Post on 11-Mar-2016
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D i e s e Z e i t u n g d o k u m e n t i e r t d a s J a h r d e s 2 5 - j ä h r i g e n
J u b i l ä u m s v o n A r t i s t s U n l i m i t e d u n d b i e t e t e i n e n A u s b l i c k
a u f d a s A u s s t e l l u n g s - u n d V e r a n s t a l t u n g s p r o g r a m m 2 0 1 1 .
M I T G L I E D E R
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Katja Böhme, Klaus D. Braun, Steffen Budke,
Steffen Bunte, Rebecca Butzlaff, Ricarda Enderweit,
Cathleen Falckenhayn, Jenna Gesse,
Janine Gockel, Cecilia Herrero, Heinrich Holtgreve,
Angelika Höger, Michael Kohls,
Ele Krekeler, Cem Kozcuer, Rainer Krause,
Antje Löbel, Lucie Marsmann, Irini Metz,
Harriet Esther Muntean, Tim Rehm,
Lars Rosenbohm, Wojtek Ruhnau, Uwe Schweer-Lambers,
Tim Sürken, Reiner Tintel
ÓRÓIÓ R Ó I
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„My name is Anna, I like to make things. Sometimes I call it art, sometimes I
don’t.“ So stellt Anna Louisa Wolff sich und ihr Tun vor. Die 76. Gastkünst-
lerin von Artists Unlimited kommt gerade aus einer kleinen Stadt nahe dem
Polarkreis, genannt Reykjavik, Island. Bielefeld kennt sie aber auch sehr
gut. Es ist sozusagen ihre erste Heimat. Und die Größen der beiden Städte
findet sie angenehm ähnlich.
Während ihres Stipendiums in Bielefeld sucht sie „Freiraum zum Den-
ken, Phantasieren und Arbeiten“. Sie bezeichnet sich selbst als eine „Noma-
din“. Neugier treibt sie an. Ebenso, wie sie die künstlerischen Disziplinen
traumhaft wechselt und sich gefügig macht, wechselt sie die Orte, an denen
sie lebt. Sie will sich auf keine künstlerische Technik festlegen lassen und
verzichtet auf etwaige Sicherheiten, die damit verbunden sind – wie Label,
Netzwerke oder Routinen. Lieber sucht sie den Zustand der Rastlosigkeit.
Sie will sich nicht damit abfinden – was wie ein Lebensziel klingt –, „dass
die künstlerische Arbeit und das Geldverdienen voneinander getrennt sind.“
Daher auch ihr Arbeitstitel órói, der sowohl „eine Skulptur oder ein Arran-
gement hängender Elemente“ bezeichnet als auch „Unruhe / Ruhelosigkeit /
Rastlosigkeit“ bedeutet. Die Ergebnisse ihrer Bielefelder Rastlosigkeit wird
sie in ihrer Abschlussausstellung präsentieren. Und was kommt danach? Die
Suche nach dem nächsten Ort. Ihrem nächsten Ort. Die Sehnsucht bleibt.
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ÓRÓIÓ R Ó I
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VON GEIST UND ZUSTAND:KOPFBILDER
V O N G E I S T U N D Z U S T A N D :K O P F B I L D E R
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„Je weniger die Dinge der Natur ähneln,
desto mehr rühren sie uns an.“
(J. Suter)
„Sagen Sie nicht immer natürlich, sagen Sie doch unnatürlich.“
(Thomas Bernhard)
„Und ich glaube, diese Laune, Verse zu machen, kommt von einer starken
Erregung der Tiergeister, welche die Einbildung derer, die kein gut gefügtes
Gehirn haben, völlig durcheinander bringen könnte, die Kräftigen aber
lediglich ein wenig mehr erhitzt und sie der Poesie geneigt.“
(Descartes)
Karsten Habighorst sieht sich „von der Suche nach dem perfekten Abbild ge-
trieben“. Dabei wechselte er bereits vom für ihn „absoluten Realismus der
Holographie“ zu einer – wie er es nennt – „expressiv-abstrakten, direkten
Malerei“. Der 1963 in Bielefeld geborene Künstler lehrte von 1996 bis 1999
an der Fachhochschule Bielefeld „Holographie – Darstellen mit Licht“. Seit
1999 unterrichtet er an der Musik- und Kunstschule Bielefeld. Während seiner
Ausstellung bei Artists Unlimited wird er an einigen Tagen öffentlich in der
Galerie arbeiten, wozu alle Interessierten herzlich eingeladen sind.
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Zum dritten Mal wird die Klasse von Professor Jochen Geilen (Fachhoch-
schule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung) die Artists Unlimited Ausstellungs-
räume als temporäre Druckwerkstatt nutzen. Statt der häufig üblichen Ab-
geschiedenheit im Mikrokosmos des Studiums, wird es jeden Tag geballte
Auseinandersetzung geben. Mit den Räumen, mit der Öffentlichkeit, mit
der ungewohnten Situation. Doch 2011 soll alles anders sein. Jochen Geilen
wird 65 – für ihn wird es voraussichtlich die letzte Veranstaltung dieser Art.
Nach 15 Jahren, in denen er am Fachbereich Gestaltung unterrichtete, hört
er im Lehrbetrieb auf und kann sich voll und ganz dem eigenen Schaffen
widmen – mit aller Energie und seiner allseits bekannten Impulsivität. Die
dritte Veranstaltung der 2008 begonnenen Druckwerkstatt-Reihe dauert drei
Wochen (nachdem logischerweise die erste eine Woche und die zweite genau
zwei Wochen gedauert hat). Geilen möchte sich selbst eine Woche alleine in
der Galerie schenken; danach kommen auch die Studierenden hinzu. Laut
Jochen Geilen „ein guter Jahrgang“, wovon man sich bereits während der
im Herbst 2010 ausgestellten Grafik-Edition am Fachbereich überzeugen
konnte. Es werden daher wieder ganz besondere Wochen für die Bielefelder
Druckgrafik-Szene, die man nicht verpassen sollte.
