Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter
Philosophie der Antike
Veroumlffentlichungen derKarl und Gertrud Abel-Stiftung
Herausgegeben vonWolfgang Kullmannin Verbindung mit
Jochen Althoff und Georg Woumlhrle
Band 35
De Gruyter
Die Metaphysik des Aristotelesim Mittelalter
Rezeption und Transformation
Herausgegeben vonGerhard Krieger
Akten der 14 Tagung der Karl undGertrud Abel-Stiftung
vom 4ndash6 Oktober 2011in Trier
De Gruyter
ISBN 978-1-5015-1105-9e-ISBN (PDF) 978-1-5015-0322-1e-ISBN (ePUB) 978-1-5015-0304-7
ISSN 0943-5921
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Inhaltsverzeichnis
Autorenverzeichnis XIII
Zur Einfuumlhrung
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter ndash Rezeption undTransformation 3Gerhard Krieger
I Zur Themenstellung 3II Zur Gliederung und zu den einzelnen Beitraumlgen 6
1 Selbstverstaumlndnis und Gestalt des metaphysischenDenkens in der Metaphysik 6
2 Die Metaphysik und metaphysisches Denken ambdquoVorabendldquo der Aristoteles-Rezeption 8
3 Metaphysikentwuumlrfe im 13 Jahrhundert 94 Metaphysikentwuumlrfe und Metaphysikkritik im
Spaumltmittelalter 13III Zu den Ergebnissen 16IV Zur Genese des Bandes und seiner redaktionellen Gestaltung 18V Danksagung 19Literatur 19
Selbstverstaumlndnis und Gestalt des metaphysischen Denkensin der Metaphysik
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion einesDenkwegs 23Emil Angehrn
I Die Frage nach der Herkunft 23II Der Anfang der Metaphysik 27III Das aristotelische Modell ndash Fluchtlinien metaphysischen
Denkens 291 Von der Ontologie zur Ousiologie 312 Metaphysik als Theologie 36
VI Inhaltsverzeichnis
IV Metaphysik und Metaphysikkritik 381 Jenseits von Substanz und Wesen 392 Pluralitaumlt Kontingenz Negativitaumlt 41
Literatur 42
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik im Lichtesprachanalytischer Ontologie 45Benedikt Strobel
Einleitung 45I Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in
der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formen zubezeichnen 511 Das Argument am Ende von Buch Beta 512 Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie
in der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formenals Universalien verstanden zu bezeichnen 61
3 Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategoriein der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formenals Particularia verstanden zu bezeichnen 64
II Paradoxe Konsequenzen der These dass jedes Universaleτοίόνδε ist 69
Literatur 77
Die Metaphysik und metaphysisches Denken am bdquoVorabendldquoder Aristoteles-Rezeption
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 81Tiana Koutzarova
I Was ist Metaphysik 82II Kritik 84III Methode und Grenzen der Metaphysik Avicennas 92
1 Wie verfaumlhrt eine uns moumlgliche Metaphysik 932 Die Grenzen der uns moumlglichen Metaphysik 95
Literatur 100
Inhaltsverzeichnis VII
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo ndash Zur Rezeption des Aristotelesund seiner Metaphysik in der mittelalterlichen juumldischen Philosophie 103Frederek Musall
I Hinfuumlhrung 103II Die Entwicklung des Bezugs zu Aristoteles bis Maimonides 104III Das Verhaumlltnis zu Aristoteles bei Maimonides 115IV Die weitere Verbreitung der aristotelischen Lehren bis zum
15 Jahrhundert 118V Fazit 122Literatur 123
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des DominicusGundissalinus (ca 1150) 131Alexander Fidora
I Einfuumlhrung 131II Dicitur metaphysica id est post naturam 132III Materia huius scientiae est ens 138IV Ceterae scientiae sunt sub scientia de ente 145V Konklusion 149Literatur 150
Metaphysikentwuumlrfe im 13 Jahrhundert
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformationder Metaphysik bei Albertus Magnus 155Hannes Moumlhle
I Alberts Metaphysik im Kontext der Aristoteles-Paraphrase 155II Einfache oder zweigeteilte Metaphysik 158III Die Voraussetzungslosigkeit des esse 163IV Die Transzendentalitaumlt des Seinsbegriffes 165V Zwischen zwei Tradition von Metaphysik 170VI Ganzheits- und reihentheoretischer Ansatz der Metaphysik 173VII Die Ambivalenz der resolutiven Methode 174VIII Ergaumlnzung der Metaphysik als Fokussierung ihrer
Perspektive 177IX Erweiterung der aristotelischen Metaphysik und deren
Verhaumlltnis zur Theologie 184Literatur 187
VIII Inhaltsverzeichnis
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 191Eleonore Stump
I Introduction 191II Difficulties raised by the doctrine of simplicity 192III Agnosticism about Godrsquos nature 195IV Esse and id quod est 198V Quantum metaphysics 200VI Simplicity contingency and divine free will 204VII Conclusion 208Literatur 209
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 211Olivier Boulnois
I La dimension critique 214II Premiegravere solution scotiste lrsquoanalogie vers la substance 219
1 Lrsquouniteacute du sujet de la meacutetaphysique 2202 La structure de la science 2213 Le sujet de la meacutetaphysique 222
III La deuxiegraveme solution scotiste lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant 2241 Lrsquouniteacute de lrsquoobjet de lrsquointellect 2252 La structure de la preacutedication 2283 Lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant 231
IV La troisiegraveme solution scotiste lrsquoattribution du multiple agraveDieu 2371 Une nouvelle structure de la science lrsquoagreacutegation 2372 Le sujet de la meacutetaphysique 2403 Lrsquoarticulation fondamentale de la meacutetaphysique 243
V Deux questions en suspens 2471 Lrsquoambiguiumlteacute de la res 2472 Lrsquohypothegravese drsquoun Dieu non-existant 248
Literatur 253
Meister Eckhart Aristotelische Metaphysik ohne aristotelischeOntologie 257Rolf Schoumlnberger
I Vorbemerkungen 257II Der Begriff des Seins 260III Denken und Leben 269
Inhaltsverzeichnis IX
IV Schlussbemerkungen 279Literatur 280
Metaphysikentwuumlrfe und Metaphysikkritik im Spaumltmittelalter
Metaphysik als Ontologie und Sprachanalyse Wilhelm von Ockham 285Matthias Kaufmann
I Was ist Metaphysik was tut der Metaphysiker 285II Die sprachliche Erschlieszligung des Seienden 290III Der Umgang mit Universalien und Transzendentalien 295
1 Was gibt es und wie finde ich das heraus 2952 Ockhams Methode am Beispiel der Quantitaumlt 2983 Die Rolle der Transzendentalien 301
IV Elemente der Erkenntnistheorie 302Literatur 304
Subjekt und Metaphysik ndash Rezeption und Transformation derMetaphysik im Denken des Johannes Buridan 307Gerhard Krieger
I bdquoSeinldquo im Verstaumlndnis der Metaphysik Buridans ndashGegenstaumlndlichkeit und faktische Existenz 3081 Gegenstaumlndlichkeit statt Seiendsein 3082 Faktische Existenz als Realitaumltsmodus des
Gegenstaumlndlichen 3123 Gegenstand und faktische Existenz ndash Der Sinn des Seins
in Buridans Verstaumlndnis des Transzendentalen 317II Wahrnehmung als Bedingung der Gegenstaumlndlichkeit 318
1 Sensus communis und imaginatio bei Aristoteles 3182 Sensus communis und imaginatio bei Buridan 319
III Vernunft als Bedingung gegenstaumlndlicher Bestimmtheit 3231 Die Kritik an Aristoteles 3252 Das Identitaumltsprinzip als bdquoerstes Prinzipldquo 326
IV Die transzendentale Wende als Element der Geschichte derMetaphysik des Aristoteles im Mittelalter 329
Literatur 331
X Inhaltsverzeichnis
Metaphysik als Entwurf ndash Cusanus und die Metaphysik 333Gerhard Krieger
I Hinfuumlhrung Zu den Voraussetzungen der Uumlberlegungenzum methodischen Vorgehen und zu einer ersten Erlaumluterungder intendierten Deutung 3331 Zu den Voraussetzungen und zum methodischen
Vorgehen 3332 Eine erste Erlaumluterung der intendierten Deutung
coniectura als Entwurf 335II Sinnliche Erkenntnis Vermittelte Unmittelbarkeit dank
imaginativer Vergegenwaumlrtigung sinnlicher Gehalte 339III Die Erkenntnis der Vernunft (ratio) kategorial logisch
modal 342IV Die Entwurfsgestalt der Erkenntnis des menschlichen Geistes 348
1 Der Ausgangspunkt Die Hypothese der Faktizitaumlt vonVorkommnissen 348
2 Die Basis der Erkenntnis Der Begriff des menschlichenGeistes 348
3 Die Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis in denWissenschaften und in der Wesenserkenntnis 352
4 Die Steigerung der Entwurfsgestalt menschlicherErkenntnis zur Perfektion in der Gotteserkenntnis 356
V Metaphysik als Entwurf ndash Ein Fazit 357Literatur 361
Grund und Ungrund Zur Metaphysik des Moumlglichen 363Wilhelm Schmidt-Biggemann
I Plotin Das Eine als Ungrund und erster Grund 363II Das metaphysische Dispositiv von Kausalitaumlt bei Aristoteles 364III Die Unerkennbarkeit des ersten Grundes Dionysius
Areopagita Liber de Causis 365IV Avicenna Das Reich des Moumlglichen und die Vehementia
essendi 366V Duns Scotus Die Verwirklichung des Rationalen als
irrationaler Willensakt 369VI Nikolaus von Kues Modaltheologie des ersten Prinzips 371
1 Theogonie und Ursprung der Kraft 3722 Spekulative Mathematik 375
VII Leibniz Cur potius aliquid quam nihil 376Literatur 379
Inhaltsverzeichnis XI
Register 383
1 Stellenregister 3832 Namenregister 393
Autorenverzeichnis
Prof em Dr Emil AngehrnPhilosophisches SeminarUniversitaumlt BaselSteinengraben 5CH minus 4051 Baselemilangehrnunibasch
Prof Dr Olivier BoulnoisEacutecole Pratique des Hautes EacutetudesSciences religieuses52 rue PerronetF minus 92200 Neuillyboulnoisoliviergmailcom
Prof Dr Alexander FidoraICREA-Universitat Autogravenoma deBarcelonaMRAE minus 08193 Bellaterra (Barcelona)alexanderfidoraicreacat
Prof Dr Matthias KaufmannInstitut fuumlr PhilosophieMartin-Luther-UniversitaumltSchleiermacherstr 106114 Hallematthiaskaufmannphiluni-hallede
Dr Tiana KoutzarovaInstitut fuumlr PhilosophieLehrstuhl Prof KobuschUniversitaumlt BonnAm Hof 1D- 53113 Bonntkoutzaruni-bonnde
Prof Dr Gerhard KriegerTheologische Fakultaumlt TrierLehrstuhl fuumlr Philosophie IUniversitaumltsring 1954296 Trierkriegerguni-trierde
Prof Dr Hannes MoumlhleAlbertus-Magnus-InstitutAdenauerallee 1753111 Bonnmoehlealbertus-magnus-institutde
JProf Dr Frederek MusallHochschule fuumlr Juumldische StudienHeidelbergLandfriedstr 1269117 Heidelbergfrederekmusallhfjsuni-heidelbergde
Prof Dr Wilhelm Schmidt-BiggemannInstitut fuumlr PhilosophieFreie Universistaumlt BerlinHabelschwerdter Allee 3014195 Berlinschmibigzedatfu-berlinde
Prof Dr Rolf SchoumlnbergerInstitut fuumlr PhilosophieUniversitaumlt RegensburgUniversitaumltsstr 3193040 Regensburgrolfschoenbergerpskuni-regensburgde
JProf Dr Benedikt StrobelUniversitaumlt TrierFachbereich I ndash Philosophie54286 Trierstrobeluni-trierde
Prof Dr Eleonore StumpSt Louis UniversityHumanities Building 2023800 Lindell BlvdUSA minus St Louis MO 63108stumpepsluedu
Zur Einfuumlhrung
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter ndashRezeption und Transformation
Zur Einfuumlhrung
Gerhard Krieger
I Zur Themenstellung
Der vorliegende Band widmet sich mit seiner Themenstellung der Geschichtedes mit dem Namen bdquoMetaphysikldquo angesprochenen Textes des Aristotelesim Mittelalter In der Verwendung des Ausdrucks bdquoMittelalterldquo orientiert sichder Band dabei an demjenigen Verstaumlndnis das diesen Terminus in der Ein-schraumlnkung auf das bdquolateinischeldquo Mittelalter bezieht1 Vor diesem Hinter-grund versteht sich die Ausrichtung des vorliegenden Bandes auf die im Titelangesprochene Rezeption und Transformation als Untersuchung der Uumlber-nahme und Weitergabe eines uumlberlieferten antiken Textes Uumlbernahme undWeitergabe realisieren sich dabei in einem aktiven Vollzug was sich schon inder Uumlbersetzung der antiken (ebenso wie der arabischen und hebraumlischen)Texte zeigt Die Geschichte der Metaphysik des Aristoteles steht im Zusam-menhang des Verhaumlltnisses des lateinischen Mittelalters zur Antike welchesVerhaumlltnis in seiner Gestalt von Uumlbernahme und Weitergabe aktiver Naturist In diesem Sinne realisiert sich in der Rezeption und Transformation deraristotelischen Metaphysik im Mittelalter das Fortleben der Antike das nichtbloszlig gewachsenes Weiterleben ist
Wonach bestimmen sich diese Uumlbernahme und Weitergabe in ihrem akti-ven Charakter Ohne Zweifel ist das christliche Selbstverstaumlndnis hier maszlig-geblich Hinsichtlich der Bedeutung dieser Maszliggabe ist zu bedenken dassmit der Metaphysik ein philosophischer Text angeeignet wird In dieser Hin-sicht orientiert sich das Konzept des vorliegenden Bandes daran dass die an-gesprochene Aneignung der Metaphysik zu sehen ist im Zusammenhang der
1 Vgl zu diesem Verstaumlndnis und zum Hintergrund der folgenden Uumlberlegungen insgesamtW Kluxen Charakteristik einer Epoche zur Gesamtinterpretation der Philosophie des latei-nischen Mittelalters in Ders Aspekte und Stationen der mittelalterlichen Philosophiehrsg v L Honnefelder u H Moumlhle Paderborn 2012 401ndash410
4 Gerhard Krieger
Hinwendung zur Philosophie die als Element und Teil der eigenen christlichenTradition und nicht als fremdes Gut und auszligerchristliche Realitaumlt betrachtetwird2 Die Philosophie und damit das Prinzip der Rationalitaumlt haben im Mit-telalter einen legitimen Platz im christlichen Selbst- und Weltverstaumlndnis
Diese Stellung und Bedeutung der Philosophie hat fuumlr die Frage nach denbestimmenden Hinsichten der Uumlbernahme und Weitergabe der Metaphysikim Mittelalter zur Folge dass diese ihrerseits eine Herausforderung fuumlr daschristliche Selbstverstaumlndnis darstellt Wie sich diese Einschaumltzung im Beson-deren versteht zeigt sich im Blick darauf dass sich die Uumlbernahme und Wei-tergabe der aristotelischen Metaphysik im Zusammenhang der fuumlr gewoumlhn-lich als bdquomittelalterliche Aristoteles-Rezeptionldquo bezeichneten Wiederentde-ckung des corpus aristotelicum im lateinischen Westen vollzieht3 DieserVorgang erfolgt vor dem Hintergrund der Kenntnis aristotelischer Auffassun-gen aus der Logik und im Rahmen eines umfassenderen RezeptionsvorgangsSoweit es die angesprochene Kenntnis bereits bekannter Schriften betrifftwird Aristoteles weder gesteigerte Aufmerksamkeit entgegengebracht nochgar als besondere Herausforderung empfunden Dies gilt auch noch fuumlr denab dem 11 Jahrhundert allmaumlhlich zunehmenden im 12 Jahrhundert sichzu einem bis dahin ungekannten Ausmaszlig steigernden Wissenstransfer der zuBeginn vornehmlich auf Medizin und Naturwissenschaft ausgerichtet ist Indiesem Zusammenhang gelangen weitere aristotelische Schriften insbesonde-re aus Naturkunde und Naturphilosophie in den lateinischen Westen DieseSchriften erweitern das betreffende Wissen sie werden aber nicht als Teileeines Gesamtcorpus rezipiert Entsprechend werden die Metaphysik und an-dere Schriften des Stagiriten in dieser Zeit zwar ebenfalls uumlbersetzt und liegeninsoweit vor sie werden aber nicht weiter abgeschrieben bleiben also ungele-sen und damit unbeachtet Aristoteles bleibt (noch) nur einer unter vielen
Bekanntlich aumlndert sich das bis zur Mitte des 13 Jahrhunderts grundle-gend Innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts avanciert Aristoteles zur
2 Vgl dazu naumlher G Krieger Herausforderung durch Religion Begegnungen der Philosophiemit Religionen in Mittelalter und Renaissance Eine philosophiehistorische Hinfuumlhrung inreligionsphilosophischer Absicht in Ders (Hrsg) Herausforderung durch Religion Be-gegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance Wuumlrzburg 201117ndash39 im Besonderen 19ndash25 G Krieger Christliches Heil und antikes Denken Zur philo-sophischen Bedeutung der Zeit Konstantins in Ders u a (Hrsg) Konstantin der GroszligeDer Kaiser und die Christen ndash die Christen und der Kaiser hrsg v M FiedrowiczG Krie-gerW Weber Trier 32007 267ndash292 im Besonderen 272ndash281
3 Vgl dazu im Einzelnen B G Dod Aristoteles-Latinus in N Kretzmann u a (Hrsg) TheCambridge History of Later Medieval Philosophy Cambridge 1982 45ndash79 C Lohr TheMedieval Interpretation of Aristotle in N Kretzmann u a (Hrsg) The Cambridge Histo-ry ebd 80ndash98
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 5
maszliggeblichen philosophischen Autoritaumlt Das erwaumlhnte Desinteresse an be-reits vorliegenden uumlbersetzten Texten zeigt dass diese Entwicklung nicht aufdie bis zum genannten Zeitpunkt erfolgte Kenntnisnahme des aristotelischenSchrifttums zuruumlckgefuumlhrt werden kann Insoweit besteht eine Differenz zwi-schen dieser Rezeption der Schriften auf der einen Seite und der Aneignungder aristotelischen Philosophie als solcher auf der anderen Seite Im Zusam-menhang der hier zu bearbeitenden Aufgabe kann freilich die Erklaumlrung da-fuumlr offen bleiben4 Festzuhalten bleibt dass die letztgenannte Aneignung zuverstehen ist im Sinne des Interesses an der bdquoaristotelischen Philosophie alsganzerldquo5 Aristoteles repraumlsentiert die Philosophie als rationale und insoweiteigene Dimension umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstver-staumlndigung In seiner Metaphysik tritt dem mittelalterlichen Denken die Phi-losophie im Sinne dieser Orientierung in zweifacher Hinsicht entgegen zumeinen als philosophische Grundlagendisziplin welche das Seiende als Seien-des oder im Ganzen untersucht zum anderen als Wissenschaft vom erstengoumlttlichen Seienden6 Die Metaphysik stellt also in diesen beiden Hinsichteneine Herausforderung fuumlr das christliche Denken dar Diese Herausforderungschlieszligt nicht allein die Frage ein wie das Verstaumlndnis des metaphysischenDenkens im Sinne der aristotelischen Betrachtung im Sinne also der Hinsichtdes Seins in seiner Begegnung mit der christlichen Auffassung rezipiert undtransformiert wird Da die Philosophie und damit das Prinzip der Rationali-taumlt im Mittelalter einen legitimen Platz im christlichen Selbst- und Weltver-staumlndnis haben schlieszligt dessen Herausforderung durch die Metaphysikdurchaus auch die Frage ein wie und inwieweit die aristotelische Sicht inkritischer Weise aufgenommen und weiter gegeben wird Insoweit sich daschristliche Denken im Modus wissenschaftlicher Theologie realisiert ist dieDisziplin der Metaphysik deswegen dasjenige Feld in dem diese im Sinne derskizzierten Herausforderung unmittelbar (offenbarungs-) theologisch bedeut-sam wird (was im vorliegenden Band nicht selbst thematisch wird) Umge-kehrt besagt dies dass im Mittelalter im Besonderen (Offenbarungs-) Theolo-gen bedeutsame Beitraumlge zur Rezeption und Transformation der Metaphysikleisten Die angesprochene Anerkennung der Selbstaumlndigkeit der Philosophieim christlichen Selbstverstaumlndnis laumlsst daruumlber hinaus die Moumlglichkeit ihrer
4 Ein nach wie vor bedenkenswerter Versuch ist der Beitrag von G Wieland Plato oderAristoteles Uumlberlegungen zur Aristoteles-Rezeption des lateinischen Mittelalters Tijd-schrift voor Filosofie 47 1985 605ndash630
5 J R Soumlder Hochmittelalter Die Wiederentdeckung des Politischen in C HornA Nesch-ke-Hentschke (Hrsg) Politischer Aristotelismus Die Rezeption der aristotelischen sbquoPolitiklsquovon der Antike bis zum 19 Jahrhundert Stuttgart 2008 51ndash76 hier 57
6 Vgl dazu G Krieger Substanz in Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe Bd 3FreiburgndashMuumlnchen 2011 2146ndash2158 hier 2146ndash2152
6 Gerhard Krieger
eigenstaumlndigen Realisierung unabhaumlngig von der (Offenbarungs-) Theologiezu wie es bei Johannes Buridan der Fall ist insofern dieser in der Artes-Fakultaumlt verbleibt
Die Themenstellung des vorliegenden Bandes bestimmt sich somit nachzwei Hinsichten Zum einen stellt die Geschichte der aristotelischen Meta-physik im Mittelalter einen aktiven Prozess dar der als solcher nach denAspekten der Rezeption und der Transformation der Uumlbernahme und derWeitergabe unterschieden werden kann zum anderen schlieszligt die Themen-stellung des Bandes ein dass sich dem christlichen Denken im Mittelalter mitder Metaphysik im Besonderen die Fragen nach der Gestalt und der Reich-weite des metaphysischen Denkens nicht nur im Sinne der Hinsicht des Seinssondern durchaus auch in kritischer Haltung dazu und damit in anderer Wei-se stellen Der vorliegende Band versammelt seine Beitraumlge in der Absichtdie skizzierte Themenstellung zum einen in den Aspekten dieser Beitraumlgeselbst naumlher zu beleuchten Daruumlber hinaus ist angezielt die Wirkungsge-schichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter gemaumlszlig diesem Zusam-menhang von Rezeption und Transformation ebenso in ihrer Bedeutung fuumlrdas metaphysische Denken selbst d h im Blick auf sein aristotelisches Ver-staumlndnis und auf dessen Kritik zu beleuchten wie auch in Hinsicht auf dessenVerhaumlltnis zum christlichen Selbstverstaumlndnis
II Zur Gliederung und zu den einzelnen Beitraumlgen
1 Selbstverstaumlndnis und Gestalt des metaphysischen Denkensin der Metaphysik
Zu Beginn erfolgt eine Vergegenwaumlrtigung des metaphysischen Denkens derMetaphysik selbst und zwar zum einen im Blick auf gegenwaumlrtige philoso-phische Auseinandersetzungen um das Anliegen und die Gestalt des metaphy-sischen Denkens als solchen und deren Verhaumlltnis zur Metaphysik des Aristo-teles Im Beitrag bdquoDie Entstehung der Metaphysik Zur Rekonstruktion einesDenkwegesldquo zeigt E Angehrn auf dass die Problematisierungen zum einendie Grunduumlberzeugung betreffen dass es in den Dingen ein festes Wesen gibtund dass Erkennen und Sprechen nur in Abstuumltzung auf diese letzten Be-stimmtheiten moumlglich ist Zum anderen erfolgt eine Distanzierung in Bezugauf die tragende Grundhaltung aus der heraus bdquoErste Philosophieldquo ihr Zielformuliert und ihre konzeptionellen Grundlagen erarbeitet Geht es in dererstgenannten Auseinandersetzung um die besondere Grunduumlberzeugung derMetaphysik des Aristoteles erscheint in der letztgenannten Diskussion dasProjekt des metaphysischen Denkens als solchen fragwuumlrdig In diesen Ausei-
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 7
nandersetzungen scheinen Weichenstellungen auf die die Entstehungsge-schichte und den Gang der Metaphysik selbst bestimmen und deren fruumlheProfilierung sich in den Schriften des Aristoteles findet Insofern erweist sichdie aristotelische Metaphysik als ein Gruumlndungsdokument der europaumlischenDenkgeschichte par excellence Der Weg des Denkens den sie eroumlffnet indemsie sich ihrer Vorgeschichte vergewissert und sich in sie einschreibt bleibtoffen im Blick sowohl auf die unabgeschlossene Arbeit des Denkens als auchauf die reflexive Selbstaufklaumlrung und kritische Befragung
Die zweite Hinsicht unter der im Blick auf die gegenwaumlrtige Philosophieeine Vergegenwaumlrtigung des metaphysischen Denkens in der Metaphysikselbst erfolgt richtet das Augenmerk auf gegenwaumlrtige philosophische Ausei-nandersetzungen soweit diese ihren sachlichen Anspruch nicht historischvermittelt verstehen und zur Geltung bringen In diesem Feld sind es im Be-sonderen Bemuumlhungen die sich der sogenannten sprachanalytischen Philoso-phie zurechnen die im Bezug zur Metaphysik des Aristoteles Ontologie be-treiben metaphysisches Denken also im Sinne jener Hinsicht realisieren inder Aristoteles selbst das Seiende als solches untersucht Im Sinne der zuvorangesprochenen Uumlberlegungen im Beitrag Angehrns betrachtet handelt es sichum Bemuumlhungen die in die Richtung der Grunduumlberzeugung der Metaphysikzielen dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen undSprechen nur in Abstuumltzung auf diese letzten Bestimmtheiten moumlglich ist7
Der Beitrag von B Strobel bdquoProbleme der Theorie der οὐσία der Metaphysikim Lichte der sprachanalytischen Philosophieldquo stellt sich in diesem Sinne dieFrage was generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen Diese Frageversteht sich konkret im Bezug auf Ausdruumlcke wie bdquoMenschldquo oder bdquoBaumlrldquosoweit diese dazu dienen zu sagen was ein X ist Der Beitrag will im Blickauf die Metaphysik zeigen dass das was mit solchen Ausdruumlcken bezeichnetwird ein Universale ist dass das Universale seinerseits kein τόδε τι sondernein τοιόνδε ist und dass Ausdruumlcke die ein Universale bezeichnen Ausdruumlckealso wie die genannten auf mehrere Einzeldinge referieren koumlnnen Daruumlberhinaus sucht der Beitrag deutlich zu machen dass Aristoteles und Frege darinuumlbereinstimmen dass ein τόδετι nur von singulaumlren Termen wie z B Eigenna-men bezeichnet werden kann waumlhrend Universalien nicht von derartigenTermen bezeichnet werden koumlnnen Anders gesagt Ausdruumlcke wie die ge-nannten bdquoMenschldquo oder bdquoBaumlrldquo haben eine Bedeutung die durch Ausdruumlckewie die genannten bezeichnet werden koumlnnen Weiter koumlnnen derartige Be-deutungen mit Hilfe von Ausdruumlcken wie den genannten auf mehrere Einzel-dinge bezogen und von diesen ausgesagt werden Insoweit zeigt sich dassBedeutungen im Unterschied zu Einzeldingen allgemeiner Natur sind Deswe-
7 Vgl dazu ebd 2155 f
8 Gerhard Krieger
gen koumlnnen Bedeutungen auch nicht durch Eigennamen bezeichnet werdenDeswegen kann gesagt werden dass Sokrates Mensch aber nicht der Menschist
2 Die Metaphysik und metaphysisches Denken am bdquoVorabendldquoder Aristoteles-Rezeption
In diesem Teil richtet sich der Blick auf die Uumlberlieferung der Metaphysik imarabischen und juumldischen Zusammenhang und auf das metaphysische Den-ken im christlichen Bereich vor der ersten lateinischen Uumlbersetzung des aris-totelischen Textes Im Sinne der Rezeption stehen damit Uumlberlieferungszu-sammenhaumlnge im Blick die ihrerseits im Bezug zur Metaphysik des Aristote-les im Besonderen wie zu philosophischer und wissenschaftlicher Literaturim Allgemeinen im Verhaumlltnis zu Texten stehen die sich in Kategorien grie-chischen Ursprungs entwickelt hatten Insoweit gibt es fuumlr alle drei Uumlberliefe-rungszusammenhaumlnge eine gemeinsame Basis Eine zweite Gemeinsamkeit istdarin gegeben dass alle drei Traditionen auf diese gemeinsame Basis im Hori-zont eines religioumlsen Selbstverstaumlndnisses Bezug nehmen Vor diesem Hinter-grund richtet sich der Blick in den Beitraumlgen dieses Teils auf je ein Beispielaus den genannten drei Traditionszusammenhaumlngen
In ihrem Beitrag bdquoAvicenna uumlber die Moumlglichkeit Methode und Grenzender Metaphysikldquo stellt T Koutzarova ebenso das Konzept des genanntenarabischen Denkers dar wie sie einige zentrale Veraumlnderungen im Verhaumlltniszu demjenigen des Aristoteles hervorhebt Von zentraler Bedeutung ist fuumlrAvicenna die Fokussierung der metaphysischen Betrachtung auf den Begriffdes Seienden als solchen der den schlechthin gemeinsamen Kern jeder Er-kenntnis eines bestimmten Seienden ausmacht und seinem Gehalt nach dasanspricht bdquodem es nicht widerstreitet denkunabhaumlngige Realitaumlt zu habenldquoAuf diese Weise verfolgt Avicenna einen gegenuumlber der aristotelischen Vorla-ge neuen Weg der Explikation des Seienden uumlber die Unterscheidung vonSubstanz und Akzidens hinaus Alles Seiende ist entweder ein durch sichselbst extramental Bestehendes oder ein solches dem an sich selbst betrachtetweder reale Existenz noch Nichtexistenz widersprechen Die Betrachtung desersten ausgezeichneten Seienden realisiert Avicenna durch die modale Expli-kation des Begriffs des Seienden Insofern erweist sich ihm das goumlttliche Sei-ende in seiner Notwendigkeit als der Inbegriff der Seiendheit Avicenna ent-wickelt auf diese Weise ein Konzept der Metaphysik das im Mittelalter ins-besondere bei Duns Scotus aufgegriffen und vermittels der Rezeption seinesDenkens uumlber das Mittelalter hinaus wirksam wird
F Musall macht in seinem Beitrag bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphy-sikldquo ndash Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalter-
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 9
lichen juumldischen Philosophieldquo deutlich dass sich der juumldische Bezug insbeson-dere zur Metaphysik im Verhaumlltnis zu arabisch-islamischer Kommentarlitera-tur und Paraphrasen vollzieht die dann spaumlter auch vom Arabischen insHebraumlische uumlbertragen wurden Im Denken des Maimonides realisiert sichein Aristotelismus der sich an Averroistischem Denken orientiert und einemaszliggebliche Rezeptionslinie der Metaphysik initiiert8 Seit der Mitte des13 Jahrhunderts kommt es zudem zu Uumlbersetzungen sowohl der Metaphysikaus dem Lateinischen als auch von Kommentaren lateinischer Autoren insHebraumlische Daruumlber hinaus entsteht im 13 Jahrhundert in Spanien mit derKabbalah ein insbesondere mit dem Aristotelismus des Maimonides konkur-rierendes juumldisches Denken das in den folgenden Jahrhunderten zunehmendan Bedeutung gewinnt
Die besondere Weichenstellung die Dominicus Gundissalinus fuumlr die Re-zeption der Metaphysik im 13 Jahrhundert vornimmt erfolgt wie A Fidorain seinem Beitrag bdquoOmnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des DominicusGundissalinusldquo darlegt in den betreffenden Partien in De divisione philoso-phiae Diese Weichenstellung vollzieht sich in der Abkehr vom boethianisch-chartresischen Konzept der Metaphysik als Theologik hin zu einer Metaphy-sik verstanden als Ontologie indem Dominicus den Ausdruck metaphysicaexplizit im Unterschied zu theologi(c)a zur Bezeichnung einer Wissenschaftund nicht eines Buches einfuumlhrt und das ens als deren eigentuumlmliche materiabestimmt In diesem ontologischen Konzept orientiert sich Gundissalinus ander uumlber die arabische Tradition vermittelten aristotelischen Wissenschafts-theorie
3 Metaphysikentwuumlrfe im 13 Jahrhundert
In der Metaphysik tritt dem mittelalterlichen Denken die Philosophie zumeinen als philosophische Grundlagendisziplin entgegen welche das Seiendeals Seiendes oder im Ganzen untersucht zum anderen als Wissenschaft vomersten goumlttlichen Seienden Im Zuge der Aristoteles-Rezeption realisiert sichmittelalterliches Denken zugleich im Modus wissenschaftlicher Theologie sodass die Disziplin der Metaphysik dasjenige Feld darstellt in dem diese (of-
8 Im Blick auf die Auffassung des Maimonides sei uumlber den vorliegenden Beitrag hinausergaumlnzend auf deren Rezeption bei christlichen Denkern hingewiesen in der sich zeigt dassder juumldische Denker als gleichartiger Diskussionspartner angenommen wird und nicht ohneEinfluss im christlichen Raum bleibt Vgl dazu W Kluxen Maimonides und die Hochscho-lastik Maimonides und die philosophische Orientierung seiner lateinischen Leser Eineinterpretatorische Reflexion in Ders Aspekte und Stationen (wie Anm 1) 284ndash298299ndash311
10 Gerhard Krieger
fenbarungs-) theologisch bedeutsam wird Im Zusammenhang dieser Ausei-nandersetzung haben uumlber die bereits angesprochenen arabischen und juumldi-schen Uumlberlieferungszusammenhaumlnge philosophischer Literatur der Antikehinaus auch Texte eine Bedeutung die von Byzanz aus in das Mittelaltergelangen und ihrerseits antiken Ursprungs sind Im Besonderen gilt das fuumlrTexte des Pseudo-Dionysius die vor allem bei Albertus Magnus und MeisterEckhart in die Auseinandersetzung mit der Metaphysik einbezogen werden
Die in diesem Teil versammelten Beitraumlge betreffen insgesamt Denkerdie wissenschaftliche Theologen sind und fuumlr die die genannten Kennzeichenmetaphysischen Denkens zu bestimmenden Hinsichten ihrer Rezeption undTransformation der Metaphysik werden Das geschieht in so unterschiedli-cher Weise dass im Ergebnis so wenig von einer einzigen Gestalt der Meta-physik gesprochen werden kann wie zugleich die mittelalterliche Wirkungs-geschichte der Metaphysik in ihrer Dynamik und innovativen Kraft und Be-deutung hervortritt
H Moumlhle befasst sich unter der Frage bdquoMetaphysik als Theologikldquo mitder bdquoRezeption und Transformation der Metaphysik bei Albertus MagnusldquoEr hebt hervor dass sich Albert mit der Kommentierung der Metaphysikdes Aristoteles und des neuplatonischen Liber de causis zum Ziel setzt denLateinern Aristoteles verstaumlndlich zu machen d h in den Kontext der christ-lichen Lehre zu integrieren und seine Schriften dem universitaumlren Lehrbetriebeinzufuumlgen Daraus resultiert die Aufgabe das Werk des Aristoteles und denLiber de causis einer einheitlichen Deutung zuzufuumlhren die was ihre Inhaltebetrifft mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen ist und die in wis-senschaftstheoretischer Hinsicht ein Nebeneinander der Disziplinen der Ers-ten Philosophie und der christlichen Theologie erlaubt Im Besonderen be-stimmt Albert den Gegenstand der Metaphysik als das Seiende und betontdass dieses das erste Prinzip von allem ist allerdings in der Beschraumlnkungauf das geschaffene Sein das als Geschaffenes nicht das erste Prinzip bzwGott als Voraussetzung der Schoumlpfung mit umfassen kann Das begriffslogi-sche Verfahren gelangt demnach bis zu einem primum creatum naumlmlich demdurch den Begriff esse Beschreibbaren und damit nicht bis zu Gott als demersten Prinzip selbst In einem in Auseinandersetzung mit Dionysius entwi-ckelten kausaltheoretischen Vorgehen innerhalb der Metaphysik gelingt wei-ter uumlber den Ursachenbegriff noch eine eingeschraumlnkte Erfassung des Erstendas dadurch in den Blick kommt dass man es als erste Ursache begreiftAn diesem Punkt gelangt die kausaltheoretisch argumentierende Metaphysikzugleich an eine Schnittstelle an der die metaphysisch ausweisbaren Begriffeder Verursachung und der Einformung vom offenbarungstheologischen Be-griff der Schoumlpfung uumlberboten und in ihrer Begrenzung als philosophischeGrundbegriffe erkennbar werden In Hinsicht auf das metaphysische Denkenbei Albert zeigt sich also zum einen dass die ganzheitstheoretische Betrach-
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 11
tungsweise die von einem allgemeinen Begriff des Seins ausgeht reihentheo-retisch ergaumlnzt wird Weiter wird offenbar dass er von einer urspruumlnglichenEinheit in der Sache ausgeht die sich praumldikationslogisch oder kausaltheore-tisch erfassen laumlsst Dabei scheint das Verhaumlltnis beider Betrachtungsweisendas einer vertiefenden Fokussierung des ganzheitstheoretischen Verfahrensdurch die kausal orientierte und an den Substanzbegriff anknuumlpfende Be-trachtung zu sein Die Deutung Alberts wird somit davon getragen dass dasSeiende als Gegenstand der Metaphysik eben auch als Substanz und darananschlieszligend unter dem Aspekt der Ursache verstanden werden kann DieRede von einer Metaphysik als Theologik duumlrfte deshalb in Bezug auf Albertnicht angemessen sein
Wie ist die goumlttliche Freiheit gemaumlszlig der Identitaumlt von esse und essentiain Gott zu deuten In dieser Frage richtet E Stump im Beitrag bdquoSimplicityand Aquinasrsquos Quantum Metaphysicsldquo ihr Augenmerk auf die Gotteslehredes Thomas von Aquin Sie geht dabei von der Annahme aus dass die besag-te Identitaumltsthese nahelegt dass Gott tatsaumlchlich das tut was er tun kannInsoweit scheint goumlttliches Handeln notwendiger Natur zu sein Die Interpre-tin setzt in ihrer Deutung daran an dass sich die Identitaumltsthese bei Thomasdoch nicht im Sinne einer strikten Bestimmung des goumlttlichen Wesens ver-steht Gottes quid est ist fuumlr den Menschen unbegreifbar gleichwohl wird esihm zugeordnet ein quid est zu haben Gottes Sein sprengt die Unterschei-dung zwischen den beiden Begriffen deshalb ist er in seinem Handeln freiund diese Freiheit kommt nicht bloszlig als eine Eigenschaft hinzu In Parallelezur Quantenphysik die sich mit dem Licht befasst und ihm Attribute zuweist(z B Wellen) auch wenn diese das Objekt letztlich nicht in perfekter Weisezu beschreiben vermoumlgen spricht Stump von einer bdquoQuantenmetaphysikldquodie uumlber Gott nachdenkt ndash beiden ist eine gewisse Unangemessenheit ihrerSprache zur Erfassung ihres Gegenstandes zu eigen beide sind aber auf dieseSprache angewiesen Fuumlr Thomas von Aquin ist der letzte Grund der Realitaumltwie bei Aristoteles ein Seiendes doch ist dieses im Unterschied zur betreffen-den aristotelischen Einschaumltzung eine Entitaumlt der die Faumlhigkeit zukommtschoumlpferisch taumltig zu sein zu wissen und zu lieben
Die beiden Hinsichten unter denen dem mittelalterlichen Denken in derMetaphysik die Philosophie entgegentritt ndash als philosophische Grundlagen-disziplin welche das Seiende als Seiendes oder im Ganzen untersucht undals Wissenschaft vom ersten goumlttlichen Seienden ndash erscheinen in den Quaesti-ones des Johannes Duns Scotus nach ihrer ersten Edition in der Ambivalenzzweier Themen und Dimensionen der Metaphysik Diese Ambivalenz nimmtO Boulnois zum Ausgangspunkt seines Beitrags bdquoDuns Scot et la refondationde la metaphysiqueldquo um die Haltung des mittelalterlichen Denkers dazu zubestimmen Sieht es in den Quaestiones nach der genannten Edition so ausals ob Scotus nicht zu einer Loumlsung gelangt zeigt ein Nachtrag in der neu
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erschienenen Edition dass er die Univozitaumlt des Seins aufzeigen will Im Lich-te dieses Ergebnisses eroumlrtert Boulnois weiter die Haltung des Scotus in derFrage nach dem subiectum der Metaphysik Im Besonderen werden dazu dreiThesen eroumlrtert Erstens Der fragliche Gegenstand ist die Substanz dieseThese findet sich in ersten Ausgabe der Quaestiones Zweitens ist nach dentheologischen Schriften der Begriff des Seienden der infrage stehende Gegen-stand Schlieszliglich ist der gesuchte Gegenstand das erste Seiende Gott imSinne der Zuordnung zum Sein diese These findet sich in den Quaestionesin ihrer neuen kritischen Ausgabe die den besagten Nachtrag enthaumllt Inder Einschaumltzung seines Interpreten kommen hier verschiedene Facetten derHaltung zu jener Ambivalenz zum Ausdruck in der Scotus die beiden Hin-sichten der Metaphysik wahrnimmt Im Lichte der besagten Univozitaumltsthesebetrachtet ergibt sich fuumlr seinen Interpreten dass Scotus diese Schwierigkei-ten bzw diese Ambivalenz mit den beiden letztgenannten Thesen bewaumlltigt
R Schoumlnberger knuumlpft in seinem Beitrag bdquoMeister Eckhart AristotelischeMetaphysik ohne aristotelische Ontologieldquo daran an dass die erste Propositi-on im Opus propositionum das Sein mit dem beruumlhmten Satz bdquoesse est deusldquobestimmt Eckhart begruumlndet diesen Satz unter Berufung auf die Kategorien-schrift des Aristoteles kommt aber zu einem entgegengesetzten ErgebnisEckharts Seinsbegriff weicht in seiner Struktur ebenso wie in der Weise seinerGewinnung ungeachtet von Eckharts Berufungen und Inanspruchnahmen aufmarkante Weise vom aristotelischen Begriff des Seins ab Er macht sich aufdiese Weise die Metaphysik im Sinne der Wissenschaft vom houmlchsten Seien-den zu eigen Weiter untersucht Schoumlnberger Eckharts Seinsbegriff im Blickauf die Triade von Sein ndash Leben ndash Denken Es zeigt sich dass Eckhart zwi-schen dem Sein einerseits und Leben und Denken andererseits unterscheidetWaumlhrend Sein das Moment der Erschaffbarkeit enthaumllt kann dies von Lebenund Denken seiner Auffassung nach nicht behauptet werden Eckhart ver-steht sowohl Leben als auch Erkennen als etwas Unableitbares von innenher Bestimmtes Eckhart denkt also auf der einen Seite im Opus proposito-num Gott als Sein und damit Seinverleihendes auf der anderen Seite stellter Leben und Denken als urspruumlngliche Verhaumlltnisse in eine Differenz zumerschaffbaren Sein Liegt hier ein Widerspruch vor oder doch nur eine Unter-scheidung des Seins nach einer Hinsicht die durchaus im Zusammenhangmit dem goumlttlichen Sein gedacht werden kann Im Blick auf Eckharts Bezug-nahme auf philosophische auctoritates hebt Schoumlnberger schlieszliglich hervordass diese nicht Gegenstand kommentierender Aneignung sondern Quelleder Inspiration und Material der Inanspruchnahme sind In den Augen Eck-harts selbst liegt wohl keinerlei Beliebigkeit vor denn er sieht sie in demSinne in der er sie versteht zugleich als wahr an Wenn ein Satz inhaltlichals wahr anerkannt werden muss ist nicht mehr entscheidend ob sein Sinnim historischen Sinne zutreffend bestimmt ist Das wiederum heiszligt dass die
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 13
Bedeutung eines Satzes auf die Intention des Autors festgelegt werden kann ndashoder um es im Sinne Eckharts zu formulieren reduziert werden darf
4 Metaphysikentwuumlrfe und Metaphysikkritik im Spaumltmittelalter
Der folgende Teil widmet sich der Rezeption und Transformation der Meta-physik im Blick auf Autoren des Spaumltmittelalters Die Differenz zur Betrach-tung der im vorangegangen Teil versammelten Beitraumlge ist aber nicht lediglichaumluszligerer Natur Eine wesentliche Hinsicht in der Betrachtung der Uumlberlegun-gen der in diesem vierten Teil in der Blick genommenen Denker ist die derMetaphysikkritik und zwar zunaumlchst im Sinne der Frage wie und inwieweitmetaphysisches Denken wie es den hier angesprochenen Denkern in der Me-taphysik entgegentritt in die Kritik geraumlt und wie und inwieweit sich aufdiese Weise ihre Transformation bestimmt Wie sich zeigt besagt die Ant-wort dass sich diese Kritik soweit es Johannes Buridan und Nikolaus vonKues betrifft im Verzicht auf die Hinsicht des Seins realisiert bei Wilhelmvon Ockham erscheint es in der Sicht des vorliegenden Beitrages zumindestfraglich dass er diese Hinsicht uumlber die formale Analyse ihrer Vermittlungim Modus sprachlicher Gestalt hinaus thematisiert und bestimmt Weiter legtsich nahe den Aspekt der Vermittlung umfassender Weltorientierung undmenschlicher Selbstverstaumlndigung ndash sei es in sprachlicher Gestalt wie bei Ock-ham sei es im Modus sinnlicher und vernunftbestimmter Erkenntnis bzwder sinnlichen rationalen und intellektiven Vollzuumlge des menschlichen Geis-tes wie bei Buridan bzw Nikolaus von Kues ndash und deren Analyse als dasjeni-ge Moment anzusehen das den hier vorgestellten drei Metaphysikentwuumlrfenaus dem Spaumltmittelalter gemeinsam ist und sie in je eigener Weise praumlgt Vonhier aus und im Lichte des angesprochenen metaphysikkritischen Aspektesbetrachtet macht die Realisierung umfassender Weltorientierung undmenschlicher Selbstverstaumlndigung unter der Hinsicht des Seins dann das ver-bindende Moment aus das die Rezeption und Transformation der Metaphy-sik in den hier beleuchteten Entwuumlrfen des 13 Jahrhunderts insgesamt praumlgtund bestimmt
In der Sicht des Beitrages von M Kaufmann bdquoMetaphysik als Ontologieund Sprachanalyse bei Wilhelm von Ockhamldquo befasst sich dieser mit Frage-stellungen und Problemen die man traditionell der Metaphysik zuordnetindem er dabei eine uumlbereilte Identifikation der Metaphysik mit der natuumlrli-chen Theologie vermeidet eine besondere Ontologie voraussetzt und seinesprachanalytische Methode zur Anwendung bringt Ockhams Methodik sei-ner metaphysischen Reflexionen bringt die Metaphysik in beachtliche Naumlhezu Logik und Sprachphilosophie einerseits zur Erkenntnistheorie anderer-seits Die Verbindung der Metaphysik zur Sprachphilosophie und zur Er-
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kenntnistheorie ergibt sich aus der Korrespondenz zwischen den Gegenstaumln-den der Welt und den Termini die sich auf sie beziehen Durch die Erkennt-nistheorie werden Ontologie und Sprachphilosophie miteinander verbundenda sie zeigt wie wahre Saumltze uumlber das Seiende gebildet werden koumlnnen Eszeigt sich insgesamt eine fundamentale Rolle formaler Analyse der sprachli-chen Vermittlung des Bezugs auf Seiendes insofern die Fokussierung auf dieVermittlung als wichtigstes Merkmal der Transformation angesehen werdenkoumlnnte der die aristotelische Metaphysik in Ockhams Werk unterliegt Mankoumlnnte allerdings auch annehmen dass Ockham lediglich die authentischearistotelische Auffassung richtig darzustellen versucht
In seinem Beitrag bdquoSubjekt und Metaphysik Rezeption und Transfor-mation der Metaphysik im Denken des Johannes Buridanldquo verdeutlichtG Krieger zunaumlchst dass Buridan in seiner Stellungahme zum Gegenstandder Metaphysik die Hinsicht des Seins auf die Erfassung der Realitaumlt in ihrerfaktischen Existenz begrenzt und die metaphysische Betrachtung dahin ge-hend wandelt dass sie primaumlr Erkenntnis in ihrer gegenstaumlndlichen Be-stimmtheit in den Blick nimmt Gemaumlszlig dieser Aufgabenstellung so zeigt sichweiter untersucht Buridan die Bedingungen fuumlr diese gegenstaumlndliche Be-trachtung die sich ihm als Bedingungen des Subjektes erweisen so dass dieBedingungen der Erkenntnis in ihrer sinnlichen Bestimmtheit und in ihrerVernunftbestimmtheit die der erkannten Gegenstaumlnde sind In Hinsicht aufdie Sinnlichkeit zeigt sich diese bdquosubjektiveldquo Bedingtheit im Verstaumlndnis vonsensus communis und imaginatio Sinnliche Wahrnehmung ist fuumlr Buridannicht eine sich unmittelbar ergebende Abbildung von Reizkonstellationensondern eine in vermittelter Unmittelbarkeit zustande kommende und inso-weit gestaltete Sinneseinheit Buridan versteht damit das Verhaumlltnis von inne-rem sensus communis und aumluszligeren Sinnen gemaumlszlig der Differenz zwischeninnerem Grund der Gestalt der Wahrnehmung und aumluszligerem Ursprung ihrersinnlichen Gehalte Zugleich steht der sensus communis im Verhaumlltnis ur-spruumlnglicher Gestaltung der Wahrnehmung zu aufbewahrender Reprodukti-on des Wahrgenommenen in der imaginatio Hinsichtlich Buridans Auffas-sung zu den bdquosubjektivenldquo Bedingungen der Vernunfterkenntnis untersuchtKrieger dessen Haltung in der Frage des bdquoersten Prinzipsldquo des Wissens Eszeigt sich dass Buridan den Versuch einer eigenen bdquoLetztbegruumlndungldquo desWissens als solchen unternimmt Buridan uumlbt ebenso Kritik daran dassNichtwiderspruchsprinzip als das infrage stehende Prinzip anzusehen wie erzugleich das Identitaumltsprinzip zum bdquoersten Prinzipldquo erklaumlrt und als urspruumlng-liches Vernunftprinzip begruumlndet Insoweit anerkennt Buridan zwar die Rela-tivitaumlt unserer theoretischen Kompetenz im Verhaumlltnis zu deren GegenstandDoch diese Kompetenz erfaumlhrt nicht eine Sinnbestimmung uumlber das Ziel derErfassung gegenstaumlndlicher Bestimmtheit selbst hinaus
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Zur Einfuumlhrung 15
Im Beitrag bdquoMetaphysik als Entwurf ndash Cusanus und die Metaphysikldquolegt G Krieger dar dass das Konzept der Metaphysik des Kardinals im Sinneder Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles verstan-den werden kann soweit sich dieses Konzept zum einen nach Maszliggabe desMotivs der Ruumlckbindung aller geistigen Erkenntnis an sinnliche Erfahrungversteht Weiter bietet dieses Konzept eine Deutung menschlicher Weltorien-tierung im Modus wissenschaftlicher Erkenntnis die im Grundriss und inihrer Gliederung der aristotelischen Konzeption entspricht Schlieszliglich laumlsstsich dieses Konzept im Sinne der Rezeption und Transformation auf die Me-taphysik des Aristoteles vermittels des Verhaumlltnisse dieser Konzeption zu Bu-ridans Auffassung beziehen soweit diese ihrerseits die Metaphysik transfor-miert Im Besonderen beschraumlnkt Cusanus mit Buridan die Hinsicht des Seinsauf die Erfassung der Realitaumlt in ihrer faktischen Existenz Weiter anerkenntCusanus wie Buridan die Relativitaumlt unserer theoretischen Kompetenz imVerhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Anders als Buridan gibt Cusanus dieserKompetenz zugleich eine eigene Sinnbestimmung indem er sie in ihrem Ent-wurfscharakter kennzeichnet Dies tut der Kardinal im Verstaumlndnis sowohlder sinnlichen Erkenntnis als auch geistiger Erkenntnis in ihrer rationalenebenso wie in ihrer intellektiven Gestalt Sinnliche Wahrnehmung verstehtsich bei Cusanus im Sinne einer aktiven Nachgestaltung der Wirklichkeitsoweit die sinnlichen Gehalte tatsaumlchlich wahrgenommen werden Dabei stif-tet die imaginatio die Integration der gemaumlszlig den verschiedenen Sinnesorga-nen aufgenommenen Sinneseindruumlcke zu einer einheitlichen Wahrnehmungim Sinne vermittelter Unmittelbarkeit im Verhaumlltnis zum Sinnlichen Es zeigtsich auf der sinnlichen Ebene eine eigene Sinnbestimmtheit der Vermittlungdie der Mensch in und kraft seiner Geistigkeit zur Steigerung zu bringenvermag indem die geistige Vergegenwaumlrtigung selbst zum Ziel menschlicherWeltorientierung wird Da menschliche Erkenntnis in ihrer sinnlichen ebensowie in ihrer geistigen Bestimmtheit ihren Sinn in entwerfender Vergegenwaumlrti-gung findet gewinnt Metaphysik (oder metaphysisches Denken) bei Cusanusim Verhaumlltnis der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristo-teles die Gestalt des Entwurfs
W Schmidt-Biggemanns Beitrag bdquoGrund und Ungrund Zur Metaphysikdes Moumlglichenldquo bildet den Abschluss der in diesem vierten Teil versammeltenBeitraumlge wie des vorliegenden Bandes insgesamt insofern der Beitrag sich alsVersuch ansehen laumlsst die zur Debatte stehende Rezeption und Transformati-on der Metaphysik im Mittelalter der Entwicklung metaphysischen Denkensim Ausgang des Gedankens des bdquoEinenldquo bei Plotin zuzuordnen Die ange-sprochene Zuordnung kann zunaumlchst im Sinne der Untersuchung von Bedin-gungen der infrage stehenden Rezeption gesehen werden Dazu eroumlffnet dieBetrachtung des Verstaumlndnisses des Einen einen ersten Aspekt insofern dieHinsicht des Seins in der Unterscheidung von Sein und Nichts in der Be-
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stimmtheit ihrer Differenzierung gegenuumlber dem unbestimmten Einen sekun-daumlr ist Nicht mehr ist Sein das allgemeinste Praumldikat sondern das Eine wirdzur Bedingung des Seins Zugleich veraumlndert sich das Verstaumlndnis der Kausa-litaumlt Das Eine ist erste Ursache von Sein indem es das Nichtsein zugleichdefiniert Im Corpus Dionysiacum und im Liber de Causis tritt die Auffas-sung hinzu dass das Eine als causa essendi zugleich Grund des Erkennensist der an sich selbst unerkennbar ist Schlieszliglich widmet sich der Beitragdem (offenbarungs-) theologisch motivierten Problem wie die GedankenGottes in ihrer Moumlglichkeit gefasst werden koumlnnten in dessen Diskussion beiAvicenna zwei unterschiedliche Begriffe von Welt konzipiert werden die vonGott konzipierte Idealwelt des Moumlglichen und die erfahrbare reale Welt diedurch die vehementia essendi im Sinne metaphysischer Notwendigkeit zu-stande kommt Vor dem Hintergrund der Untersuchung dieser Entwicklungdie in der Perspektive der Themenstellung des Bandes betrachtet im Sinneeiner Entwicklung von Rezeptionsbedingungen der Metaphysik anzusehenist wenden sich die Uumlberlegungen des Beitrages dem mittelalterlichen Denkenzu im Blick auf Johannes Duns Scotus und Nikolaus von Kues was wieder-um in der angesprochenen Perspektive betrachtet im Sinne der Eroumlrterungder infrage stehenden Transformation zu sehen ist Leitender Gesichtspunktist dabei der Aspekt der Moumlglichen Insofern so Schmidt-Biggemann derfreie Schoumlpfungsakt Gottes im Verstaumlndnis des Scotus ein Willkuumlrakt ist wirdim Interesse der Vermeidung des Nezessitarismus Avicennas das Moumlglichezum Irrationalen Im Unterschied dazu kommt es in der Sicht des Beitragsbei Nikolaus von Kues zu einer Modaltheologie des ersten Prinzips die imlogischen und im metaphysischen Moumlglichkeitsbegriff besondere Modi vonSein fasst das Sein der Moumlglichkeit und das der Realitaumlt welche Modi Gottgleichermaszligen zukommen insofern er als Possest alles Moumlgliche und Wirkli-che umfasst Der Beitrag weitet schlieszliglich den Blick uumlber das mittelalterlicheDenken hinaus indem er sich Leibnizlsquo Gedanken der bdquobesten aller moumlglichenWeltenldquo zuwendet Insofern es scheint dass Leibniz mit diesem Gedankenseinerseits den Nezessitarismus Avicennas nicht zu vermeiden vermag ist die-ser Gedanke in der Einschaumltzung Schmidt-Biggemans bdquoeher erbaulicher Na-turldquo Im Ergebnis kann wohl festgehalten werden dass der Beitrag in seinerBetrachtung den Verzicht auf die Hinsicht des Seins in der Rezeption undTransformation der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter aufzeigt
