicher-heitspolitischen Umfeld der Schweiz legenes nahe, dass die Zielrichtung und der stra-tegische Rahmen dieser Reformprozessekontinuierlich überprüft und – wo sinnvollund notwendig – den sich wandelndenGegebenheiten angepasst werden. Vorerstist auf der strategischen Ebene gedanklicheArbeit gefragt. Zu gegebener Zeit wirdaber erneut politische Arbeit notwendigwerden, um die Übereinstimmung zwi-schen Zielen und Mitteln der Sicherheits-politik mittel- und langfristig sicherstellenzu können.

Mit Blick auf künftige sicherheitspoliti-sche Herausforderungen ist erstens auf dieNotwendigkeit einer umfassenden Risiko-und Verwundbarkeitsanalyse als Grundlagefür die Strategieformulierung, Doktrin-schöpfung und Planung hinzuweisen. Dieinhaltliche und geografische Ausweitungdes Risikospektrums seit dem 11. Septem-ber 2001 macht eine sorgfältige Evaluationdes Konzeptes «Risiko» im sicherheitspoli-tischen Kontext unabdingbar. Dabei mussder Komplexität, der Vernetzung und demgrenzüberschreitenden Charakter asym-metrischer Risiken besondere Bedeutungin der Analyse zukommen. Querschnitts-risiken wie der Terrorismus sind im Rah-men sektorspezifischer Risikoanalysen –innere versus äussere Sicherheitsrisiken;Katastrophen und Notlagen versus kriege-rische Ereignisse – nicht adäquat zu verste-

Auch wenn die Schweiz bisher nichtzum primären Ziel terroristischer Akte

geworden ist, ist sie von dengeostrategischen, wirtschaftlichen,politischen und gesellschaftlichen

Rückwirkungen der Terroranschlägein mannigfacher Art und Weise

betroffen.

Im Rahmen eines solchen Strategie-ansatzes ist entscheidend, dass diezivilen und die militärischen Mittel

der Sicherheitspolitik sowohlgegen innen als auch gegen aussenkoordiniert zum Einsatz kommen.

19Victor Mauer, «Die Europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik: Eine janusköpfige Entwick-lung», in Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik,Zürich: Forschungsstelle für Sicherheitspolitik, 2003,S. 43–68.

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Mitteln unabdingbar. Die bereichsüber-greifende Ausarbeitung von klaren Zielen,Strategien und Doktrinen, von einheitli-chen Begriffen und Konzepten ist Voraus-setzung für eine erfolgreiche Bewältigungder neuen transnationalen Risiken.

Daraus ergeben sich zweitens hohe An-forderungen an die strategische Führung.Auf der operativen Ebene werden die Be-

reiche der «inneren» respektive der «äusse-ren» Sicherheit als separate Politikbereichebehandelt und von unterschiedlichen Ak-teuren mit eigenständigen Mitteln geführt.Aus praktischen und politischen Gründenwird sich daran auch in Zukunft nur wenigändern. Die wachsenden Anforderungenan die interdepartementale Koordinationerfordern klare Rollen und Verantwort-lichkeiten. Politische und administrative«Leadership» ist nicht zuletzt deshalb zent-ral, weil die Produktion von Sicherheit zu

und aufgrund begrenzter finanzieller Mit-tel gerade auch für den militärischenBereich. Es ist Aufgabe der Politik, diesenProzess bewusst zu steuern, sodass dieSchweiz sowohl zu den Synergie- undEffizienzgewinnen im internationalenRahmen beitragen als auch von ihnen pro-fitieren kann. Eine klarere Ausrichtung derArmeeplanung auf einen gesamteuropä-ischen Rahmen würde eine Verbesserungvon Aufwand und Ertrag im verteidigungs-politischen Bereich mit sich bringen. Esbedarf allerdings erheblicher politischerAnstrengungen, damit die verteidigungs-politischen Chancen einer verstärkten in-ternationalen Ausrichtung der SchweizerArmee in einer breiteren Öffentlichkeitthematisiert und verstanden werden. ●

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 13

Die wachsenden Anforderungen andie interdepartementale Koordination

erfordern klare Rollen undVerantwortlichkeiten. Politische und

administrative «Leadership»ist zentral.

einer Aufgabe geworden ist, die nicht mehrallein vom öffentlichen Sektor bewältigtwerden kann, sondern zunehmend aufBeiträge aus dem zivilen und privaten Sek-tor angewiesen ist. Sicherheitspolitik, ver-standen als Querschnittspolitik, stellt hoheAnsprüche an die Regierungsführung.

Mit Blick auf die laufende Reform derArmee ist drittens die konzeptionell ent-scheidende Frage, wie «Verteidigung» ineinem entterritorialisierten Umfeld neu zudefinieren ist.Wie können die drei Teilauf-träge der Armee – Verteidigung, Existenz-sicherung, Friedensförderung – besser inÜbereinstimmung gebracht werden? Wiedefiniert sich das schweizerische Interes-sengebiet in geografischer und inhaltlicherHinsicht? Was ist der Stellenwert der mili-tärischen Friedensförderung im Rahmeneiner umfassenden Präventions- und Stabi-lisierungsstrategie und welche Rolle spieltsie mit Blick auf den Restrukturierungs-prozess der Armee? Welche Leistungenmuss die Armee der Zukunft erbringenkönnen, damit die politischen Handlungs-optionen des Landes möglichst offen ge-halten werden können?

Die Bewältigung zunehmend grenz-überschreitender Risiken setzt im Sinneeiner optimalen Handlungsfähigkeit einegewisse Balance zwischen Eigeninteresseund Solidarität sowie zwischen Eigen-leistung und Fremdleistung voraus. Diesgilt aufgrund der technischen Entwicklung

Die Bewältigung zunehmendgrenzüberschreitender Risiken setzt

im Sinne einer optimalenHandlungsfähigkeit eine gewisseBalance zwischen Eigeninteresseund Solidarität sowie zwischen

Eigenleistung und Fremdleistungvoraus.

Miliz ist von grosser Wichtigkeitfür die LuftwaffeFür die Luftwaffe ist die Miliz eine wichtige

Rekrutierungsquelle für Fähigkeiten und Spezialwissen.

Ab Beginn 2004 werden verschiedene Milizstellen im

Fachstab Doktrin der Luftwaffe geschaffen, die neu

zu besetzen sind. Bewerberinnen und Bewerber werden

primär aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Fähigkeiten

ausgewählt und nicht aufgrund des Dienstgrades.

Besonders interessiert ist die Luftwaffe an Ingenieuren,

Historikern, Volks- und Betriebswirten, Juristen,

Psychologen usw. Anfragen und Bewerbungen sind

per E-Mail zu richten an den Chef Luftwaffendoktrin:

[email protected].

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S T R A T E G I E

Airmen have always believed that the airplane is an inherently strategicweapon. Airpower, operating in the third dimension, can bypass thetactical surface battle and operate directly against the centers of gravity(COG) of an enemy nation: the industrial, political, economic, andpopulation loci that allow a country to function. However, airpowertheorists have differed significantly over which specific targets should bestruck or neutralized so as to achieve the greatest results.We must un-derstand the various air-targeting strategies because they collectivelydefine the boundaries of strategic-airpower thought, and they clarify theconnection between the air weapon and its role in war. Moreover, un-derstanding these concepts leads to a more balanced and flexible graspof air strategy and the factors that go into its determination.

Phillip S. Meilinger*

Psychologists tell us that the most trau-matic event in one’s life is birth. If so, thebirth of airpower was doubly traumatic be-cause it occurred in concert with WorldWar I.That war smashed empires, spawneddictatorships, caused the deaths of at least10 million people, and had a profoundeffect on the conduct of war.The loss of ageneration of European men,as well as overone hundred thousand Americans, con-vinced military leaders that tactics and stra-tegy had to be altered. Radical solutions,therefore, received greater considerationthan would ordinarily have been the case.Airpower was one of those radical solu-tions.

When a country wishes to influenceanother, it has several instruments at its dis-posal – the military,economic,political,andpsychological “levers of power.”Dependingon a country’s objectives, it can employthese levers against another country. Forexample, if the objective is to express dis-pleasure over a dictator in country A whooppresses his people, then country B mayimpose sanctions – use of the economiclever of power – in an attempt to modifyhis noxious behavior. Country B may alsopetition the United Nations to condemnthe dictator and turn world opinion againsthim – use of the political and psychologicallevers of power. Obviously, as thingsbecome increasingly serious, the militarylever becomes most prominent.

These levers of power are directedagainst an enemy’s COGs, which can bethe strengths of a country – perhaps thearmy or the industrial infrastructure – butthey can also be a vulnerability. One mustrecognize this distinction. In attempting tobend an enemy to our will,attacking him atthe strongest point is not always necessaryor desirable; rather,we should hit him at hisweakest point if that will cause collapse.Thus, a country’s strength may be its navy,

however, World War I demonstrated thatsuch attritional contests had become fartoo bloody – for both sides – to serve as arational instrument of policy. Soldierssought a solution, but sailors and airmentook totally different approaches.

Sea warfare is fundamentally differentfrom war on land. Navies have difficultyimpacting armies or events on the grounddirectly, so they have traditionally relied on

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin14

Air Strategy – Targeting for Effect

but its weakness may at the same time bedependence on sea-lanes that provide foodand raw materials. In such an instance, astrategist may wish to avoid the enemy’sstrength while simultaneously attacking hisweakness.This is analogous to the situationin World War I, when the German surfacefleet remained in port in fear of the RoyalNavy, while German submarines carriedout a highly effective campaign againstBritish merchant shipping. One can loose-ly group the generic COGs of a countryinto the categories of military forces, theeconomy, and the popular will (table 1). Insum, strategy consists of employing leversof power against the enemy’s COGs.

*Phillip S. Meilinger, Pilot, Oberst USAF, Ph. D.,Stv.Direktor des Aerospace Center der Science Appli-cations International Corporation,McLean,VA,USA.

Traditionally, armies have used the mili-tary lever of power to operate against anenemy’s military forces (fig. 1). This wasdue, quite reasonably, to the fact that theother COGs within a country were pro-tected and shielded by those military for-ces.As a consequence, war became a con-test between armed forces; the losers inbattle exposed their country’s COGs to thevictor. Usually, actual destruction or occu-pation was unnecessary: with the interiorof the country exposed and vulnerable, thegovernment sued for peace.Although landactions could also have an effect on theenemy’s economy or will – depicted infigure 1 by the thinner arrows – such con-sequences were usually indirect and oftenunplanned. Small wonder that militarytheorists over time equated the enemyarmy with the main COG because whenthe army fell, so did resistance.1 As noted,

Table 1

Levers of Power andGeneric Centers of Gravity

Levers of Power Generic COGs

• Military • Forces • Economic • Economy • Political •Will • Psychological

1Hence, Clausewitz’s dictum that “destruction ofthe enemy forces is the overriding principle of war,and, so far as a positive object is concerned, the prin-cipal way to achieve our objective.” Carl von Clause-witz, On War, ed. and trans. Michael Howard andPeter Paret (Princeton: Princeton University Press,1976), 258.

Land War Levers of Power • Military • Economic • Political • Psychological

Key COGs • Forces • Economy • Will

Employs

To Affect

Figure 1: Land War.

Sea War Levers of Power • Military • Economic • Political • Psychological

Key COGs • Forces • Economy • Will

Employs

To Affect

(Indirectly)

Figure 2: Sea War.

a form of economic warfare – exemplifiedby blockades, embargoes, and commerceraiding – to achieve their war aims.Thus,although navies do indeed fight other na-vies, for the most part they use the eco-nomic and psychological levers of poweragainst an enemy’s economy and will (fig.2). Blockade and commerce raiding de-prive a country of the food and raw mate-rials it needs to carry on the war effort.Over time, the people begin to suffer theeffects of prolonged starvation, and theirwill to continue the war dissipates.

Air war, in turn, is fundamentally dif-ferent from both land and sea warfare.Air-men have always recognized that the air-plane’s ability to operate in the thirddimension gives it the unique capability tostrike all of an enemy’s COGs. Moreover,although airpower operates against theenemy’s economy and will – as do navies –

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Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 15

it does so directly (fig. 3). Navies block orsink ships at sea carrying raw materials to asmelting plant that turns those materialsinto steel, which is then transported to afactory that turns it into weapons.Aircraftcan strike those factories and weaponsdirectly. Indeed, an enemy’s entire countrybecomes open to attack.

This, however, tends to complicatethings for the air strategist. Obviously, air-men must become intimately familiar withthe inner workings of an enemy nation.Knowing that a country depends on itsrailroads,canal system,political leaders, steelmills, electrical power grid, arable land,telephone system, chemical factories, andso forth is of limited practical value becausenot all of these targets can be attacked.Which COGs are the most important? Sel-ecting the correct targets is the essence ofair strategy. However, the fact that some-thing can be targeted does not mean it isvaluable, and a thing that is valuable is notnecessarily targetable. Perceptive air plan-ners realize that destruction of target setsdoes not automatically equate to victory;further, intangible factors such as religion,nationalism, and culture are no less impor-tant in holding a country together duringwar than are its physical attributes.The sit-uation has become even more complexwith the introduction of a host of «new tar-gets» critical to the functioning of a mod-ern state: fiber-optic networks, communi-cations satellites, nuclear power plants, andthe new electronic medium often referredto as «cyberspace,» which plays an increas-ingly important role in all aspects of per-sonal and professional life. How is a mod-ern airman to sort it all out? A schematicrepresentation of a modern country illust-rates the problem and may also point to asolution (fig. 4).

The key to all war is the amorphous andlargely unquantifiable factor known as the«national will.» It occupies the central placein the schematic because it is the most cru-cial aspect of a country at war.At its mostbasic, war is psychological. Thus, in thebroadest sense, national will is always thekey COG – when «the country» decidesthe war is lost, then and only then is ittruly lost. However, that really says verylittle.The obvious challenge for the strate-

Air War Levers of Power • Military • Economic • Political • Psychological

Key COGs • Forces • Economy • Will

Employs

To Affect

(Directly)

Figure 3:Air War.

Transportation

Armed Forces

Natural Resources

Leadership

PopulationIndustry

Government

Finances

Infosphere

Territory

Military Capability

National Will

Figure 4: The Notional Nation-State.

gist is to determine how to shatter or atleast crack that collective will. Because it isan aggregate of so many different factorsand because it has no physical form,attacking national will directly is seldompossible. Rather, one must target the mani-festations of that will. In a general sense,those manifestations can be termed «mili-tary capability.»

Military capability is the sum of thephysical attributes of power: land, naturalresources, population, money, industry,government, armed forces, transportationand communications networks, and soforth. When these things have been dissi-pated or destroyed – when there is no ef-fective capability left with which to fight –then the national will either expires or be-comes unimportant.Thus, in the schematicpresented here,military capability is closelytied to national will. By the same token,because military capability is at the centerof a nation’s being and is the sum of acountry’s total physical power, it is extre-mely difficult to destroy entirely. The keylies in selectively piercing this hard shell ofmilitary capability in one or several places,thereby exposing the soft core. Throughthese openings, one can puncture, prod,shape, and influence the national will. Inmost cases, will collapses under such pres-sure before capability has been exhausted.2

The nodes surrounding the central coreare the de facto COGs that can be targeted.As noted above, in the past the armed for-ces and the territory of the enemy weregenerally the foci of operations becausethey were the most accessible. Often, if thearmy were defeated or if a strategicallylocated province were overrun, a negotiat-

ed settlement would follow. New capabili-ties offered new opportunities.The historyof air strategy is a history of targeting –trying to discover which COG is the mostimportant in a given place, time, and situa-tion. Although air theorists might agreethat airpower is intrinsically strategic, theyhave generally disagreed – vigorously –over which targets are most appropriate toachieve strategic objectives.What follows isa summary of the various strains of air-power targeting theory.

Gen Giulio Douhet believed that thepopulation was the prime target for an airattack and that the average citizen,especial-ly the urban dweller, would panic in theface of air assault.3 Limited experiencefrom World War I seemed to support thatcontention. Douhet, therefore, was con-vinced that dropping a mixture of incendi-ary,chemical,and high-explosive bombs on

2An exception was Nazi Germany. Not until theGerman air force,army,and navy were largely destroy-ed; the economy was in shambles; and Soviet troopshad actually entered Berlin did Hitler’s successor suefor peace. Given the state of the Reich at that point,the official surrender was almost irrelevant.

3Douhet’s primary work was titled “Command ofthe Air,” first published in 1921, with a revised editionappearing in 1927. In 1942 this essay was combinedwith three other of his major works, translated by Di-no Ferrari, and published as Command of the Air (NewYork: Coward-McCann). In 1983 the Air ForceHistory Office reprinted his translation with a newintroduction. For analyses of Douhet’s theories, seeBernard Brodie, Strategy in the Missile Age (Princeton:Princeton University Press, 1959); and Col Phillip S.Meilinger, “Giulio Douhet and the Origins of Air-power Theory,” in The Paths of Heaven:The Evolution ofAirpower Theory (Maxwell AFB, Ala.: Air UniversityPress, 1997), 1–40.

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a country’s major cities would cause suchdisruption and devastation that revolt andsubsequent surrender were inevitable. Al-though his predictions regarding the fra-gility of a country’s vital centers and theweakness of a population’s resolve were toprove grossly in error during World War II,his basic premise has had an enduringappeal.

Fortunately, Douhet’s American andBritish counterparts saw in airpower thehope of targeting things rather than people.Air doctrine in the United States andBritain during the interwar years focusedon the enemy’s industrial infrastructure,nothis population. In this view, the modernstate was dependent on mass production ofmilitary goods – ships, aircraft, trucks, artil-lery, ammunition, uniforms, and so forth.Moreover, essentials such as electricalpower, steel, chemicals, and oil were alsomilitary targets and of great importancebecause they were the essential buildingblocks for other manufactured militarygoods needed to sustain a war effort.

In America, the ideas of Brig Gen BillyMitchell heavily influenced the Air CorpsTactical School, whose faculty refined adoctrine that sought industrial bottlenecks– those factories or functions that wereintegral to the effective operation of theentire system.4 This «industrial web» con-cept envisioned an enemy country as anintegrated and mutually supporting systembut one that, like a house of cards, wassusceptible to sudden destruction. If oneattacked or neutralized the right bottle-neck, the entire industrial edifice couldcome crashing down.5 It was this doctrinethat the Army Air Forces carried into WorldWar II.

Yet another RAF officer, Wing Com-mander John C. Slessor, grappled with thecomplexities of air theory between thewars.7 He argued that the enemy army’slines of supply and communications werethe key COG and that if the transportationsystem of the enemy were disrupted andneutralized, not only would the enemyarmy be unable to offer effective resistancebut also the entire country would be para-lyzed and vulnerable.This paralysis, in turn,would have a decisive effect on both theenemy nation’s capability and its will. Inessence, Slessor advocated strategic- andoperational-level air interdiction. Signif-icantly, the RAF pushed strongly for justsuch an air campaign against Germany in1944. The “transportation plan,” as it wascalled, indeed proved successful in assuringthe success of the Normandy landings byseverely restricting the flow of Germanreinforcements to the lodgment area. Inaddition, the wholesale destruction of theGermans’ rail system in Western Europehad devastating effects on their entire wareffort, as Slessor had predicted.

Significantly, most of the individuals andtheorists mentioned thus far are from thepre-World War II era. In truth, the massiveand decisive use of airpower in that warshould have spawned an outburst of newthinking in the years that followed. Sur-prisingly and unfortunately, that was notthe case. The atomic strikes on Japan hadboth a catalyzing and numbing effect onmilitary leaders worldwide.The new weap-on appeared to revolutionize warfare inways that made all prior experience obso-lete. As a consequence, a different group oftheorists arose in an attempt to explain theuse of military force in this new age.Thesetheorists, however, were not from the mili-tary. Rather, a new breed of civilian acade-mics with little or no experience in waremerged to define and articulate theories

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin16

The Royal Air Force (RAF), led by AirMarshal Hugh Trenchard, took a slightlydifferent approach. Trenchard himself hadwitnessed the extreme reaction by thepopulation and its political leaders to theGerman air attacks on Britain in 1917 and1918 – after all, these attacks led to thecreation of the RAF. He argued, as didDouhet, that the psychological effects ofbombing outweighed the physical effects.Unlike the Italian general, Trenchard did

not believe that attacking people directlywas the correct strategy to produce psycho-logical trauma.6 Such a policy was morallyand militarily questionable. Instead, he ad-vocated something similar to the strategy ofthe Air Corps Tactical School: a country’sindustrial infrastructure was the appropria-te target.He reasoned that the disruption ofnormal life – the loss of jobs, wages, ser-vices, transportation, and goods – would beso profound that people would demandpeace. In short, whereas the Americanswished to bomb industry to destroy capa-bility, Trenchard and the RAF sought tobomb industry so as to destroy the nationalwill.