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MUJERESM U J E R E S
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„Na ja gut okay“. Dieser Satz ist kein Punkt, aber immerhin eine kurze
Pause, vielleicht ein Semikolon, wenn Cecilia Herrero sich über Wehlei-
digkeit, Ungerechtigkeit und Bequemlichkeit ereifert. Sie ist eine Beob-
achterin, aufmerksam und sensibel für die Dinge, die in ihrem Umfeld
passieren und energiegeladen und temperamentvoll im Umgang damit.
Die in Argentinien geborene Künstlerin fertigte ihre ersten großen Ar-
beiten in den 80er Jahren in Form von Wandbildern an, ein Format, das sie
nach wie vor bearbeitet, z.B. im letzten Jahr an der Universität Bielefeld.
In Deutschland war ihre erste Station die Hamburger Hafenstraße. Fassa-
denmalerei. Politisch natürlich. Seit einigen Jahren ist sie extrem nah am
Menschen. Ihre Bilder und Skulpturen bekunden ein Interesse an den „ein-
fachen Menschen“, die keine Lobby haben. Näherinnen, Straßenverkäufer,
Putzfrauen, deren Gesichter und Haltungen ganze Geschichten erzählen. Ge-
schichten aus Argentinien, aus Nicaragua, aus Deutschland ... Cecilia Herrero
sammelt sie und hält sie in ihren Arbeiten fest. Gesellschaftskritisch, ohne
den Charakter und die Individualität der Dargestellten zu vernachlässigen.
Seit 2002 ist Cecilia Herrero Mitglied von Artists Unlimited. Wir freuen
uns, ihre neuen Arbeiten bei den Bielefelder Nachtansichten präsentieren
zu können.
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DROWNING CLUBD R O W N I N G C L U B
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Im Frühjahr 2011 wird Peter Burr als 77. Gastkünstler bei Artists Unlimited
wohnen und arbeiten. Der Künstler und Kurator aus Portland (USA) rief
das experimentelle Projekt Cartune Xprez ins Leben, das Videolabel, Live-
theater, psychodelischer Tumult und Road Show in einem ist. Gleichzeitig
schafft Burr damit eine Plattform für Videokünstler, die kommerzielles Bild-
material anarchistisch verquirlen und neue Trickfilmformen abseits von üb-
lichen Vormittags-Cartoons erkunden wollen. Seine Arbeit ist zum Aushän-
geschild dieses experimentellen Genres avanciert – ein Status, den er mit der
Veröffentlichung von DVDs, Publikationen und internationalen Touren (an
bisher 200 Spielorten in 19 Ländern) festigt. Für seinen Aufenthalt in Biele-
feld plant er, unter dem Arbeitstitel Drowning Club eine Arbeit aus digitalen
Bildern und Videos zu produzieren. Das Ausgangsmaterial wird er einmal ge-
hörig durch den Internet-Wolf drehen, technische Begleiterscheinungen und
Bildstörungen werden zum Gestaltungsmittel im dichten Strom der Film-
und Bilddateien. Bereits im Herbst 2009 folgte Peter Burr unserer Einladung
und machte einen eintägigen Tour-Stop bei Artists Unlimited. Im vollbesetz-
ten Kino im Filmhaus flimmerten zeitgenössische Animations-Kurzfilme über
die Leinwand, wurden kombiniert mit Musik, einer Installation aus aufblas-
baren, leuchtenden Objekten, und – als absoluter Höhepunkt – mit der Per-
formance von Peter Burr. Wir freuen uns auf viele solcher Abende im Zuge
seines Gastkünstler-Stipendiums!
DIE BARBIE VON SEVILLA
DIE BARBIE VON SEVILLAD I E B A R B I E V O N S E V I L L A
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Batman stinkt, Glöckchen klingt fand Anfang des Jahres in Schloss Holte
statt. Nun gastiert die Künstlergruppe um Friederike Feldmann, Professo-
rin an der Kunsthochschule Kassel, ein zweites Mal in Ostwestfalen, um ihr
Experiment unter dem Titel Die Barbie von Sevilla fortzusetzen. Der be-
freundete Künstler Renaud Regnery betreut den Ausstellungs- und Arbeitss-
prozess und sieht sich mehr als Moderator denn als Kurator. Die beteiligten
Künstler arbeiten auf eine Ausstellung hin, ohne im Vorfeld ein Thema fest-
zulegen. Sie treffen selbst die Auswahl der auszustellenden Kunstwerke und
die Art ihrer Installation. Wichtig ist, wie Regnery betont, dass alle an dem
kommunikativen Prozess teilnehmen und sich wechselseitig beeinflussen.
Daraus entstehen intensive Auseinandersetzungen – mit den Ausstellungs-
räumen und mit der eigenen gesellschaftlichen Realität. Wir sind gespannt,
welche Art von Wirklichkeit die Gruppe in der Artists Unlimited Galerie ent-
wickelt.
mit: Janosch Becker, Meike Brinkmann, Andreas Eichinger, Mathias Esch,
Stefan Geyer, Jana Graetschel, Marven Graf, Aimo Gräven, Susan Junge,
Manuel Kirsch, Julia Kneise, Sung-Hern Lee, Mirjam Link, Greta Mattulat,
Luisa Porsch, Theresa Rieß, Claudia Ritter, Katharina Wehner, Björn
Wetzmüller und Clara Winter
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(DIS)ORDER
Wie es sich für ein gut strukturiertes Ausstellungsjahr gehört, begann der
Januar mit einer Menge Zahlen. Zum Glück nicht in Form von Bilanzen
oder Galerie-Hochrechnungen. Eigentlich waren die Zahlen nicht mal sicht-
bar und dennoch allgegenwärtig: In den Arbeiten von Rachael Elwell.