III Zu den Ergebnissen
In der Skizzierung der Themenstellung des vorliegenden Bandes wurde he-rausgestellt dass der vorliegende Band seine Beitraumlge in der Absicht versam-
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melt die Rezeption und Transformation der Metaphysik im Mittelalter zumeinen in den Aspekten dieser Beitraumlge selbst naumlher zu beleuchten Insoweitsei in Bezug auf die betreffenden Ergebnisse auf die vorangegangene Zusam-menfassung der einzelnen Beitraumlge und natuumlrlich auf diese selbst verwiesenDaruumlber hinaus ist mit dem vorliegenden Band angezielt die Wirkungsge-schichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter gemaumlszlig dem Zusam-menhang von Rezeption und Transformation ebenso in ihrer Bedeutung fuumlrdas metaphysische Denken selbst d h im Blick sowohl auf sein aristoteli-sches Verstaumlndnis als auch auf dessen Kritik zu diskutieren wie auch inHinsicht auf dessen Verhaumlltnis zum christlichen Selbstverstaumlndnis Dazu kannfestgehalten werden zunaumlchst dass soweit es die Metaphysik und metaphy-sisches Denken am bdquoVorabendldquo der Aristoteles-Rezeption betrifft die Hin-sicht des Seins allen drei hier in jeweils einem Beitrag in den Blick genomme-nen Uumlberlieferungszusammenhaumlngen gemeinsam ist wenn gleich in durchausunterschiedlicher Gestalt Weiter dass die Metaphysik ebenso in ihren Ent-wuumlrfen aus dem 13 Jahrhundert wie in denen aus dem 14 Jahrhundert(soweit diese in den Beitraumlgen dieses Bandes im Einzelnen in Betracht bezogenwurden) in bedeutsamer Weise im Zusammenhang (offenbarungs-) theologi-scher Konzepte rezipiert und transformiert wird ausgenommen davon ist dieMetaphysik des Johannes Buridan insoweit als dieser Philosoph bleibt undnicht in die theologische Fakultaumlt wechselt Schlieszliglich dass die hier naumlheruntersuchten Metaphysikentwuumlrfe aus dem 14 Jahrhundert ihren Fokus aufdie Vermittlung umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstver-staumlndigung ndash sei es in ihrer sprachlichen Gestalt wie bei Ockham sei es imModus sinnlicher und vernunftbestimmter Erkenntnis bzw der sinnlichenrationalen und intellektiven Vollzuumlge des menschlichen Geistes wie bei Buri-dan bzw Nikolaus von Kues ndash und deren Analyse richten und im Zuge dieserAusrichtung auf die Hinsicht des Seins verzichten In diesem Lichte betrachtetmacht die Realisierung umfassender Weltorientierung und menschlicherSelbstverstaumlndigung unter der Hinsicht des Seins dann das verbindende Mo-ment aus das die Rezeption und Transformation der Metaphysik in den hierbeleuchteten Entwuumlrfen des 13 Jahrhunderts insgesamt praumlgt und bestimmt
Was wiederum das Verhaumlltnis dieser Wirkungsgeschichte der Metaphysikzur Praumlsenz ihres metaphysischen Denkens selbst betrifft soweit dieses imBeitrag von E Angehrn in Betracht gezogen wird legt sich zunaumlchst eineFeststellung im Blick darauf nahe dass die Problematisierungen des Denkensder Metaphysik in diesen Auseinandersetzungen die Grunduumlberzeugung be-treffen dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen undSprechen nur in Abstuumltzung auf diese letzten Bestimmtheiten moumlglich istDie im vorliegenden Band thematisierte Wirkungsgeschichte der Metaphysikbietet zu diesen Auseinandersetzungen ebenso im Blick auf die angesprocheneGrunduumlberzeugung wie auch hinsichtlich ihrer Problematisierungen insoweit
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Beitraumlge als die Metaphysikentwuumlrfe im 13 Jahrhundert im erstgenanntenSinne und die im 14 Jahrhundert im letztgenannten Sinne in Betracht gezo-gen werden koumlnnen Im Rahmen dieser Zuordnung kann weiter im Blick aufden Beitrag von B Strobel gesagt werden dass dessen Uumlberlegungen in einerNaumlhe zu dem stehen was im Beitrag von M Kaufmann zu Ockhams Meta-physik gesagt wird Insofern es in der Sicht dieses Beitrages zumindest frag-lich erscheint dass Ockham die Hinsicht des Seins uumlber die formale Analyseihrer Vermittlung im Modus sprachlicher Gestalt hinaus thematisiert und be-stimmt stellt sich eben diese Frage auch im Zusammenhang des naumlherenVergleichs der Auffassung Ockhams mit den im Beitrag von B Strobel entwi-ckelten Uumlberlegungen Die letzte Feststellung im jetzigen Zusammenhang desFazits sei schlieszliglich im Blick darauf getroffen dass in der Perspektive An-gehrns gesehen der Weg des Denkens den die Metaphysik des Aristoteleseroumlffnet im Blick sowohl auf die unabgeschlossene Arbeit des Denkens alsauch auf die reflexive Selbstaufklaumlrung und kritische Befragung offen bleibtDie Auseinandersetzung mit der Rezeption und Transformation der Meta-physik im Mittelalter mag sich ihrerseits das sei dazu festgehalten als Teildieser unabgeschlossenen Arbeit des Denkens und reflexiven Selbstaufklauml-rung gezeigt haben bzw zeigen
IV Zur Genese des Bandes und seiner redaktionellen Gestaltung
Der vorliegende Band geht auf die internationale Tagung zuruumlck die zumgleichen Thema 2011 an der Theologischen Fakultaumlt Trier und der Universi-taumlt Trier durchgefuumlhrt wurde Uumlber Beitraumlge aus dieser Tagung hinaus habenT Koutzarova bdquoAvicenna uumlber die Moumlglichkeit Methode und Grenzen derMetaphysikldquo und F Musall bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysik ndash Zur Re-zeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalterlichen juumldi-schen Philosophieldquo ihren Beitrag zur Aufnahme im vorliegenden Band zurVerfuumlgung gestellt In seiner redaktionellen Gestaltung folgt der Band denRichtlinien die fuumlr die Reihe der bdquoPhilosophie der Antike Veroumlffentlichun-gen der Karl und Gertrud Abel-Stiftungldquo insgesamt maszliggeblich sind Im Be-sonderen gilt dass Kursivierungen im Haupttext nur bei lateinischen hebraumli-schen und arabischen Texten und Werktiteln vorgenommen wurden Daruumlberhinaus wurden Hervorhebungen nur vorgenommen sofern sie auf die Auto-ren der Beitraumlge selbst zuruumlckgehen In den Anmerkungen werden die Quel-len und sonstige Literatur beim ersten Mal vollstaumlndig angefuumlhrt an spaumltererStelle mit einem betreffenden Kurztitel und Verweis auf die Anmerkung inder sie vollstaumlndig erscheinen Die bibliographischen Angaben zu den im je-weiligen Beitrag insgesamt herangezogenen Werken des Albertus Magnus
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des Thomas von Aquin des Johannes Duns Scotus Meister Eckharts undWilhelms von Ockham finden sich in der Anmerkung in der zum ersten Malauf ein Werk des jeweiligen Autors verwiesen wird Zu jedem Beitrag istzudem ein vollstaumlndiges Literaturverzeichnis mit den Angaben zu den Quel-len und zu sonstiger Literatur angefuumlgt
V Danksagung
Der erste Dank gilt den Beitraumlgerinnen und Beitraumlgern sowohl dafuumlr dasssie ihren Beitrag fuumlr diesen Band zur Verfuumlgung gestellt haben als auch fuumlrihre Geduld mit der sie die Erstellung des Bandes begleitet haben Weiterist der KARL UND GERTRUD ABEL-STIFTUNG im Stifterverband fuumlr dieDeutsche Wissenschaft zu danken sowohl fuumlr die wirklich groszligzuumlgige Unter-stuumltzung der genannten Tagung als auch fuumlr die Finanzierung dieses BandesAuch moumlchte ich mich bei meinem Trierer Kollegen Herrn Professor Dr GWoumlhrle dafuumlr bedanken dass seine Initiative und sein Engagement den An-stoszlig dafuumlr gegeben haben dass die ABEL-Stiftung fuumlr die Unterstuumltzung derTagung und der vorliegenden Publikation interessiert werden konnte Einweiterer Dank richtet sich an den Herausgeber der Reihe bdquoPhilosophie derAntikeldquo Herrn Professor Dr W Kullmann dafuumlr dass er sich zur Aufnahmedes Bandes in diese Reihe bereit erklaumlrt hat Schlieszliglich gilt mein Dank FrauH Mockenhaupt-Hardt und Frau Dr A Ansari ohne deren unermuumldlichesund beharrliches Engagement und nie nachlassende Unterstuumltzung und Mit-wirkung weder die Tagung zustande gekommen noch dieser Band zum Er-scheinen gebracht worden waumlre
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Kluxen W Maimonides und die Hochscholastik Maimonides und die phi-losophische Orientierung seiner lateinischen Leser Eine interpretatori-sche Reflexion in Ders Aspekte und Stationen der mittelalterlichenPhilosophie hrsg v L Honnefelder u H Moumlhle Paderborn 2012 284ndash298 299ndash311
20 Gerhard Krieger
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Selbstverstaumlndnis und Gestaltdes metaphysischen Denkens in der Metaphysik
Die Entstehung der Metaphysik ndashZur Rekonstruktion eines Denkwegs
Emil Angehrn
I Die Frage nach der Herkunft
Metaphysik ist nicht ein zeitloses Gebilde Sie ist eine kulturelle Groumlszlige diein der europaumlischen Denkgeschichte ihren bestimmten Ort hat und ihre be-sondere Stellung einnimmt Sie hat sich in einer historischen Konstellationherausgebildet und einen rekonstruierbaren Verlauf genommen der sich inder Gegenwart fortsetzt oder ndash je nach Wahrnehmung ndash laumlngst an sein Endegekommen ist Waumlhrend noch vor wenigen Jahrzehnten das Ende der Meta-physik vielfach diagnostiziert worden ist scheint diese in neueren Diskussio-nen nicht zuletzt der analytischen Philosophie wieder zur selbstverstaumlndlichenGroumlszlige geworden zu sein Natuumlrlich haumlngen solche Einschaumltzungen davon abwie wir den Begriff verwenden was wir als leitende Fragen der Metaphysikdefinieren und wie wir ihre Geschichte beschreiben Nun steht im Folgendennicht die generelle Frage nach dem Status und historischen Schicksal der Me-taphysik zur Diskussion Es geht um die Ruumlckbesinnung auf ein konkretesherausragendes Modell dessen praumlgende Kraft fuumlr die Denkgeschichte aller-dings von eminenter Bedeutung ist Bevor ich die charakteristischen Grund-zuumlge dieses Modells ins Auge fasse will ich zwei prinzipielle Fragen einersolchen Ruumlckbesinnung ansprechen Die erste betrifft das allgemeine Interes-se und die Funktion der Beschaumlftigung der Philosophie mit ihrer eigenen Ge-schichte Die zweite gilt dem logischen Problem das sich mit der Besinnungauf die Herkunft einer Tradition verbindet der wir selbst zugehoumlren und ausder heraus wir nach dem Anfang fragen
Solche Fragen konfrontieren uns mit dem eigentuumlmlichen Geschichtsbe-zug der Philosophie1 Zu den auffallenden Merkmalen der Philosophie zaumlhltderen spezifischer Bezug zur eigenen Geschichte Es macht die typische Ar-
1 Zum Folgenden vgl E Angehrn Wozu Philosophiegeschichte in E AngehrnB Baertschi(Hrsg) Philosophie und Philosophiegeschichte (studia philosophica 61) BernndashStuttgartndashWien 2002 37ndash66 (auch in Ders Wege des Verstehens Hermeneutik und Geschichtsden-ken Wuumlrzburg 2008 111ndash134)
24 Emil Angehrn
beitsweise der Philosophie wie sie sich in Forschung Lehre und Publikatio-nen dokumentiert mit aus dass zwischen systematischen und historischenUntersuchungen vielfache Verbindungen bestehen ohne dass die Befassungmit der eigenen Geschichte fuumlr die Philosophie gleichsam als Zusatz oderSonderthema (wie die Medizingeschichte in der medizinischen Ausbildungund Forschung) erscheint Philosophie praumlsentiert sich weithin als eine histo-rische Disziplin Allerdings ist ihre Geschichtsverwiesenheit alles andere alsklar und unstrittig auch Autoren die sich durchaus als Teil einer Geschichteverstehen haben ihren Vorbehalt gegenuumlber der historischen Orientierungphilosophischer Arbeit artikuliert Bei den Konzepten die sich in grundsaumltz-lich affirmativer Weise auf die Geschichte beziehen koumlnnen wir unterschied-liche Stoszligrichtungen unterscheiden nach denen sie den sbquoNutzen der Historielsquofuumlr die Philosophie bestimmen schematisch seien drei Hauptrichtungen ge-nannt deren dritte fuumlr die folgenden Uumlberlegungen im Zentrum stehen soll
Zum einen kann man das Interesse des Geschichtsbezugs darin sehendass die Philosophie auf einen Fundus von Theorien Methoden und Begriff-lichkeiten zuruumlckgreift deren Kenntnis der heutigen Arbeit an philosophi-schen Problemen zugute kommt Aktuelle Debatten koumlnnen sich auf histori-sche Exempel zur Illustration aber auch zur Exploration eines Themenfeldesund Erprobung von Loumlsungen abstuumltzen sie koumlnnen sich am Beispiel fruumlhererArgumentationsstrategien und Aporien uumlber Praumlmissen Schwierigkeiten oderAussichten bestimmter Denkwege orientieren Dabei fungieren vergangeneKonzepte nicht nur als Ressourcen heutiger Begriffsarbeit als Materialien imSteinbruch der Ideen In anspruchsvollerer Weise koumlnnen sie als Positionen inden Streit der Argumente einbezogen werden so dass sich der philosophischeDiskurs nicht nur als synchroner idealiter grenzenloser Diskurs sondernebenso als Gespraumlch uumlber die Zeiten und Generationen hinweg vollzieht Inemphatischen Versionen wird dieses Gespraumlch geschichtsphilosophisch unter-mauert sei es dass die Kontinuitaumlt und Identitaumlt der Begriffe und Theoremestatuiert wird sei es dass daruumlber hinaus deren gerichtete Weiterentwick-lung gegebenenfalls der Fluchtpunkt einer abschlieszligenden Wahrheit festge-halten wird Doch auch ganz abgeloumlst von solcher geschichtsphilosophischerEinordnung bleibt die Idee der bdquoPhilosophiegeschichte als Argumentationsge-schichteldquo2 ein moumlglicher Leitfaden historischer Reflexion in der PhilosophieDie Auseinandersetzung mit ihrer Vorgeschichte interessiert die Philosophiein ihrem Bemuumlhen um Begruumlndung und Wahrheit
2 J Mittelstraszlig Die Philosophie und ihre Geschichte in H J Sandkuumlhler (Hrsg) Geschicht-lichkeit der Philosophie Theorie Methodologie und Methode der Historiographie der Phi-losophie Frankfurt am MainndashBern 1991 25
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 25
Eine andere Interessenrichtung ist die der historischen Rekonstruktionund Erinnerung als solcher Philosophie die in Geschichte wurzelt und inGeschichte eingeht hat eine Zielbestimmung darin Vergangenes lebendig zuerhalten und das Gespraumlch der Menschen in die Zukunft hinein fortzusetzenPhilosophiehistorie ist darin Teil der allgemeinen historischen Kultur zu de-ren Leitideen das Bewahren und Erinnern als solches die Kultur des Gedaumlcht-nisses und das Festhalten des Gewesenen gegen sein Vergehen zaumlhlen Diephilosophische Bibliothek versammelt die fluumlchtigen Versuche der Welt- undSelbsterkenntnis der Menschen vereint sie ndash so Jaspers3 ndash als Zeugnisse einesuumlber das Vergaumlngliche hinaus strebenden Erkennens Nach Benjamin undDerrida hat das Denken das sich vom Vergangenen ansprechen laumlsst einunabgeschlossenes Projekt weiterzufuumlhren und ein Ungedachtes Ungesagteszur Sprache zu bringen Richard Rorty bezeichnet es als letzte Aufgabe derPhilosophie das Gespraumlch der Menschheit nicht abbrechen zu lassen4 Inmarkanten Auspraumlgungen ist Philosophie darauf gerichtet an einer Geschich-te teilzuhaben und sich aus einer Geschichte heraus zu verstehen welche dieGeschichte einer Denkform des abendlaumlndischen Denkens oder der Mensch-heit als ganzer sein kann Philosophisches Denken hat an der Reflexivitaumlt desHistorischen teil worin sich das faktische Gewordensein mit der Kultur desGedaumlchtnisses verschraumlnkt
Eine dritte Stoszligrichtung historischer Besinnung die mit dem Interessedes Erinnerns eng zusammenhaumlngt und die im vorliegenden Kontext von be-sonderem Gewicht ist ist die hermeneutische Ihr Ziel ist die Verstaumlndigunguumlber sich selbst Philosophie ist nicht einfach eine Disziplin die einen vorge-gebenen Gegenstand untersucht zu ihrem eigensten Anliegen gehoumlrt die Ver-staumlndigung daruumlber was sie ist und was sie will welches die sie leitendenFragen sind welche Wissensform sie erstrebt und welche Funktion sie fuumlr dieMenschen erfuumlllt Solche Verstaumlndigung uumlber das eigene Sein Tun und Wol-len ist eine teils begriffliche teils anthropologische Reflexion in signifikantenFaumlllen vollzieht sie sich in praumlgnanter Weise als historische Besinnung
Dabei laumlsst sich die Selbstaufklaumlrung uumlber Geschichte ihrerseits unterzwei verschiedenen Aspekten beleuchten Auf der einen Seite kann uns histo-rische Rekonstruktion dazu verhelfen unser faktisches Handeln und Soseingenauer kennenzulernen und besser zu verstehen Im Falle der philosophi-schen Arbeit bedeutet dies die verwendeten Begriffe die bearbeiteten Frage-stellungen die leitenden Intuitionen in ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung zu
3 K Jaspers Weltgeschichte der Philosophie Einleitung aus dem Nachlass hrsg von H Sa-ner MuumlnchenndashZuumlrich 1982 20 f
4 R Rorty Der Spiegel der Vernunft Eine Kritik der Philosophie Frankfurt am Main 1981427
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erfassen Sich geschichtlich verstehen heiszligt sich jenseits introspektiver Selbst-erforschung auch von auszligen in seinem Gewordensein von seinem Kontexther verstehen So kann es im philosophischen Diskurs wichtig sein die ver-borgenen Tiefenschichten von Begriffen die kulturellen Praumlmissen einerTheorie die Implikationen einer Sichtweise aufzudecken die Problemlagein welcher ein Argument entwickelt worden ist freizulegen oder die fiktiveEinheitlichkeit einer Problemgeschichte aufzuloumlsen In alledem geht es da-rum sich daruumlber klar zu werden was wir wirklich meinen und womit wiruns auseinandersetzen in ontologischen ethischen politischen anthropologi-schen Theorien und Debatten
Auf der anderen Seite dient Selbstverstaumlndigung nicht nur der gleichsamretrospektiven Aufhellung dessen was man faktisch tut und getan hat Siedient ebenso der prospektiven Selbstfindung dem Sichklarwerden daruumlberwas man sucht und worauf man hinaus will Nicht nur die Durchdringungder bisherigen Antworten sondern die Klaumlrung der Fragen und das Findendes Wegs auf dem wir unterwegs sind ist hier das treibende Motiv Auchdafuumlr stellt die historische Reflexion eine Grundlage dar Philosophie findetzu ihren Fragen und gibt sich ihr Thema nicht im leeren Raum und rein aussich heraus sondern typischerweise im Umgang mit Zeugnissen der Vergan-genheit indem sie sich in eine Tradition stellt und in einen Dialog mit fruumlhe-ren Denkern begibt In herausgehobener Weise findet solche Selbstvergewis-serung in der Besinnung auf den Anfang einer Tradition statt In einer praumlg-nanten Gestalt hat Husserl dieses Motiv in der bdquoKrisisldquo ausformuliert indemer die historische Besinnung als eine fasst die auf eine sbquoUrstiftunglsquo zuruumlckgeht(und idealiter auf eine sbquoEndstiftunglsquo vorausgreift) um sich dessen zu versi-chern worauf das philosophische Projekt an das wir anschlieszligen und andem wir selbst arbeiten hinaus will5 Doch auch wo nicht ein identifizierba-rer erster Anfang den Bezugspunkt bildet kann die Selbstvergewisserung desDenkens ein zentrales Anliegen historischer Reflexion bilden
Es ist nun in unserem Zusammenhang ein bemerkenswerter Tatbestanddass gerade die aristotelische Metaphysik welche den Boden und Ausgangs-punkt unserer Tradition bildet in paradigmatischer Form eine solche histori-sche Selbstverortung und Selbstvergewisserung durchfuumlhrt Es macht ein cha-rakteristisches Kennzeichen dieses herausragenden Gruumlndungsdokuments derabendlaumlndischen Philosophie aus dass es nicht einfach mit Untersuchungenuumlber den Kosmos uumlber Gott oder den Menschen einsetzt sondern zunaumlchstdie Frage nach sich selbst stellt und systematisch eroumlrtert bdquoDie gesuchte Wis-senschaftldquo ndash so lautet ein bezeichnendes Stichwort der Eingangsbetrachtun-
5 E Husserl Die Krisis der europaumlischen Wissenschaften und die transzendentale Phaumlnome-nologie Den Haag 1962 sectsect 6 7 9 15
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 27
gen6 Zur ersten Aufgabe der Metaphysik gehoumlrt die Verstaumlndigung uumlber ih-ren Begriff zumal sie sich im Gegensatz zu anderen Wissenschaften ndash wiePolitik Geometrie Naturphilosophie ndash nicht uumlber einen bestimmten vorgege-benen Gegenstand sondern uumlber eine bestimmte Form des Wissens definiertZielpunkt des ersten Kapitels ist die vorlaumlufige Definition der Ersten Philoso-phie als Erforschung der ersten Ursachen und Gruumlnde Es ist eine Definitiondie in den weiteren Kapiteln des ersten Buches expliziert und beglaubigt wirdwobei diese Bestaumltigung sich wesentlich uumlber einen Ruumlckblick auf die Vorge-schichte vollzieht Ausfuumlhrlich referiert Aristoteles die Ansaumltze der Vorsokra-tiker mit dem Ziel des zweifachen Nachweises dass erstens alle fruumlherenDenker nach Gruumlnden und Prinzipien geforscht haben und dass sie zweitensdiese Forschung im Rahmen der von Aristoteles konzipierten vier Ursachen-typen betrieben haben Aufschlussreich und von tiefer Einsicht ist dabei dieabschlieszligende Bemerkung dass die Vorgaumlnger an dem von Aristoteles aufden Begriff gebrachten Projekt gearbeitet haumltten ohne es selbst schon genauzu kennen und praumlzise bestimmen zu koumlnnen bdquoUumlber allesldquo so heiszligt es imSchlusskapitel des Eingangsbuches bdquoschien die Erste Philosophie nur zustammeln als sie noch jung war und am Beginn standldquo7 Erst undeutlichund dunkel ohne begriffliche Klarheit haben die fruumlhen Denker von demgehandelt was sich im Nachhinein als ihr Gegenstand und eigentliches Anlie-gen herausstellte Es war meint Aristoteles die Sache bzw die Wahrheitselbst die ihnen den Weg wies und ihre Forschungen lenkte8 Philosophieversichert sich hier ihres Wegs nicht im Ruumlckblick auf einen idealen Stiftungs-akt sondern im Gespraumlch mit einem seiner selbst noch unsicheren Gang desDenkens einem tastenden Anfangen das erst in der Fortschreibung seineklare Ausrichtung und reflexive Begruumlndung erhaumllt Solches Gespraumlch traumlgtdem Paradox des Anfangens Rechnung welches einen Weg einschlagen mussdessen Bestimmtheit und Ausgang noch nicht vor Augen liegen Erst die Ge-schichte fuumlhrt zur Ausformulierung des Projekts zum Finden seines Begriffsder nach Hegel der Entwicklung nicht vorausliegt sondern als Resultat ausihr hervorgeht
II Der Anfang der Metaphysik
Das aristotelische Paradigma der Ruumlckbeziehung auf die Vorgeschichte kannin gewisser Weise als Modell fuumlr unsere Beschaumlftigung mit Aristoteles dienen
6 Met Α 2983 a 21 vgl 982 a 47 Met Α 10993 a 15 f ψελλιζομένῃ γαρ ἔοικεν ἡ πρώτη φιλοσοφία περὶ πάντων8 Met A 3984 b 18 f 984 b 10 f A 10993 a 13ndash15
28 Emil Angehrn
Diese nimmt im Horizont philosophiehistorischer Forschung einen besonde-ren Rang ein Es geht nicht einfach um eine historische Selbstsituierung ge-genwaumlrtigen Denkens und um die Aufhellung bestimmter Begriffe und Prob-lemkonstellationen aus ihrer Herkunft und ihrem Kontext Solches findet inder philosophischen Reflexion vielfach statt und es ist fuumlr die Selbsttrans-parenz des fachlichen Diskurses von groszliger Bedeutung Leitbegriffe wiesbquoMenschlsquo sbquoStaatlsquo sbquoFreiheitlsquo sbquoLebenlsquo sind nicht transzendentale Gegebenhei-ten oder apriorische Konstrukte Sie gewinnen ihre Bedeutung in real- undideengeschichtlichen Zusammenhaumlngen von denen auch ihre Verwendungim aktuellen Diskurs nicht abgeloumlst ist Doch meint die uns hier interessieren-de Ruumlckschau Spezifischeres als diese generelle historische Selbstaufklaumlrungdes Denkens Es geht um die Ruumlckbesinnung auf einen Anfang der fuumlr dasaus ihm Kommende und die Ruumlckbesinnung auf ihn selbst konstitutiv ist
Nun scheint eine Ursprungsreflexion dieser Art mit grundsaumltzlichenProblemen behaftet Sie zeigen sich bereits im Blick auf die Herkunftsbesin-nung der aristotelischen Metaphysik selbst Wie koumlnnen wir uns dessen ver-gewissern dass die Vorgeschichte auf die sich Aristoteles zuruumlck beziehttatsaumlchlich den Weg markiert und die Spuren anlegt die Aristoteles in ihrerkennt die er in seinem Werk aufnimmt und weiterverfolgt Das Problemliegt darin dass uns aus dieser fruumlhen Periode nur Bruchstuumlcke uumlberliefertsind die zudem in einer Tradierung auf uns gekommen sind deren erste undin houmlchstem Maszlige praumlgende Station Aristoteles selbst ist Jeder Versuch dieZeugnisse in ihrem eigenen Anliegen und originaumlren Gehalt zum Reden zubringen hat sich zuallererst mit dieser aristotelischen Perspektivierung ausei-nanderzusetzen Deren Auswirkung tangiert nicht nur die Uumlberlieferung desTextbestandes sondern ebenso den Denkhorizont innerhalb dessen wir unsbewegen und das Vorverstaumlndnis von Metaphysik das als heuristischerSchluumlssel die historische Herkunftsforschung unweigerlich bestimmt DieFrage wieweit die vorsokratischen Formen des Denkens und Forschens wirk-lich die Vorgeschichte des metaphysischen Denkens bilden ndash und nicht viel-mehr noch gar keinen Bezug zu Spaumlterem haben und erst kontingenterweisezu diesem in ein Verhaumlltnis zu stehen gekommen sind vielleicht Anfaumlnge vonanderem waren das sich anderswo oder nur fragmentarisch ausgebildet hatDiese an sich berechtigte Frage ist in gewisser Hinsicht auch kuumlnstlich DieWahrnehmung des Anfangs ist eine nachtraumlgliche Fruumlhere Ereignisse werdenim Nachhinein zum Beginn einer Geschichte Der Anfang einer Traditionwird von nachfolgenden Generationen die sich von ihm ansprechen lassenund in ihm eigene Fragen und Anliegen erkennen als solcher aufgefasst undzum Anfang gemacht9
9 Vgl H-G Gadamer Der Anfang der Philosophie Stuttgart 1996
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 29
Gewiss gibt es Anfangsformationen die von sich aus prospektiv als initi-ale Gruumlndung angelegt sind und nicht erst im Nachhinein zum Ursprungeiner mit ihnen einsetzenden Geschichte oder einer aus ihnen hervorgehendenGestalt werden In dieser Hinsicht unterscheidet sich unser Ruumlckblick aufAristoteles von dessen eigener Rekonstruktion des noch im Unbestimmtensich bewegenden vorsokratischen Denkens Aristotelesrsquo eigene Schrift ver-steht sich durchaus als Gruumlndungsdokument als Beginn und reflektierte Be-stimmung einer bestimmten Wissensform Dennoch ist Aristotelesrsquo Bezug aufdie stammelnde Vorgeschichte auch fuumlr unseren Ruumlckblick auf ihn lehrreichAuch seine Schrift tritt ndash ganz unabhaumlngig von Fragen der Entstehung undtextuellen Komposition ndash nicht als ein geschlossenes System auf sondernals Dokument einer Suche nach dem eminenten Wissen die unterschiedlicheAnlaumlufe nimmt Uumlberlegungen verfolgt und Orientierungen vereinigt Zumherausragenden Referenzpunkt der Tradition wird sie durch die Wirkungsge-schichte in welcher sich Rezeption Interpretation Profilgebung und Weiter-bildung durchdringen Sie integriert selbst eine mehrdimensionale Vor- undEntstehungsgeschichte in welche neben den Stroumlmungen der Vorsokratik vorallem eine durchgehende Auseinandersetzung mit der platonischen Philoso-phie eingeht und sie erarbeitet auf dieser Grundlage ein Konzept von Meta-physik das zum Referenzpunkt der weiteren Entwicklung wird Die aristote-lische Metaphysik bildet eine Grundlage fuumlr die Selbstverstaumlndigung der Phi-losophie und einen privilegierten Anknuumlpfungspunkt ihrer Entwicklung Umgenauer zu fassen worin sie fuumlr das philosophische Denken eine Basis derWeiterbildung aber auch der Distanzierung abgibt sind die sie charakterisie-renden Grundzuumlge herauszustellen
III Das aristotelische Modell ndashFluchtlinien metaphysischen Denkens
Das Eingangskapitel der Metaphysik will den Nachweis erbringen dass diesogenannte Weisheit eine Wissenschaft der ersten Ursachen und Prinzipienist10 Beide Begriffe sind fuumlr das Verstaumlndnis der gesuchten Wissenschaft glei-chermaszligen grundlegend der Begriff der ἀρχή wie der Begriff des Ersten Zumeinen gilt dass nur Prinzipienkenntnis wirkliches Wissen (im Gegensatz zumbloszligen Erfahrensein) begruumlndet und dazu befaumlhigt zu lehren Zum anderengeht es nicht nur um Prinzipienkenntnis als solche sondern wie Aristotelesin II2 spezifiziert darum nach jeder der vier Ursachentypen das letzte bzw
10 Met A 1981 b 28 ndash 982 a 3
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erste Prinzip zu kennen da ohne diese Letztbegruumlndung das Wissen ins Un-endliche progredieren wuumlrde und keine wirkliche Erkenntnis (wie in der Rea-litaumlt keine seinsmaumlszligige Fundierung und Zweckausrichtung) zustande kaumlmeIm Begriffskatalog des 5 Buches verschraumlnkt Aristoteles beide Ideen indemer den Begriff der ἀρχή bzw der αἰτία als ein Erstes (πρῶτον) expliziert bdquovonwelchem das Sein oder die Entstehung oder die Erkenntnis eines Dinges aus-gehtldquo11 Prinzip und Erstheit explizieren sich gegenseitig wobei beides in derMehrdimensionalitaumlt des Seins- Entstehungs- und Erkenntnisgrunds thema-tisch wird Der Begriff des Ersten den Aristoteles wiederum nach der dreifa-chen Hinsicht des dem Begriff der Erkenntnis oder der Zeit nach Erstendifferenziert12 markiert den Fluchtpunkt der (ihrerseits mehrschichtigen) Re-lation von Fruumlher und Spaumlter13 Diese Relation ist fuumlr alles seinsmaumlszligige Be-gruumlnden wie fuumlr alles Verstehen konstitutiv welches immer eines von einemanderen her das ihm gegenuumlber das Fruumlhere ist erfasst in letzter Instanzvon einem absolut Fruumlheren Unbedingten her hinter welches nicht weiterzuruumlckgegangen werden kann Metaphysik ist Wissenschaft vom Ersten undLetzten Nicht irgendwelche Gruumlnde will sie ausfindig machen sondern dasunhintergehbar Erste das allen anderen Fundamenten vorausliegt und selbstkeine weitere Voraussetzung hat sondern sbquovoraussetzungsloser Anfanglsquo (ἀρχηἀνυπόθετος) ist14 Diese Bestimmung charakterisiert das allgemeine Konzeptder von Aristoteles ins Auge gefassten Wissenschaft
Nun bleibt in solcher Umschreibung offen auf welchem Weg die Ursa-chenforschung vorangehen in welcher Dimension nach welcher Hinsicht siedas Erste suchen soll Ersichtlich ist es ja nicht so dass die Metaphysik etwaentsprechend der auch in der Physik statuierten Vier-Ursachen-Lehre das Ers-te in jeder dieser Ursachenketten ergruumlndete Erkennbar sind zwei Haupt-stoszligrichtungen nach denen Aristoteles selbst die Frage nach den Prinzipienausformuliert Das eine ist die ontologische Fragerichtung die Aristoteles imBuch Γ als Frage nach dem Seienden als Seienden exponiert und dann in denBuumlchern Ζ Η Θ als Frage nach der Substanzialitaumlt vertieft das andere dietheologische Forschungsrichtung welche (in Buch Ε) die Frage nach demhoumlchsten Seienden dem Goumlttlichen stellt und (in Buch Λ) die Existenz undLebensform des ersten Bewegers und dessen Funktion fuumlr die Ordnung desGanzen beschreibt Damit sind zwei Richtungen angezeigt nach denen Aris-toteles die metaphysische Tradition begruumlndet die auf der einen Seite die
11 Met Δ 11013 a 17ndash19 πασῶν μὲν οὖν κοινὸν τῶν ἀρχῶν το πρῶτον εἶναι ὅθεν ἢ ἔστιν ἢγίγνεται ἢ γιγνώσκεται
12 Met Z 11028 a 32 f13 Met Δ 1114 Met Γ 31005 b 14 vgl Platon Resp 510 b 7 511 b 6 533 c 8
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 31
allgemeinsten Formen des Seins bzw die Kategorien unseres Sprechens uumlberWirklichkeit uumlberhaupt analysiert auf der anderen Seite das houmlchste Seiendeund die Welt im Ganzen betrachtet Wenn man so will ist hier die Zweiglei-sigkeit der Metaphysik angelegt die deren Folgegeschichte durchzieht undetwa in der neuzeitlichen Unterteilung von allgemeiner und spezieller Meta-physik begegnet wobei Aristoteles die Zusammengehoumlrigkeit beider For-schungsrichtungen behauptet15 ohne indes ihre Verbindung letztlich zu klauml-ren ohnehin ist klar dass sich das unter dem spaumlteren Titel der Metaphysikzusammengefasste Konvolut von Untersuchungen nicht problemlos auf diesespaumltere Systematisierung abbilden laumlsst und es ist eine offene (von Aristotelesselbst als erste Aporie16 thematisierte) Frage wieweit sich das aristotelischeKonzept uumlberhaupt einheitlich fassen laumlsst Festzustellen ist zunaumlchst nurdass Metaphysik nach beiden genannten Hinsichten in der Geschichte strittiggeworden ist im Blick auf die mit der speziellen Metaphysik verbundenenTotalisierungen und Weltbilder wie mit Bezug auf die allgemeinen ontologi-schen Bestimmungen sowohl hinsichtlich ihrer spezifischen Praumlgung wie dervon ihnen beanspruchten Objektivitaumlt und Universalitaumlt Im Folgenden sollenaus den komplexen und vielschichtigen Untersuchungen der aristotelischenMetaphysik Eckpfeiler herausgestellt werden welche die Wirkungsgeschichtepraumlgen und nicht zuletzt Angelpunkte des Streits um die Metaphysik definie-ren Dabei soll der Schwerpunkt auf der ersten Forschungsrichtung liegen
1 Von der Ontologie zur Ousiologie
Es ist die Forschungsrichtung die auf die bdquoersten Ursachen des Seienden alssolchenldquo17 zielt und die allgemeinsten Merkmale dessen was uumlberhaupt istbestimmen will Sie hat fuumlr die Folgegeschichte vielleicht die groumlszligte Praumlge-kraft gehabt Aristoteles konzipiert eine Untersuchung die sich durch ihrenAbstraktheitsgrad jenseits der Fachwissenschaften ansiedelt Sie interessiertsich fuumlr das was ein Seiendes als solches ausmacht unabhaumlngig davon obes sich um ein Lebewesen ein Dreieck einen Menschen oder einen Gotthandelt Ihr Gegenstand sind Formbestimmungen die unser Denken undSprechen strukturieren und unser allgemeines Wirklichkeitsverstaumlndnis be-stimmen die aber nach dem Selbstverstaumlndnis der Metaphysik nicht nur sub-jektive Auffassungsweisen sondern identischerweise objektive Seinsformensind Dazu zaumlhlt ganz Verschiedenes Untersuchungen uumlber die Einheit und
15 Vgl Met E 11026 a 29ndash3216 Vgl Met Β 1995 b 5 f ἔστι δ᾽ ἀπορία πρώτη μὲν περὶ ὧν ἐν τοĩς πεφροιμιασμένοις διηπορήσα-
μεν πότερον μιᾶς ἢ πολλῶν ἐπιστημῶν θεωρῆσαι τας αἰτίας17 Met Γ 11003 a 31 τοῦ ὄντος ἧ ὂν τὰς πρώτας αἰτίας
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ihre Gegenbegriffe (Verschiedenheit Unaumlhnlichkeit Ungleichheit GegensatzDifferenz)18 daruumlber hinaus bdquodas Fruumlher und Spaumlter Gattung und Art Gan-zes und Teil und anderes dergleichenldquo19 sowie die allgemeinsten Denkgesetzedie Aristoteles stellvertretend am Beispiel des ausgeschlossenen Widerspruchsuntersucht In alledem geht es um Grundbegriffe und Formen des Denkensdie von den anderen Wissenschaften in Anspruch genommen aber nicht re-flektiert und systematisch erarbeitet werden
Die Durchfuumlhrung dieser Aufgabe der Ersten Philosophie nimmt Aristo-teles nun in einer ganz spezifischen Fokussierung vor Genauer handelt essich um einen zweifachen Schritt eine zweifache Engfuumlhrung die dem meta-physischen Projekt seine charakteristische Praumlgung verleiht Die erste fuumlhrtvom Sein zur Substanz die zweite von der Substanz zur Wesensform in ge-wissem Sinn kann man daran die dritte Engfuumlhrung anschlieszligen die zurhoumlchsten goumlttlichen Substanz fuumlhrt und damit in die andere Hauptrichtungder Prinzipienforschung einmuumlndet
Die beiden Schritte die hier nur schematisch zu benennen sind sind fuumlrden aristotelischen Gedankengang von schlechthin fundamentaler Bedeu-tung Ihr Ausgangspunkt ist die Analyse des Worts ὄν das nach der beruumlhm-ten (aber uneindeutigen)20 Formel in vielfacher Bedeutung ausgesagt wirdaber stets bdquoin Beziehung auf Einesldquo (πρὸς ἓν)21 Die πρὸς ἓν-Analogie unter-stellt die basale Differenz zwischen einer primaumlren eigentlichen Wortverwen-dung und den sekundaumlren gleichsam indirekten Verwendungen die immernur im Ruumlckbezug auf die erste verstehbar sind ndash eine Differenz die dasParadigma des Praumldikats sbquogesundlsquo plastisch vor Augen stellt Die Kleidungdie nicht selbst gesund ist kann so heiszligen mit Bezug auf den Organismusder an ihm selbst gesund oder krank sein kann Die Uumlbertragung dieser Rela-tion auf das Verstaumlndnis von ὄν ist nun allerdings keine triviale Analogiesemantischer Strukturen Vielmehr beinhaltet sie eine gewichtige ontologi-sche These Sie steht fuumlr die Uumlberzeugung dass es Entitaumlten gibt die im ei-gentlichen Sinn durch sich selbst bestehen und andere die nur in Abhaumlngig-keit von anderem oder mit Bezug auf anderes sind Man kann darin eine
18 Met Γ 21004 a 8ndash2219 Met Γ 21005 a 16ndash18 προτέρου καὶ ὑστέρου καὶ γένους καὶ εἴδους καὶ ὅλου καὶ μέρους καὶ
τῶν ἄλλων τῶν τοιούτων20 Die Formel wird von Aristoteles in zwei unterschiedlichen Weisen verwendet einerseits (in Γ
2) als Unterscheidung gemaumlszlig den Kategorien anderseits (in Λ 7 und E 2) als Unterscheidungzwischen dem akzidentell ausgesagten Sein dem Sein gemaumlszlig den Kategorien dem Sein imSinne des Wahrseins und dem Sein dem Vermoumlgen und der Verwirklichung nach Vgl dazuE Tugendhat Uumlber den Sinn der vierfachen Unterscheidung des Seins bei Aristoteles (Meta-physik Λ 7) in Ders Philosophische Aufsaumltze Frankfurt am Main 1992 136ndash144
21 Met Γ 21003 a 33 πρὸς ἓν
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 33
Erbschaft der zwar anders angelegten doch im weiten Sinn verwandten pla-tonischen Grunduumlberzeugung der bdquozwei Arten von Seiendenldquo22 sehen derentiefste Seinsdifferenz (neben veraumlnderlich-ewig sichtbar-unsichtbar etc) diezwischen selbstaumlndiger und unselbstaumlndiger Existenz ist Im engeren Sinnwird die Differenz als die zwischen dem substantiell und dem akzidentellSeienden ausgearbeitet die fuumlr Aristoteles schlieszliglich zur Folgerung fuumlhrtdass das primaumlr Seiende die Substanz das in der Untersuchung eigentlichAufzuhellende sei wie dies der emphatische Satz in Z 1 festhaumllt Da bdquodie vonalters her und jetzt und fuumlr immer uns umtreibende Frage was das Seiendesei nichts anderes meint als die Frage was die ousia seildquo hat die Erste Philo-sophie bdquohauptsaumlchlich und zuerst und sozusagen einzig zu betrachten wasdas in diesem Sinne Seiende istldquo23
Innerhalb dieser Betrachtung kommt dann die zweite Fokussierung zumTragen welche die unterschiedlichen Kandidaten fuumlr substantiell Seiendes (Z2) und die verschiedenen Begriffsbestimmungen von οὐσία (Z 3) analysiertund sich schlieszliglich auf die Frage zentriert ob eher der Stoff oder die Formdas Wesentliche wahrhaft Seiende in den Dingen ausmacht Es ist die Alter-native die Aristoteles schon im Bericht uumlber die Vorsokratiker als die basaleFrontstellung des anfangenden Denkens herausstellt wobei er festhaumllt dassbdquovon den ersten Philosophen die meisten nur die stoffartigen Prinzipien fuumlrdie Prinzipien aller Dingeldquo gehalten haben in welchen sie in der Tat so etwaswie deren Substanz erkannten als dasjenige bdquoworaus etwas urspruumlnglichentsteht und wohin es zuruumlckkehrtldquo und welches zugleich das Beharrlicheist das im Wandel der Eigenschaften konstant bleibt und ihm zugrundeliegt24 Die naumlhere Analyse der οὐσία fuumlhrt dann allerdings zur Verwerfungdieser Sichtweise nach welcher bdquoder Stoff Substanz istldquo da diesem die dis-tinktiven Kennzeichen der οὐσία selbstaumlndig (χωριστόν) und ein Bestimmtes(τόδε τι) zu sein abgehen25 Die Gegenvariante besteht darin die Form (εἶδος)bzw Wesensbestimmtheit (τί ἦν εἶναι) als dasjenige zu definieren was letztlichdie Substantialitaumlt des primaumlr Seienden ausmacht Die Argumente und Uumlber-legungen die Aristoteles in dieser Grundthese des Essentialismus zusammen-schlieszligt sind vielschichtig-komplex und bilden einen der Hauptgegenstaumlndeder exegetischen Bemuumlhung um die Metaphysik Daraus seien nur wenige
22 Phd 79 a δύο εἴδη των ὄντων23 Met Z 11028 b 3ndash7 καὶ δὴ καὶ το πάλαι τε καὶ νῦν καὶ ἀεὶ ζητούμενον καὶ ἀεὶ ἀπορούμενον
τί τὸ ὄν τοῦτό ἐστι τίς ἡ οὐσία [hellip] διὸ καὶ ἡμĩν καὶ μάλιστα καὶ πρῶτον καὶ μόνον ὡς εἰπεĩνπερὶ τοῦ ὅυτως ὄντος θεωρητέον τί ἐστιν
24 Met A 3983 b 6ndash18 τῶν δὴ πρώτων φιλοσοφησάντων οἱ πλεĩστοι τας ἐν ὕλης εἴδει μόναςῲήθησαν ἀρχας εἶναι πάντων [hellip] καὶ ἐξ οὗ γίγνεται πρώτου καὶ εἰς ὃ φθείρεται τελευταĩον
25 Met Z 31029 a 27 οὐσίαν εἶναι τὴν ὕλην
34 Emil Angehrn
Aspekte genannt die nicht zuletzt fuumlr die kritische Auseinandersetzung umdas aristotelische Konzept von Belang sind
Der Rahmen der Argumentation ist durch die Zusammenfuumlhrung vonepistemologischer und ontologischer Betrachtung bestimmt welche die Krite-rien des in houmlchster Weise Seienden zugleich als die des am meisten Erkenn-baren fasst Es geht um ein Erstes das in sich in eminenter Weise sowohl istwie erkannt wird und darin nach beiden Hinsichten Voraussetzung undGrundlage fuumlr anderes ist Die Herausforderung besteht darin zu zeigen dassbeide Seiten nicht auseinanderfallen sondern dass Seiendes gerade durch daswas es in sich begreifbar macht sowohl Selbstaumlndigkeit erlangt wie anderemals Fundament dient Zugrunde liegt die Intuition dass etwas kraft seinerBestimmtheit die Aristoteles als Artbestimmung (bdquoArt einer Gattungldquo26)fasst und die es letztlich identifizierbar und in dem was es ist erkennbarmacht eigenstaumlndiges Sein besitzt Zwischen dem Seienden und seiner Spezi-esbestimmtheit gibt es kein Auseinanderfallen Es gibt nicht ein leeres Etwasdem zusaumltzlich die Wesensbestimmtheit Pferd oder Baum zukaumlme Vielmehrso die aristotelische Formulierung sind bdquodas ti en einai und das einzelnedasselbeldquo27 wie es exemplarisch fuumlr die platonischen Ideen das Verhaumlltniszwischen dem Guten selbst und dem Gutsein gilt sonst bdquowuumlrde es von demeinen [dem Seienden] keine Wissenschaft geben und das andere [das ti eneinai] wuumlrde nichts Seiendes seinldquo28 Etwas begreifen heiszligt auf der einen Seitees in seiner Bestimmtheit erfassen auf der anderen Seite waumlre ein Begreifendieser Bestimmtheit das diese nicht als seiend erfasst kein wirkliches Erken-nen nicht von einer leeren Konstruktion zu unterscheiden Die Ideen sindModell eines eminenten Seienden das mit seiner Bestimmtheit unmittelbaridentisch ist das durch sie verkoumlrperte Verhaumlltnis aber soll gelten bdquoauchwenn es keine Ideen gibtldquo29
Kraft seiner Wesensbestimmtheit ist Seiendes eines in der zweifachen Be-deutung der inneren Einheit welche mehr als bloszlige Kontinuitaumlt oder aumluszligereVerbindung meint und der Individualitaumlt des einen unter anderen30 Andersals in der spaumlteren Tradition in welcher die causa formalis die allgemeineWesensnatur darstellt die den Exemplaren einer species gemeinsam ist undder gegenuumlber der Stoff als Individuationsprinzip fungiert hat Aristoteles
26 Met Z 41030 a 12 γένους εἰδῶν27 Met Z 61031 a 15 f πότερον δὲ ταὐτόν ἐστιν ἢ ἕτερον τὸ τί ἦν εἶναι καὶ ἕκαστον σκεπτέον28 Met Z 61031 b 3 f τῶν μὲν οὐκ ἔσται ἐπιστήμη τὰ δ᾽ οὐκ ἔσται ὄντα29 Met Z 61031 b 14 κἂν μὴ ᾖ εἴδη30 Zum Zusammenhang zwischen Wesensbestimmung und Individuation vgl das bdquoPrinzip der
Sortaldependenz der Identitaumltldquo das Christof Rapp als Angelpunkt der aristotelischen Sub-stanzlehre herausarbeitet Chr Rapp Persistenz und Substantialitaumlt Untersuchungen zumVerhaumlltnis von sortalen Termen und aristotelischer Substanz FreiburgndashMuumlnchen 1995 15
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 35
hier die inwohnende Form vor Augen die zusammen mit dem Stoff das kon-krete Einzelwesen konstituiert31 Die Form ist die strukturierend-synthetischeKraft die das materiale Substrat zum bestimmten Einzelwesen bildet so wirdnicht im eigentlichen Sinn die Wesensform vom Stoff ausgesagt da sie ihnvielmehr erst zu dem Einen macht dem Bestimmungen zugesprochen werdenkoumlnnen32 Sie verleiht dem Gegenstand seine spezifische Gestalt die ihn nachauszligen unterscheidet und nach innen zusammenhaumllt kraft ihrer hat Seiendesals Individuiertes Bestand kraft ihrer ist es nicht nur bestimmt sondern istes Ich will an dieser Stelle nicht dieses schwierige Theorem der aristoteli-schen Substanzlehre das in der Literatur auch unter dem Titel der individuel-len Form diskutiert worden ist33 fuumlr sich vertiefen Erhellend fuumlr den Sach-verhalt ist das Beispiel das fuumlr Aristoteles als Paradigma der οὐσία dient dasModell des Lebewesens Menschen Tiere Pflanzen stehen stellvertretend fuumlrdas bdquowas wir am meisten als ousia bezeichnenldquo34 die bdquonatuumlrlichen Wesenldquosind die allgemein anerkannten unkontroversen Substanzen35 ja vielleichtbdquohat nichts von dem was nicht von Natur besteht zu den Substanzen zuzaumlhlenldquo36 Lebewesen verkoumlrpern exemplarisch jene Doppelseitigkeit vonEinzelheit und Essentialitaumlt sie sind von sich aus individuiert und spezifiziertAnders als bei Artefakten ist sowohl ihr εἶδος eindeutig bestimmt das nichteiner Aggregierung von Elementen gleichsam von auszligen zugewiesen (sonderndurch Zeugung von einem Wesen gleicher Art uumlbertragen) wird wie auchihre Zahl und Individuiertheit feststeht (waumlhrend sie bei Artefakten und un-belebten Koumlrpern schwankend sein kann) Die Stufen des Lebendigen sindzugleich Stufen der Individuation und Selbstbezuumlglichkeit Das Lebewesenexemplarisch in seiner houmlchsten personalen Gestalt steht fuumlr das Urmodellder Substanz ndash und ist in der Ideengeschichte als gleichermaszligen vorausset-zungsreich kontrovers diskutiert worden
Zwei Fluchtlinien dieser Zusammenfuumlhrung von Bestimmtheit und Seinwerden in den Buumlchern Θ und Λ der Metaphysik weiter ausgezogen Die erstehat ihren Fluchtpunkt in der These bdquodass die ousia und das eidos Verwirkli-chung (energeia) sindldquo37 Im Kontext der allgemeinen Eroumlrterung des Verhaumllt-
31 Met Z 111037 a 29 f32 Vgl E Tugenhat Ti kata tinos Eine Untersuchung zu Struktur und Ursprung aristotelischer
Grundbegriffe FreiburgndashMuumlnchen 1958 84 ff33 Vgl M FredeG Patzig Aristotelesrsquo bdquoMetaphysik Zldquo Text Uumlbersetzung und Kommentar
2 Bde Muumlnchen 198834 Met Z 71032 a 19 ἃ δὴ μάλιστα λέγομεν οὐσίας εἶναι35 Met H 11042 a 7 f αἱ φυσικαί36 Met H 31043 b 21 f ἴσως μὲν οὖν οὐδ᾽οὐσίαι εἰσιν οὔτ᾽ αὐτα ταῦτα οὔτε τι τῶν ἄλλων ὅσα
μὴ φύσει συνέστηκεν37 Met Θ 81050 b 2 f ὥστε φανερον ὅτι ἡ οὐσία καὶ τὸ εἶδος ἐνέργειά ἐστιν
36 Emil Angehrn
nisses von δύναμις und ἐνέργεια entwickelt Aristoteles die These vom Primatdes Akts gegenuumlber dem Moumlglichsein die er dann mit der ontologischen Re-lation von Stoff und Form verschraumlnkt Das wahrhaft Seiende auf welchesdie Ousiologie hinzielt ist wesentlich als Vollzug als aktual Seiendes gedachtIn eminenter Weise trifft dies fuumlr das houmlchste Seiende zu Das Goumlttliche Ewi-ge existiert als reine Wirklichkeit jedes Verfuumlgen uumlber Potentialitaumlt waumlre eineEinbruchstelle des Nichtseinkoumlnnens der Sterblichkeit und der KontingenzDas Ewige ist ein notwendig Seiendes das jede Moumlglichkeit des Nicht- undAndersseins aus sich ausschlieszligt Der reine Akt ist nicht einfach nur die eineSeite eines Gegensatzes sondern gewissermaszligen die Vereinigung beider Sei-ten durch die gaumlnzliche Absorption der einen durch die andere Von solcherSeinsmaumlchtigkeit ist der erste Beweger daruumlber hinaus aber alles was in ewi-ger Bewegung ist bdquoDie Sonne die Gestirne und der ganze Himmel sind stetsin Verwirklichung und man braucht keine Angst zu haben dass sie einmalstill stehen wie dies die Naturphilosophen befuumlrchtenldquo38 Die Form die sichals vereinheitlichend-strukturierende Kraft gezeigt hat ist generell das Prinzipder Verwirklichung dem der Stoff als Dimension des Moumlglichen und Potenti-ellen gegenuumlbersteht Das εἶδος ist an ihm selbst nicht bloszlige Instanz der Iden-tifizierbarkeit sondern als vereinheitlichende Gestaltung zugleich Macht desWirklichwerdens und Offenbarens39 Beide Vollzuumlge sind zwei Seiten dersel-ben ἐνέργεια das Heraustreten aus dem Formlos-Potentiellen und die Zusam-menfuumlgung zur Einheit bis hin zur strikten Individualisierung das Aktualseinund das Einssein Die strukturelle Bestimmung der οὐσία als τί ἦν εἶναι findetihren Abschluss aber auch ihren Grund in der dynamischen Uumlberformungdes εἶδος als ἐνέργεια Verwirklichung kommt nicht als ein Anderes zur Formhinzu sondern erweist sich als deren eigenste Seinsweise Von da her wirddie Eingangsthese der Fundierung des Seins im Wesen eingeholt die sbquoessentia-listischelsquo These dass die Wesensform der wahre Seinsgrund40 der Dinge seiSie ist Grund des Was und Dass zugleich weil das Was gar nicht in Abstrakti-on vom Prozess seiner Verwirklichung konsequent zu Ende gedacht werdenkann Wahrhaftes Sein heiszligt Wesensverwirklichung
2 Metaphysik als Theologie
Die andere Fluchtlinie fuumlhrt diese Idee weiter aus in der Beschreibung deshoumlchsten Seienden welches als Ursache der Bewegtheit und der Ordnung
38 Met Θ 81050 b 22ndash24 διὸ ἀεὶ ἐνεργεĩ ἥλιος καὶ ἄστρα καὶ ὅλος ὁ οὐρανός καὶ οὐ φοβερὸνμή ποτε στῇ ὃ φοβοῦνται οἱ περὶ φύσεως
39 Tugendhat Ti kata tinos (wie Anm 32) 68 9040 Met Δ 81017 b 14ndash16 ἄλλον δε τρόπον ὃ ἂν ᾖ αἴτιον τοῦ εἶναι ἐνυπάρχον ἐν τοĩς τοιούτοις
ὅσα μὴ λέγεται καθ᾽ ὑποκειμένου οἷον ἡ ψυχη τῷ ζῴῳ Ferner Z 171041 b 28
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 37
aller Dinge in den Blick kommt Der Beweis der Existenz des unbewegtenBewegers verlaumluft wesentlich uumlber die genannten Merkmale der EwigkeitSingularitaumlt Notwendigkeit und reinen Aktualitaumlt welche die Bewegung desAlls auszeichnen und zugleich fuumlr emphatische Merkmale des eminent Seien-den stehen Als Prinzip der ewig-notwendigen Bewegung kann nur eines inFrage kommen bdquodessen Wesen Verwirklichungldquo und das selbst bdquoohne Stoffldquoist41 Die Kennzeichnung des ersten Ursprungs als einer potenzfreien reinenAktualitaumlt stellt die frontale Antithese zur mythischen Ursprungserzaumlhlungdar welche das All aus dem Chaos und der Nacht hervorgehen laumlsst42 Gegensolche genealogische Herleitung haumllt Metaphysik am strengen Grundsatz festdass das Houmlhere nicht aus dem Niedrigeren das Bestimmte nicht aus demUnbestimmten verstaumlndlich gemacht werden kann Nur das in sich Intelligi-belste das gleichzeitig das in houmlchster Weise Seiende ist kann Seins- undErkenntnisgrund fuumlr Anderes sein Seine letzte Uumlberhoumlhung hat dieses Ersteund Goumlttliche schlieszliglich darin dass sein Sein nicht nur reiner Vollzug undVerwirklichung sondern Lebendigkeit bdquobestes und ewiges Lebenldquo ist43 Esrealisiert sich als reines Denken dessen Vollzug Aristoteles als houmlchste Taumltig-keit und houmlchste Erfuumlllung als Lustvollstes (ἥδιστον) auszeichnet Gezeichnetist eine Vollkommenheit die zugleich Vollendung fuumlr das taumltige Subjekt selbstist Im Bild des goumlttlichen Lebens kommen die beiden Leitideen des wahrhaf-ten Seins und des Gluumlcks in ihren houmlchsten Steigerungen zur Konvergenz
Nur stichwortartig sei der weitere Horizont benannt in welchem Aristo-teles das Prinzip aller Dinge im Schlusskapitel des XII Buchs eroumlrtert unddas Themenfeld der Metaphysik gleichsam nach der komplementaumlren Haupt-stoszligrichtung eroumlffnet Das erste Prinzip steht hier nicht nur als Bewegungsur-sprung sondern als Ordnungsprinzip des Alls in Frage wobei Aristoteles dieFrage in zweierlei Hinsicht spezifiziert und dadurch uumlber die bdquoUnmoumlglichkei-ten und Ungereimtheitenldquo44 der vorsokratischen Welterklaumlrungen hinausge-langt Zum einen geht es nicht einfach darum irgendwelche Gesetzmaumlszligigkei-ten im Werden und Vergehen im Wechselspiel der Elemente oder der Aggre-gierung der Atome ausfindig zu machen sondern es geht um das houmlchsteOrdnungsprinzip das zugleich das eminente Prinzip des Seins ist um dasGute das bdquounter allem am meisten Prinzip istldquo45 Zum anderen geht es da-rum dieses Prinzip das ein immanentes Strukturprinzip des Wirklichen istzugleich als erstes transzendentes Prinzip jenseits der sinnlich erfahrbaren