Damage to a submarine-battery plant, Hagen, Germany.The Combined Bomber Of-fensive’s support for the Battle of the Atlantic exemplified the challenges in prioritiesand targeting. Early on, submarine pens on the French coast were relatively easy tar-gets, but Allied aircraft could damage these hardened structures only with bombsdeveloped later in the war.The Strategic Bombing Survey found that damage doneto the few factories supplying storage batteries and motor generators substantiallyreduced the supply of these critical components, affecting both submarine mainte-nance and new construction. Bild: USAF, Archiv

4See Lt Col Peter R. Faber, “Interwar US ArmyAviation and the Air Corps Tactical School: Incubatorsof American Airpower,” in Paths of Heaven, 183–238.

5The origins of the industrial-web theory can befound as early as the mid-1920s.Maj William C.Sher-man, an instructor at the Air Corps Tactical School,wrote,“In the majority of industries, it is necessary todestroy certain elements of the industry only, in orderto cripple the whole. These elements may be calledkey plants.” Air Warfare (New York: Ronald Press Co.,1926),218.For the developments of the 1930s, see theaccount by one of the participants,Maj Gen Don Wil-son, “Origins of a Theory of Air Strategy,” AerospaceHistorian 18 (Spring 1971): 19–25.

6For an analysis of Trenchard’s theories, see ColPhillip S.Meilinger,“Trenchard,Slessor, and Royal AirForce Doctrine before World War II,” in Paths ofHeaven, 41–78.

7Slessor’s ideas have not yet been adequately ex-plored.For his excellent memoirs, see The Central Blue:Recollections and Reflections (London:Cassell, 1956).Hismost impressive theoretical work is Air Power andArmies (London: Oxford University Press, 1936).

The massive and decisiveuse of airpower (in World War II)should have spawned an outburst

of new thinking in the yearsthat followed. Surprisingly and

unfortunately, that wasnot the case.

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of nuclear war.Since no one had any expe-rience with this type of war, civilian acade-mics were seemingly as capable at devisinga theory of nuclear air warfare as were uni-formed professionals. The ideas they pro-posed – balance of terror, mutual assureddestruction, strategic sufficiency, and thelike – were elegant and reasoned. Theyserved the West well throughout the coldwar era. Regrettably, however, military air-men all too easily and quickly abandonedthe intellectual field to the civilians.At thesame time, the military accepted the pre-mise that future wars would involve nuclearweapons. The result was that few airmengave serious thought to the use of conven-tional airpower, especially at the strategiclevel.

The Vietnam War had many negativeeffects on both the United States and themilitary services.One positive aspect,how-ever, was the growing realization thatnuclear war between the two superpowerswas an interesting intellectual exercise buthardly likely to occur – if only because wewere so well prepared to wage it. At thesame time, tactical airpower seemed not tobe a war-winning weapon, as Vietnamamply demonstrated.Thus, while airpowerhad become polarized between peoplewho thought only of nuclear holocaust andthose who prepared to fight the tactical airbattle, world conditions seemed to indicatethat neither extreme offered useful anddecisive results. The vast middle groundbetween those two poles had to be recap-tured. The revitalization of strategic con-ventional thought began with an instructorat the Fighter Weapons School at NellisAFB, Nevada – Col John Boyd.

Boyd was intrigued by the astoundingsuccess of the F-86 in air combat with theMiG-15 (a 10-to-one superiority) duringthe Korean War.8 Upon reflection, he de-cided that the F-86’s advantage largelyresided in its hydraulically operated flightcontrols and all-flying horizontal stabilizerthat allowed it to transition from one aerialmaneuver to another more rapidly than the

enemy leader was the key to resistance;killing or capturing him would incapacitatethe entire country. It is apparent that bothBoyd and Warden have turned away fromthe economic emphasis of previous air-power theorists. Instead, they focus on theenemy’s leadership. However, whereasBoyd seeks to disrupt the process of theenemy’s leadership,Warden wishes insteadto disrupt its form. The epitome of such anair strategy was the Gulf War. Air strikesagainst the Iraqi communications network,road and rail system, and electrical powergrid made it extremely difficult, physically,for Saddam to control his military forces,but it also introduced enormous confusionand uncertainty into his decision-makingprocess.This served to expand his OODAloop dramatically and slow its cycle timeaccordingly.

Information warfare has become agrowth industry. Seemingly, everyone inthe world has or soon will have a faxmachine, cellular telephone, powerfulmicrocomputer, and access to the Internet.As a result, the accelerating pace of in-formation exchange has become both astrength and a vulnerability for a moderncountry. Knowledge, presumably, is power.Whoever controls information flow has atremendous advantage: “perfect informa-tion” for oneself and imposed ignorance,through either denial or corruption, for anenemy. To be sure, information – whenbroadly defined as intelligence, reconnais-sance, and communications – is not new.However, the explosion in the volume anddissemination of such information – madepossible by technology such as the micro-chip, fiber optics, and satellites – has givennew intensity to an old concept.The abili-ty to dominate information is often refer-red to as “infowar” and almost presumes aphysical entity, sometimes called an info-sphere, in which information resides orthrough which it is channeled. This info-sphere is thus a potentially very importantCOG and one that has interesting implica-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 17

MiG.Further thought revealed the broaderimplications of this theory.The key to vic-tory was to act more quickly, both mental-ly and physically, than one’s opponent.Boyd expressed this concept in a cyclicalprocess he called the observe-orient-de-cide-act (OODA) loop (fig. 5). As soon asone side acted, it observed the consequen-ces, and the loop began anew. The mostimportant portion of the loop was the“orient” phase. Boyd speculated that theincreasing complexities of the modernworld necessitated an ability to take seem-ingly isolated facts and ideas from diffe-rent disciplines and events, deconstructthem to their essential components, andthen put them back together in new andunusual ways. He termed this processdestruction and creation – a process that domi-nated the orient phase of his OODA loop.

The significance of Boyd’s tactical airtheories is that he later hypothesized thatthis continuously operating cycle was atplay not only in an aerial dogfight but alsoat the higher levels of war. In tracing thehistory of war, Boyd saw victory consist-ently going to the side that could thinkmore creatively – orient itself – and thenact quickly on that insight.Although mili-tary historians tend to blanch at such aselective use of history, the thesis is inter-esting. Significantly, because of the empha-sis on the orientation phase of the loop,in practical terms Boyd was calling for astrategy directed against the mind of theenemy leadership. Although posited by anairman, these theories encompassed farmore than a blueprint for air operations.Warfare in general was governed by thisprocess. Nonetheless, because of theOODA loop’s emphasis on speed and thedisorienting surprise it inflicts on theenemy, Boyd’s theories seem especially ap-plicable to airpower,which embodies thesetwo qualities most fully.

Another airman has thought deeply onstrategic airpower and has focused onenemy leadership as the key COG – ColJohn Warden.Like Boyd, a fighter pilot andcombat veteran, Warden began a seriousand sustained study of air warfare while hewas a student at the National War Collegein 1986.The thesis he wrote that year wassoon published and is still a standard text atAir University.9 His subsequent assignmentin the Pentagon put him in an ideal loca-tion when Saddam Hussein invadedKuwait in April 1990. Putting his theoriesinto practice,Warden designed an air cam-paign that called for strategic attacks againstIraq’s COGs.10 To illustrate his plan,he useda target consisting of five concentric ringswith leadership at the bull’s-eye – the mostimportant as well as the most fragile COG– and armed forces as the outermost ring –the least important but also the most har-dened element. Warden posited that the

8John Boyd never published his theories, but thebest description and evaluation of them is by Lt ColDavid S. Fadok, «John Boyd and John Warden: Air-power’s Quest for Strategic Paralysis,» in Paths ofHeaven, 357–98.

9Col John A.Warden III’s The Air Campaign: Plan-ning for Combat (Washington: Pergamon-Brassey’s,1989) has had a major impact on Air Force thinking,even though its calls for strategic airpower are relative-ly modest.Indeed,it is illuminating that Warden’s booktoday elicits little controversy; the ideas he proposedthen have become accepted wisdom. Warden’s ideastook a sizable leap with the experience of the GulfWar.

10For a readable and illuminating account of aircampaign planning in Desert Storm, see Col RichardT. Reynolds, Heart of the Storm:The Genesis of the AirCampaign against Iraq (Maxwell AFB,Ala.:Air Univer-sity Press, 1995).

A C

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DECIDE

OR

IEN

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OBSERVE

Figure 5: John Boyd’s OODA Loop.

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tions for how future air warfare might beconducted.

Another “new” wrinkle in militarytheory stresses the cultural aspects of con-flict. Although physical manifestations ofpower are the most discernible – the easiestto target and quantify – the cultural and so-cial aspects of a society are also crucial. JohnKeegan, for example, has argued that theClausewitzian model of war is flawed be-cause it presumes conflict occurs betweennation-states that are what we would call

“rational actors” (i.e., they make decisionsregarding peace and war based on a logicalcalculus grounded in policy). Keeganmaintains that such factors explain onlysome motives for war;other societies are farmore culturally based.He cites examples ofZulus in Africa, Siberian Cossacks, andJapanese samurai to demonstrate that somegroups make war because it is traditional,a rite of passage to manhood, or a safetyvalve to release excess energy.11 In suchcultures, what Westerners would term thetraditional causes of war and peace is largelyirrelevant. The significance of this argu-ment is not that small groups of isolatednatives have in times past gone to war forreasons we would consider quaint. Rather,if these factors are present in some peoples,they are present in all peoples. In moremodern societies, however, these culturalfactors are subsumed or overshadowed bythe more traditional political imperatives;they are not replaced by them. Thus, allpeople and countries do things or do notdo things,based on a collection of reasons –some physical and some cultural or psycho-logical. Military strategists must be awarethat they are dealing with an enemy who ispart rational and part irrational, and who ismotivated by reasons of both policy andpassion.When a modern country is domi-nated by a worldview that is seeminglycompletely alien from a Clausewitzian per-spective, the problem for the air strategistbecomes extremely complex.

One could argue, for example, that thepassionate faith of Islamic fundamentalismeffectively holds modern Iran together –not oil resources or the traditional politicalbonds of a Western country. Rather thanthe notion that the Iranian state uses reli-gion as a tool of its policy, it would seem

albeit for different reasons: the coalitionwanted to coerce Saddam into leaving Ku-wait but also wanted to deny him the capa-bility of remaining an offensive threat inthe region thereafter. Other conflicts, suchas that in Kosovo, are more problematic re-garding the type of strategy employed.TheNorth Atlantic Treaty Organization soughtto coerce Serbia into stopping its ethniccleansing in Kosovo. Coercion would ordi-narily entail the attack of high-value targetsin Serbia itself, but planners also employeda denial strategy by targeting Serbian mili-tary forces and infrastructure in Kosovo.Slobodan Milosevic surrendered, but was itthe coercion or the denial targeting thatbrought him to that decision? We maynever know. One must realize, however,that the choice of strategy will have a signi-ficant effect on the targets selected for airattack – power lines versus munitionsfactories versus rail yards versus artillerypieces. Our policy goals and the nature ofthe war will determine the most effectiveair strategy to employ.12

The task of the air strategist is to under-stand these various targeting theories andselect one, or a combination of several, tomake into a workable plan. One does thisby first asking three fundamental questions:What is the goal? How much is it worth toachieve that goal? What is it worth to theenemy to prevent the opponent fromachieving it? The air strategist must thendevise a plan that involves transformingbroad goals into specific military objectives,identifying the target sets that need to beaffected (not necessarily destroyed) to attainthose objectives, and then converting thewhole into an operations order that can beimplemented.13 One cannot overempha-size the importance of clearly linking thetargets chosen and the objectives sought.What specifically does one expect theenemy to do if his power grid is bombed?If the overall objective is to force the enemyto halt an invasion, then how will striking

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that radical Islam uses the state as a tool toachieve its religious goals. Air strategistshave a difficult enough time attempting topredict effects and responses when theydeal with a “similar enemy”; dealing with adissimilar enemy greatly magnifies theproblem. Nonetheless, realizing the impor-tance of such intangible factors as theenemy culture is crucial to military plan-ners.The fact that something may not havea physical form does not mean it is not im-portant – nor does it mean it is imperviousto attack. In such instances, psychological-warfare operations – the use of propaganda,ruse, deception, disinformation, perhapseven the truth – can be decisive. In myschematic, these intangible but vitalconnections are represented by the dottedlines linking the physical COGs to eachother and the national core (see fig. 4).

It is useful at this point to introducesome new terms used to describe air stra-tegy.The object of war is to impose one’swill on the enemy by destroying his will orcapability to resist. An ongoing debateexamines whether it is more desirable andfeasible to focus on the enemy’s will or hiscapability; consequently, military strategistsand thinkers often fall into two categories.The first includes those who focus onseeking methods of confusing, deceiving,frightening, or otherwise influencing themind of the enemy in the hope of shat-tering his will and thus causing surrender.The other school,more physical and direct,believes that if one attacks the enemy’smilitary forces or industrial infrastructure,thus removing his capability to resist, thensurrender must follow. Some people, espe-cially those trained in the social sciences,have put new terms on these old conceptsand now refer to coercion and denial strate-gies. Proponents of these two camps haveengaged in vigorous debate over the pastdecade. In truth, it is virtually impossible toseparate these two types of strategies inpractice. If the point of attacking, say, anenemy’s forces is to deny him the ability tofight, then it is highly likely that such aninability will also have a strong coerciveeffect on the enemy’s will. Conversely, if anattack on the enemy’s oil refineries is in-tended to break his will because it destroyssomething he values, then at the same timethe value of the lost oil revenue will de-crease his ability to fight.The issue, there-fore, becomes one of emphasis.

To a great extent, the choice of strategywill be driven by objectives and by thenature of the war. In a total war, with sur-render and subjugation of the enemy as thegoal,destruction of the enemy’s will and hiscapability will likely be necessary.Thus, inWorld War II the Allies conducted a waragainst both Germany’s will and its capa-bility – coercion and denial.Similarly, in thecase of Iraq,both strategies were employed,

Military strategists must beaware that they are dealing with

an enemy who is part rationaland part irrational, and who ismotivated by reasons of both

policy and passion.

11See John Keegan,A History of Warfare (New York:Knopf, 1993). For an excellent analysis of how cultu-ral factors apply to air warfare, see Lt Col Pat Pentland,“Center of Gravity Analysis and Chaos Theory: OrHow Societies Form, Function and Fail” (MaxwellAFB,Ala.:Air War College, 1993); and Paul M.Belbu-towski, “Strategic Implications of Cultures in Con-flict,” Parameters 26 (Spring 1996): 32–42.

12For good discussions, see Robert A. Pape, Bomb-ing to Win: Air Power and Coercion in War (Ithaca, N.Y.:Cornell University Press, 1996); and Michael Clarke,“Air Power,Force and Coercion,” in The Dynamics ofAir Power, ed. Andrew Lambert and Arthur C.Wil-liamson (Bracknell: Royal Air Force Staff College,1996).

13For excellent discussions of this process, see LtCol Maris McCrabb, “Air Campaign Planning,” Air-power Journal 7, no. 2 (Summer 1993): 11–22; andDavid E.Thaler and David A. Shlapak, Perspectives onTheater Air Campaign Planning (Santa Monica, Calif.:RAND, 1995).

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the power grid – or munitions factory orarmored divisions or intelligence head-quarters – contribute towards achievingthat goal? In other words, destroying orneutralizing a target does not mean thatone is any closer to attaining one’s goals.The intellectual process of linking ends andmeans is a crucial,yet too often overlooked,requirement for the air strategist.

Perhaps one of the most important fac-tors to remember in this entire discussionof COGs is that society is a living organismwhich reacts to a myriad of internal and ex-ternal stimuli. Indeed, all the COGs in theschematic are connected to each other toillustrate that an attack on one usually willhave an impact on all the rest.Hence, strik-ing industry will affect the overall militarycapability of a country, which will also af-fect the national will. In turn, the will maycrack,or,more likely, the leaders will send asignal to direct more people and resourcesto rebuild the damaged industries.The or-ganism will react to counter the threat. Inshort (and this is crucial to note) this sche-matic depicts a living entity – preciselywhat a country is – that can act and react tovarious stimuli. And it can do so in waysthat are not necessarily predictable: it canmove, shift, alter its appearance, defend it-self, panic, and/or steel itself. Indeed, or-ganisms develop scar tissue after they havebeen injured, sometimes making sub-sequent injury less severe. As a result, thesecond attack, to some extent, hits an or-ganism different from the one first attacked.Correspondingly, the results may also bedifferent. Thus, the tendency to view anenemy country as an inanimate, two-dimensional model is extremely dangerousbecause it assumes a static, laboratory con-dition that is far from the case. Imposing

COGs that act and react with one anotherand the outside world, then several conclu-sions follow. First, airpower is an especiallyeffective weapon for affecting those COGs.Most of the vital centers noted above arephysical and can be directly targeted. In-deed,because they are for the most part im-mobile and thus vulnerable – a power grid,railroad network, or factory complex, forexample – they are often especially suscep-tible to the effects of airpower. Other typesof military force cannot generally actagainst such targets directly and are limitedto operations against fielded forces.14 Ofcourse, airpower can attack those forces aswell and can do so quite effectively. Rea-sons for turning to airpower in the post-World War I era when anticipating waragainst an industrial opponent include thedesire to avoid bloodshed, the interdepen-dence of modern economies, the perceivedvulnerability of strategic COGs, and air-power’s ability to affect them at relativelylow risk. It is important to note that thenumber of such reasons has tended toincrease over the decades. To be sure, theintangible aspects of a country – its culture,religion, and tradition – will be difficult toinfluence,but that is the case when one usesall military forces, not just airpower.

Determining the key target or group oftargets within a country requires carefuland accurate measurement of the effects ofstrategic air attacks.This analysis is essentialto ensure that the results are what were ex-pected so that one can make adjustmentsfor future operations. This is not a minorconsideration.Air intelligence is a relativelynew phenomenon.Although information-gathering agencies have existed for centu-ries, the types of intelligence they soughtran to two extremes.On the one hand,theylooked for diplomatic insights to determinepotential adversaries’ foreign policy,strength of the government, alliance com-mitments, or soundness of the economy.On the other hand, they also wished toascertain military information, such as thesize of the enemy army and navy, route ofmarch, adequacy of supplies, and rate offire of the artillery.Although tactical infor-mation is also necessary for the air battle –the strength, disposition, and capability ofthe enemy air force and air defense net-work – strategic air warfare demands atotally new type of intelligence. Detailedeconomic and industrial information is al-so now required.Because aircraft can strikemilitary, economic, and governmental cen-ters deep within enemy territory, one must

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rationality on an enemy society via com-puter simulations and models is foolhardy.War can never be completely rational – nomore so than the people who wage it.

One should also understand that theCOGs of one country are not necessarilythose of another.In the case of Japan duringWorld War II, for example, sea-lanes werevital because so many of its required rawmaterials came from the Asian mainland orthe East Indies. However, sea-lanes werenot vital to Nazi Germany. Because Hitlercontrolled most of Europe, he was largelyself-sufficient in raw materials and barelyaffected by the Allied blockade.Similarly,anautocratic country like Nazi Germany maybe more dependent on the personality andpower of the leader than is a democracywith a clearly established line of successionin the event of the leader’s death.

Moreover, not only are COGs often dif-ferent between countries, but they maychange over time within the same country.During the Battle of Britain, for example,the RAF was perilously short of pilots andaircraft. Had the Luftwaffe continued toattack RAF airfields in the fall of 1940, thiskey British COG may have cracked. Thefollowing year, however, the RAF was nolonger in such dire straits because planesand pilots were far more plentiful. By thatpoint, however, the key British COG hadmoved into the Atlantic. German U-boatswere sinking British shipping at an alarm-ing pace, and serious concern existed as towhether or not Britain could long endure.Significantly, this key COG also changedwhen the United States entered the war,and the massive infusion of shippingcapacity alleviated the British plight.