Unsere britische Gastkünstlerin sammelte während ihres Stipendiums
den ganzen Tag. Unbemerkt filterte sie ihren Alltag, Handlungen und
Gesehenes, und entwickelte daraus ein Zahlenkonzentrat, das die Grundla-
ge ihrer Arbeit wurde. Kein Zugplan, keine Quittung oder beiläufige Notiz
war vor ihr sicher – immer auf der Suche nach neuem Material archivierte
sie den „Alltag in Ziffern“, pflegte ihn in Raster und Koordinaten-Systeme
ein, generierte ihn weiter durch einen Würfel, ließ ihn zu Regeln werden,
an denen sich ihre künstlerische Arbeit orientierte. So entstanden Graphit-
und Buntstiftzeichnungen, die in ihrer Sensibilität und Lebendigkeit nicht
im Geringsten an mathematische Grundsätze erinnerten. Aber wieso bedient
sich eine Künstlerin, die das Studium Master of Arts absolvierte, überhaupt
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einem so wissenschaftlichen Hintergrund, wenn es um eine so freie Disziplin
wie Zeichnen geht? Rachael Elwell faszinierte das Unerwartete, Unbeein-
flusste in ihren Arbeiten. Während der Entstehung konnte sie eine Distanz
zu ihren Bildern aufbauen, die es ihr ermöglichte, den zeichnerischen Pro-
zess an sich zu erforschen und klassische Techniken zu untergraben.
Während ihres Stipendiums dokumentierte sie ihren Aufenthalt auf dem
Blog postcards from Bielefeld und entwickelte eine große Begeisterung für
das Projekt Artists Unlimited. Dies äußerte sich nicht nur durch ihre Teil-
nahme am Jubiläum, zu dem sie gemeinsam mit Ben Gwilliam (Gastkünstler
2008) anreiste, sondern auch in ihren Bemühungen, das Stipendium von
Artists Unlimited international besser zu bewerben. An diesen Bemühungen
haben wir nun hart zu arbeiten – bei der Auswahl von ein bis zwei Gast-
künstlern aus fast 400 Bewerbungen! Thank you, Rachael!
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Eine unangekündigte Demo, die im Gastatelier startet und an der Viktoria-
straße endet? So ungefähr sah es aus, als kurz vor der Eröffnung das zehn
Meter lange, vor frischer Farbe tropfende Transparent nach draußen getra-
gen wurde, um es an der Artists Unlimited-Plakatwand anzubringen. In der
Galerie hing bereits die Ausstellung ein queen mit Arbeiten von Rebekka
Schulte, die Jochen Geilen kurze Zeit später eröffnete.
„Ich zeichne, um zu zeichnen. Ich zeichne die Dinge. Kopfgeschichten.
Geschichten und Schichten, verschichten. Alltagsschichten. Gehört und ge-
zeichnet. Ganz viel Unwichtiges. Aber immer. Zeichne schnell. Muss nicht
groß sein. Auch nachts.“ Bewegt, mehrlagig und fragmentarisch wirkte
schon dieser Auszug zur Beschreibung ihrer eigenen Arbeit. Die eigene Ver-
sion von der Geschichte erzählen und Geschichten hinter sich lassen – diese
Möglichkeit findet Rebekka Schulte in ihren Zeichnungen. Zuletzt befasste
sich Schulte in ihrer Masterarbeit künstlerisch mit dem, was vom Tag bleibt.
Seit 2003 leitet sie das Offene Atelier im LWL-Zentrum für Forensische Psy-
chiatrie Lippstadt. Sie untersuchte sich und ihre Zeichnungen auf mögliche
Impulse, die ihre Arbeit mit psychisch kranken Straftätern in ihre eigene
künstlerische Arbeit sendet. Ebenso die Notwendigkeit, sich als Person im-
mer wieder neu zu definieren. Zeichnerisch löst und distanziert sie sich von
Einflüssen, Gesehenem und Gehörtem, von Begegnungen, dem Druck, den
ihre Stelle im Maßregelvollzug mit sich bringt.
Die 1976 geborene Künstlerin, die in Bielefeld und Utrecht Freie Zeich-
nung studierte (Masterabschluss 2009) und 2005 mit einer Einzelschau in der
MARTa Kapelle in Herford vertreten war, zeigte zu Beginn des Jahres 2010
ihre Arbeiten in der Artists Unlimited Galerie.
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TOTE TIERE LÜGEN NICHTT O T E T I E R E L Ü G E N N I C H T
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In jedem offiziellen Text zu unserer Galerie betonen wir, dass wir sie auch
als Experimentierfeld sehen. Das ändert nichts daran, dass viele Arbeiten
schon präsentationsfertig sind, wenn sie hier ankommen. Cem Kozcuer, seit
2007 Mitglied von Artists Unlimited, entdeckte eine kleine Lücke im Ausstel-
lungszeitplan und nutzte sie, um sich zwei Wochen intensiv mit den Räumen
auseinander zu setzen. Die dreitägige Ausstellung Tote Tiere Lügen Nicht
zeigte einen Jetzt-Stand auf diesem Weg. „Die für die Galerie entstandenen
Arbeiten haben für mich keine Endgültigkeiten. Ich arbeite eher daran, ein
Geflecht von Ideen und Assoziationen zu schaffen, die einen Fächer von Re-
sultaten hervorbringen können“. Im Vordergrund stand der installative Um-
gang mit Fotografie, zum Großteil mit vorgefundenem Material.
Verschiedene fotografische Medien wurden auf ihre Beschaffenheit hin
untersucht. Was leistet ein Medium und wo gerät es an seine Grenzen? Was
passiert, wenn man dem Medium eine andere Funktion zuweist, oder dem
Betrachter eine andere Position? Die gezeigten Arbeiten waren verspielt,
aber konzentriert. Poetisch, aber präzise. Und ein bisschen vergangen: Ein
Diaprojektor, der den Raum mit Vertetungsstunden-Luft füllte, ein Funk-
gerät, aus dem alte Schlager plärrten. Waren das die Toten Tiere?
Cem Kozcuer, zunächst Social Sciences- und Medienwissenschaftsstudent
an der Universität Osnabrück, studiert seit 2006 Fotografie und Medien an
der Fachhochschule Bielefeld.