41 Met Λ 61071 b 20 f ἧς ἡ οὐσία ἐνέργεια hellipἄνευ ὕλης42 Met Λ 61072 a 7 f43 Met Λ 71072 b 28 ζωὴ ἀρίστη καὶ ἀΐδιος44 Met Λ 101075 a 25 ἀδύνατα συμβαίνει ἢ ἄτοπα45 Met Λ 101075 a 37 καίτοι ἐν ἅπασι μάλιστα τὸ ἀγαθὸν ἀρχή
38 Emil Angehrn
Dinge zu setzen Es ist letztlich die Herrschaft des Einen mit der Aristotelesdie metaphysische Untersuchung abschlieszligt46 Ohne dass es naumlher ausgefuumlhrtwuumlrde ist bemerkenswert dass Aristoteles zum Schluss das Thema der Ord-nung des Alls zur Sprache bringt das in der Substanzlehre so nicht Themaist und das auch im Theorem des unbewegten Bewegers nur am Rande auf-scheint Bedeutsam ist ebenso dass dieses Ordnungsprinzip als erster Ur-sprung konzipiert ist der wiederum als houmlchste Substanz und houmlchste Gestaltdes Seienden gefasst ist so dass das Grundkonzept hier Gedankenlinien zu-sammenfuumlhrt die sowohl in der vorausgehenden Entstehungsgeschichte derMetaphysik auf getrennten Wegen ausgebildet werden wie sie auch in derspaumlteren Tradition in verschiedenen Straumlngen der Metaphysik ndash als Ontolo-gie Theologie Kosmologie ndash ihre Ausarbeitung finden Die Frage nach demSeienden als Seienden konvergiert an ihrem Kulminationspunkt mit der Lehrevom houmlchsten Wesen das seinerseits fuumlr die Bewegung und Ordnung des AllsPrinzipienfunktion ausuumlbt Die Erforschung der ersten Ursachen soll gleich-zeitig eine Erkenntnis dessen was die Seiendheit alles Seienden ausmacht einWissen vom houmlchsten Seienden und ein Begreifen der Wirklichkeit im Ganzenermoumlglichen Allerdings ist die innere Einheit dieser Konstellation bei Aristo-teles nicht systematisch reflektiert Fuumlr ihn stellt weder die Unterschiedlich-keit der Fragerichtungen der Metaphysik einen Irritationspunkt noch ihreZusammengehoumlrigkeit ein Problem dar In gewisser Weise geht die Unterbe-stimmtheit dieser Konstellation in die Wirkungsgeschichte seines Werks wiein die Problemgeschichte der Metaphysik ein In welcher Weise sie darin mitdem Streit um metaphysischen Thesen und Praumlmissen interferiert waumlre imEinzelnen zu zeigen
IV Metaphysik und Metaphysikkritik
Die Geschichte der Metaphysik ist keine homogen-lineare Entwicklung Sieist die Geschichte einer vielschichtigen auf unterschiedlichen Wegen und inimmer neuen Ansaumltzen operierenden Selbstverstaumlndigung des metaphysischenDenkens in welcher dieses sich zugleich im Spiegel seiner Kritik uumlber dieeigenen Fragen Wege und Denkformen verstaumlndigt Wie die Fortschreibungund Neuinterpretation die Konturen des metaphysischen Denkens schaumlrferhervortreten laumlsst so behauptet dieses seine Identitaumlt im Medium der KritikDie Auseinandersetzung laumlsst Weichenstellungen und Probleme erkennen die
46 Die anschlieszligenden Buumlcher M und N sind wiederum dem eher speziellen Thema der plato-nisch-pythagoreischen Lehre der Prinzipien Ideen und Idealzahlen gewidmet Buch Λ ent-haumllt umgekehrt einen Gesamtabriss der Ersten Philosophie
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 39
in ihm verhandelt werden Kant sieht in der Metaphysik einen Kampfplatzendloser Streitigkeiten die durch die Unabweisbarkeit aber auch Unbeant-wortbarkeit ihrer Fragen hervorgerufen werden (vgl KrV A VII f) Die Be-harrlichkeit der Kritik welche die Metaphysik wie einen Schatten begleitetgehoumlrt zu deren auffallenden Merkmalen Tatsache ist dass analoge Streit-punkte die Auseinandersetzung um die Metaphysik vom Anfang bis in neues-te Diskussionen hinein praumlgen Daraus seien nur einige Aspekte genannt diedem Profil der umrissenen Entstehungsgeschichte korrespondieren
Die beiden ersten entsprechen den zwei Hauptrichtungen unter denendie Herausbildung des metaphysischen Denkens bei Aristoteles in den Blickgekommen ist einerseits als Frage nach dem was einen Gegenstand in sichbegreifbar macht mit den Fluchtlinien der Substantialitaumlt und Wesensbe-stimmtheit andererseits als Frage nach dem houmlchsten Seienden und der Ord-nung des Ganzen Ergaumlnzend ist drittens die Grundhaltung zu nennen welchedem metaphysischen Denken als Suche nach objektiver Wahrheit zugrunde-liegt und die letztlich auf eine affirmative Fundierung unseres Selbst- undWeltverstaumlndnisses zielt Nach allen drei Hinsichten sind der Metaphysik imLaufe ihrer Geschichte Gegenstroumlmungen erwachsen die ihre Leitideen inFrage stellen
1 Jenseits von Substanz und Wesen
Die erste Problematisierung betrifft die Grunduumlberzeugung dass es in denDingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen und Sprechen nur in Abstuumlt-zung auf letzte Bestimmtheiten moumlglich sind In der aristotelischen Theoriewurde diese Sichtweise in zwei Schritten herausgearbeitet deren erster zurAbhebung des substantiellen vom akzidentellen Sein fuumlhrte waumlhrend derzweite die Substantialitaumlt uumlber die Formbestimmtheit definierte Beide Schrit-te bilden in der Folgegeschichte herausragende Kristallisationspunkte der Kri-tik Einerseits wird die zentrale Bezugnahme auf ein ansichseiendes Wesenals Grundlage konsistenten Sprechens und Erkennens suspendiert anderer-seits wird die Bindung der Substantialitaumlt an die essentielle Form in Fragegestellt Gegen diese Bindung rehabilitieren Ansaumltze der fruumlhen Neuzeit dieaumllteste materialistische Antithese zur platonisch-idealistischen SichtweiseNach Thomas Hobbes ist es der Koumlrper als solcher welcher die Kriterien derSubstanz erfuumlllt (vgl De corpore VIII) Die Formursache die nach Aristotelesin den Naturphaumlnomenen die Entstehung die Wesensbestimmung und dieZweckausrichtung begruumlndet verliert in der neuzeitlichen Wissenschafts-theorie ihre leitende Erklaumlrungsfunktion Noch tiefer geht die Infragestellungwelche die prinzipielle Ebenendifferenz zwischen einem Ansichseienden undeinem ihm Zukommenden zwischen einem Absoluten und einem Relationa-
40 Emil Angehrn
len unterlaumluft Nicht das In-sich-Bestimmte und Identische gilt als das ur-spruumlnglich Intelligible sondern die Relation die Struktur die Funktion unddie Differenz
Unterschiedliche Stroumlmungen des modernen Denkens artikulieren dieseAntithese zur metaphysischen Option Gegen die essentialistische Zentrie-rung auf das Wesen unterstreicht der Existentialismus den Vorrang der Exis-tenz Nicht in einer zugrundeliegenden Essenz sondern in der Weise des Exis-tierens liegt die Wahrheit uumlber den Menschen Hegels Logik ersetzt die Subs-tanzontologie durch eine Theorie absoluter Relationalitaumlt Kein Erstes undUnmittelbares sondern die absolute Vermittlung und das Verhaumlltnis von Ver-haumlltnissen bilden das Fundament von Sein und Erkenntnis Anstelle des festenRelats macht das Strukturdenken die Kombinatorik der Relationen zur Basisvon Intelligibilitaumlt der Funktionalismus verschaumlrft diese Wendung indemer ndash emphatisch bei N Luhmann ndash den Primat des Moumlglichen gegen dasWirkliche der Bestimmbarkeit gegen das Bestimmte behauptet Nicht dasEinfache sondern das Komplexe nicht das aktual Seiende sondern der Spiel-raum des Moumlglichen eroumlffnet den Raum des Verstehens In noch andererAkzentsetzung stellt das Differenzdenken die formalste Auszeichnung desSeins sein Fuumlr-sich-Sein und Mit-sich-Identischsein in Frage Dabei soll dieRehabilitierung der Relation und Funktion der Potentialitaumlt und Differenznicht einfach thematische Schwerpunkte verschieben oder begriffliche Hie-rarchien umkehren sondern grundlegende ontologische Raster unterlaufenPostuliert ist ein Denken das ohne die fundamentalistische Ausrichtung tra-ditionellen Denkens ohne Suche nach ersten Gruumlnden und letzten Referenzenauskommt In direkter Umkehrung der Argumente mit denen Platon undAristoteles das Festhalten an einem Nichtrelationalen als Grundlage allerRede behaupten wird der Verzicht auf solche Fixierung zur Voraussetzungeines angemessenen Verstehens erklaumlrt In profilierten Konstellationen ver-binden sich Gegenentwuumlrfe zur ontologischen Weichenstellung mit Ansaumltzenmoderner Metaphysikkritik Stellvertretend sei auf die Kritik Heideggers ver-wiesen dessen Destruktion der Ontologie die urspruumlngliche Falschheit desmetaphysischen Programms aufweisen will die er nicht erst in der Zentrie-rung auf die substantiale Wesensform sondern vorgaumlngig in der Frage nachdem Seienden als Seienden sieht welche die ontologische Differenz zwischenSein und Seiendem nivelliert und das von der Metaphysik eigentlich zu be-denkende Sein unbefragt laumlsst Darin erkennt er nicht nur einen Kategorien-fehler sondern einen fundamentalen Irrweg des Denkens der dem nihilisti-schen Grundzug verwandt ist den Nietzsche in der Metaphysik wahrnimmtHeideggers Ansatz ist fuumlr Autoren wie Derrida und dessen Kritik an einerMetaphysik der Praumlsenz maszliggeblich geworden auch wenn Heideggers Ideeeiner Seinsgeschichte in Derridas Augen selbst der metaphysischen Suchenach dem Ersten verhaftet bleibt
Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 41
2 Pluralitaumlt Kontingenz Negativitaumlt
Die zweite Hauptstoszligrichtung der Auseinandersetzung stellt jene Punkte insZentrum die im gaumlngigen Verstaumlndnis am entschiedensten der Kritik verfal-len sind metaphysische Weltbilder die aufs Ganze des Wirklichen ausgreifenund dieses von letzten Prinzipien her begreifen Totalitaumltssuppositionen undumfassende inhaltliche Deutungen ndash des Kosmos der Ordnung der Kreatu-ren der Menschheitsgeschichte ndash haben in der modernen Kultur weithin ihreGlaubwuumlrdigkeit verloren Zum Stein des Anstoszliges werden Leitbegriffe wieEinheit Transzendenz Universalitaumlt Totalitaumlt die fuumlr das wissenschaftlicheErkennen Grenzwerte benennen in radikalerer Problematisierung werden er-kenntniskonstitutive Bestimmungen wie Identitaumlt und Ordnung zur Disposi-tion gestellt In vielfaumlltigen Konstellationen werden gegenlaumlufige Leitkonzep-te zur herrschenden Diskursordnung rehabilitiert Pluralitaumlt und Partikulari-taumlt Offenheit und Unabgeschlossenheit Irrationalitaumlt und Kontingenz
Doch erschoumlpft sich die Infragestellung der Metaphysik nicht in der Revi-sion der leitenden formalen und inhaltlichen Konzepte Prinzipieller gilt dieDistanzierung der tragenden Grundhaltung aus der heraus Erste Philosophieihr Ziel formuliert und ihre konzeptuellen Grundlagen erarbeitet Nicht dieUneinholbarkeit ihrer Thesen sondern die Fragwuumlrdigkeit ihres Projektswird zum Gegenstand der Kontroverse Problematisiert wird auf der einenSeite die prinzipielle Ausrichtung auf Wahrheit und Objektivitaumlt auf der an-deren das Absehen auf eine affirmative Wirklichkeitsdeutung Unverkennbarist Letzteres vielfaumlltig mit den theoretischen Leitbegriffen der Vernunft Ein-heit und Ordnung verschraumlnkt Philosophie soll nicht nur auf das Ganze aus-greifen sondern dessen Sinn und Rationalitaumlt erkunden und dadurch so He-gel mit der Wirklichkeit versoumlhnen Der begriffliche Streit um Einheit undVielfalt Identitaumlt und Differenz ist nicht von der normativen Besetzung derBegriffe abzuloumlsen die Diskreditierung der groszligen Erzaumlhlungen und identifi-zierenden Festschreibungen versteht sich nicht nur als kategoriale Korrektursondern als Absage an uumlberhoumlhte Sinnpostulate Dagegen wird der Ansprucherhoben ohne letzte Begruumlndung und abschlieszligendes Telos auszukommenKontingenz auszuhalten und sich im Vielfaumlltigen und Offenen im Leben wieim Denken orientieren zu koumlnnen Vielleicht in stringentester Weise wider-spricht ein sbquonegativistischeslsquo Denken das auf der Unversoumlhntheit der Weltbeharrt und seine Wahrheit aus dem Widerstand gegen das Negative gewinntden Praumlmissen metaphysischen Denkens ndash auch wenn es in solchem Wider-stand zugleich das spekulative Moment und darin das Erbe der Metaphysikbewahrt47
47 T W Adorno Negative Dialektik Frankfurt am Main 1967 46
42 Emil Angehrn
Die komplexe Konstellation der neueren Auseinandersetzungen um dieMetaphysik ist hier nicht zu entfalten Zu zeigen war nur inwiefern darinWeichenstellungen aufscheinen die den Gang der Metaphysik bestimmenund deren fruumlhe Profilierung sich in den Schriften des Aristoteles findetNicht nur im Blick auf die Tradierung Weiterentwicklung und Neuschrei-bung sondern auch auf die Problematisierung und kritische Auseinanderset-zung stellt die aristotelische Metaphysik ein Gruumlndungsdokument der euro-paumlischen Denkgeschichte par excellence dar Der Weg des Denkens den sieeroumlffnet indem sie sich einer tastenden Vorgeschichte vergewissert und sichin sie einschreibt bleibt offen sowohl im Blick auf die unabgeschlosseneArbeit des Erkennens wie auf die reflexive Selbstaufklaumlrung und kritischeBefragung Die Verschraumlnkung von Metaphysik und Metaphysikkritik bleibtunaufgeloumlst Sich uumlber die Gruumlnde dieser Unabschlieszligbarkeit zu verstaumlndigengehoumlrt zu den weiterfuumlhrenden letzten Fragen die an die Metaphysik selbstgestellt sind
Literatur
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Die Entstehung der Metaphysik ndash Zur Rekonstruktion eines Denkwegs 43
Mittelstraszlig J Die Philosophie und ihre Geschichte in H J Sandkuumlhler(Hrsg) Geschichtlichkeit der Philosophie Theorie Methodologie undMethode der Historiographie der Philosophie Frankfurt am MainndashBern1991 25
Rapp Chr Persistenz und Substantialitaumlt Untersuchungen zum Verhaumlltnisvon sortalen Termen und aristotelischer Substanz FreiburgndashMuumlnchen1995
Tugendhat E Uumlber den Sinn der vierfachen Unterscheidung des Seins beiAristoteles (Metaphysik Λ 7) in Ders Philosophische Aufsaumltze Frankfurtam Main 1992 136ndash144
Tugendhat E Ti kata tinos Eine Untersuchung zu Struktur und Ursprungaristotelischer Grundbegriffe FreiburgndashMuumlnchen 1958
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysikim Lichte sprachanalytischer Ontologie
Benedikt Strobel
Einleitung
Wer vorhat einen klassischen Text der Philosophiegeschichte im Lichte philo-sophischer Diskussionen der Gegenwart zu betrachten mag im Sinn habenden Text als Beitrag zu Fragen zu verstehen um die sich philosophischeDiskussionen der Gegenwart drehen oder er mag im Sinn haben Theorienund Konzeptionen die in philosophischen Diskussionen der Gegenwart einewichtige Rolle spielen als Licht zu verwenden um den Sinn dessen was indem Klassiker geaumluszligert wird aufzuhellen
Fuumlr die folgenden Uumlberlegungen zu Problemen der Theorie der οὐσία derMetaphysik habe ich beides im Sinn Ich moumlchte zum einen die Metaphysikals Beitrag zu Fragen verstehen die in der sprachanalytischen Ontologie derGegenwart eine wichtige Rolle spielen Zum anderen moumlchte ich das was inder Metaphysik zu diesen Fragen gesagt wird mit sprachanalytischen Mittelnzu klaumlren versuchen
Zu den zentralen Fragen mit denen sich Philosophen die Ontologiesprachanalytisch betreiben beschaumlftigen gehoumlren Fragen des folgenden TypsAuf die Annahme von Dingen welcher ontologischen Kategorien lege ichmich dadurch fest dass ich behaupte der-und-der Satz sei wahr Welche derAusdruumlcke die in dem Satz vorkommen (einschlieszliglich des Satzes selbst)stehen unter der Annahme seiner Wahrheit in bestimmen semantischen Rela-tionen zu bestimmen Dingen Um welche semantische Relation handelt essich jeweils Handelt es sich darum dass der Ausdruck etwas bezeichnet(eine bestimmte Referenz hat) Handelt es sich darum dass er einen be-stimmten von seiner Referenz zu unterscheidenden Sinn ausdruumlckt den erbesitzen muss um eine Referenz zu haben Wie sind die Entitaumlten (sei es aufder Referenz- sei es auf der Sinn-Ebene) ontologisch zu charakterisieren umverstaumlndlich zu machen dass die Ausdruumlcke die in einer semantischen Rela-tion zu ihnen stehen genau diese Relation zu ihnen unterhalten
Die Frageintention laumlsst sich beispielsweise an einem singulaumlr praumldikati-ven Satz wie Sokrates ist ein Menschlsquo erlaumlutern Dass der Ausdruck Sokra-
46 Benedikt Strobel
teslsquo etwas das Einzelding Sokrates bezeichnen muss falls der Satz wahr seinsoll scheint selbstverstaumlndlich1 aber unterhaumllt der Ausdruck Sokrateslsquo aucheine semantische Relation zu etwas das festlegt worauf er Bezug nimmtnaumlmlich zu etwas das man mit Frege2 den Sinn des Ausdrucks nennen kannWenn ja wie ist dieser Sinn ontologisch zu charakterisieren Und wie stehtes mit dem Rest des Satzes ist ein Menschlsquo Bezeichnet auch dieser Ausdrucketwas Oder eher nur sbquoein Menschlsquo (ohne die Kopula istlsquo) Oder keiner derbeiden Ausdruumlcke Wenn ist ein Menschlsquo (oder ein Menschlsquo) etwas bezeich-net handelt es sich hier um dieselbe semantische Relation wie die die Sokra-teslsquo zu Sokrates unterhaumllt oder ist mit Bezeichnenlsquo eine andere semantischeRelation gemeint Und wie ist das von ist ein Menschlsquo (oder ein Menschlsquo)Bezeichnete ontologisch zu charakterisieren v a in seiner Beziehung zu demEinzelding Sokrates Hat ferner auch der Ausdruck ist ein Menschlsquo (oderein Menschlsquo) einen von seiner Referenz verschiedenen Sinn der seine Refe-renz festlegt Wie verhaumllt es sich schlieszliglich mit dem Satz Sokrates ist einMenschlsquo insgesamt Hat er ebenfalls eine bestimmte Referenz Wenn ja wasbezeichnet er Einen Wahrheitswert (wie Frege3 dachte) Oder vielmehr eineTatsache Was ist eine Tatsache Wie verhaumllt sich die Tatsache zu dem Einzel-ding und dem Universale Ist sie aus beiden zusammengesetztlsquo Zudem Hatder Satz nicht auch einen von seiner Referenz verschiedenen Sinn Wenn jawie verhaumllt sich dieser Sinn die von dem Satz ausgedruumlckte Proposition zurReferenz des Satzes Wie sind Tatsachen und Propositionen ontologisch zucharakterisieren
Auch wenn Aristoteles in der Metaphysik keinen Beitrag zur neuerenDiskussion dieser (und aumlhnlicher) Fragen zu leisten gedachte (und gedenkenkonnte) sagt er hier vieles was so rekonstruiert werden kann dass es fuumlr sierelevant ist Allerdings ist der semantische Gehalt seiner Aumluszligerungen in demWerk weniger transparent als etwa in der Kategorienschrift deren σκοπόςdarin gesehen werden kann zu klaumlren Dinge welcher ontologischen Katego-rien die ndash von den spaumlteren Kommentatoren so genannten ndash einfachen Aus-druumlcke (ἁπλαῖ λέξεις ἁπλαῖ φωναί) bezeichnen4 Aristoteles knuumlpft in der Me-taphysik in manchen Punkten an die in den Kategorien entwickelte Theorie
1 Vgl G Frege Sinn und Bedeutung in Ders Kleine Schriften hrsg v I Angelelli Hildes-heimndashZuumlrichndashNew York 21990 143ndash162 hier 154 bdquoWenn man etwas behauptet so istimmer die Voraussetzung selbstverstaumlndlich dass die gebrauchten einfachen oder zusam-mengesetzten Eigennamen eine Bedeutung habenldquo
2 Vgl z B ebd 144 ff3 Vgl z B ebd 1494 Vgl hierzu B Strobel Von einem Subjekt ausgesagt werden und an einem Subjekt vorliegen
zur Semantik genereller Terme in der aristotelischen Kategorienschrift Phronesis 54 200940ndash75 hier 48
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 47
der Referenz der einfachen Ausdruumlckelsquo an scheint sie aber in anderen Punk-ten einer tiefgreifenden Revision zu unterwerfen Einerseits ist von Entitaumltendie Rede die in den Kategorien noch keine Rolle spielen naumlmlich von Formund Materie und es ist unklar wie sich diese Entitaumlten in die in den Kategori-en entwickelte Theorie der Referenz der einfachen Ausdruumlckelsquo integrierenlassen andererseits scheinen die in den Kategorien eingefuumlhrten Substanzenim sekundaumlren Sinne also die Arten und Gattungen der Substanzen im pri-maumlren Sinne von der ontologischen Bildflaumlche verschwunden zu sein (jeden-falls ist nicht mehr von zweiten Substanzenlsquo die Rede) Jedoch spielt diesemantische Analyse der Ausdruumlcke denen in den Kategorien (52 b 30) zu-geschrieben wird zweite Substanzen zu bezeichnen ndash es handelt sich z B umalltagssprachliche Ausdruumlcke des Typs ἄνθρωποςlsquo (ein Menschlsquo) oder desTyps βοῦςlsquo (ein Rindlsquo) ndash auch fuumlr die Theorie der οὐσία in der Metaphysikeine wichtige Rolle ohne dass unmittelbar klar waumlre was ndash der Metaphysikzufolge ndash solche Ausdruumlcke bezeichnen Vor allem ist unklar ob sie ndash derMetaphysik zufolge ndash substantielle Formen bezeichnen oder nicht und ob sieUniversalien bezeichnen oder nicht
Unter Ausdruumlckenlsquo verstehe ich hier und im folgenden nicht Ausdrucks-typen sondern Ausdrucksvorkommnisse (d h sinnlich wahrnehmbare Zei-chen) und lege fest dass jeder Ausdruck genau einen (Fregeschen) Sinn hatalso nicht mehrdeutig ist5 (Ebenso verfahre ich wenn ich von Termenlsquo ge-
5 Dieses Verstaumlndnis von Ausdrucklsquo scheint mir gut zu dem zu passen was Aristoteles unterλεγόμενονlsquo versteht In den Kategorien heiszligt es bdquoVon dem was ohne Verbindung geaumluszligertwird (τῶν κατὰ μηδεμίαν συμπλοκὴν λεγομένων) bezeichnet (σημαίνει) jedes entweder eineSubstanz oder etwas so-und-so Bemessenes oder etwas so-und-so Beschaffenes oder etwasin Bezug auf etwas oder etwas an einem Ort oder etwas zu einer Zeit oder daszlig es liegt oderdaszlig es hat oder daszlig es tut oder daszlig es leidetldquo (Cat 41 b 25ndash27) Aristoteles setzt hiervoraus dass Ausdruumlcke nicht unabhaumlngig von ihrem Sinn individuiert sind dass wir es alsomit verschiedenen Ausdruumlcken zu tun haben wenn Ausdruck A einen anderen Sinn hat alsAusdruck B Dies kann man sich an folgendem Beispiel klarmachen Wenn der AusdruckΣωκράτηςlsquo unabhaumlngig von seinem Sinn individuiert waumlre ndash sagen wir z B nach dem Krite-rium wie er buchstabiert wird (siehe zu den verschiedenen Kriterien fuumlr die Individuierungvon Ausdruckstypen W Kuumlnne Abstrakte Gegenstaumlnde Semantik und Ontologie Frank-furt am Main 22007 229) ndash so waumlre es falsch zu sagen dass er entweder eine Substanzoder etwas so-und-so Bemessenes oder (usw) bezeichnet Wenn er in einem Sinn verwendetwird in dem er eine bestimmte Person bezeichnet bezeichnet er eine Substanz aber wennich ihn ndash ungewoumlhnlicherweise ndash in einem Sinn verwende in dem er die Farbe Weiszlig bezeich-net bezeichnet er in diesem Kontext keine Substanz sondern eine Qualitaumlt Aristotelesscheint sich der Kontextvariabilitaumlt des Bezeichnens von Ausdruumlcken die unabhaumlngig vonihrem Sinn individuiert sind durchaus bewusst gewesen zu sein Vgl F A Lewis Predica-tion Things and Kinds in Aristotlersquos Metaphysics Phronesis 56 2011 350ndash387 hier 356mit Bezug auf De int 116 a 5ndash6 Mit der Voraussetzung dass Ausdruumlcke nicht unabhaumlngigvon ihrem Sinn individuiert sind legt sich Aristoteles nicht auf die Auffassung fest dass essich bei den Ausdruumlcken nicht um Ausdruckstypen sondern um Ausdrucksvorkommnissesinnlich wahrnehmbare Zeichen handelt Denn auch sinnlich wahrnehmbare Zeichen koumln-
48 Benedikt Strobel
nerellen Termenlsquo singulaumlren Termenlsquo Praumldikatenlsquo und Saumltzenlsquo spreche Ge-meint sind jeweils Ausdrucksvorkommnisse mit genau einem Sinn) DieseFestlegung hat auch den pragmatischen Vorteil dass ich wenn ich davonspreche dass ein Ausdruck etwas bezeichnet nicht immer hinzufuumlgen musswenn er in dem-und-dem Sinn gebraucht wirdlsquo
Die Ausdruumlcke denen in den Kategorien zugeschrieben wird zweiteSubstanzen zu bezeichnen werde ich im Folgenden als generelle Terme derSubstanz-Kategorielsquo bezeichnen Mit dieser Redeweise praumljudiziere ich wederAnnahmen daruumlber ob diese Ausdruumlcke laut der Metaphysik Universalienbezeichnen noch daruumlber ob sie laut der Metaphysik Substanzen bezeichnenIch moumlchte hier unter einem generellen Termlsquo einen Ausdruck verstandenwissen dessen Sinn damit vereinbar ist dass der Ausdruck zusammen miteinem Vorkommnis der Kopula ein vollstaumlndiges Praumldikat ergibt (selbst wenner de facto nicht Teil eines Praumldikats ist)6 Unter den generellen Termen gren-ze ich mit dem zusaumltzlichen Genitiv der Substanz-Kategorielsquo diejenigen ausdie einen Sinn haben der es nach aristotelischer Lehre erlaubt mit ihnensolche Fragen des Typs Was ist (τί ἐστι) xlsquo korrekt zu beantworten in denenfuumlr xlsquo der Name einer Substanz eintritt (wobei bewusst offenbleibe ob essich bei der Substanz um eine primaumlre oder sekundaumlre Substanz im Sinne derKategorien oder um eine substantielle Form im Sinne der Metaphysik han-delt) So sind z B alltagssprachliche Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo gene-relle Terme der Substanz-Kategorie da sie einen Sinn haben der es nacharistotelischer Lehre erlaubt mit ihnen solche Fragen des Typs Was ist (τίἐστι) xlsquo korrekt zu beantworten in denen fuumlr xlsquo der Name einer Substanz(z B Sokrateslsquo) eintritt
Die Frage was ndash der Metaphysik zufolge ndash generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen wird die Leitfrage der folgenden Uumlberlegungen seinSie haumlngt eng mit der vieldiskutierten Frage zusammen ob Aristoteles in derMetaphysik den primaumlren Kandidaten auf den Titel οὐσίαlsquo den substantiel-
nen zu ein und demselben Zeitpunkt oder zu verschiedenen Zeitpunkten mehr als einenSinn haben und umgekehrt kann auch das Kriterium fuumlr die Individuierung von Ausdrucks-typen so formuliert werden dass aus ihm folgt dass wir es mit verschiedenen Ausdrucksty-pen zu tun haben wenn ein Vorkommnis von Typ A einen anderen Sinn hat als ein Vor-kommnis von Typ B Gleichwohl denke ich dass Aristoteles hier unter Ausdruumlcken sinnlichwahrnehmbare Zeichen also Ausdrucksvorkommnisse verstanden wissen will (so jedochdass fuumlr die Zeichen festgelegt ist dass sie weder zu ein und demselben Zeitpunkt noch zuverschiedenen Zeitpunkten mehrdeutig sind) Ich sehe bei Aristoteles die klare TendenzAusdrucksvorkommnisse als die basalen sprachlichen Entitaumlten zu betrachten um die esder semantischen Theorie primaumlr geht Siehe fuumlr den Fall wahrheitsfaumlhiger Saumltze P CrivelliAristotle on Truth Cambridge 2004 72ndash75 und hier vor allem das erste Argument (72ndash73)
6 Vgl dazu Kuumlnne (wie Anm 5) 328 ff
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 49
len Formen zuschreibt Universalien zu sein oder nicht Denn wenn Aristote-les in der Metaphysik die Auffassung vertraumlte dass das was ein generellerTerm der Substanz-Kategorie bezeichnet sowohl eine substantielle Form alsauch ein Universale ist so waumlre dies ein gewichtiger Grund dafuumlr ihm dieAuffassung zuzuschreiben dass substantielle Formen Universalien sind
Nun gehen bekanntlich die Auffassungen daruumlber ob den Formen in derMetaphysik zugeschrieben wird Universalien zu sein weit auseinander undreichen vom Eingestaumlndnis der Unfaumlhigkeit eine uumlberzeugende Antwort zufinden die auf die Metaphysik als ganze zutraumlfe bis hin zur Entwicklungelaborierter unitarischer Argumente fuumlr oder wider die Universalitaumlt der aris-totelischen Formen7 Auf das Interpretationsproblem trifft zu was SheldonCohen einmal zur Deutung der aristotelischen Materiekonzeption bemerkte
bdquoOn the issues involved here as on so many others Aristotle says somany apparently incompatible things that it is virtually impossible tofind an interpretation against which some text cannot be cited This un-happy situation is aggravated because it is often difficult and sometimesimpossible to tell whether Aristotle is presenting his own view a rivalview or merely trying out an hypothesisldquo8
Ich erhoffe mir von der folgenden Untersuchung der Frage was ndash der Meta-physik zufolge ndash generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen keineerschoumlpfende Antwort auf die Frage ob den Formen in der Metaphysik zuge-schrieben wird Universalien zu sein Gleichwohl wird die Untersuchung dererstgenannten Frage ein Nebenresultat haben das eine Antwort auf diezweitgenannte Frage darstellt Denn es wird sich zeigen dass die Annahmenderen sich Aristoteles in der Metaphysik zur Beantwortung der Frage bedientwas generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen unvereinbar sindmit der These dass substantielle Formen sofern sie von sprachlichen Ausdruuml-cken bezeichnet werden koumlnnen Universalien sind Dies schlieszligt freilich nichtaus dass Aristoteles in anderen Kontexten der Metaphysik Annahmenmacht die die genannte These implizieren z B wenn er den Formen zu-schreibt definierbar zu sein Somit wird sich aus meinen Uumlberlegungen zwareine Antwort auf die Frage ergeben ob den Formen in der Metaphysik zuge-schrieben wird Universalien zu sein ndash jedoch sicher keine erschoumlpfende Ant-wort
Der erste Teil meiner Uumlberlegungen wird der Frage gewidmet sein obAristoteles in der Metaphysik (einigen) generellen Termen der Substanz-Kate-
7 Vgl dazu den Forschungsuumlberblick bei D Fonfara Die Ousia-Lehren des Aristoteles Unter-suchungen zur Kategorienschrift und zur Metaphysik BerlinndashNew York 2003 149ndash168
8 S Cohen Aristotlersquos Doctrine of the Material Substrate Philosophical Review 93 1984171ndash194 hier 173
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gorie zuschreibt substantielle Formen zu bezeichnen Fuumlr die Beantwortungder Frage werde ich von einem explizit semantischen Argument ausgehendas Aristoteles am Ende des Aporienbuchs (Met Β) anfuumlhrt Aristoteles fuumlhrthier das Argument ohne behauptende Kraft an aber einige Thesen des Argu-ments kehren an spaumlteren Stellen der Metaphysik (insbesondere in Ζ) so wie-der dass sie Aristoteles dort mit behauptender Kraft zu aumluszligern scheint (ichsage bdquoscheintldquo denn auch seine Untersuchung an den spaumlteren Stellen traumlgtaporematische Zuumlge die es dem Interpreten schwer machen zu entscheidenwas Aristoteles an ihnen mit behauptender Kraft aumluszligert und was nicht) DieAnnahme dass Aristoteles das Argument als ganzes akzeptiert9 scheint mirplausibel sie ist jedoch nicht vorausgesetzt fuumlr meine Antwort auf die Frageob Aristoteles in der Metaphysik (einigen) generellen Termen der Substanz-Kategorie zuschreibt substantielle Formen zu bezeichnen fuumlr die Antwortsetze ich nur voraus dass Aristoteles eine der Zwischenkonklusionen desArguments akzeptiert (sowie die Praumlmissen mit denen sie in dem Argumentbegruumlndet wird) naumlmlich die These dass jeder Ausdruck der ein Universalebezeichnet kein τόδε τι sondern τοιόνδε bezeichnet Und dafuumlr dass er dieseThese (sowie die Praumlmissen mit denen sie begruumlndet wird) akzeptiert gibtes wie sich zeigen wird gute Gruumlnde
Im zweiten kuumlrzeren Teil werde ich zu zeigen versuchen dass Aristotelesmit der Behauptung dass jeder Ausdruck der ein Universale bezeichnet keinτόδε τι sondern τοιόνδε bezeichnet den Universalien etwas zuschreibt dasdem aumlhnlich ist was Frege Begriffen zuschreibt wenn er ihnen eine praumldikati-ve Natur zuschreibt10 Und ich werde zu zeigen versuchen dass sich Aristote-
9 Vgl S Menn Aporiai 13ndash14 in M CrubellierA Laks (Hrsg) Aristotle MetaphysicsBeta Symposium Aristotelicum Oxford 2009 211ndash265 hier 234 bdquoAristotle simply acceptsthe argument of B 14 1003a7ndash12ldquo Vgl auch ebd 222
10 Der Vergleich zwischen aristotelischen Universalien und Fregeschen Begriffen ist nicht neuEr wird etwa von H Weidemann ndash in seinem Kommentar zur Einteilung der Dinge (πράγμα-τα) in Universalien und Einzeldinge in De int 717 a 38 ndash b 1 ndash gezogen Weidemann zufolgebdquodeckt sich seine [sc Aristotelesrsquo] Unterscheidung zwischen allgemeinen und einzelnenπράγματα im wesentlichen mit der Unterscheidung die Gottlob Frege unter Berufung aufdie von ihm so genannte sbquopraumldikative Natur des Begriffslsquo [] zwischen einem Begriff alsder sbquoBedeutung eines grammatischen Praumldikatslsquo [] und einem Gegenstand als der Bedeu-tung eines (im Gegensatz zu einem Begriffswort nicht praumldikativ verwendbaren) Eigenna-mens machtldquo H Weidemann Aristoteles Peri Hermeneias (= Aristoteles Werke in deut-scher Uumlbersetzung Bd 1 Teil II) Berlin 1994 209 f Die Verwandtschaft zwischen Frege-schen Begriffen und aristotelischen Universalien betont auch J Kung Aristotle on ThisesSuches and the Third Man Argument Phronesis 26 1981 207ndash247 hier 209 Zwar binich nicht der Auffassung dass sich beide Unterscheidungen bdquoim wesentlichenldquo miteinanderdecken ndash die fuumlr Freges Begriffskonzeption sicher wesentliche Definition des Begriffs alsbdquoFunktion deren Wert immer ein Wahrheitswert istldquo G Frege Funktion und Begriff inDers Kleine Schriften hrsg v I Angelelli HildesheimndashZuumlrichndashNew York 21990 125ndash142 hier 133 hat in der aristotelischen Universalienkonzeption offenkundig kein Entspre-
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les damit ein Problem einhandelt das dem aumlhnlich ist das als Freges Para-doxlsquo in die Annalen der Philosophiegeschichte eingegangen ist
I Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategoriein der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formen zu
bezeichnen
1 Das Argument am Ende von Buch Beta
Das Argument von dem ich ausgehen moumlchte ist Teil der letzten Aporie vonBuch Beta (Met Β 61003 a 5ndash17)
bdquoDiese [vorher genannten] Aporien muszlig man nun mit Blick auf die Prin-zipien [des Seienden] eroumlrtern und auch [die Aporie] ob die PrinzipienUniversalien sind oder so wie wir die Einzeldinge auffassen [I] Wenn sienaumlmlich Universalien sind werden sie keine οὐσίαι sein Denn nichts derDinge die gemeinsam sind bezeichnet ein τόδε τι11 sondern τοιόνδε dieοὐσία [bezeichnet] aber τόδε τι Wenn es moumlglich ist das gemeinsam Aus-gesagte als τόδε τι und Eines anzusetzen12 wird Sokrates viele Lebewe-
chungsstuumlck ndash doch sehe ich wie Weidemann auffaumlllige Parallelen sowohl zwischen Frege-schen Gegenstaumlnden und aristotelischen Einzeldingen als auch zwischen Fregeschen Begrif-fen und aristotelischen Universalien
11 Ich lasse bdquoτόδε τιldquo hier und im folgenden unuumlbersetzt da ich mir unsicher bin wie diefolgenden Fragen zu beantworten sind Ist hier bdquoτιldquo wie der unbestimmte Artikel bdquoeinldquo zuverstehen und bdquoτόδε τιldquo im Sinne von bdquoein Diesesldquo So etwa W D Ross Aristotlersquos Meta-physics A Revised Text with Introduction and Commentary Vol I Oxford 1924 248 oderMenn (wie Anm 9) 223 Oder ist bdquoτιldquo im Sinne von bdquo(von) einer Artldquo und bdquoτόδε τιldquo imSinne von bdquoein Dieses einer Artldquo zu verstehen So etwa ndash allerdings ohne definitive Festle-gung ndash M FredeG Patzig Aristoteles Metaphysik Zlsquo Text Uumlbersetzung und KommentarZweiter Band Kommentar Muumlnchen 1988 15 Wie Ross sind auch Frede und Patzig inihren Uumlberlegungen dazu von den Bemerkungen bei J A Smith τόδε τι in Aristotle Classi-cal Review 35 1921 19 abhaumlngig
12 Uumlberliefert ist hier bdquoεἰ δrsquo ἔσται τόδε τι καὶ ἐκθέσθαι τὸ κοινῇ κατηγορούμενονldquo wozu Ross(wie Anm 11) 250 bemerkt bdquoThe manuscript reading would require the rendering lsquoif thecommon predicate is to be a this and it is to be possible to set it out apart from theparticularsrsquo (for the meaning of ἐκθέσθαι cf A 992b 10 n) ndash an intolerable zeugma I hadthought of ἐκθέσθαι ) ἐξέσται and Jaeger proposes ) δεῖ ἐκθέσθαι (to which 999a 30 offersas he remarks a good parallel) but Richardsrsquos ἓν θέσθαι (cf l 12 τόδε τι καὶ ἕν) is betterThe corruption goes back beyond Alexander (cf 236 8)ldquo Wie Ross denke ich dass dieuumlberlieferte Formulierung eine kaum ertraumlgliche sprachliche Haumlrte hat und bin geneigt dieEmendation bdquoἓν θέσθαιldquo zu akzeptieren Andererseits bemerkt Menn (wie Anm 9) 227zugunsten von bdquoἐκθέσθαιldquo mit Recht bdquo[] the reference to ἔκθεσις is entirely agrave proposldquoMenn rechtfertigt die These mit einer erhellenden Explikation des relevanten Sinns vonbdquoἔκθεσιςldquo 228ndash231 Freilich bemerkt Menn (wie Anm 9) 233 auch mit Recht dass fuumlr das
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sen13 sein er selbst und der Mensch und das Lebewesen da ja jeder [derentsprechenden Ausdruumlcke] ein τόδε τι und eines bezeichnet Wenn nundie Prinzipien Universalien sind folgt dieses [II] Wenn sie nicht Univer-salien sind sondern wie die Einzeldinge werden sie nicht wiszligbar seindenn das Wissen von allem ist universal Somit wird es andere Prinzipiengeben vor den Prinzipien naumlmlich die universal ausgesagten wenn esvon ihnen Wissen geben sollldquo14
Die Aporie hat die Gestalt eines Dilemmas mit den folgenden beiden Houmlr-nern Entweder [I] sind die Prinzipien [des Seienden] Universalien oder [II]eine spezielle Sorte von Einzeldingen Tertium non datur Aristoteles ziehtzunaumlchst unerfreuliche Konsequenzen aus der Annahme dass die PrinzipienUniversalien sind sodann aus der gegenteiligen Annahme dass sie eine spezi-elle Sorte von Einzeldingen sind
Es ist unkontrovers dass die von Aristoteles hier bloszlig skizzierte Aporieeines der Hauptprobleme fuumlr seine Untersuchungen in den folgenden Buumlchernder Metaphysik darstellt insbesondere fuumlr die Untersuchungen in Metaphy-sik Z15 manche Interpreten sind sogar der Uumlberzeugung dass es Aristotelesnicht gelungen sei die Aporie zu loumlsen So fuumlhlte sich bereits Eduard Zeller
Verstaumlndnis des Arguments nicht viel davon abhaumlngt ob dem uumlberlieferten bdquoἐκθέσθαιldquo oderder Konjektur bdquoἓν θέσθαιldquo der Vorzug gegeben wird Erwaumlhnt sei auch noch dass Christbdquoκατrsquo ἔκθεσινldquo anstelle von bdquoκαὶ ἐκθέσθαιldquo vorschlaumlgt (vgl W Christ Aristotelis Metaphy-sica Nova impressio correctior Leipzig 1906) und hiermit das syntaktische Problem loumlstzugleich aber auch die Rede von bdquoἔκθεσιςldquo bewahrt gegen den Vorschlag spricht jedochdass die Korruption von bdquoκατrsquo ἔκθεσινldquo in bdquoκαὶ ἐκθέσθαιldquo schwer zu erklaumlren waumlre
13 Christ (wie Anm 12) und W Jaeger Aristotelis Metaphysica Oxford 1957 halten dasentsprechende bdquoζῷαldquo fuumlr zu tilgen aber die Tilgung ist nicht notwendig Aristoteles setztfuumlr den Zusatz von bdquoζῷαldquo die Guumlltigkeit der generellen Aussagen Der Mensch ist einMenschlsquo und Das Lebewesen ist ein Lebewesenlsquo voraus die ja in der Tat trivialerweisewahr sind handelte es sich nun bei den Subjekten der beiden Praumldikationen jeweils um einτόδε τι so waumlre im ersten Fall von einem bestimmten Menschen und im zweiten Fall voneinem bestimmten Lebewesen die Rede in beiden Faumlllen also von bestimmten Lebewesen
14 ταύτας τε οὖν τὰς ἀπορίας ἀναγκαῖον ἀπορῆσαι περὶ τῶν ἀρχῶν καὶ πότερον καθόλου εἰσὶν ἢὡς λέγομεν τὰ καθrsquo ἕκαστα εἰ μὲν γὰρ καθόλου οὐκ ἔσονται οὐσίαι (οὐθὲν γὰρ τῶν κοινῶν τόδετι σημαίνει ἀλλὰ τοιόνδε ἡ δrsquo οὐσία τόδε τι εἰ δrsquo ἔσται τόδε τι καὶ ἓν θέσθαι [ἓν θέσθαιRichards Ross ἐκθέσθαι Hss Alc siehe oben Anm 12] τὸ κοινῇ κατηγορούμενον πολλὰἔσται ζῷα [ζῷα Hss getilgt von Christ und Jaeger siehe oben Anm 13] ὁ Σωκράτης αὐτόςτε καὶ ὁ ἄνθρωπος καὶ τὸ ζῷον εἴπερ σημαίνει ἕκαστον τόδε τι καὶ ἕν) ndash εἰ μὲν οὖν καθόλου αἱἀρχαί ταῦτα συμβαίνει εἰ δὲ μὴ καθόλου ἀλλrsquo ὡς τὰ καθrsquo ἕκαστα οὐκ ἔσονται ἐπιστηταί(καθόλου γὰρ ἡ ἐπιστήμη πάντων) ὥστrsquo ἔσονται ἀρχαὶ ἕτεραι πρότεραι τῶν ἀρχῶν αἱ καθόλουκατηγορούμεναι ἄνπερ μέλλῃ ἔσεσθαι αὐτῶν ἐπιστήμη
15 Vgl A Code The Aporematic Approach to Primary Being in Metaphysics Z CanadianJournal of Philosophy Supplementary Volume 10 1984 1ndash20 hier 4
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 53
gezwungen bdquoan diesem Punkte [] einen houmlchst eingreifenden Widerspruchim System des Philosophen anzuerkennenldquo16
Auf das zweite Horn des Dilemmas werde ich im folgenden nicht naumlhereingehen es sei lediglich bemerkt dass Aristoteles das Argument in Metaphy-sik Μ 101087 a 10ndash25 entkraumlften zu wollen scheint17 ob dieser Versuchaber wirklich den Kern des Problems trifft ist umstritten18 Mein Interessegilt dem ersten Horn und hier insbesondere der These die von Aristoteles ananderen Stellen19 mit behauptender Kraft geaumluszligert wird bdquoDenn nichts derDinge die gemeinsam sind bezeichnet ein τόδε τι sondern τοιόνδεldquo (οὐθὲνγὰρ τῶν κοινῶν τόδε τι σημαίνει ἀλλὰ τοιόνδε ἡ δrsquo οὐσία τόδε τι)20
Das Argument ist enthymematisch mehrere seiner Praumlmissen bleiben un-ausgesprochen ndash ebenso wie seine Schlusskonklusion Ich werde in meinerRekonstruktion das Pferd von hinten aufzaumlumen also mich von der Schluss-konklusion nach vorne zu den Ausgangspraumlmissen vorarbeiten
Die (unausgesprochene) Schlusskonklusion lautet dass die Prinzipiennicht Universalien sind unmittelbar begruumlndet wird sie mit der Feststellungdass die Prinzipien wenn sie Universalien sind nicht οὐσίαι sind nun sindsie aber οὐσίαι ndash diese Praumlmisse wird nicht explizit ausgesprochen ndash also sindsie nicht Universalien
(K3) Wenn die Prinzipien [des Seienden] Universalien sind sind sie nichtοὐσίαι [aus (K2) siehe unten]
(P5) Die Prinzipien [des Seienden] sind οὐσίαι [implizit](K4) Die Prinzipien [des Seienden] sind nicht Universalien [implizit aus (K3)
und (P5)]
(P5) wird von Aristoteles natuumlrlich akzeptiert hauptsaumlchlich aufgrund derUumlberlegung dass nur οὐσίαι die Arten von Prioritaumlt besitzen die den Prinzipi-en des Seienden zukommen21 Der unausgesprochene Grund fuumlr (K3) liegt indem folgenden Prinzip
(K2) Alles was ein Universale ist ist nicht οὐσία [implizit aus (K1) und (P4)siehe unten]
16 E Zeller Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung Zweiter Theilzweite Abtheilung Aristoteles und die alten Peripatetiker Leipzig 31879 312
17 Vgl Ross (wie Anm 11) 25018 Vgl dazu z B R Heinaman Knowledge of Substance in Aristotle Journal of Hellenic
Studies 101 1981 63ndash77 Code (wie Anm 15) 6ndash7 Menn (wie Anm 9) 245ndash24819 Vgl Soph el 22178 b 38 f Met Ζ 81033 b 21 f Ζ 131039 a 1 f 1039 a 15 f in
eingeschraumlnkter Version auch Cat 53 b 13ndash1620 Met Β 61003 a 921 Vgl z B das Argument fuumlr die Prioritaumlt der οὐσία in Met Ζ 11028 a 29 ndash b 2
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Auch dieses Prinzip aumluszligert Aristoteles an anderen Stellen mit wie es scheintbehauptender Kraft22 Das Prinzip wird an der vorliegenden Stelle wiederumdamit begruumlndet dass keines der Dinge die gemeinsam (κοινά) sind ein τόδετι bezeichnet (sondern τοιόνδε) die οὐσία aber ein τόδε τι [bezeichnet]
Hier stellt sich zunaumlchst die Frage was unter den bdquoκοινάldquo zu verstehenist Sind darunter die Universalien selbst zu verstehen Oder vielmehr Aus-druumlcke die ndash in welcher Weise auch immer ndash fuumlr Universalien stehen Denκοινά wird zugeschrieben dass sie etwas bezeichnen (bdquoσημαίνειldquo) Diesspricht auf den ersten Blick dafuumlr sie als Ausdruumlcke zu verstehen Denn stric-to sensu sind es Ausdruumlcke die das-und-das bezeichnen Andererseits ver-wendet Aristoteles bdquoσημαίνεινldquo (bdquobezeichnenldquo) haumlufig so dass er nicht vonAusdruumlcken sondern von den Dingen denen er zuschreibt von Ausdruumlckenbezeichnet zu werden sagt sie bezeichneten das-und-das23 Diese Stellen wer-fen die Frage auf ob Aristoteles wenn er von den Dingen spricht auf die erdie Ausdruumlcke bezieht eigentlich die Ausdruumlcke meint oder aber tatsaumlchlichdie Dinge ndash und nicht die Ausdruumlcke ndash meint aber etwas bezeichnenlsquo imSinne von etwas seinlsquo verwendet Ich denke dass die erste Annahme vorzugs-wuumlrdig ist denn mit ihr laumlsst sich besser erklaumlren warum er uumlberhaupt vonbezeichnenlsquo und nicht einfach von seinlsquo spricht Daraus ergibt sich fuumlr unse-re Stelle dass er mit den bdquoκοινάldquo ndash zumindest eigentlich ndash Ausdruumlcke meintund diesen zuschreibt τοιόνδε und nicht ein τόδε τι zu bezeichnen WelcheAusdruumlcke Nun offensichtlich Ausdruumlcke die Universalien bezeichnen (Icherinnere daran dass ich unter Ausdruumlckenlsquo sinnlich wahrnehmbare Zeichenverstehe die nicht mehrdeutig sind Der Ausschluss von Mehrdeutigkeit istauch hier wichtig da ja ein Ausdruck willkuumlrlich mal in einem Sinn verwen-det werden kann in dem er kein Universale bezeichnet dann wieder in einemSinn in dem er ein Universale bezeichnet)
Der zweite Teil des Satzes bdquoἡ δrsquo οὐσία τόδε τιldquo ist in dieser Hinsichtaumlhnlich zu verstehen wenn man ndash wozu ich neige ndash annimmt dass das Satz-fragment voll ausgesprochen zu bdquoἡ δrsquo οὐσία τόδε τι σημαίνειldquo zu erweiternist24 (auch wenn die alternative Erweiterung zu bdquoἡ δrsquo οὐσία τόδε τί ἐστιldquonicht ausgeschlossen ist25) gemeint ist dass jeder Ausdruck der eine οὐσίαbezeichnet ein τόδε τι bezeichnet
Die Begruumlndung des Prinzips dass alles was ein Universale ist nichtοὐσία ist laumlsst sich demnach folgendermaszligen rekonstruieren
22 Vgl Met Ζ 131038 b 8 f b 35 Ζ 161040 b 23 1041 a 4 Ι 21053 b 16 f23 Vgl z B Cat 53 b 10 πᾶσα δὲ οὐσία δοκεῖ τόδε τι σημαίνειν24 Vgl als Parallele die in der voraufgehenden Anmerkung zitierte Stelle25 Die Erweiterung mit bdquoἐστιldquo ist vorausgesetzt z B fuumlr die Uumlbersetzung bei Menn (wie
Anm 9) 221 bdquowhereas a substance is a thisldquo
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(K1) Jeder Ausdruck der ein Universale bezeichnet bezeichnet nicht ein τόδετι26 [aus (P1) (P2) und (P3) siehe unten]
(P4) Jeder Ausdruck der eine οὐσία bezeichnet bezeichnet ein τόδε τι(K2) Alles was ein Universale ist ist nicht οὐσία [implizit aus (K1) und
(P4)]
Der Schluss von (K1) und (P4) auf (K2) ist nicht guumlltig Denn die Konjunkti-on von (K1) und (P4) ist damit kompatibel dass es Allgemeines gibt dasuumlberhaupt nicht bezeichnet wird (oder bezeichnet werden kann) und ein τόδετι ist Das Argument waumlre guumlltig wenn es ndash unter dem oben erwogenen Ver-staumlndnis von etwas bezeichnenlsquo als etwas seinlsquo ndash so reformuliert werdenwuumlrde
(K1) Alles was ein Universale ist ist nicht ein τόδε τι27 [aus (P1) und (P2)siehe unten]
(P4) Jede οὐσία ist ein τόδε τι(K2) Alles was ein Universale ist ist nicht οὐσία [implizit aus (K1) und
(P4)]
Aus den oben genannten Gruumlnden denke ich aber dass diese Rekonstruktiondem von Aristoteles gewaumlhlten Wortlaut weniger gerecht wird als die vorherangefuumlhrte alternative Rekonstruktion
In der Einleitung habe ich das Argument als ein semantisches bezeichnetDies ist es allemal unabhaumlngig davon welche der beiden Rekonstruktionenman waumlhlt Denn auch wenn in der zweiten Version nicht mehr von bezeich-nenlsquo die Rede ist verweisen die von Aristoteles gewaumlhlten Pronomina bdquoτόδετιldquo und bdquoτοιόνδεldquo jeweils auf bestimmte Typen von Ausdruumlcken fuumlr die diePronomina korrekterweise Pronomina sein koumlnnen d h Aristoteles unter-scheidet zwischen zwei Sorten von Entitaumlten derart dass er zwischen zweiSorten von Ausdruumlcken unterscheidet die jeweils diese Entitaumlten bezeichnenAuf die problematischen Konsequenzen die diese Unterscheidung hat werdeich unten im zweiten Teil ausfuumlhrlicher eingehen
(K1) stellt eine modifizierte ndash naumlmlich allgemeiner gefasste ndash Version deraus der Kategorienschrift bekannten These dar dass jeder Ausdruck der eineοὐσία im sekundaumlren Sinne also ein Universale der Substanz-Kategorie be-zeichnet nicht τόδε τι sondern ποιόν τι bezeichnet Aristoteles bemerkt ander betreffenden Kategorien-Stelle (die bereits Alexander in seinem Kommen-tar zu unserer Metaphysik-Stelle heranzieht28)
26 Ich lasse den Zusatz bdquosondern τοιόνδεldquo weg weil er fuumlr das Argument uumlberfluumlssig ist werdeauf ihn aber unten im zweiten Teil zuruumlckkommen
27 Siehe vorhergehende Anmerkung28 Vgl Alex Aphr In Met 2366 f
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bdquoJede Substanz [d h jeder Ausdruck der eine Substanz bezeichnet B S]scheint ein τόδε τι zu bezeichnen Im Fall der ersten Substanzen ist esunumstritten und wahr dass sie ein τόδε τι bezeichnet denn das Bezeich-nete ist unteilbar und eines der Zahl nach Im Fall der zweiten Substan-zen scheint sie auf aumlhnliche Weise bedingt durch die Form des Aus-drucks ein τόδε τι zu bezeichnen wenn von sbquoMenschlsquo29 oder Lebewesenlsquodie Rede ist Dies ist aber nicht wahr sondern sie bezeichnet eher einποιόν τι Denn das Zugrundeliegende ist nicht eines [sc der Zahl nachB S] wie die erste Substanz sondern der Mensch und das Lebewesenwerden von vielen Dingen ausgesagt Andererseits bezeichnet sie auchnicht einfachhin ein ποιόν τι wie etwa das Weiszligelsquo Denn das Weiszligelsquobezeichnet nichts anderes als das ποιόν die Art und die Gattung bestim-men das ποιόν im Bereich der Substanz denn sie bezeichnen jeweils eineso-und-so-beschaffene Substanzldquo30
Aristoteles gibt hier zunaumlchst eine Begruumlndung der These dass jeder Aus-druck der eine Substanz im primaumlren Sinne also ein Particulare der Sub-stanz-Kategorie bezeichnet ein τόδε τι bezeichnet Das von diesen Ausdruuml-cken Bezeichnete ist unteilbar (ἄτομον) und eines der Zahl nach (ἓν ἀριθμῷ)Er nennt damit zwei Bedingungen dafuumlr ein τόδε τι zu sein naumlmlich unteilbarund eines der Zahl nach zu sein Dass es sich bei der Bedingung eines derZahl nach zu sein nicht nur um eine hinreichende sondern auch um einenotwendige Bedingung dafuumlr handelt ein τόδε τι zu sein geht aus der folgen-den Begruumlndung dafuumlr hervor dass jeder Ausdruck der eine οὐσία im sekun-daumlren Sinne also ein Universale der Substanz-Kategorie bezeichnet keinτόδε τι bezeichnet die Begruumlndung lautet bdquoDenn das Zugrundeliegende istnicht eines [sc der Zahl nach] wie die erste Substanz sondern der Menschwird von vielen ausgesagt und das Lebewesenldquo31 Da das von Ausdruumlckendes Typs ein Menschlsquo oder des Typs ein Lebewesenlsquo jeweils Bezeichnete die
29 Strenggenommen muumlsste die Uumlbersetzung lauten bdquowenn von ἄνθρωποςlsquo oder ζῷονlsquo dieRede istldquo Ich fuumlhre aber hier und im Folgenden einfachheitshalber die den von Aristotelesangefuumlhrten griechischen Ausdruumlcken jeweils entsprechenden deutschen Ausdruumlcke an
30 Cat 53 b 10ndash21 πᾶσα δὲ οὐσία δοκεῖ τόδε τι σημαίνειν ἐπὶ μὲν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶνἀναμφισβήτητον καὶ ἀληθές ἐστιν ὅτι τόδε τι σημαίνει ἄτομον γὰρ καὶ ἓν ἀριθμῷ τὸ δηλούμενόνἐστιν ἐπὶ δὲ τῶν δευτέρων οὐσιῶν φαίνεται μὲν ὁμοίως τῷ σχήματι τῆς προσηγορίας τόδε τισημαίνειν ὅταν εἴπῃ ἄνθρωπον ἢ ζῷον οὐ μὴν ἀληθές γε ἀλλὰ μᾶλλον ποιόν τι σημαίνει ndash οὐγὰρ ἕν ἐστι τὸ ὑποκείμενον ὥσπερ ἡ πρώτη οὐσία ἀλλὰ κατὰ πολλῶν ὁ ἄνθρωπος λέγεται καὶτὸ ζῷον ndash οὐχ ἁπλῶς δὲ ποιόν τι σημαίνει ὥσπερ τὸ λευκόν οὐδὲν γὰρ ἄλλο σημαίνει τὸ λευκὸνἀλλrsquo ἢ ποιόν τὸ δὲ εἶδος καὶ τὸ γένος περὶ οὐσίαν τὸ ποιὸν ἀφορίζει ndash ποιὰν γάρ τινα οὐσίανσημαίνει
31 Cat 53 b 16ndash18 οὐ γὰρ ἕν ἐστι τὸ ὑποκείμενον ὥσπερ ἡ πρώτη οὐσία ἀλλὰ κατὰ πολλῶν ὁἄνθρωπος λέγεται καὶ τὸ ζῷον
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 57
Bedingung verfehlt eines der Zahl nach zu sein ist es kein τόδε τι Aristotelessetzt also an der Kategorien-Stelle das Prinzip voraus dass etwas genau dannein τόδε τι ist wenn es eines der Zahl nach ist
An unserer Stelle in der Metaphysik liefert er ebenfalls eine Begruumlndungfuumlr die These dass jeder Ausdruck der etwas Allgemeines bezeichnet keinτόδε τι bezeichnet (also fuumlr (K1)) Prima facie zeigt Aristoteles mit seinerBegruumlndung nur dass einige Ausdruumlcke die Universalien bezeichnen keinτόδε τι bezeichnen Er zeigt naumlmlich nur dass Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo und ein Lebewesenlsquo in Saumltzen des Typs Sokrates ist ein Menschund er ist ein Lebewesenlsquo kein τόδε τι (sondern τοιόνδε) bezeichnen (wobeistillschweigend vorausgesetzt ist dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo undein Lebewesenlsquo in solchen Saumltzen Universalien bezeichnen) Aber fuumlr die Be-gruumlndung von (K1) anhand dieses Beispiels sind unausgesprochen allgemeineAnnahmen vorausgesetzt aus denen sich (K1) ableiten laumlsst