If one agrees that an enemy country is aliving organism composed of multiple

Poststrike photograph used in bomb damage assessment of the Novi Sad PetroleumRefinery, Serbia.The photo was part of a press briefing on NATO’s Operation AlliedForce held in the Pentagon on 3 May 1999. DOD photo (released)

14Actually, airmen do believe in the decisiveness ofthe counterforce battle – the one for air superiority.Without air superiority – gained by destroying orneutralizing the enemy’s air force and ground defenses– all other military operations on land, at sea, and inthe air will be extremely difficult.

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know the precise location and function ofsuch targets.Air warfare requires a detailedunderstanding of the electrical power grid,rail and road network, iron and steel in-dustry, communications network, and ahost of other such items.This type of mili-tary intelligence differs fundamentally fromthat of previous eras. As a result, duringWorld War II new bureaucracies arose,composed of economists, industrialists, andengineers whose main function was tostudy the makeup and vulnerabilities of anenemy state.15 Today, these intelligenceagencies form a major portion of the mili-tary, and their products are vital to the for-mulation of a viable air campaign plan.

At the same time, air leaders quickly rea-lized in World War II that understandinghow an economic or industrial system failedwas just as important as knowing how itoperated. They needed a way to measurethe effects of air attacks on a complex, in-terconnected, and multilayered system – anextremely difficult task because it requiresanalyses of complicated networks. For ex-ample, it is relatively easy to determine theamount of physical damage an air attackcauses to a railroad marshaling yard – thenumber of buildings or railcars destroyed,tracks torn up, and so forth. It is more diffi-cult to measure the effect such damage willhave on an entire rail network, given theredundancy of such systems, the availabilityof repair teams,and the ability to route traf-fic through other yards. It is more difficultstill to judge what effect the shortage ofmaterials not moved by the destroyed trainswill have on the economy as a whole. Onefinds an illustration of this problem and itscomplexity in the work of one historianwho has examined the records of the Ger-man railroad bureau in World War II. Hisanalysis revealed that the destruction anddisruption of German rail traffic severelycurtailed the movement of coal, the pri-mary fuel for most industrial productionand power generation, throughout theReich.Therefore, the shortage of coal caus-ed by the disruption of the rail system hada major effect on the production of steel,resulting in the decreased output of tanks,ships, and heavy artillery.16 Thus, air strikesagainst seemingly unrelated targets deep inGermany reduced the overall militarycapability of the German armed forces.Clearly, such analysis requires intimatefamiliarity with the enemy’s economy aswell as keen analytical skills.These are notthe only problems.

If John Keegan is correct in his assertionthat social and cultural factors play a fargreater role in war than has hitherto beenacknowledged,then the problem of analysisbecomes even greater. This difficulty be-comes compounded if one considers that acountry may strike a particular target notbecause of the effect it expects to produce

the tactical and operational levels of war.The issue of its effectiveness at the strategiclevel of war, however, is a different matter.Airmen have claimed since the first decadeof flight that warfare has been foreverchanged because of their new weapon.Without denying the dominance of air-power on the battlefield, they argue for itspreeminence at the strategic level as well.Their arguments for this contention haverelied upon their various targeting philo-sophies.The question as to which strategictargets should have priority in an air cam-paign is surprisingly complex, and theanswer is not at all self-evident.As a result, avariety of air theories has sprung up, eachwith its own logic and evidence.

The statement “flexibility is the key toairpower” has become an aphorism.That isjust as true in the theoretical sense as in theoperational.We now need airmen conver-sant and well grounded in all aspects ofwarfare, including the theoretical. Onlythen will they be able to select the employ-ment concept best suited to the situation athand. Flexibility is also the key to air stra-tegy. Ultimately, air-targeting strategy is anart, not a science. Unfortunately, it is an in-credibly complex art. This article hassought to better arm air strategists with anappropriate array of questions so that theycan make better decisions in peace and war.

DisclaimerThe conclusions and opinions expressed in this

document are those of the author cultivated in thefreedom of expression, academic environment of AirUniversity.They do not reflect the official position ofthe U.S. Government, Department of Defense, theUnited States Air Force or the Air University.

This article was first published in Aerospace PowerJournal, 13 (Winter 1999), 48–61.

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin20

on the enemy but for the effect on its owndomestic population. Gen Jimmy Doolitt-le’s raid that sent 16 bombers against targetsin Tokyo in April 1942 not only influencedthe Japanese leaders or the Japanese eco-nomy but also bolstered American moraleafter a series of defeats. Similarly, one maycarry out attacks to influence a third coun-try.Some people would argue, for example,that we dropped the atomic bombs onHiroshima and Nagasaki not to compelJapanese surrender but to send a politicalmessage to the Soviet Union – as an act ofdeterrence for the future.17 Similarly, didthe air strike on Libya in 1986 in responseto the terrorist bombing in Berlin have anequally deterring effect on Syria? In short,we must remember that warfare consists ofliving organisms fighting other living orga-nisms while still other living organismslook on and are affected. Actions in war,therefore, have effects on both participantsand nonparticipants, and those effects maybe both intended and unintended. If suchcomplex and layered motives are indeed atplay, the problems of analysis are enormous.It thus becomes necessary for intelligenceorganizations to focus on making a secondleap – from an understanding of industrialand economic processes to cultural andpsychological ones.This will not be easy.

Until it becomes possible to accuratelyand predictably measure and quantify suchmacrolevel effects, airmen will always be ata disadvantage, compared to their surfacecounterparts. For centuries one has tradi-tionally measured victory or defeat on landin terms of armies destroyed, soldiers slain,and territory captured. Such standards areboth quantifiable and widely recognized.One must remember, however, that just asthe absence of hard statistics does not ne-cessarily mean a theory is wrong, so doestheir presence not necessarily confirm thata theory or policy is correct. Americansseem to have a cultural penchant for meas-uring things, especially in war – bomb ton-nage, sortie rates, body counts, tank kills –and this can beguile one into thinking thatthe mere presence of numbers implies eith-er accuracy or success. If one is measuringthe wrong things, however, the statistics areworse than meaningless.

In summary, it has become apparent overthe past six decades that airpower is playingan increasingly important role in warfare.Surface-force commanders realize thattheir operations are extremely difficult, ifnot impossible, without the extensive em-ployment of airpower. Indeed, our Navyhas built most of its force structure (the car-rier battle groups) around airpower; theMarine Corps has organized its air-groundtask forces around airpower;and the Army’sfive thousand helicopters constitute the lar-gest air arm in the world.Few people ques-tion the ability of airpower to be decisive at

15A study of these economic warriors has yet to bewritten, but for the views of two participants, see (forthe Americans) W. W. Rostow, Pre-Invasion BombingStrategy:General Eisenhower’s Decision of March 25,1944(Austin: University of Texas Press, 1981); and (for theBritish) Baron Solly Zuckerman,From Apes to Warlords:The Autobiography (1904–1946) of Solly Zuckerman(London: Hamilton, 1978).

16See Alfred C. Mierzejewski, The Collapse of theGerman War Economy, 1944–1945:Allied Air Power andthe German National Railway (Chapel Hill: Universityof North Carolina Press, 1988).

17For an excellent discussion of these ideas, see MajThomas P. Ehrhard,“Explaining the SAAS AirpowerAnalysis Framework” (master’s thesis, School of Ad-vanced Airpower Studies, Maxwell AFB,Ala., 1995).●

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L U F T W A F F E

Der folgende Beitrag betrachtet die Luftwaffe in ihrer Eigenschaft alsTeil des militärischen Instruments der Sicherheitspolitik. Er analysiertdie benötigten Fähigkeiten (capabilities) der Luftwaffe, die sich aus dersicherheitspolitischen Lage und den nationalen Sicherheitsinteressen zuBeginn des 21. Jahrhunderts ergeben, und leitet ab, welche Bedeutungdiese Fähigkeiten für die Hauptsysteme der Luftwaffe haben. Der Be-trachtungshorizont reicht bis zirka 2015.

Michael Grünenfelder*

Das Vorgehensraster ist die systematischeBeurteilung bzw. Ableitung von Fähig-keiten aufgrund einer Kombination ausstrategischem Umfeld, nationalen sicher-heitspolitischen Interessen und den Instru-menten der Sicherheitspolitik. Diese dreiElemente beeinflussen die sicherheitspoli-tische Strategie, die festlegt, wie die sicher-heitspolitischen Interessen verfolgt werdensollen und wie die sicherheitspolitischenInstrumente am besten zur Erreichungdieser Interessen eingesetzt bzw. entwickeltwerden können. Im Folgenden beschrän-ken wir uns auf das militärische Instrumentder Sicherheitspolitik.

Dieser Beitrag beinhaltet keine offizielleSicht und stellt nicht notwendigerweise dieMeinung einer politischen oder behörd-lichen Instanz dar.Er ist die Sichtweise desAutors und ist als Beitrag zur Systematisie-rung der Diskussion um die Anpassung desSystems Armee an die Erfordernisse desstrategischen Umfelds gedacht.

Das strategische Umfeld

Die Analyse des strategischen Umfeldsbleibt auf die für uns unmittelbar mi-litärisch relevanten Aspekte beschränkt.Eine volle Umfeldanalyse würde denRahmen dieses Beitrags sprengen.1

Wir gehen von folgenden Annahmen2

für unser strategisches Umfeld bis 2015 aus:● Die USA bleiben militärisch und wirt-

schaftlich die dominante Weltmachtohne gleichwertige Gegenmacht

● UNO, NATO, EU und OSZE bleibendie vier international dominanten supra-nationalen Organisationen

● Die EU-Osterweiterung wird erfolg-reich abgeschlossen, die Schweiz istweiträumig nur von friedlichen, de-mokratischen, in der EU wirtschaftlichund zunehmend aussenpolitisch integ-rierten Nationen umgeben

● Die Schweiz bleibt neutral und tritt we-der der EU noch der NATO bei, bleibtaber Mitglied der UNO und der OSZE

● Die Schweiz weitet ihr Engagement inder internationalen Friedenssicherungnicht über das Mass eines Bataillons aus.

Nationale Interessen sind vorhanden, un-abhängig davon, ob sie explizit aufgestelltund kommuniziert werden oder ob siestillschweigend implizit im öffentlichenBewusstsein vorhanden sind.

Der Aussenpolitische Bericht 2000(S. 294–313) nennt basierend auf BV Arti-kel 54 und 101 die auf Seite 22 abgebildeteaussenpolitische Zielhierarchie.

Der Sicherheitspolitische Bericht 2000postulierte darauf aufbauend drei sicher-heitspolitische Zielsetzungen5:● Wir wollen über unsere eigenen Angele-

genheiten, im Innern wie nach aussen,frei entscheiden, ohne darin durch dieAndrohung oder Anwendung direkteroder indirekter Gewalt beeinträchtigt zuwerden

● Wir wollen unsere Bevölkerung undihre Lebensgrundlagen vor existenziel-len Gefahren bewahren und schützen

● Wir wollen zu Stabilität und Friedenjenseits unserer Grenzen und zum Auf-bau einer internationalen demokrati-schen Wertegemeinschaft beitragen, umdas Risiko zu vermindern, dass dieSchweiz und ihre Bevölkerung von denFolgen von Instabilität und Krieg imAusland selbst berührt werden und weilwir damit gleichzeitig unsere internatio-nale Solidarität zum Ausdruck bringen.Die folgende, vom Autor aufgestellte,

Interessenhierarchie versucht den sicher-heitspolitischen Zielsetzungen des Sicher-heitspolitischen Berichtes 2000 unter Be-rücksichtigung der aussenpolitischen Ziel-setzungen des aussenpolitischen Berichts2000 eine operationalisierbare sicherheits-politische Interessenhierarchie zu unter-legen.6

Sicherheitspolitische Interessen derSchweiz (Vorschlag):● Sicherheit, Schutz und Unversehrtheit

der Schweizer Bürgerinnen und Bürgerim In- und Ausland

● Beitrag zur Verhinderung von Konfliktund Krieg sowie Stabilisierung undWiederaufbau im europäischen «Ein-zugsgebiet» für Flüchtlings- und Mig-rationsströme

● Beitrag zur Verhinderung von Konfliktund Krieg sowie Stabilisierung und Wie-

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Weiterentwicklung der Luftwaffe bis 2015 – eine Strategie

Sie ist in diesem Bereich nur in Zu-sammenarbeit mit Partnernationen imEinsatz

● Migrationsströme aufgrund von natür-lichen oder von Menschenhand verur-sachten Katastrophen können auftretenund kommen von ausserhalb des EU-Gebiets.Diese Annahmen haben für uns folgende

strategischen Folgen3:● Die Schweiz ist im Betrachtungszeit-

raum nicht in ihrer territorialen Unver-sehrtheit bedroht, das Wiederaufkom-men einer solchen Bedrohung würdesich mindestens fünf bis zehn Jahre imVoraus über massive politische, militäri-sche, wirtschaftliche und soziale Katast-rophen abzeichnen

● Für die Armee relevante Bedrohungender Schweiz bestehen aber latent weiterund sind– Bedrohung internationaler Grossan-

lässe (wie etwas das G8-Treffen 2003in Evian oder das jährlich wiederkeh-rende WEF)

– Grossterroristische Angriffe gegenNachbarn oder die Schweiz (z.B.ABC-Massenvernichtungswaffen inSelbstmordeinsätzen, Anschläge aufAKW in der Umgebung der Schweiz)

– Bedrohung unserer im Ausland einge-setzten Kräfte zur Friedensunterstüt-zung in einer Operation, die eskaliert

– Bedrohung Schweizer Bürger imAusland (z.B. diplomatisches Perso-nal, Expats und Touristen, die in Bür-gerkriegsgebieten festsitzen)

– Aufgrund der Proliferation von Mas-senvernichtungsmitteln und Trägersys-temen ist die Bedrohung mit ballis-tischen Raketen von ausserhalb desEU-Gebiets gegen Ende des Betrach-tungszeitraums nicht auszuschliessen

● Migrationsströme werden durch dieEU-Aussengrenzen und unsere unmit-telbaren Nachbarn kanalisiert und inihrem Umfang und ihrer Intensität ab-geschwächt. Migrationsströme stellenkein militärisches, sondern ein konstabu-larisches Problem dar, bei dem ein Ar-meeeinsatz subsidiär in Frage kommt.

Nationale Sicherheitsinteressen

Die Definition der nationalen Interesseneines Staates ist subjektiv für diesen Staat.

*Michael Grünenfelder, Dr. oec. HSG, Chef Luft-waffendoktrin, 3003 Bern.

1Für ein Beispiel einer umfassenden Umfeldanaly-se s. Strategic Trends (2003). Dieses britische Modellbenutzt sieben Umfelddimensionen.

2Vergleiche zwecks Plausibilität z.B. StrategicTrends (2003), Art (2003), Zakaria (2003).

3Vergleiche zwecks Plausibilität die deutschenSchlussfolgerungen in Struck (2003).

4Die direkte Einreise aus dem Ursprungsland desMigrationsstroms ist nur über den Luftweg möglich.Dies beschränkt die Anzahl Personen und deren mit-gebrachte Güter massiv ein.

5Sicherheitspolitischer Bericht 2000, 35.6Die Interessenhierarchie ist inspiriert durch den

Vorschlag von Art (2003).

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deraufbau im europäischen Umfeld derSchweiz

● Verhinderung eines Angriffs auf Schwei-zer Territorium

● Förderung von Menschenrechten,Demokratie, wirtschaftlicher Entwick-lung und gerechter Einkommensvertei-lung innerhalb und zwischen Volkswirt-schaften

● Förderung einer offenen Wirtschaftsord-nung zwecks Wohlfahrt, Entwicklungund unserem Zugang zu Rohstoffenund Absatzmärkten

● Beitrag zur Durchsetzung der interna-tionalen Rechtsordnung als Fundamentdes Umgangs der Staaten und Staatenge-meinschaften miteinander

● Beitrag zur Verhinderung von lokalenund globalen natürlichen und von Men-schenhand verursachten Katastrophen

● Schutz der lokalen und globalen Um-welt und Förderung der schonendenNutzung der natürlichen Ressourcen.

Die sicherheitspolitischenInstrumente

Bei der Anwendung von Politik geht esdarum, das Verhalten anderer zu beeinflus-sen. Sicherheitspolitik ist die Anwendungnationaler Macht im Rahmen des interna-tionalen politischen und rechtlichen Sys-tems zur Umsetzung nationaler Sicher-heitsinteressen. Diese ergeben, in Verbin-dung mit der Art und Weise ihrer Verfol-gung, die nationale Strategie in der Sicher-heitspolitik. Nationale Macht, und damitdie nationale sicherheitspolitische Strate-gie, werden mittels drei Instrumenten aus-geübt: Diplomatie,Wirtschaft und Militär.

Der Schlüssel zur erfolgreichen Führungder Aussenbeziehungen eines Staates ist dieoptimale Kombination der drei Instrumen-te in Abhängigkeit der jeweiligen Lage.

Fähigkeit zur Führung eines Krieges istwohl am besten im Clausewitzschen Dik-tum zusammengefasst: «Krieg ist die blosseFortführung der Politik mit anderen Mit-teln».

Militärische AnwendungsfelderWir unterscheiden im Folgenden vier

militärische Anwendungsfelder: die Kon-fliktvorbeugung, die Durchsetzung vonOrdnung, das Konfliktmanagement undschliesslich die Führung eines klassischenKrieges.

Das hauptsächliche Mittel zur Konflikt-vorbeugung ist Diplomatie,diese ist umsowirksamer, je mehr sie mit der Bereitschaftund Fähigkeit zum Einsatz militärischerMittel verbunden wird. Bei Eskalationmuss u.U. die volle Palette an diploma-tischen, wirtschaftlichen und militärischenMitteln ins Spiel gebracht werden, um derVorbeugung zum Durchbruch zu verhel-fen. Militärische Macht bildet das letzteMittel zur Erhaltung der internationalenStabilität und des internationalen Friedens.

Die militärischen Möglichkeiten einesKleinstaates sind in der Konfliktvorbeu-gung sehr eng limitiert. Die Schweiz be-schränkt sich hier auf die nichtmilitäri-schen Instrumente.

Die Durchsetzung der internationalenbzw. der inneren Ordnung kommt relativnahe an einen Kriegseinsatz. Sie hat zumZiel, einzelne oder alle Beteiligten an ei-nem Konflikt zu einem bestimmten Verhal-ten zu zwingen. Meist geht es darum, ineine Verhandlung bezüglich eines Waffen-stillstands bzw. einer Friedensordnung ein-zusteigen und gleichzeitig zu verhindern,dass solche Verhandlungen durch Aktionenunterlaufen werden. Durchsetzung vonOrdnung geschieht bei Einhaltung derinternationalen Rechtsordnung unterUNO- oder OSZE-Mandat.

Die Schweiz beteiligt sich heute nicht ansolchen Operationen. Für Zwangsmass-nahmen im Rahmen der kollektivenSicherheit der Vereinten Nationen gegeneinen Staat, der gegen die internationaleFriedensordnung und gegen das ihr zu-grunde liegende Gewaltverbot verstösst,hat der Bundesrat 1993 festgehalten, dassein schweizerischer Einsatz in Zuge einerUNO-mandatierten Operation nichtgrundsätzlich der Neutralität widerspricht:

Ob und in welcher Form die Schweiz mi-litärische Zwangsmassnahmen oder humanitäreInterventionen,die vom [UN] Sicherheitsrat an-geordnet oder autorisiert wurden, in der einenoder anderen Form unterstützen bzw. nicht be-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin22

Jedes Instrument muss unter Berücksich-tigung der Möglichkeiten und Beschrän-kungen der anderen Instrumente einge-setzt werden.