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TOTE TIERE LÜGEN NICHTT O T E T I E R E L Ü G E N N I C H T
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VIELLEICHT HAT ES SO BEGONNENV I E L L E I C H T H A T E S S O B E G O N N E N
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„Stecken sie ihre Nasen rein, wo sie können und versuchen sie, ihren Spaß da-
mit zu haben. Das ist hier sicher nicht verboten.“ So die Aufforderung von
Daniel Neugebauer im Rahmen seiner Eröffnungsrede. Selbst regelmäßige
Galerie-Besucher waren etwas verwirrt – gleich drei zusätzliche Räume hat-
te Angelika Höger für ihre Ausstellung Vielleicht hat es so begonnen geöffnet.
Sonst versteckte Abstellräume wurden zum Ausstellungsraum erhoben, er-
obert und bespielt – eine gute Vorankündigung für die darauf folgende Ju-
biläumsausstellung, während der dieses Phänomen im ganzen Haus um sich
griff. Bei keinem anderen Künstler könnte jedoch der Begriff „bespielen“
passender sein, als bei Angelika Höger – ihre Installationen sind lebendig,
beweglich, wirken wie eine Momentaufnahme verspielter Neugier. In der
Ausstellung Vielleicht hat es so begonnen kombinierte sie diese spielerischen
Erfahrungsräume mit ruhigeren, entschleunigten Arbeiten, wie etwa einer
Videoinstallation, in der sich Schnecken in einem Hamsterrad abmühten,
oder einer Außeninstallation aus vielen Eimern und Zubern, die sich lang-
sam, aber umso geräuschvoller mit Wasser füllten. „Ist sie ein Spielkind oder
ist sie eine Wissenschaftlerin? Diese beiden Elemente tauchen in ihren Ar-
beiten immer wieder auf. Die Högersche Philosophie kann man vielleicht in
verschiedenen Komponenten zusammenfassen: Die Veränderung, der Prozess,
das ist ihr Thema, das Spiel ist ihre Vorgehensweise, Wissenschaftlichkeit ist
ein Ordnungsprinzip, das sie gebraucht und sie benutzt dabei die Ästhetik
des Alltäglichen.“ (Daniel Neugebauer)
Seit ihrem Diplomabschluss im Jahr 2004 an der Fachhochschule Biele-
feld ist die 1966 in Freiburg geborene Künstlerin freischaffend tätig. Seit
Anfang 2009 lebt und arbeitet sie bei Artists Unlimited. Vielleicht hat es
so begonnen wurde auch während der Nachtansichten 2010 präsentiert.
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Zum zweiten Mal wurde die Artists Unlimited Galerie zum Arbeitsraum für
die jungen Künstler der Zeichenklasse Geilen. Acht Studierende um Professor
Jochen Geilen (Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung) richteten sich
in der Galerie für zwei Wochen ihre druckgrafische Werkstatt ein und arbeiteten
von morgens bis abends, zum Teil bis tief in die Nacht. Wie im vorherigen Jahr
waren wieder alle Interessierten eingeladen, in der Galerie vorbei zu schauen und
den druckgrafischen Prozess hautnah mitzuerleben. Die entstandenen Arbeiten
wurden in einer Abschluss-Ausstellung präsentiert, in den Räumen, in denen sie
sich entwickelten. Wir freuen uns, Jochen Geilen und seine Studenten auch im
Frühjahr 2011 wieder in unserer Galerie zu Gast zu haben.
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Schnell wurde man zum Versuchsobjekt, wenn man in der Gastkünstler-
Wohnung vorbei schaute. In der Regel tat das Prozedere nicht weh – meis-
tens musste man nur schätzen. Wie lang ist ein Meter? Wann ist eine Minute
vergangen? Dabei wurde man gefilmt oder fotografiert. So sind fünf Artists
Unlimited-Mitglieder die Hauptdarsteller in Tell me when you think one
minute is up from …, ein Kurzfilm, der im August den Preis für den besten
Film beim One Minute Film & Video Festival in der Schweiz erhielt. Sehr
präsent ist im Film übrigens das grüne Sofa, das die nachfolgende Gast-
künstlerin, Marion Lehmann, in ihrer Skulptur verbaute.
Doch zurück zu Bob Levene aus Sheffield. Die erste Gastkünstlerin im
Artists-Jubiläums-Jahr beschäftigte sich mit der menschlichen Wahrneh-
mung im Bezug auf Raum und Zeit. Dabei interessierte sie besonders, wie
sich dieses Verständnis durch neue Medien und andere Kommunikationswege
gewandelt hat und weiter wandelt. Die 34-jährige Künstlerin ist fasziniert
von den Kuriositäten und Widersprüchen, die bei den Versuchen entstehen, die
Welt maßregeln und vermitteln zu wollen. Die simpelsten Überlegungen und
Fragestellungen werden durch neue Perspektiven zu einem visuellen Erlebnis.
Während ihrer Zeit bei Artists Unlimited beschäftigte Bob Levene sich
erstmals intensiv mit dem Medium Fotografie und präsentierte in ihrer
Ausstellung spannungsvolle fotografische und filmische Arbeiten. Den
Abschluss ihres dreimonatigen Aufenthalts bildete eine Filmvorführung im
Kinosaal des Filmhauses. Dort fand im Anschluss an ihren Film Inertial
Frame ein öffentlicher Artists-Talk mit Friederike Fast (Marta Herford) statt.
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Zugegeben, das Wetter hatten wir in diesem Jahr nicht ganz auf unserer Sei-
te. Vielleicht war das fehlende Motto schuld und brachte den Himmel gegen
uns auf. Nichts desto trotz war die traditionelle Benefizparty wieder eine
der schönsten Partys des Sommers, die Artists Unlimited neben allen künst-
lerischen Aktivitäten seit Jahrzehnten in die Stadt sendet.
Die massiven Hauswände, die das bunte Partytreiben umgeben, wurden
wieder zur bewährten Projektionsfläche für selbst produzierte Kurzfilme,
Bebilderung zu den Bands Braindead Dogs (Arkansas) und Invisible Urcle,
einer zehnköpfigen Band aus Hamburg, die mit einem Mix aus HipHop,
Jazz und Punk das Publikum mit Live-Musik beglückte. Danach wurden
zu den DJs Trio Trois und Pajouh bis zum Morgengrauen die Tanzbeine
und -arme geschwungen.