Ich betrachte die Argumentation zunaumlchst anhand des Beispiels das Aris-toteles gibt Die Argumentation laumlsst sich folgendermaszligen verstehen Wenndas mit Ausdruumlcken des Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des Typs Sokrates istein Mensch und ein Lebewesenlsquo gemeinsam Ausgesagte (worunter er hiernicht den das Universale bezeichnenden Ausdruck sondern das vom Aus-druck bezeichnete Universale versteht) ein τόδε τι und [explikatives καὶ] einἕν (der Zahl nach) waumlre und das mit Ausdruumlcken des Typs ein LebewesenlsquoAusgesagte ebenso so waumlre Sokrates mehrere Lebewesen (der Zahl nach32)naumlmlich das von Sokrateslsquo bezeichnete τόδε τι das von ein Menschlsquo bezeich-nete τόδε τι und das von ein Lebewesenlsquo bezeichnete τόδε τι Nun ist aberSokrates nicht all dies also ist die Voraussetzung falsch
Fuumlr diese Begruumlndung setzt Aristoteles voraus dass in Saumltzen des TypsSokrates ist ein Mensch und ein Lebewesenlsquo Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo und ein Lebewesenlsquo je verschiedene Dinge bezeichnen33 waumlre nunjedes dieser Dinge ein τόδε τι so wuumlrde ndash dem Argument zufolge ndash mit Saumltzenjenes Typs die Identitaumlt von Sokrates mit zwei von ihm verschiedenen undvoneinander verschiedenen τόδε τι behauptet dem τόδε τι das von einMenschlsquo bezeichnet wird und dem τόδε τι das von ein Lebewesenlsquo bezeich-net wird Warum die Identitaumlt mit den beiden τόδε τι Weil ndash dies setzt Aristo-teles stillschweigend voraus ndash ein τόδε τι nur durch singulaumlre Terme bezeich-net werden kann und singulaumlre Terme wiederum nur so mit einem voraufge-henden istlsquo verbunden sein koumlnnen dass das istlsquo im Sinne von ist identischmitlsquo zu verstehen ist
32 Vgl zu diesem Zusatz Alex Aphr In Met 236933 Vgl Menn (wie Anm 9) 232
58 Benedikt Strobel
Das aristotelische Argument hat eine aufschlussreiche Parallele in FregesAufsatz bdquoUumlber Begriff und Gegenstandldquo (1892) in dem Frege die These dassein grammatisches Praumldikat keinen Gegenstand (bei Frege das Entspre-chungsstuumlck zum τόδε τι an unserer Aristoteles-Stelle) bedeuten oder andersformuliert die Bedeutung eines Eigennamens (unter der Frege einen Gegen-stand versteht) bdquonie als Begriff [d h als Bedeutung eines grammatischen Prauml-dikats] sondern nur als Gegenstand auftreten [kann]ldquo34 damit begruumlndetdass bdquoein Gegenstandsname [] ein Eigenname [] durchaus unfaumlhig [ist]als grammatisches Praumldikat gebraucht zu werdenldquo35 Mit dieser Begruumlndungsetzt Frege fuumlr den Gegenstand ndash aumlhnlich wie Aristoteles fuumlr das τόδε τι ndashstillschweigend voraus dass ein Gegenstand nur durch Eigennamen (in heuti-ger Terminologie singulaumlre Terme) bezeichnet werden koumlnne
Die Unfaumlhigkeit des Eigennamens als grammatisches Praumldikat gebrauchtzu werden erlaumlutert Frege anhand des folgenden Einwands bdquoKann mannicht ebensogut von etwas aussagen es sei Alexander der Groszlige oder es seidie Zahl Vier oder es sei der Planet Venus wie man von etwas aussagenkann es sei gruumln oder es sei ein Saumlugetierldquo36 Freges Antwort darauf lautetbdquoWenn man so denkt unterscheidet man nicht die Gebrauchsweisen desWortes istlsquo In den letzten beiden Beispielen dient es als Kopula als bloszligesFormwort der Aussage [] In den ersten drei Beispielen wird dagegen dasistlsquo wie in der Arithmetik das Gleichheitszeichen gebraucht um eine Glei-chung [Frege meint damit Identitaumlt wie er in der betreffenden Fuszlignote erlaumlu-tert] auszusprechenldquo37 Genau diese Unterscheidung zwischen dem istlsquo alsbdquobloszliges Formwort der Aussageldquo und dem istlsquo der Identitaumlt macht sich Aris-toteles fuumlr seine Argumentation implizit zunutze
Dass Aristoteles annimmt dass ein τόδε τι nur durch singulaumlre Termebezeichnet werden kann haumlngt eng damit zusammen dass er ndash wie die obenzitierte Kategorien-Stelle zeigt ndash annimmt dass etwas nur dann ein τόδε τιist wenn es eines der Zahl nach ist Eines der Zahl nach zu sein bedeutetfuumlr Aristoteles nicht von mehreren Dingen (zutreffend) ausgesagt werden zukoumlnnen38 d h nicht von Ausdruumlcken bezeichnet werden zu koumlnnen die aufmehrere Dinge zutreffen koumlnnen (ohne diese zu bezeichnen) Was eines derZahl ist kann also per definitionem nur durch einen Ausdruck bezeichnetwerden der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann (das er zugleich be-
34 Vgl G Frege Uumlber Begriff und Gegenstand in Ders Kleine Schriften hrsg v I AngelelliHildesheimndashZuumlrichndashNew York 21990 167ndash178 hier 169
35 Vgl ebd 16836 Vgl ebd37 Vgl ebd38 Dies ist Aristotelesrsquo Definition von bdquoκαθrsquo ἕκαστονldquo in De interpretatione 717 a 40 die
genauso als Definition von bdquoἓν ἀριθμῷldquo gesehen werden kann
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 59
zeichnet) (Vorausgesetzt ist dafuumlr natuumlrlich dass der Ausdruck nicht mehr-deutig ist ndash siehe oben die Einleitung) Aristoteles unterstellt nun fuumlr seinIdentitaumlts-Argument dass die Bedingung auf nicht mehr als ein Ding zutref-fen zu koumlnnen nur von Ausdruumlcken erfuumlllt wird die wir ndash in der heute uumlbli-chen Terminologie ndash als singulaumlre Termelsquo (bei Frege Eigennamenlsquo) bezeich-nen wuumlrden
Diese Unterstellung impliziert ein Verstaumlndnis von singulaumlren Termendas in doppelter Hinsicht kritikwuumlrdig ist Erstens ist es irrefuumlhrend zu sa-gen dass ein singulaumlrer Term des Typs Sokrateslsquo auf Sokrates zutrifft selbstin Saumltzen des Typs Diese Person ist Sokrateslsquo ist der Ausdruck der hierauf das worauf mit einem singulaumlren Term des Typs diese Personlsquo Bezuggenommen wird zutrifft nicht eigentlich Sokrateslsquo sondern ist (ie ist iden-tisch mit) Sokrateslsquo39 Zweitens gibt es Ausdruumlcke die auf nicht mehr als einDing zutreffen koumlnnen und keine singulaumlren Terme sind der Ausdruck istidentisch mit Sokrateslsquo ist ein Beispiel
Auch wenn sich Aristoteles uumlber die Natur singulaumlrer Terme nur unzurei-chend klar geworden ist und die Bestimmung singulaumlrer Terme als Ausdruuml-cke die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen koumlnnen problematisch istbleibt festzuhalten dass Aristoteles in der Begruumlndung von (K1) die Annah-me voraussetzt dass ein τόδε τι nur durch singulaumlre Terme bezeichnet werdenkann40 (aumlhnlich wie Frege voraussetzt dass ein Gegenstand nur durch singu-laumlre Terme bezeichnet werden kann) Auf diese Annahme deutet ja uumlbrigensschon die Rede von τόδε τι hin denn Vorkommnisse des Pronomens τόδεfungieren uumlblicherweise als singulaumlre Terme41
Daneben setzt er aber offenkundig auch voraus dass ein Universale nicht(oder zumindest nicht nur42) durch singulaumlre Terme bezeichnet werden kann
39 Vgl Kuumlnne (wie Anm 5) 25 Kuumlnne kritisiert mit diesem Argument nicht direkt Aristotelessondern Autoren die in der aristotelischen Tradition stehen es trifft aber Aristoteles ebenso
40 Menn (wie Anm 9) 229ndash232 weist in seiner Interpretation des Arguments zwar darauf hindass Aristoteles fuumlr seine reductio ad absurdum mit der Ersetzung von Ausdruumlcken diekeine singulaumlren Terme sind (ein Menschlsquo und ein Lebewesenlsquo) durch Ausdruumlcke diesingulaumlre Terme sind und fuumlr die Menn als Platzhalter die Buchstaben Blsquo und Clsquo verwendetoperiert (wobei Menn [wie Anm 9] 229 nicht von singular termslsquo sondern von [logischen]proper nameslsquo spricht) expliziert aber nicht die Praumlmisse die hinter dieser Operation stehtnaumlmlich die Praumlmisse dass jedes τόδε τι nur von singulaumlren Termen bezeichnet werden kann
41 Ich fuumlge das einschraumlnkende bdquouumlblicherweiseldquo hinzu da ich nicht ausschlieszligen moumlchte dasses eine Verwendungsweise von bdquoτόδεldquo gab in der Vorkommnisse des Pronomens nicht alssingulaumlre Terme fungierten Nur unter der Voraussetzung dass alle Vorkommnisse von τόδεsingulaumlre Terme sind kommt es uumlberhaupt in Betracht Aristoteles folgende Auffassungzuzuschreiben bdquoMost generally X is τόδε τι if X can in some context be referred to by apronoun such as τόδε or τοῦτο used either deictically or anaphoricallyldquo Menn (wie Anm 9)223
42 Siehe dazu unten Abschnitt II
60 Benedikt Strobel
sondern (auch) durch Ausdruumlcke die auf mehr als nur ein Ding zutreffenkoumlnnen (Eben dies dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo und des Typs einLebewesenlsquo auf mehr als nur ein Ding zutreffen koumlnnen erklaumlrt dass Saumltzedes Typs Sokrates ist ein Mensch und ein Lebewesenlsquo nicht als Identitaumltssaumltzegelesen werden koumlnnen)
Der Begruumlndung von (K1) liegen also letztlich folgende Annahmen zu-grunde
(P1) Jedes τόδε τι kann nur von singulaumlren Termen bezeichnet werden(P2) Jedes Universale kann von Ausdruumlcken bezeichnet werden die keine
singulaumlren Terme sind43
Daraus ergibt sich dass alles was ein Universale ist nicht ein τόδε τι ist (=(K1) oben) und unter der weiteren Annahme
(P3) Jeder Ausdruck der ein Universale bezeichnet bezeichnet nur dieses
ergibt sich
(K1) Jeder Ausdruck der ein Universale bezeichnet bezeichnet nicht ein τόδετι
Die Beobachtung dass Aristoteles fuumlr die Begruumlndung von (K1) die Praumlmis-sen (P1) und (P2) voraussetzt ist wie wir gleich sehen werden wichtig fuumlrdie Beantwortung der in der Einleitung aufgeworfenen Frage ob Aristotelesgenerellen Termen der Substanz-Kategorie zuschreibt substantielle Formenzu bezeichnen Dieser Frage werde ich mich nun in den folgenden beidenAbschnitten zuwenden wobei ich sie unter kontradiktorischen Hypothesenbetrachte der Hypothese dass substantielle Formen Universalien sind undder dass sie keine Universalien sind (Ich erinnere im uumlbrigen daran dass ichmit der Rede von generellen Termen der Substanz-Kategorielsquo nichts daruumlberpraumljudiziere ob solche Terme Substanzen bezeichnen oder nicht und auchnichts daruumlber ob sie Universalien bezeichnen oder nicht als generelle Termeder Substanz-Kategorielsquo bestimme ich vielmehr wie gesagt diejenigen gene-rellen Terme deren Sinn es nach aristotelischer Lehre erlaubt mit ihnen sol-che Fragen des Typs Was ist (τί ἐστι) xlsquo korrekt zu beantworten in denenfuumlr xlsquo der Name einer Substanz eintritt)
43 Es ist erwaumlgenswert dass fuumlr die Begruumlndung von (K1) nicht (P2) sondern die staumlrkerePraumlmisse (P2) bdquoJedes Universale kann nur von Ausdruumlcken bezeichnet werden die keinesingulaumlren Terme sindldquo vorausgesetzt ist Dafuumlr spricht dass sich aus (P1) und (P2) direkt(K1) folgern laumlsst aus (P1) und (P2) nicht ferner ist Aristoteles in der Tat die Akzeptanzvon (P2) zuzuschreiben (wie wir unten im zweiten Teil sehen werden) Da diese Zuschrei-bung jedoch weiterer Rechtfertigung bedarf ziehe ich es vorlaumlufig vor die Begruumlndung von(K1) unter Einschluss der schwaumlcheren Praumlmisse (P2) zu rekonstruieren
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 61
2 Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategoriein der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formen
als Universalien verstanden zu bezeichnen
Um die Antwort auf die Frage ob Aristoteles generellen Termen der Sub-stanz-Kategorie zuschreibt substantielle Formen (ob als Universalien ver-standen oder nicht) zu bezeichnen gleich vorwegzunehmen sie lautetbdquoNeinldquo jedenfalls unter Voraussetzung der Konsistenz der Zuschreibungendie Aristoteles vornimmt Denn
(i) Aristoteles schreibt in der Metaphysik jeder substantiellen Form zu einτόδε τι zu sein44
(ii) er schreibt jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zu ein Univer-sale zu bezeichnen45 und
(iii) unter Annahme von (K1) sind beide Zuschreibungen nur damit vertraumlg-lich jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zuzuschreiben keinesubstantielle Form zu bezeichnen
These (i) ist unkontrovers Thesen (ii) und (iii) sind es nicht Bevor ich These(ii) ndash im naumlchsten Abschnitt ndash rechtfertige moumlchte ich ndash in diesem Abschnitt ndashThese (iii) verteidigen Sie wird von manchen Interpreten46 ndash mehr oder weni-ger explizit ndash bestritten und zwar so dass diese Interpreten (K1) einen Sinnbeilegen unter dessen Voraussetzung These (iii) in der Tat falsch waumlre Mitder alternativen Deutung von (K1) die diese Interpreten vertreten moumlchteich mich in diesem Abschnitt beschaumlftigen
Die betreffenden Interpreten gehen davon aus dass Aristoteles jedersubstantiellen Form zuschreibe ein τόδε τι zu sein47 und ndash als das τὸ τί ἦνεἶναι48 ndash definierbar49 zu sein Sie schreiben Aristoteles ferner die Auffassungzu dass nur Universalien definierbar seien50 Entsprechend schreiben sie ihmweiter Konsistenz auf seiner Seite vermutend die Auffassung zu dass sub-stantielle Formen Universalien sind51 So sollte Aristoteles ndash unter der Annah-me dass jede substantielle Form ein τόδε τι ist ndash vernuumlnftigerweise auch ge-
44 Vgl z B Met Δ 81017 b 24 f Ζ 31029 a 27ndash30 Θ 71049 a 35 Λ 31070 a 11 f45 Fuumlr diese These argumentiere ich unten I346 Es sind zu viele um sie hier alle aufzuzaumlhlen Ich beziehe mich im folgenden v a auf die
konzise Darstellung bei S M Cohen Substances in G Anagnostopoulos (Hrsg) A Com-panion to Aristotle Oxford 2009 197ndash212 hier 209 f wo sich Referenzen auf fruumlhereVertreter dieser Interpretation finden Weitere Vertreter werden genannt bei Lewis (wieAnm 5) 365 Anm 25
47 Vgl fuumlr Belege fuumlr die Zuschreibung oben Anm 4348 Vgl etwa Met Ζ 71032 b 1 f und Ζ 101035 b 3249 Vgl etwa Met Ζ 41030 a 6 f und Ζ 51031 a 1250 Vgl z B Met Ζ 111036 a 28 f und Ζ 151040 a 5ndash751 Was auch Aristoteles explizit zu konzedieren scheint vgl z B Met Ζ 81034 a 7 f und Ζ
111036 a 28 f
62 Benedikt Strobel
dacht haben dass manche Universalien den Status eines τόδε τι haben Unterder weiteren Annahme dass diese Universalien von Ausdruumlcken bezeichnetwerden sollte er schlieszliglich auch die Auffassung vertreten haben dass esAusdruumlcke gibt die etwas bezeichnen das ein Universale und ein τόδε τι ist
Wie aber laumlsst sich diese Auffassung mit (K1) in Einklang bringen Unterdem von mir vertretenen Verstaumlndnis von (K1) gar nicht denn nach diesemVerstaumlndnis sagt (K1) genau das was (K1) prima facie sagt dass jeder Aus-druck der ein Universale bezeichnet kein τόδε τι bezeichnet Und aus denoben rekonstruierten Praumlmissen die Aristoteles fuumlr seine Begruumlndung von(K1) voraussetzt ergibt sich erst recht dass es keine Ausdruumlcke gibt dieetwas bezeichnen das ein Universale und ein τόδε τι ist denn wir habengesehen dass diese Praumlmissen unvereinbar sind mit der Annahme dass etwasein Universale und ein τόδε τι ist
Unter der alternativen Interpretation von (K1) laumlsst sich dagegen ein Ein-klang herstellen zwischen (K1) und der Auffassung dass es Ausdruumlcke gibt dieetwas bezeichnen das ein Universale und ein τόδε τι ist Die Interpretation besagtnaumlmlich dass die Phrase Jeder Ausdruck der ein Universale bezeichnetlsquo in (K1)enger zu verstehen ist naumlmlich im Sinne einer Phrase der Form Jeder Ausdruckder im Kontext von Saumltzen des-und-des Typs ein Universale bezeichnetlsquo Die Ver-treter dieser Interpretation meinen dass es fuumlr Aristoteles vom jeweiligen Satz-kontext in dem ein genereller Termauftauche abhaumlnge ob er ein τόδε τιbezeich-ne oder nicht So bezeichne z B ein genereller Term des Typs ein Menschlsquo inSaumltzen des Typs Sokrates ist ein Menschlsquo kein τόδε τι (sondern τοιόνδε) wohlaber in Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Menschlsquo52
In ersteren bezeichne ein Menschlsquo die Art (kind) unter die Sokrates mit der Aumlu-szligerung des Satzes subsumiert werde in letzteren bezeichne ein Menschlsquo dagegeneine substantielle Form (und damit ein τόδε τι) die mit der Aumluszligerung des Satzesvon der Materie dem Haufen Fleisch und Knochen ausgesagt werde53
Die Unterscheidung dieser beiden Typen von Kontexten in denen einAusdruck ein Universale bezeichnen kann geht mit der Unterscheidung vonzwei Sorten von Praumldikation von Universalien einher Praumldikation die eineAntwort auf die Frage τί ἐστι gibt und mit der der Sache von der das Univer-sale praumldiziert wird zugeschrieben wird essentiell das-und-das zu sein undPraumldikation die keine Antwort auf die Frage τί ἐστι gibt und mit der derSache von der das Universale praumldiziert wird zugeschrieben wird akziden-tell das-und-das zu sein Sokrates ist essentiell ein Mensch aber seine Mate-rie dieser Haufen Fleisch und Knochen ist akzidentell ein Mensch
52 Die Beispielsaumltze nach Cohen (wie Anm 46) 209ndash210 Vgl zum zweiten Met Ζ 101035 a18 f 1035 a 33 Met Ζ 111036 b 11
53 Die Auffassung dass die Form von der Materie praumldiziert werde kann sich insbesondereauf Met Θ 61049 a 34ndash36 stuumltzen ὅσα δὲ μὴ οὕτως ἀλλrsquo εἶδός τι καὶ τόδε τι τὸ κατηγορούμε-νον τὸ ἔσχατον ὕλη καὶ οὐσία ὑλική Vgl ferner Met Ζ 171041 b 4ndash9 und Η 21043 a 5 f
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 63
Mithilfe dieser Unterscheidung laumlsst sich angeben um welche Saumltze esAristoteles bei der Aumluszligerung von (K1) geht und die entsprechende Paraphra-se von (K1) lautet
(K1) Jeder Ausdruck der im Kontext eines Satzes ein Universale so bezeich-net dass dieses mit der Aumluszligerung des Satzes von etwas anderem essen-tiell ausgesagt wird bezeichnet kein τόδε τι (sondern τοιόνδε)
An sich waumlre gegen eine solche einschraumlnkende Interpretation von (K1) nichtseinzuwenden aber die Begruumlndung die Aristoteles fuumlr (K1) gibt legt eineandere Lesart von (K1) nahe naumlmlich eine die ohne diese (oder andere)Einschraumlnkungen auskommt Denn die beiden Praumlmissen die Aristoteles sei-ner (exemplarischen) Begruumlndung von (K1) zugrunde legt rechtfertigen (K1)in einem uneingeschraumlnkten Sinn Dies laumlsst sich auch daran erkennen dassAristotelesrsquo reductio ad absurdum mit der er (K1) begruumlndet ebenso auf dieAnnahme dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des Typs DieserHaufen Fleisch und Knochen ist ein Menschlsquo ein Universale und ein τόδε τιbezeichnen anwendbar ist Denn unter dieser Annahme und der fuumlr die re-ductio vorausgesetzten Annahme dass ein τόδε τι nur durch singulaumlre Termebezeichnet werden kann muumlsste ein Menschlsquo verstanden als Bezeichnungeines τόδε τι salva veritate durch einen singulaumlren Term ersetzbar sein ndash sagenwir die Form Menschlsquo Das Ergebnis der Ersetzung ist nun Dieser HaufenFleisch und Knochen ist die Form Menschlsquo Und dies ist falsch ndash zumindestwenn die Form ein Universale sein soll (ob es auch falsch ist wenn die Formnicht als Universale zu verstehen ist werde ich unten [I3] betrachten) denndieser Haufen Fleisch und Knochen ist gewiss nicht identisch mit der alsUniversale verstandenen Form Mensch Und so wird dieser Haufen Fleischund Knochen mehreres sein ndash dieser Haufen Fleisch und Knochen und dieForm Mensch []lsquo koumlnnte man auch im vorliegenden Fall folgern
Doch mag man einwenden ist es (a) nicht richtig zu sagen Dieser Hau-fen Fleisch und Knochen hat die Form Menschlsquo Und folgt daraus (b) nichtdass in Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein MenschlsquoAusdruumlcke des Typs ein Menschlsquo die Form Mensch bezeichnen Auf diesenEinwand laumlsst sich entgegnen Der Schluss von (a) auf (b) ist unguumlltig unddies sieht man sehr einfach daran dass man etwas Falsches erhaumllt wennman in Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein MenschlsquoAusdruumlcke des Typs ein Menschlsquo durch Ausdruumlcke des Typs die FormMenschlsquo ersetzt
Bisher habe ich die Schwierigkeiten betrachtet in die man geraumlt wenn manAristoteles die Auffassung zuschreibt dass gewisse Ausdruumlcke Universalien
64 Benedikt Strobel
bezeichnen und letztere zugleich den Status eines τόδε τι haben Ich habedafuumlr argumentiert dass (K1) in einem Sinne zu interpretieren ist in dem(K1) eben diese Auffassung ausschlieszligt
Und damit wollte ich zeigen dass von den folgenden drei (bereits obenangefuumlhrten) Thesen die dritte korrekt ist (i) Aristoteles schreibt in der Meta-physik jeder substantiellen Form zu ein τόδε τι zu sein (ii) er schreibt jedemgenerellen Term der Substanz-Kategorie zu ein Universale zu bezeichnenund (iii) unter Annahme von (K1) sind beide Zuschreibungen nur damit kom-patibel jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zuzuschreiben keinesubstantielle Form zu bezeichnen
Wie aber steht es mit These (ii) Schreibt Aristoteles den generellen Ter-men der Substanz-Kategorie moumlglicherweise gar nicht zu Universalien zubezeichnen Nimmt er moumlglicherweise an dass Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo die Form Mensch bezeichnen diese Form jedoch kein Universaleist sondern von Mensch zu Mensch verschieden Mit dieser Interpretationderzufolge einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Meta-physik zugeschrieben wird in Wirklichkeit singulaumlre Terme zu sein will ichmich im Folgenden beschaumlftigen
3 Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategoriein der Metaphysik zugeschrieben substantielle Formen
als Particularia verstanden zu bezeichnen
Namhafte Vertreter der Interpretation sind Michael Frede und Guumlnther Pat-zig in ihrem Kommentar zu Metaphysik Zeta sie bemerken zu den ZeilenMet Ζ 101035 b 27ndash3154
bdquoGegenstand der Definition sind Bestimmungen Wenn man nun etwasagt Sokrates ist ein Menschlsquo dann laumlszligt sich Menschlsquo auf zwei Weisenverstehen Es kann so verstanden werden daszlig es die bestimmte ousiabezeichnet welche Sokrates eigentlich ist Es kann aber auch so verstan-den werden daszlig es sich auf die allgemeine Eigenschaft ein Mensch zusein bezieht Wird der Ausdruck auf die letztere Weise verstanden dannhandelt es sich bei dem was er bezeichnet nicht um eine ousialdquo55
Frede und Patzig unterscheiden hier zwischen zwei Arten Ausdruumlcke desTyps ein Menschlsquo zu verstehen entweder versteht man sie so dass sie die
54 ὁ δrsquo ἄνθρωπος καὶ ὁ ἵππος καὶ τὰ οὕτως ἐπὶ τῶν καθrsquo ἕκαστα καθόλου δέ οὐκ ἔστιν οὐσία ἀλλὰσύνολόν τι ἐκ τουδὶ τοῦ λόγου καὶ τησδὶ τῆς ὕλης ὡς καθόλου καθrsquo ἕκαστον δrsquo ἐκ τῆς ἐσχάτηςὕλης ὁ Σωκράτης ἤδη ἐστίν καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων ὁμοίως
55 FredePatzig Bd 2 (wie Anm 11) 191
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 65
partikulare οὐσία dessen bezeichnet worauf sie zutreffen (im Beispielfall diepartikulare οὐσία des Sokrates) oder man versteht sie so dass sie etwas All-gemeines ein Universale bezeichnen Nun sagen hier Frede und Patzig nichtsdazu welcher der beiden Lesarten Aristoteles den Vorzug gibt oder ob er siebeide nebeneinander stehen laumlsst und fuumlr in gleicher Weise akzeptabel haumlltaber eine Seite zuvor hatten sie schon bemerkt
bdquoFerner ist zu bedenken daszlig der Mensch im allgemeinenlsquo wenn er keineousia ist uumlberhaupt nichts Reales sein kann Denn es handelt sich sichernicht um eine Qualitaumlt oder sonst ein Widerfahrnis Es kann also demMenschen im allgemeinenlsquo uumlberhaupt keine Existenz zugesprochen wer-den nicht einmal die Art von abhaumlngiger Existenz welche den Wider-fahrnissen eigen istldquo56
Frede und Patzig lassen also keine Zweifel daran dass die Lesart von Ausdruuml-cken des Typs ein Menschlsquo nach der sie ein Universale naumlmlich den Men-schen im allgemeinenlsquo bezeichnen fuumlr Aristoteles in der Metaphysik inakzep-tabel geworden ist Zwar raumlumen sie ein dass es auch der Metaphysik zufolgebdquoso etwas wie die Explikation des allgemeinen Praumldikats Menschlsquo [gibt]ldquo57Aber bereits in ihrer Einleitung machen sie deutlich dass mit dieser Explikati-on nichts Allgemeines bestimmt werde sondern die Allgemeinheit der Expli-kation lediglich in ihrer Allgemeinguumlltigkeit bestehe
bdquoWas Aristoteles im Auge hat wenn er behauptet eine Definition seiDefinition des Allgemeinen ist nicht dies daszlig es sich bei dem Gegen-stand auf den die Definition zutrifft um etwas Allgemeines handelnmuszlig Vielmehr kommt es allein darauf an daszlig die Definition allgemein-guumlltig ist d h auf alle Gegenstaumlnde einer Art zutrifftldquo58
So weit die von Frede und Patzig vorgeschlagene Interpretation Positiv istzunaumlchst zu werten dass die Auffassung die Frede und Patzig Aristoteleszuschreiben nicht im Widerspruch zu (K1) steht Denn dieser Auffassungnach bezeichnen Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des Typs Sokra-tes ist ein Menschlsquo kein Universale mithin schlieszligt (K1) nicht aus dass sieein τόδε τι bezeichnen mithin ist (K1) damit vereinbar dass sie eine substanti-elle Form bezeichnen
Fragwuumlrdig ist aber ob Aristoteles in der Metaphysik wirklich die Auf-fassung vertritt dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des Typs
56 Ebd 19057 Ebd 19158 M FredeG Patzig Aristoteles Metaphysik Zlsquo Text Uumlbersetzung und Kommentar Erster
Band Einleitung Text und Uumlbersetzung Muumlnchen 1988 55
66 Benedikt Strobel
Sokrates ist ein Menschlsquo kein Universale bezeichnen Die von Frede undPatzig kommentierte Stelle (Met Ζ 101035 b 27ndash31 siehe Zitat obenAnm 53) legt genau das Gegenteil nahe sie legt nahe dass Aristoteles hierdie Auffassung vertritt Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des TypsSokrates ist ein Menschlsquo bezeichneten ein bdquoallgemein verstandenes Konkre-tes aus dieser Formel und dieser Materieldquo Die Vertreter der oben (2) bespro-chenen Interpretation sehen in dieser Formulierung mit Recht ein Indiz dafuumlrdass Aristoteles die Universalien die in der Kategorienschrift als Substanzenim sekundaumlren Sinnelsquo bestimmt werden auch in der Metaphysik annimmtnun jedoch so charakterisiert dass der in den Kategorien noch nicht beruumlck-sichtigten These Rechnung getragen ist dass die Einzeldinge die in den Kate-gorien als Substanzen im primaumlren Sinnelsquo bestimmt werden Konkreta ausForm und Materie sind Auch andere Stellen der Metaphysik legen dies naheetwa Met Ζ 81033 b 19ndash26 wo Aristoteles uumlber Ausdruumlcke des Typs eineKugellsquo in Saumltzen des Typs Dies ist eine Kugellsquo oder Ausdruumlcke des Typs einHauslsquo in Saumltzen des Typs Dies ist ein Hauslsquo bemerkt
bdquoGibt es nun noch irgendeine Kugel neben diesen bestimmten Kugelnoder ein Haus neben den aus Ziegelsteinen bestehenden Oder ist es nichtvielmehr so dass ein Dies von der Art erst gar nicht entstehen koumlnntewenn es so waumlre Vielmehr bezeichnen derlei Ausdruumlcke ein solches daund es handelt sich nicht um ein Dieses und um etwas Bestimmtes son-dern man macht und erzeugt aus diesem ein solches und wenn die Sacheerst einmal erzeugt ist dann ist sie ein Dieses solches Dies bestimmteGanze aber Kallias oder Sokrates entspricht dieser bestimmten ehernenKugel der Mensch und das Lebewesen hingegen entsprechen der ehernenKugel uumlberhauptldquo (Uumlbersetzung FredePatzig59)
Problematisch ist auch dass die semantische Position die Frede und PatzigAristoteles zuschreiben so wenig plausibel ist Sie impliziert dass Ausdruumlckedes Typs ein Menschlsquo in Saumltzen des Typs Sokrates ist ein Menschlsquo etwasAnderes bezeichnen als in Saumltzen des Typs Platon ist ein Menschlsquo naumlmlichin Saumltzen des ersten Typs die partikulare οὐσία des Sokrates in Saumltzen deszweiten Typs die partikulare οὐσία des Platon Sie impliziert weiter dass Aus-druumlcke des Typs ein Menschlsquo in falschen Saumltzen des Typs Fido mein Hundist ein Menschlsquo uumlberhaupt nichts bezeichnen denn die partikulare οὐσία von
59 FredePatzig Bd 1 (wie Anm 58) 87 πότερον ουν ἔστι τις σφαιρα παρα τάσδε ἢ οἰκία παρατας πλίνθους ἢ οὐδrsquo ἄν ποτε ἐγίγνετο εἰ οὕτως ην τόδε τι ἀλλα το τοιόνδε σημαίνει τόδε δὲκαὶ ὡρισμένον οὐκ ἔστιν ἀλλα ποιει καὶ γεννᾷ ἐκ τουδε τοιόνδε καὶ ὅταν γεννηθῇ ἔστι τόδετοιόνδε το δὲ ἅπαν τόδε Καλλίας ἢ Σωκράτης ἐστὶν ὥσπερ ἡ σφαιρα ἡ χαλκη ἡδί ὁ δrsquo ἄνθρωποςκαι το ζῷον ὥσπερ σφαιρα χαλκη ὅλως
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 67
Fido besteht ja nicht darin ein Mensch zu sein sondern ein Hund Sie impli-ziert weiter dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in generellen Saumltzen desTyps Ein Mensch ist ein Lebewesenlsquo ebenfalls nichts bezeichnen denn sielassen sich in Saumltzen eines solchen Typs offenkundig nicht auf irgendeinepartikulare οὐσία beziehen Es hat m E einen hohen Preis Aristoteles einesolche Theorie zuzuschreiben denn sie ist philosophisch fragwuumlrdig warumsollten Ausdruumlcke desselben Typs ndash ein Menschlsquo ndash bald das eine bald dasandere bald gar nichts bezeichnen obwohl keine Verschiedenheit des Sinnszu beobachten ist Ist die Annahme einer solchen Polysemasie nicht wenigglaubhaft
Allerdings haben Frede und Patzig fuumlr ihre Ablehnung der These dassAristoteles die Universalien die in der Kategorienschrift als Substanzen imsekundaumlren Sinnelsquo bestimmt werden in die Metaphysik uumlbernommen habeein gewichtiges Argument Aristoteles beim Wort nehmend wenn er in Meta-physik Z 13 schreibt es sei unmoumlglich dass ein Universale οὐσία sei (1038 b8 f vgl auch 1038 b 35) folgern sie
bdquoFerner ist zu bedenken dass der Mensch im allgemeinenlsquo wenn erkeine ousia ist uumlberhaupt nichts Reales sein kann Denn es handelt sichsicher nicht um eine Qualitaumlt oder sonst ein Widerfahrnis Es kann alsodem Menschen im allgemeinenlsquo uumlberhaupt keine Existenz zugesprochenwerden nicht einmal die Art von abhaumlngiger Existenz welche den Wi-derfahrnissen eigen istldquo60
Frede und Patzig setzen fuumlr ihr Argument folgende Annahmen voraus ers-tens dass der Mensch im allgemeinenlsquo laut der Metaphysik keine οὐσία istzweitens dass der Mensch im allgemeinenlsquo in Aristotelesrsquo Sicht kein Wider-fahrnis ist und drittens dass etwas um fuumlr Aristoteles real zu sein entwedereine οὐσία oder ein Widerfahrnis zu sein hat
Semantisch gewendet laumlsst sich Fredes und Patzigs Argument auch soformulieren Wenn dem oben in der Einleitung (Anm 5) zitierten Prinzipzufolge jeder einfache Ausdrucklsquo entweder eine οὐσία oder etwas der neunuumlbrigen Kategorien bezeichnet so gilt dies auch fuumlr Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo (denn es handelt sich hier um einfache Ausdruumlckelsquo) Wenn nunaber solche Ausdruumlcke etwas Allgemeines bezeichnen so bezeichnen sie (K1)zufolge kein τόδε τι und damit auch keine οὐσία Sie bezeichnen aber offen-kundig auch nicht irgendetwas anderes (von den neun uumlbrigen Kategorien)Also ist die Voraussetzung falsch dass solche Ausdruumlcke etwas Allgemeinesbezeichnen ndash zumindest falls das Prinzip weiterhin gelten soll dass jeder Aus-druck der sinnvollerweise an die Subjekt- oder Praumldikat-Stelle eines Satzestritt entweder eine οὐσία oder etwas der neun uumlbrigen Kategorien bezeichnet
60 FredePatzig Bd 1 (wie Anm 11) 190
68 Benedikt Strobel
Es gibt Grund zur Annahme dass Aristoteles in der Metaphysik an demPrinzip festhaumllt allerdings habe ich den Eindruck dass es eine Doktrin istdie im Rahmen der komplexen οὐσία-Untersuchung der Metaphysik ein allzuholzschnittartiger Fremdkoumlrper ist den Aristoteles nur gewaltsam zu integ-rieren vermochte Man denke nur an die Materie die sich der Einteilung ingewissen Hinsichten entzieht Sie ist fuumlr Aristoteles ohne Zweifel real sie istaber wie er in Ζ 3 begruumlndet in gewissen Hinsichten keine οὐσία (weil siezwei Kriterien fuumlr den οὐσία-Status verfehlt sie ist kein τόδε τι und sie istnicht χωριστόν vgl Ζ 31029 a 26ndash30) und sie ist sicher auch kein Wider-fahrnis
Ich denke also dass wenn man Aristoteles in dieser Sache eine Inkonsis-tenz ersparen moumlchte der Versuch dies zu tun an diesem Prinzip ansetzensollte Dagegen scheint mir die Folgerung die Frede und Patzig ziehen umAristoteles die Inkonsistenz zu ersparen mit einem zu hohen Preis erkauft zusein Denn die Auffassung dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzendes Typs Sokrates ist ein Menschlsquo nichts Allgemeines sondern jeweils etwasPartikulares bezeichnen ist nicht nur philosophisch fragwuumlrdig ihr wirdauch von Aristoteles an verschiedenen Stellen explizit widersprochen
Nun sagt aber Aristoteles wie wir oben gesehen haben an diversen Stel-len dass die Form von der Materie praumldiziert werde und so koumlnnte man sichfragen ob Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo zwar nicht in Saumltzen des TypsSokrates ist ein Menschlsquo ndash mit Frede und Patzig als Particularia verstande-ne ndash Formen bezeichnen wohl aber in Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleischund Knochen ist ein Menschlsquo (Ich erinnere daran dass ich oben eine aumlhnli-che Frage mit Bezug auf die Annahme dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquoin Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Menschlsquo eineals Universale verstandene Form bezeichnen gestellt und dort verneint habeJetzt betrachte ich aber eine etwas andere Frage da es jetzt um eine als Parti-culare verstandene Form geht)
Eine positive Antwort auf diese Frage ist jedenfalls mit (K1) vereinbardenn unter der Annahme dass Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo in Saumltzendes Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Menschlsquo partikulareFormen bezeichnen bezeichnen sie kein Universale und somit ist es mit (K1)vereinbar dass sie ein τόδε τι bezeichnen Aber ist eine positive Antwort aufdie Frage auch mit der Praumlmisse vereinbar die Aristoteles in der Begruumlndungvon (K1) voraussetzt mit der Praumlmisse naumlmlich dass ein τόδε τι nur vonsingulaumlren Termen bezeichnet werden kann Unter dieser Praumlmisse ergaumlbesich dass in Saumltzen des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist einMenschlsquo Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo als singulaumlre Terme zu verstehenwaumlren mit Saumltzen dieses Typs also die Identitaumlt der Materie mit der partiku-laren Form behauptet werden wuumlrde und die Behauptung dieser Identitaumltscheint jedenfalls nicht so absurd wie die Behauptung der Identitaumlt der Mate-
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 69
rie mit einer als Universale verstandenen Form (s o) Immerhin legt ja Aris-toteles in Metaphysik Η 61045 b 17ndash19 nahe dass die Materie und die Formin gewisser Weise ein und dasselbe sind die eine potentialiter die andereactualiter Andererseits setzt Aristoteles fuumlr die These dass die Form von derMaterie praumldiziert werde offenkundig beider Verschiedenheit voraus Somitist es auch unter der Annahme dass die Form ein τόδε τι aber kein Universaleist schwierig Aristoteles die Auffassung zuzuschreiben dass in Saumltzen desTyps Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Menschlsquo Ausdruumlcke desTyps ein Menschlsquo substantielle Formen bezeichnen
Aber sagt Aristoteles nicht dass die Form von der Materie praumldiziertwird Und schlieszligt das nicht ein dass in Saumltzen des Typs Dieser HaufenFleisch und Knochen ist ein Menschlsquo Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo eineForm bezeichnen Ersteres gebe ich zu letzteres wuumlrde ich gerne bestreitenZum einen ist nicht klar ob Aristoteles wenn er von der Praumldikation derForm von der Materie spricht uumlberhaupt einen Beitrag zur semantischenAnalyse von Saumltzen leisten moumlchte61 und zum anderen mag er ndash wenn erdoch einen solchen Beitrag leisten moumlchte ndash eine andere semantische Relationzwischen Ausdruumlcken des Typs ein Menschlsquo und der (jeweils partikularen)Form im Sinn gehabt haben als die des Bezeichnens In der Kategorienschriftregistriert Aristoteles ndash implizit ndash neben dem Bezeichnen noch eine anderesemantische Relation zwischen generellen Termen und Entitaumlten naumlmlich diedes Konnotierens62 Ausdruumlcke des Typs schreib- und lesekundiglsquo bezeichnenin Saumltzen des Typs Sokrates ist schreib- und lesekundiglsquo zwar nicht dieSchreib- und Lesekundigkeit (denn sonst wuumlrde mit diesen Saumltzen absurder-weise gesagt dass Sokrates mit der Schreib- und Lesekundigkeit identischist) aber sie konnotieren sie insofern gilt dass Sokrates schreib- und lese-kundig genau dann ist wenn er Schreib- und Lesekundigkeit besitzt Koumlnnteman in Bezug auf Saumltze des Typs Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist einMenschlsquo nicht analog sagen Ausdruumlcke des Typs ein Menschlsquo bezeichnenhier zwar nicht die Form Mensch (anderenfalls wuumlrde mit diesen Saumltzen ndashwenig plausibel ndash gesagt dass dieser Haufen Fleisch und Knochen mit derForm Mensch identisch ist) konnotieren sie aber
II Paradoxe Konsequenzen der Thesedass jedes Universale τοιόνδε ist
Im vorhergehenden Teil dieses Aufsatzes habe ich versucht die Frage zu be-antworten ob einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Me-
61 Vgl die skeptischen Bemerkungen bei Lewis (wie Anm 5)62 Vgl dazu Strobel (wie Anm 4)
70 Benedikt Strobel
taphysik zugeschrieben wird substantielle Formen zu bezeichnen Dabeihabe ich Gebrauch gemacht von einer bestimmten Interpretation des erstenTeils von Aristotelesrsquo These dass nichts der Dinge die gemeinsam sind einτόδε τι bezeichnet sondern τοιόνδε Diesen ersten Teil habe ich mit (K1) para-phrasiert und zu zeigen versucht welche Praumlmissen Aristoteles fuumlr die Be-gruumlndung von (K1) voraussetzt Der zweite Teil der These ndash paraphrasierbarmit bdquoJeder Ausdruck der ein Universale bezeichnet bezeichnet τοιόνδεldquo ndash istvon mir bisher nicht thematisiert worden (insofern mit gewissem Recht alser fuumlr Aristotelesrsquo Argumentation an der Β-Stelle keine Rolle spielt) Auchhabe ich mich bisher nicht mit der Frage befasst was Aristoteles hier (imRahmen der mit (K1) paraphrasierten Aussage) eigentlich unter einem Uni-versale verstanden wissen moumlchte und was unter einem Ausdruck der einUniversale bezeichnet Die Eroumlrterung dieser Fragen moumlchte ich nun im ver-bleibenden zweiten Teil nachholen zusammen mit der Betrachtung des zwei-ten Teils der aristotelischen These
Ich beginne mit der Frage was Aristoteles hier unter einem Ausdruckverstanden wissen will der ein Universale (und somit kein τόδε τι sondernτοιόνδε) bezeichnet Wie wir oben (I1) gesehen haben knuumlpft Aristoteles dieEinstufung eines Dings als ein τόδε τι an die Bedingung dass das Ding nurvon Ausdruumlcken bezeichnet werden kann die auf nicht mehr als ein Dingzutreffen koumlnnen und wie wir weiter gesehen haben hat er dabei Ausdruumlckeim Blick die wir heute als singulaumlre Termelsquo bezeichnen Als Ergaumlnzungsstuumlckzu der These dass ein τόδε τι nur von Ausdruumlcken bezeichnet werden kanndie auf nicht mehr als ein Ding zutreffen koumlnnen sind nun fuumlr das als τοιόνδεverstandene Universale zwei alternative Thesen in Betracht zu ziehen
(A) Ein Universale kann nicht nur von Ausdruumlcken bezeichnet werden dieauf nicht mehr als ein Ding zutreffen koumlnnen sondern auch von Ausdruuml-cken die auf mehr als nur ein Ding zutreffen koumlnnen
(B) Ein Universale kann nur von Ausdruumlcken bezeichnet werden die aufmehr als nur ein Ding zutreffen koumlnnen
(A) ist damit vereinbar dass ein Universale von einem Ausdruck bezeichnetwerden kann der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann (B) schlieszligtdies dagegen aus
Bevor ich auf die Frage zu sprechen komme ob Aristoteles eher zu (A)oder eher zu (B) tendiert will ich zunaumlchst auf die Schwierigkeiten hinweisendie mit der einen wie mit der anderen These verbunden sind Ich nehme dafuumlrmit Aristoteles an dass unter Ausdruumlcken die auf nicht mehr als ein Dingzutreffen koumlnnen singulaumlre Terme zu verstehen sind63
63 Vgl zu den Problemen dieser Annahme allerdings oben I1
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 71
Die Schwierigkeiten von (A) Nehmen wir an Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo bezeichnen das Universale Mensch Ausdruumlcke dieses Typs dasUniversale Menschlsquo sind nun singulaumlre Terme und koumlnnen ndash nach dem aristo-telischen Verstaumlndnis von singulaumlren Termen ndash auf nicht mehr als ein Dingzutreffen sie koumlnnen naumlmlich nur auf das zutreffen was sie bezeichnen dasUniversale Mensch Unter der Annahme dass Ausdruumlcke des Typs einMenschlsquo das Universale Mensch bezeichnen haben wir nun einen Fall wieihn (A) fuumlr Universalien generell anzunehmen erlaubt das Universale Menschwird sowohl von Termen bezeichnet die auf nicht mehr als ein Ding zutreffenkoumlnnen (das Universale Menschlsquo) als auch von Ausdruumlcken die auf mehrals nur ein Ding zutreffen koumlnnen (ein Menschlsquo) Und was soll daran nunso schlimm sein Folgendes Die Annahme dass zwei Ausdruumlcke die dasselbebezeichnen in (von indexikalischen Ausdruumlcken freien) singulaumlr praumldikativenSaumltzen des Typs Sokrates ist ein Menschlsquo salva veritate durcheinander ersetz-bar sind scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein64 so kann ich z BSokrateslsquo in Sokrates ist ein Menschlsquo salva veritate durch Der Sohn desSophroniskoslsquo ersetzen Der Sohn des Sophroniskos ist ein Menschlsquo DasPrinzip dass Ausdruumlcke die dasselbe bezeichnen in (von indexikalischenAusdruumlcken freien) singulaumlr praumldikativen Saumltzen des Typs Sokrates ist einMenschlsquo salva veritate durcheinander ersetzbar sind ist allerdings einer Ein-schraumlnkung unterworfen es gilt nur unter der Voraussetzung dass die Erset-zung nicht etwas Ungrammatisches zum Resultat hat wenn ich z B in Alki-biades liebt Sokrateslsquo Sokrateslsquo durch Der Sohn des Sophroniskoslsquo ersetzeergibt sich etwas Ungrammatisches und infolgedessen auch nichts Wahrheits-oder Falschheitsfaumlhiges Alkibiades liebt der Sohn des Sophroniskoslsquo DasPrinzip ist entsprechend so einzuschraumlnken Ausdruumlcke die dasselbe bezeich-nen sind in (von indexikalischen Ausdruumlcken freien) singulaumlr praumldikativenSaumltzen salva veritate durcheinander ersetzbar sofern sie salva congruitate(unter Erhaltung der grammatischen Wohlgeformtheit) ersetzbar sind Unddieses Prinzip scheint mir nun tatsaumlchlich plausibel zu sein Aber genau diesesPrinzip wird von der Annahme dass das Universale Mensch sowohl vonAusdruumlcken des Typs ein Menschlsquo als auch von Ausdruumlcken des Typs dasUniversale Menschlsquo bezeichnet wird verletzt denn wenn ich in einem wahrenSatz des Typs Sokrates ist ein Menschlsquo einen Ausdruck des Typs ein Menschlsquodurch einen Ausdruck des Typs das Universale Menschlsquo ersetze erhalte ichzwar etwas grammatisch Wohlgeformtes (Sokrates ist das UniversaleMenschlsquo) aber nichts Wahres Soviel zu den Schwierigkeiten von (A)
Die Schwierigkeiten von (B) sind noch gravierender Nehmen wir anAusdruumlcke des Typs ein Menschlsquo bezeichnen ein Universale wir duumlrften aber
64 Vgl Frege Sinn und Bedeutung (wie Anm 1) 150
72 Benedikt Strobel
um auf dieses Universale Bezug zu nehmen nur Ausdruumlcke verwenden dieauf mehr als nur ein Ding zutreffen koumlnnen und keine die auf nicht mehrals ein Ding zutreffen koumlnnen Genau das ist der Fall den (B) fuumlr Universalienvorsieht Ein sehr unangenehmer Fall Denn wir muumlssten uns aller Aussagender Form Das Universale Mensch ist so-und-solsquo enthalten wuumlrden wir dochim Rahmen solcher Aussagen zur Bezugnahme auf das Universale einen Aus-druck verwenden der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann (sondernnur auf das Universale Mensch) Wir muumlssten uns also auch der Aussageenthalten dass das Universale Mensch etwas ist das nur von Ausdruumlckenbezeichnet werden kann die auf mehr als nur ein Ding zutreffen koumlnnenUnd wir duumlrften dann auch nicht mehr behaupten Das Universale Menschist ein Universalelsquo (Mancher wird sich hier an Freges Paradoxlsquo erinnert fuumlh-len diese Erinnerung werde ich spaumlter noch einmal wachrufen)
Die Schwierigkeiten die mit der Akzeptanz sowohl von (A) als auch von(B) verbunden sind lassen sich dadurch vermeiden dass man (B) ganz ver-wirft und (A) durch eine modifizierte Fassung ersetzt in der neben der se-mantischen Relation des Bezeichnens noch eine weitere semantische Relationzwischen Ausdruumlcken und Universalien beruumlcksichtigt ist naumlmlich die (be-reits oben erwaumlhnte) des Konnotierens
(A+) Ein Universale kann nicht nur von Ausdruumlcken bezeichnet werden dieauf nicht mehr als ein Ding zutreffen koumlnnen sondern auch von Aus-druumlcken konnotiert werden die auf mehr als nur ein Ding zutreffenkoumlnnen65
Mit (A+) im Gepaumlck kann man sagen dass das Universale Mensch von Aus-druumlcken des Typs das Universale Menschlsquo bezeichnet wird jedoch von Aus-druumlcken des Typs ein Menschlsquo (nicht bezeichnet sondern) konnotiert wird(A+) verletzt nun ndash anders als (A) ndash nicht das Prinzip dass Ausdruumlcke diedasselbe bezeichnen in singulaumlr praumldikativen Saumltzen wie Sokrates ist einMenschlsquo salva veritate durcheinander ersetzbar sind sofern sie salva congrui-tate (unter Erhaltung der grammatischen Wohlgeformtheit) ersetzbar sind
Wie aber sieht Aristoteles die Sache An anderer Stelle habe ich argumen-tiert dass ihm die Unterscheidung zwischen den Relationen des Bezeichnensund des Konnotierens ndash der Sache wenn auch nicht der Terminologie nach ndashnicht fremd ist In der Kategorienschrift ist die Unterscheidung implizit vo-rausgesetzt66 Dennoch bin ich geneigt ihm nicht These (A+) und auch nicht
65 Dieser Loumlsungsvorschlag ist in der Sache wie auch terminologisch angelehnt an den beiKuumlnne (wie Anm 5) 334ndash336 Vgl auch W Kuumlnne Die Philosophische Logik GottlobFreges Ein Kommentar Frankfurt am Main 2010 227ndash235
66 Vgl Strobel (wie Anm 4)
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 73
These (A) sondern These (B) zuzuschreiben Mein Hauptgrund dafuumlr ist sei-ne Charakterisierung des Universale als τοιόνδε
Die Charakterisierung des Universale als τοιόνδε ist nicht so zu verstehenals wuumlrden Universalien nur auf eine der zehn Arten der Praumldikation (γένητῶν κατηγοριῶν Top I 9103 b 20ndash2167) ausgesagt naumlmlich auf die dergemaumlszligetwas als so-und-so-beschaffen (ποιόν τοιόνδε) charakterisiert wird Dennerstens bemerkt Aristoteles in Soph el 22178 b 37 τὸ γὰρ ἄνθρωπος καὶἅπαν τὸ κοινὸν οὐ τόδε τι ἀλλὰ τοιόνδε τι ἢ ποσὸν ἢ πρός τι ἢ τῶν τοιούτων τισημαίνει und diese Bemerkung impliziert dass Universalien gemaumlszlig allen zehnArten der Praumldikation ausgesagt werden Und zweitens schraumlnkt er die in denKategorien formulierte These dass Ausdruumlcke des Typs bdquoἄνθρωποςldquo oder desTyps bdquoζῷονldquo also Ausdruumlcke die ein Substanz-Universale bezeichnen ποιόντι σημαίνει dahingehend ein dass sie οὐχ ἁπλῶς ποιόν τι σημαίνει ὥσπερ τὸλευκόν sondern ποιάν τινα οὐσίαν (Cat 53 b 18ndash21) Es liegt an der besonde-ren Verwendung der Pronomina bdquoτοιόνδεldquo bzw bdquoποιόν τιldquo die es erlaubtnicht nur von Beschaffenheits-Adjektiven sondern z B auch von Termen derersten Kategorie wie bdquoἄνθρωποςldquo oder bdquoζῷονldquo zu sagen sie bezeichneten einτοιόνδεldquo bzw bdquoποιόν τιldquo Denn die Pronomina bdquoτοιόνδεldquo und bdquoποιόν τιldquo las-sen sich anders als z B ποσόν als Pronomina fuumlr beliebige generelle Termeverwenden z B auch fuumlr generelle Terme des Typs bdquoἄνθρωποςldquo und bdquoζῷονldquo
Freilich ist fuumlr meine These dass Aristoteles mit der Charakterisierungdes Universale als τοιόνδε Position (B) voraussetzt eine andere Beobachtungentscheidend ndash naumlmlich die dass bdquoτοιόνδεldquo und bdquoποιόν τιldquo als Pronomina nursolche Ausdruumlcke zu vertreten geeignet sind die auf mehrere Dinge zutreffenkoumlnnen bdquoτοιόνδεldquo und bdquoποιόν τιldquo sind dagegen nicht geeignet als PronominaAusdruumlcke zu vertreten die nicht auf mehrere Dinge zutreffen koumlnnen Sokann ich z B nicht bdquoΣωκράτηςldquo in bdquoΣωκράτης ἄνθρωπός ἐστινldquo durch bdquoτο-ιόνδεldquo vertreten lassen und auch nicht bdquoὁ ἥλιοςldquo in bdquoὁ ἥλιος αἴτιος τῆς γενέ-σεωςldquo Daher scheint sich mir Aristoteles mit der These dass ein Universalekein τόδε τι sondern ein τοιόνδε ist auf (B) festzulegen
Daraus ergeben sich zugleich folgende Antworten auf die eingangs ge-stellten Fragen (i) was Aristoteles in (K1) unter einem Universale verstandenwissen will und (ii) was unter einem Ausdruck der ein Universale bezeichnetDie Antwort auf (i) lautet etwas das nur von Ausdruumlcken bezeichnet werdenkann die auf mehrere Dinge zutreffen koumlnnen die Antwort auf (ii) einenAusdruck der auf mehrere Dinge zutreffen kann
Im ersten Teil hatte ich festgestellt dass Aristotelesrsquo in der Begruumlndungvon (K1) vorausgesetzte Annahme ein τόδε τι koumlnne nur von singulaumlren Ter-
67 Vgl zur Stelle M Frede Categories in Aristotle in Ders Essays in Ancient PhilosophyOxford 1987 29ndash48 hier 32 ff
74 Benedikt Strobel
men bezeichnet werden (= [P1]) eine direkte Parallele bei Frege hat ZumAbschluss dieses zweiten Teils moumlchte ich zeigen dass auch Aristotelesrsquo Fest-legung auf (B) eine direkte Parallele bei Frege hat Die Parallele besteht darindass Aristoteles den Universalien mit (B) etwas zuschreibt das dem aumlhnlichist was Frege den Begriffen zuschreibt wenn er ihnen eine bdquopraumldikative Na-turldquo zuschreibt und dass sich Aristoteles mit dieser Zuschreibung ein aumlhnli-ches Problem einhandelt wie Frege ndash naumlmlich das Problem auf das ich bereitsoben bei der Besprechung von (B) hingewiesen habe
In dem Aufsatz bdquoUumlber Begriff und Gegenstandldquo einer Antwort auf sei-nen Kritiker Benno Kerry in der Frege die These verteidigt die EigenschaftenBegriff zu sein und Gegenstand zu sein schloumlssen einander aus insistiert Fregeauf der bdquopraumldikativen Natur des Begriffesldquo68 Gleich zu Beginn seiner Erwide-rung auf Kerrys Einwaumlnde stellt er fest bdquoDer Begriff ndash wie ich das Wortverstehe ndash ist praumldikativldquo69 Was mit dieser Feststellung gemeint ist erlaumluterter in einer kurzen Fuszlignote bdquoEr [sc der Begriff] ist naumlmlich Bedeutung einesgrammatischen Praumldikatsldquo70 D h wenn ein grammatisches Praumldikat etwasbedeutet dann bedeutet es einen Begriff
Frege versteht hier unter Bedeutunglsquo nicht das was man normalerweiseunter Bedeutunglsquo versteht naumlmlich den linguistisch feststellbaren Sinn einesAusdrucks Vielmehr versteht er unter der Bedeutung eines Ausdrucks daswas der Ausdruck bezeichnet seine Referenz Und unter einem grammati-schen Praumldikatlsquo versteht er hier auch nicht das was man uumlblicherweise untereinem grammatischen Praumldikatlsquo versteht In Saumltzen des Typs Romeo liebtJulialsquo fungieren Ausdruumlcke des Typs Romeolsquo als grammatische SubjekteAusdruumlcke des Typs Julialsquo als grammatische Objekte und Ausdruumlcke desTyps liebtlsquo als grammatische Praumldikate aber Ausdruumlcke des Typs liebtlsquo be-zeichnen laut Frege in solchen Saumltzen keinen Begriff (sondern eine Bezie-hung) in Saumltzen des Typs Der Morgenstern ist nichts anderes als die Venuslsquobezeichnen laut Frege71 Ausdruumlcke des Typs nichts anderes als die Venuslsquoeinen Begriff fungieren aber schwerlich als grammatisches Praumldikat Fregescheint unter einem grammatischen Praumldikatlsquo hier (eher) das verstehen zuwollen was uumlbrigbleibt wenn wir von einem Satz (oder Teil-Satz) dessengrammatisches Subjekt abziehen