Oft sind diplomatische Mittel nur er-folgreich, wenn sie durch die Bereitschaftzum Einsatz der beiden anderen Instru-mente in ihrer Glaubwürdigkeit unter-stützt werden. Hierbei ist natürlich derKleinstaat in seinen Fähigkeiten und in sei-ner Reichweite sehr beschränkt. Interna-tionale Organisationen als diplomatischeForen wirken vor allem für kleine Staatenals eigentliche Force Multiplier bezüglichihres aussenpolitischen Einflusses.7 Füreinen relativ kleinen, militärisch schwa-chen und wirtschaftlich wenig ins Gewichtfallenden Staat sind es vor allem sachlicheund moralische Argumente, mit denen erauf diplomatischer Ebene einen überpro-portionalen Einfluss gewinnen kann.8

Das zweite Instrument ist das wirt-schaftliche. Entwicklungshilfe, Freihandelund die wirtschaftliche Unterstützungdemokratischer und rechtsstaatlicherStrukturen mit staatlichen Mitteln undüber private Investitionen sowie die Förde-rung des Umweltschutzes tragen zur Stabi-lisierung und Befriedung des strategischenUmfeldes bei.9

Das militärische InstrumentMilitärische Macht ist das letzte

Instrument der Sicherheitspolitik im Sinne,dass es eingesetzt wird, wenn alle anderenMittel verstärkt werden müssen oder nichtausreichend sind zum Schutz bzw. zur Er-reichung der nationalen Interessen.Wichtigist, dass militärische Macht nie in Isolationeingesetzt wird, sondern nur in einer kon-zertierten Aktion aller Instrumente. Wirt-schaftliche und diplomatische Mittel sindfür den Kleinstaat prinzipiell von grössererBedeutung als militärische.

Der Status militärischer Macht und die

Oberziel

aussenpolitische Ziele

Wahrung der Unabhängigkeit

und Wohlfahrt der Schweiz

Friedliches Zusammen-

leben der

Völker

Achtung

der Menschen-

rechte und Förderung

der Demokratie

Linderung

von Not und Armut

in der Welt

Wahrung der Interessen der

Schweizer Wirtschaft

im Ausland

Erhaltung der

natürlichen Lebens-

grundlagen

Die aussenpolitischen Zielsetzungen der Schweiz (Aussenpolitischer Bericht 2000).

7Finnemore, 2003, 20.8Aussenpolitischer Bericht 2000, 334. Zu den

Grenzen unserer sog. «Guten Dienste» s. Neutralitäts-praxis der Schweiz, 2000, 9.

9Zur schweizerischen Praxis vgl.AussenpolitischerBericht 2000.

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hindern will, ist in erster Linie Sache ihrer Inte-ressenwahrung und ihrer Solidaritätspflichten.10

Selbst nach dem Inkrafttreten einer Ver-einbarung zur Beendigung eines Konflikteskann es notwendig sein, im Konflikma-nagement militärische Kräfte von ausser-halb einzusetzen zur Unterdrückung resi-dualer Gewalt zwischen den Kontrahentenoder von Elementen der gegnerischenStreitkräfte gegen die Zivilbevölkerung.Solche Einsätze sind immer durch politi-sche, diplomatische und wirtschaftlicheMassnahmen zur Unterstützung der Dau-erhaftigkeit der Friedensvereinbarungenbegleitet.

Entscheidend ist, dass in solchen frie-densunterstützenden Einsätzen das mili-tärische Instrument immer nur einen Teileines integrierten Gesamtpaketes an Mass-nahmen zur Friedenssicherung ist.WeitereElemente sind die betroffenen Völker-gemeinschaften und deren Regierungen,zivile Administratoren, internationale Or-ganisationen (von der UNO bis zu privatenHilfsorganisationen) und kommerzielleGesellschaften, die sich z. B. mit dem Wie-deraufbau der Infrastrukur beschäftigen.

Während auf internationaler sicherheits-politischer Ebene normalerweise Konsensüber den Einsatz solcher von der UNObeauftragten Kräfte besteht, kann dies vorOrt durchaus umstritten sein. SolcheEinsätze müssen ein Gleichgewicht zwi-schen Robustheit im Kräfteansatz und demBemühen um Konsens und angemessenesAuftreten vor Ort finden.

Der Blickwinkel solcher friedensichern-der Einsätze ist sehr langfristig. Es gehtnicht darum, einen Gegner zu schlagen,sondern durch das bewusste Eingehen aufdie bestehenden Spannungen eine stabileUmgebung zu schaffen, damit andereOrganisationen und Institutionen ihrerAufbauaufgabe nachgehen können.

Die Schweiz beteiligt sich seit 1999 imKosovo an solchen von der UNO manda-tierten Einsätzen der Konfliktnachsorge.Sie tut dies seit 2002 auch mit Bewaffnungzum Selbstschutz der eingesetzten Kräfte.

Die höchste Eskalationsstufe schliesslich

den haben.11 Diese versprachen sich durchihr Engagement Einfluss bzw. ein Profitie-ren an der Nachkriegsordnung. Zweitenskann es auch um die Legitimation dereigenen Position gehen. Ein SchweizerEinsatz im Kosovo kann auch als Solida-ritätsbeitrag interpretiert werden, mit demunter anderem verhindert werden soll, dassdie Schweiz als Profiteur anderer wahrge-nommen wird.12 Ähnliche Motive vermu-tet der Autor hinter den deutschen Zah-lungen im Zuge des ersten Golfkriegs.13

Militärischer Teil einer sicherheits-politischen Strategie der Schweiz

Die nationale sicherheitspolitische Stra-tegie eines Staates definiert für die nationa-le Führung, welche sicherheitspolitischenZielsetzungen zur Erreichung der nationa-len Sicherheitsinteressen verfolgt werdensollen und wie die drei Instrumente ambesten zur Erreichung dieser Ziele einge-setzt werden können. Die sicherheitspoli-tische Strategie bildet dabei eine Unter-menge der aussenpolitischen Strategie,diese betrachtet das volle Spektrum an aus-senpolitischen Zielsetzungen.

Eine sicherheitspolitische Strategie be-antwortet vier Fragen:● Was sind die sicherheitspolitischen Inte-

ressen der Nation in der Welt?● Was bedroht diese Interessen?● Welche Strategie unterstützt die Interes-

sen am besten und entgegnet der Bedro-hung?

● Welche spezifischen Massnahmen undmilitärischen Fähigkeiten sind notwen-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 23

bildet der klassische Krieg als Konfliktzweier oder mehrerer Nationen. Es istheute für den Autor nicht vorstellbar, dassbis 2015 innerhalb Europas ein für uns ter-ritorial relevanter klassischer Krieg ausge-tragen wird.

Nichtmilitärische AnwendungsfelderIn menschlich bedingten ebenso wie in

natürlichen Katastrophen können Streit-kräfte auf nationaler Basis oder im Rahmeneines multinationalen Kontingents im In-land oder im Ausland zur Katastrophen-hilfe und zur Unterstützung und gegebe-nenfalls Koordination anderer ziviler undprivater Rettungs- und Hilfsorganisationeneingesetzt werden. Ein solcher Einsatzumfasst normalerweise ein Minimum anSicherungselementen gegen Bedrohungenkriminellen Ausmasses.

Ein weiteres Feld sind die subsidiärenEinsätze, die mit den vorhandenen mili-tärischen Mitteln zu Gunsten Drittergeleistet werden. Dabei geht es schwerge-wichtig um den haushälterischen Umgangmit Steuergeldern. Auf eine tiefergehendeBeschreibung wird an dieser Stelle verzich-tet, da sie keine typischen Einsätze durchDurchsetzung sicherheitspolitischer Inte-ressen sind.

Anwendung militärischer Macht zwecksLegitimation

In den letzten Jahren ist eine neue Artder Anwendung militärischer Macht im-mer mehr in den Vordergrund getreten,diejenige der Legitimation. Sie kann inallen militärischen und nichtmilitärischenAnwendungsfeldern auftreten und stellteine Mischung aus Anwendung undsicherheitspolitischer Motivation dar.

Legitimation hat zwei Aspekte. Erstensgeht es um die Legitimation fremderEinsätze mittels eines eigenen Beitrags, dernicht unbedingt militärisch oder ökono-misch benötigt wird, der aber ein starkespolitisches Signal der Solidarität und derLegitimierung des Einsatzes darstellt. Diesist der Grund dafür, dass die VereinigtenStaaten faktisch ohne militärische Not-wendigkeit in allen Operationen seit demGolfkrieg Koalitionspartner gesucht habenund wieso sie auch jedesmal Partner gefun-

10Bericht zur Neutralität 1993, 20 (Seitennumme-rierung im zitierten Nachdruck entspricht nicht demOriginal).

11Hallion (2002).12Als historisches Beispiel mag das Verhalten der

Schweiz im Zweiten Weltkrieg und unmittelbar da-nach dienen.Zu den von der Aussenpolitik gezogenenLehren aus der internationalen Aufarbeitung sowieder schweizerischen Reaktion auf diese Aufarbeitungs.Aussenpolitischer Bericht 2000, 272f.

13Für eine grundlegendere Interpretation vonLegitimation des Einsatzes militärischer Kräfte undwie sich diese seit 1990 entwickelt hat, s. Finnemore(2003).

Unmittelbare

Verteidigung der eigenen

Interessen

eigenes

Territorium«unmittelbarer»Interessenraum

«Legitimation

der eigenen Position»

• Solidaritätsbeweis zur

Interessenwahrung

• Vermeiden als Profiteur

wahrgenommen zu werden

• Unmittelbarkeit der Interessen

• Ausmass des Ressourcenansatzes

• Kommunizierbarkeit im politischen Prozess

• Abstraktheitsgrad der Motivation

• Fundamentalität der Vorbeugewirkung

«Legitimation

fremder Einsätze»

• Einfluss erlangen

• Einfluss behalten

• Einfluss ausüben

• Profit an Nachkriegs-

ordnung

• Kosten der Interessenwahrung (Menschen und Material)

Einsatz militärischer Macht: von der direkten Verteidigung zur Legitimation.

Super Puma im subsidiären Einsatz mitder Polizei. Bild: Schweizer Luftwaffe

Page 24: AIR POWER REVUE - ETH Z Power Revue No 1 Full.pdf · Operation «OVERLORD» – aus der Perspektive Luftmacht Buchbesprechungen Das Air-Power-Büchergestell. 3 Die heutige Zeit ist

dig, um diese Strategie zu verwirklichenbzw. zu unterstützen?

Aufgrund der Analyse des strategischenUmfeldes, unserer nationalen Interessenund der vorhandenen Instrumente derSicherheitspolitik entwickeln wir folgen-den Vorschlag14 für den militärischen Teileiner schweizerischen sicherheitspoliti-schen Strategie. Die ersten beiden Punkteaus obiger Fragenliste sind bereits beschrie-ben. Für die Strategie beschränken wir unsauf eine kurze Stichwortliste. Die folgen-den Abschnitte leiten aus der Strategiemilitärische Fähigkeiten und deren Aus-wirkungen auf die Hauptsysteme der Luft-waffe ab.

Militärischer Teil der sicherheitspoliti-schen Strategie der Schweiz (Vorschlag):

1. Reduktion der klassischen territoria-len Verteidigungsfähigkeit auf einen Auf-wuchskernKonzentration auf den Aufbau von zwei Voll-kompetenzen:

2. Existenzsicherungseinsätze im Inland(z.B.Wahrung der Lufthoheit, Konferenz-schutz)

3. Fähigkeit, bis Bataillonsstärke eine robuste PSO-Operation über eine unbe-stimmte Dauer im europäischen «Einzugs-gebiet» für Flüchtlings- und Migrations-ströme ausführen zu können (mit Luft-und Landelementen).

Die Raumsicherung liegt dabei vomMittelbedarf zwischen den beiden Voll-kompetenzen und dem Aufwuchskern.Wirnehmen in der Folge an, dass beim Eintre-ten eines Raumsicherungsfalls die Mittelaus dem Aufwuchskern und den beidenVollkompetenzen reichen,um eine einsatz-genügende Leistung der Luftwaffe zu er-stellen. Dies muss allerdings von einemAufwuchsprozess begleitet werden.

Die folgende Liste stellt den Bezug zuden sicherheitspolitischen Interessen (vgl.S. 21f.) her und beantwortet die Frage,welcher Strategieteil direkt zu welchem In-teresse beiträgt.● Sicherheit, Schutz und Unversehrtheit

der Schweizer Bürgerinnen und Bürgerim In- und Ausland → 1, 2, 3

● Beitrag zur Verhinderung von Konfliktund Krieg sowie Stabilisierung und Wie-deraufbau im europäischen «Einzugs-gebiet» für Flüchtlings- und Migrations-ströme → 3

● Beitrag zur Verhinderung von Konfliktund Krieg sowie Stabilisierung und Wie-deraufbau im europäischen Umfeld derSchweiz→ 1 (bis 2015 höchstens mittelbar man-gels Bedrohung)

● Verhinderung eines Angriffs aufSchweizer Territorium → 1

Führungsfähigkeit● Sicherstellung der permanenten Krisen-

reaktionsfähigkeit im Luftraum● Sicherstellung von Führungsfähigkeit im

Einsatzgebiet ausserhalb der Schweiz(Friedensunterstützung)

● Interoperabilität der Führungsfähigkeitmit Kooperationspartnern (technischund Prozess)

● Permanente Entwicklung der Doktrinund der Führungsprozesse als Führungs-instrumente

Fähigkeit zur Kräfteaufstellung● Sicherstellung der Personal- und Ausrüs-

tungsbasis● Sicherstellung einer professionellen Aus-

bildung und eines professionellen Trai-nings 16

● Erreichen von Zusammenarbeitsfähig-keit auf strategischer und operativerStufe mit möglichen Koalitionspartnern(in erster Priorität Friedenssicherung,in zweiter Priorität AufwuchsfähigkeitVerteidigung)

● Sicherstellung der operativen Transport-kapazitäten in einen Einsatzraum (Frie-denssicherung)

Fähigkeit zur Effekterzielung● Fähigkeit zur Durchführung von Luft-

verteidigungsoperationen wetter- undtageszeitunabhängig (Vollkompetenz inExistenzsicherung und Friedensförde-rung im Sinne eines Beitrags in einerKooperation, Aufwuchskern17 in derVerteidigung)

● Fähigkeit, die Verbindung zwischen derSchweiz und dem Einsatzraum sicherzu-stellen (Friedenssicherung)

● Luftmobilität im Einsatzraum (Vollkom-petenz in Existenzsicherung und Frie-densförderung)

● Fähigkeit zu operativem Feuer aus derLuft mit hoher, international vergleich-barer Präzision in der Waffenanwendungund Vermeidung von Kollateralschäden18

(Vollkompetenz in Existenzsicherungund Friedensförderung (dort in Koope-rationssituation) und Aufwuchskern fürdie Verteidigung)

● Fähigkeit zum subsidiären Einsatz inkonstabularischen Aufgaben für die an-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin24

● Förderung von Menschenrechten, De-mokratie, wirtschaftlicher Entwicklungund gerechter Einkommensverteilunginnerhalb und zwischen Volkswirt-schaften→ 3

● Förderung einer offenen Wirtschaftsord-nung zwecks Wohlfahrt, Entwicklungund Zugang zu Rohstoffen und Absatz-märkten→ 3

● Beitrag zur Durchsetzung der interna-tionalen Rechtsordnung als Fundamentdes Umgangs der Staaten und Staaten-gemeinschaften miteinander → 2, 3

● Beitrag zur Verhinderung bzw. zurBewältigung von lokalen und globalennatürlichen und von Menschenhandverursachten Katastrophen→ 3 sehr mittelbar, da militärische Mittelnur sehr beschränkt anwendbar

● Schutz der lokalen und globalen Um-welt und Förderung der schonendenNutzung der natürlichen Ressourcen → militärisches Mittel nicht direkt an-wendbar.

Militärische Fähigkeiten derLuftwaffe

Nach unserem hier entwickelten me-thodischen Vorgehen ist an dieser Stelle dieFrage zu beantworten, welche militäri-schen Fähigkeiten notwendig sind, um dievorgeschlagene Strategie zu verwirklichenbzw. zu unterstützen. Im nächsten Ab-schnitt werden wir die operationellenFähigkeiten und die dazu benötigtenHauptsysteme der Luftwaffe diskutieren,die zur Umsetzung der oben vorgeschla-genen Sicherheitsstrategie auf Seite derLuftwaffe neu aufzubauen bzw. anzupassenwären.

Aus der bisherigen Argumentation fol-gen sechs breite Fähigkeitskategorien, diewir im Folgenden kurz beschreiben wollen:

Fähigkeit zur Informationsausnutzung● die Fähigkeit Echtzeit, 24 Stunden

Nachrichtengewinnung und Aufklärungfür die Planung von Operationen, dieBewertung des Effekts militärischerAktionen sowie die Bereitstellung vonBeleg- bzw. Beweismitteln

● Bereitstellung genügender Übermitt-lungskapazitäten

● Erarbeitung der Kenntnis der Gegnerund Koalitionspartner als Basis füreffektbasierte Operationen (aktuellerSchwerpunkt Friedensunterstützung)

● Nachrichtendienstliche Vorbereitung aufmögliche Einsatzgebiete 15 inkl.Ziellisten

● Identifikation Freund-Feind mit derFähigkeit, Kooperationspartner zu iden-tifizieren

14Die Erarbeitung einer nationalen sicherheitspoli-tischen Strategie für die Schweiz ist offensichtlichSache der Regierung und benötigt wesentlicheGrundlagenarbeit,die den Rahmen und die Möglich-keiten dieses Papiers bei weitem sprengen. Hier gehtes um das Aufzeigen eines systematischen Entwick-lungsrasters,mit dem militärische Fähigkeiten aus densicherheitspolitischen Interessen der Schweiz abge-leitet werden können.

15 Intelligence Preparation of the Battlefield (IPB).16Military education and training.17Mit offensiven und defensiven Elementen:

Offensive Counterair und Defensive Counterair.18Beinhaltet ebenfalls Langzeitschäden z.B. aus

Blindgängern.

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deren Sicherheitsorgane von Bund undKantonen

Überlebensfähigkeit und Schutz● Sicherung der eingesetzten Kräfte im

Einsatzraum und im rückwärtigenRaum gegen symmetrische und asym-metrische Risiken (Schwerpunkt Frie-densförderung und Existenzsicherung)

● Sicherung der eingesetzten Kräfte imEinsatzraum gegen Umweltbedrohun-gen (Schwerpunkt Friedensförderung)

● Sicherung und ggf. Verteidigung derVerbindungslinien19 im Einsatzgebietund zum Einsatzgebiet

● Fähigkeit, Tote und Verletzte auf allenSeiten bei der Anwendung militärischerGewalt zu minimieren (Existenzsiche-rung und Friedensförderung)

Durchhaltefähigkeit ● Personal (Miliz und Profi)● Grosse Systeme und Material● Logistik● Finanzen

Operationelle Fähigkeiten unddie Folgen für die Hauptsystemeder Luftwaffe

Wir haben jetzt aus der sicherheitspoliti-schen Strategie sechs Fähigkeitskategorienabgeleitet, die deren Umsetzung ermög-lichen sollen. In diesem Abschnitt fragenwir, welche Auswirkungen die sicherheits-politische Strategie und die sechs Fähig-keitskategorien auf die Entwicklung derLuftwaffe in den nächsten Jahren bezüglichihrer Hauptsysteme haben wird.

Vollkompetenz ExistenzsicherungDie Erstellung der Luftlage und die

Wahrung der Lufthoheit sind auf einem fürdie Existenzsicherung guten Stand. Dassich hier abzeichnende Problem ist die

nicht auf die Anzahl der einzelnen Senso-ren und Plattformen, sondern auf den obenbeschriebenen Mix. Für die Existenzsiche-rung reichen wenige Sensoren eines Typsauf wenigen Plattformen. Aussenbehältermit den verschiedenen Sensoren und denDatenverbindungen funktionieren undsind bei ausländischen Luftwaffen im Ein-satz. Entsprechend sollten nicht neue, aufeine Aufklärungsrolle beschränkte Plattfor-men beschafft werden, solange eine robustausgelegte Kampfflugzeugflotte Aussen-behälter zum Einsatz bringen kann.21

Die bestehenden Luftmobilitätskräfteder Luftwaffe reichen für die Aufgabenstel-lungen in der Existenzsicherung voraus-sichtlich aus.

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 25

Kampfflugzeugflottengrösse. Diese dürftegemäss unserer Berechnung (vgl. hierzuden Anhang) nicht unter 70 Maschinenfallen.