Die Veranstaltung auf dem Innenhof und in der Galerie des Hauses ist
der organisatorische Höhepunkt im Vereinsjahr – wenn nicht gerade eine
Jubiläumsausstellung ansteht. Schon 1986, als Pip Cozens der erste Gast-
künstler von Artists Unlimited war, wurde eine Party veranstaltet, um ihn
finanziell zu unterstützen: Ein Fliegenfest für Pip. Die Artists Unlimited-
Benefizparty war geboren. Nach wie vor wird durch die Einnahmen das
Gastkünstlerstipendium finanziert, das seit 1986 dreimal jährlich an meist
ausländische Künstler vergeben wird. Zweimal im Jahr sichten alle Artists-
Mitglieder gemeinsam die Gastkünstler-Bewerbungen, die in den letzten
Jahren stetig zugenommen haben und aus der ganzen Welt bei uns eintru-
deln. Dem sollten die Partygäste in nichts nachstehen.
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gend erzählten oder nur beobachtet und beunruhigt hin und her rutschten.
Das Festival scene – Ungarn in NRW präsentierte von April bis Sommer
2010 zeitgenössische ungarische Kultur in 14 Städten Nordrhein-Westfa-
lens. Mehr als 100 Künstler aus den Sparten Musik, Theater, Tanz, Film,
Literatur und bildende Kunst verwandelten NRW in eine ungarische Land-
schaft der Künste. Der Aufenthalt von Eszter Szabó wurde vom Bielefelder
Kulturamt unterstützt.
In der Regel brauchen unsere Gastkünstler ihre Zeit um sich zu aklimati-
sieren und mit dem Arbeiten zu beginnen. Bei Eszter Szabó hatte man nach
einer Woche das Gefühl, sie sei schon seit Monaten da – anhand der Vielzahl
ihrer Werke. Im Rahmen des landesweiten Festivals scene – Ungarn in NRW
lebte und arbeitete die 31-jährige Künstlerin aus Budapest für einen Monat
bei Artists Unlimited. Unmittelbar vor ihrem Bielefeld-Aufenthalt hatte sie
ein Stipendium in Paris. Während der Zeit in Frankreich sammelte sie viele
Ideen und Motive, die sie in der ostwestfälischen Ruhe umsetzte.
Eszter Szabós Malereien sind liebevolle, präzise Alltags-Portraits. Kurze
Beobachtungen alltäglicher Sehnsüchte und Eigenarten. Ihre Ausstellung
2041 bei Artists Unlimited beschäftigte sich mit der Frage, wie unsere
Generation wohl in 30 Jahren aussehen wird, inklusive ihrer Mode und
Gewohnheiten. Abgebildet durch sensible, akkurate Linien und Flächen,
angreifbar und nah. In ihren Kurzfilmen ging sie einen Schritt weiter: Diese
setzten sich zusammen aus Aquarellmalerei und animierten Bewegtbildern
auf Grundlage dieser Aquarelle. Aus der Kombination der beiden Medien
entstanden charaktervolle Sequenzen, die lasierenden Farben ließen die
gezeigten Personen zu zerbrechlichen Protagonisten werden, die in digita-
len Bilderrahmen vor sich hin murmelten, kurze Geschichten aus ihrer Ju-
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„Und es stört euch gar nicht, wenn ich hier säge und schraube?“ Darüber
hatten wir natürlich nicht nachgedacht, als wir uns für Marion Lehmann
als Gastkünstlerin entschieden. Beeindruckt von ihren wuchtigen, sperrigen
Installationen. Da sich der Gastkünstlerbereich mitten im Haus befindet –
was durchaus zum Konzept gehört – kann man nicht behaupten, dass unsere
Gäste geräuschmäßig abgeschottet wären. Trotzdem gab es keinerlei Pro-
bleme – und eine handwerklich versierte Gastkünstlerin ist beim Aufbau der
Benefizparty auch nicht zu verachten.
Marion Lehmann aus Bremen war die 75. Gastkünstlerin von Artists
Unlimited. Ständig veränderten sich ihre Arbeiten, von denen man oft dach-
te, etwas so Massives wird Bestand haben, wird sich nicht mehr wandeln,
wartet nur noch darauf, gesehen zu werden ... und am nächsten Tag wur-
de man eines Besseren belehrt. In ihrer Abschluss-Ausstellung zeigte sie die
bildhauerische Arbeit, die sich durch viele Phasen während ihres Stipendi-
ums entwickelt hatte. Eine raumbezogene Installation, die sie aus diesem
Grund auch nicht in der Galerie sondern im Gastatelier präsentierte – dem
Ort, an dem sie drei Monate lang daran gearbeitet hatte. Lehmanns Arbeiten
bewegen sich im Grenzbereich von Bildhauerei und Installation. Sie interes-
siert der allgemeine Stadtraum, der uns umgibt, unsere Wahrnehmung von
Architektur – auch von zerstörter Architektur. Ihr geht es dabei nicht um
das Nachbilden solcher Motive, sondern darum, aus diesen Beobachtungen
eine skulpturale Formensprache zu entwickeln. Ihre Arbeit, die bei Artists
Unlimited entstand, spielte mit Materialbrüchen, mit wiedererkennbaren
Alltagsgegenständen und abstrakten Elementen.
Zeitgleich war in der Artists Unlimite Galerie eine Arbeit des Düsseldorfer
Künstlers Burchhard Garlichs zu sehen, der gemeinsam mit Marion Lehmann
in Bremen studierte. Während des Studiums und auch danach pflegten sie
einen Dialog über ihre Arbeiten und Positionen, der sich bis heute fortsetzt.
Garlichs setzt dem System Architektur ein eigenes System entgegen. Für
die Arbeit bei Artists Unlimited verwendete er Nägel und blaue Packschnur,
aus denen eine ornamentale Zeichnung entstand, die sich ohne Unterbre-
chung über die Wände und Decken der Galerieräume erstreckte. Durch den
gleichmäßigen Abstand zwischen Schnur und Wand schien die Zeichnung
zu schweben, warf je nach Perspektive Schatten und schärfte den Blick für
Raum und Struktur.