Freges These dass der Begriff Bedeutung eines grammatischen Praumldikatsist impliziert nicht dass ein Begriff nur von einem ndash so verstandenen ndash gram-matischen Praumldikat bezeichnet werden kann aber sie impliziert dass jeder
68 Frege Begriff und Gegenstand (wie Anm 34) 17469 Ebd 16870 Ebd 168 Anm 171 Vgl ebd 169
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 75
Begriff faumlhig ist von einem grammatischen Praumldikat bezeichnet zu werdenZwei Beispiele zeigen dies (i) Fuumlr Frege bezeichnen in Saumltzen des Typs Ro-meo liebt Julialsquo Ausdruumlcke des Typs Romeo liebtlsquo einen Begriff Ausdruumlckedieses Typs sind nun aber nicht das was von Saumltzen des Typs Romeo liebtJulialsquo uumlbrigbleibt wenn man das grammatische Subjekt abzieht (was dannuumlbrigbleibt sind Ausdruumlcke des Typs liebt Julialsquo) und somit keine grammati-schen Praumldikate aber der Begriff der von Ausdruumlcken des Typs Romeo liebtlsquobezeichnet wird kann auch von einem grammatischen Praumldikat bezeichnetwerden naumlmlich von einem Ausdruck des Typs wird von Romeo geliebtlsquo(ii) Fuumlr Frege bezeichnen in Saumltzen des Typs Alle Saumlugetiere haben rotesBlutlsquo72 Ausdruumlcke des Typs Saumlugetierelsquo einen Begriff Ausdruumlcke des TypsSaumlugetierelsquo sind nun nicht das was von Saumltzen des Typs Alle Saumlugetierehaben rotes Blutlsquo uumlbrigbleibt wenn man jeweils das grammatische Subjektabzieht (was dann uumlbrigbleibt sind Ausdruumlcke des Typs haben rotes Blutlsquo)aber der Begriff der von Ausdruumlcken des Typs Saumlugetierelsquo in Saumltzen des TypsAlle Saumlugetiere haben rotes Blutlsquo bezeichnet wird kann auch von einem (imeben erlaumluterten Sinne) grammatischen Praumldikat bezeichnet werden naumlmlichvon ist ein Saumlugetierlsquo in Saumltzen des Typs Wenn etwas ein Saumlugetier ist hates rotes Blutlsquo
Fuumlr Frege ist nun darin dass der Begriff Bedeutung eines grammatischenPraumldikats ist eingeschlossen dass er kein Gegenstand ist denn ein Gegen-stand kann nur von singulaumlren Termen bezeichnet werden und singulaumlreTerme koumlnnen niemals als grammatisches Praumldikat fungieren wiewohl sieTeil eines solchen sein koumlnnen73
Frege geht aber noch einen Schritt weiter Er sagt nicht nur dass Gegen-staumlnde nur von singulaumlren Termen bezeichnet werden koumlnnen er meint auchdass singulaumlre Terme nur Gegenstaumlnde bezeichnen koumlnnen Nimmt man nundas vorhin gewonnene Resultat hinzu dass Begriffe keine Gegenstaumlnde sindergibt sich dass Begriffe nicht von singulaumlren Termen bezeichnet werdenkoumlnnen Und daher fuumlhlt sich Frege gezwungen anzuerkennen dass Ausdruuml-cke des Typs Der Begriff Pferdlsquo keinen Begriff bezeichnen und zu behauptenbdquoDer Begriff Pferd ist kein Begriffldquo74
Frege will damit nicht ausschlieszligen dass etwas von einem Begriff ausge-sagt werden koumlnne aber bdquoauch da wo etwas von ihm ausgesagt wirdldquo sagtFrege bdquoverhaumllt sich der Begriff wesentlich praumldikativldquo75 Frege hat dabeiquantifizierte Saumltze der Form Es gibt einen Menschenlsquo oder Alle Saumlugetiere
72 Vgl ebd 17173 Ebd 169 und 17474 Ebd 17075 Ebd 174
76 Benedikt Strobel
haben rotes Blutlsquo im Auge Warum verhaumllt sich der Begriff auch hier wesent-lich praumldikativ Weil die entsprechenden Saumltze sinnwahrend in Saumltze uumlber-setzt werden koumlnnen in denen der Begriff von grammatischen Praumldikatenbezeichnet wird Es gibt etwas das ein Mensch istlsquo Wenn etwas ein Saumluge-tier ist hat es rotes Blutlsquo
Diese Feststellung erlaubt es nun Freges Rede von der praumldikativen Na-tur des Begriffs folgendermaszligen zu explizieren Der Begriff hat eine praumldika-tive Natur weil fuumlr jeden Satz von dem einige seiner Elemente Begriffe be-zeichnen gilt entweder sind alle in ihm enthaltene Begriffsbezeichnungengrammatische Praumldikate oder er laumlsst sich sinnwahrend in einen Satz uumlberset-zen fuumlr den gilt dass alle in ihm enthaltene Begriffsbezeichnungen als gram-matische Praumldikate fungieren
Um nun zu Aristoteles zuruumlckzukehren Frege spricht von grammatischenPraumldikaten Aristoteles von Ausdruumlcken die auf mehrere Dinge zutreffenkoumlnnen Hier liegt ein wichtiger Unterschied Denn nicht alle grammatischenPraumldikate sind Ausdruumlcke die auf mehrere Dinge zutreffen koumlnnen (Fregeselbst weist darauf hin am Beispiel von nichts anderes als die Venuslsquo76) zu-dem versteht Aristoteles unter Ausdruumlcken die auf mehrere Dinge zutreffenkoumlnnen nicht grammatische Praumldikate der Form ist ein Menschlsquo sonderngenerelle Terme der Form ein Menschlsquo (allerdings nimmt es Frege hier selbstnicht so genau siehe wiederum sein Beispiel nichts anderes als die Venuslsquo)Ein weiterer Unterschied Frege spricht nicht davon dass Begriffe nur vongrammatischen Praumldikaten bezeichnet werden koumlnnen sondern davon dassfuumlr jeden Satz der Begriffsbezeichner enthaumllt gilt dass alle seine Begriffsbe-zeichner grammatische Praumldikate sind oder er sich in Saumltze des ersten Typssinnwahrend uumlbersetzen laumlsst Aristoteles legt hingegen nahe dass Universali-en nur von Ausdruumlcken die auf mehrere Dinge zutreffen koumlnnen bezeichnetwerden koumlnnen
Aber diese Unterschiede sollten nicht folgende wichtige Gemeinsamkeitverkennen lassen Frege legt sich (explizit) auf die Auffassung fest dass Be-griffe nicht von singulaumlren Termen bezeichnet werden koumlnnen und Aristote-les legt sich (implizit durch die Charakterisierung des Universale als τοιόνδε)auf die Auffassung fest dass Universalien nicht von singulaumlren Termen be-zeichnet werden koumlnnen
Waumlhrend sich Frege uumlber die Schwierigkeiten dieser Auffassung Rech-nung gibt finden wir bei Aristoteles keine aumlhnlichen Reflexionen Und manwird ohne Zweifel Stellen in seinem Werk finden an denen er ndash unvermeidli-cherweise ndash doch mit singulaumlren Termen auf Universalien Bezug nimmt Aberdies zeigt nicht dass er sich mit der Charakterisierung des Universale als
76 Ebd 169
Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik 77
τοιόνδε nicht auf die Auffassung festlegt die ich ihm zugeschrieben habe Eszeigt nur dass es sehr schwer ist diese Auffassung zu haben ohne sich inSchwierigkeiten zu verwickeln77
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77 Dieser Aufsatz ist aus verschiedenen Vorgaumlngerversionen hervorgegangen von denen icheine der fruumlheren bei der Tagung bdquoDie Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter ndash Rezeptionund Transformationldquo im Oktober 2011 und eine der spaumlteren im Kolloquium zur antikenPhilosophie an der Universitaumlt Bonn im April 2012 vortragen konnte Gerhard Krieger giltmein Dank fuumlr die Einladung mit einem Vortrag an der Tagung mitzuwirken ChristophHorn fuumlr die Einladung in das Bonner Kolloquium Weiter moumlchte ich Sebastian Gaumlb AnnaSchriefl und Simon Weber fuumlr hilfreiche Bemerkungen danken
78 Benedikt Strobel
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Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzender Metaphysik
Tiana Koutzarova
Mit der Uumlbertragung bedeutender Teile des Kitāb aš-šifāʾ (Buch der Gene-sung) etwa 100 Jahre nach dem Tode Ibn Sīnās (428 AH1037 n Chr) insLateinische haumllt Avicenna ins Abendland Einzug Sein Ansatz bei der Beant-wortung der grundlegenden philosophischen Frage nach dem Seienden (al-mawgūd) weist dabei eine in mehrfacher Hinsicht herausragende Wirkungs-geschichte auf Er markiert naumlmlich nichts Geringeres als die kritische Neube-gruumlndung der aristotelischen Ersten Philosophie als einer an den Kriteriender Zweiten Analytiken gemessenen Wissenschaft und erweist sich zudem inzwei unabhaumlngig voneinander sich entwickelnden Rationalitaumltstraditionenals aumluszligerst einflussreich Neben Albertus Magnus Thomas von Aquin Hein-rich von Gent oder auch Duns Scotus diskutieren naumlmlich Autoren wie z BFahr ad-Dīn ar-Rāzī (gest 6061209) Aṯīr ad-Dīn al-Abharī (gest 6631264) Nagm ad-Dīn al-Kātibī (gest 6751276) Nasīr ad-Dīn at-Tūsī (geb5971201 minus gest 6721273) ʿAdud ad-Dīn al-Īgī (geb um 7001300 minus gest7561355) Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī (7221322 -7931390) as-Sayyid aš-Šarīf al-Gurgānī (7401339ndash8161413) Galāl ad-Dīn ad-Dawānī (8301427ndash9081502ndash3) al-Maybuḏī (gest 9091503ndash4) al-Qūšgī (gest 8791474)Sadr ad-Dīn aš-Šīrāzī (gest 10501640) und Muḥammad Mahdīy b ʾAbīḎarr an-Narāqī (gest 12091794) dieselben von Avicenna zum ersten Malerschlossenen oder zumindest explizit eingefuumlhrten Fragen wie etwa die nachdem ersten Objekt der Erkenntnis (bayyin bi-nafsihī primum cognitum) odernach der Unterscheidung von Sein (wugūd esse) und Wesen (māhīyah essen-tia) etc
Avicennas Kritik an der aristotelischen Metaphysik betrifft ihren episte-mologischen Status Diesen in aller Klarheit herausgearbeitet zu haben undso die Disziplin der Ersten Philosophie zum zweiten mal begruumlndet zu habenhat schon manchen Forscher dazu veranlasst ihn den bdquozweiten Andronikosldquozu nennen1
1 Vgl A Bertolacci The Reception of Aristotlersquos Metaphysics in Avicennarsquos Kitāb al-Sifāʾ AMilestone of Western Metaphysical Thought (Islamic Philosophy Theology and ScienceBd 63) Leiden 2006 480
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Als 1988 D Gutasrsquo Werk Avicenna and the Aristotelian Tradition er-schien konnte man nicht ahnen daszlig es zu einer bedeutenden Wende in derHaltung gegenuumlber der arabischen Philosophie auch auszligerhalb der Arabis-tenkreise oder gar zu einem Sprung in der ihr gewidmeten Forschung in derwestlichen Welt fuumlhren wuumlrde Doch genau das ist eingetreten wie es ZahlQualitaumlt und das beinahe zeitgleiche Erscheinen der seitdem entstandenenArbeiten eindruumlcklich bezeugen Im besonderen Maszlige gilt dies fuumlr die Erfor-schung der avicennischen Ilāhīyāt (Metaphysik) des Kitāb aš-šifāʾ2 Auchwenn die unter der Leitung von I Madkūr zwischen 1952 und 1983 in Kairoerschienene Edition dieses gewaltigen Werkes sicherlich nicht als eine ausrei-chend kritische angesehen werden kann ndash eine solche und zwar des gesamtenKorpus des Avicenna einschlieszliglich vieler bislang unbekannter Schriften wirdzur Zeit in Iran vorbereitet ndash so erlaubt der heutiger Forschungstand zumin-dest differenziertere Fragestellungen Im Folgenden moumlchte ich einige zentraleVeraumlnderungen des Konzepts Avicennas gegenuumlber der aristotelischen Meta-physik skizzieren und sie anschlieszligend im Hinblick auf ihre Moumlglichkeitsbe-dingungen und in bestimmter Hinsicht neu entstehenden Problemen kritischhinterfragen
I Was ist Metaphysik
Verstand Aristoteles die Erste Philosophie als Wissenschaft vom allgemeinenSeienden (Met Γ 1 Ontologie) dessen ausgezeichnete Bedeutung die derSubstanz ist (Met Γ 2) so fuumlhrt die Untersuchung des Seienden als solchenkonsequenterweise zur Analyse der Substanz (Met Ζ Η Θ Ousiologie) an
2 Neben zahlreichen Artikeln und neuen Uumlbersetzungen ndash genannt sei hier nur die englischevon M E Marmura (Avicenna The Metaphysics of The Healing A parallel English-ArabicText Translated [Islamic Translation Series Al-Hikma] Introduced and Annotated by ME Marmura Provo [Utah] 2005) ndash sind auch die folgenden sich ausnahmslos auf diearabischen Originalquellen stuumltzenden Monographien erschienen R Wisnovsky AvicennarsquosMetaphysics in Context Ithaca 2003 Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphysics (wieAnm 1) T Koutzarova Das Transzendentale bei Ibn Sīnā Zur Metaphysik als Wissen-schaft erster Begriffs- und Urteilsprinzipien (Islamic Philosophy Theology and ScienceBd 79) Leiden 2009 O Lizzini Fluxus (fayd) Indagine sui fondamenti della metafisica edella fisica di Avicenna Bari 2011 Zum Uumlberblick uumlber die Uumlbersetzungen und Forschungs-literatur zur Avicennas Metaphysik vgl J Janssens An Annotated Bibliography on IbnSīnā Leuven 1991 und das sich daran anschlieszligende First Supplement Louvain-la-Neuve1999 sowie A Bertolacci Arabic and Islamic Metaphysics in E N Zalta (Hrsg) TheStanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2012 Edition) Stanford 2012 Erwaumlhnenswertin diesem Zusammenhang ist auch D N HasseA Bertolacci (Hrsg) The Arabic Hebrewand Latin Reception of Avicennarsquos Metaphysics BerlinndashBoston 2012
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deren Anschluss jedoch erneut ein Uumlbergang folgt ein Uumlbergang naumlmlich zueinem bestimmten Seienden das die Prinzipien der Substanz uneingeschraumlnktverwirklicht und darum als Inbegriff von Substantialitaumlt begriffen wird (MetΛ Theologie) Analog koumlnnte man das avicennische Programm wie folgt zu-sammenfassen Beginnend mit einer Neuerung gegenuumlber der Metaphysik desAristoteles naumlmlich mit einer Kritik der Erkenntnis zur Ermoumlglichung einerErsten Philosophie (Kritik) gewinnt Avicenna einen solchen Begriff des Sei-enden dessen Erkenntnis die Erkenntnis eines Anderes nicht nur nicht be-darf sondern diese uumlberhaupt erstlich bedingt (Prinzip aller begrifflichen undvermittels derer auch Urteilserkenntnis) Da dieser Begriff des Seienden soallgemein ist dass er gegenuumlber extramentaler und ausschlieszliglich denkabhaumln-giger Existenz indifferent ist ermoumlglicht er im Rahmen dieser Kritik die Klauml-rung des ontologischen Status der Gegenstaumlnde der Logik3 womit die Meta-physik ndash auch wenn nur vermittels der Kritik und nicht ihrem Subjekt nach ndashdie aristotelische Forderung nach einer houmlchsten Wissenschaft erfuumlllt die of-fengebliebene Fragen hinsichtlich der Gegenstaumlnde aller anderen Disziplinenklaumlrt Als Subjekt (mawḍūʿ) der Metaphysik kann dieser Begriff jedoch nurin der eingeschraumlnkten Bedeutung von bdquoetwas dem es nicht widersprichtdenkunabhaumlngige Realitaumlt zu habenldquo fungieren (Subjektsbestimmung) Diezweiten Intentionen werden somit ebenso wie bdquoChimaumlreldquo oder bdquoBockhirschldquoaus dem Gegenstandsbereich der Ersten Philosophie ausgeschlossen Ausge-hend von einem solch inhaltsarmen erstlich erkannten und nur noch vomschlechthin Nichtseienden abgrenzbaren Begriff wie dem des Seienden alssolchen kann man zur erweiterten Erkenntnis der so-und-so bestimmten Sei-enden nur dann gelangen wenn gezeigt werden kann in welcher Weise dieje-nigen Bestimmungen die das allgemeine Seiende als erste einzuteilen vermouml-gen erfaszligt werden koumlnnen Avicennas Loumlsung hierbei ist revolutionaumlr bdquoNot-wendigldquo und bdquomoumlglichldquo sind nicht nur wesentliche Eigenschaften desSeienden als solchen sondern dass es so ist ist eine Erkenntnis a prioriDamit schlaumlgt er einen gegenuumlber der aristotelischen Vorlage neuen Weg derExplikation des Seienden jenseits von Substanz und Akzidens naumlmlich dender modalen Bestimmung ein Alles Seiende ist entweder ein durch sich selbstextramental Bestehendes oder ein solches dem durch sich selbst weder realeExistenz noch Nichtexistenz widersprechen (modale Explikation) Der Got-
3 Vgl Ibn Sīnā Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt hrsg v G Anawati Saʿīd Zāyid mit Einl vonIbrāhīm Madkūr Kairo al-Hayʾah al-ʿāmmah li-šuʾūn al-matābiʿ al-ʾamīrīyah 1960 I 21017ndash112 (= Avicenna Latinus Liber de philosophia prima sive scientia divina IndashIV Eacutedi-tion critique de la traduction latine meacutedieacutevale par Simone van Riet introdution doctrinalepar G Verbeke LouvainndashLeiden 1977 I 2 1072ndash77) zur engl Uumlbersetzung vgl AvicennaThe Metaphysics of The Healing (wie Anm 2) 722ndash27 Dazu vgl Bertolacci Reception ofAristotlersquos Metaphysics (wie Anm 1) 272 ff und Koutzarova (wie Anm 2) 139 ff
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tesbeweis der im Rahmen der modalen Explikation durchgefuumlhrt wird stellteine weitere Veraumlnderung gegenuumlber der aristotelischen Metaphysik die jaden unbewegten Beweger der Physik (VIII 5) voraussetzt dar Schlieszliglichgeht die avicennische Erste Philosophie zur Explikation bestimmterer Seien-der uumlber und betrachtet sowohl das Moumlglich- wie auch das Notwendigseien-de das sich als Inbegriff an Seiendheit erweist (Theologie)
Auch wenn dieser Uumlberlick aumluszligerst knapp ist so durfte er verdeutlichthaben dass der Schluumlssel zum Verstaumlndnis des avicennischen Konzepts in dererwaumlhnten Kritik zu suchen ist Darum wende ich mich zunaumlchst ihr zu umdann in einem zweiten Schritt einige Probleme im Hinblick auf Methode undGrenzen der neuen Konzeption anzusprechen
II Kritik
Der eigentliche Ort der Kritik ist Buch I der insgesamt zehn Buumlcher umfassen-den ʾIlāhīyāt (Metaphysik) des Kitāb aš-šifāʾ Fuumlhrt man sich allerdings vorAugen dass diese gewaltige summa als eine zusammenhaumlngende Einheit ent-worfen worden ist4 so darf es auch nicht uumlberraschen dass sich Elementeder Kritik auch in anderen Disziplinen wie z B im Madḫal (Isagoge) al-Maqūlāt (Kategorien) oder auch und insbesondere im wissenschaftstheoreti-schen Buch Burhān (Zweite Analytik)5 des Buchs der Genesung finden Hin-weise darauf kann man aber auch auszligerhalb des Werkes ausfindig machenetwa in der beruumlhmten und so oft zitierten biographischen Notiz des Avicen-na oder in Spaumltwerken wie at-Taʿlīqāt (Anmerkungen) Ich fasse nun einigeder vielfaumlltigen und ihrer Natur nach heterogenen Hinweise zusammen
ndash An der houmlchsten Wissenschaft angekommen stoumlszligt Avicenna auf groszlige Ver-staumlndnisschwierigkeiten6 deren Uumlberwindung er explizit der Hilfe al-Fārā-bīs verdankt7
4 Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 41ndash495 Worauf Avicenna auch selbst hinweist vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 1 51ndash3 (= Liber
de philosophia prima I 1 335ndash37 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing[wie Anm 2] 234ndash37)
6 Vgl The Life of Ibn Sīnā (Studies in Islamic Philosophy and Science) A Critical Editionand Annotated Translation by W E Gohlman New York 1974 321ndash344 Zur englischenUumlbers vgl D Gutas Avicenna and the Aristotelian Tradition Introduction to ReadingAvicennarsquos Philosophical Work (Islamic Philosophy Theology and Science Texts and Stu-dies Vol IV) LeidenndashNew York 1988 8 und Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphy-sics (wie Anm 1) 44 zur deutschen Uumlbers vgl Koutzarova (wie Anm 2) 13 f
7 Es handelt sich dabei um das Traktat Fī ʾaġrāḍ kitāb mā baʿd aṭ-ṭabīʿah (Uumlber die Zieleder Metaphysik) Zur Edition vgl F H Dieterici (Hrsg) Alfārābīrsquos philosophische Ab-handlungen aus Londoner Leidener und Berliner Handschriften Leiden 1890 [ND Institu-
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ndash Bereits im Madḫal (Isagoge) weist Avicenna auf seine eigene Systematisie-rungen in der Metaphysik des Kitāb aš-šifāʾ hin8
ndash Der epistemologische Status der Prinzipien der Metaphysik kann ndash so wirdschon im Burhān (Zweite Analytik) festgehalten ndash nur noch als bdquodurchsich selbst bekannteldquo (bayyinah bi-nafsihā) aufgefaszligt werden9
ndash Die Notwendigkeit erkenntnisapriorischer Urteile aber auch Begriffe wirdebenfalls im Burhān (Zweite Analytik) behauptet10
ndash Subjekt (mawḍūʿ) der houmlchsten Wissenschaft kann nur ein solches seindessen Gemeinsamkeit (ʿ umūm) sich auf alle Subjekte der uumlbrigen Wissen-schaften erstreckt ein hier im Burhān (Zweite Analytik) nur angenomme-nes Prinzip alles verursachten Seienden kann als eben solches nicht Subjekteiner partikularen Wissenschaft sein da es aber weder Allgemeines (kullī)noch allen anderen Seienden Gemeinsames (ʿ āmm) ist kann es nur Teilnicht aber Subjekt der houmlchsten Wissenschaft sein11
ndash Der aristotelische Gottesbeweis aus Physik (VIII 5)12 behauptet ausschlieszlig-lich ein Prinzip der Bewegung nicht aber des Seins13
te for the History of Arabic-Islamic Science at the Johann Wolfgang Goethe University(Publications of the Institute for the History of Arabic-Islamic Science Islamic PhilosophyBd 12) Frankfurt am Main 1999 34ndash38] zur Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Interpretationvgl Gutas (wie Anm 6) 238ndash254 Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphysics (wieAnm 1) 65ndash103 und Koutzarova (wie Anm 2) 17ndash38
8 Vgl Ibn Sīnā Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq I al-Madḫal (Isagoge) hrsg v G Anawati M al-Hudayrī ʾA F al-ʾAhwānī mit Einl von Ibrāhīm Madkūr Kairo 1952 I 1 917ndash104zitiert nach Koutzarova (wie Anm 2) 44 bdquoAlles Schaumltzenswerte das sich in den Buumlchernder Alten findet haben wir in diesem Buch angefuumlhrt Wenn etwas nicht an seinem uumlblichenOrt aufzufinden ist so befindet es sich an einer anderen Stelle die ich fuumlr angemessenerhalte Dem habe ich hinzugefuumlgt was ich selbst erkannt und durch eigene Untersuchunggewonnen habe insbesondere in der Physik der Metaphysik und der Logikldquo
9 Vgl Ibn Sīnā Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq V al-Burhān (Zweite Analytik) hrsg v ʾAbū l-ʿAlāʾ ʿAfīfī mit Einl von Ibrāhīm Madkūr Kairo 1956 II 10 1843ndash7
10 Vgl Ibn Sīnā Kitāb aš-šifāʾ al-Burhān (wie Anm 9) I 6 771ndash511 Vgl ebd II 7 1653ndash10 Vgl dazu Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphysics (wie
Anm 1) 119 Anm 23 und Koutzarova (wie Anm 2) 121 ff12 Einen aumlhnlichen Beweis eines unbewegten Bewegers fuumlhrt Avicenna selbst in der Physik
Vgl Kitāb aš-šifāʾ aṭ-Tabīʿīyāt (Physik) I as-Samāʿ aṭ-ṭabīʿī (Physikvorlesung) hrsg vonSaʿīd Zāyid mit Einl von Ibrāhīm Madkūr Kairo 1983 IV 15 329ndash333 Vgl dazu J McGinnes Avicenna (Great Medieval Thinkers) Oxford 2010 151
13 Vgl Ibn Sīnā Šarḥ kitāb ḥarf al-lām in ʿAbdar-RaḥmānBadawī (Hrsg) ʾAristūʿ ind al-ʿarab dirāsah wa-nusūs ġayr manšūrah (dirāsātʾislāmīyah Bd 5) 2al-Kuwayt 1978 2321ndash24 zitiert nach Koutzarova (wie Anm 2) 390 bdquoEr [Avicenna] tadelt Aristoteles und dieKommentatoren mit folgenden Worten Es ist schaumlndlich zum ersten Wirklichen (al-ḥaqqul-ʾawwalu [Gott]) auf dem Weg der Bewegung und dadurch dass Er Prinzip der Bewegungist zu gelangen und es ist vergebliche Muumlhe davon ausgehend es [d h das Prinzip derBewegung] zum Prinzip der Substanzen zu machen Denn diese Leute haben nichts mehrerbracht als den Erweis dass Er Beweger ist nicht aber dass Er Prinzip des Seienden istWie denn auch Wie kann die Bewegung der Weg sein um den Einen und Wahren der
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ndash Die Alten sind der Auffassung dass es keine Seinskontingenz sondern nurSeinsnotwendigkeit gibt14
Es ergeben sich mehrere Themenkomplexe die im Hinblick auf die Konzepti-on der Metaphysik als Wissenschaft und zwar als erste und houmlchste in einemZusammenhang und damit in eine bestimmte Ordnung gebracht werdenmuumlssen was Avicenna auch im Buch I von ʾIlāhīyāt (Metaphysik) tut Dieimmer wieder aufgeworfene Schwierigkeit im Zusammenhang mit der ErstenPhilosophie betrifft ihren Gegenstand ndash ist es das Seiende als Seiendes oderGott oder die letzten Ursachen oder das von der Materie Abgetrennte ndash unddie Antwort darauf bestimmt nicht nur das jeweilige Konzept von Metaphy-sik sondern auch die Verschiebung vieler Fragen aus den partikularen Wis-senschaften wie z B der Physik (etwa die Seele und ihr Verhaumlltnis zum Koumlr-per) in die Erste Philosophie Vor allem aber haumlngt von der Antwort daraufwas Subjekt der Metaphysik ist ab ob entsprechend der jeweils zugrundege-legten Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie von einem metaphysischen Wis-sen oder von Metaphysik als Wissenschaft gesprochen werden kann Da nunAvicenna in einer Tradition steht die die Bedeutung der Analytica posteriorades Aristoteles rasch erkannt hat15 und er auch selbst nicht nur eine solcheSchrift (al-Burhān) verfasst sondern ein gewaltiges Projekt der Darstellungaller theoretischen Wissenschaften und der Logik vollendet (Kitāb aš-šifāʾ)hat so ist seine bdquoZweite Analytikldquo nicht nur Teil des Kitāb aš-šifāʾ sondernnichts Geringeres als die wissenschaftstheoretische Grundlage des gesamtenWerkes16 Dass also auch die Erste Philosophie an dieser Wissenschaftstheoriegemessen werden muss wuszligte Avicenna nicht erst als er bei der letzten Dis-ziplin des Kitāb aš-šifāʾ angekommen war
Prinzip allen Seins ist zu er weisenlsquoldquo Ist aber der Beweis der Physik in seiner Aussagekrafteingeschraumlnkt so kann er doch aus didaktischen Gruumlnden sogar von Nutzen sein Vgl dazuauch Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 1 73ndash6 (= Liber de philosophia prima I 1 591ndash697[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 428ndash34) Uumlbersvon mir bdquoWas dir davon [d h von der Existenz Gottes] bereits im Zuumlge der Physik aufge-schienen ist ist ihr fremd und wurde obwohl es nicht zu ihr gehoumlrt in ihr verwendet Dennes wurde damit beabsichtigt eine gewisse Kenntnis von der Existenz des ersten Prinzipsvorweg zu nehmen damit der starke Wunsch entstehe die Wissenschaften zu erwerben undeben dorthin zu gelangen wo man dies in Wirklichkeit erkennen kannldquo
14 Vgl Ibn Sīnā at-Taʿlīqāt (Anmerkungen) hrsg v ʿAbdar-ar-Raḥmān Badawī (al-Makta-bah al-ʿArabīyah 130) Kairo 13921973 2920
15 Vgl dazu D Black bdquoFarabı ii Logicldquo in E Yarshater (Hrsg) Encyclopaedia IranicaVol IX Fasc 2 New York 1999 213ndash16 und M Maroacuteth Die Araber amp die antikeWissenschaftstheorie (Islamic Philosophy Theology and Science Texts and Studies VolXVII) Uumlbers aus dem Ungar von J Till und G Kerekes LeidenndashNew York 1994 73ndash171
16 Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 44ndash49
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Weder die Existenz Gottes noch die der letzten Ursachen der Dinge koumln-nen als bekannt vorausgesetzt werden und duumlrfen gemaumlszlig der Wissenschafts-theorie17 allein schon deshalb nicht als Subjekt der Ersten Philosophie aufge-fasst werden Sollte aber uumlberhaupt nach Gott und den letzten Ursachen ge-fragt werden so nur in der Metaphysik so dass beide notwendig den Statuseines bdquoGesuchtenldquo (maṭlūb) erfahren18 Wissenschaftstheoretisch bedeutetdas dass die zunaumlchst nur hypothetisch angenommenen letzten Ursachen derDinge und Gott in einem ganz bestimmten Verhaumlltnis zum Subjekt dieserWissenschaft stehen muumlssen so dass im Zuge seiner Explikation der Weg zusolch bdquoGesuchtemldquo uumlberhaupt gelegt werden kann Das Problem der Gegen-standsbestimmung der Metaphysik ist damit zwar nicht geloumlst seine Aus-gangsvoraussetzung hat sich aber wesentlich veraumlndert zwei der insgesamtdrei urspruumlnglich als moumlgliches Subjekt (mawḍūʿ) angenommenen Kandida-ten haben diesen Status verloren muumlssen aber sollte ihr Existenzerweis uumlber-haupt moumlglich sein zu den wie auch immer gearteten Teile des Subjekts ge-rechnet werden
Der Ausweis des Seienden als Seienden (al-mawgūd min ḥayṯu huwamawgūd) als Subjekt der Ersten Philosophie ist vielschichtig und koumlnnte wiefolgt zusammengefasst werdenndash Das Seiende als solches weist eine maximale Gemeinsamkeit (ʿumūm) auf
die sich sowohl auf Substanz und Akzidens als auch auf disjunktive trans-kategoriale Bestimmungen wie Notwendigkeit und Moumlglichkeit Akt undPotenz erstreckt19 waumlhrend Substanz und Akzidens wissenschaftstheore-tisch als die washeitlich uumlberhaupt erst bestimmten bdquoAls-ob-Artenldquo desSubjekts verstanden werden20 kann den disjunktiven Bestimmungen nur
17 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-Burhān (wie Anm 9) II 10 184718 Vgl ders al-ʾIlāhīyāt I 1 516ndash818 (= Liber de philosophia prima I 1 458ndash839 [wie
Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 320ndash617) Zu denentsprechenden Argumenten und Interpretationen vgl Bertolacci Reception of AristotlersquosMetaphysics (wie Anm 1) 116 ff und Koutzarova (wie Anm 2) 125ndash137
19 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 2 1211ndash1319 (= Liber de philosophia prima I 2 1211ndash1346 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 99ndash1016)Zur Analyse vgl Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphysics (wie Anm 1) 121 ff undKoutzarova (wie Anm 2) 138ndash173
20 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 2 1314ndash16 (= Liber de philosophia prima I 2 1338ndash41[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 107ndash11) zitiertnach Koutzarova (wie Anm 2) 167 bdquoEinige von diesen Bestimmungen verhalten sich ihm[d h dem Begriff des Seienden] gegenuumlber so als ob sie Arten waumlren wie die Substanz dieQuantitaumlt und die Qualitaumlt Denn um in diese eingeteilt zu werden bedarf das sbquoSeiendelsquokeiner voraufgehenden Einteilung wie die Substanz Einteilungen benoumltigt ehe sie insbquoMenschlsquo und sbquoNicht-Menschlsquo geteilt werden kannldquo
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noch der Status von eigentuumlmlichen Eigenschaften (ʿ awāriḍu ḫāssah) desSeienden als solchen eingeraumlumt werden21
ndash Eine aumlquivoke Gemeinsamkeit waumlre aber Scheingemeinsamkeit und wuumlrdedaher keine Subjektgattung begruumlnden koumlnnen Deshalb verteidigt Avicen-na die Einheit des bdquoSeiendenldquo im Hinblick sowohl auf seine bdquoAls-ob-Teileldquoals auch seine Eigenschaften Die Verhaumlltnisart des bdquoSeiendenldquo beidem ge-genuumlber bestimmt er in al-Maqūlāt (Kategorien) I 2 als taškīk22 die demaristotelischen πρὸς ἕν zwar aumlhnlich mit ihm aber nicht identisch ist23
bdquoSeiendesldquo (das was Bestand haben kann) ist nach Avicenna demnach einsolcher gemeinsamer und fruumlherer Begriff der die einzelnen washeitlichoder modal bestimmten Seienden nur unexplizit erfaszligt da er dem jeweili-gen Grad an Seiendheit Substanz Qualitaumlt Quantitaumlt etc bzw Kontin-genz und Notwendigkeit gegenuumlber indifferent ist24
ndash Schlieszliglich gilt es und das ist der Kernpunkt der Kritik von ʾIlāhīyāt (Me-taphysik) des Kitāb aš-šifāʾ ebenfalls aus wissenschaftstheoretischenGruumlnden die Aprioritaumlt des bdquoSeiendenldquo zu verteidigen bdquoSeiendesldquo wirddabei (ʾ Ilāhīyāt I 5) in seinen beiden Hinsichten dem Was-es-ist (šayʾDingal-wugūdu l-ḫāssdas eigentuumlmliche Sein) und dem Dass-es-ist (al-wugūdul-ʾiṯbātīdas allgemeine Sein)25 als bdquodas was extramental Existenz haben
21 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 2 1316ndash19 (= Liber de philosophia prima I 2 1342ndash46[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 1011ndash16) zitiertnach Koutzarova (wie Anm 2) 169 bdquoEinige davon sind [d h verhalten sich zum sbquoSeiendenlsquo]sbquowie eigentuumlmliche Eigenschaftenlsquo wie das sbquoEinelsquo und das sbquoVielelsquo sbquoAktlsquo und sbquoPotenzlsquo dassbquoUniversalelsquo und das sbquoPartikularelsquo das sbquoMoumlglichelsquo und das sbquoNotwendigelsquo Denn um dieseEigenschaften aufzunehmen und um fuumlr sie aufnahmefaumlhig zu sein bedarf das sbquoSeiendelsquoweder als physisches noch als mathematisches noch als ethisches noch als etwas anderesspezifiziert zu werdenldquo
22 Zur Uumlbersetzung vgl Koutzarova (wie Anm 2) 214ndash21823 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq II al-Maqūlāt (Kategorien) hrsg v Ibrāhīm Madkūr Kairo
1954 I 2 115ndash7 Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 227 ff24 Zur Taškīk-Gemeinsamkeit des Seienden als solchen gegenuumlber den washeitlich bestimmten
Seienden vgl Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq II al-Maqūlāt (Kategorien) I 2 1013ndash16 zu denTextstellen die auch das Taškīk-Verhaumlltnis zu den modal bestimmten Seienden belegen vglKoutzarova (wie Anm 2) 289ndash302
25 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 315ndash9 (= Liber de philosophia prima I 5 3454ndash3561[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2416ndash24) zitiertnach Koutzarova (wie Anm 2) 315 bdquoDas Dinglsquo und das was seinen Platz einnimmt [d hdessen Aumlquivalente als sprachliche Zeichen] koumlnnen in allen Sprachen als Zeichen fuumlr eineandere Bedeutung verwendet werden denn [es verhaumllt sich ja so] Eine jede Sache (ʾ amr)hat ihr Wesen (ḥaqīqah) kraft dessen sie das ist was sie ist So besteht das Wesen desDreiecks darin Dreieck zu sein das Wesen der Weiszlige darin Weiszlige zu sein Und dieses istdas was wir das sbquoeigentuumlmliche Seinlsquo (al-wugūdu l-ḫāss) nennen sollten wobei wir damitnicht das sbquobehauptbare Dass-Seinlsquo (al-wugūdu l-ʾiṯbātī) meinen Denn mit dem sprachlichenAusdruck (lafz) sbquoSeinlsquo (al-wugūd) werden mehrere begriffliche Strukturen (al-maʿānī) be-zeichnet von welchen eine die des Wesens (al-ḥaqīqah) ist durch das das Ding das ist was
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kannldquo expliziert welches dann als bdquonotwendigldquo oder bdquokontingentldquo weiterbestimmt werden kann Dies erreicht Avicenna dadurch dass er zunaumlchstdie auf der vorpraumldikativen Ebene a priori unterschiedenen HinsichtenDing (aš-šayʾ) und Bestand-haben (wugūdu l-ʾiṯbātī) zusammen mit denModi notwendig (aḍ-ḍarūrīy) kontingent (al-mumkin) und unmoumlglich (al-mumtaniʿ) als Moumlglichkeitsbedingungen jedweder begrifflicher Erkenntnis(tasawwur) einfuumlhrt Da der Erweis ihrer Aprioritaumlt nicht erst Ergebniseiner Rechtfertigung sein kann beschreitet Avicenna den Weg einer trans-zendentalen Reflexion auf die Prinzipien aller begrifflichen Erkenntnis imModus eines bloszligen bdquoAufmerkam-Machensldquo (at-tanbīh)26
ndash In einem zweiten Schritt gilt es dann aber den Zusammenhang zwischenden eingefuumlhrten ersten Begriffen zu verdeutlichen Hierfuumlr schlaumlgt Avicen-na die Verknuumlpfung von Ding (aš-šayʾ) und Bestand-haben (wugūdu l-ʾiṯbātī) in der Form eines Aussagesatzes vor bdquoEin Wesen ist entweder imKonkreten oder in der Seele oder schlechthin (muṭlaq) ndash was beide [vorher
es ist (allatīʿalayhā š-šayʾu) so als ob das wodurch das Ding das ist was es ist [d h seinWesen] sein eigentuumlmliches Sein waumlreldquo
26 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 295ndash16 (= Liber de philosophia prima I 5 312ndash3219[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2219ndash237) zitiertnach Koutzarova (wie Anm 2) 310 f bdquoWir sagen nun Die begrifflichen Strukturen (al-maʿānī) des Seienden (al-mawgūd) des Dinges (aš-šayʾ) und des Notwendigen (aḍ-ḍarūrī)praumlgen sich erstlich in der Seele (an-nafs) ein Diese Einpraumlgung ist nicht derart dass sie derHeranziehung von etwas Bekannterem als sie [d h als die Begriffe des Seienden des Dingesund des Notwendigen] beduumlrfen wuumlrde Denn wie es im Bereich des Urteilens (at-tasdīq)erste Prinzipien gibt die auf Grund ihrer selbst fuumlr wahr gehalten werden und die der Grundfuumlr das Urteilen uumlber anderes sind so dass wenn der auf diese [Prinzipien] hinweisendesprachliche Ausdruck (al-lafz) einem nicht einfaumlllt oder nicht verstanden wird das Fort-schreiten zu der Erkenntnis dessen was durch diese [Prinzipien] [als guumlltig] erkannt wird(yuʿrafu bi-hā) nicht moumlglich sein wird ndash dabei versucht die Bekanntmachung (at-taʿrīf)das Ins-Bewuszligtsein-Rufen dieser [Prinzipien] oder das Verstaumlndlich-Machen derjenigensprachlichen Ausdruumlcke durch die diese [Prinzipien] bezeichnet werden nicht um der Mit-teilung von Wissen willen welches [dem Menschen] gemaumlszlig seiner natuumlrlichen Verfassung(al-ġarīzah) nicht [ohnehin schon] praumlsent waumlre sondern [lediglich] um darauf aufmerksamzu machen was der Sprecher intendiert moumlglicherweise geschieht dies durch etwas was ansich (fī nafsihā) weniger bekannt (ʾ aḫfā) ist als dasjenige dessen Bekanntmachung erstrebtwird was jedoch aus irgendeinem Grunde und wegen eines [allgemein verbreiteten] Sprach-gebrauchs bekannter geworden ist ndash ebenso gibt es im Bereich des begrifflich Erfassbaren(at-tasawwurāt) Bestimmungen (ʾ ašyāʾ) welche Prinzipien des begrifflichen Erfassens (at-tasawwur) sind und durch sich selbst begriffen werden (mutasawwaratun li-ḏawātihā)Wuumlrde man auf diese hinweisen wollen waumlre dies in Wirklichkeit kein Erlaumlutern einesUnbekannten sondern ein Aufmerksam-Machen und ein Zum-Einfallen-Bringen durch einWort (ism) oder ein Zeichen (ʿalāmah) welche vielleicht an sich weniger bekannt als jenes[zu Erlaumluternde] sind es jedoch aus irgendeinem Grunde und dank irgendeines Umstandesdeutlicher (ʾ azhar) bezeichnenldquo
90 Tiana Koutzarova
genannten Seinsweisen] erfaszligt ndash seiendldquo27 Die bdquoWissenserweiterungldquo (ʾ ifā-dah) dieser Verknuumlpfung ist aber keine reale und laumlsst sich daher nur dannverstehen wenn die beiden Begriffe ausschlieszliglich formal logisch betrach-tet werden Wie schon al-Fārābī in aller Deutlichkeit zeigte ist bdquoSeiend-seinldquo kein reales Praumldikat denn es fuumlgt dem jeweiligen Subjekt nichts hin-zu28 Bei dem Vorschlag Avicennas handelt es sich ebenfalls keineswegs umeine reale Praumldikation der Form S ist P sondern nur um ein Experimentbei dem auf die Bedingung fuumlr eine reale Eigenschaftsexplikation eines Snaumlmlich das Gegeben-Sein von bdquoS istldquo als eine radikal von der Begriffslogikunterschiedene Ebene aufmerksam gemacht wird Das bdquoS istldquo ist abernichts anderes als jener Begriff des Seienden den Avicenna bereits als Sub-jekt der Metaphysik bestimmt hat Er meint bdquoetwas was eine extramentaleWirklichkeit haben kannldquo weswegen sich die fuumlr den Verstand a prioriunterschiedenen Gehalte bdquoSeiend-seinldquo (Dass-es-ist) und bdquoDingldquo (Was-es-ist) nur als dessen zwei voneinander nicht trennbare Hinsichten (mutalāzi-mān) zeigen koumlnnen29
ndash Fuumlr die Metaphysik ergibt sich damit notwendigerweise die Einschraumlnkungdes Umfangs der einzelnen Hinsichten bdquoChimaumlreldquo bdquoBockhirschldquo oderselbst das bdquoNichtsldquo das bdquoschlechthin Nichtseiendeldquo (al-maʿdūmu ʿalā l-ʾiṭlāqi) moumlgen als Gedachtes bestehen oder eine Washeit haben koumlnnenaber weder unter das bdquoWas-es-istldquo noch das bdquoDass-es-istldquo als die genann-ten Hinsichten fallen30 Bei den zahlreichen Diskussionen sowohl in derpost-avicennischen Tradition als auch in der heutigen Forschung31 mussalso bedacht werden dass es sich bei der Frage danach welchem der bei-den Erstheit zukaumlme um eine Frage ausschlieszliglich der formal-logischenEbene handelt auf die in al-ʾIlāhīyāt (Metaphysik) I 5 des Kitāb aš-šifāʾ
27 Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 3112ndash13 (= Liber de philosophia prima I 5 3566ndash67 [wieAnm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2429ndash31) zitiert nachKoutzarova (wie Anm 2) 316
28 al-Fārābī Risālah li-l-muʿallim aṯ-ṯānī fī gawāb masāʾil suʾila ʿanhā in F H Dieterici(Hrsg) Alfārābīrsquos philosophische Abhandlungen Leiden 1890 84ndash103 hier 90 Zur Uumlber-setzung vgl F H Dieterici Alfārābīrsquos philosophische Abhandlungen Leiden 1892 148ndash149 N Rescher Studies in the History of Arabic Logic Pittsburgh 1963 40 ff sowie auchvon F A Shehadi Metaphysics in Islamic Philosophy (Studies in Islamic Philosophy andScience) DelmarndashNew York 1982 56 Koutzarova (wie Anm 2) 206 f
29 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 3110ndash325 und 341ndash10 (= Liber de philosophia primaI 5 3562ndash3683 und 3823ndash3939 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Heal-ing [wie Anm 2] 2425ndash2514 und 2631ndash2716)
30 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 326ndash3311 (= Liber de philosophia prima I 5 3684ndash3814 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2515ndash2617)
31 Vgl z B die Ausfuumlhrungen in Wisnovsky Avicennarsquos Metaphysics in Context (wie Anm 2)161ndash180
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 91
Avicenna selbst unmissverstaumlndlich eine Antwort gibt bdquoDingldquo (Was-es-ist)und bdquoBestand-habenldquo (Dass-es-ist) sind zwei gleichurspruumlngliche und fuumlrden Verstand nicht nur unterscheidbare sondern voraufgehend zum jegli-chen Erkenntnisakt und darum a priori unterschiedene Gehalte32
ndash Welcher Zusammenhang besteht aber zwischen dem Subjekt der Metaphy-sik und den modalen Begriffen Die ebenfalls auf der formalen Ebene alsApriori begrifflicher Erkenntnis (tasawwur) eingefuumlhrten ModalitaumltenbdquoNotwendigkeitldquo bdquoMoumlglichkeitldquo (Kontingenz) und bdquoUnmoumlglichkeitldquo koumln-nen ja als solche gar nichts und also auch keine der uumlbrigen mit diesemStatus vorgestellten Begriffe explizieren33 Das gilt selbstverstaumlndlich auchumgekehrt eine formal-logische Betrachtungsweise vom bdquoWas-es-istldquo alsbdquoWas-es-istldquo und dem bdquoDaszlig-es-istldquo als bdquoDaszlig-es-istldquo schlieszligt ja an sich jedeExplikation aus Die beruumlhmten avicennischen Beispiele wie etwa bdquoPferd-heitldquo (al-farasīyahequinitas) zeigen ja eindruumlcklich dass ein derart Be-trachtetes weder ein Denkunabhaumlngiges noch ein mentales Seiendes wederEines noch Vieles ist34 Ein solches ist naumlmlich uumlberhaupt kein ontologischVermoumlgendes Nur ein ontologisch Vermoumlgendes aber und zwar im Ver-haumlltnis zu seiner Aktualitaumlt kann uumlberhaupt weiter bestimmt werden An-dererseits kann das was bdquonotwendigldquo und bdquokontingentldquo als Modi unselb-staumlndiger Existenz schlechthin voraussetzen und daher erstlich explizierennicht schon der Zusammenhang zwischen einem Subjekt und seinem Praumldi-kat (S ist P) sein sondern allein jenes bdquoSeiendeldquo (S ist) das Bedingungeiner Eigenschaftsexplikation uumlberhaupt ist35 Dass es sich hierbei um dasSubjekt der Metaphysik handelt zu dessen eigentuumlmlichen Eigenschaften(ʿawāriḍu ḫāssah) die beiden Modi gerechnet werden hat Avicenna ja anfruumlherer Stelle gezeigt36
ndash Die Bedingung fuumlr eine modale Aufteilung des bdquoSeiendenldquo ist eine zweifa-che in formaler Hinsicht besteht sie in der logisch-semantischen fuumlr denVerstand a priori gegebenen Unterscheidung zwischen den beiden Hinsich-ten auf das transzendentale gegenuumlber jeglicher Bestimmung noch gaumlnzlichindifferente bdquoSeiendeldquo (das was extramental Existenz haben kann) naumlm-
32 Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 339ndash34633 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 353ndash366 (= Liber de philosophia prima I 5 4054ndash
4182 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2732ndash2832) Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 362ndash373
34 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt V 1 19610ndash13 (= Liber de philosophia prima V 1 22832ndash22938 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 14921ndash27)
35 Vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 373ndash38036 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 2 1316ndash19 (= Liber de philosophia prima I 2 1342ndash46
[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 1011ndash16)
92 Tiana Koutzarova
lich bdquodas Was-ldquo und bdquoDass-Seinldquo Erst hierbei kann uumlberhaupt von einerfuumlr den Verstand unterscheidbaren bdquoZweiheitldquo gesprochen werden derenBeziehung dann anhand des Kriteriums der bdquoAn-sichldquo-Inhaumlrenz als bdquonot-wendigldquo bzw bdquobeilaumlufigldquo (ʿaraḍī akzidentell kontingent) disjunktiv be-stimmbar waumlre Soll aber etwas das von sich selbst her keine Wirklichkeithat als ein im Unterschied zum Ersten Seienden (Gott) auf eine auszligerhalbseiner selbst liegende Ursache notwendig Angewiesenes (muḥtāgBeduumlrfti-ges) begriffen werden so muss auch eine andere Bedingung erfuumlllt werdenes darf naumlmlich keineswegs ausschlieszliglich in seiner Washeitsbestimmungbetrachtet werden sondern insofern es extramentale Aktualitaumlt habenkann Sein Wirklichkeitsmodus kann daher im Unterschied zu dem desErsten Seienden (Gott) vom Verstand als eine Zusammensetzung von We-senheit (Was-es-ist) und Sein (Dass-es-ist) nach dem Schema von Kontin-genz durch sich selbst und Notwendigkeit durch ein anderes erfasst wer-den ohne damit eine reale Verschiedenheit von Wesenheit und Sein imaktualen Seienden zu behaupten37
Mit all den genannten Schritten die fuumlr die Klaumlrung des epistemologischenStatus der Metaphysik einerseits und fuumlr die Moumlglichkeit der Durchfuumlhrungeiner nun in dieser Weise konzipierten Wissenschaft andererseits notwendigsind vollendet Avicenna seine Kritik Diese selbst erweist sich dabei als einerster und zugleich im houmlchsten Grade konstitutiver Bestandteil der ErstenPhilosophie als Wissenschaft Denn der aristotelische Wissenschaftsbegriffverpflichtet nicht nur zur Pruumlfung ihrer Moumlglichkeit sondern bestimmt auchden systematischen Ort fuumlr solch eine Pruumlfung Eine Reflexion uumlber ersteBegriffs- und Urteilsprinzipien kann darum nur Sache der Metaphysik sein
III Methode und Grenzen der Metaphysik Avicennas
Waumlhrend nun die Subjektsbestimmung als Ausweis aller von den ZweitenAnalytiken geforderten Merkmale viele der beruumlhmten Thesen Avicennas ndashwie die Aprioritaumlt und Einheit des bdquoSeiendenldquo sowie die transzendentaleRechtfertigung beider ndash geradezu erzwingt wirft die faktische Durchfuumlhrungeiner so konzipierten Ersten Philosophie viele Fragen auf insbesondere imHinblick auf ihre Methode und Grenzen denen ich mich im Folgenden zu-wende
37 Das wird eindruumlcklich gezeigt in Avicenna Šarḥ laquoKitābʾuṯūlūgīyāraquo al-mansūbʾilāʾArisṭūin Abd ar-Raḥmān Badawī (wie Anm 13) 35ndash74 hier 6018ndash19 6116ndash22 Vgl dazuKoutzarova (wie Anm 2) 277ndash288 373 ff
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 93
1 Wie verfaumlhrt eine uns moumlgliche Metaphysik
Der von Avicenna erhobene Anspruch an die von ihm in der oben eroumlrtertenWeise konzipierte Metaphysik lautet
bdquoDu solltest wissen daszlig es in Wirklichkeit einen Weg gibt um als Ziel(al-ġaraḍ) dieser Wissenschaft den Erweis [der Existenz] eines Prinzipszu setzen allerdings nur nachdem [zuvor] ein anderes gewusst wird (ʾ illābaʿda ʿilmin āḫara) Denn es wird dir im Folgenden ein Hinweis daraufdeutlich werden daszlig es uns moumlglich ist auf die Existenz des ersten Prin-zips [Gott] nicht von den sinneswahrnehmbaren Dingen sondern vonden ersten allgemeinen Verstandespraumlmissen zu schlieszligen die [einerseits]dazu zwingen daszlig das Seiende ein notwendigseiendes Prinzip hat unddie [andererseits] ausschlieszligen daszlig dieses ein in irgendeiner Weise Veraumln-derliches oder sich Vervielfaumlltigendes ist und die ferner erzwingen daszligdieses [Prinzip] Prinzip von allem sein soll und daszlig alles durch es [d hdurch dieses Prinzip] in der Ordnung des Ganzen notwendig wird AufGrund der Schwaumlche unserer Seelen [d h der Begrenztheit des menschli-chen Verstandes] vermoumlgen wir jedoch den Weg des Beweises der ja vonden Prinzipien zu den durch diese Prinzipiierten und von der Ursachezum Verursachten fuumlhrt nicht zu beschreiten Wir koumlnnen [auf diesemWege] lediglich einige Grundzuumlge der [kausal durch das Verhaumlltnis vonUrsache und Wirkung bestimmten] Ordnung der Seienden (marātibul-mawgūdāti) nicht jedoch die Einzelheiten [dieser Ordnung] erken-nenldquo38
Was die uumlblicherweise vorgetragene Interpretation des Zusatzes des erstenSatzes ndash ʾillā baʿda ʿilmin āḫara ndash von der von mir vorgeschlagenen unter-scheidet39 ist der Blickwinkel Verstehen die uumlbrigen Uumlbersetzungen darunter
38 Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 3 211ndash8
(= Liber de philosophia prima I 3 2329ndash2441 [wie Anm 3] Avicenna The Metaphysicsof The Healing [wie Anm 2] 1617ndash31) zitiert nach Koutzarova (wie Anm 2) 391 f
39 Die lateinische Uumlbersetzung (Liber de philosophia prima I 3 2329ndash2441 [wie Anm 3])verzeichnet hier nisi postquam probatum fuerit in alia scientia Marmuras (Avicenna TheMetaphysics of The Healing [wie Anm 2] 1618ndash19) bdquowithout [requiring first] anotherscienceldquo Bertolacci Reception of Aristotlersquos Metaphysics (wie Anm 1) 129 Anm 46 bdquolsquothegoalrsquo (al-ġaraḍ) of metaphysics is described as lsquoa determination [of reality] that does notbegin after another sciencersquoldquo
94 Tiana Koutzarova
bdquoohne dass hierfuumlr eine andere Wissenschaft vorauszusetzen waumlreldquo so leseich statt dessen bdquoallerdings nur nachdem [zuvor] ein anderes gewusst wirdldquoSie haben das Verhaumlltnis zwischen der Zielsetzung der Metaphysik und denanderen Wissenschaften im Blick ich hingegen das Verhaumlltnis zwischen derin al-ʾIlāhīyāt I 5 vorgetragenen Kritik und der Setzung des Ziels der ErstenPhilosophie Sachlich koumlnnte der Unterschied minimal erscheinen denn dieerwaumlhnte Zielsetzung der Gottesbeweis darf nach der expliziten Eroumlrterungder Wissenschaftstheorie im Burhān II 7 (Zweite Analytik)40 tatsaumlchlich keinin anderen Wissenschaften gewonnenes Wissen voraussetzen Doch heiszligt dasnicht dass der Gottesbeweis und damit die Erkenntnis eines besonderenSeienden keine Voraussetzungen uumlberhaupt hat Waumlre dem so waumlre eine derSubjektsetzung und der faktischen Durchfuumlhrung der Metaphysik voraufge-hende Kritik uumlberfluumlssig Auch wenn diese Kritik Bedingungen unserer Er-kenntnis eines Seienden uumlberhaupt betrifft und daher nur im Modus desbdquoAufmerksam-Machensldquo (tanbīh) moumlglich ist so liefert sie nichts Geringeresals die Fundierung einer uns moumlglichen Ersten Philosophie mithin also auchdie Begruumlndung dafuumlr dass das goumlttliche Seiende kein Subjekt (mawḍūʿ) son-dern nur im Zuge der Explikation des Subjekts erreichbares Ziel (maṭlūb)sein kann Das Verhaumlltnis zwischen dem auf Grund dieser Kritik erhobenenAnspruch einer metaphysischen Gotteserkenntnis und dem faktischen Wegden Avicenna dorthin beschreitet ist recht komplex und kann in diesem Rah-men adaumlquat wohl kaum erlaumlutert werden Hier wende ich mich wie schonangekuumlndigt nur der Methode der avicennischen Metaphysik zu
Der zitierte Text aus al-ʾIlāhīyāt I 3 zeigt deutlich dass die Metaphysikdie Avicenna intendiert zweifach abgegrenzt wird weder setzt sie den Got-tesbeweis der Physik voraus so dass sie dann jenes besondere Seiende dasals unbewegter Beweger erwiesen worden ist zum Gegenstand haumltte nochkann sie dem Ideal der Wissenschaftstheorie folgen und deduktiv verfahrenDer Grund hierfuumlr ist aber ausschlieszliglich die bdquoSchwaumlche unserer Seelenldquodenn selbst wenn die Existenz des ersten Seienden (Gott) als ein von derPhysik Bewiesenes angesehen werden koumlnnte muumlsste eine Metaphysik dieGott zum Subjekt hat auch sein bdquoeigentuumlmliches Seinldquo sein Wesenswas dis-tinkt erfaszligt haben Dieser Text ist nicht nur Teil der Kritik sondern bleibtihrem Geiste auch treu denn er verdeutlicht dass es bei dem Unternehmender Ersten Philosophie nicht um eine Metaphysik an sich sondern nur umeine uns moumlgliche gehen kann die aber gerade deswegen deduktiv nicht vor-gehen kann
40 Vgl dazu oben die Anm 11
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 95
2 Die Grenzen der uns moumlglichen Metaphysik
Es ist also klar dass die Methode der Metaphysik ganz und gar von denGrenzen unserer Erkenntnis abhaumlngig ist so dass zu fragen ist wo diese nachAvicenna zu ziehen sind Auskunft daruumlber findet man an einer meines Wis-sens kaum beachteten Stelle aus dem Spaumltwerk at-Taʿlīqāt