Die Luftaufklärung ist für die vielfältigenAufgaben der Existenzsicherung nochnicht genügend ausgebaut. Insbesonderefehlt ein Mix an Sensoren (sichtbarer bisRadarbereich) und Plattformen (Drohne,Helikopter und Kampfflugzeug). Ein sol-cher Mix verleiht Handlungsspielraum, daSensoren und Plattformen komplementäreingesetzt werden können.20

Hier wird der Aufbau einer robustenAufklärungsarchitektur in den nächstenJahren einen Investitionsschwerpunkt bil-den. Der Begriff robust bezieht sich dabei

Mittels des FLIR-Sensors auf SuperPuma können ver-misste Personengesucht, gefundenund in der Folgegerettet werden.Bild:Schweizer Luftwaffe

19Verbindungslinien sind Strassen, Schienen,Was-serwege, Flughäfen,Tunnels, Brücken.

20So kann z.B.bei schlechtem Wetter u.U.kein op-tischer Sensor, sondern nur Radar eingesetzt werden,auf der anderen Seite hat Radar physikalisch eineschlechtere Bildauflösung als ein optischer Sensor beieinem, aber gleichzeitig grösseren Sichtfeld. Radarkann auf grössere Distanzen aufklären, während einoptischer Sensor durch die Transparenz der Atmo-sphäre eingeschränkt ist.Plattformen verkörpern ähn-lich einzigartige Eigenschaften:Während das Kampf-flugzeug Reaktionsgeschwindigkeit bietet, bietet dieDrohne Verweildauer im Aufklärungsgebiet, und derHelikopter bietet Schwebefähigkeit über einemPunkt.

21Dies gilt auch, wenn jeder einzelne Flug für sichgerechnet auf bestehenden Plattformen teurerkommt.Die Einführung einer neuen Plattform ist mitbeträchtlichen Kosten verbunden. Umgekehrt spartdie Luftwaffe beträchtlich an Totalkosten über dieLebensdauer eines Systems bei Reduktion der Anzahlverschiedener Systeme.

Saab Gripen ist der kleinste der möglichen Kandidaten für ein Neues Kampfflugzeug,verfügt aber über eine ausgesprochene Mehrrollenfähigkeit. Bild: Saab Aerospace

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Vollkompetenz FriedensförderungDie Erstellung der Luftlage und die

Wahrung der Lufthoheit über einem Ein-satzgebiet im Ausland kann nur in Koope-ration mit einem anderen am selben Frie-densförderungseinsatz beteiligten Partnersichergestellt werden. In der Wahrung derLufthoheit könnte ein Schweizer Beitragmit Kampfflugzeugen unsere Koalitions-partner finanziell wesentlich entlasten. EinEntschluss, dies zu tun, ist ein politischer,die bereits in der Existenzsicherung er-wähnte minimale Grösse der Kampfflug-zeugflotte ist aber die Voraussetzung für dieSchaffung von Entscheidungsfreiheit fürdie Politik in diesem Bereich.

Die Luftaufklärung in einer Friedens-mission hat in der Bildaufklärung zu ihrerAuftragserfüllung das Bedürfnis nach demselben Sensoren- und Plattformenmix wiein der Existenzsicherung. Dieselben Luft-aufklärungsfähigkeiten sind damit in bei-den Aufträgen einsetzbar, die benötigteAnzahl an Systemen erscheint ebenfallsvergleichbar aufgrund der räumlichen Be-grenzung des Schweizer Engagements mitmaximal einem Bataillon. Zusätzlich be-steht die Forderung nach der Verlegbarkeitder Aufklärungsmittel in das Einsatzgebietder Friedenssicherung.

Zusätzlich zur Bildaufklärung kommt inder Friedensförderung ein Bedarf nachluftgestützter Signalaufklärung hinzu. Sowerden z.B. elektronische Grundlagen-daten bezüglich des gegnerischenBODLUV-Dispositivs für die Program-mierung der Selbstschutzeinrichtungen dereingesetzten Helikopter und Flugzeugebenötigt. Die Abdeckung dieses Bedarfskann realistischerweise nur durch schwei-zerische Aufklärung ab einer luftgestütztenPlattform vor Ort geschehen, da alleNationen den Zugang zu solchen Datenextrem restriktiv handhaben. Signalauf-klärung kann als Minimallösung mit

zeitig umfassen kann, sondern sich zuerstauf die vorhandene Operation im Kosovokonzentriert. Unter Berücksichtigung deslangfristigen Engagements im Kosovo undder Finanzsituation des Bundes erscheint essinnvoll, eine minimale Flotte (2 Maschi-nen) eines kleinen Transportflugzeugs zubeschaffen.Damit wird eine gewisse Unab-hängigkeit im Kosovo von zivilen Leis-tungserbringern erreicht.

Das mittlere Transportflugzeug für wei-ter reichende bzw. grössere Operationenmüsste entweder als Leistung aus einemeuropäischen Transportpool befreundeterStaaten bezogen werden oder zu einemspäteren Zeitpunkt bezüglich seiner Be-schaffung neu beurteilt werden. Dies wirdwahrscheinlich nach Abschluss des Einsat-zes im Kosovo aktuell. Ein mittleres Trans-portflugzeug würde einigen Zusatznutzengenerieren, es könnte in humanitärenHilfseinsätzen z.B. in Afrika schweizerischeHilfsgüter direkt vor Ort bringen und dortals Botschafter schweizerischer Solidaritätund Hilfsbereitschaft wirken. Es wäre aus-serdem in besagtem europäischen Trans-portpool von Interesse, dort könnten Aus-lastungsschwankungen im Pool finanziellattraktiv aufgefangen werden.

Aufwuchsfähigkeit VerteidigungIn einer Verteidigungssituation sind die

SIGINT-Posten und die ortsfesten militä-rischen Radarstationen nicht über einenlängeren Zeitraum überlebensfähig. DasGleiche gilt für die Alternative autonombetriebener Radarfrühwarnflugzeuge.Die-se stellen auf den Flugplätzen und in derLuft ebenfalls ein Primärziel dar, das vonausserhalb schweizerischer Waffenreich-weite bekämpft werden kann. Die einzigerealistische Möglichkeit in der Führung derklassischen militärischen Verteidigung desschweizerischen Luftraums ist es,Tiefe ge-gen Abstandswaffen zu schaffen. Dies kannrealistischerweise nur geschehen, indem dieLuftlage mittels Kooperationspartnern imRahmen einer grösseren Allianz in unserSystem eingespiesen wird. Die Alternativewäre es, einen riesigen Luftschirm mitautonomen Kräften weit über die Grenzenunseres Landes hinaus aufzubauen.22

Die heutigen, bodengestützten Radar-systeme bilden einen geeigneten Auf-wuchskern, indem sie die Sensorintegra-tion, das integrierte Luftlagebild und dieEinsatzführung sicherstellen; die Radar-daten würden im Verteidigungsfall von aus-serhalb eingespiesen werden.

Der Kampf um die Kontrolle des Luft-raumes beinhaltet im Verteidigungsfall de-fensive und auf der operativen Stufe offen-sive Elemente. Die defensiven Elemente

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin26

Zusatzbehälter gelöst werden, benötigtjedoch grössere Plattformen, sobald Auf-gaben, die über die reine Datensammlunghinausgehen, zu erfüllen sind.

Luftmobilität teilt sich bei Ausland-einsätzen in zwei Bereiche auf,den Bereich«Im Einsatzgebiet» und den Bereich «Zwi-schen Schweiz und Einsatzgebiet».

Die bestehende mittlere Helikopterflot-te ist mit dem neuen Selbstschutzsystemgeeignet zur Bereitstellung der Luftmobi-lität im Einsatzgebiet. Zwischen derSchweiz und dem Einsatzgebiet werdenFlächenflugzeuge benötigt, da Helikopterin Reichweite, Fluggeschwindigkeit undZuladung nicht auf solche weit reichendenFlüge ausgelegt sind. Für die bestehendeschweizerische Operation im Kosovoreicht dabei die Kapazität eines kleinenTransportflugzeugs (Zuladungsklasse 9 t,z.B. CASA oder C-27), während für grös-sere Distanzen und Kräfte (die erwähnteBataillonsstärke) jene eines mittleren Trans-portflugzeugs notwendig würde (Klasse20 t, z.B. C-130 Hercules oder A400).

Die Transportleistung zwischen derSchweiz und dem Einsatzgebiet ist auf jeneFälle auszurichten, in denen zivile Luft-transportleistung nicht rechtzeitig, nichtausreichend, bei den zu erwartenden Ein-satzbedingungen und aufgrund der Aufga-ben nicht oder nicht ausreichend zur Ver-fügung steht. Dies ist vor allem der Fall beiSoforteinsätzen aus dem Stand und ohneVorwarnung, bei Flügen ausserhalb derEinsatzprofile ziviler Besatzungen (z.B.taktischer Anflug) und der Verwendungs-zwecke ziviler Transportmaschinen (z.B.Lastenabwurf), bei Einsätzen abseits der fürZivilflugzeuge notwendigen Infrastruktursowie bei nationalen und internationalenKrisen- und Konfliktsituationen.

Wir nehmen an, dass das schweizerischeEngagement in Friedenssicherungseinsät-zen nicht mehrere Einsatzgebiete gleich-

Airbus A400 ist das im Moment in der Entwicklung stehende europäische mittlereTransportflugzeug der Zukunft. Bild: Airbus Industries

22Vgl. hierzu die historischen Betrachtungen be-züglich eines Krieges in Europa in Overy (2002).

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bestehen aus Kampfflugzeugen zur Luft-verteidigung, Kurzstreckenfliegerabwehrund weit reichender Fliegerabwehr. Dasoffensive Element besteht aus Kampfflug-zeugen, die gegnerische Luftstreitkräfteausserhalb unserer Landesgrenzen in derLuft und am Boden bekämpfen.Beide Auf-gaben können bei modernen Kampfflug-zeugen prinzipiell durch denselben TypFlugzeug wahrgenommen werden.

Zur Rekonstitution der Kampfflug-zeugflotte müsste in der Aufwuchsphasedie Anzahl der Kampfflugzeuge, der be-schafften Waffen und Ersatzteile sowie derprofessionell ausgebildeten Piloten gestei-gert werden. Diese Steigerung ist nur mit-tels milliardenschwerer Lieferungen anmodernen Kampfflugzeugen und Bewaff-nungen aus dem Ausland sowie der inten-siven Ausbildung unserer Piloten im Aus-

Zweitens bietet die weit reichende Flie-gerabwehr in der Verteidigung eine Ergän-zung zur Leistung der Kampfflugzeuge. Siestellt eine permanente Präsenz im ganzenHöhenbereich sicher und hält den Gegnerauf grössere Distanz. Sie hat dabei dreiprinzipielle Anwendungsfelder● die Abwehr von Luftangriffen im terri-

torialen Verteidigungsfall der Schweiz ● die Abwehr von Luftangriffen im Rah-

men einer Friedensförderungsmission● die Abwehr ballistischer Lenkwaffen

kurzer Reichweite 23 in der Friedensför-derung.Damit reicht es aus, die weit reichende

Fliegerabwehr zu einem späteren Zeit-punkt bezüglich ihres Nutzens in den dreiobigen Kategorien und einer Beschaffungzu evaluieren. Die Verlegung eines solchenSystems in einen Auslandeinsatz bedingtgrosse Transportflugzeuge, die nur über dieoben angesprochene europäische Pool-Lösung nutzbar gemacht werden könnten.

Die Luftaufklärung müsste in einemAufwuchsfall mit einer Eindringfähigkeitaus- und quantitativ aufgebaut werden.Bezüglich der Sensoren und Plattformengelten auch hier die anlässlich der Existenz-sicherung angestellten Überlegungen. Dieoben beschriebene Luftaufklärung aus derExistenzsicherung und der Friedensförde-rung stellen einen realistischen Aufwuchs-kern für den Verteidigungsfall dar.

Die Luftmobilität müsste im Verteidi-gungsfall in Funktion des quantitativenAufwuchses des Heeres ausgebaut werden.Die heute bestehenden Transporthelikop-ter bilden einen guten Aufwuchskern.

Querschnittsfunktion operatives FeuerHierbei handelt es sich um die Fähigkeit,

Ziele am Boden aus der Luft bekämpfen zukönnen. Das operative Feuer umfasst denTargeting-Prozess (mit den Hauptelemen-ten Aufklärung,Strategische Planung,Ziel-auswahl, Waffenauswahl, Planung, Aus-führung, Kampfauswertung), die entspre-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 27

land zu bewerkstelligen.Hierzu scheint ausheutiger Sicht ein Zeitraum von mehr alsfünf Jahren ab dem politischen Entscheid,dem Fliessen grosser Mengen Geld und beiLieferfähigkeit der ausländischen Industrienotwendig.

Die bodengestützte Luftverteidigung er-füllt im Verteidigungsfall zwei wichtigeAufgaben. Erstens hält sie mit der Kurz-streckenfliegerabwehr auf Basis von Kano-nen und Lenkwaffen die gegnerischenLuftstreitkräfte auf über 3000 m überGrund. Damit zwingt sie den Gegner zumEinsatz relativ teurer und knapper Luft-Bodenmittel und treibt ihn in den Wir-kungsbereich der luftgestützten Jäger. EinHalten des Gegners auf über 3000 merleichtert das Überleben eingegrabener,getarnter und aufgelockerter Heeresein-heiten.

Eurofighter Typhoon ist einer der grösseren möglichen Kandidaten für ein NeuesKampfflugzeug. Er befindet sich momentan in der Einführung bei den deutschen,italienischen, spanischen und britischen Luftstreitkräften und wird von Österreich in18 Exemplaren beschafft. Bild: Eurofighter GmbH

F/A-18 C bei einem Luftpolizeieinsatz bei Nacht. Bild: Schweizer Luftwaffe

23Weit reichende Fliegerabwehrsysteme (z.B.Patriot PAC-3) können nur gegen ballistische Lenk-waffen kurzer Reichweite eingesetzt werden. Diesrührt von der Geschwindigkeit der zu bekämpfendenLenkwaffe her. Da sie ballistisch fliegt, ist ihre Reich-weite eine direkte Funktion ihrer Geschwindigkeitbei Brennschluss des Triebwerks. Ballistische Lenk-waffen mit mittlerer und grosser Reichweite fliegenso schnell, dass zu ihrer Bekämpfung eine andereKategorie von Systemen notwendig ist (z.B.das israe-lische System Arrow). Solche Systeme sind allerdingswiederum nicht zur Bekämpfung von Flugzeugengeeignet. Ausserhalb des Verteidigungsfalls (den wirfür den Betrachtungszeitraum ausgeschlossen haben)ist eine Bedrohung der Schweiz mit ballistischenLenkwaffen nur von ausserhalb des EU-Raums denk-bar. Ein weit reichendes Fliegerabwehrsystem miteiner Fähigkeit zur Bekämpfung ballistischer Lenk-waffen hätte deshalb nur in einem Einsatzraum ausser-halb der Schweiz im Rahmen einer Friedenssiche-rung eine sinnvolle Mehrrollenfähigkeit.

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chende Aufklärung, die Kampfflugzeugeund die Luft-Boden-Waffen.

Operatives Feuer aus der Luft kann hochpräzise sein bezüglich der Wirkung, derKollateralschäden und der Reaktionszeit.24

Dabei bildet eine Staffel Kampfflugzeugemit relativ wenigen Präzisionswaffen undZusatzgeräten (z.B. Zielbeleuchtungsbehäl-ter) eine Vollkompetenz für die Exis-tenzsicherung und für eine robusteFriedensunterstützungsmission. Entschei-dendes Erfolgskriterium für einen Auf-wuchskern operatives Feuer für den Ver-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin28

teidigungsfall ist das Durchführen desTargeting-Prozesses und der darauf aus-gerichtete Einsatz der Luftaufklärung. DieVollkompetenz operatives Feuer für dieExistenzsicherung und die Friedensförde-rung würde damit gleichzeitig einen Auf-wuchskern für den Verteidigungsfall dar-stellen.Der Aufbau der Fähigkeit zum ope-rativen Feuer ohne Vorbereitung in einerAufwuchsphase erscheint fraglich: DieAusbildung des Profikerns und der Miliz-komponente wird viel Zeit beanspruchen,einzelne Elemente werden mindestens in

Aufgabe

Wahrung der Luft-

hoheit / Kontrolle

des Luftraums

Aufwuchskern

operatives Feuer

Aufwuchskern

Luftaufklärung

Luftmobilität

Systemtyp

F-5E

F/A-18C/D / NKF*

F/A-18C/D / NKF

F/A-18C/D / NKF

Drohne

Mittlerer Transportheli

(Super Puma/Cougar)

Kleines

Transportflugzeug

Anzahl Systeme

2004

54

33

4 Systeme

ADS-95

27

2015

44

11**

11**

4 (?)

Anz abzuklären

in Verbindung

mit bemannter

Luftaufklärung

27

2

* NKF = Neues Kampfflugzeug

** Sekundärrolle Wahrung der Lufthoheit / Kontrolle des Luftraums.

24Für einen Vergleich zu geplantem bodengestütz-tem operativem Feuer und den Gründen für den Ver-zicht auf seinen Einsatz im Zuge der NATO-Opera-tion im Kosovo s. Lambeth, 2001, 153.

Übersicht Hauptsysteme der Luftwaffe: Zusammenfassung des bisher Gesagten aufdie Hauptsysteme der Luftwaffe.

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www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php. Zugriff: 2003-08-08.Zakaria, F. (2003). The Future of Freedom, Illiberate Democracy at Home and Abroad. New York: Norton.

einer Anfangsphase nur im Ausland ausge-bildet werden können. Ob dies in einerheissen Aufwuchsphase im Zuge einerKrise in Europa noch möglich sein wird,erscheint zumindest unsicher.

Die Schweizer Armee verfügt heuteüber kein boden- oder luftgestütztes opera-tives Feuer. Die Entwicklung dieser Fähig-keit sollte nach Ansicht des Autors prioritärneben der Aufklärungsfähigkeit in dieHand genommen werden.Aufklärung undoperatives Feuer bedingen sich gegenseitigbis zu einem gewissen Grad.

Schlussfolgerung –Luftmacht bleibt das Mittelder politischen Wahl

Mit der hier vorgeschlagenen Ausgestal-tung des Systems Luftwaffe wird ein realis-tischer Beitrag an die nationalen Sicher-heitsinteressen der Schweiz angestrebt.Gleichzeitig erhöht die systematische Aus-gestaltung der operationellen Fähigkeitendie Entscheidungs- und Handlungsfreiheitder politischen Entscheidungsträger fürden Einsatz der Streitkräfte in neuenAnwendungsfeldern. Die Schaffung vonHandlungs- und Entscheidungsfreiheit istgerade in Zeiten unklarer Bedrohung undRisiken eine wichtige Aufgabe der Streit-kräfte.

Luftmacht ist und bliebt das Mittel derpolitischen Wahl in den Einsätzen seit demEnde des Kalten Krieges vor bald 15 Jah-ren. Die Schweiz sollte sich diesem allge-meinen Trend nicht verschliessen und denpotenziell mächtigsten Teil des Instrumen-tariums ihrer Sicherheitspolitik klug undan das heutige strategische Umfeld ange-passt weiterentwickeln. Das vorliegendePapier versucht hierzu ein Raster zu ent-wickeln. Die hier begonnene Argumenta-tion sollte laufend weitergeführt, qualitativverbessert und an das sich ändernde strate-gische Umfeld angepasst werden. Sie kanndamit eine in der Organisation abgestützteGrundlage für die Entwicklung der Luft-waffe in den nächsten 15 Jahren bilden.

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Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 29

Anhang: Berechnung der KampfflugzeugflottengrösseDie Fähigkeit zur Wahrung und nöti-

genfalls Durchsetzung der Hoheit imschweizerischen Luftraum ist der aus-schlaggebende Faktor für die Anzahlbenötigter Kampfflugzeuge.Zur Illustra-tion und Herleitung mag folgendeRechnung dienen:

Wir nehmen an, dass die Schweizihren Luftraum mit fliegenden Verbän-den während vier Wochen Tag undNacht bei jedem Wetter kontrollierenwill.Hierzu ist eine Doppelpatrouille mittotal vier Kampfflugzeugen (zwei Pat-rouillen à je zwei Flugzeuge) ständigeinsatzbereit in der Luft.