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Die Berliner Künstlergruppe Pathetic Sympathy Seekers arbeitet seit 2003
zusammen. Ihre Performances, Rauminstallationen, Filme und Fotos krei-
sen um die Frage nach Autorenschaft, Originalität, Evidenz von Bildern, die
Erwartungen der Gesellschaft an die Kunst und die eigenen Erwartungen.
Einige Artists Unlimited-Mitglieder waren 2008 auf die Gruppe aufmerksam
geworden und hatten sie daraufhin nach Bielefeld eingeladen.
Die Pathetic Sympathy Seekers fordern dazu auf, Kunst als Sympathie-
suche zu begreifen, wobei sie durch ihre eigene Übereifrigkeit Mechanismen
der Kunstproduktion und -rezeption offenlegen. In dem Versuch, die Erwar-
tungen anderer zu kalkulieren, schießen sie über das Ziel hinaus und schei-
tern auf ebenso absurde wie poetische Weise. Für ihr Ausstellungsprojekt
hatte die Künstlergruppe von ihrer in der Stockholmer Tillfällig Vanadislun-
den Konsthall stattfindenden Ausstellung Kopien angefertigt und zeigte diese
weltweit an verschiedenen Orten, unter anderem in Bielefeld. Mit diesem neu-
en Ausstellungsformat erweiterten die Pathetic Sympathy Seekers ihre Arbeit
zu einem ideellen Raumkonstrukt und erreichten ein bisher nicht dagewese-
nes Maß an globaler Rezeption. Die Kopieausstellungen mit dem jeweiligen
Titel The Making of Enthusiasm (copy) versammelten von den Originalen
losgelöste Duplikate, die sowohl eigenständige Arbeiten als auch zweitklas-
sige Kopien waren.
THE MAKING OF ENTHUSIASM(COPY)
T H E M A K I N G O F E N T H U S I A S M( C O P Y )1 9 0 9 1 0 – 2 6 0 9 1 0
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HURENGEISTH U R E N G E I S T
0 1 1 0 1 0 – 1 0 1 0 1 0
„Photographieren – wie alle anderen Ausdrucksmittel auch – bedeutet
nicht Erfinden sondern Entdecken. Photographieren ist eine Möglichkeit zu
schreien, sich zu befreien, nicht aber seine eigene Originalität auszuprobie-
ren oder sie unter Beweis zu stellen. Es ist eine Art zu leben.“ Mit diesem
Zitat des französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson beendete Felicitas
von Richthofen ihre Rede zur Ausstellungseröffnung von Hurengeist. Das
Entdecken und Reflektieren einer Lebensweise waren Hauptthemen dieser
Arbeit von Matthias H. Risse, Leif Marcus und Bene Brandhofer. Vier Jahre
nach ihrer letzten gemeinschaftlichen, interaktiven Installation, zeigten die drei
Künstler ihr neustes experimentelles Werk in der Artists Unlimited Galerie.
Wer oder was ist der Hurengeist? Es handelt sich um einen demagogischen
Begriff aus dem religiösen Sektor, der alles und alle verurteilt, die sich vom
so genannten „rechten“ Weg abwenden, wie auch immer dieser definiert sein
mag. Die sich dem Aneignen von Wissen, Intellekt und Besitz verschrieben
haben, oder einfach eine egoistische, hedonistische Lebenseinstellung verfol-
gen und sich somit von äußeren Einflüssen abhängig machen.
Die Frage nach bewussten und unbewussten Einflüssen, sowie den daraus
resultierenden Utopien des Individuums, bestimmte diese multimediale Aus-
stellung, die auf unterschiedlichste Weise den Betrachter in die Arbeiten ein-
bezog. Er konnte eintauchen in eine Erlebniswelt, entdecken und sich selbst
im Weg stehen, und durch diese Konfrontation seinen eigenen Standpunkt
suchen. Hurengeist wurde im Rahmen der neuen Galerie-Initiative ARTUR!
erstmalig gezeigt. Mit vereinten Kräften boten die galerie 61, Galerie Baal,
Galerie van Laak-Bérenger, Galerie GUM und die Artists Unlimited Galerie
an jenem Abend ein kulturelles Programm mit jeweils eigenen Ausstellun-
gen, die zeitgleich eröffneten. Im Anschluss an die Hurengeist-Eröffnung be-
fragten die DJs Karsten Fanta und Sebastian Winkler im Café Milestones bis
7 Uhr morgens alle Feierwütigen, wie es um ihren Hurengeist bestellt ist.
Schon während des ersten Balkan Art Festivals im letzten Jahr war klar, dass
dies keine Einzelveranstaltung bleiben würde. So wurde auch im Herbst
2010 ein vielseitiges Programm zusammen gestellt, das der Kultur der Bal-
kanregion gewidmet war. Die Organisatoren Mevludin Demirovic, Krunoslav
Stojakovic und Branko Šimic präsentierten innerhalb von fünf Tagen Foto-
grafie, Malerei, Film, Lesungen, Theater, Konzerte und – natürlich – eine
Balkan-Party. An sieben Orten in Bielefeld wurden unter dem programma-
tischen Titel Kunstnomaden spartenübergreifend Künstler und ihre Arbeiten
präsentiert. In der Artists Unlimited-Galerie stellte der Fotograf Armin
Smailovic seine Arbeit Sound of Silence – Women, Victims of War aus. Die
Bilder beschäftigen sich mit einer Opfergruppe, die der Krieg in Bosnien-
Herzegowina hervorgebracht hat, und deren Schicksal bisher nahezu unge-
hört und ungesehen blieb: Frauen, die zu Opfern systematisch betriebener,
sexueller Gewalt wurden. Armin Smailovic dokumentiert in Zusammen-
arbeit mit den United Nations Populations Fund die Geschichte dieser Frauen.