bdquoDas Wesen der Dinge ist dem Menschen nicht zugaumlnglich wir erkennennur die propria (al-ḫawāss) die notwendigen Attribute (al-lawāzim) unddie Akzidentien (al-aʿrāḍ) der Dinge Wir kennen nicht fuumlr ein jeglichesDing die es konstituierende differentia specifica welche auf sein Wesenverweist So erkennen wir weder das Wesen des Ersten noch des Intel-lekts noch der Seele noch der Sphaumlre noch des Feuers noch der Luftnoch des Wassers noch der Erde Ebenso wenig erkennen wir das Wesender Akzidentien Beispiel hierfuumlr ist es dass wir das Wesen von Substanznicht erkennen vielmehr erkennen wir etwas mit dieser Eigentuumlmlich-keit naumlmlich sbquonicht in einem Zugrundeliegenden seinlsquo was jedoch nichtsein Wesen istldquo41
An anderen Stellen derselben Schrift heiszligt es
bdquoDa nun der Mensch die Wesenheiten der Dinge insbesondere der einfa-chen (al-basāʾiṭ) nicht zu erkennen vermag wohl aber Attribute oderProprien [der Wesen] und das Erste [Seiende d h Gott] das einfachste(ʾ absaṭu) aller Dinge ist besteht hierbei das Maximum (al-ġāyah) des fuumlrden Menschen Erkennbaren in dem Attribut sbquoNotwendigkeit des Seinslsquo(wugūbu l-wugūdi) denn dies ist das eigentuumlmlichste seiner Attribute(ʾ aḫassu lawāzimihī)ldquo42
bdquoUnd desgleichen erkennen wir das Wesen des Ersten nicht Was wir aberin Bezug auf es [d h das erste Seiende] zu erkennen vermoumlgen ist sbquodassihm das Sein notwendig istlsquo oder eben sbquodass es das ist dem das Seinnotwendig istlsquo Und dies [sbquodass ihm das Sein notwendig istlsquo] ist freilichnicht sein Wesen sondern eines seiner Attribute Vermittels dieses Attri-
41 Ibn Sīnā at-Taʿlīqāt (wie Anm 14) 3417ndash22
42 Ebd 9ndash11
96 Tiana Koutzarova
butes erkennen wir dann andere Attribute wie die Einzigkeit und dieuumlbrigen Eigenschaftenldquo43
Die bekannte These Avicennas dass uns die Erkenntnis des goumlttlichen Wesensverwehrt bleibt wird zwar angesichts der zitierten Stellen nicht im geringstenerschuumlttert Was aber dadurch ganz und gar erschuumlttert scheint ist der episte-mische Optimismus der uns bekannten Werke Avicennas hinsichtlich unseresZugangs zu den Wesenheiten der Dinge dieser Welt Sind sie uns epistemischvollkommen unzugaumlnglich so muss der Anspruch die Dinge an sich erken-nen zu koumlnnen gaumlnzlich aufgehoben werden Dies hieszlige aber dass die Exten-sion eines solchen Philosophieverstaumlndnisses eingeschraumlnkt werden muumlssteauf die Dinge insofern sie erkannt werden Dafuumlr scheint die folgende Stelleaus al-Madḫal (Isagoge) zu sprechen
bdquoWollen wir uumlber die [realen] Dinge nachdenken und sie erkennen sokommen wir nicht umhin ihnen [d h den Dingen] Eingang in in dasDenken (tasawwur) zu gewaumlhren wodurch ihnen dann notwendig Merk-male zukommen werden die [dem Sein] im Denken (tasawwur) [eigen-tuumlmlich] sind Auf die Betrachtung der Merkmale die ihnen im Denkenzukommen sind wir aber notwendig insbesondere dann angewiesenwenn wir das Ziel verfolgen ausgehend vom Bekannten Unbekanntesdurch Uumlberlegen zu erfassenldquo44
All dies mutet doch seltsam kantisch an und fuumlhrt unvermeidlich zu der Fra-ge warum Avicenna angesichts dieses moumlglicherweise erst spaumlt gewonnenenVerstaumlndnisses seine bis dahin unkritisch durchgefuumlhrte und der realistischenAuffassung verpflichtete Philosophie die sich nicht nur auf Seiendes im Den-ken (al-mawgūdu fī l-ʿaqli) sondern auch auf das von seinem Gedacht- undErkanntwerden unabhaumlngige reale Seiende an sich erstreckt nicht revidiertWie sind also die angefuumlhrten Stellen zu deuten
Zur Gewinnung einer Antwort versuche ich diejenigen Grundlinien deravicennischen Metaphysik festzuhalten die ich fuumlr nicht bezweifelbar halte
1 Die Kritik in al-ʾIlāhīyāt I gruumlndet in einer transzendentalen nicht-empiri-schen Erhebung apriorischer Begriffe und Urteile deren Verteidigung im-mer nur a posteriori in Form eines Aufmerksam-Machens (tanbīh) moumlg-
43 Ebd 355ndash8
44 Vgl auch Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq I al-Madḫal (Isagoge) (wie Anm 8) I 2 159ndash12
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 97
lich ist45 Hinsichtlich der Frage ob damit die Dinge an sich erreicht wer-den koumlnnen oder nicht ist sie als solche aber indifferent
2 Gegenstand der Metaphysik ist allerdings ein Begriff der gegenuumlber einernaumlheren washeitlichen Bestimmung ganz und gar unterbestimmt (etwaswas extramental sein kann) ist und aller inhaltlich-sachhaltigen Erkennt-nis deswegen nur noch voraufgehen und sie zugleich erst ermoumlglichenkann so dass im Zuge seiner Explikation maximal heterogene Teile wieNotwendigseiendes Substanz und Akzidens erreicht werden Gegenstandder Metaphysik ist darum nicht ein bestimmtes Seiendes wie z B Gottdie Substanz oder bestimmte Substanzen46 sondern jenes Seiende als sol-ches durch das wir alles Seiende uumlberhaupt erst erkennen koumlnnen
3 Die Gemeinsamkeit des bdquoSeiendenldquo ist keine washeitliche Seine Einheitwird im Ruumlckgriff auf den Nichtwiderspruchssatz und den Satz vom aus-geschlossenen Mittleren in al-Maqūlāt (Kategorien) II 1 des Kitāb aš-šifāʾtranszendental verteidigt und in Folge dessen als die eines notwendigenAttributs (lāzim) begriffen Jedwedes so-und-so Bestimmtes ist (mawgūd)oder ist nicht47
4 Der Begriff des Seienden (al-mawgūd) erfasst fuumlr Avicenna aber nicht nurGedachtes sondern auch Wirklichkeit an sich In al-ʾIlāhīyāt (Metaphy-sik) I 2 wird er als nicht leer (maʿnan muḥaqqaq)48 und sogar als ein apriori auf Realitaumlt an sich beziehbarer Begriff verstanden Denn dort be-hauptet Avicenna dass nicht nur das Wissen um sein bdquoWas-Seinldquo sondernauch das um sein bdquoDass-Seinldquo nicht erst erworben werden muss49 womit
45 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 5 295ndash16 (= Liber de philosophia prima I 5 312ndash3219[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 2219ndash237)
46 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 8 549ndash15 (= Liber de philosophia prima I 8 634ndash6414[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 4357ndash444) zitiertnach Koutzarova (wie Anm 2) 423 Anm 79 bdquoWendet man sich ferner keiner anderenWissenschaft zu und wird das Subjekt dieser Wissenschaft [d h der Metaphysik] selbst inSubstanz und in ihre eigentuumlmlichen Eigenschaften eingeteilt so wird jene Substanz dieSubjekt irgendeiner [partikularen] Wissenschaft oder Substanz schlechthin ist nicht Subjektdieser Wissenschaft sein sondern Teil ihres Subjektes und wird damit der Natur ihresSubjektes welches naumlmlich das sbquoSeiendelsquo ist in irgendeiner Weise zukommen da ja dieNatur des sbquoSeiendenlsquo ohne die Vermittlung eines anderen vermag sich mit jener Substanzzu verbinden bzw sie zu sein Das sbquoSeiendelsquo ist naumlmlich eine Natur die von allem ausgesagtwerden kann (yasiḥḥu ḥamluhā) ob dies nun Substanz oder etwas anderes ist Denn wiedir im Vorangegangenen bereits klar geworden ist ist etwas nicht auf Grund seines Seiend-Seins Substanz eine bestimmte Substanz oder ein bestimmtes Subjektldquo
47 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-Manṭiq II al-Maqūlāt (Kategorien) (wie Anm 23) II 1 596ndash614Zur Uumlbersetzung und Analyse vgl dazu Koutzarova (wie Anm 2) 230ndash246 und 255ndash258
48 Vgl Kitāb aš-šifāʾ al-ʾIlāhīyāt I 2 1212ndash14 (= Liber de philosophia prima I 2 1214ndash18[wie Anm 3] Avicenna The Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 911ndash15)
49 Vgl ebd 138ndash10 (= Liber de philosophia prima I 2 1230ndash32 [wie Anm 3] AvicennaThe Metaphysics of The Healing [wie Anm 2] 931ndash35)
98 Tiana Koutzarova
wohl kaum die Existenz des bdquoSeiendenldquo als bloszlig Gedachtes sondern al-lein seine tatsaumlchliche Exemplifizierbarkeit an den Dingen gemeint seinkann
Was laumlsst sich aber auf Grund dieser Punkte im Hinblick auf die genannteFrage antworten Mir erscheint es berechtigt folgendes zu behaupten Selbstwenn die Wesenheiten der Dinge uns epistemisch unzugaumlnglich bleiben soverfuumlgen wir nach Avicenna uumlber einen maximal sicheren und auf reale Seien-de beziehbaren Begriff der aber gegenuumlber aller washeitlichen oder modalenBestimmung indifferent ist Einer prinzipiellen Grenze unserer Erkenntnis imHinblick auf die Wesenheiten der Dinge wuumlrde Avicenna mit seinem Subjektder Metaphysik ein Maximum an Gewissheit gegenuumlberstellen das allerdingsnur noch ein Minimum an washeitlicher Bestimmtheit ndash naumlmlich ein Etwas(al-wugūdu l-ḫāss) das Sein haben kann (al-wugūdu l-ʾiṯbātī) ndash beinhaltetso dass dann die Frage nach der Moumlglichkeit seiner Entfaltung zu stellenwaumlre Die avicennische Antwort darauf ist ja bekannt Die erste Aufteilungdes uns moumlglichen Subjekts der Ersten Philosophie ist eine modale und dieseErkenntnis ist uns unmittelbar mit der Erkenntnis des bdquoSeienden als solchenldquozugaumlnglich Auch die Einteilung in Substanz und Akzidens ist nach Avicennaeine uns unmittelbar mit dem Begriff des Seienden gegebene Mit den beidennur die apriorische Erkenntnis des Seienden voraussetzenden und fuumlr unsdaher maximal sicheren Bestimmungsverfahren lassen sich so mehrere Begrif-fe ndash etwa notwendig und kontingent Seiendes wie auch Seiendes nicht bzwin einem Zugrundeliegenden ndash gewinnen die dann die jeweiligen Teilmengendes Seienden etwas naumlher aber eben nur von den genannten Attributen herund keineswegs wesenhaft erfassen koumlnnen Auch wenn dieses Verfahreneiner vom Prinzip zu dem durch es Konstituierten fortschreitenden Dedukti-on nicht genuumlgen kann die neben der Existenz des Prinzips sowohl die Ein-sicht in sein Wesen als auch in das Wesen alles anderen erfordert so stellt esfuumlr Avicenna die an den Grenzen unserer Erkenntnis gemessen einzig moumlgli-che Methode dar
Das von Aristoteles erhobene Ideal einer deduktiv verfahrenden Meta-physik kann fuumlr Avicenna wie die folgende Stelle ebenfalls aus at-Taʿlīqātdeutlich belegt nur einem ersten Seienden vorbehalten sein
bdquoDie Weisheit (al-ḥikmah) ist die Erkenntnis des Notwendigseiendennaumlmlich des Ersten [Seienden d h Gott] Da nun kein Verstand es [d hdas Notwendigseiende] so erkennt wie dieses sich selbst ist es nur dasErste das wirklich weise ist [Denn] unter sbquoWeisheitlsquo (ḥikmah) verstehenja die Philosophen das vollkommene Wissen Das vollkommene Wissenauf der Seite des Begriffs (tasawwur) ist das Erfassen [einer Sache] in[ihrer] Wesensdefinition Auf der Seite des Urteils (tasdīq) wiederum be-
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 99
steht das vollkommene Wissen darin etwas von seinen Gruumlnde her zuwissen sofern es denn Gruumlnde hat Was das angeht was keinen Grundhat so wird es durch sich selbst erfasst und durch sich selbst erkanntwie das sbquoNotwendigseiendelsquo denn es [d h das Notwendigseiende] hat
keine Definition und wird durch sich selbst erfaszligt in seinem Erfasst-
Werden ist es schlechthin voraussetzungslos [woumlrtlich bedarf es keiner
Sache] denn es ist ein Ersterfassbares (ʾ awwalīyu t-tasawwuri) und es
wird durch sich selbst erkannt da es ja keine Ursache hat [hellip] Das Not-
wendigseiende kennt jegliches Ding von seinen Gruumlnden her denn es
weiszlig ein jegliches nicht vermittels auszligerhalb seiner liegender Dinge son-
dern durch sein Selbst da es ja der Grund fuumlr alles ist In diesem Sinne
ist es weise und seine Weisheit ist sein Wissen durch sich selbstldquo50
Hier zeigt sich wohl besonders deutlich die oben angesprochene bdquoSchwaumlche
unserer Seelenldquo Steht alles Intelligible nicht bloszlig einem abgetrennten Intel-
lekt sondern einem goumlttlichen Vermoumlgen immer schon zur Verfuumlgung so
steht es notwendigerweise und unmittelbar auch in der Ordnung vom Ersten
her Das Sich-in-Bezug-Setzen zum Ersten wuumlrde zwar das menschliche Er-
kenntnisvermoumlgen gemeinsam mit den abgetrennten Intellekten aufweisen
allerdings nicht durch sich selbst sondern erst als Ergebnis seiner Aktualisie-
rung Durch sich selbst ist das menschliche Erkenntnisvermoumlgen kein taumltiger
Intellekt sondern wesentlich komplexere weil auf externes Material ange-
wiesene Seele Als solche verfuumlgt sie uumlber kein Wissen weder von sich selbst
noch von einem anderen51 und ist nichts mehr als eine bloszlige Wahrnehmung
ihrer selbst (šuʿūr bi-ḏāt)52 Wissen kann fuumlr die menschliche Seele nur erwor-
50 Ibn Sīnā at-Taʿlīqāt (wie Anm 14) 2023ndash21 2
51 Vgl dazu z B at-Taʾlīqāt (wie Anm 14) 107 bdquoDie Seele erkennt sich selbst nicht solangesie mit Materie verbunden ist Wuumlrde sie sich naumlmlich selbst erkennen waumlre sie vollkommenwie die [abgetrennten] Intellekte die ja ihr Selbst erkennenldquo
52 Vgl Ibn Sīnā at-Taʿlīqāt (wie Anm 14) 161 bdquoDie Wahrnehmung unseres Selbst ist unserSein selbst (šuʿūruna bi-ḏatina huwanafsuwugudina) [hellip] Die Selbst-Wahrnehmung ist demSelbst seiner Natur nach gegeben (ġarızī) denn es ist sein Sein selbst so dass wir keinesAumluszligeren beduumlrfen um das Selbst zu erfassen sondern es ist vielmehr das Selbst selbstdurch das wir das Selbst erfassenldquo
100 Tiana Koutzarova
ben sein53 Mag nun die aristotelische Theorie der Zweiten Analytiken zwei-felsohne auch fuumlr Avicenna die beste Anweisung zum Erwerb von Wissensein54 so kann sie ihre Ausgangsbedingung die Potentialitaumlt des menschli-chen Erkenntnisvermoumlgens nicht aufheben und vermag daher allenfalls dieBestform eines uns moumlglichen Wissens zu garantieren Erreicht unsere Er-kenntnis der seienden Dinge sogar ihr Prinzip und vermag sie daher einedaran ausgerichtete Ordnung des Seienden aufzustellen so ist sie in ihrerQualitaumlt aumluszligerst defizitaumlr Auch wenn ihr alles Seiende zugaumlnglich ist so dochnur von den a priori erkannten Attributen her Die unterstellten Traumlger dieserAttribute bleiben jedoch letztlich auszligerhalb ihrer Reichweite
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53 Vgl Ibn Sīnā at-Taʿlīqāt (wie Anm 14) 116 23ndash25 bdquoDas Wissen des Ersten ist nicht vonden seienden Dingen gewonnen sondern durch sein Selbst Denn sein Wissen ist die Ursachefuumlr das Sein der Seienden so dass keine Veraumlnderung in seinem Wissen moumlglich ist UnserWissen hingegen ist von aussen seine Ursache ist also das Sein der Dingeldquo
54 Vgl dazu Ibn Sīnā Kitāb aš-šifāʾ al-Burhān (wie Anm 9) I 1 5315ndash18 zitiert nach Koutz-arova (wie Anm 2) 112 bdquoWenn wir des Zieles dieses Buches naumlmlich der Bestimmung derWege [d h der Methoden] die zum gewissen Urteil (at-tasdīqu l-yaqīnī) und zur wirklichenBegriffsbildung (at-tasawwuru l-ḥaqīqī) fuumlhren eingedenk sind dann ist der Nutzen diesesBuches offensichtlich naumlmlich die Erlangung des gewissen Wissens (al-ʿilmu l-yaqīnī) undder wirklichen Begriffe die fuumlr uns nuumltzlich ja notwendig sind wenn wir daran gehen dasWerkzeug der Logik anzuwenden und sowohl die theoretischen als auch die praktischenWissenschaften an ihrem [d h der Logik] Maszligstab zu messenldquo
Avicenna uumlber Moumlglichkeit Methode und Grenzen der Metaphysik 101
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bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo ndash Zur Rezeptiondes Aristoteles und seiner Metaphysik in der
mittelalterlichen juumldischen Philosophie
Frederek Musall
I Hinfuumlhrung
Im litauischen Vilnius einem der Zentren rabbinischer Gelehrsamkeitgibt es eine Jeshivah eine Talmudakademie aus der die groumlszligten Gelehr-ten ihrer Zeit hervorgegangen sind Nur einer ist ein wirklich hoffnungs-loser Fall und der Rosh Jeshivah der Leiter der Talmudakademie istgelinde gesagt verzweifelt da es ihm nicht zu gelingen vermag diesen anirgendeine Gemeinde zu vermitteln Eines Tages erreicht ihn schlieszliglichein Schreiben aus einer kleinen galizischen Gemeinde die ganz dringendeinen Rabbiner sucht sbquoGalizien da leben nur Bauernlsquo denkt sich derLeiter der Talmudakademie taucht seine Feder in das Tintenfass uumlber-legt kurz und verfasst folgende Zeilen bdquoLiebe Gemeinde die Zeit EuresWartens hat ein Ende Ich werde Euch einen meiner Schuumller schickender ist wie Moses wie Salomon und wie Aristotelesldquo Im weit entferntenGalizien ist die Freude natuumlrlich entsprechend groszlig Was fuumlr ein TalmidChakham ndash ein Gelehrter ndash und Gadol ba-Torah ndash ein Riese des Torah-Studiums ndash wird da in ihre Gemeinde kommen Doch Vorfreude ist be-kanntlich die schoumlnste Freude aber sie waumlhrt haumlufig nicht lange nachnoch nicht einmal zwei Wochen nach Ankunft des neuen Rabbiners(wenn man den damaligen Postweg bedenkt also quasi postwendend)erreicht den Leiter der Talmudakademie ein wuumltender Brief bdquoRosh Jeshi-vah Du bist ein Luumlgner Der Mann den Du uns geschickt hast ist einNarr obwohl Du uns versprochen hast er sei wie Moses Salomon undAristoteles Du bist ein gemeiner und hinterlistiger Luumlgner erklaumlre DichldquoDer Leiter der Talmudakademie ist erschuumlttert und erbost zugleich ndash erein Luumlgner Das will das kann er nicht auf sich sitzen lassen und setztsogleich sein Antwortschreiben auf bdquoWie koumlnnt Ihr Schmoumlcke es wagenmich der Luumlge zu bezichtigen Seid Ihr denn voumlllig von Sinnen DerMann welchen ich Euch geschickt habe er ist wie Moses wie Salomon
104 Frederek Musall
und wie Aristoteles Er stottert wie Moses ist hinter den Weibern herwie Salomon und er kann genauso gut Hebraumlisch wie Aristotelesldquo
Zugegeben dieser einleitende Witz hat keinerlei besondere didaktische Poin-te aber hoffentlich sind trotzdem zwei grundlegende Dinge deutlich gewor-den Erstens dass der nichtjuumldische Philosoph Aristoteles von dem Leiter derTalmudakademie als bedeutend genug eingestuft wird um in eine Reihe mitden Meistern der juumldischen Weisheit dem Propheten Moses und Koumlnig Salo-mon gestellt zu werden und zweitens dass Aristoteles kein Hebraumlisch konn-te was gewissermaszligen die zuvor nahegelegte Behauptung sogleich wiederrelativiert Was Aristoteles letzten Endes repraumlsentiert liegt folglich im Augedes Betrachters Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden diesesambivalente Aristoteles-Bild im Rahmen der mittelalterlichen juumldischen Phi-losophie auf Basis der Rezeption seiner Schriften insbesondere der Metaphy-sik praumlzisierend zu umreiszligen In diesem Zusammenhang ist das hier verwen-dete Kompositum bdquojuumldische Philosophieldquo eher als eine Art Arbeitsbegriff zuverstehen denn was man eigentlich genau unter bdquojuumldischer Philosophieldquo zuverstehen vermag ndash einen Fremdimport wie Julius Guttmann konstatiert1
oder einen philosophischen Kommentar zur Traditionsliteratur wie ColletteSirat im Bezug auf die mittelalterliche juumldische Philosophie feststellt2 umhier nur zwei Zugangsweisen anzufuumlhren ndash ist Gegenstand einer bis heuteandauernden Debatte3
II Die Entwicklung des Bezugs zu Aristoteles bis Maimonides
Unter alexandrinischen Juden existierte scheinbar die Legende dass Aristote-les tatsaumlchlich ein Schuumller des Hohepriesters Simon dem Gerechten (hebrShimon ha-Tzaddik um 310ndash291 bzw 300ndash273 v Z) gewesen sei4 So ist
1 Vgl J Guttmann Philosophie des Judentums Berlin 1933 hier 92 Vgl C Sirat A History of Jewish Philosophy in the Middle Ages Cambridge 1985 hier 53 Vgl E L FackenheimR Jospe (Hrsg) Jewish Philosophy and the Academy MadisonNew
Jersey 1996 A W HughesE R Wolfson (Hrsg) New Directions in Jewish PhilosophyBloomingtonIndiana 2010 siehe zusammenfassend auch A B Kilcher Zum Begriff derjuumldischen Philosophie in A B KilcherO Fraisse (Hrsg) unter Mitarbeit von Y SchwartzMetzler Lexikon Juumldischer Philosophen Stuttgart 2003 VIIIndashXVIII Musall F JuumldischePhilosophie Philosophische Rundschau 53 2006 332ndash344 bezuumlglich der in diesem Beitragthematisierten mittelalterlichen juumldischen Philosophie siehe ferner Y Schwartz Mittelalterli-ches Philosophieren Zur Saumlkularisierung der interreligioumlsen Problematik in E Goodman-Thau (Hrsg) Zeit und Welt Denken zwischen Philosophie und Problematik Heidelberg2002 185ndash205
4 Vgl Sirat Jewish Philosophy (wie Anm 2) 7 Im Babylonischen Talmud Traktat Joma 69awird von einer Begegnung zwischen Simon dem Gerechten und Aristotelesrsquo Schuumller Alexan-
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 105
es auch nicht verwunderlich dass der hellenistisch-juumldische Philosoph Aristo-bolus von Paneas (vermutlich aus Alexandrien stammend um 160 v Z) derals erster juumldischer Autor Aristoteles namentlich erwaumlhnt konstatiert dassAristotelesrsquo philosophisches Denken ndash wie im Uumlbrigen auch das seiner Vor-laumlufer Pythagoras Sokrates und Plato ndash im Wesentlichen auf griechischenUumlbersetzungen der biblischen Offenbarung beruhe5 folglich bestehe auchkein prinzipieller Unterschied zwischen griechischer Philosophie und juumldi-scher Tradition und die offensichtlich zwischen den beiden bestehenden Wi-derspruumlche (etwa das Problem der Anthropomorphismen) muumlssen nur ent-sprechend allegorisch umgedeutet werden Allerdings laumlsst sich das Denkenund Werk des Aristobolus nur fragmentarisch rekonstruieren6 und nicht alleWiderspruumlche lassen sich so einfach mittels hermeneutischer Interpretationharmonisieren wie spaumlter Philon von Alexandrien (um 1510 v Z ndash nach40) deutlich macht dessen Denken vor allem von mittelstoischen und mittel-platonischen Konzeptionen beeinflusst ist und die aristotelische Philosophieeher eklektisch aufgreift Auch Philon sieht die grundlegende Uumlbereinstim-mung zwischen griechischer Philosophie und juumldischer Tradition etwa in denplatonisch-aristotelischen Gottesvorstellungen und dem juumldischen Monothe-ismus Doch sowohl in seinen exegetischen (De opificio mundi) als auch inseinen philosophischen Schriften (De aeternitate mundi De providentia) arti-kuliert Philon wiederholt Kritik an der mit dem biblischen Schoumlpfungsnarra-tiv unvereinbaren aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Welt Philonsetzt dieser das auf Platons Timaeus basierende Konzept eines staumlndigenSchoumlpfungsprozesses entgegen wonach Gott immerwaumlhrend die intellegiblenFormen denkt wodurch er die intelligible Welt des Logos des goumlttlichenUrbildes hervorbringt was sich wiederum auf deren schattenhaftes Gegen-bild die sinnlich-wahrnehmbare Welt staumlndig aktualisierend auswirkt7
der dem Groszligen berichtet das Motiv dass Aristoteles ein Schuumller von Simon dem Gerechtenwar wird spaumlter vom litauischen Rabbiner und Kabbalisten Jechiel Heilprin (1660ndash1746)in seinem historiographischen Werk Seder ha-Dorot (bdquoBuch der Generationenldquo) noch weiterausgefuumlhrt Demnach sei Aristoteles sogar zum Judentum konvertiert Dagegen schreibtnach Josephus Flavius Gegen Apion (lat Contra Apionem) I 22 Aristoteles laut seinemSchuumller Klearchos von Soli den Juden folgende Herkunft zu bdquoDie Juden stammen von denindischen Philosophen ab sie werden von den Indern sbquoCalamilsquo und von den Syrern sbquoJudaeilsquogenannt und nehmen ihren Namen von dem Land in welchem sie wohnen was sbquoJudaealsquoheiszligt aber der Name ihrer [Haupt-]Stadt der ist sonderbar denn sie nennen sie sbquoJerusa-lemlsquoldquo
5 Vgl P Kershenbaum Jews in Egypt The Special Case of Septuagint in A T Levenson(Hrsg) The Wiley-Blackwell History of Jews and Judaism Chichester 2012 121ndash141 hier127
6 Vgl C R Holladay (Hrsg) Fragments from Hellenistic Jewish Authors (Bd 3) Aristobu-lus AtlantaGeorgia 1995
7 Vgl Philon von Alexandrien prov 1 7 Op 7 Aet 83ndash84
106 Frederek Musall
Anders als noch sein Vorgaumlnger Aristobolus setzt sich Philon also kritischmit den grundsaumltzlichen Problemfaumlllen ndash wie Schoumlpfungslehre goumlttliche Vor-hersehung das jenseitige Leben ndash auseinander in denen sich aristotelischeLehre und juumldische Tradition widersprechen Damit nimmt er in gewisserWeise jene Diskurse vorweg die die mittelalterliche juumldische Philosophie we-sentlich bestimmen Doch ausgerechnet Philon der eine paradigmatischeStellung im Denken der Patristik einnimmt und nach Hegel aufgrund seinerLogos-Theologie einen Wendepunkt in der europaumlischen Philosophiege-schichte markiert8 spielt in diesen Diskursen keinerlei einflussgebende Rolle9
Mit dem aufkommenden Christentum verlieren die hellenistisch-juumldischenDiaspora-Gemeinden wie Alexandria allmaumlhlich an Bedeutung und mit ihnendas von ihnen repraumlsentierte Modell einer moumlglichen kulturellen Synthesezwischen Hellenismus und Judentum Die sich auf die religioumlse Tradition be-rufenden philosophischen Weltdeutungen eines Aristobolus oder Philons ver-moumlgen zwar dem Fruumlhchristentum eine weiterfuumlhrende Perspektive zu eroumlff-nen aber im Vergleich zu den alternativen rabbinischen Weltdeutungsmodel-len die in den beiden anderen juumldischen Zentren Palaumlstina und Babylonienartikuliert werden und beispielsweise in der reichhaltigen Midrash-Literaturzum Ausdruck kommen erweisen sie sich als zu wenig eigenstaumlndig abgrenz-bar von aumluszligeren Einfluumlssen Trotz seines Fokus auf der Kommentierung derschriftlichen und muumlndlichen Lehre ist auch im Rahmen des rabbinischenJudentums eine Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie spuumlr-bar so legen etwa die in Mishnah und Talmud vorkommenden logischenArgumentationsregeln durchaus eine gewisse Vertrautheit mit vergleichbarenaristotelischen Modellen und Methoden nahe wenngleich deren Redakteurees aber bewusst vermeiden auf moumlgliche Einflussgeber auszligerhalb der eigenenTradition zu verweisen Stattdessen wird in Verarbeitung der als konstitutivesKrisenmoment wahrgenommenen hellenistischen Zeit in aller Deutlichkeit alljenes verdammt was als bdquogriechische Weisheitldquo (hebr chokhmat jevanit wo-mit ein eben spezifisches kulturelles Wissen gemeint ist) als suspekt gilt10
Auszligerhalb des kulturellen Referenzrahmens des hellenistischen Juden-tums stellt die griechische Philosophie keine weltdeuterische Option dar undfolglich befindet sich auch Aristoteles zunaumlchst einmal auszligerhalb des Juden-tums Umso bemerkenswerter ist seine triumphale wenn auch nicht unum-strittene Ruumlckkehr ndash dieses Mal allerdings nicht in ein Himation sondern in
8 Siehe hierzu ausfuumlhrlich D Westerkamp Die philonische Unterscheidung ndash AufklaumlrungOrientalismus und Konstruktion der Philosophie Muumlnchen 2009
9 Philons Schriften werden erst wieder von den beiden italienisch-juumldischen Renaissance-Phi-losophen Azariah dei Rossi (1511ndash1578) und Jehudah Moscato (vor 1530ndashum 1593) aufge-griffen
10 Vgl Babylonischer Talmud Sotah 49b Menachot 64b vergl auch Bava Kamma 82andashb
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 107
eine Galabija verpackt Denn die mittelalterliche juumldische Philosophie ist inihrer formativen Phase in die arabisch-islamische11 Philosophie eingebettetderen Problem- und Fragestellungen sie aufnimmt reflektiert und verarbeitetund an deren Diskursen sie sich beteiligt12 Der aumlgyptische Wissenschaftshis-toriker A(bdelhamid) I Sabra hat den Wissenstransfer im arabisch-islami-schen Mittelalter in zwei konstitutive Phasen unterteilt In der ersten Phaseerfolgt die Aneignung des antiken Wissens (darunter eben auch die Philoso-phie) insbesondere durch die Uumlbersetzung der Schriften aus dem Griechi-schen ins Arabische und in der anschlieszligenden zweiten Phase wird das er-worbene Wissen bdquonaturalisiertldquo bzw bdquoislamisiertldquo d h den religioumls-kulturel-len Beduumlrfnissen angepasst13 Uumlbertraumlgt man nun Sabras Modell auf diejuumldische Philosophie im arabisch-islamischen Kulturraum ergeben sich wei-tere Differenzierungen naumlmlich die Aneignung bzw bdquoJudaisierungldquo der uumlber-setzten Originalschriften oder aber die Aneignung bzw bdquoJudaisierungldquo derbdquoislamisiertenldquo Verarbeitungen Charakteristisches Merkmal dieser bdquojudai-siertenldquo Verarbeitungen ist dass die meisten Texte in arabischer Sprache inhebraumlischen Lettern verfasst sind weswegen man sie aufgrund ihrer spezifi-schen sprachlichen Aumluszligerungen manchmal auch als bdquojudaumlo-arabische Philo-sophieldquo bezeichnet Zwar vermoumlgen arabisch-juumldische Denker beispielsweisedie auf Arabisch verfassten Werke muslimischer oder christlicher Denker zurezipieren umgekehrt aber ist der Adressatenkreis ndash bis auf wenige Ausnah-men die hebraumlische Lettern lesen koumlnnen ndash auf ein juumldisches Publikum be-schraumlnkt
Wie in der arabisch-islamischen Philosophie nimmt auch in den unter-schiedlichen Denkstroumlmungen der judaumlo-arabischen Philosophie der bdquoersteLehrerldquo (arab muʽallīm al-awwal) Aristoteles eine Schluumlsselstellung ein
11 Bezuumlglich der Verwendung der Bezeichnung bdquoarabisch-islamischldquo P AdamsonR C TaylorIntroduction in Dies (Hrsg) The Cambridge Companion to Arabic Philosophy Cam-bridge 2005 1ndash9 hier 3 f bezuumlglich der alternativen Bezeichnung bdquoPhilosophie im Islamldquowelche in einem noch staumlrkeren Ausmaszlig andere religioumlse Traditionen und sprachliche Arti-kulationen einbeziehen moumlchte siehe T-A Druart Philosophy in Islam in A S McGrade(Hrsg) The Cambridge Companion to Medieval Philosophy Cambridge 2003 97ndash120hier 97ndash100
12 Vgl S M Wasserstrom The Islamic social and cultural context in D H FrankO Leaman(Hrsg) History of Jewish Philosophy London 1997 93ndash114 J L Kraemer The Islamiccontext of medieval Jewish Philosophy in D H FrankO Leaman (Hrsg) The CambridgeCompanion to Medieval Jewish Philosophy Cambridge 2003 38ndash68 Zonta M Influenceof Arabic and Islamic Philosophy on Judaic Thought The Stanford Encyclopedia of Philo-sophy (Spring 2011 Edition) Stanford 2011
13 Vgl A I Sabra The Appropriation and Subsequent Naturalization of Greek Science inMedieval Islam History of Science 25 1987 223ndash243 [nachgedruckt in F Jamil Ragepu a (Hrsg) Tradition Transmission Transformation Proceedings of Two Conferences onPre-modern Science Held at the University of Oklahoma Leiden 1996 3ndash27]
108 Frederek Musall
nicht zuletzt da bereits im 10 Jh fast das gesamte Korpus des Aristoteles(mit Ausnahme der Politik) in arabischer Uumlbersetzung vorlag und daruumlberhinaus durch dessen Kommentatoren wie Alexander von Aphrodisias (2 Jh)Porphyrius (233ndash3015) Themistius (um 317ndash388) und Proklos (412ndash485)ergaumlnzt wurde14 Aber auch pseudoaristotelische Werke wie das von Gerhardvon Cremona (1114ndash1187) ins Lateinische uumlbersetzte Liber de Causis (arabKitāb al-īḍāḥ [li-Arisṭūṭālis] fī l-ḫayr al-maḥd oder bdquoBuch der Erklaumlrung [desAristoteles] uumlber das reine Guteldquo)15 das sich im Wesentlichen aus den Ele-mente(n) der Theologie des Proklos zusammensetzt oder die sogenannteTheologie des Aristoteles (arab Uṯūlūğiyyāʼ Arisṭū)16 welche auf Plotins En-neaden IVndashVI basiert praumlgten das Aristoteles-Verstaumlndnis nachhaltig so dassman in diesem Zusammenhang eher von einem neuplatonisch gepraumlgten Aris-totelismus sprechen muss der je nach Denker zwischen neuplatonischen oderaristotelischen Positionen oszilliert Klare Trennlinien zwischen Platon undAristoteles wie sie das Denken der lateinischen Scholastik kennt existierenin der arabisch-islamischen Philosophie (und damit auch in der judaumlo-arabi-schen Philosophie) nicht was aber auch auf die vorhandene Textgrundlagezuruumlckgefuumlhrt werden kann da sich das arabisch vorliegende Korpus desPlaton im Wesentlichen auf Timaios Politeia Nomoi und Teilen des Sympo-sium beschraumlnkte17
14 Vgl R Walzer Greek into Arabic Essays on Islamic philosophy CambridgeMassachusetts1962 D Gutas Greek Wisdom Literature in Arabic Translation A Study of Graeco-ArabicGnomologia New HavenConnecticut 1975 ders Greek Thought Arabic Culture TheGraeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early lsquoAbbasid Society (2ndndash4th 8thndash10th centuries) London 1998 ders Greek Philosophers in the Arabic Tradition Alder-shot 2000 siehe zusammenfassend ferner auch C drsquoAncona Costa Greek Sources in Arabicand Islamic Philosophy in E N Zalta The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter2011 Edition) Stanford 2011
15 Vgl C drsquoAncona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 2002 C drsquoAncona CostaR C Taylor Le Liber de causis in R Goulet u a (Hrsg) Dictionnaire des philosophesantiques Ergaumlnzungsband Paris 2003 599ndash647
16 Vgl M Aouad La Theacuteologie drsquoAristote et autres textes du Plotinus Arabus in R Gouletu a (Hrsg) Dictionnaire des philosophes antiques Bd 1 Paris 1989 541ndash570 PS Adamson Arabic Plotinus A Philosophical Study of the lsquoTheology of Aristotlersquo London2002 ders The Theology of Aristotle in E N Zalta (Hrsg) The Stanford Encyclopediaof Philosophy (Winter 2012 Edition) Stanford 2012 bezuumlglich ihrer hebraumlischen Uumlberset-zung und Rezeption im Mittelalter siehe ferner P Fenton The Arabic and Hebrew Versionsof the Theology of Aristotle in J KrayeC B SchmittW F Ryan (Hrsg) Pseudo-Aristotlein the Middle Ages The sbquoTheologylsquo and Other Texts London 1986 241ndash264
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bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 109
Aus dem aristotelischen Diktum dass alle Menschen von Natur aus nachWissen (εἰδέναι) streben18 ziehen auch juumldische Denker die Konsequenz ihresPhilosophierens Doch es stellt sich diesbezuumlglich auch die grundlegende Fra-ge auf welchen Wissensquellen19 das erstrebte Wissen letztlich beruht Aufder Vernunft oder auf der Offenbarung ndash auf den Werken des Aristotelesoder auf der Torah Schlieszligen die beiden als unterschiedliche Erkenntniszu-gaumlnge zur Wahrheit einander aus oder ist eine Form der Synthese (hierar-chisch komplementaumlr) moumlglich
An einer Synthese von aristotelischer und neuplatonischer Philosophie inmuslimischer Verarbeitung und juumldischer Tradition versucht sich der insbe-sondere von dem muslimischen Philosophen Al-Kindī (um 800ndash873) demAutor des Buch(es) uumlber die Erste Philosophie (arab Kitāb fī ʾl-falsafa al-ūlā) beeinflusste Isaak Israeli (um 84050ndash932) der im Allgemeinen als dererste juumldischer Neuplatoniker gilt Seine beiden spaumlter von Gerhard von Cre-mona (um 1114ndash1187) ins Lateinische uumlbertragenen philosophischen Haupt-werke das Buch der Definitionen und Beschreibungen (arab Kitāb al-ḥudūdwa-ʾr-rusūm hebr Sefer ha-gevulim we-ha-reshumim lat Liber definito-rum) das konzeptionell und strukturell von der Zweiten Analytik beeinflusstist und das Buch der Elemente (arab Kitāb al-usṭuqusāt hebr Sefer ha-jesodot lat Liber elementorum) in welchem Isaak Israeli ausfuumlhrlich diearistotelische Elementenlehre diskutiert spiegeln einen durch neuplatonischeund pseudo-aristotelische Schriften gefilterten Aristotelismus wieder IsaakIsraeli der sich intellektuell in der Tradition der al-qudamāʾ der bdquoantikenPhilosophenldquo verortet geht von einer ontologischen Hierarchie des Kosmosaus die von der vollkommenen Gottheit bis hinunter in die unvollkommenesublunare Welt reicht Allerdings emanieren im Gegensatz zur klassischenneuplatonischen Vorstellung die bdquoerste Materieldquo und die bdquoerste Formldquo nichtungewollt und unzeitlich aus Gott sondern werden von ihm ex nihilo er-schaffen wodurch Isaak Israeli den Schoumlpfungsgedanken in seine Emanati-onslehre integriert20
Obwohl Moses Maimonides spaumlter zahlreiche bereits von Isaak Israelithematisierte Fragestellungen und Probleme aufgreift kritisiert er seine philo-
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Israeli siehe A AltmannS M Stern Isaac Israeli A Neoplatonic Philosopher of the EarlyTenth Century 2 Aufl Chicago 2009 85 f
110 Frederek Musall
sophische Unschaumlrfe zwischen neuplatonischen und aristotelischen Ansichtenund bezeichnet ihn im Hinblick auf seine eigentliche Profession polemischbdquoals Arztldquo (und eben nicht als ernstzunehmenden Philosophen)21 dagegenwerden Isaak Israelis Schriften spaumlter von christlichen Denkern wie Domini-cus Gundisalvi (um 1110ndashnach 1181) Albertus Magnus (um 1200ndash1280)Thomas von Aquin (um 1225ndash1274) oder Nikolaus von Kues (1401ndash1464)durchaus positiv rezipiert
Einen etwas anderen Ansatz der das Verhaumlltnis von Vernunfterkenntnisund goumlttlicher Offenbarung zum Gegenstand hat verfolgt Saʽadiah ben JosefGaon (882ndash942) der Vorsteher der Talmudakademie von Sura mit dem Isa-ak Israeli waumlhrend der gemeinsamen Zeit in Aumlgypten korrespondierte ver-mutlich lassen sich Saʽadiah Gaons Konzeption der bdquoVernunftgesetzeldquo (arabʽaqliyyāt hebr sikhlijot) nicht nur auf entsprechende muʽtazilitische Modellesondern auch auf den Einfluss Isaak Israelis zuruumlckfuumlhren22 Saʽadiah Gaonszeigt in seinem philosophischen Hauptwerk Buch der Glaubenslehren und-meinungen (arab Kitāb al-ʼamānāt wa-ʾl-iʽtiqādāt hebr Sefer emunot we-deʽot) eine grundsaumltzliche Vertrautheit mit der aristotelischen Lehre23 undteilt deren zentrale Positionen etwa bezuumlglich der Logik oder der allgemeinenSprachauffassung dass die Sprache des Menschen konventionell ist24 Auchim Rahmen der Diskussion der Schoumlpfungslehre und seiner daraus gefolger-ten vier Beweisfuumlhrungen fuumlr die Erschaffenheit der Welt ex nihilo (1 dieWelt ist endlich 2 die Welt ist aus Teilen zusammengesetzt 3 alle Gegen-staumlnde veraumlndern ihre akzidentiellen Eigenschaften 4 die Zeit ist nicht un-endlich) greift er auf aristotelische Argumentationsmuster zuruumlck um diesegegen die Atomtheorie des Kalām zu richten welche er strikt ablehnt aller-dings bezieht er im vierten Beweis ndash naumlmlich dass Zeit nicht unendlich ist ndashdann explizit gegen die Meinung des Aristoteles Stellung
Mit der Zeit entwickelten Philosophen des Ostens der islamischen Weltallen voran Al-Fārābī (um 872ndash9501) und Avicenna (um 980ndash1037) weg-weisende kosmologische Modelle in denen sie aristotelische Ursachenmeta-physik plotinische Emanationskosmologie und ptolemaumlische Astronomiemiteinander zu verbinden versuchen25 Im muslimischen Westen legt der an-
21 Vgl A Marx Texts By and About Maimonides Jewish Quarterly Review 25 1934ndash35371ndash428 hier 378
22 Vgl AltmannStern Isaac Israeli (wie Anm 20) 21723 In einem zuvor verfassten Werk seinem Kommentar zum Sefer Jetzirah (bdquoBuch der Schoumlp-
fungldquo) hat Saʽadiah Gaon bereits die aristotelische Kategorienlehre ausfuumlhrlich behandelt24 Vgl S Stroumsa Saadya and Jewish kalam in FrankLeaman Medieval Jewish Philosophy
(wie Anm 12) 71ndash90 hier 84 f25 Vgl D Reisman Al-Farabi and the Philosophical Curriculum in AdamsonTaylor Arabic
Philosophy (wie Anm 11) 52ndash71 hier 56 bezuumlglich dieser kosmologischen Modelle siehe
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 111
dalusische Dichter und Neuplatoniker Salomon ibn Gabirol (10212ndash10578) in seiner als Lehrer-Schuumller-Gespraumlch verfassten Lebensquelle (arab Jan-būʼ al-ḥayāt hebr Meqor chajim lat Fons Vitae) ein eigenstaumlndiges kosmo-logisches Modell vor26 welches den goumlttlichen Schoumlpfungsakt als Emanati-onsprozess beschreibt und damit die neuplatonische Emanationslehre und dieErschaffenheit der Welt ex nihilo miteinander zu verbinden versucht wasnicht von ungefaumlhr an Isaak Israeli erinnert der als einer seiner Einflussgeberausgemacht werden kann27 Ibn Gabirol uumlbernimmt in der Lebensquelle zwarden grundsaumltzlichen aristotelischen MaterieForm-Dualismus doch seine ei-gene hylemorphistische Konzeption geht von der Annahme einer universellenMaterie aus d h im Gegensatz zu Aristoteles fuumlr den allein die koumlrperlicheWelt aus Materie und Form zusammengesetzt ist ist fuumlr Ibn Gabirol diesauch bezuumlglich der seelisch-geistigen Welt der Fall worin sich der deutlicheEinfluss pseudo-aristotelischer Schriften wie des Liber de Causis ndash also Pro-klos ndash zeigt Anders als die meisten juumldischen Denker vor und nach ihmversucht sich Ibn Gabirols Lebensquelle nicht an einer philosophischen Apo-logie des Judentums sondern vertritt eine radikale universalistische Perspek-tive die letzten Endes keinerlei Ruumlckschluumlsse auf eine bestimmte religioumlseVerortung mehr zulaumlsst Seit der Scholastik wurde der unter dem NamenAvicebron oder Avencebrol bekannte Verfasser der Fons vitae irrtuumlmlich fuumlreinen christlichen augustinisch gepraumlgten Denker gehalten bis ihn derdeutsch-franzoumlsische Orientalist Salomon Munk 1846 anhand einer vonShem-Tov ben Josef ibn Falaquera angefertigten hebraumlischen Uumlbersetzungvon Auszuumlgen aus der arabischen Originalfassung der Lebensquelle mit demjuumldischen Dichter Salomon ibn Gabirol identifizierte28 Wenngleich andereneuplatonisch orientierte juumldische Denker wie Moses ibn Ezra (um 1055ndash1138) Josef ibn Tzaddik (um 1075ndash1149) und Abraham ibn Ezra (1089ndash1164) durchaus mit seinem Denken vertraut waren verlieren die neuplatoni-schen Erklaumlrungsmodelle im Verlauf des 12 Jahrhunderts nach und nach anBedeutung und werden von aristotelischen zuruumlckgedraumlngt Zudem bestim-men andere Fragestellungen den philosophischen Diskurs wie etwa das Ver-haumlltnis von Vernunft und Glauben29
ausfuumlhrlich I R Netton Allah Transcendent ndash Studies in the Structure and Semiotics ofIslamic Philosophy Theology and Cosmology London 1995
26 Vgl S Pessin Solomon Ibn Gabirol [Avicebron] in E N Zalta (Hrsg) The StanfordEncyclopedia of Philosophy (Spring 2013 Edition) Stanford 2013
27 Siehe hierzu auch H A Wolfson The meaning of ex nihilo in Isaac Israeli Jewish QuarterlyReview 50 1959 1ndash12 (nachgedruckt in I TwerskyG H Williams [Hrsg] Harry AustrynWolfson Studies in the History of Philosophy and Religion Bd 1 Cambridge 1973 222ndash33)
28 Vgl S Munk Meacutelanges de philosophie juive et arabe Paris 1955 hier 152 f29 Vgl Sirat Jewish Philosophy (wie Anm 2) 80
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Dieses ist zentraler Gegenstand in dem Buch des Chazaren(koumlnigs) (arabKitāb al-ḥuğğah wa-d-dalīl fī nusr al-dīn aḏ-ḏalīl oder Buch des Beweisesund des Argumentes fuumlr den geringgeschaumltzten Glauben hebr Sefer ha-Kuza-ri) des andalusischen Arztes und Dichters Jehudah ha-Lewi (1075ndash11412)der eine grundsaumltzliche Differenz zwischen dem seiner Schoumlpfung und Ge-schoumlpfen gegenuumlber indifferenten Gott der Philosophen (womit Aristotelesim Allgemeinen und Al-Fārābī Avicenna und Ibn Bāğğa im Speziellen ge-meint sind) und dem Gott Abrahams Isaaks und Jakobs (Israels) der sichin der Geschichte offenbart konstatiert30 Ha-Lewis Aristoteles-Kritik erin-nert an die seines muslimischen Vorlaumlufers Al-Ġazālīs (10589ndash1111)31 dochwaumlhrend dieser sich mit seinen beiden Werken Absichten der Philosophen(arab Maqāsid al-falāsifa) welches im Wesentlichen die Lehren der Philoso-phen zusammenfasst und Inkohaumlrenz der Philosophen (arab Tahāfut al-fa-lāsifa) in welchem er eine Widerlegung der neuplatonisch-aristotelischenLehren auf Basis demonstrativer Beweisfuumlhrung vornimmt dem Problem sys-tematisch annaumlhert32 verfolgt Jehudah ha-Lewi die primaumlr apologetische Ab-sicht die Uumlberlegenheit eines auf Erfahrung basierenden religioumlsen Glaubensuumlber die Vernunft darzustellen Da letztere seiner Uumlberzeugung nach den Wegzur religioumlsen Vervollkommnung behindert ndash schlieszliglich widersprechen dieunterschiedlichen Philosophen nicht nur der Offenbarung sondern auchnoch einander was zusaumltzliche epistemologische Verwirrung stiftet ndash ver-sucht Ha-Lewi die Philosophen bewusst aus dem Bereich der Religion hinaus-zudraumlngen33 Die aristotelische Elementenlehre weist er als unzureichendesErklaumlrungsmodell fuumlr die Entstehung der koumlrperlichen Dinge zuruumlck und ver-wirft ndash aumlhnlich wie Al-Ġazālī ndash die aristotelische Metaphysik da diese sichauf Hypothesen anstatt auf demonstrative Beweise stuumltze Das hindert ihnjedoch nicht daran bestimmte Elemente der aristotelischen Philosophie ndash wiebeispielsweise die Seelenlehre die er jedoch um eine weitere Stufe naumlmlichdie der bdquoprophetischen Seeleldquo erweitert ndash in seine Argumentation aufzuneh-men Trotz seiner grundsaumltzlichen wenn auch im Rahmen des Werkes nicht
30 Vgl Y Silman Philosopher and Prophet Judah Halevi the Kuzari and the Evolution ofHis Thought Albany 1995 3ndash13 siehe ferner auch H Kreisel Judah Halevirsquos KuzariBetween the God of Abraham and the God of Aristotle in R MunkF J Hoogewoud(Hrsg) Joodse filosofie tussen rede en traditie Kampen 1993 24ndash34
31 Vgl B S Kogan Al-Ghazali and Halevi on Philosophy and the Philosophers in J Inglis(Hrsg) Medieval Philosophy and the Classical Tradition Richmond 2002 64ndash80 N SinaiMenschliche oder goumlttliche Weisheit ndash Zum Gegensatz von philosophischem und religiouml-sem Lebensideal bei al-Ghazali und Yehuda ha-Levi Wuumlrzburg 2003
32 Zu dem Verhaumlltnis der beiden Werke (Absichten der Philosophen und Inkohaumlrenz der Philo-sophen) zueinander siehe auch F Griffel Al-Ghazali in E N Zalta (Hrsg) The StanfordEncyclopedia of Philosophy (Fall 2008 Edition) Stanford 2008
33 Vgl D Schwartz Central Problems in Jewish Philosophy Leiden 2005 hier 171ndash175
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 113
sonderlich tiefbegruumlndeten Ablehnung der aristotelischen Lehre von der(Ur-)Ewigkeit der Welt-Elemente verarbeitet er in seiner Diskussion bezuumlg-lich der Frage der Erschaffenheit der Welt platonische aristotelische und stoi-sche Positionen34
Wenn man so will formuliert Jehudah ha-Lewi im Buch des Chaza-ren(koumlnigs) eine philosophische Kritik an der Philosophie um angesichts deraktuellen existenziellen wie spirituellen Krise des andalusischen Judentumseine genuin juumldische Alternative zu eroumlffnen Der bdquogeringgeschaumltzte Glau-benldquo mag sich historisch-politisch als unbedeutend und schwach erweisenaber aufgrund seiner spezifischen religioumlsen Erfahrungsinhalte ist er der ver-nunftbegruumlndeten Philosophie sowohl bdquowissenschaftlichldquo als auch spirituelluumlberlegen Bereits 1167 wird das Buch des Chazaren(koumlnigs) von Jehudahibn Tibbon (um 1120ndashum 1190) dessen Familie ebenfalls aus Andalusienfliehen musste aus dem Arabischen ins Hebraumlische uumlbersetzt allerdings wirdes rezeptionsgeschichtlich erst ab der Renaissance bedeutsam35
Als Gegenentwurf zu Jehudah ha-Lewis religioumlsem Partikularismus undals explizite Kritik an der neuplatonischen Philosophie Ibn Gabirols kanndas philosophische Hauptwerk Buch des Erhabenen Glaubens (arab Kitābʽaqīda rafīʽa hebr Sefer Emunah Ramah) des ebenfalls aus Andalusien stam-menden Abraham ibn Daud (1110ndash1180) verstanden werden Es ist der erstesystematische Versuch aristotelische Philosophie und juumldische Traditionenmiteinander zu verbinden weshalb Abraham ibn Daud noch vor seinem juumln-geren Zeitgenossen Maimonides als der erste Repraumlsentant eines juumldischenAristotelismus gilt36 Der eigentliche Zweck des Werkes ist das Problem derWillensfreiheit zu ergruumlnden doch Abraham ibn Daud gibt einleitend zu ver-stehen dass dies ohne ein grundlegendes Verstaumlndnis der physikalischen Weltunmoumlglich sei Von daher dient der erste Teil des Buches als eine ausfuumlhrlicheEinfuumlhrung in die zentralen aristotelischen Lehren und deren Begrifflichkei-ten wie beispielsweise die Substanz- die Kategorien- die Hylemorphismus-und die Bewegungslehre Anders als sein Vorgaumlnger Jehudah ha-Lewi folgertAbraham ibn Daud dass es kein spezifisches Verstaumlndnis der Wahrheitengeben kann Religioumlse und wissenschaftliche Wahrheitsanspruumlche unterliegenbeide dem gleichen Kriterium d h ihre Wahrheiten muumlssen demonstrativ
34 Vgl H A Wolfson The Platonic Aristotelian and Stoic Theories of Creation in Halleviand Maimonides in I EpsteinE LevineC Roth (Hrsg) Essays in Honour of the VeryRev Dr J H Hertz on the Occasion of his 70th Birthday London 1942 427ndash442
35 Zur vielschichtigen Rezeptionsgeschichte siehe ausfuumlhrlich A Shear The Kuzari and theShaping of Jewish Identity 1167ndash1900 Cambridge 2008
36 Vgl T A M (Resianne) Fontaine In Defence of Judaism Abraham Ibn Daud Sources andStructure of ha-Emunah ha-Ramah Leiden 1990 A Eran From Simple Faith to SublimeFaith Ibn Daudrsquos Pre-Maimonidean Thought Tel Aviv 1998 (hebr)
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nachgewiesen werden Widerspricht der Offenbarungstext einer demonstra-tiv bewiesenen wissenschaftlichen Erkenntnis muss der Offenbarungstextentsprechend uminterpretiert werden
Es ist bemerkenswert dass ausgerechnet Moses Maimonides (1138ndash1204) Abraham ibn Daud in seinem epochemachenden Wegweiser fuumlr dieVerwirrten37 (arab Dalālat al-hāʼirīn hebr Moreh nevuchim lat Dux Neu-trorum) an keiner Stelle erwaumlhnt obwohl ndash oder gerade vielleicht weil ndash sichihre philosophischen Projekte in zentralen Punkten gleichen Wie schon seinVorgaumlnger beabsichtigt Maimonides zu erklaumlren denjenigen eine Orientie-rung zu geben die aufgrund der scheinbaren Widerspruumlchlichkeiten von Ver-nunfterkenntnis und Offenbarungswissen in einen Zustand der Verwirrunggeraten sind Dabei macht er bereits in der Einleitung zum ersten Buch desWegweiser(s) fuumlr die Verwirrten die grundsaumltzliche Uumlbereinstimmung von re-ligioumlser und Vernunftwahrheit deutlich indem er die bdquoLehre vom Schoumlp-fungswerkldquo (hebr marsquoaseh bereshit) mit der (aristotelischen) Physik und diebdquoLehre von der Thronwagen[-vision Ezechiels]ldquo (hebr marsquoaseh merkavah)mit der aristotelischen Physik bzw Metaphysik identifiziert Er leitet dadurcheine Uumlbersetzung von der Bildsprache der Bibel hin zur wissenschaftlichenBegriffssprache der Philosophie ein wobei Physik und Metaphysik fuumlr ihndie semantischen Schluumlssel sind um die bdquoGeheimnisse des Gesetzesldquo (hebrsitrei torah) zu entschluumlsseln38 Zudem bezeichnet er Aristoteles als dasbdquoHaupt der Philosophenldquo der bezuumlglich seiner Erkenntnisfaumlhigkeit nur vondem bdquoMeister derer die wissenldquo naumlmlich dem Propheten Moses uumlbertroffenwird Mit seiner wegweisenden Erlaumluterung der 25 bzw 26 aristotelischenPraumlmissen mit denen er das zweite Buch und damit die Diskussion um die(Ur-)Ewigkeit der Welt versus ihrer Erschaffenheit ex nihilo einfuumlhrt machtMaimonides deutlich dass Aristoteles hinsichtlich der Erkenntnis der physi-kalischen (sublunaren) Welt das beste wissenschaftliche Erklaumlrungsmodellbietet wohingegen bezuumlglich der metaphysischen Erkenntnis Grenzen gesetztsind die nur durch die Prophetie zugaumlnglich ist Trotz seiner hohen Wert-schaumltzung fuumlr Aristoteles hat Daniel H Frank ndash in Anlehnung an RalphMcInernys Deutung von Thomas von Aquin ndash treffend angemerkt dass Mai-
37 Warum hier anstatt des gebraumluchlichen auf die Uumlbersetzung von Adolf Weiss zuruumlckgehen-den Titels bdquoFuumlhrer der Unschluumlssigenldquo vom bdquoWegweiser fuumlr die Verwirrtenldquo die Rede istsiehe F Musall (Aus-)Wege aus der Wuumlste Moses Maimonides zwischen Philosophie und(Religions-)Gesetz in G Krieger (Hrsg) Herausforderung durch Religion Begegnungender Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance Wuumlrzburg 2011 70ndash83
38 Vgl A Ravitzky The Secrets of Maimonides Between the Thirteenth and the TwentiethCenturies in Ders History and Faith Amsterdam 1997 246ndash303 hier 272