Der Bedarf an dauernder Wahrung derLufthoheit mittels Luftpolizeidienst istnicht unrealistisch. Als Beispiel mag dasVorgehen der Terroristen vom 11. Sep-tember 2001 dienen.Bevor ein Verkehrs-flugzeug mit hunderten von Passagierenan Bord abgeschossen wird, ist eine klareIdentifikation nötig. Beim Abfangenmüssen alle Eskalationsstufen sorgfältigdurchlaufen werden, von der Aufforde-rung zur Landung bis zu Warnschüssen.Der endgültige Abschussbefehl dürfte ineinem solchen Fall von unseren höchstenpolitischen Behörden kommen.Entspre-chende Information des Landes, aus demdie Maschine stammt, ist unter Umstän-den nötig. Diese Massnahmen und Ent-scheide benötigen Zeit und Sorgfalt. EinVerkehrsflugzeug überquert die Schweizvon Nord nach Süd in weniger als zehnMinuten. Damit wird klar, dass einAlarmstart ab Boden in einem solchenSzenario nicht in Frage kommt.

Der Bundesrat ist zu ähnlichenSchlüssen gekommen und hat am 24. Ju-ni 2002 UVEK und VBS beauftragt, dienötigen Abklärungen für die allfälligeEinrichtung einer permanenten Luft-raumüberwachung und zur Definitionvon Interventionsmitteln bei Luftraum-verletzungen an die Hand zu nehmen.

Bei einer Bedrohung im Falle derRaumsicherung, eines damit einher ge-henden Aufwuchses und in der Verteidi-gung ist eine solche dauernde autonomeWahrung der Lufthoheit ein sichtbaresSignal eidgenössischer Entschlossenheitund Fähigkeit.

Die vier Wochen sind in unserem Re-chenbeispiel nicht per Zufall gewähltworden. Sie sind ein Zeitraum, nachdemsich die Abläufe und Wartungszyklen zuwiederholen beginnen (z.B. grosse War-tungsperiode alle 100 Std). Damit kanneffektiv mit diesem Modell der schwei-zerische Luftraum permanent mittelsfliegenden Verbänden gesichert werden.

Wenn wir den konkreten Einsatz derFlugzeuge analysieren,ergibt sich folgendesMengengerüst. Die Flugzeuge müssen denPatrouillenraum zur Landung verlassen,wenn ihr Flugpetrol nicht mehr zu einemluftpolizeilichen Eingriff ausreicht. Bei derF/A-18 setzt sich ein solcher Einsatz zu-sammen aus 15 Minuten Start und Bezugdes Patrouillenraumes, 60 Minuten Warte-schlaufen im Patrouillenraum und schliess-lich 15 Minuten Rückflug und Landung.Nutzbare Einsatzzeit ist damit 60 Minuten,Gesamtflugzeit 90 Minuten. Nach 60Minuten Warteschlaufen ist der Punkt er-reicht, an dem nicht mehr ein voller Ein-griff mit den erwähnten Eskalationsstufengeflogen werden kann.

Eine Doppelpatrouille mit vier Flugzeu-gen gleichzeitig in der Luft stellen sicher,dass● das Abfangverfahren gemäss ICAO vor-

schriftsgemäss mit zwei Flugzeugenkorrekt durchgeführt werden kann,

● eine vernünftige Abdeckung des schwei-zerischen Luftraums erreicht werdenkann,

● in den Wachablösungen mindestens einePatrouille ständig eingreifbereit ist,

● bei technischen Problemen einer Ma-schine ebenfalls eine Patrouille einsatz-fähig bleibt (der Flügelmann der Prob-lemmaschine begleitet diese zur Lan-dung, kontrolliert ihren Zustand optischund sichert sie ab),

● beim Einflug eines Zieles und der Reak-tion einer Patrouille der Luftraum nichtschutzlos für ein zweites einfliegendesZiel offen steht und

● dass die zweite Patrouille gegebenenfallsder ersten zu Hilfe eilen kann.

Mit den oben genannten Eckdatenmüsste unsere Kampfflugzeugflotte proTag 96 Flüge à 90 Minuten durchführen(24 h / 1 h Verweildauer * 4 Flz = 96Flüge). Auf vier Wochen, d.h. 28 Tagehochgerechnet, ergibt dies 2688 Flüge à90 Minuten, also insgesamt 4032 Flug-stunden auf der ganzen Flotte.Wie obenerwähnt, beginnen sich nach 100 Stun-den die Wartungszyklen und damit auchdie Bindung von Maschinen im War-tungsdepot zu wiederholen. In Krisen-zeiten ist es denkbar, dass der Bedarf anLuftaufklärungseinsätzen markant an-steigt, zudem muss u.U. ein Trainingsbe-trieb zwecks Aufwuchses sichergestelltwerden.Wir haben für diese Tätigkeiten20 Flugstunden reserviert.Damit bleiben80 Flugstunden pro Monat und Zelle fürden reinen Luftpolizeidienst zur Wah-rung der Hoheit im schweizerischenLuftraum übrig. Dies entspricht 50 ein-satzbereiten Flugzeugen (ergibt exaktgerechnet 80,6 Flugstunden pro Zelle).Dies ist ohne technische Probleme ver-kraftbar.

Pro einsatzbereitem Flugzeug mussaus aktueller und historischer, schweize-rischer und internationaler Erfahrungmit ca. 1,4 beschafften Flugzeugen ge-rechnet werden (die 0,4 Flugzeuge sindin Kontrollen im Herstellerwerk,Nachrüstungen, technischen Änderun-gen, Aufrüstungen und schliesslich Un-fällen gebunden). Dieser Faktor liegtauch dem Betrieb der 33 F/A-18 mit 3Staffeln à je 8 Maschinen Soll-Bestandzugrunde.

Obige Rechnung ergibt einen Ge-samtbedarf an ca. 70 Flugzeugen (50 *1,4 = 70). Mit der Grösse 8 Einsatzflug-

Luftverteidigung

• 6 St / 66 Flz

• 1 St / 11 Flz*

Luftangriff

• 1 St / 11 Flz*

Ableitung Bedarf NKF

• Vollkompetenz

Luftpolizeidienst

• Aufwuchskern /Vollkompetenz

• Erhaltung Aufwuchs-

fähigkeit (Flz / Pil)**

• Gesamtbedarf

Kampfflugzeugflotte

• ./. Ist-Bestand F-18

• Gesamtbedarf NKF

Luftaufklärung

• 1 St / 11 Flz*

• ca. 66 Flz / ca. 90 Pil**

• 6 St / 66 Flz

• ./. 3 St / 33 Flz

• 3 St / 33 NKF

** Flz = Flugzeug; Pil = Piloten* 8 Einsatzflz + 3 Reserveflz = 11 Flz Gesamtbedarf

Herleitung der Grösse der Kampfflugzeugflotte der Luftwaffe.

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Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin30

zeuge und 3 Reserve pro Staffel ergibtsich eine Zahl von 6 Staffeln mit 48 Ein-satzflugzeugen und total 66 beschafftenMaschinen (F/A-18C/D und NeuesKampfflugzeug, im Folgenden abgekürztNKF).

Die Grafik auf Seite 29 fasst die Her-leitung der Grösse der Kampfflugzeug-

flotte zusammen. Die angesprochenen 66Flugzeuge sind eine seriöse Ausgangsbasisfür einen Aufwuchs und stellen die Voll-kompetenz zur Wahrung der Lufthoheit imFrieden – in einer Existenzsicherungsope-ration – und gegebenenfalls in der Vorphaseeiner Bedrohung – in einer Raumsiche-rungsoperation – sicher.

Bei der Darstellung auf Seite 29 sindzwei Dinge zu beachten:● Eine Staffel ist die kleinste Einheit, die

einen Aufwuchskern dauerhaft auf-rechterhalten kann. Sie besitzt einepermanente Infrastruktur, kann Kon-takte zu internationalen Benutzernund Experten in ihrem Aufwuchsfeldabdecken, an Trainings teilnehmenund das Knowledge Management derLuftwaffe in ihrem Aufwuchsfeldsicherstellen. Ihre Kernkompetenzkann in Übungen auf Stufe Armeeund Luftwaffe in die Planungs- undFührungsabläufe eingebunden wer-den, die Staffel stellt sicher, dass dieValidierung der Planung in den realenAbläufen geschieht.

● Die Fähigkeit zur Wahrung der Luft-hoheit und die Erhaltung des Auf-wuchskerns setzen eine Grundbasis anPiloten voraus. Diese erscheinen inder obigen Abbildung in der Zeile«Erhaltung der Aufwuchsfähigkeit»neben der Anzahl Kampfflugzeuge.

Die links stehende Abbildung fasstfür die Startkonfiguration der ArmeeXXI die Fähigkeit der fliegendenLuftverteidigungskomponente zusam-men und vergleicht sie mit der Fähigkeitder bodengestützten Luftverteidigung(BODLUV).

26CAP=Combat Air Patrol27BODLUV=Bodengestützte Luftverteidigung ●

Leistungsfähigkeit der LUV- und BODLUV-Verbände der LW XXI im Jahr 2004.

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G E S C H I C H T E

Der folgende Artikel betrachtet den Beitrag von Luftmacht in der alli-ierten Invasion in der Normandie 1944. Dabei interpretiert Peter «Pit»Bruns die Entwicklung der Strategie für OVERLORD mit den teilweisebitteren Diskussionen auf alliierter Seite als eigentlichen Erfolgsfaktorund Stärke der offenen Gesellschaften gegenüber totalitären Regimen.Er leitet auf operativer und taktischer Ebene die Beiträge der alliiertenLuftstreitkräfte ab und diskutiert, welche für OVERLORD entscheiden-den Vorteile die alliierte Luftherrschaft im Westen für die Alliiertenhatte.

Dieser Artikel entstand aus einer Präsentation im Rahmen des SeminarsLuftmacht im Generalstabslehrgang II-2003.

Peter Bruns*

Vorgeschichte

Die Landung der alliierten Streitkräfteam 6. Juni 1944 in der Normandie setzteeinen der entscheidenden Meilensteinezum Sieg der Alliierten in Europa. DieInvasion besiegelte die Niederlage desDeutschen Reichs im Westen. Die grössteamphibische Operation der Geschichte,Codename OVERLORD, sah an ihremersten Tag die Landung von sechs Divisio-nen auf dem Seeweg und drei Divisionenauf dem Luftweg vor.

Der Weg zu OVERLORD war jedochsteinig und geprägt von vielen Auseinan-dersetzungen unter den Alliierten. Mit denlimitierten Kräften Grossbritanniens schienein Frontalangriff über den Kanal aus-sichtslos. Erst mit der deutschen Kriegs-erklärung an die Vereinigten Staaten nachdem Angriff auf Pearl Harbor kam dieseOption ernsthaft in die Langfristplanung.In den Verhandlungen mit seinen Alliier-ten, den USA und Russland, zog Churchilleine indirekte Strategie vor. Diese kombi-nierte auf militärstrategischer Ebene einindirektes Vorgehen zu Lande über denMittelmeerraum mit der strategischenBomberoffensive des britischen BomberCommand und der amerikanischen 8th AirForce in der Luft sowie der Wirtschafts-blockade des Reichs zur See.

In der Erfahrung der Briten hat derÄrmelkanal seit der Landung von Wilhelmdem Eroberer 1066 alle Invasionsversuchevom Kontinent aus abgehalten, nicht zu-letzt auch die halbherzige Vorbereitungeiner Invasion durch die Deutschen imJahre 1940. Die Invasion Nordfrankreichsbedeutete an einer Küste zu landen,welchedie Deutschen seit vier Jahren besetzt hiel-ten und an der sie genügend Zeit gehabthatten, mächtige Küstenverteidigungsan-

Wehrmacht im Osten aufrecht erhaltenwerden, um zu verhindern, dass die Deut-schen starke Kräfte von der Ostfront gegendie frisch gelandeten, anfangs schwachenalliierten Kräfte in Nordfrankreich zumEinsatz bringen konnten. Zweitens musstedie Schlacht im Atlantik gegen die U-Boo-te der Kriegsmarine gewonnen werden,um mittels Kontrolle des Seeraums dieVer-legung der für OVERLORD notwendi-gen immensen Menge an Truppen undMaterial unbehelligt von Amerika nachGrossbritannien und von dort an die fran-zösische Ärmelkanalküste bewerkstelligenzu können. Drittens musste der Luftwaffedas Rückgrat gebrochen werden,damit dieRoyal Air Force und die US Army Air For-ce über dem Invasionsgebiet im Minimumdie örtliche Luftüberlegenheit, im Idealfalldie Luftherrschaft besassen, um so ein rele-vantes Eingreifen der Luftwaffe verhindernzu können.

Alle drei Bedingungen wurden bis zumFrühjahr 1944 erfüllt: Erstens war dieWehrmacht im Osten 1944 nur noch zupunktuellen Offensiven fähig; die grösste

Panzerschlacht aller Zeiten im KurskerBogen vernichtete den Kern der deutschenPanzerwaffe, worauf die Wehrmacht imOsten endgültig in die Defensive gedrängtwurde.Zweitens wurde im Laufe des Jahres1943 die Schlacht im Atlantik durch dieEinführung neuer Ortungstechnologie inVerbindung mit Langstreckenpatrouillen-bombern gegen die deutsche U-Boot-Waffe gewonnen (Privateer auf Basis desB-24 Liberator). Drittens schliesslich wur-de im Frühjahr 1944 die deutsche Jagdwaf-fe über dem Reich durch die am Tag ope-rierenden Bomber der 8th Air Force zumKampf gezwungen. Die in grosser Zahlneu eingeführten Langstreckenbegleitjägervom Typ P-51 Mustang dezimierten diedeutschen Jäger und schufen so die Grund-lage für die Luftherrschaft über weitenTeilen Nordfrankreichs. Verbunden mitdem Niedergang der Tagjagd begannendie strategischen Bombardierungen desEisenbahntransportsystems und der Erd-ölförderung und -raffinierung spürbareEffekte in der Industrie und an der Frontzu zeitigen.

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 31

Operation «OVERLORD» – aus der Perspektive Luftmacht

lagen anzubringen. Die Deutschen ver-fügten an der Westfront, verteilt auf eineKüstenlänge von 5000 km, über 58 Divi-sionen, darunter zehn Panzerdivisionen.

DieVereinigten Staaten standen der Ideeeiner Invasion von Anfang an aufgeschlos-sener gegenüber. Ihre Auffassung vonStrategie war eine viel direktere. Ganz imSinne von Clausewitz sahen sie das gegne-rische Zentrum der Kraftentfaltung in derHauptstreitmacht des Gegners, welche eszu vernichten galt. So schrieb der damaligeChef der Operationsabteilung im General-stab des amerikanischen Heeres, Brigade-general Dwight D. Eisenhower, bereits imJanuar 1942 in sein Tagebuch, dass einLandangriff in Europa so früh wie möglichdurchzuführen sei. Für das Jahr 1942 lehn-ten die Briten jede Invasion auf demeuropäischen Festland jedoch ab. Im Jahre1943 war ihr äusserstes Eingeständnis,einen Plan für die Invasion zu entwerfen.Die dritte wichtige Macht in diesem Zu-sammenhang waren die Sowjets.Sie dräng-ten die Westmächte bereits früh, eine zwei-te Front im Westen zu eröffnen, um dieRote Armee an der Ostfront zu entlastenund die Sowjetunion von einem Teil ihrerenormen Kriegsanstrengungen zu be-freien. Nachdem es dem amerikanischenPräsidenten Roosevelt lange Zeit nichtgelang, den britischen PremierministerChurchill von den Plänen einer Invasion inNordfrankreich zu überzeugen, kam dieWende erst an der Konferenz von Teheranam 28. November 1943. Erst auf dengemeinsamen sowjetisch-amerikanischenDruck hin erklärte sich Churchill wider-willig bereit, die Invasion in der Norman-die zum Hauptteil der Operationen imJahre 1944 zu machen.

Strategische Ebene

Auf strategischer Ebene mussten dreiBedingungen erfüllt sein,damit die Opera-tion OVERLORD Aussicht auf Erfolghatte. Erstens musste der Druck auf die

... musste der Luftwaffe dasRückgrat gebrochen werden,

damit die Royal Air Forceund die US Army Air Forceüber dem Invasionsgebiet

die örtliche Luftüberlegenheitbesassen.

*Peter Bruns, Major im Generalstab, Berufs-militärpilot auf F/A-18, 8600 Dübendorf.

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Operative Ebene

Directive to Supreme Commander,Allied Expeditionary Force – Dwight D.Eisenhower:

«You will enter the Continent of Euro-pe and, in conjunction with other unitedNations, undertake operations aimed atthe heart of Germany and the destructionof her armed forces.The date for enteringthe Continent is the month of May,1944.After adequate channel ports have beensecured, exploitation will be directed to-wards securing an area that will facilitateboth ground and air operations againstthe enemy.»

Auf operativer Ebene waren ebenfallsdrei Bedingungen für den Erfolg notwen-dig. Erstens musste der logistische Bedarfder gelandeten Kräfte bis zur Einnahmeund allfälligen Instandsetzung eines grösse-ren Hafens über die Landezonen sicher-gestellt sein. Zweitens musste das He-ranführen deutscher operativer Reserven,insbesondere der weiter im Hinterlandliegenden Panzerdivisionen, an die Frontverhindert werden. Drittens waren Ortund Zeitpunkt der Invasion so gut wiemöglich zu verschleiern.

Das logistische Problem war immens.Nahezu 7000 Schiffe mussten mit Truppenund Material beladen werden, koordiniertden Kanal überqueren und ihre Last aneiner vom Gegner verteidigten Küsteanlanden. Um nicht von Beginn der Inva-sion an auf einen funktionierenden Hafenangewiesen zu sein, kamen die Alliiertenauf die originelle Idee, ihre Häfen, so ge-nannte Mulberries, selbst mitzunehmen.Dafür war es notwendig, innert kürzesterZeit 1,5 Millionen Tonnen Material ausüber 400000 Einzelteilen vor der Inva-sionsküste zusammenzubauen. Schlussend-lich war zwar nur einer dieser Häfen vollfunktionsfähig, doch reichte er aus, um dengesamten notwendigen Nachschub fürdie alliierten Truppen zu Beginn vonOVERLORD sicherzustellen.

Auf deutscher Seite war man sich uneinsüber die Strategie, mit der man der Inva-sion begegnen sollte. Generalfeldmarschallvon Rundstedt, der Oberbefehlshaber derDeutschen im Westen, wollte die Invasionsich konsolidieren lassen, um sie nachfol-gend mit einem massiven Gegenangriffmechanisierter Kräfte zu zerschlagen. Er-win Rommel, der die Truppen an derKanalküste befehligte, wollte die Invasionin ihrer Landephase ins Meer zurückwer-fen, solange die Kräfte ohne schweres Ma-terial noch schwach und verletzlich waren.Er ging (aus heutiger Sicht richtigerweise)davon aus, dass ein massiver mechanisierterGegenangriff angesichts der alliiertenLuftüberlegenheit ohnehin zum Scheiternverurteilt wäre und so nicht wirklich in

wollen, aus heutiger Sicht unglaublich.Um das für die Operation so entscheiden-de Überraschungsmoment sicherzustellen,wurde OVERLORD von einem in derKriegsgeschichte wohl einmaligen strategi-schen Täuschungsmanöver begleitet. DerAuftrag dazu war dreigeteilt und lautete:● die deutsche Führung veranlassen zu

glauben, dass der Hauptangriff in derGegend des Pas de Calais oder östlichdavon stattfinden wird und den Gegnerdadurch dazu zu bringen, die Stärke desHeeres und der Luftwaffe in jener Ge-gend zu halten und auf Kosten andererRegionen, insbesondere in der Nor-mandie, zu erhöhen

● den Gegner über Datum und Zeit desAngriffs im Dunkeln zu lassen

● während und nach dem Hauptangriff soviele deutsche Kräfte wie möglich fürmindestens 14 Tage im Pas de Calais zubinden.