Der 1968 in Zagreb geborene, international renommierte Dokumentar-
fotograf, arbeitet unter anderem für das ZEIT-Magazin und das Hambur-
ger Thalia Theater. Zum Abschluss der Ausstellung fand in der Galerie ein
öffentliches Werkstatt-Gespräch mit Armin Smailovic statt, bei dem es mehr
über die Arbeiten und den Künstler zu erfahren gab.
SOUND OF SILENCE –WOMEN, VICTIMS OF WAR
S O U N D O F S I L E N C E –W O M E N , V I C T I M S O F W A R
2 7 1 0 1 0 – 3 1 1 0 1 0
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S O U N D O F S I L E N C E –W O M E N , V I C T I M S O F W A R
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IM DRAUSSENI M D R A U S S E N
0 5 1 1 1 0 – 2 1 1 1 1 0
Wo ist diese Arbeit entstanden? Bin ich dort auch schon gewesen? In der
Ausstellung Im Draußen grübelten einige der Bielefelder Galeriebesucher
über die Arbeiten von Harald Kinski. Neben Naturlandschaften zeigte der
Künstler ebenso Malereien und Zeichnungen von Stadtansichten, auf denen
das ein oder andere zu verortende Detail zu erkennen war. Bielefeld und
seine Umgebung, wie Kinski sie erlebt. Unscheinbare Ecken werden zu faszi-
nierenden Orten, lebendig durch ihre Farbigkeit, charakterstark durch den
Strich und die Fläche, mit denen sie auf Papier gebracht wurden.
Harald Kinski wurde 1957 in Bremen geboren und ist seit 2001 freischaf-
fend tätig. Reduktion, Abstraktion und Verfremdung sind die Mittel, die er
einsetzt, um neue Perspektiven zu eröffnen – für sich selbst und den Betrachter.
„Endlich wieder draußen! Zur Stadtbahn. Oder zu Fuß durchs Viertel?
Langsam machen die Gedanken den Landschaftsbildern Platz. Zur Bahn.
Der Schornstein am Stadtwerkekraftwerk überragt den Stadtteil, und unter
der Eisenbahnbrücke mit den stählernen Spannbögen rauscht der Autover-
kehr. Richtung Süden ist der Blick frei bis zu einem Ausschnitt der Teuto-
hügelkette. Die Stadtlandschaft dringt zu den inneren Bildern – oder ist
es umgekehrt? Herbstlicht. Zuversicht nehme ich mit die Treppe hinunter
in die miefige Luft der Stadtbahnhaltestelle.“ (Text: Harald Kinski, 2010)
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IM DRAUSSENI M D R A U S S E N
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DID I LOOK LIEK ANMAIL?D I D I L O O K L I E K A N M A I L ?
2 6 1 1 1 0 – 2 8 1 1 1 0
Die Künstler G117 (Rebecca Butzlaff, Dennis Neuschaefer-Rube, Tim
Rehm, Tim Sürken) und Lars Rosenbohm arbeiten seit einiger Zeit inner-
halb eines spielerisch-experimentellen Dialogs in den Bereichen Fotografie,
Video, Zeichnung und Malerei zusammen. Unter anderem entstanden in den
vergangenen Monaten übermalte / überzeichnete Fotoprints, die zuletzt un-
ter dem Titel Misstrauen – Geilheit – Interesse in der Galerie KunstLeben
im Gängeviertel Hamburg zu sehen waren. Diese Werke wurden an einem
Wochenende in der Artists Unlimited Galerie gezeigt. Maskerade, Selbstin-
szenierung und Rollenspiel sind Themen, mit denen sich die Künstler sowohl
in ihren Einzelarbeiten als auch in ihrer Kollaboration auseinandersetzen.
Spontan entstandene Szenen, Figurenkonstellationen und Zeichnungen
bilden dabei Grundlagen. Die unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen
werden durch das Überlagern und Ineinandergreifen verschiedener Medien
und Werkgruppen sichtbar und spiegeln die offene Arbeitsweise von G117
und Lars Rosenbohm wider.
Im letzten Jahr präsentierten G117 zum ersten Mal öffentlich die Ergebnis-
se ihrer Zusammenarbeit bei Artists Unlimited. Schon in seiner Eröffnungs-
rede stellte Daniel Neugebauer fest, dass es „sich hier um Personen handelt,
die Lust haben, visuelles Neuland zu betreten.“ Die intensive Zusammenar-
beit mit Lars Rosenbohm ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg, der unmit-
telbar durch das Artists Unlimited-Gebäude führt: Rebecca Butzlaff, Tim
Rehm, Tim Sürken und Lars Rosenbohm leben und arbeiten in dem Biele-
felder Künstlerhaus.
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Artists Unlimited beendet das ereignisreiche Jubiläumsjahr traditionell mit
der WeihnArt, der alljährlichen Benefizausstellung im Dezember. Bevor den
Galerieräumen eine kurze Pause gegönnt wird (nach 15 Veranstaltungen im
Galerieprogramm 2010), besteht die Gelegenheit, einige Punkte auf der
Geschenkliste abzuhaken. Malereien, Zeichnungen, druckgrafische Arbeiten,
Fotografien, Skulpturen, Schmuck ... der Gabentisch ist angerichtet. Die
Idee der WeihnArt ist einfach und erfolgreich: Jedes Jahr lädt Artists Unlimited
befreundete Künstler ein, an der Ausstellung teilzunehmen und ihre Werke
zum Verkauf anzubieten. Die Hälfte der Einnahmen geht an den Künstler,
die andere Hälfte geht an die Galerie. Dieses Geld wird verwendet, um lau-
fende Kosten zu decken, wie Strom, Einladungsversand und Instandhaltung
der Räume. Alle Galeriearbeiten werden nach wie vor ehrenamtlich geleistet
– eine der Grundideen von Artists Unlimited.
Bei der WeihnArt 2009 konnten wir uns wieder über eine überfüllte Gale-
rie (an Werken und Besuchern) freuen, in der die Tombola-Tanne sich jeden
Meter hart erkämpfen musste. Auch in diesem Jahr sind wir gespannt, wer das
Losglück auf seiner Seite hat. Alle anderen können sich an Glühwein, Bier
und Keksen erfreuen, die druckfrische Artists-Zeitung studieren – und kaufen,
kaufen, kaufen!