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monides ihn letzten Endes fuumlr seine eigenen Zwecke gebraucht39 was auchseine zahlreichen auf Avicenna basierenden Positionen verdeutlichen40
III Das Verhaumlltnis zu Aristoteles bei Maimonides
Dass sich der Wegweiser fuumlr die Verwirrten und damit der juumldische Aristote-lismus als Paradigma juumldischen Philosophierens etablieren konnte haumlngtauch mit der herausragenden Uumlbersetzungsarbeit von Salomon ibn Tibbon(um 1160ndashum 1232) zusammen der das Werk 1204 ins Hebraumlische uumlber-traumlgt41 Dadurch werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der arabisch-islamischen Philosophie erstmals den Juden in Lateineuropa zugaumlnglich Al-lerdings stand Samuel ibn Tibbon vor der besonderen Herausforderung ei-nen wissenschaftlich-philosophischen Text in eine Sprache zu uumlbersetzen dieuumlber keinerlei dementsprechende Terminologie verfuumlgte Deshalb stand erwaumlhrend des Uumlbersetzungsprozesses in Kontakt mit Maimonides42 In einemepochemachenden Brief formuliert Maimonides schlieszliglich eine Liste jenerBuumlcher die er maszliggeblich fuumlr das Studium der (aristotelischen) Philosophieund damit zum Verstaumlndnis seines eigenen Werkes erachtet Wie Steven Har-vey aufgezeigt hat definiert Maimonides damit nicht nur ein wissenschaft-lich-philosophisches Curriculum sondern uumlbt auch Einfluss auf die Auswahlder Texte aus die in den naumlchsten Jahren aus dem Arabischen ins Hebraumlischeuumlbersetzt werden43 Ausgangspunkt bilden die Physik und die Meteorologiedes Aristoteles nicht zuletzt da laut Maimonides darin dessen grundlegendephilosophische Begriffe und Kategorien definiert werden44 Nicht von unge-
39 Vgl D H Frank Maimonides and medieval Jewish Aristotelism in FrankLeaman Medie-val Jewish Philosophy (wie Anm 12) 136ndash156 hier 143 f
40 Siehe hierzu exemplarisch M Zonta Maimonidesrsquo Knowledge of Avicenna Some TentativeConclusions About a Debated Question in G Tamer (Hrsg) The Trias of MaimonidesDie Trias des Maimonides Jewish Arabic and Ancient Culture of KnowledgeJuumldischearabische und antike Wissenskultur Berlin 2005 211ndash222
41 Zum Uumlbersetzungsprozess des Werkes aus dem Arabischen ins Hebraumlische siehe C Fraen-kel From Maimonides to Samuel Ibn Tibbon The Transformation of the Dalālat Al-HāʼirīnInto the Moreh Ha-Nevukhim Jerusalem 2007 (hebr)
42 Vgl A Ravitzky Samuel ibn Tibbon and the Esoteric Character of the Guide of the Per-plexed in Ders History and Faith (wie Anm 38) 204ndash245 hier 243
43 Vgl S Harvey Did Maimonidesrsquo Letter to Samuel ibn Tibbon Determine Which Philoso-phers Would be Studied by Later Jewish Thinkers Jewish Quarterly Review 83 1992 52ndash70
44 Man beachte auch die besondere semantische Bedeutung die Maimonides der Meteorologiein Bezug auf die Schoumlpfungsfrage beimisst in Wegweiser fuumlr die Verwirrten II 30 siehehierzu auch R Fontaine Meteorology and Zoology in medieval Hebrew Science in G
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faumlhr uumlbersetzt Samuel ibn Tibbon 1210 die Meteorologie als ersten Text desAristoteles aus dem Arabischen ins Hebraumlische was sich allerdings aufgrundder schlechten arabischen Vorlage als schwieriges Unterfangen erweist undnur unter Hinzuziehung der entsprechenden Kommentarliteratur (Alexandervon Aphrodisias Avicenna und Averroes) vollendet werden kann45
In dem Vermittlungsprozess der antiken griechischen bzw arabisch-isla-mischen Philosophie und Wissenschaften kommt den hebraumlischen Uumlberset-zern eine zentrale Rolle zu46 Da Maimonides aristotelische Philosophie zumParadigma des Philosophierens erklaumlrt hat besteht das vornehmliche Interes-se der Uumlbersetzer darin die Werke des Aristoteles oder seiner Kommentato-ren ndash wie Alexander von Aphrodisias Themistius und schlieszliglich Averroes ndasheinem hebraumlisch-sprachigen Publikum zugaumlnglich zu machen47 Dagegen fin-den interessanterweise andere zentrale Schriften der arabisch-islamischenPhilosophietradition wie etwa Avicennas Buch der Genesung (arab Kitābaš-šifāʼ lat Liber de philosophia prima sive scientia divina) anfangs kaumBeachtung
1255 uumlbersetzt schlieszliglich Moses ben Samuel ibn Tibbon (um 1200ndash1283) Samuel ibn Tibbons Sohn Themistiusrsquo Kommentar zum 12 Buch(Lambda) der Metaphysik aus dem Arabischen ins Hebraumlische ferner exis-tiert eine Uumlbersetzung von Al-Fārābīs Kommentar Buch bezuumlglich der Ab-sichten des Aristoteles im Buch der Metaphysik (arab Kitāb fi aghrāḍ Aristofī kitāb mā baʽd at-tabī ʽa) die anonym unter dem Titel Be-khavvanot Aristobe-sifro mah she-akhar ha-tevaʽ erschien
Wenngleich Maimonides in seinem Brief an Ibn Tibbon angibt die Schrif-ten seines Landsmannes und Zeitgenossen Averroes (1126ndash1198) nur ober-flaumlchlich rezipiert zu haben dieser aber als die beste Quelle zum Verstaumlndnisder aristotelischen Schriften gilt etabliert sich im Zuge der Uumlbersetzung ausdem Arabischen ins Hebraumlische jenes Phaumlnomen welches man allgemeinhin
Freudenthal (Hrsg) Science in Medieval Jewish Cultures Cambridge 2012 217ndash229 hier224ndash226
45 Vgl A Ravitzky Aristotlersquos Meteorology and the Maimonidean Modes of Interpreting theAccount of Creation Aleph 8 2008 361ndash400 urspruumlnglich erschienen auf Hebraumlisch inJerusalem Studies in Jewish Thought 9 2 1990 The Shlomo Pines Jubilee Volume 225ndash250 [nachgedruckt in A Ravitzky Maimonidean Essays Jerusalem 2006 139ndash156]
46 Siehe hierzu u a A L Ivry Philosophical Translations from the Arabic into Hebrew duringthe Middle Ages in J HarmesseM Fattori (Hrsg) Rencontres de cultures dans la philoso-phie medieval Louvain-la-Neuve 1990 167ndash186 G Freudenthal Les sciences dans lescommunauteacutes juives meacutedieacutevales de Provence Leur appropration leur rocircle Revue des Etu-des Juives 152 1993 29ndash136
47 Vgl S Harvey Arabic into Hebrew The Hebrew Translation Movement and the Influenceof Averroes upon Jewish Thought in FrankLeaman Medieval Jewish Philosophy (wieAnm 12) 258ndash280 hier 262
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 117
als bdquojuumldischen Averroismusldquo bezeichnet48 So liegen etwa von Averroesrsquo Mitt-lere(m) Kommentar zur Metaphysik gleich drei hebraumlische Versionen vor1258 uumlbersetzt durch Moses ibn Tibbon 1284 von dem Maimonidianer Ze-rachiah ben Shealtiel Chen (vor 1290) in Rom unter dem Titel Mah she-achar ha-tevaʽ und schlieszliglich 1317 von Kalonymus ben Kalonymus aus Ar-les (1286-nach 1328) Dessen Lehrer Moses Lewi ben Salomon von Beau-caire (1 Haumllfte 14 Jh) hat wiederum eine Uumlbersetzung von Averroesrsquo LangerKommentar zur Metaphysik erstellt von der allerdings nur einige wenigehebraumlische Fragmente existieren49
Die besondere Attraktivitaumlt die die averroistische Lehre fuumlr mittelalterli-che juumldische Denker ausmacht erklaumlrt sich durch die fuumlr Averroes moumlglicheVereinbarkeit von Vernunft und religioumlser Erkenntnis was sich in besondersradikaler Form in Isaak Albalags (2 Haumllfte 13 Jh) Buch der Berichtigungder Glaubensmeinungen (hebr Sefer tikkun ha-deʽot) zum Ausdruckkommt50 Das Werk ist im Grunde genommen ein Kommentar zu Al-ĠazālīsAbsichten der Philosophen das Albalag aus dem Arabischen ins Hebraumlischeuumlbersetzte und welches fuumlr ihn die wahre Meinung Al-Ġazālīs repraumlsentiertAlabalag vertritt darin allerdings weniger die Lehre bdquodoppelter Wahrheitldquowie ihm haumlufig zugeschrieben wird sondern beabsichtigt in letzter Konse-quenz eine radikale Trennung von Philosophie und Religion herbeizufuumlhrenso dass die intensiv gefuumlhrten Auseinandersetzungen bezuumlglich Vernunft- undOffenbarungswissen welche wesentlich den philosophischen Diskurs im mit-telalterlichen Judentum ausmachen und praumlgen im Grunde genommen philo-sophisch voumlllig irrelevant sind51 Nach Albalags Verstaumlndnis ist die Aufgabeder Philosophie die theoretischen Wahrheiten zu ergruumlnden waumlhrend dieReligion die praktische Lebensfuumlhrung zum Gegenstand hat Folglich hat Al-balag als bdquojuumldischer Philosophldquo auch keinerlei Schwierigkeiten damit gegenMaimonides fuumlr die Ewigkeit der Welt zu argumentieren52
Eine gemaumlszligigtere Haltung nimmt Lewi ben Gershon (lat Gersonides1288ndash1344) ein53 Dessen Kriege des Herrn (hebr Milchamot ha-Shem) kann
48 O Leaman Jewish Averroism in S H NasrO Leaman (Hrsg) History of Islamic Philo-sophy London 1996 769ndash780
49 Vgl A S HalkinA Saacuteenz-Badillos Translation and Translators in M BerenbaumF Skol-nik (Hrsg) Encyclopaedia Judaica 2nd edition Bd 20 Detroit 2007 94ndash102 hier 97
50 Vgl G Vajda Isaac Albalag ndash Averroiste juif traducteur et annotateur drsquoAl-Ghazali Paris1960
51 Vgl S Feldman An Averroist Solution to a Maimonidean Perplexity Maimonidean Studies4 2000 15ndash30
52 E Schweid The Classic Jewish Philosophers From Saadia Through the Renaissance Leiden2008 321
53 Vgl G Freudenthal (Hrsg) Studies on Gersonides A Fourteenth-Century Jewish Philoso-pher-Scientist Leiden 1992 S Feldman Gersonides Judaism Within the Limits of ReasonPortlandOregon 2010
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als ein kritischer Kommentar zu Maimonidesrsquo Wegweiser fuumlr die Verwirrtenverstanden werden Auch Lewi ben Gershon versucht sich an einer Synthesevon aristotelischer Philosophie und juumldischen Glaubensvorstellungen jedocherweist er sich in vielen Punkten als konsequenterer Aristoteliker als seinVorbild Maimonides Anders als Isaak ist Albalag jedoch auch kein radikalerAverroist was ihm erlaubt durchaus eigenstaumlndige Positionen zu vertretenBeispielsweise versucht er die widerspruumlchlichen Ansichten des Aristotelesund des Maimonides bezuumlglich der goumlttlichen Vorhersehung (nach Aristotelesist es unmoumlglich dass Gott Kenntnis uumlber die Einzeldinge haben kann waumlh-rend eben dies nach der in eine allgemeine und eine spezielle Vorhersehungunterteilten Vorhersehungslehre des Maimonides durchaus moumlglich ist) da-durch nahezubringen indem er argumentiert dass Gott die Einzeldinge auf-grund ihrer Ordnung kennen kann54
Ein weiterer prominenter Vertreter dieser Stroumlmung ist schlieszliglich MosesNarboni (um 1300ndash1362)55 der in seinem Kommentar zum Wegweiser fuumlrdie Verwirrten (hebr Biʼur le-moreh nevukhim) Maimonides konsequent imSinne des Averroes interpretiert und sich insbesondere gegen die neuplato-nisch-avicennistischen Tendenzen im maimonidischen Denken richtet56
IV Die weitere Verbreitung der aristotelischen Lehrenbis zum 15 Jahrhundert
Es sind aber nicht nur Uumlbersetzungen und Kommentarliteratur die zu einerweiten Verbreitung der aristotelischen Lehren beitragen Im Verlauf des13 Jahrhunderts finden Bestrebungen statt mittels wissenschaftlicher Enzy-klopaumldien das philosophische Wissen zu popularisieren57 Jehudah ben Salo-
54 Vgl N M Samuelson Gersonidesrsquo Account of Godrsquos Knowledge of Particulars Journalof the History of Philosophy 10 1972 399ndash416 T M Rudavsky Divine OmniscienceContingency and Prophecy in Gersonides in Dies (Hrsg) Divine Omniscience and Omni-potence in Medieval Philosophy Dordrecht 1984 161ndash181 S Klein-Braslavy Determi-nism Possibility Choice and Foreknowledge in Ralbag Darsquoat 22 1989 4ndash53 C H Man-kin On the Limited-Omniscience Interpretation of Gersonidesrsquo Theory of Divine Knowl-edge in E R WolfsonA L IvryA Arkush (Hrsg) Perspectives on Jewish Thought andMysticism Amsterdam 1998 135ndash170
55 Vgl M-R Hayoun La Philosophie et la theacuteologie de Moiumlse de Narbonne Tuumlbingen 198956 Vgl H A Davidson Averroes and Narboni on the material intellect AJS Review 9 1984
175ndash18457 Vgl S Harvey (Hrsg) Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy Am-
sterdam 2007 bezuumlglich der Rezeption der Metaphysik im Rahmen dieser enyklopaumldischenProjekte siehe darin M Zonta The place of Aristotelian metaphysics in the thirteenth-century 414ndash426
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mon ha-Kohen Matkah (1 Haumllfte 13 Jh) praumlsentiert in seiner Erlaumluterungder Wissenschaft (hebr Midrash ha-chokhmah) eine erste systematische Dar-stellung der aristotelischen Physik und Metaphysik in averroistischer Deu-tung58 Um 1270 legt der spanische Maimonides-Kommentator und Uumlberset-zer Shem Tov ben Josef ibn Falaquera (um 1225ndashum 1295) unter dem TitelMeinungen der Philosophen (hebr Deʽot ha-filosofim) eine enzyklopaumldischeTextsammlung vor die eigens von ihm aus dem Arabischen ins Hebraumlischeuumlbersetzte Auszuumlge aus den naturwissenschaftlichen und metaphysischenWerken von Aristoteles und seinen Kommentatoren (u a Alexander vonAphrodisias Themistius Al-Fārābī Avicenna Averroes) enthaumllt und damitals umfassendes Kommentarwerk zur aristotelischen Philosophie fungiert59
Ein aumlhnliches bdquoaufklaumlrerischesldquo Vorhaben verfolgt auch Lewi ben Abrahamben Chajim von Villefranche (1235-nach 1305) mit seinem enzyklopaumldischenWerk Strophen uumlber Broschen und Anhaumlnger (hebr Battei ha-nefesh ve-le-chashim) in welchem er sich in zehn Buumlchern mit Fragen der Ethik LogikbdquoSchoumlpfungs[-werk]ldquo (hebr maʽaseh bereshit) Psychologie bdquoThronwagen[-vision]ldquo (hebr maʽaseh merkavah) Prophetie Mathematik Physik Astrono-mie und Astrologie sowie Metaphysik im Sinne des Maimonides auseinander-setzt60
Zudem finden die auf der aristotelischen Philosophie basierenden wissen-schaftlichen Erkenntnisse auch in den mittelalterlichen juumldischen Bibelkom-mentaren Niederschlag wie etwa bei Zerachiah ben Shealtiel Chen Immanu-el ben Salomon von Rome (1261ndashnach 132835) oder Jehuda Romano61 (um1293ndashnach 1330) in Italien oder auch bei eher der aufkommenden Kabbalahzugewandten Denkern wie Isaak ibn Latif (um 1210ndash1280) und Moses benNachman (lat Nachmanides 1194ndash1270)62
58 Vgl R Fontaine The first survey of the Metaphysics in Hebrew in R FontaineR GlasnerR LeichtG Veltri (Hrsg) Studies in the History of Science and Culture A Tribute to GadFreudenthal Leiden 2011 265ndash282 dies The early reception of Aristotle through Averroesin medieval Jewish philosophy the case of the Midrash ha-Hokhmah in A M I VanOppenraaij (Hrsg) The Letter before the Spirit The importance of text editions for thestudy of the reception of Aristotle (Aristoteles Semitico-Latinus) Leiden 2012 211ndash226
59 Vgl S Harvey Shem-Tov Falaquerarsquos Deʽot ha-filosofim Its Sources and Use of Sourcesin Ders (Hrsg) Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy Amsterdam2007 191ndash210
60 Vgl W Z Harvy Levi ben Abraham of Villefranchersquos Controversial Encyclopedia inS Harvey (Hrsg) Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy Amster-dam 2007 171ndash178
61 Vgl C Rigo The Beʽurim on the Bible of Rabbi Jehudah Romano ndash The PhilosophicalMethod which comes out of them their Sources in Jewish Philosophy and in ChristianScholasticism Dissertation 2 Bde Jerusalem 1996
62 Vgl J T Robinson Philosophy and Science in Mediaeval Jewish Commentaries on theBible in Freudenthal Science in Medieval Jewish Cultures (wie Anm 44) 454ndash475
120 Frederek Musall
Mit dem Aufkommen der sogenannten bdquohebraumlischen Scholastikldquo die imVerlauf des 14 und 15 Jahrhunderts in Italien und Spanien entsteht und denauf den Kommentaren des Averroes basierenden juumldischen Aristotelismus alszentrales Modell des juumldischen Philosophierens abloumlst entwickelt und etab-liert sich ein auf anderen philosophischen Voraussetzungen gruumlndender Zu-gang zur aristotelischen Philosophie63 Thomas von Aquin und William vonOckham treten hier nun an die Stelle von Maimonides und insbesondereAverroes Vorlaumlufer dieser Bewegung ist Hillel ben Samuel ben Elazar vonVerona (um 122030ndash1295) dessen Buch vom Lohn der Seele (hebr Sefertagmulei ha-nefesh) von christlichen Philosophen wie Dominicus GundisalviAlbertus Magnus und Thomas von Aquin beeinflusst ist64 Hillel verteidigtzwar waumlhrend des Maimonides-Streits von 1289ndash90 die philosophische Leh-re des Maimonides tritt zugleich aber als ein entschiedener Gegner der aver-roistischen Position auf wie sie von seinem Freund Zerachiah ben ShealtielChen aus Rom vertreten wird65
Ein verstaumlrktes Interesse an den philosophischen Diskursen der lateini-schen Scholastik fuumlhrt zu einer zweiten Uumlbersetzungsbewegung diesmal ausdem Lateinischen ins Hebraumlische66 Unter den zahlreichen Schriften die Jehu-da Romano aus dem Lateinischen ins Hebraumlische uumlbersetzt67 befindet sichauch der Metaphysikkommentar von Alexander Bonini von Alessandria (um1270ndash1314)68 Der Spanier Elijah ben Josef Chabillo (oder Habillo taumltig um
63 Vgl M Zonta Hebrew Scholasticism in the Fifteenth Century A History and Source Book(Amsterdam Studies in Jewish Thought) Dordrecht 2006 1 siehe auch T M RudavskyThe Impact of Scholasticism upon Jewish Philosophy in the fourteenth and fifteenth centu-ries in FrankLeaman Medieval Jewish Philosophy (wie Anm 12) 345ndash370
64 Vgl Y Schwartz Die Seelenlehre des Hillel aus Verona Aristotelische Psychologie zwischenMaimonismus und Thomismus in M Lutz-BachmannA FidoraP Antolic (Hrsg) Er-kenntnis und Wissenschaft Probleme der Epistemologie in der Philosophie des MittelaltersKnowledge and Science Problems of Epistemology in Medieval Philosophy Berlin 2004253ndash264 ders Einleitung in Y Schwartz (Hrsg u Uumlbers) Hillel von Verona Die Vollen-dung der SeeleTagmule ha-nefesh Freiburg i Br 2009 9ndash48
65 Vgl A Ravitzky The Thought of R Zerahiah b Isaac b Shealtiel Hen and the Maimoni-dean-Tibbonian Philosophy in the 13th Century Dissertation Jerusalem 1977
66 Vgl G Freudenthal Arabic and Latin Cultures as Resources for the Hebrew TranslationMovement Comparative Considerations Both Quantitative and Qualitative in DersScience in Medieval Jewish Cultures (wie Anm 44) 74ndash105 Siehe ferner auch die Arbeitender internationalen Forschergruppe bdquoLatin into Hebrew ndash Intercultural Networks in 13th
and 14th Century Europeldquo unter httpgrupsderecercauabcatlatintohebrew67 Vgl W Z Harvey Knowledge of God in Aquinas Judah Romano and Crescas Jerusalem
Studies in Jewish Thought 14 1998 223ndash238 S Pines Scholasticism after Thomas Aqui-nas and the Teachings of Hasdai Crescas and His Predecessors Proceedings of the IsraelAcademy of Science and Humanities I 10 1967 1ndash101
68 Vgl C Rigo Yehudah b Mosheh Romano traduttore degli Scolastici latini Henoch 171995 141ndash170 insb 161ndash164
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 121
1465ndash1480) uumlbersetzt die Quaestiones super XII libros Metaphysicorum desDuns Scotus-Schuumllers Antonius Andreas (um 1280ndash1320) und besorgt eineUumlbersetzung des Buches I (Alpha major) der Metaphysik auf Grundlage derlateinischen Uumlbersetzung von William von Moerbeke (1215ndash1286) Um 1485fertigt schlieszliglich Baruch b Jaʽish (taumltig um 1480ndash1490) ebenfalls eine aufdem Text von William von Moerbeke basierende hebraumlische Uumlbersetzung derBuumlcher IndashXII der Metaphysik fuumlr Samuel Sarfati (gest 1519) Gemeindevor-stand der juumldischen Gemeinde von Rom und Leibarzt Papst Clemens VII(reg 1523ndash1534) an69 Und Thomas von Aquins Commentarii in Metaphysi-cam Aristotelis wird schlieszliglich 1490 von Abraham Nechemiah ben Josef(Ende 15 Jh) ins Hebraumlische uumlbertragen Neben den Uumlbersetzungen entste-hen auch von der lateinischen Scholastik gepraumlgte Kommentare wie das vondem spanisch-juumldischen Philosophen Abraham ben Shem Tov Bibago (oderBibag taumltig um 1446ndash1489) verfasste Kommentar zu Averroesrsquo Mittlere(m)Kommentar zur Metaphysik welcher wiederum auf der hebraumlischen Uumlberset-zung von Kalonymus ben Kalonymus beruht70
Mit dem Aufkommen der verstaumlrkt wieder neuplatonische Elemente auf-greifenden Kabbalah etabliert sich eine weitere intellektuelle juumldische Alter-native die mit dem juumldischen Aristotelismus (insbesondere averroistischerPraumlgung) in Konkurrenz tritt71 Dieser Diskurs spiegelt sich exemplarischauch in dem komplexen dogmatischen Werk Licht des Herrn (hebr Or Ha-shem) von Chasdai Kreskas (um 1340ndash141011) wieder der in seinem Den-ken sowohl aristotelische scholastische und kabbalistische Elemente verar-beitet72 Kreskasrsquo erklaumlrte Absicht ist es die juumldische Religion von dem aristo-telischen Weltbild zu befreien an das sie seiner Meinung nach Maimonidesin dem einleitenden Buch der Erkenntnis (hebr Sefer ha-maddaʽ) seines Reli-gionskodex Wiederholung der Lehre (hebr Mishneh Torah) gebunden hatTrotz seiner innovativen Kritik der aristotelischen Physik in der er die Exis-
69 Vgl M Steinschneider Die hebraumlischen Uumlbersetzungen des Mittelalters und die Juden alsDolmetscher Berlin 1893 (Neudruck Graz 1956) 157 f zu Baruch ibn Jaʽish siehe auchZonta Hebrew Scholasticism (wie Anm 63) 109ndash115
70 Vgl Steinschneider Die hebraumlischen Uumlbersetzungen (wie Anm 69) 168ndash171 Zonta He-brew Scholasticism (wie Anm 63) 36
71 Vgl H Tirosh-Samuelson Kabbalah and Science in the Middle Ages Preliminary Remarksin Freudenthal Science in Medieval Jewish Cultures (wie Anm 44) 476ndash510
72 Vgl H A Wolfson Crescas Critique of Aristotle CambridgeMassachusetts 1929 W ZHarvey Physics and Metaphysics in Hasdai Crescas Amsterdam 1998 J T RobinsonHasdai Crescas and anti-Aristotelianism in FrankLeaman Medieval Jewish Philosophy(wie Anm 12) 391ndash413 bezuumlglich seiner kabbalistischen Einfluumlsse siehe W Z HarveyKabbalistic Elements in Crescasrsquo Light of the Lord Jerusalem Studies in Jewish Thought 21982 75ndash109 N Ophir The Secret of the Kaddish ndash A Kabbalistic Text Attributed to RavHasdai Crescas Daʽat 46 2001 13ndash28
122 Frederek Musall
tenz des Vakuums beweist erweist sich Kreskas bezuumlglich der Methoden sei-ner Kritik als noch zu tief im juumldischen Aristotelismus verwurzelt um dieintendierte Abkehr davon zu vollziehen
Als letzter bedeutender Vertreter eines juumldischen Aristotelismus gilt derjuumldische Renaissance-Philosoph Elijah Delmedigo (ca 1458ndash93)73 der alsPrivatlehrer und Uumlbersetzer in Diensten von Giovanni Pico della Mirandola(1463ndash1494) stand Allerdings konnte er dessen Revitalisierung der platoni-schen Philosophie sowie den diesbezuumlglichen Harmonisierungsbestrebungenmit der aristotelischen Philosophie nur wenig abgewinnen
Allerdings wird sein von Averroesrsquo Maszliggebliche(r) Abhandlung (arabFasl al-maqāl) beeinflusstes philosophisches Hauptwerk Pruumlfung des Glau-bens (hebr Bechinat ha-dat) welches die Frage der Vereinbarkeit von Philo-sophie und juumldischem Religionsgesetz zum Gegenstand hat spaumlter von Ba-ruch Spinoza (1632ndash1677) aufgegriffen74
V Fazit
Zusammenfassend laumlsst sich festhalten dass die Metaphysik des Aristotelestiefe Spuren in der mittelalterlichen juumldischen Philosophie hinterlassen hatwenngleich sie meistens in Form von Kommentarliteratur und Paraphrasenrezipiert wurde die dann spaumlter auch vom Arabischen ins Hebraumlische uumlber-tragen wurden Erst mit dem Aufschwung der bdquohebraumlischen Scholastikldquokommt es verstaumlrkt zu direkten Uumlbersetzungen aus dem Lateinischen diehaumlufig als Auszuumlge in die mittelalterlichen juumldischen Enzyklopaumldien eingear-beitet werden Wenngleich Maimonides als maszliggeblicher Initiator und seinUumlbersetzer Samuel ibn Tibbon als Katalysator eines juumldischen Aristotelismusausgemacht werden koumlnnen existieren seit dem Ende des 13 Jahrhundertszwei unterschiedliche Rezeptionslinien der aristotelischen Philosophie eine
73 Vgl A L Ivry Remnants of Jewish Averroism in the Renaissance in Cooperman B D(Hrsg) Jewish Thought in the Sixteenth Century CambridgeMassachusetts 1983 243ndash265 A L Motzkin Elia del Medigo Averroes and Averroism Italia 6 1987 7ndash20 K PBland Elijah Del Medigo Unicity of Intellect and Immortality of Soul Proceedings of theAmerican Academy for Jewish Research 61 1995 1ndash22 C Fraenkel Reconsidering theCase of Elijah Delmedigorsquos Averroism and its Impact on Spinoza in A A AkasoyGGiglioni (Hrsg) Renaissance Averroism and its Aftermath Arabic Philosophy in EarlyModern Europe Dordrecht 2013 213ndash236
74 Vgl C Fraenkel Der Status der Theologie Von der Magd der Philosophie zu einer unab-haumlngigen Disziplin im Renaissance-Averroismus und bei Spinoza in H Busche (Hrsg)Departure for Modern Europe A Handbook of Early Modern Philosophy (1400ndash1700)Hamburg 2011 564ndash576
bdquoMarsquoaseh merkavah ist Metaphysikldquo 123
die sich an den Kommentaren des Averroes orientiert und die andere an denAutoren der lateinischen Scholastik Jedoch entsteht im 13 Jahrhundert inSpanien mit der Kabbalah ein konkurrierendes und dem Selbstanspruch nachgenuines Modell juumldischen Philosophierens das in den folgenden Jahrhun-derten zunehmend an Bedeutung gewinnt Auch die juumldischen Renaissance-Philosophen nach Elijah del Medigo wenden sich anderen philosophischenStroumlmungen hin75
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Zonta M Hebrew Scholasticism in the Fifteenth Century A History andSource Book (Amsterdam Studies in Jewish Thought) Dordrecht 2006
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritikdes Dominicus Gundissalinus (ca 1150)
Alexander Fidora
I Einfuumlhrung
Fuumlr die Geschichte der Metaphysik am Vorabend der Aristoteles-Rezeptionist Dominicus Gundissalinus aus zwei Gruumlnden von zentraler Bedeutung
Zum einen uumlbersetzte der Toledaner Gelehrte in der Mitte des 12 Jahr-hunderts eine Reihe metaphysisch hoch relevanter Texte aus dem Arabischenins Lateinische namentlich Ibn Gabirols Fons vitae al-Ġazālīs Summa theo-ricae philosophiae d h die Maqāsid al-falāsifa sowie vor allem AvicennasLiber de philosophia prima sive scientia divina aus dessen Kitāb aš-šifāʾ
Zum anderen befasste sich Gundissalinus auch in seinen eigenstaumlndigenWerken mit spezifischen metaphysischen Fragen so z B in seiner Schrift Deprocessione mundi die in Auseinandersetzung mit lateinischen und arabisch-juumldischen Autoren einen beeindruckenden kosmologischen Entwurf vorlegt1
sowie ferner in dem lange Zeit dem Boethius zugeschriebenen KurztraktatDe unitate et uno in dem Gundissalinus in Orientierung an Ibn Gabirol seineLoumlsung des Form-Materie-Problems entwickelt2
Die systematischste Behandlung der Metaphysik qua Wissenschaft findetsich freilich in seiner wirkmaumlchtigen Enzyklopaumldie De divisione philosophi-ae3 die ausdruumlcklich zwischen theologischem und philosophischem Wissen
1 Nicht von Ungefaumlhr hat De processione mundi in den vergangenen Jahren viel Aufmerksam-keit erfahren und liegt unterdessen in einer kritischen Edition mit spanischer Uumlbersetzungvon M J Soto Bruna und C Alonso del Real (De processione mundi Pamplona 1999)sowie in einer englischen Uumlbersetzung von J A Laumakis (The Procession of the WorldMilwaukee 2002) vor
2 Eine deutsch-lateinische Ausgabe des Textes findet sich in A FidoraA Niederberger VomEinen zum Vielen ndash Der neue Aufbruch der Metaphysik im 12 Jahrhundert Frankfurt amMain 2002 66ndash79
3 Dominicus Gundissalinus De divisione philosophiae ndash Uumlber die Einteilung der Philosophie(Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters Bd 11) hrsg v A FidoraD WernerFreiburg i Br 2007
132 Alexander Fidora
unterscheidet um sich exklusiv Letzterem zu widmen4 Auch fuumlr diese Schriftbilden arabisch-juumldische Quellen den Hintergrund namentlich al-Fārābī Avi-cenna und al-Ġazālī die mit den maszliggeblichen Quellen der lateinischen Tra-dition v a boethianischer Provenienz zusammengebracht werden Dabeigruumlndet die philosophiegeschichtliche Bedeutsamkeit von De divisione philo-sophiae v a darin dass das Werk mit seiner Synthese eine Vielzahl neuerWissenschaften in die lateinische Philosophie einfuumlhrt etwa die Politik aberv a die Metaphysik die Gundissalinus als erster (lateinischer) Denker alsTitel einer Disziplin und nicht eines Werkes versteht Charakteristisch fuumlrseine Darstellung der Wissenschaften zumal der Metaphysik ist sein dezi-diertes Interesse daran wie sich Selbstaumlndigkeit und wechselseitiger Zusam-menhang der verschiedenen Disziplinen zugleich denken lassen5
Die folgenden Ausfuumlhrungen strukturieren sich entsprechend in drei Tei-le ein erster begriffsgeschichtlicher Anlauf soll zeigen wie Gundissalinus dieMetaphysik erstmalig als Titel einer Disziplin interpretiert ein zweiter Schrittanalysiert die wissenschaftstheoretische Grundlegung der Metaphysik alsselbstaumlndiger Wissenschaft im Metaphysik-Kapitel von De divisione philoso-phiae mit einem besonderen Blick auf Gundissalinusrsquo Kritik an der Theolo-gik des 12 Jahrhunderts ein dritter Schritt ruumlckt schlieszliglich einen zentralenwenngleich kaum beachteten Text aus der Divisionsschrift in den Fokus desInteresses naumlmlich eine von Gundissalinus in sein Werk inkorporierte Uumlber-setzung aus Avicennas Kitāb al-burhān worin die diffizile Frage der Unter-ordnung der uumlbrigen philosophischen Disziplinen unter die Metaphysik ver-handelt wird
II Dicitur metaphysica id est post naturam
Wie allgemein bekannt wurde der Titel μετὰ τὰ φυσικά von Andronikos vonRhodos in seiner um die Mitte des 1 Jahrhunderts vor Christus besorgtenEdition des aristotelischen Corpus eingefuumlhrt um jene Buumlcher zu bezeichnenderen Inhalt Aristoteles selbst unter den Begriff der Weisheit oder der ersten
4 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 54 Honesta autem scientia alia est divina aliahumana Divina scientia dicitur quae Deo auctore hominibus tradita esse cognoscitur []Humana vero scientia appellatur quae humanis rationibus adinventa esse probatur ut om-nes artes quae liberales dicuntur
5 Vgl zu Gundissalinusrsquo Wissenschaftstheorie wie sie in De divisione philosophiae entwickeltwird A Fidora Die Wissenschaftstheorie des Dominicus Gundissalinus ndash Voraussetzungenund Konsequenzen des zweiten Anfangs der aristotelischen Philosophie im 12 JahrhundertBerlin 2003
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 133
Philosophie bzw Theologik stellte μετὰ τὰ φυσικά bezeichnete so zunaumlchstden bibliographischen Ort eines Textzusammenhangs den Andronikos vonRhodos nach den Buumlchern der Physik edierte
Die spaumltantike griechische Tradition von Alexander von Aphrodisiasuumlber Themistius bis Ammonios blieb dieser bibliographischen Traditiontreu Mehr noch Auch auszligerhalb des griechischen Schrifttums sollte die Be-zeichnung μετὰ τὰ φυσικά im Sinne dessen was in der editorischen Dispositi-on nach der Physik kommt dominant bleiben dies gilt sowohl fuumlr den latei-nischen Kulturraum als auch fuumlr die arabische falsafa6
Bei Boethius etwa dem fuumlr die fruumlhe lateinische Metaphysik-Traditionmaszliggeblichen Autor tritt der Ausdruck μετὰ τὰ φυσικά vier Mal in Erschei-nung davon zwei in seinem Kommentar zu De interpretatione und zwei inseinem Kategorien-Kommentar In allen vier Faumlllen wird die Bezeichnung desAndronikos von Rhodos den Boethius verehrungsvoll als bdquogenauen undsorgfaumlltigen Richter und Sammler der Buumlcher des Aristotelesldquo apostrophiert7
bdquoagrave la lettreldquo uumlbernommen und zwar nicht im Sinne des Namens einer Diszip-lin sondern als rein bibliographische Sammelbezeichnung fuumlr die metaphysi-schen Buumlcher8
Dort wo Boethius hingegen die Metaphysik als Wissenschaft adressiertbedient er sich konsequent eines anderen Begriffs naumlmlich desjenigen derTheologie So heiszligt es etwa in seinem Porphyrios-Kommentar dass es dreitheoretische Wissenschaften gibt naumlmlich die Naturwissenschaft die Mathe-matik sowie eine dritte welche sich mit der speculatio dei und der considera-tio animi befasst quam partem graeci θεολογiacuteαν nominant9 Letztere Bezeich-nung im Porphyrios-Kommentar in griechischen Buchstaben findet sich lati-
6 Die folgenden Ausfuumlhrungen zur Genealogie des Begriffs der Metaphysik schlieszligen eng andie leider viel zu wenig bekannten Arbeiten von I Peacuterez Fernaacutendez an vgl I Peacuterez Fernaacuten-dez Verbizacioacuten y nocionizacioacuten de la metafiacutesica en la tradicioacuten siro-aacuterabe Pensamiento31 1975 245ndash271 ders Verbizacioacuten y nocionizacioacuten de la metafiacutesica en la tradicioacutenlatina Estudios filosoacuteficos 24 1975 161ndash222 sowie zusammenfassend ders Influjo delaacuterabe en el nacimiento del teacutermino latino-medieval metaphysica in S Goacutemez Nogales(Hrsg) Actas del V Congreso Internacional de Filosofiacutea Medieval 2 Bde Madrid 1979hier Bd 2 1099ndash1107
7 Boethius Commentarii in librum Aristotelis ΠΕΡΙ HERMENEIAΣ hrsg v C Meiser Leip-zig 18761880 I 11 exactum diligentemque Aristotelis librorum et iudicem et repertorem
8 Vgl Boethius In Categorias Aristotelis (MPL 64) III 252 u 262 Quae vero hic desuntin libros qui μετὰ τὰ φυσικά inscribuntur [Aristoteles] apposuit und De omnibus [praedi-camentis] quidem altius subtiliusque in his libris quos μετὰ τὰ φυσικά vocavit exquiriturSowie Boethius Commentarii in librum Aristotelis ΠΕΡΙ HERMENEIAΣ (wie Anm 7) II5 102 (1880) Et de eo disputat [Aristoteles] in his libris quos μετὰ τὰ φυσικά inscripsitquod est opus philosophi primum I 5 74 (1876) Quae autem causa sit ut una sit ipse[Aristoteles] discere distulit sed in libris eius operis quod μετὰ τὰ φυσικά inscribitur expe-diet
9 Boethius In Isagogen Porphyrii commenta hrsg v S Brandt Leipzig 1906 ed prima I 3 8
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nisiert in Boethiusrsquo Opuscula sacra wieder genauerhin in der bekanntenEinteilung der theoretischen Wissenschaften aus dem Trinitaumltstraktat wo esheiszligt [hellip] tres sint speculativae partes naturalis [hellip] mathematica [hellip]theologica10
Ganz klar zeigt sich so bei Boethius dass der Ausdruck μετὰ τὰ φυσικάin einem strikt bibliographischen Kontext seine Verwendung findet waumlhrendfuumlr die sachliche Diskussion der Gegenstaumlnde der metaphysischen Buumlcher deraristotelische Begriff der Theologie bzw Theologik reserviert ist Es ist dieseNomenklatur aus den Opuscula sacra die fuumlr die lateinischen Philosophenund Theologen der folgenden Zeit bis hin zur ersten lateinischen Uumlbersetzungder metaphysischen Buumlcher im 12 Jahrhundert durch Jakob von Venedig ndashund sogar noch daruumlber hinaus ndash Geltung behalten sollte Zu nennen sindhier vor allem die Chartreser Autoren ndash also Gundissalinusrsquo unmittelbareZeitgenossen ndash die in ihrer Boethius-Kommentierung ausfuumlhrlich auf die Me-taphysik als Wissenschaft eingehen dabei befleiszligigen sich Thierry von Char-tres Gilbert von Poitiers und Clarembald von Arras der boethianischen Ter-minologie und sprechen durchweg von theologi(c)a11
Diese hier nur skizzenhaft durchgefuumlhrte begriffsgeschichtliche Rekons-truktion der lateinischen Tradition weist erstaunliche Parallelen mit der ter-minologischen Entwicklung im arabischen Raum auf Aristotelesrsquo metaphysi-sche Buumlcher wurden fruumlher als im lateinischen Westen uumlbertragen Die ersteUumlbersetzung fertigte Astāt im 9 Jahrhundert im Auftrag al-Kindīs an einJahrhundert spaumlter folgte die Uumlbersetzung Ishāq ibn Hunains vermutlich aufder Grundlage der von seinem Vater angefertigten syrischen UumlbertragungAuf den Titel der Schrift beziehen sich die arabischen Autoren entweder intransliterierter Form als matātāfusīyqā oder aber in Uumlbersetzung als mā baʿdat-tabīʿa also das was nach der Natur ist Letztere Bezeichnung findet sichetwa in dem auch und gerade fuumlr die lateinische Tradition auszligerordentlichbedeutsamen Werk Kitāb ihsāʾ al-ʿulūm des al-Fārābī das von Gundissalinusins Lateinische uumlbersetzt wurde und explizit auf Aristotelesrsquo Kitāb fimā at-tabīʿa Bezug nimmt12 Zugleich jedoch und hierin liegt die bemerkenswerteParallele zwischen lateinischer und arabischer Tradition gelingt es diesenAdaptationen des griechischen μετὰ τὰ φυσικά nicht sich als Bezeichnung der
10 Boethius Die theologischen Traktate uumlbers eingel u mit Anm versehen v M ElsaumlsserHamburg 1988 tr I II 6 u 8
11 Vgl Thierry von Chartres Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and HisSchool hrsg v N M Haumlring Toronto 1971 bes II 27 163 Gilbert von Poitiers TheCommentaries on Boethius by Gilbert of Poitiers hrsg v N M Haumlring Toronto 1966bes II 9 80 sowie Clarembald von Arras Life and Works of Clarembald of Arras ATwelfth-Century Master of the School of Chartres hrsg v N M Haumlring Toronto 1965bes II 16 112
12 Vgl al-Fārābī Cataacutelogo de las ciencias hrsg v a Gonzaacutelez Palencia Madrid 21953 87
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Wissenschaft zu etablieren von der die metaphysischen Buumlcher des Aristote-les handeln Hier setzt sich allmaumlhlich uumlber al-Kindī al-Fārābī bis zu Avicen-na der Begriff al-lsquoilm al-ilāhī durch also eben die Wissenschaft von den goumltt-lichen Dingen im Sinne von Aristotelesrsquo Theologik bzw der theologi(c)a derlateinischen Autoren So bezieht sich al-Fārābīs Kitāb ihsāʾ al-ʿulūm zwarwie soeben erwaumlhnt auf Aristotelesrsquo Kitāb fimā at-tabīʿa also auf das Buchdessen was nach der Natur kommt bezeichnet die entsprechende Wissen-schaft allerdings als al-lsquoilm al-ilāhī als Wissenschaft von den goumlttlichen Din-gen13
Die lateinische und arabische Rezeptionsgeschichte von Aristotelesrsquo Ers-ter Philosophie teilen damit das Geschick eines zweifachen Bezugs auf dieMetaphysik je nachdem ob es sich um Aristotelesrsquo so genannte Schrift han-delt oder aber um die in dieser entfaltete Wissenschaft Die Gruumlnde hierfuumlrkoumlnnen nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein allerdings gilt es anzu-merken dass in der aristotelischen Architektonik der Wissenschaften die bib-liographische Einordnung der metaphysischen Buumlcher nach der Physik unbe-friedigend oder doch zumindest kontingent ist denn die systematische Klassi-fikation der Wissenschaften anhand ihrer Objektbereiche positioniert dieMetaphysik klarerweise nach der Mathematik nicht nach der Physik Sogesehen ist es wahrscheinlich kein schierer Zufall dass sowohl die lateinischeals auch die arabische Tradition dem Begriff der Theologik trotz all seinerAmbivalenz zunaumlchst den Vorzug geben wenn es darum geht die Metaphy-sik als Wissenschaft anzusprechen
Dies ist der intellektuelle Hintergrund vor dem Gundissalinus um 1150seine Divisionsschrift verfasst ndash und nicht nur der passive Hintergrund viel-mehr sind die genannten Autoren und Diskussionszusammenhaumlnge nament-lich die Boethius-Rezeption der Chartreser einerseits sowie al-Fārābī und Avi-cenna andererseits die direkten Bezugsgroumlszligen in Auseinandersetzung mitdenen er seine Wissenschaftseinteilung entwickelt14
Umso bemerkenswerter ist es dass De divisione philosophiae den Ur-sprung der Metaphysik als Bezeichnung einer Wissenschaft markiert dennals solche findet sie sich weder in der griechischen noch in der lateinischenoder arabischen Tradition Es ist das Verdienst des Toledaner Gelehrten den
13 Ebd 8714 Gundissalinusrsquo Abhaumlngigkeit von arabischen Quellen ist unumstritten Weniger bekannt
ist seine Verbindung mit dem Chartreser Kontext bzw allgemein mit dem franzoumlsischenintellektuellen Milieu Und dies obwohl N M Haumlring hierauf schon vor geraumer Zeithingewiesen hat Thierry of Chartres and Dominicus Gundissalinus Mediaeval Studies 261964 271ndash286 vgl ferner meinen Beitrag Le deacutebat sur la creacuteation Guillaume de Conchesmaicirctre de Dominique Gundisalvi in B ObristI Caiazzo (Hrsg) Guillaume de ConchesPhilosophie et science au XIIe siegravecle Florenz 2011 271ndash288
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bibliographischen Titel μετὰ τὰ φυσικά so ins Lateinische gebracht zu habendass er zu einem weiblichen Substantiv des Singulars wird womit er sichden Bezeichnungen der uumlbrigen Wissenschaften wie Physik (physica) oderMathematik (mathematica) annaumlhert
So heiszligt es gleich zu Beginn seiner Divisionsschrift in deren Prolog
bdquoDer erste Teil der Einteilung aber heiszligt Physik (physica) oder Naturwis-senschaft (naturalis) welcher der erste und unterste ist der zweite [Teil]heiszligt Mathematik (mathematica) oder lernmaumlszligige Wissenschaft (discipli-nalis) welcher der mittlere ist der dritte [Teil] heiszligt Theologie (theolo-gia) erste Wissenschaft (scientia prima) erste Philosophie (philosophiaprima) oder Metaphysik (metaphysica) Und deswegen sagt Boethiusdass die Physik nicht abstrakt und mit Bewegung [verbunden] ist dieMathematik abstrakt und mit Bewegung [verbunden ist] die Theologiejedoch abstrakt und ohne Bewegung istldquo15
Ganz klar greift Gundissalinus hier die boethianische Einteilung der Wissen-schaften aus dessen Trinitaumltstraktat auf die er mit seiner Avicenna-Lektuumlreverbindet wie der Begriff der prima philosophia suggeriert den er aus seinerUumlbersetzung der Ersten Philosophie aus Avicennas Šhifārsquo uumlbernimmt16 Dochbringt er nicht nur beide Traditionsstraumlnge zusammen sondern uumlberbietetsie eben indem er den Begriff metaphysica als ein substantivum femininumformuliert
Dass es Gundissalinus mit der Bezeichnung der Ersten Philosophie alsmetaphysica im nicht-bibliographischen sondern sachlichen Sinne ernst istbestaumltigt ein Blick in das Metaphysik-Kapitel seiner Divisionsschrift Zwarsteht dieses unter dem traditionellen Titel De scientia divina doch heiszligt esauch hier hinsichtlich des Namens dieser Wissenschaft unmissverstaumlndlichwie folgt
bdquoWarum [diese Wissenschaft] so benannt ist Diese Wissenschaft wird aufviele Weisen benannt Sie heiszligt naumlmlich sbquogoumlttliche Wissenschaftlsquo (scientiadivina) von ihrem wuumlrdigeren Teil her weil sie von Gott fragt ob erexistiert und beweist dass er existiert Sie heiszligt sbquoerste Philosophielsquo (phi-losophia prima) weil sie die Wissenschaft von der ersten Ursache des
15 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 68 Prima autem pars divisionis dicitur scientiaphysica sive naturalis quae est prima et infima secunda dicitur scientia mathematica sivedisciplinalis quae est media tertia dicitur theologia sive scientia prima sive philosophiaprima sive metaphysica Et ob hoc dicit Boethius quod physica est inabstracta et cummotu mathematica abstracta et cum motu theologia vero abstracta et sine motu
16 Vgl Avicenna Liber de philosophia prima sive scientia divina hrsg v S van Riet 2 BdeLouvainndashLeiden 1977ndash1980 hier I 1 215 Et haec est philosophia prima quia ipsa estscientia de prima causa esse
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Seins ist Sie heiszligt auch sbquoUrsache der Ursachenlsquo (causa causarum) weiles in ihr um Gott geht der die Ursache von allem ist Sie heiszligt auchsbquoMetaphysiklsquo (metaphysica) also sbquonach der Physiklsquo weil sie von demhandelt was nach der Natur kommtldquo17
Hier faumlllt nicht nur erneut der Begriff der metaphysica als Wissenschaft viel-mehr liefert Gundissalinus wiederum in Anlehnung an Avicenna18 auch dieentsprechende Begriffserklaumlrung die Metaphysik handelt von dem was nachder Natur kommt Klarerweise ist hierbei mit bdquonach der Naturldquo nicht derbibliographische Ort gemeint sondern der charakteristische Untersuchungs-bereich der Metaphysik Dass diese Begriffserklaumlrung letztlich fragwuumlrdig istund Gundissalinus besser daran getan haumltte seine Metaphysik als Antephysikzu deklarieren wie Th Kobusch zu Recht bemerkt hat19 braucht an dieserStelle nicht zu stoumlren Wichtig ist dass Gundissalinus den Begriff metaphysicadezidiert als Denomination einer Wissenschaft und nicht eines Buches ein-fuumlhrt und sich zugleich bemuumlht ihm eine angemessene Interpretation zu geben
Wie Gundissalinus zu dieser fuumlr die Geschichte der Metaphysik wegwei-senden Neubenennung der theologi(c)a kommt ist fraglich Die kurz vorseiner Divisionsschrift entstandene erste lateinische Uumlbersetzung der Meta-physik durch Jakob von Venedig duumlrfte ihm kaum bekannt gewesen seinund selbst wenn ist der handschriftliche Befund im Hinblick auf ihren Titelkeinesfalls eindeutig20 Naumlher liegt es zu vermuten dass Gundissalinus denBegriff der Metaphysik aus seiner Lektuumlre der boethianischen Kommentarezu den Kategorien und De interpretatione adaptierte21
17 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 102 Quare sic vocatur Multis modis haec scien-tia vocatur Dicitur enim sbquoscientia divinalsquo a digniori parte quia ipsa de Deo inquirit an sitet probat quod sit Dicitur sbquophilosophia primalsquo quia ipsa est scientia de prima causa esseDicitur etiam sbquocausa causarumlsquo quia in ea agitur de Deo qui est causa omnium Dicituretiam sbquometaphysicalsquo ie sbquopost physicamlsquo quia ipsa est de eo quod est post naturam
18 Vgl Avicenna Liber de philosophia prima (wie Anm 16) I 1 324 ipsa est de eo quod estpost naturam
19 Vgl Th Kobusch Die Philosophie des Hoch- und Spaumltmittelalters Muumlnchen 2011 15720 sbquoMetaphysicalsquo scheint zunaumlchst von Jakob von Venedig als neutrum pluralis verstanden
worden zu sein Vgl G Vuillemin-Diem Praefatio Wilhelm von Moerbekes Uumlbersetzungder aristotelischen Metaphysik (Aristoteles latinus XXV 31) Leiden 1995 31
21 Moumlglicherweise begegnete ihm der Titel in seinem Boethius-Manuskript schon in der unshier interessierenden kondensierten Form als metaphysica Wie naumlmlich mehrere Boethius-Handschriften aus der Zeit des Gundissalinus bezeugen hatten die Kopisten ihre Not mitdem Ausdruck meta ta physica Einige hielten den bestimmten Artikel fuumlr eine fehlerhafteDopplung und verkuumlrzten meta ta physica zu meta physica In diese Tradition gehoumlrt auchAbaelard der in seiner Dialectica sowie in seinen Glossen zu den Kategorien Boethiusrsquo zweioben erwaumlhnte Bezugnahmen auf die Buumlcher der meta ta physica aus dem Kategorien-Kommentar zitiert dabei allerdings den Ausdruck als metaphysica wiedergibt Ganz ohneAnknuumlpfungspunkt in der Tradition ist Gundissalinusrsquo Nomenklatur mithin nicht gleich-
138 Alexander Fidora
III Materia huius scientiae est ens
Mit Gundissalinusrsquo nomineller Abwendung von der Ersten Philosophie alstheologi(c)a und seiner Hinwendung zur metaphysica stellt sich freilich auchin verschaumlrfter wenn nicht sogar in gaumlnzlich neuer Weise die Frage nachihrem wissenschaftstheoretischen Status
Die Etablierung der Metaphysik als Wissenschaft in De divisione philo-sophiae gehorcht dem Schema das der Toledaner Gelehrte auch zur Bestim-mung der uumlbrigen Wissenschaften verwendet So wird die Metaphysik eben-so wie die weiteren Wissenschaften am Leitfaden der sogenannten διδασκα-λικά oder auch κεφάλαια entfaltet das sind Fragen die in der Tradition derspaumltantiken Aristoteles-Kommentare die Darstellung der einzelnen Wissen-schaften strukturieren22
Die fuumlr den lateinischen Raum maszliggebliche Version der διδασκαλικά gibtBoethius in seiner Schrift De topicis differentiis Diese werden hier als Struk-turmerkmale der artes eingefuumlhrt so heiszligt es dass in Bezug auf jede Disziplinzunaumlchst folgende Fragen zu behandeln seien de generis artis speciebus etmateria et partibus et instrumento instrumentique partibus opere etiamofficioque actoris et finis23
Diese Fassung der διδασκαλικά sollte im 12 Jahrhundert groszliges Gewichterhalten und zwar zunaumlchst und v a im Umkreis der Schule von ChartresDabei sind es diesmal nicht die Boethius-Kommentare in denen sich dasInteresse an den boethianischen διδασκαλικά kristallisiert sondern vorwie-gend die den Triviums-Wissenschaften gewidmeten Chartreser Glossen24
etwa zu Cicero und Priscian25
Das Chartreser accessus-Schema so die nahezu einhellige Meinung derbisherigen Forschung26 ist auch das Vorbild fuumlr Gundissalinus gewesen In
wohl gilt es zu betonen dass der Ausdruck in der Boethius-Uumlberlieferung und -Exegese einestrikt bibliographische Referenz bleibt
22 Eine tabellarische Uumlbersicht der κεφάλαια bei den einschlaumlgigen spaumltantiken Autoren gibtE A Quain The Medieval accessus ad auctores Traditio 3 1945 215ndash264
23 Vgl Boethius De topicis differentiis (MPL 64) IV 120724 Vgl R W Hunt The Introductions to the Artes in the Twelfth Century in Studia Mediae-
valia in Honor of R J Martin Bruumlgge 1948 85ndash11225 Hier ist vor allem der vielleicht bekannteste Chartreser accessus zu nennen der aus der
Feder Thierrys von Chartres stammt und sich in seinem Kommentar zu Ciceros De inventio-ne findet The Latin Rhetorical Commentaries by Thierry of Chartres hrsg v K M Fred-borg Toronto 1988 49 Circa artem rhetoricam decem consideranda sunt quid sit genusipsius artis quid ipsa ars sit quae eius materia quod officium quis finis quae partes quaespecies quod instrumentum quis artifex quare rhetorica vocetur
26 Vgl hierzu u a K M Fredborg in ihrer Einleitung zu Thierry von Chartres The LatinRhetorical Commentaries by Thierry (wie Anm 25) 15ndash20 sowie C Burnett A New
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 139
De divisione philosophiae werden die Fragen des Chartreser accessus-Sche-mas gleich zu Anfang des Werkes programmatisch als Leitfaden der Analysealler Wissenschaften eingefuumlhrt27 So beginnt die Divisionsschrift mit der An-kuumlndigung
bdquoHinsichtlich eines jeden [Teils der Philosophie] ist [] Folgendes zu un-tersuchen naumlmlich was er ist welches sein Genus ist was seine Materieist welche seine Spezies sind welche seine Teile sind was seine Aufgabeist was sein Ziel ist was sein Instrument ist wer der Kuumlnstler ist warumer [d i der Teil] so genannt wird in welcher Anordnung er zu lesenistldquo28
Wissenschaftstheoretisch besonders interessant sind hierbei die Fragen nachgenus und species einer Wissenschaft aber auch und vor allem nach derenmateria also dem spezifischen Untersuchungsobjekt das die Selbstaumlndigkeiteiner jeden Wissenschaft verbuumlrgt
Den fundamentalen Begriff des Untersuchungsobjektes versteht Gundis-salinus ganz im Sinne des Aristoteles und verbindet ihn systematisch mit des-sen Lehrstuumlck von der Unbeweisbarkeit des einer jeden Wissenschaft zugrun-deliegenden Gegenstandes So heiszligt es etwa im Logik-Kapitel aus De divisio-ne philosophiae bdquoDie These ist nicht die Materie dieser Kunst [d h derLogik] wie einige meinen Nach Aristoteles in den Analytiken beweist naumlm-lich keine Wissenschaft ihre Materie aber die Logik beweist jede Theseldquo29
Denselben Grundsatz des Aristoteles den Gundissalinus hier ausdruumlck-lich mit den Analytica posteriora in Verbindung bringt formuliert er nunauch fuumlr die Metaphysik
bdquoAls Materie dieser Kunst haben einige die vier Ursachen die Material-und Formal- Wirk- und Zielursache bezeichnet Andere behauptetenGott sei die Materie dieser Kunst All diese taumluschten sich Nach demZeugnis des Aristoteles ermittelt naumlmlich keine Kunst ihre eigene Mate-
Source for Dominicus Gundissalinusrsquos Account of the Science of the Stars Annals ofScience 47 1990 361ndash362
27 Ausnahmen sind die Kapitel De aspectibus De ponderibus De ingeniis und die praktischePhilosophie die nicht am Leitfaden der Fragen diskutiert werden
28 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 74 Circa unamquamque autem earum haec in-quirenda sunt scilicet quid ipsa sit quod genus est quae materia quae partes quae speciesquod officium quis finis quod instrumentum quis artifex quare sic vocetur quo ordinelegenda sit