Der betriebene Aufwand zur Erfüllungdieses Auftrags zur Absicherung der Inva-sion war enorm. Hilfreich dabei war, dassdie Alliierten die Informationsüberlegen-heit besassen. Die Luftwaffe konnte 1944keine systematische und regelmässigeBildaufklärung mehr über den britischenInseln betreiben. Das deutsche Agenten-netz war vollständig enttarnt worden, unddie Alliierten hatten viele Agenten umge-dreht. Diese lieferten nun Falschmeldun-gen gemäss einem genauen Drehbuch, dasauch mit korrekten Informationen durch-setzt war, welche die Deutschen mittelsanderer Quellen verifizieren konnten.

Damit wurde die Glaubwürdigkeit desTrugbilds erhalten, das die Existenz einerimaginären Armee, der First United StatesArmy Group (FUSAG), vortäuschte. Umdiese Fiktion zu stützen, wurden in Süd-ostengland, gegenüber dem Pas de Calais,unter anderem mit Attrappen, fiktivemFunkverkehr und Flugbewegungen, kom-biniert mit dem Abwurf von WINDOW(Radarecho erzeugende Aluminiumstrei-fen,Chaff) sowie dem als aggressiven Heer-führer in Afrika berühmt gewordenen Ge-neral Patton als fiktivem Oberbefehlshaberder Glaube erweckt, dass die Alliierten aufden Pas de Calais zielten.

Nahezu zwei Drittel der Luftangriffe derRoyal Air Force und der US 8th und 9th AirForce erfolgten in der Region Calais. Diessollte einerseits die Täuschung komplettie-ren, hatte aber andererseits den Effekt, dassdie Verbindungen in die Normandie eben-falls gekappt wurden. Der Aufwand lohntesich: Hitler akzeptierte erst am 7. August,also gut zwei Monate nach Beginn der In-vasion, dass es die FUSAG nicht gab unddass kein Angriff in Calais erfolgen würde.Die darauf ausgelöste Verschiebung der 15.Armee von Calais Richtung Normandiekam zu spät.

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin32

Frage käme. Er wollte der Invasion mittelsstatischer Verteidigung beikommen, derenoperatives Zentrum der Kraftentfaltungnicht ihre Bewegungsfähigkeit war, son-dern die eigentlich gar kein solches Zent-rum auf operativer Stufe hatte. Der effek-tive Plan war schliesslich eine Mischungaus beiden Strategien (und damit eine Ver-zettelung der 1944 immer knapper gewor-denen Ressourcen). Starke Verteidigungvorne, kombiniert mit dem Verbot desRückzugs und dem zentralen Einsatz derReserven durch Hitler, welcher im fernenBerchtesgaden glaubte, das Gefecht lenkenzu können.

Als die ersten Meldungen der Invasionam 6. Juni um 04.00 Uhr im Führerhaupt-quartier eintrafen, hatte niemand den Mut,Hitler zu wecken.Es dauerte schliesslich bisnachmittags um 16.00 Uhr, bis Reservenzur Bekämpfung des Brückenkopfs ein-gesetzt werden durften.

Um einiges entscheidender jedoch warder Umstand,dass das Schienennetz Frank-reichs in den drei Monaten vor der Inva-sion systematisch zerstört worden war.Damit war der Nachschub der deutschenReserven über weite Strecken wirkungs-voll unterbunden worden. Der Nachschubmusste unter Verwendung der spärlichenBenzin- und Dieselreserven auf die Strasseausweichen. Der Treibstoff fehlte in derFolge für die Bewegung im Gefecht. DieStrassen waren unter alliierter Luftherr-schaft und den Tausenden von tief fliegen-den Jagdbombern der Alliierten tagsüberfaktisch nicht passierbar.

«Information Operation»OVERLORD

«In wartime, truth is so precious that itshould always be attended by a bodyguardof lies.» Churchill

Damit die Invasion Aussicht auf Erfolgversprach,war es von überragender Bedeu-tung, dass die Deutschen weder Ort nochZeitpunkt der Landung auf dem europä-ischen Festland kannten. Dennoch scheintdie Vorstellung, eine Operation mit zweiMillionen Soldaten, 4000 Schiffen und12000 Flugzeugen während eines Zeit-raums von sechs Monaten verschleiern zu

Rommel ging davon aus,dass ein massiver mechanisierter

Gegenangriff angesichtsder alliierten Luftüberlegenheitzum Scheitern verurteilt wäre.

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«OK, let’s go.»

Mit diesen Worten löste Eisenhower am5. Juni 1944 um 3.30 Uhr OVERLORDaus. Stürmische See und heftiger Regenhätten die Aktion nach monatelangerVorbereitung beinahe noch im letztenMoment verzögert. Die erste Aufgabe fürdie Royal Air Force und die US Army AirForce war es, die schweren deutschenGeschütze an der Küste anzugreifen undzu zerstören.1136 schwere Bomber warfeninsgesamt mehr als 5000 Tonnen Bomben

auf die zehn gefährlichsten Geschützstel-lungen ab. Die zweite Welle erfolgte mitmittleren Bombern, die im Tiefangriffdeutsche Stellungen bekämpften.Währendder Landung der alliierten Truppen leiste-ten mittlere Bomber und Jagdbomberkonstante Luftnahunterstützung und hal-fen so den Brückenkopf zu sichern.

Insgesamt flogen die Alliierten an diesemersten Tag der Invasion 14000 Einsätzezugunsten von OVERLORD.Sie verloren127 Flugzeuge, was einer Verlustrate von0,9% entspricht. Die Luftwaffe flog weni-ger als 100 Einsätze und verlor in der Folge39 Maschinen in der Luft (Verlustrate von40%!).Die Alliierten besassen die Luftherr-schaft über ganz Nordfrankreich.Am Endedes ersten Tags hatten die Briten 75000Soldaten angelandet,die USA 57000.Hin-zu kamen 23000 luftgelandete Truppen.Dies zeigt die gewaltige Leistung der alli-ierten Lufttransportverbände.

Bis zum 31. Juli 1944 waren die Deut-schen durch zähe Verteidigung imstande,einen alliierten Ausbruch aus der Norman-die zu verhindern. Als dann der Durch-bruch im Westen der Normandie schliess-lich gelang, brach der deutsche Widerstandkomplett zusammen. Dies war eine direkteFolge von Hitlers «kein Rückzug»-Befehl.Als die Verteidigung an der Front zusam-mengebrochen war, standen im Hinterlandkeine Truppen mehr zur Verfügung; eineVerzögerung war nicht mehr möglich.

Der entscheidende Faktor Luftmacht

Die alliierte Führung war sich lange Zeituneins, wie ihre Luftstreitkräfte am besteneinzusetzen seien. Es gab keine übergeord-

die militärische Führung angegriffen, abermit den damaligen technischen Mittelnwar es nicht möglich mit Aussicht aufErfolg, direkt auf den innersten Kreis, dieFührung des Reichs, zu zielen. Wie dieEntwicklungen der unmittelbaren Nach-kriegszeit zeigen, wäre bei einem Aus-schalten Hitlers wahrscheinlich das ganzeRegime in sich zusammengebrochen.

Hätten die alliierten Luftstreitkräfte nurfür strategische Angriffe eingesetzt werdendürfen? Die auf tageszeit- und wetterun-abhängiger Präzisionsnavigation, verbun-den mit der Fähigkeit zum Einsatz von prä-zisionsgelenkter Munition zur genauenZerstörung von Punktzielen, basierendeFähigkeit zur schnellen Lahmlegung einesGegners aus der Luft bestand im Jahre 1944nicht. Der Zweite Weltkrieg kennzeichne-te sich auf strategischer Ebene immer nochdurch gigantische Abnützungsschlachten,sei es auf See (Schlacht im Atlantik), anLand (Ostfront, in begrenztem MasseNordafrika, Italien) oder in der Luft (Luft-schlacht um England, Bomberoffensivegegen das Reich).

OVERLORD war eine Operation vonstrategischer Bedeutung. Der Erfolg konn-te nur durch einen konzertierten Kräfte-

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin 33

nete, in sich kohärente Strategie. Obwohlsich alle über das zu erreichende Ziel einigwaren,nämlich die bedingungslose Kapitu-lation der Achsenmächte,wurde kontroversdiskutiert, wie dies zu erreichen sei. DieUS-Armee und die britische Armee warender Überzeugung, dass der Kampf amBoden das entscheidende Element sei, undfavorisierten deshalb den Einsatz von Luft-streitkräften möglichst direkt auf den an derFront kämpfenden Gegner. Die Air-Force-Führer hofften, einen raschen Erfolg derBomberoffensive mittels direktem Angriffauf die deutschen strategischen Zentrender Kraftentfaltung erzielen zu können.

Interpretiert man die Zielauswahl (Tar-geting) auf strategischer und operativerEbene vor und während OVERLORDauf der Grundlage des Sechs-Ringe-Modells von Warden (1988 weiterent-wickelt in US Air Force, 2001), so erkenntman, dass mit den strategischen Bombar-dierungen die Transformation und dieRessourcen des Gegners angegriffen wur-den. Durch Luftabriegelung wurde dasTransportsystem angegriffen. Luftnahun-terstützung während der Invasion war aufdie Truppen im Feld gerichtet.Auf opera-tiver Stufe wurde in Nordfrankreich auch

Die Alliierten verloren127 Flugzeuge, was einer

Verlustrate von 0,9% entspricht.Die Luftwaffe flog weniger als

100 Einsätze und verlor 39 Maschinen(Verlustrate von 40%!).

«Fliegende Artille-rie» ist entschei-dend, wenn dieangelandeten Kräf-te noch über keineschweren Waffenverfügen.

Bild: Archiv

Verbindungen

Truppen im Feld

Ressourcen

Transport

Transformation

Führung

Verbindungen● Wie System Aussenwelt beeinflusst bzw. von Aus-

senwelt beeinflusst wird (Verträge, Importe, Ex-porte, Immigration usw.)

Truppen im Feld● Truppen im Feld, Taktiken, Ausrüstung, Ausbil-

dungsstand, Nachschub usw.

Ressourcen● Ressourcen, die von den anderen Ringen des Sys-

tems verwendet werden (z.B. Bevölkerung, Roh-stoffe usw.)

Transport● Transport von Ressourcen, Produkten und In-

formationen (Bahn, Strasse, Lufttransport, Schiffe,Datenleitungen)

Transformation● Anlagen und Prozesse, die Ressourcen in höher-

wertige Ressourcen und Endprodukte verarbeiten,die für das Gesamtsystem wertvoll sind

Führung● Entscheidungsprozess (Boyd’s Observe-Orientate-

Decide-Act OODA Zyklus) inkl. Führungspersonen,Sensorik und Analyse, Doktrin und Strategie

Quelle: Warden (1988). The Air Campaign und USAF(2000), Air Force Doctrine Document 2-1.

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ansatz aller Teilstreitkräfte (joint) errungenwerden.Es brauchte die Luftstreitkräfte,umden Gegner aufzuklären, vorgängig zuschwächen und in seiner Mobilität einzu-schränken. Es brauchte die Seestreitkräftefür die Logistik und die Unterstützungdurch schwere Schiffsartillerie bei der Lan-dung an der Küste. Und es brauchte dieLandstreitkräfte,um Frankreich zu befreienund das Reichsgebiet zu besetzen.Ausser-dem war für dieses gigantische Unterfan-gen die wirtschaftliche und militärischeKraft zweier Nationen notwendig (mitdem indirekten Beitrag der Sowjetunionals dritte Nation).

Kontrolle des LuftraumsDabei geht es um das Erringen der Luft-

herrschaft im Sinne einer Kontrolle überden Luftraum in einem solchen Ausmass,dass es den gegnerischen Luftstreitkräftenverunmöglicht, auf die eigenen Aktioneneffektiv einzuwirken. Dies war ein wesent-licher Faktor für das Gelingen vonOVERLORD. Die Alliierten hätten ohneLuftherrschaft kaum einen Brückenkopfauf dem Kontinent bilden können.

Zum Zeitpunkt der Invasion war dieLuftherrschaft der Alliierten erdrückend.Während die Westmächte in der Lage wa-ren, eine Armada von 12000 Flugzeugen,

darunter 5600 Jäger, in die Schlacht zuwerfen, verfügte die deutsche Seite inNordfrankreich gerade einmal über 170einsatzfähige Flugzeuge, welche die Inva-sion nicht zu beeinträchtigen vermochten.

Das Erringen der Luftherrschaft war einlangwieriger und verlustreicher Kampf.Erzielt wurde sie durch eine Kombinationvon verschiedenen Schlägen.● Einmal wurden die Flugzeugindustrie

und ihre Hauptzulieferer direkt ange-griffen

schussraten und einer Erhöhung der ei-genen Verluste im Luftkampf zu Un-gunsten der deutschen Piloten.

Gleichzeitig wurden der neue amerika-nische Langstreckenjäger P-51 Mustangund billige abwerfbare Zusatztanks für denGrossteil der alliierten Jäger an die Truppeausgeliefert. Damit konnten die Lang-streckenbomber neu während ihrer ganzenMission über dem Reich mit Geleitschutzversehen werden.

Nicht zuletzt bewirkte auf der operati-ven Ebene der Kriegführung die systemati-sche und gut orchestrierte Zerstörung derdeutschen Flugplätze nahe der Kanalküsteein weiteres Absinken der deutschenFähigkeit, gegen OVERLORD aus der

Luft etwas bewirken zu können. Diese sys-tematische und dauerhafte Zerstörungwurde erleichtert durch die Informations-überlegenheit der Westmächte. Aufklärerkonnten mittlerweile in grossen und mitt-leren Höhen praktisch frei über Nord-frankreich Aufklärung betreiben.

Luftherrschaft ist nicht Selbstzweck,sondern die Grundbedingung für den Ein-satz der anderen Luftmachtfunktionen.Einmal erkämpft, muss sie ausgenutzt wer-den, um Wirkung beim Gegner auf strate-gischer und auf operativer Ebene zu erzie-len. Dazu dienen die Funktionen Luft-operationen zwecks strategischen Effekts und

Air Power Revue der Luftwaffe Nr.1, Beilage zur ASMZ 10/2003 www.luftwaffe.ch/doktrin34

● Zudem wurde das Eisenbahntransport-system des Reichs systematisch lahm-gelegt. Dies hatte zwei Folgen:– erstens blieb Halbzeug auf seinem

Weg zur Endmontage in den Flug-zeug- und Panzerfabriken und denU-Boot-Werften im Eisenbahnsystemstecken;

– zweitens wurde die Lieferung vonKohle als hauptsächlichem Energie-träger der Industrie auf ihrem Weg ausden Zechen im Osten an Rhein undRuhr stark herabgesetzt und er-schwert.

● Der dritte Ansatzpunkt war der systema-tische Angriff auf die rumänischen Öl-felder und die Produktionsstätten vonsynthetischem Treibstoff im Reich. DieProduktionsausfälle an Treibstoff konn-ten eine Zeit lang mit Reserven ausge-glichen werden, schränkten aber z.B. dieAusbildungszeit der Piloten der Luft-waffe auf rund einen Drittel der Ausbil-dungszeit ihrer alliierten Gegner ein.Verbunden mit der sinkenden Qualitätder neu hergestellten Flugzeuge führtedies zu einer massiven Steigerung an Ver-lusten aus Unfällen sowie zu einer eben-so massiven Verschlechterung der Ab-

Die Alliierten hätten ohneLuftherrschaft kaum einen

Brückenkopf auf dem Kontinentbilden können.

Luftherrschaft ist nicht Selbstzweck,sondern die Grundbedingung

für den Einsatz deranderen Luftmachtfunktionen.

Offensive Counter-air: Die Vernich-tung der Luftwaffein Nordfrank-reich am Boden(He-111).

Bild: Archiv

StrategischeBomberoffensivegegen das Reich:Raffinerie HannoverMittellandkanal,Zustandim Mai 1945.

Bild: Archiv

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Counterland mit den Missionen Luftab-riegelung (Air Interdiction) und Luft-nahunterstützung (Close Air Support).

Luftoperationen zwecksstrategischen Effekts

Was war das Hauptziel strategischerBombardierungen? Die deutsche Luftwaffehatte nach dem Tode General Wevers 1936die Entwicklung eines strategischenschweren Bombers aufgegeben. Sie ver-folgte auch aufgrund ihrer Erfahrungen imSpanischen Bürgerkrieg eine hohe Integ-ration mit dem Heer auf taktischer Stufe.Dazu wurden Sturzkampfbomber einge-setzt, die sich durch hohe Präzision aus-zeichneten. Die vor und im Krieg ent-wickelten mittleren Bomber waren kaumin der Lage, strategische Ziele im Hinter-land des Gegners anzugreifen (He-111,Do-17/217, Ju-88/188, He-177).

Die britische Royal Air Force und dieamerikanische US Army Air Force ent-wickelten beide vor dem Krieg eine strate-gische Bomberwaffe, die sie in den Jahren1942–44 im Kampfeinsatz zu hoher Kom-petenz weiterentwickelten. Aus der angel-sächsischen Sicht waren strategische Bom-bardierungen der Ansatz, neben dem indi-rekten Vorgehen im Mittelmeerraum, umdas Reich vor einer Invasion in Frankreichdirekt bekämpfen zu können.

In der Vorphase von OVERLORD fandein bitterer Streit um die Bomber statt. Ei-senhower wollte das britische BomberCommand und die 8th Air Force zur Vor-bereitung des Landegebiets auf operativerEbene eingesetzt haben. Der amerika-nische Kommandeur Spaatz und seinbritisches Gegenüber «Bomber» Harrisargumentierten, dass die strategische Bom-beroffensive gegen das Reich auf jeden Fallweitergehen müsse.

Eisenhower wollte von den strategischenBombern so viel Unterstützung fürOVERLORD wie möglich, vor allem fürdie Unterbrechung des Eisenbahnsystemsin Frankreich. Schlussendlich wurden diebeiden schweren Bomberflotten für beideZielkategorien eingesetzt. Dies stellte sichals komplementär heraus.Von Mai bis EndeAugust wurden mehr als 20000 TonnenBomben auf die deutsche Ölindustrie ab-geworfen. Im gleichen Zeitraum ging diedeutsche Produktion von synthetischemÖl von über 340000 Tonnen monatlich aufweniger als 40000 Tonnen zurück.

Eine andere wichtige Wirkung indirek-ter Art der andauernden Bombardierungenwar die Reallokation von Ressourcen, diedamit für die Front nicht mehr zur Ver-fügung standen. So stieg die Zahl derFlak-Batterien als Antwort auf die Bom-beroffensive auf deutscher Seite von 791 imJahre 1940 auf fast 10000 Ende 1943. Die-se benötigten zu ihrer Bedienung eine hal-be Million Mann. An anderer Stelle ein-

genügende Präzision jedoch mit geringemErfolg. Erst der Einsatz von Jagdbombernbrachte den Bahnverkehr im Hinterlandvon OVERLORD faktisch zum Erliegen.Die Jabos zerstörten im Tiefflug mit grosserPräzision innerhalb von drei Wochen mitnur 4400 Tonnen Bomben und ungelenk-ten Raketen beinahe alle Brücken undTunnels im Nordwesten Frankreichs.

Luftabriegelung schuf auf operativerStufe auch eine Versicherung für den Fall,dass die strategische Täuschung versagenwürde.Zudem verhinderte sie die taktischeMobilität der im Hinterland liegenden Di-visionen der Wehrmacht,weil sie ab der In-vasion tagsüber den Druck auf das Strassen-system aufrecht erhielt. Der intensive Ein-satz der Jabos verunmöglichte tagsübertaktische Bewegungen auf der Strasse. Da-durch wurde die Wahrscheinlichkeit vonTruppenverstärkungen und die Mobilitätder Deutschen entscheidend herabgesetzt.Luftabriegelung trug also wesentlich dazubei,den Kampfraum vorzubereiten und dasHeranführen von Reserven solange zuverzögern, bis die gelandeten Kräfte starkgenug für den Angriff waren.

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gesetzt, hätten diese Ressourcen den Kriegmit einiger Sicherheit verlängern können.

Luftabriegelung (Air Interdiction)In den letzten drei Monaten vor der In-

vasion konzentrierten sich die alliiertenLuftaktionen auf die Luftabriegelung (AirInterdiction). Die Wehrmacht basierte ihre

operative Mobilität in Frankreich zu einemgrossen Teil auf der Eisenbahn. Gegen denWiderstand des Bomberkommandos wur-den zuerst vor allem schwere Bomber fürdiese Kampagne eingesetzt. Sie warfenüber Frankreichs Eisenbahnsystem 72000Tonnen Bomben ab,bedingt durch die un-

Die Jabos zerstörten im Tiefflugmit grosser Präzision innerhalb

von drei Wochen mit nur 4400 TonnenBomben und ungelenkten Raketenbeinahe alle Brücken und Tunnels

im Nordwesten Frankreichs.