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WEIHNART 2010
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„Ich wusste gar nicht, wo ich schlafen soll.“
Zwei durchnächtigte Augen blinzeln mich am Morgen des zweiten Jubiläumstags aus einem verschatteten Gesicht an.
Dieses Problem werden am Wochende des 1./2. Mai die meisten Artists gehabt haben. Das hat man davon, wenn man Erdhaufen in sein
Schlafzimmer fährt, sich den Weg ins Bad mit wuchtigen Installationen verbaut, wenn man 2000 Quadratmeter Wohn- und
Arbeitsfläche in ein großes, begehbares Kunsterlebnis verwandelt.
Anlass dieser Metamorphose war das 25-jährige Bestehen von Artists Unlimited.
Begleitet von Blasmusik und blauem Himmel eröffnete Jenna Gesse (Artists Unlimited Vorstand) im Innenhof das Fest
mit den selben Worten, wie Daniel Bérenger (Gründungspräsident) ein Vierteljahrhundert zuvor:
„Meine Damen und Herren, das Haus Artists Unlimited ist für sie geöffnet.“
Die Jährung der Schlüsselübergabe durch die Stadt (1. Mai 1985) nahmen die Mitglieder zum Anlass, ihr Haus so
zu präsentieren, wie sie es am liebsten sehen: Vielfältig. Voller Austausch, Überraschungen und Energie.
Ein Ort für freie und angewandte Künste.
Monatelang wurde die Veranstaltung geplant und vorbereitet. Im Bericht des WDR-Fernsehens, dessen Team einige Tage vor dem Jubiläum
zum Dreh anrückte, erkannte man viele Räume kaum noch wieder, als würden alle 25 Artists gleichzeitig umziehen – oder den
Verstand verlieren. Eine Architektur, die sich wildwuchsartig im Lauf der letzten 25 Jahre im Haus entwickelt hat, machte die Verwirrung
perfekt. Sonst verborgene Ein- und Durchgänge wurden geöffnet, damit die ca. 1.500 Besucher das Haus
bis in den letzten Winkel erkunden konnten. Und zu entdecken gab es einiges.
Auf vier Etagen im Haupthaus, vier Etagen in den Flügeln, im Innenhof, im Garten, im Filmhaus-Foyer und im Kinosaal
präsentierten über 50 Künstler ihre Arbeiten und vereinten verschiedenste Kunstgattungen zum multimedialen Geburtstagskuchen.
Der Mix aus Arbeitsräumen, Wohnräumen und inszenierten Orten betonte die besondere Atmosphäre des Künstlerhauses.
In Kooperation mit einigen Artists Unlimited-Mitgliedern beteiligten sich ebenso befreundete Künstler, die eine enge Verbindung zum
Haus haben, darunter auch ehemalige Mitglieder und Gastkünstler. An beiden Tagen wurde das Ausstellungsprogramm durch Performances
und Live-Musik ergänzt, z.B. durch The Von Duesz, die Eis-LP-Performance von Ben Gwilliam oder die Performances im Fahrstuhl,
die stündlich auf einer anderen Etage stattfanden. Erwähnt werden soll auch die Live-Sound-Collage von Projekt Fein,
die Archiv-Texte aus 25 Jahren Artists Unlimited vertonten und Hausversammlungs-Protokollen eine ganz neue Dynamik verliehen.
Die Schlusspunkte setzten eine ausschweifende Party im Café Milestones, das sich im Erdgeschoss des Künstlerhauses befindet, und der
Auftritt der Schwitzenden Männer, die ebenso 1985 beim Auftakt gespielt hatten.
„Im Jahr 1985 gründeten kunstbegeisterte, junge Menschen den Verein Artists Unlimited aus dem Wunsch heraus, gestalterisches Arbeiten
und gemeinsames Wohnen zu verbinden und vor allem: Für beides endlich Platz zu haben.“
So beginnt unsere Geschichte. Wir leben und gestalten sie weiter, freuen uns schon auf das 30. Jubiläum von Artists Unlimited –
und fangen schon mal an, aufzuräumen.
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2010S
25YEAR
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A R T I S T S U N L I M I T E D U N D :
Sarah Berger, Marcus Beuter, Pedda Borowski, Rachael Elwell, Ben Gwilliam, Gereon Inger, Katrin Kamrau, Wilma Keuler, Regina
Knueppel, Annette Küper, Bob Levene, Leif Marcus, Timo Nentwig, Fatima Njai, Stan Pete, Matthias H. Risse, Paul Schwaderer, ART at
WORK, Die schwitzenden Männer, Garp, Dennis Neuschaefer-Rube, Projekt Fein, Sky Brass Angels, The Von Duesz
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25YEAR
PROGRAMM 2011
07 01 – 16 01 ANNA LOUISA WOLFF
18 02 – 03 03 KARSTEN HABIGHORST
30 03 – 20 04 OFFENE DRUCKWERKSTATT 3
ZEICHENKLASSE GEILEN
29 04 – 01 05 CECILIA HERRERO
30 04 NACHTANSICHTEN
06 05 – 15 05 PETER BURR
20 05 – 05 06 KLASSE FRIEDERIKE FELDMANN
KUNSTHOCHSCHULE KASSEL
18 06 BENEFIZPARTY
07 10 – 16 10 SUSAN JUNGE
07 10 ARTUR!
02 12 – 04 12 WEIHNART
GASTKÜNSTLER
15 02 – 15 05 PETER BURR (US)
01 06 – 31 08 RICCARDO BERETTA (IT)
15 09 – 15 12 JOOHEE YANG (KR / FR)
Herausgeber: Artists Unlimited e. V.
Gestaltung: Steffen Budke
Textredaktion: Jenna Gesse, Wojtek Ruhnau
Bildredaktion: Rebecca Butzlaff, Harriet Esther Muntean, Tim Sürken
Alle Bild- und Textrechte bei den Autoren.
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August-Bebel-Straße 94
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ArtistsUnlimited