Klassische Luftabriegelung: Eisenbahnknotenpunkt Mont Secret. Bild: Archiv

Luftabriegelung:«Train Busting».

Bild: Archiv

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Luftnahunterstützung(Close Air Support)

Luftnahunterstützung (Close Air Sup-port) ist die direkte Unterstützung derBodentruppen durch Feuer aus der Luft.Luftnahunterstützung wird von den Bo-dentruppen am meisten favorisiert, weil siean der Front unmittelbar wahrnehmbareEffekte zeitigt, während sie von Luftstreit-kräften gern gemieden wird, da sie dieknappen Erdkampfflugzeuge einem sehrhohen Risiko aussetzt. Zudem ist dasWirken mit Feuer in Frontnähe nicht eineexklusive Domäne von Luftmacht; so kannbeispielsweise auch die Artillerie derartigeAufträge übernehmen. Im Falle vonOVERLORD, also einer Invasion auf demSeeweg an eine vom Gegner seit Jahrengehaltene und befestigte Küste, sprachenstarke Argumente für die Unterstützungder Bodentruppen durch Close Air Sup-

port, gerade zu Beginn, als die eigenenKräfte an der Küste noch schwach waren.

Die Alliierten verfügten vor allem an-fänglich über wenig schwere Waffen, insbe-sondere Artillerie. Die Jagdbomber derRoyal Air Force und der US Army AirForce vermochten jedoch jederzeit Feueran jeden gewünschten Ort zu bringen.DieLuftnahunterstützung erfolgte derart in-tensiv, dass ein deutscher Kommandantberechnete, dass etwa 50% seiner Verlustedurch Luftangriffe verursacht wurden.

Die Koordination des Feuers in Front-nähe ist besonders anspruchsvoll. DieWestalliierten lösten das Problem, indem inden vorderen Panzerformationen Pilotenmitfuhren, welche die eigenen Kräfte unddie deutschen Verteidiger für die Jabos

laufen, weil es zu einer Kombination deramerikanischen direkten Strategie mit derbritischen indirekten Strategie kam. DerErfolg ergab sich aus dem Mix von Strate-gien, welcher in einem rationalen Prozessder Diskussion zwischen den Westmächtenentstand. Die Kombination auf operativerStufe, d.h. in der Durchführung der Invasi-on selber, von amerikanischem direktenVorgehen mittels Masse und britischerKunst der Umgehung der gegnerischenMasse mittels Tarnung und Täuschungwaren entscheidend für den erfolgreichenAusgang der Invasion.

OVERLORD war einer der Kristalli-sationspunkte,an denen sich multinationale(combined) und teilstreitkräfteübergreifen-de (joint) Operationen entwickelten. Die

Mächte der freien Welt nahmen die He-rausforderung der Rückeroberung undBefreiung Europas an. Dies gelang nurdank einer lebendigen Strategiediskussionund einem ausgewogenen Kräfteansatz.Einsolches, rationales Vorgehen bildet denstrategischen Vorteil freier Gesellschaftengegenüber diktatorischen Systemen.

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mittels Rauchkörpern und anderen Mit-teln auseinander hielt.Die Jabos operiertendabei so nahe an der Frontlinie, dass per-manent die Gefahr von Verlusten bei dereigenen Truppe bestand (Friendly Fire).

Die anglo-amerikanische Zweite Tak-tische Luftwaffe (2nd Allied Tactical AirForce) konnte das, bedingt durch die auf-wändige Logistik nur spärlich vorhandene,schwere Kampfgerät der Alliierten in derAnfangsphase der Invasion ersetzen undtrug durch die Möglichkeit, Feuer schnellund flexibel an die Front zu bringen undverzugslos Schwerpunkte zu bilden, we-sentlich zum schnellen Vormarsch derAlliierten bei.

Beurteilung

Die Luftstreitkräfte der Westalliiertentrugen auf verschiedene Arten wesentlichzum Erfolg der Invasion in der Normandiebei.

Durch das Erkämpfen der Luftherrschaftkonnten ihre eigenen Bewegungen in derLuft, zu Wasser und zu Land durch diedeutsche Luftwaffe nie behindert werden.Die durch Bombardierungen erzielten Zer-störungen an der deutschen Treibstoff-erzeugung schränkten die Mobilität desGegners wesentlich ein. Die intensive Luft-abriegelung, die beinahe totale Zerstörungdes französischen Eisenbahnsystems unddie auf allen Ebenen der Kriegführunginszenierte Täuschung verhinderten denrechtzeitigen Einsatz der deutschen Reser-ven an der Küste, wo die alliierten Streit-kräfte noch schwach waren. Der intensiveEinsatz der Luftaufklärung verhinderte ope-rative und taktische Überraschung aufalliierter Seite. Gleichzeitig verhinderte diealliierte Luftherrschaft die deutsche Luft-aufklärung und machte die deutscheFührung damit auf Täuschungsversucheder Alliierten auf allen Ebenen der Krieg-führung äusserst anfällig. Zu guter Letztkompensierte die intensive Luftnahunter-stützung das Fehlen von schwerem Kriegs-gerät in der Anfangsphase der Landung.

Die Invasion in der Normandie ist viel-leicht auch deshalb so erfolgreich ver-

Die Luftnahunterstützungerfolgte derart intensiv, dass ein

deutscher Kommandant berechnete,dass etwa 50% seiner Verlustedurch Luftangriffe verursacht

wurden.

OVERLORD war einer derKristallisationspunkte, an denensich multinationale (combined)

und teilstreitkräfteübergreifende(joint) Operationen entwickelten.

Typhoon-Angriffgegen Panzer der7.Armee imAnmarsch auf dieNormandie,7. Juni 1944.

Bild: Archiv

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B U C H B E S P R E C H U N G E N

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BuchbesprechungPhillip S. Meilingers Buch «AIRWAR:

Theory and Practice» ist der 14. Teil derCass Series, einer Reihe von Studien überdie Luftkriegführung, die eine Zeitspannevom Ersten Weltkrieg bis zum Kosovo-Konflikt abdeckt. Das Werk Meilingers be-fasst sich einerseits mit einigen frühen Luft-kriegstheoretikern wie Giulio Douhet,Hugh Trenchard und John C. Slessor, aberauch mit den politischen und technologi-schen Einflüssen auf die Luftkriegführungvon der Zwischenkriegszeit bis zum heuti-gen Tag.

Meilinger, Phillip S. (2003) AIRWAR:Theory and PracticeLondon: CASS

Die frühen Luftkriegstheoretiker

Phillip S. Meilinger beschreibt in 14 insich abgeschlossenen Kapiteln ein faszinie-rendes Puzzle, das zusammengeführt dieGeschichte der Entwicklung der Luft-kriegführung im 20. Jahrhundert ergibt.Den Anfang macht Meilinger mit derBiografie dreier Luftkriegstheoretiker der20er- und 30er-Jahre. Giulio Douhet,Hugh Trenchard und John C. Slessor. Diessind schillernde Vertreter einer Blütezeit,die nach den Erfahrungen des Ersten Welt-krieges erstmals Theorien über die Strate-gie der Luftkriegführung aufstellten.

In einigen Punkten irrten die frühenTheoretiker gewaltig, andere Erkenntnissebesitzen jedoch noch heute uneinge-schränkte Gültigkeit. So irrte Douhet,wenn er es für unnötig befand, mit Flug-zeugen die Erdarmee zu unterstützen.Ebenso brachte die Bombardierung vonStädten, wie sie Trenchard favorisierte, beiweitem nicht das gewünschte Resultat aufdie Moral der Bevölkerung, im Falle derdeutschen Bombardierung Londons wardas Gegenteil der Fall.Andererseits sind dievon Douhet favorisierten fünf Arten vonZielen,die durch die Luftwaffe zu bekämp-fen seien, dem Fünf-Ringe-Modell vonWarden sehr ähnlich, und Slessors Über-legung, mittels präziser Zielaufklärung denGegner dort zu treffen,wo die Wirkung imBezug auf Lähmung seiner Aktivitäten(und nicht die Zerstörungswirkung) amgrössten ist, findet sich heute im Zusam-menhang mit «effect based bombing» inder Operation Iraqi Freedom wieder.

Luftmacht zwischen denWeltkriegen

In weiteren Kapiteln wird der Zusam-menhang zwischen politischen und tech-nologischen Einflüssen der Zwischen-kriegszeit und dem sich schon abzeichnen-den Zweiten Weltkrieg aufgezeigt. Der

Friedensvertrag von Versailles, die Apease-ment Politik und Abrüstungsverhandlun-gen auf der einen Seite, der technologischeFortschritt im Flugzeugbau, grössereMotorleistung, Geschwindigkeit, Zula-dung und widerstandsfähigere Materialienauf der anderen Seite haben die Luftkrieg-führung im Zweiten Weltkrieg massgeblichbeeinflusst.

Luftkriegführung imZweiten Weltkrieg

In der Folge befasst sich der Autor mitder Umsetzung und Anpassung der frühenTheorien auf einige ausgesuchte Operatio-nen des Zweiten Weltkrieges, in welchenLuftmacht eine wesentliche Rolle gespielthat. Die missglückte Norwegenkampagneder Alliierten, die Landung in der Nor-mandie und die Rolle der B-29 im pazi-fischen Raum zeigen stellvertretend denWert der Luftkriegführung im Gesamt-rahmen der Operationen.

Die fehlende Luftunterstützung der Alli-ierten bei gleichzeitiger Luftüberlegenheitder Deutschen in Norwegen verunmög-lichte entscheidende Operationen zu Lan-de, und so geriet der Versuch, Narvik undTrondheim von den Deutschen zu be-freien, zum Desaster.Eine, aus der Sicht derAlliierten, völlig unterschiedliche Situationpräsentierte sich 1944 bei der Landung inder Normandie. Hier wurden deutscheOperationen wegen der alliierten Luft-überlegenheit sehr stark eingeschränkt,teilweise sogar verunmöglicht.

Luftmacht heute

Die letzten Kapitel befassen sich miteinigen aktuellen theoretischen Überle-gungen, wie effektorientierte Zielauswahl,Präzision in der Anwendung von Luft-macht sowie Sinn und Unsinn der graduel-len Eskalation, um nur einige zu nennen.Meilinger zeichnet auf, dass nur weil einAngriffsziel zerstört wurde, man demOperationsziel nicht unbedingt näherge-kommen sein muss. Letztendlich zählt nurder Effekt, den man durch den Angriff unddie Zerstörung erreicht hat, und dieserEffekt muss einen dem Operationszielnäherbringen. Eine Voraussetzung dazu istnatürlich, dass man ein Ziel genau sobekämpfen kann, dass bei minimalemAufwand ein maximaler Effekt erzielt wird.Dies kann nur mit Präzision in den Be-reichen Aufklärung, Zielbezeichnung undZielbekämpfung erreicht werden.

Jürg Studer

Zum AutorPhillip S. Meilinger, ein ehemaligerC-130-Pilot und Colonel der USAF, istgegenwärtig Stv. Direktor des AERO-SPACECENTER der Science Appli-cations International Corporation inMcLean,Virginia. Er hat an der Univer-sity of Michigan mit dem PhD abge-schlossen und danach einige Zeit an derSchool of Advanced Airpower Studiesund am US Naval War College gelehrt.Er ist Autor von vier Büchern und über40 Artikeln über Luftmacht und Luft-kriegführung. ●

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BuchbesprechungSi vis pacem,para bellum – wenn du den

Frieden willst, bereite den Krieg vor.Edward Luttwak nimmt dieses schon zuRömerzeiten aktuelle Diktum auf undmacht es zum zentralen Thema seineswohl grundsätzlichsten Werkes zum ThemaStrategie: Der Aufbau offensiver Waffenar-senale kann rein defensiv sein,während derAufbau einer Defensivkapazität aggressivsein kann (nukleare Abschreckung – Rea-gans Star-Wars-Initiative); der schwierigsteAnmarschweg mit dem ungünstigstenHintergelände kann der direkteste Wegzum Sieg sein (Normandielandung mitdem stark gekammerten Hintergelände1944). Wer gewinnen will, muss in Kriegund Konflikt geradliniges Denken, lineareLogik und eingleisige Optimierung hintersich lassen.Strategisch Denken à la Luttwakheisst Denken in Paradoxa.

Luttwak, Edward. (2002).Strategy:The Logic of War and Peace.Boston: Harvard University Press.Deutsche Version: Luttwak, Edward.(2003) Strategie. Die Logik von Krieg und Frieden. Berlin: Klampen.

Zwei zentrale Elemente

Zentral zum Verständnis der These vonLuttwak sind zwei Elemente.

Erstens ist es das Diktum von Clause-witz:

Das Wesentliche des Unterschiedes [zwischenziviler und militärischer Strategie] besteht darin,dass der Krieg keine Tätigkeit des Willens ist,diesich gegen einen toten Stoff äussert wie diemechanischen Künste, oder gegen einen leben-digen, aber doch leidenden, sich hingebendenGegenstand, wie der menschliche Geist und dasmenschliche Gefühl bei den idealen Künsten,sondern gegen einen lebendigen, reagierenden.Wie wenig auf eine solche Tätigkeit der Gedan-kenschematismus der Künste und Wissenschaf-ten passt, springt in die Augen [...] (zweitesBuch, drittes Kapitel).

Die Folge ist für Luttwak, dass der Stra-tege den Gegner fortgesetzt überraschenmuss. (Dieser Grundsatz verliert erst bei to-taler Überlegenheit einer Seite ihre Gültig-keit, beispielsweise gingen die Alliiertenerst im Frühjahr 1945 ohne Täuschung,Tarnung und operative und taktische Um-wege gegen die deutsche Wehrmacht imWesten vor, als diese aufgehört hatte, alsaktiv handelnder Gegner zu reagieren.)

Das zweite Element sind die Ebenen derKriegführung. Diese beeinflussen sich ge-genseitig, der Krieg wird aber auf derobersten Ebene gewonnen. (Auch hier istLuttwak konsistent mit Clausewitz und sei-nem wohl berühmtesten Zitat «Krieg istdie blosse Fortsetzung der Politik mit an-deren Mitteln.»). Luttwak erläutert seineparadoxe Logik des Krieges für jede der

ihm als Beispiele. Luttwak abstrahiert dabeivon jeder moralischen Wertung. Dies istzwar im Rahmen seines Werkes sinnvoll fürden Gang der Argumentation,verfehlt aberdas Dilemma, in dem sich demokratischePolitiker und offene Gesellschaften befin-den, wenn irgendwo in der Welt Völker-morde begangen werden und die Entschei-dungsträger über die Fähigkeit zum Ein-greifen verfügen. Kann man da einfach zu-bzw. wegsehen? Dies ist eine grundsätzlichmoralische Frage,die im Grunde nichts mitwirtschaftlichen, politischen und militäri-schen Interessen (z.B. Naher und MittlererOsten) bzw. «Desinteressen» (z.B. Kongo,Hutu-Tutsi-Konflikt) zu tun haben dürfte.Die moralische Frage stellt unter Umstän-den ein eigenes Paradox dar, nämlich, in-dem sich ein Akteur sehenden Auges ineine für ihn schwierige Situation bringenmuss, im Versuch,Menschenleben zu rettenund Gräueltaten zu verhindern.

Das Buch ist mittlerweile in seiner zwei-ten Auflage (US-Ausgabe) nicht mehr ganzneu, bleibt aber eine exzellente Anleitung,wie man über Krieg und Konflikt nach-denken kann. Die Stärke von LuttwaksWerk ist seine Einfachheit und damit dieAnwendbarkeit in konkreten Situationen.Es warnt vor einfachen Milchmädchen-rechnungen und vor Kurzsichtigkeit –Konzepte, die vor allem in der nationalenPolitik funktionieren, nicht aber in dersicherheitspolitischen Realität. Es fordertdazu auf, vorherzusehen, wie der Gegnerauf neues sicherheitspolitisches Vorgehen,militärstrategische Ansätze, operative Kon-zepte und Vorgehen und schliesslich neueTechnologien reagieren wird. Er verfälltdabei nicht in blinde Technologiegläubig-keit. Ein letztes Wort der Vorsicht bei derLektüre: Historische Beispiele illustrierenalles und beweisen nichts – ein Satz, mitdem Luttwak sicherlich einverstandenwäre. Michael Grünenfelder

Ebenen von der sicherheitspolitischen(grand-strategy) bis zur technologischenEbene. Auf den oberen Ebenen spielenKonzepte wie Überdehnung und Kulmi-nationspunkte eine überragende Rolle, aufder taktischen Ebene ist es die Fertigkeitder Kampfführung im Sinne der Men-schenführung, Moral, Disziplin und Zu-sammenhalt der Einheit.Auf der technolo-gischen Ebene spielen Faktoren wie zumBeispiel der Gegensatz zwischen auf einenLeistungspunkt optimierten Systemen(Torpedoboote, Panzerabwehrlenkwaffen)und den grossen, flexiblen Plattformen(Schlachtschiffe, Kampfpanzer) eine ent-scheidende Rolle.

Kulmination und Überdehnung

Ein gutes Beispiel für Kulminations-punkte und Überdehnung auf operativerStufe sind die deutschen Kampagnen inRussland 1941 und 1942, während Schu-kow in der Folge ein Meister des Vermei-dens der Überdehnung der sowjetischenStreitkräfte ist (zum letzten Mal im Früh-jahr 1945 kurz vor Berlin). Überdehnungspielt eine wesentliche Rolle, von derÜberdehnung des britischen Weltreichesüber den Mehrfrontenkrieg, in den dasDritte Reich geriet, bis zur heutigen Dis-kussion in den USA bezüglich «imperialstretch».

Ein Hoch auf dieFriedensunterstützung!

Zurückkehrend auf die oberste Ebeneder Kriegführung ist Luttwak pessimistischbezüglich friedenschaffenden und frieden-erzwingenden Massnahmen. Seine Argu-mentation ist, dass in entsprechendenKonflikten durch ein Eingreifen von aus-sen häufig eine Lösung verhindert wirdund die Konflikte so unter dem Deckelweiterschwelen.Die eigentlich unterlegenePartei passt sich nicht an, und Konfliktebrechen nach Jahren und Jahrzehnten beiWegfall des äusseren Druckes wieder aus.

Gemäss Luttwaks Argumentation liegtdie Schweiz also richtig, wenn sie sich aufdie Unterstützung mittels militärischerKräfte von Friedensabkommen konzent-riert, die von allen Betroffenen akzeptiertwerden. Friedenserzwingung muss länger-fristig scheitern. Es wird in diesem Zusam-menhang interessant sein zu beobachten,ob die Stabilisierungsbemühungen derWeltgemeinschaft im Kosovo, mit ihrenheute erkennbaren zaghaften Erfolgen,längerfristig Früchte tragen werden.

Die Verbissenheit und Brutalität derBürgerkriege im ehemaligen Jugoslawienund der weiterschwelende Konflikt zwi-schen Israelis und Palästinensern dienen

Zum AutorEdward Luttwak, geboren 1942 in Sie-benbürgen, ist Senior Fellow für Präven-tive Diplomatie am Center for Strategicand International Studies in WashingtonD.C. und Mitherausgeber von «Geopoli-tique» und «Washington Quarterly». Erwar Berater des US-Verteidigungsminis-ters, des Nationalen Sicherheitsrats, desDepartment of State und des japanischenFinanzministers.Er ist regelmässiger Red-ner an Universitäten nicht nur in denUSA und lehrte an Militärakademien z.B.in Italien, Grossbritannien und Japan. ●

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D A S A I R P O W E R B Ü C H E R G E S T E L L

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Die Air Power Revue ist einoffenes Forum, das Studium,Gedanken und Diskussion zuLuftmacht im weitesten Sinneund zu ihrer Anwendung für dieSchweizer Sicherheitspolitik undArmee im Besonderen fördert.

Sie unterstützt die Luftwaffe inder

● Entwicklung von Doktrin undKonzepten

● Beitragsleistung zursicherheitspolitischen Debatte

● Ausbildung der Kader derArmee

● Führung des internationalenDialogs

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