29 Ebd 152 Non est autem thesis materiam huius artis sicut quidam putant Dicente enimAristotele in sbquoAnalyticislsquo nulla scientia probat materiam suam Sed logica probat omnemthesim
140 Alexander Fidora
rie Doch in dieser Wissenschaft wird ermittelt ob Gott existiert Alsoist Gott nicht ihre Materie Genauso wenig die Ursachenldquo30
Der aristotelische Grundsatz von der Unbeweisbarkeit des spezifischen Ge-genstandes einer jeden Wissenschaft aus den Analytica posteriora I 171 a 1ndash11 und passim wird hier zur Grundlage einer scharfen Kritik an der philoso-phischen Tradition weder die Ursachen noch Gott sind der spezifische Ge-genstand der Metaphysik wer dies behauptet hat sich getaumluscht Denn gera-de weil in der Metaphysik Gottes Existenz bewiesen wird eine Wissenschaftjedoch nach Aristoteles niemals ihre Materie beweisen kann ist Gott folglichnicht materia der Metaphysik Daher und weil keine andere Wissenschaftdie materia der Metaphysik grundlegen kann bleibt als deren Gegenstandeinzig das Allgemeinste und Offenbarste
bdquoWeil nun aber dasjenige was in jeder Wissenschaft als Materie gesetztwird notwendigerweise in einer anderen bewiesen wird nach dieser [alsoder Metaphysik] jedoch keine Wissenschaft mehr uumlbrig ist in der ihreMaterie bewiesen wird ist die Materie dieser Wissenschaft notwendiger-weise dasjenige was allgemeiner und offensichtlicher (communius et evi-dentius) ist als alles andere naumlmlich das Seiende (ens) wovon man janicht fragen muss ob oder was es ist so als muumlsste man sich dessen ineiner anderen Wissenschaft nach dieser vergewissernldquo31
Eine ganz aumlhnliche Argumentation findet sich schon bei Avicenna in seinervon Gundissalinus uumlbersetzten Prima philosophia aus dem Kitāb aš-šifāʾ diedem Toledaner Gelehrten zweifelsohne als Ausgangspunkt seiner Bestim-mung des Gegenstandes der Metaphysik als ens dient32 Gleichwohl fehlt beiAvicenna an dieser Stelle der emphatische Verweis auf Aristoteles und seineAnalytia posteriora vor allem aber auch die zugespitzte Kritik an denen diesich in der Bestimmung des Gegenstandes der Metaphysik taumluschen indemsie ihn im Sinne einer Theologik konzipieren
30 Ebd 100 Materiam huius artis quidam dixerunt esse quattuor causas materialem et for-malem efficientem et finalem Alii vero materiam huius artis dixerunt esse Deum Quiomnes decepti sunt Teste enim Aristotele nulla scientia inquirit materiam suam sed in hacscientia inquiritur an sit Deus Ergo Deus non est materia eius Similiter de causis
31 Ebd 100 Sed quia in omni scientia id quod materia ponitur necessario in alia probaturpost hanc autem nulla restat scientia in qua materia eius probatur ideo necessario materiahuius scientiae est id quod communius et evidentius omnibus est scilicet ens quod siqui-dem non oportet quaeri an sit vel quid sit quasi in alia scientia post hanc debeat hoccertificari
32 Vgl Avicenna Liber de philosophia prima (wie Anm 16) I 1 15 Postquam inquiritur inhac scientia [= philosophia prima] an [deus] sit tunc non potest esse subiectum huius scien-tiae [hellip] Nulla enim scientiarum debet stabilire esse suum subiectum Statt auf Aristotelesverweist Avicenna in einem vorangehenden Passus auf seinen Kitāb al-burhān
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 141
Wen hat Gundissalinus aber mit dieser Kritik im Visier Es ist unwahr-scheinlich dass er sich auf die diesbezuumlgliche Kontroverse zwischen Avicennaund Averroes bezieht zumal sich von Letzterem keine Spur in seinem Werknachweisen laumlsst Viel wahrscheinlicher scheint mir indessen dass der spani-sche Philosoph hier Positionen aus seiner eigenen lateinisch-christlichen Tra-dition attackiert genauerhin die Reflexionen aus der Chartreser Boethius-Kommentierung Denn in der Tat definieren die Chartreser mit deren WerkenGundissalinus wie bereits betont vertraut war die boethianische theologicapraumlzise in dem von ihm kritisierten Sinn So beschreibt etwa Thierry vonChartres in seinen Lectiones in Boethii librum De Trinitate die theologiafolgendermaszligen
bdquoUnd nun zur dritten spekulativen Disziplin die ohne Bewegung ist d hohne Veraumlnderbarkeit denn sie betrachtet die goumlttliche Einfachheit undEwigkeit [] Das naumlmlich was sie betrachtet ist Gott ohne den wederMaterie noch sonst etwas sein kann [hellip] die Ursache also und den Seins-grund von allem aus dem das Sein von allen Dingen kommtldquo33
Gundissalinus setzt sich so nicht nur nominell von der boethianischen Be-schreibung der Metaphysik als theologica ab sondern distanziert sich auchinhaltlich von der auf Boethius folgenden Tradition weder die erste Ursachenoch Gott die Thierry und mit ihm die restlichen Chartreser zum Gegen-stand ihrer theologi(c)a erklaumlren sind die materia der gundissalinischen me-taphysica Diese ist vielmehr das ens34
Dieser zunaumlchst recht eindeutige Befund wird deutlich komplexer wennman sich den beiden weiteren zuvor genannten wissenschaftstheoretisch ein-schlaumlgigen Kategorien zuwendet die Gundissalinusrsquo Darlegung der Metaphy-sik strukturieren genus und species So heiszligt es naumlmlich zum genus der Meta-physik in scheinbar widerspruumlchlicher Weise
bdquoDas Genus dieser Kunst aber ist es dass sie abstrakt und ohne Bewe-gung ist Waumlhrend die uumlbrigen Wissenschaften naumlmlich davon handeln
33 Thierry von Chartres Commentaries on Boethius (wie Anm 11) II 38 163ndash167 Ecce detertia parte speculativae quae est sine motu ie sine mutabilitate quia considerat divinamsimplicitatem [et] aeternitatem [hellip] Id enim quod ipsa considerat est deus sine quo materianec aliud potest esse [hellip] causa scilicet et origo essendi omnium rerum et ex qua est esseomnium rerum
34 Gundissalinusrsquo Kritik wird spaumlter u a in Alberts des Groszligen Metaphysik-Kommentar auf-gegriffen Metaphysica Opera omnia Ed Coloniensis XVI 1 Muumlnster 1960 l I tr 1 c2 Albert verwirft hier zuerst die Kausalitaumlt als Gegenstand der Metaphysik an zweiterStelle Gott um schlieszliglich das Seiende als ihren eigentuumlmlichen Gegenstand zu praumlsentierenMit dieser Argumentationsfolge (Ursache Gott Seiendes) steht Albert Gundissalinus letzt-lich naumlher als Avicenna den W Senner als seine Quelle anfuumlhrt Vgl W Senner Alberts desGroszligen Verstaumlndnis von Theologie und Philosophie Muumlnster 2009 38
142 Alexander Fidora
was in der Materie ist z T davon abstrahierend wie die lernmaumlszligigeWissenschaft [also die Mathematik] z T ohne davon zu abstrahierenwie die Naturwissenschaft ist diese die einzige die daruumlber handelt wasvoumlllig ndash der Daseinsweise und der Definition nach ndash von Bewegung undMaterie getrennt ist Sie handelt naumlmlich von den ersten Ursachen desnatuumlrlichen und mathematischen Seins und davon was von jenen ab-haumlngt und von der Ursache der Ursachen und dem Prinzip der Prinzipi-en welches der erhabene Gott istldquo35
Hier bringt Gundissalinus in affirmativer Form die von ihm soeben striktabgelehnte Bestimmung der Metaphysik als Theologik in Anschlag das ge-trennte und unbewegliche Sein also Gott und die ersten Ursachen werdennun von ihm als genus der Metaphysik ausgewiesen Und dies in offenbarnaiver Uumlbernahme der boethianisch-chartresischen Diktion
Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu deuten Zwar ist immer wiederauf den patchwork-Charakter von Gundissalinusrsquo Divisionsschrift hingewie-sen worden um moumlgliche Ungereimtheiten in seinem Wissenschaftsentwurfzu erklaumlren gleichwohl bleibt eine solche Erklaumlrung des vermeintlichen Wi-derspruchs der zwei Bestimmungen der Metaphysik vordergruumlndig zumaldie beiden zitierten Abschnitte im Text unmittelbar aufeinander folgen
Mir scheint vielmehr dass Gundissalinus hier an eine immanente Schwie-rigkeit der aristotelischen Metaphysik selbst ruumlhrt und ihr so paradox dieszunaumlchst erscheinen mag eine systematische Loumlsung zu geben versucht DieSchwierigkeit auf die ich mich beziehe haumlngt mit Aristotelesrsquo Einsicht zu-sammen dass das Seiende keine Gattung darstellt Anders als Platon naumlmlichder das Seiende unter die μέγιστα γένη also die groumlszligten Gattungen zaumlhlterklaumlrt Aristoteles wiederholt sowohl in der Metaphysik als auch in den Ana-lytica posteriora dass das Seiende kein γένος darstellt36 Gleichwohl bestimmtAristoteles aber den Untersuchungsgegenstand der Metaphysik in Buch Γ 1als τὸ ὂν ῃ ὂν (1003 a 21) also als das Seiende als Seiendes Damit ergibtsich freilich eine nicht geringe Spannung zwischen der in den Analytica poste-riora I 7 formulierten Anforderung an eine jede Wissenschaft uumlber ein ὑπο-κείμενον γένος (75 a 42) eine zugrundeliegende Gattung zu verfuumlgen undder Tatsache dass das zugrundeliegende genus der Metaphysik eben gerade
35 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 98ndash100 Genus autem huius artis est quod ipsaest abstracta et sine motu Cum enim ceterae scientiae agant de his quae sunt in materiased aliquando abstractis ut disciplinalis aliquando inabstractis ut naturalis haec sola estquae agit de his quae omnino sunt separata a motu et a materia secundum existentiam etdefinitionem Agit enim de primis causis naturalis et disciplinalis esse et de eo quod pendetex his et de causa causarum et de principio principiorum quod est Deus excelsus
36 Siehe Platon im Soph 254D sowie Aristoteles in Met Β 2998 b 22 und passim
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 143
kein genus ist Aristoteles selbst loumlst die so entstehende Spannung nicht aufliefert allerdings eine Alternative wenn er in Buch Ε 1 der Metaphysik dasgenus derselben als das immaterielle und unbewegliche Seiende bestimmt sogesehen handelt die Metaphysik von der obersten Gattung des Seienden περὶτὸ τιμιώτατον γένος (1026 a 21) Prima facie hat die Metaphysik damit beiAristoteles aber einen doppelten Gegenstand einmal naumlmlich das Seiende alsihr eigentuumlmliches Untersuchungsobjekt zum anderen ein bestimmtes Seien-des als ihre Gattung
Die spaumltantiken Kommentatoren des Aristoteles versuchten diese Span-nung durch eine intelligente Lektuumlre eines Passus aus Buch Γ 2 der Metaphy-sik zu loumlsen wo es heiszligt dass das Seiende nicht schlechthin aumlquivok ausge-sagt werde sondern πρὸς ἕν (1003 a 33) also auf ein Eines hin37 WaumlhrendAristoteles mit diesem Einen die ουϛσία im Auge hatte interpretierten diespaumltantiken Kommentatoren das πρὸς ἕν im Hinblick auf die oberste Klassedes Seienden so lassen sich beide Gegenstandsbestimmungen aus MetaphysikΓ 1 und Ε 1 kompatibilisieren der Gegenstand der Metaphysik ist in der Tatdas Seiende das allerdings in Relation zur Gattung des obersten Seiendenausgesagt wird
Mir scheint dass Gundissalinus dieser Interpretation nicht fern steht dieMaterie bzw den Gegenstand der Metaphysik versteht er klar als das enswaumlhrend er ihre Gattung mit Aristoteles und seinen Kommentatoren als dasoberste Seiende bestimmt Interessant dabei ist sein Versuch begrifflicherTrennschaumlrfe so scheidet Gundissalinus letztlich den aristotelischen Begriffdes ὑποκείμενον γένος in zwei separate Aspekte zum einen die zugrundelie-gende materia auch subiectum genannt die das ens darstellt zum anderendas genus naumlmlich die oberste Klasse des Seienden
In dieser Hinsicht kann Gundissalinus tatsaumlchlich ohne Widerspruch be-haupten dass die materia der Metaphysik einzig und allein im ens bestehtund dass es falsch ist Gott oder die erste Ursache als materia der Metaphysikzu bezeichnen obwohl Letztere die Gattung derselben ausmachen insofernnaumlmlich das ens im Hinblick auf dessen oberste Klasse praumldiziert wird dieals solche eine Gattung darstellt
Gundissalinusrsquo Einlassungen lassen sich somit in ihrer Differenzierungvon materia bzw subiectum einerseits und genus andererseits als ein auf-schlussreicher Versuch interpretieren den ontologischen Primat des Meta-physik-Begriffs mit den epistemologischen Anforderungen an die Metaphysikqua Wissenschaft in Einklang zu bringen
37 Vgl J Owens The Doctrine of Being in the Aristotelian Metaphysics Toronto 1951 9ndash15 sowie S D Dumont Scotusrsquos Doctrine of Univocity and the Medieval Tradition ofMetaphysics in J A AertsenA Speer (Hrsg) Was ist Philosophie im Mittelalter Berlin1998 197
144 Alexander Fidora
Dass fuumlr Gundissalinus die ontologische Deutung der Metaphysik aus-schlaggebend ist zeigt sich schlieszliglich auch in seiner Bestimmung ihres drit-ten Strukturmerkmals naumlmlich ihrer species Denn auch wenn das genus derMetaphysik im eigentlichen Sinne die oberste Klasse des Seienden darstelltbestimmt er ihre species im Ausgang von ihrer materia bzw ihrem subiectumSo heiszligt es im Metaphysik-Kapitel der Divisionsschrift weiter
bdquoDie Spezies dieser Kunst aber sind das was das Seiende begleitet inwelche das Seiende naumlmlich unterteilt wird Das eine Seiende ist naumlmlichSubstanz das andere Akzidens das eine Allgemeines das andere Beson-deres das eine Ursache das andere Verursachtes das eine in Moumlglich-keit das andere in Wirklichkeit und so weiter woruumlber in derselben Wis-senschaft hinreichend gehandelt wirdldquo38
Gundissalinus greift hier den Begriff der consequentia entis aus seiner Uumlber-setzung von Avicennas Prima philosophia auf39 Die detaillierte Aufzaumlhlungdieser das Seiende begleitenden Eigenschaften findet sich allerdings in dieserForm nicht bei Avicenna sondern geht auf Gundissalinus zuruumlck Dabei istinsbesondere das Begriffspaar bdquoUrsache und Verursachtesldquo hervorzuhebendas es Gundissalinus und auch der spaumlteren Tradition insbesondere Thomasvon Aquin erlauben sollte die Theologik in ihre ontologische Metaphysik-Deutung systematisch zu integrieren denn gerade als ens causatum d h inseiner Geschaffenheit verweist das Seiende als Gegenstand der Metaphysikauf seine Ursache also Gott der damit auch innerhalb einer primaumlr ontolo-gisch ausgelegten Metaphysik seinen Platz bekommt
Die Metaphysik muss von dem ausgehen was allgemein und durch sichselbst evident ist und dies ist das Seiende Doch gerade indem sie dieses undseine Ursachen untersucht gelangt sie zur ersten Ursache selbst naumlmlichGott den Gundissalinus wie seine weiteren Ausfuumlhrungen zeigen aus seinerMetaphysik nicht verbannt
Aufs Ganze gesehen stellen diese Reflexionen aus dem Metaphysik-Kapi-tel von Gundissalinusrsquo Divisionsschrift den Versuch dar die boethianisch-chartresische Theologik-Tradition im Lichte des uumlber Avicenna vermitteltenAristotelismus kritisch zu revidieren und zu transformieren Ziel dieserTransformation ist es die Metaphysik qua Ontologie im lateinischen Raum
38 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 100 Species vero huius artis sunt consequentiaentis in quae scilicet dividitur ens Ens enim aliud est substantia aliud accidens aliuduniversale aliud particulare aliud causa aliud causatum aliud in potentia aliud in actu etcetera de quibus sufficienter tractatur in eadem scientia
39 Vgl Avicenna Liber de prima philosophia (wie Anm 16) Bd 1 13 Ideo primum subiec-tum huius scientiae est ens inquantum est ens et ea quae inquirit sunt consequentia entis
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 145
auf einem wissenschaftstheoretisch soliden Fundament als eigenstaumlndige Wis-senschaft zu etablieren
IV Ceterae scientiae sunt sub scientia de ente
Komplementaumlr zu Gundissalinusrsquo Uumlberlegungen im Metaphysik-Kapitel ver-haumllt sich ein weiteres Kapitel am Ende seiner Divisionsschrift Geht es imMetaphysik-Kapitel naumlmlich um die Etablierung der Metaphysik als einerWissenschaft mit einem eigenem Gegenstandsbereich so stellt sich Gundissa-linus spaumlter die schwierige Frage nach dem Verhaumlltnis dieses Gegenstandsbe-reiches zu den Gegenstandsbereichen der uumlbrigen Wissenschaften
Er tut dies in einem Kapitel das den Titel bdquoSumma Avicennae de conveni-entia et differentia subiectorumldquo traumlgt Dabei handelt es sich um die Uumlberset-zung eines Abschnitts aus dem Kitāb al-burhān des Avicenna also jenemTeil seines Kitāb aš-šifāʾ der die Beweistheorie enthaumllt und den Analyticaposteriora entspricht Gundissalinusrsquo Uumlbersetzung umfasst das 7 Kapitel des2 Buches des Kitāb al-burhān das Lateinisch allein in der Divisionsschriftuumlberliefert ist Im Zentrum dieses Kapitels steht die bereits von Aristotelesaufgeworfene Frage nach der Unterordnung bzw Subordination und Binnen-differenzierung der Wissenschaften
Tatsaumlchlich bietet Aristoteles in seinen Analytica posteriora zwei ver-schiedene Modelle zur Erklaumlrung der Unterordnung verschiedener Wissen-schaften So behauptet er in den Analytica posteriora I 7 dass zwei Wissen-schaften denselben Gegenstand in verschiedener Hinsicht betrachten koumlnnennaumlmlich absolut (ἁπλως) oder in qualifizierter Weise (ἢ πῃ) (75 b 8ndash9) Waumlh-rend die absolute Betrachtung der uumlbergeordneten Wissenschaft entsprichtcharakterisiert die qualifizierte bzw relative Betrachtung die untergeordneteWissenschaft In Kapitel 9 der Analytica posteriora I wird hingegen ein zwei-ter Vorschlag entwickelt hier erklaumlrt Aristoteles dass die Harmonik derArithmetik untergeordnet sei weil Erstere allein das Dass (ὅτι) der Phaumlnome-ne kenne waumlhrend Letztere auch um ihr Warum (διότι) wisse (76 a 11ndash15)
Wie R McKirahan gezeigt hat40 sind diese beiden Modelle letztlich alter-native Loumlsungen des Problems der Subordination der Wissenschaften die sichnicht ohne Weiteres ineinander uumlberfuumlhren lassen Avicenna und mit ihmsein Uumlbersetzer Gundissalinus greift Aristotelesrsquo erstes Modell auf um esin systematisch anspruchsvoller Weise zu erweitern So erklaumlrt die Summa
40 Vgl R McKirahan Aristotlersquos Subordinate Sciences The British Journal for the History ofScience 11 1978 197ndash220
146 Alexander Fidora
Avicennae41 in einem ersten Schritt dass es der Fall sein kann dass eineWissenschaft ein subiectum x betrachtet waumlhrend eine zweite Wissenschaftein Subjekt xrsquo betrachtet das sich zu x so verhaumllt wie die species zum genusDieses Verhaumlltnis zwischen dem subiectum x und dem derivativen Subjektxrsquo etabliert eine klare Hierarchie zwischen den beiden in Frage stehendenWissenschaften insofern die mit x befasste Wissenschaft umfassender ist alsjene die xrsquo betrachtet In einem zweiten Schritt unterscheidet die SummaAvicennae daraufhin mindestens zwei Arten auf die eine Wissenschaft dasderivative Subjekt xrsquo betrachten kann Im ersten Fall betrachtet sie das deri-vative Subjekt xrsquo in absoluter Weise und wird daher als Teil bzw pars dermit x befassten Wissenschaft bezeichnet Ein Beispiel hierfuumlr ist die Biologiein ihrem Verhaumlltnis zur Physik beide Wissenschaften befassen sich mit demKoumlrper jedoch betrachtet die Physik das genus sbquoKoumlrperlsquo waumlhrend die Biolo-gie dessen species sbquolebendiger Koumlrperlsquo betrachtet und zwar in absoluter Wei-se Die Biologie ist daher eine pars bzw ein Teil der Physik bzw Naturphilo-sophie Der zweite Fall liegt dann vor wenn eine Wissenschaft allein gewisseAkzidenzien des derivativen Subjekts xrsquo betrachtet eine solche Wissenschaftsteht dann unter der Wissenschaft die x betrachtet ist dieser also subordi-niert Die Medizin z B ist kein konstitutiver Teil der Physik bzw der Natur-philosophie sondern ist dieser subordiniert beide sind mit dem genus sbquoKoumlr-perlsquo befasst doch die Medizin betrachtet dessen species sbquolebendiger Koumlrperlsquound dies lediglich im Hinblick auf einige seiner eigentuumlmlichen Akzidenziennaumlmlich Krankheit und Gesundheit also nicht absolut wie die BiologieFolglich unterscheidet die Summa Avicennae zwei Arten auf die eine Wissen-schaft in einer anderen enthalten sein kann entweder als konstitutiver Teilderselben wie die Biologie in Bezug auf die Naturphilosophie oder aberals eine ihr untergeordnete Wissenschaft wie die Medizin hinsichtlich derNaturphilosophie
Diese allgemeinen wissenschaftstheoretischen Uumlberlegungen muumlnden inder Summa Avicennae schlieszliglich in die Frage nach dem Status der Metaphy-sik Wie verhaumllt sich die Metaphysik zu den restlichen Wissenschaften odervielmehr umgekehrt wie verhalten sich die uumlbrigen Wissenschaften zur Meta-physik Die Summa Avicennae gibt eine eindeutige Antwort auf diese Frage
bdquoDie Wissenschaft von jenen Dingen aber die unter dem sind dessenAllgemeinheit so ist wie die Allgemeinheit von Seiendem und Einemkann kein Teil der Wissenschaft von diesen sein [] Das Allgemeinere
41 Vgl fuumlr die folgenden Ausfuumlhrungen den Text der Summa Avicennae in Gundissalinus (wieAnm 3) 236ndash244 Eine ausgezeichnete Interpretation der schwierigen Passage bietet HHugonnard-Roche La classification des sciences de Gundissalinus et lrsquoinfluence drsquoAvicennein J JolivetR Rashed (Hrsg) Eacutetudes sur Avicenne Paris 1984 54ndash57
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 147
findet sich naumlmlich nicht im weniger Allgemeinen und auch nicht umge-kehrt Daher sind die Einzelwissenschaften notwendigerweise keine Teileder Wissenschaft vom Seienden sondern weil das Seiende und das Eineallgemeiner sind als alle Gegenstaumlnde ist es notwendig dass die uumlbrigenWissenschaften unter der Wissenschaft sind die diese behandeltldquo42
Jedwede Wissenschaft die unter der Allgemeinheit der scientia de ente derWissenschaft vom Seienden steht kann nicht als pars derselben verstandenwerden so wie die Biologie ein Teil der Naturphilosophie ist Vielmehr muumls-sen die Partikularwissenschaften als subordinierte Wissenschaften aufgefasstwerden weil und insofern ihr Gegenstand letztlich nicht gattungskonstitutivfuumlr das Wesen des Gegenstandes der Metaphysik ist
Gleichwohl ergibt sich hieraus in der Summa Avicennae nicht zwangslaumlu-fig das Konzept einer Metaphysik als master science Denn auch wenn dieanderen Wissenschaften der Metaphysik subordiniert sind so ist der Er-kenntnisweg doch nicht der eines Abstiegs von den Wahrheiten der Metaphy-sik zu jenen der Partikularwissenschaften vielmehr handelt es sich um einenrekursiven Prozess der von den Partikularwissenschaften ausgeht die in derMetaphysik ihr letztes Fundament erhalten
bdquoNachdem wir aber behauptet haben dass von den Prinzipien der Wis-senschaften einige nicht an sich bekannt sind ist es notwendig dass sieim Rahmen einer anderen Wissenschaft geklaumlrt werden entweder in ei-ner genauso partikularen wie sie selbst oder in einer allgemeineren alssie selbst und in diesem Fall wuumlrde man damit sicher bis zu einer Wissen-schaft kommen die allgemeiner ist als alle anderen Daher muss mansich uumlber die Prinzipien der uumlbrigen Wissenschaften innerhalb dieser Wis-senschaft Gewissheit verschaffen Das wird aber [zunaumlchst] so sein alsob alle Wissenschaften durch miteinander verbundene hypothetische Ar-gumente bewiesen wuumlrden z B Wenn der Kreis ist ist das Dreieck sooder so Wenn man aber [endlich] zur ersten Philosophie gelangt seinwird so wird das Sein der Voraussetzung klar werden wenn [naumlmlich]bewiesen werden wird dass dem Prinzip naumlmlich dem Kreis Sein zu-kommt und dann wird auch der Beweis der Folge vollendet werden koumln-nen dass ihr [naumlmlich] Sein zukommt und so weiter weil keine Partiku-
42 Gundissalinus De divisione (wie Anm 3) 244 Scientia vero de rebus quae sunt sub eocuius communitas est sicut communitas entis et unius non potest esse pars scientiae de eis[] Communius enim non invenitur in minus communi nec e contrario Unde oportet utscientiae particulares non sint partes scientiae de ente sed quia ens et unum communia suntomnibus subiectis oportet tunc ut ceterae scientiae sint sub scientia quae tractat de eis
148 Alexander Fidora
larwissenschaft ohne hypothetische Argumentation bewiesen werdenkannldquo43
So betrachtet sind die restlichen Wissenschaften der Metaphysik subordi-niert weil diese ihre Prinzipien verbuumlrgt es ist die Metaphysik die die zu-naumlchst hypothetisch angenommenen Untersuchungsbereiche der Partikular-wissenschaften authentifiziert und ihnen ihre Geltung verleiht
Das hier zum ersten Mal in der lateinischen Welt formulierte Konzeptvon Metaphysik als subordinierender Wissenschaft sollte in den folgendenJahrhunderten houmlchst kontrovers diskutiert werden Es seien hier nur zweiAutoren genannt Robert Kilwardby und Johannes Duns Scotus
Der englische Dominikaner Robert Kilwardby widmet in seinem starkvon Gundissalinus abhaumlngigen Werk De ortu scientiarum das 32 Kapitel derFrage nach dem Verhaumlltnis der Metaphysik zu den anderen WissenschaftenZwar konstatiert er zunaumlchst dass die Metaphysik das Seiende schlechthinbetrachte die anderen Wissenschaften hingegen nur Teile desselben doch seidies noch kein Grund von Subordination bzw Subalternation zu sprechenVielmehr seien fuumlr ein solches Verhaumlltnis drei Kriterien zu erfuumlllen erstensmuumlsse die subalternierte Wissenschaft dem Subjekt der subalternierendenWissenschaft etwas hinzufuumlgen zweitens duumlrfe diese Hinzufuumlgung nicht indie Gattung des Subjekts der subalternierenden Wissenschaft fallen und drit-tens muumlsse die Beweisrichtung von der subalternierenden zur subalterniertenWissenschaft fuumlhren Keine dieser drei Bedingungen jedoch so Kilwardbytreffe in vollem Umfang auf das Verhaumlltnis der Metaphysik zu den uumlbrigenWissenschaften zu44
43 Ebd 244ndash246 Postquam autem posuimus quod de principiis scientiarum quaedam suntquae non sunt manifesta per se tunc oportet ut manifestentur in alia scientia aut in parti-culari qualis ipsa sit aut in communiore quam ipsa sit et sic perveniet hoc sine dubio adcommuniorem omnibus scientiis Oportet igitur principia ceterarum scientiarum certificen-tur in hac scientia Hoc autem sic erit quasi omnes scientiae probentur argumentationibushypotheticis coniunctis verbi gratia si circulus est talis vel talis triangulus est Cum autempervenerimus ad philosophiam primam tunc manifestabitur esse antecedentis cum proba-bitur quod principium scilicet circulus habet esse et tunc complebitur probatio consequen-tis quod habet esse et ita quia nulla scientiarum particularium probetur sine hypothetica
44 Robert Kilwardby De ortu scientiarum hrsg V A G Judy LondonndashToronto 1976 c 32115 Quaeritur enim an [metaphysica] subalternat sibi omnes alias speculativas [hellip] Etvidetur quod sic [hellip] Sed haec [argumenta] solvuntur per hoc quod sicut supra dictum estquod ad subalternationem tria requiruntur unum est quod subiectum subalternatae sit exappositione respectu subiecti subalternantis aliud quod illud adiectum sit res alterius gene-ris in natura [hellip] tertium quod descendat demonstratio a subalternante ad subalternatamPrimum aliquo modo est in metaphysica et aliis speculativis non tamen omnino [hellip] Secun-dum non est illic [hellip] Tertium etiam non Eine sehr aumlhnliche Argumentation findet sich ineinem von G Gaacutel edierten anonymen Metaphysik-Kommentar der stark von Kilwardbyabhaumlngig ist auch wenn Kilwardby nicht ndash wie Gaacutel behauptet ndash als dessen Autor in Frage
Omnes decepti sunt Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus 149
Kilwardby erteilt damit der von Avicenna und Gundissalinus vorgebrach-ten Konzeption eine klare Absage Anders Johannes Duns Scotus in seinerPariser Reportatio Hier erklaumlrt Duns Scotus dass ein Wissen um die Prinzi-pien auf zweierlei Weise vorliegen kann entweder weiszlig man um die Prinzipi-en in Form einer notitia confusa wie es der Fall bei der Sinneswahrnehmungund der Erfahrung ist oder man weiszlig um die Prinzipien in Form einer notitiadistincta wie es der Fall des metaphysischen Wissens ist Und daher so kon-kludiert er omnes scientiae possunt dici sibi subalternatae scilicet metaphysi-cae45
Es ist hier nicht der Ort um auf Kilwardby und Duns Scotus weitereinzugehen entscheidend ist allein dass die Idee von Metaphysik als sub-alternierender Wissenschaft wie sie in Gundissalinusrsquo Avicenna-Adaptationaufscheint in der Folge eine lebhafte Diskussion nach sich zog Diese Diskus-sion selbst geht uumlber die simplen textuellen Abhaumlngigkeiten und direkten Fili-ationen hinaus Kilwardby der Gundissalinus sonst sehr nahe steht wendetsich gegen die Idee der Subordination waumlhrend Duns Scotus den historischnichts mit dem spanischen Gelehrten verbindet sie affirmativ reformuliert
V Konklusion
Gundissalinusrsquo Verdienst innerhalb der Geschichte der Metaphysik be-schraumlnkt sich bei Weitem nicht auf die Bereitstellung metaphysischer Schluumls-seltexte in lateinischer Uumlbersetzung wie etwa Avicennas Prima philosophia
Wie die vorangegangenen Analysen zeigen wollen stellt Gundissalinusdaruumlber hinaus entscheidende begriffliche wie auch systematische Weichenfuumlr die Rezeption der aristotelischen Metaphysik im 13 Jahrhundert Dennbegrifflich wie auch systematisch vollzieht sich bei Gundissalinus die Abkehrvom boethianisch-chartresischen Konzept der Metaphysik als Theologik hin
kommt Vgl die Fragmente in G Gaacutel Robert Kilwardbyrsquos Questions on the Metaphysicsand Physics of Aristotle Franciscan Studies 13 1953 7ndash28
45 Vgl Johannes Duns Scotus The Examined Report of the Paris Lecture Reportatio I-ALatin Text and Engl Translation by A B Wolter O Bychkov St Bonaventure (NY) 2004q 2 sect 157 56ndash57 Ad auctoritatem Philosophi dico quod principia dupliciter possuntesse nota Uno modo notitia confusa ut si termini confuse apprehendantur per sensum etexperientiam et hoc sufficit ad scientiam terminorum in scientia qualibet speciali ut quodlinea sit longitudo ignorando utrum quiditas eius sit substantia quantitas vel qualitas etcAlio modo possunt cognosci notitia distincta sciendo ad quod genus pertinet quiditas eo-rum cum definitiones terminorum distincte cognoscuntur ex evidentia terminorum et hoccontingit per scientiam metaphysicalem dividendo et componendo Et sic omnes scientiaepossunt dici sibi subalternatae scilicet metaphysicae
150 Alexander Fidora
zu einer Metaphysik verstanden als Ontologie diese Abkehr kuumlndigt sich mitder Einfuumlhrung des Begriffs der metaphysica als Gegenbegriff zur theologi(c)aan und gelangt mit der Bestimmung des ens als deren eigentuumlmlicher materiain ihr Ziel Seinen Weg von der Theologik zur Ontologie findet Gundissalinusin der uumlber die arabische Tradition vermittelten aristotelischen Wissenschafts-theorie diese erlaubt es ihm den fuumlr die lateinische Welt neuen Metaphysik-Begriff auf der Grundlage eines soliden epistemologischen Fundaments einzu-fuumlhren ndash ein Fundament das der Frage nach der Selbstaumlndigkeit der Meta-physik und ihrem Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften gleicher-maszligen Rechnung traumlgt
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Metaphysikentwuumlrfe im13 Jahrhundert
Metaphysik als TheologikRezeption und Transformation der Metaphysik
bei Albertus Magnus
Hannes Moumlhle
I Alberts Metaphysik im Kontext der Aristoteles-Paraphrase
Mit dem Physikkommentar beginnt Albertus Magnus zu Beginn der 50erJahre des 13 Jahrhunderts ein philosophisches Groszligprojekt in dessen Rah-men auch die Auseinandersetzung mit der aristotelischen bzw der fuumlr aristo-telisch gehaltenen Metaphysik faumlllt Mit der Abfassung seines Kommentarszum Liber de causis (abgeschlossen 1267) haumllt Albert dieses Projekt wasden metaphysischen Teil betrifft fuumlr abgeschlossen Der erste bzw je nachSichtweise der letzte Teil der Realphilosophie ist nach der Kommentierungder Metaphysik des Aristoteles (um 1264) und der anschlieszligenden Kommen-tierung des Liber de causis den Albert fuumlr eine Kompilation aus aristoteli-schen Texten haumllt vollstaumlndig bearbeitet Damit folgt Albert den im zweitenViertel des 13 Jahrhunderts in Paris uumlblichen Vorgaben wonach der Teildis-ziplin der natuumlrlichen Philosophie naumlmlich der Metaphysik drei Werke zu-grunde zu legen sind Wie der zwischen 1230 und 1240 in Paris entstandeneStudienfuumlhrer zeigt der als Leitfaden des uumlblichen Lehrbetriebs gelten kannund damit einen gemeinsam geteilten Hintergrund repraumlsentiert gehoumlrt zumStudium der Metaphysik die Lektuumlre der Metaphysica vetus der Metaphysicanova also des aristotelischen Werkes der Metaphysik sowie des Liber decausis der eine arabische Kompilation aus der Elementatio theologica desProklos darstellt und dessen wahre Herkunft Albert noch unbekannt war1
Das Aristoteles-Projekt ist aber fuumlr Albert nicht nur ein zeitlicher Rah-men sondern bedeutet vor allem eine sachliche und methodische Einheit die
1 Vgl C Lafleur bdquoGuide de lrsquoeacutetudiantldquo drsquoun maicirctre anonyme de la faculteacute des arts de Parisau XIIIe siegravecle Queacutebec 1992 sect 10 33 Vgl hierzu A de Libera Structure du corpus scolairde la meacutetaphysique dans la premiegravere moitieacute du XIIIe siegravecle in C LafleurJ Carrier (Hrsg)Lrsquoenseignement de la philosophie au XIIIe siegravecle Autour du bdquoGuide de lrsquoeacutetudiantldquo du msRipoll 109 (Studia Artistarum V) Turnhout 1997 61ndash88
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ihre besonderen Ziele und Anspruumlche hat Auf den ersten Blick nimmt sichdas von Albert genannte Ziel dieses Projektes wenig spektakulaumlr und eherbescheiden aus Er will alle Teile der Philosophie die er weitgehend durcharistotelische Schriften bearbeitet sieht den Lateinern verstaumlndlich machennostra intentio est omnes dictas partes [philosophiae] facere Latinis intelligi-biles2 Betrachtet man z B die Auseinandersetzung die Albert bereits sehrfruumlh mit David von Dinant fuumlhrt und in der er versucht Aristoteles von denFehldeutungen zu befreien fuumlr die er David verantwortlich macht so er-scheint das zuruumlckhaltende facere intelligibiles in einem ganz anderen LichtDavid und die von ihm betriebene Aristoteles-Exegese waren beispielhaft da-fuumlr verantwortlich dass die Lektuumlre aristotelischer Schriften vor allem dernaturphilosophischen und der metaphysischen an der Pariser Universitaumlt ver-boten wurde3 Aristoteles zu erklaumlren bedeutet damit fuumlr Albert ihn so zudeuten dass er in den Kontext der christlichen Lehre zu integrieren und seineSchriften dem universitaumlren Lehrbetrieb einzufuumlgen waren
Fuumlr die von Albert angestrebte Deutung der Metaphysik ergibt sich da-raus die Aufgabe das unter diesem Titel bekannte Werk des Aristoteles undden Liber de causis einer einheitlichen Deutung zu zufuumlhren die was ihreInhalte betrifft mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen ist unddie was ihren wissenschaftstheoretischen Status angeht ein Nebeneinander
2 Die Werke des Albertus Magnus werden in folgender Weise angegebenAlberti Magni Physica I l 1ndash4 Opera Omnia Editio Coloniensis IV1 Muumlnster 1987[= Op om IV1]Alberti Magni Metaphysica I l 1ndash5 Opera Omnia Editio Coloniensis XVI1 Muumlnster1960 [= Op om XVI1]Alberti Magni De causis et processu universitatis a prima causa Opera Omnia EditioColoniensis XVII2 Muumlnster 1993 [= Op om XVII2]Alberti Magni Summa de mirabili scientia dei I (q1ndash50A) Opera Omnia Editio Colonien-sis XXXIV1 Muumlnster 1978 [= Op om XXXIV1]Alberti Magni Super Dionysium de divinis nominibus Opera Omnia XXXVII1 Muumlnster1972 [= Op om XXXVII1]Alberti Magni Super Dionysium mysticae theologiae Opera Omnia XXXVII2 Muumlnster1972 [= Op om XXXVII2]Alberti Magni Logicae secunda pars Editio Borgnet 2 Paris 1890 [= Ed Bor 2]Alberti Magni Commentarii in I Sententiarum (d IndashXXV) Editio Borgnet 25 Paris 1893[= Ed Bor 25]Alberti Magni Commentarii in I Sententiarum (d XXVIndashXLVIII) Editio Borgnet 26 Paris1893 [= Ed Bor 26]Die angegebene Stelle findet sich Op om IV1 48ndash49
3 Vgl H DenifleAe Chatelain Chartularium Universitatis Parisiensis IndashIII Paris 1889ndash1894 I n 20 Hierzu H Anzulewicz David von Dinant und die Anfaumlnge der aristotelischenNaturphilosophie im Lateinischen Westen in L Honnefelder u a (Hrsg) Albertus Mag-nus und die Anfaumlnge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter (Subsidia Alberti-na Bd 1) Muumlnster 2005 71ndash112
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 157
der Disziplinen der Ersten Philosophie und der christlichen Theologie er-laubt
Das Intelligibel-Machen der aristotelischen Philosophie das Albert alsseine primaumlre Intention zu Beginn seines Physikkommentars bezeichnet solldiejenige Ignoranz beseitigen die der Aufnahme des Aristoteles in den christ-lichen Kontext im Wege steht Blickt man auf das Ende seiner Auseinander-setzung mit der aristotelischen Metaphysik gemeint ist auf das Ende seinesKommentars zum Liber de causis dann stellt Albert den Bezug zu seinerurspruumlnglich formulierten Intention wieder her denn was die Metaphysikbetrifft ist seine Intention erst jetzt d h nach der Kommentierung des Liberde causis und der Anknuumlpfung der dort erwogenen Lehren an das elfte Buch4
der aristotelischen Metaphysik erfuumlllt Woumlrtlich bringt Albert die von ihmunterstellte Einheit des aristotelischen Werkes der Metaphysik und des Liberde causis zum Ausdruck wenn es dort heiszligt
bdquoIn diesem Buch also sind wir zum Ziel unserer Intention gelangt Wirhaben naumlmlich die erste Ursache und die Ordnung der zweiten Ursachengezeigt und auf welche Weise das Erste Prinzip des umfassenden Seins ist(primum universi esse principium) und wie das Sein von allem entspre-chend der Auffassung der Peripatetiker aus dem Ersten flieszligt Und wenndiese [Lehren] dem elften Buch der Ersten Philosophie angefuumlgt sein wer-den dann erst ist das Werk vollendetldquo5
Diese von Albert verfolgte Intention ist kein Sonderweg sondern entsprichtdem geistigen Klima in Paris waumlhrend der 40er Jahre des 13 Jahrhundertswie de Libera vor allem mit Blick auf die zeitgenoumlssische Einleitungsliteraturzur Philosophie an der Pariser Artistenfakultaumlt betont6 Um das Verhaumlltnisvon Metaphysik Buch 11 und den Lehren des Liber de causis zu bezeichnenverwendet Albert nicht den unspezifischen Ausdruck der Hinzufuumlgung son-dern den der inneren Verbindung er spricht nicht von addita sondern adi-
4 Da die von Albert kommentierte lateinische Vorlage der Metaphysik nicht das nach heutigerZaumlhlung elfte Buch enthaumllt entspricht das heute als Buch 12 gezaumlhlte Buch Lambda inAlberts Metaphysik dem Buch XI Vgl G Vuillemin-Diem Praefatio in Aristoteles LatinusXXV 2 Leiden 1976 ixndashlxix vor allem xiindashxiii
5 Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 191 In hoc ergo libro ad finem intentionispervenimus Ostendimus enim causam primam et causarum secundarum ordinem et quali-ter primum universi esse est principium et qualiter omnium esse fluit a primo secundumopiniones Peripateticorum Et haec quidem quando adiuncta fuerint XI Primae philoso-phiae tunc primo opus perfectum est
6 Compleacuteter les Livres de meacutetaphysique drsquoAristote par un autre livre ndash le Livre des causes ndashpour arriver agrave la science meacutetaphysique complegravete crsquoest-agrave-dire agrave la theacuteologie de lrsquoeacutemanation[] voilagrave le geste philosophique qui sous-tend le programme scolaire parisien des anneacutees1240 Vgl de Libera (wie Anm 1) 76ndash77
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uncta offensichtlich um die innere Einheit des metaphysischen Unterneh-mens zu unterstreichen Den Lateinern ist demnach Aristoteles mit seinemEntwurf einer ersten Philosophie nur dann intelligibel zu machen und d hvon den Fehldeutungen zu befreien die seinerzeit zur Verurteilung des Aristo-teles und seiner Metaphysik gefuumlhrt haben wenn es gelingt die innere Ein-heit der Schriften der Metaphysik und des Liber de causis aufzuzeigen
II Einfache oder zweigeteilte Metaphysik
Aber genau das ist das groszlige Problem der Metaphysikkonzeption Alberts desGroszligen Wie verhalten sich die aristotelische Metaphysik im engeren Sinneund die neuplatonischen Lehren des Liber de causis zu einander Bilden diesebeiden Ansaumltze uumlberhaupt eine moumlgliche Einheit und wenn ja wie sind sieim Einzelnen zu deuten damit man zusammengenommen eine innere Verbin-dung unterstellen kann Liegt auf den ersten Blick eine Zweistufentheorienahe wie sie Alain de Libera vertritt7 wonach Alberts Kommentar zum Li-ber de causis einen die genuin aristotelische Metaphysik ergaumlnzenden unduumlberhoumlhenden Neuanfang mit neuplatonischen Mitteln darstellt so steht die-ser Interpretation allein schon das Wort adiuncta im Wege Aber der Verweisauf eine einzige Stelle wird so lange nicht uumlberzeugen bis es gelingt diesystematische Stringenz aufzuzeigen die die aristotelische und die neuplato-nische Metaphysik in der Perspektive Alberts des Groszligen verbindet
Aber auch ein anderes Modell wie es etwa Jan Aertsen vertritt laumlsstdurchaus Fragen offen Aertsen widerspricht zunaumlchst der Deutung von deLibera und betont die Einheit von Alberts Metaphysik Der Kerngedanke isthierbei dass Albert die Metaphysik durchgaumlngig als Transzendentalwissen-schaft konzipiert die im Anschluss an Met I und IV ihren Gegenstand imSeienden als Seienden hat
Die Deutung dass Albert den Gegenstand der Metaphysik im Anschlussan den aristotelischen Text als das ens inquantum ens versteht und damit denCharakter dieser Fundamentalwissenschaft daran festmacht dass ihr Gegen-stand sich durch die Allgemeinheit eines uumlbergeordneten Praumldikates auszeich-net scheint im Grundsatz kaum bestreitbar zu sein Hierzu sind Alberts Aumlu-szligerungen vor allem im ersten Buch seines Metaphysikkommentars viel zuklar8 Nicht ein ausgezeichnetes Erstes sondern ein Ersterkanntes das sich
7 Vgl A de Libera Albert le Grand et Thomas drsquoAquin interpregravetes du Liber de causis Revuedes Sciences Philosophiques et Theacuteologiques 74 1990 347ndash378 Ders Meacutetaphysique etnoeacutetique Albert le Grand Paris 2005 insbes 69ndash74
8 Vgl etwa Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 3ndash5
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als letztes Glied einer Begriffsresolution erweist ist Gegenstand dieser Wis-senschaft und der Grund fuumlr ihren fundamentalen Charakter9 In diesem Sin-ne ist das Sein der erste aller Begriffe ndash wobei Albert soweit erkennbar indiesem Kontext nicht strikt zwischen den Begriffen bdquoSeinldquo und bdquoSeiendesldquobdquoesseldquo und bdquoensldquo unterscheidet Der so verstandene Seinsbegriff ist deshalbder erste weil er als Endpunkt eines Verfahrens hervortritt in dem alle Be-griffe auf die jeweils zugrundeliegenden Begriffselemente zuruumlckgefuumlhrt wer-den wie Albert bereits in seinem Kommentar zu De divinis nominibus fest-stellt10 Aus diesem Primat des Seinsbegriffs resultiert dann die Grundlegungs-funktion der Metaphysik anderen wissenschaftlichen Disziplinen gegenuumlber
bdquoDeshalb scheint es angemessen in Uumlbereinstimmung mit allen Peripate-tikern die die Wahrheit sagen zu behaupten dass das Subjekt [der Metaphy-sik] das Seiende ist insofern es Seiendes ist und dass die Bestimmungen dieaus dem Seienden folgen insofern es Seiendes ist und nicht insofern es diesesSeiende ist seine Eigenschaften sind wie es Ursache [und] VerursachtesSubstanz und Akzidens Getrenntes und Nicht-Getrenntes Moumlglichkeit undWirklichkeit und derartiges sind Denn da diese die erste Wissenschaft unterallen ist ist es notwendig dass sie vom Ersten handelt Das ist aber dasSeiendeldquo11
Der Charakter der Metaphysik als der allen anderen Wissenschaften vor-geordneten Disziplin ergibt sich daraus dass die Grundannahmen aller Ein-zelwissenschaften letztlich auf die fundamentalen Prinzipien zuruumlckgefuumlhrtwerden koumlnnen die sich aus diesem Gegenstand der Metaphysik naumlmlichdem Seienden als Seienden ergeben wobei das Seiende selbst von Albertausdruumlcklich als erstes Prinzip von allem bezeichnet wird
9 Vgl A Zimmermann Ontologie oder Metaphysik Diskussion uumlber den Gegenstand derMetaphysik im 13 und 14 Jahrhundert Texte und Untersuchungen (Recherches de Theacuteolo-gie et Philosophie meacutedieacutevales Biblioteca Bd 1) Leuven 21998 186ndash198
10 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 314 Dicendum quod esse simplicitersecundum naturam et rationem est prius omnibus aliis est enim prima conceptio intellectuset in quo intellectus resolvens ultimo stat
11 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 4 Ideo cum omnibus Peripateticis vera dicenti-bus dicendum videtur quod ens est subiectum inquantum ens et ea quae sequuntur ensinquantum est ens et non inquantum hoc ens sunt passiones eius sicut est causa ltetgtcausatum substantia et accidens separatum et non-separatum potentia et actus et huius-modi Cum enim sit prima ista inter omnes scientia oportet quod ipsa sit de primo hocautem est ens Der deutsche Text folgt der Uumlbersetzung von S Donati in Albertus MagnusInstitut (Hrsg) Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften Schluumlsseltexte inUumlbersetzung Lateinisch-Deutsch uumlbersetzt und fuumlr den Druck vorbereitet von H Moumlhleu a Muumlnster 2011 301 Zu Alberts Haltung gegenuumlber den Peripatetikern vgl die Bemer-kung in seinem Kommentar zum Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 192 Liberde causis Ea enim quae dicta sunt secundum Peripateticorum rationes determinata sunt etnon assertionibus nostris inducta et assiduis postulationibus sociorum nostrorum potiusextorta quam impetrata
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bdquoUnd [da] sie die Prinzipien aller Einzelwissenschaften sowohl die zu-sammengesetzten als auch die einfachen stuumltzt und diese nur durch ih-nen vorgeordneten [Prinzipien] gestuumltzt werden koumlnnen und nur das Sei-ende und die Prinzipien des Seienden insofern es Seiendes ist ihnen vor-geordnet sind allerdings nicht Prinzipien die das Seiende begruumlndetenda das Seiende das erste Prinzip aller Dinge ist sondern Prinzipien dieaus dem Seienden folgen insofern es Seiendes ist ist es notwendig dassdie Prinzipien aller [Einzelwissenschaften] durch diese Wissenschaft ge-stuumltzt werden deswegen weil sie vom Seienden handelt das die ersteGrundlage aller Dinge ist das seinerseits in uumlberhaupt nichts was ihmvorgeordnet waumlre begruumlndet istldquo12
Bei diesen Uumlberlegungen zum Gegenstand der Metaphysik ist allerdings zubedenken ndash so hebt Aertsen mit Recht hervor ndash dass Albert aufgrund derVorgaben des Liber de causis den Begriff des Seienden bzw des Seins auf dasgeschaffene Sein reduziert13 Diese fuumlr das Verstaumlndnis von Alberts Metaphy-sik folgenreiche Beschraumlnkung auf den Bereich des Kreatuumlrlichen ergibt sichaus der zentralen These des Liber de causis wonach das Sein zwar das ersteGeschaffene aber eben ein Geschaffenes ist und deshalb nicht das erste Prin-zip bzw Gott als Voraussetzung der Schoumlpfung mit umfassen kann bdquoDaserste von den geschaffenen Dinge ist das Sein und kein anderes Geschaffenesist vor ihm sbquoPrima rerum creatarum est esse et non est ante ipsum creatumaliudlsquoldquo14
Betrachtet man diesen Begriff des Seins in einer praumldikationslogischenPerspektive wie es aufgrund der Vorgaben von Alberts Metaphysikkommen-tar und der dort getroffenen Entscheidung hinsichtlich des Gegenstandes die-ser Wissenschaft naheliegt dann ergibt sich folgendes Bild Die Beschraumlnkungdieses Seinsbegriffes betrifft zunaumlchst den Bereich der durch ihn bezeichnetenGegenstaumlnde er kann also nicht extensional umfassend sein Aus diesemGrund muss sein Bedeutungsgehalt etwas enthalten das die Anwendung aufGott bzw auf das erste Prinzip verhindert Offensichtlich konnotiert dieserSeinsbegriff das Geschaffensein so dass er auch in intensionaler Perspektive
12 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 4 Uumlbersetzung nach Albertus Magnus Institut(wie Anm 11) 301 [E]t bdquocumldquo stabiliat omnium particularium principia tam complexaquam incomplexa nec stabiliri possint nisi per ea quae sunt ipsis priora et non sint eisaliqua priora nisi ens et entis secundum quod ens principia non quidem quae ens principi-ent cum ipsum sit principium omnium primum sed principia quae sunt ex ente secundumquod est ens oportet quod omnium principia per istam scientiam stabiliantur per hoc quodipsa est de ente quod est primum omnium fundamentum in nullo penitus ante se fundatum
13 Vgl auch G Wieland Untersuchungen zum Seinsbegriff im Metaphysikkommentar Albertsdes Groszligen (Beitraumlge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters NeueFolge Bd 7) Muumlnster 21992 57ndash66
14 Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 88
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 161
nicht wirklich alles umfasst und in diesem Sinne auch kein erstes weil allge-meinstes Praumldikat sein kann Allerdings findet diese Beschraumlnkung des Be-griffs des Seins bei Albert nicht erst im Kommentar zum Liber de causisErwaumlhnung sondern wird auch ausdruumlcklich zu Beginn des Metaphysikkom-mentars hervorgehoben wenn es dort bereits unter Anspielung auf den Wort-laut des Liber de causis und auf dem Hintergrund gleichlautender Vorgabenaus dem Guide de lrsquoeacutetudiant15 heiszligt
bdquoDeswegen wird diese Wissenschaft sbquojenseits der Physiklsquo [transphysica]genannt weil dasjenige was eine durch die Quantitaumlt oder die Gegen-saumltzlichkeit bestimmte Natur ist durch die Prinzipien des Seins schlecht-hin begruumlndet wird die jedes sogenannte bdquoPhysischeldquo uumlbersteigen [trans-cendunt] Aber sie wird auch goumlttlich genannt da alle Dinge die vondieser Art sind goumlttlich und vorzuumlglich und die ersten sind und alleanderen Dinge bezuumlglich des Seins vollenden Das Sein naumlmlich das dieseWissenschaft betrachtet wird nicht als auf dieses oder jenes verengt auf-gefasst sondern eher insofern es das erste Hervorflieszligen Gottes [primaeffluxio dei] und das erste Geschaffene [creatum primum] ist dem keinanderes Geschaffenes vorangeht Diese Dinge werden allerdings im Fol-genden genauer untersuchtldquo16
Das Seiende das Gegenstand der Metaphysik ist ist einerseits nicht auf etwasbestimmtes beschraumlnkt ndash so wie die Gegenstaumlnde der Physik aufgrund ihrerMaterialitaumlt immer nur bestimmte sind ndash doch ist das Sein der Metaphysikals Hervorgang aus Gott auf das beschraumlnkt was man in einer theologischenSprache als Geschaffenes bezeichnet
Aertsen selbst macht in Anschluss an die Uumlberlegungen von Beroald Tho-massen17 auf das sich hieraus ergebende Folgeproblem aufmerksam wenn er
15 Et dicitur a sbquomethalsquo quod est sbquotranslsquo et sbquophisislsquo quod est sbquonaturalsquo quasi sbquotranscendens phisimlsquoin eo quod de maxime transcendentibus naturam considerat scilicet de divinis Lafleur LebdquoGuide de lrsquoeacutetudiantldquo (wie Anm 1) sect 9 33 Diese Formulierung nimmt die Deutung der Me-taphysik in ihrer besonderen Beziehung zu den transcendentia die Aertsen genuin AlbertsAnsatz zuschreibt vorweg Vgl J A Aertsen Medieval Philosophy as TranscendentalThought From Philip the Chancellor (ca 1225) to Francisco Suaacuterez Leiden 2012 206
16 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 2 f Uumlbersetzung nach Albertus Magnus Insti-tut (wie Anm 11) 293 Propter hoc ista scientia transphysica vocatur quoniam quod estnatura quaedam determinata quantitate vel contrarietate fundatur per principia esse simpli-citer quae transcendunt omne sic vocatum physicum Vocatur autem et divina quia omniatalia sunt divina et optima et prima omnibus aliis in esse praebentia complementum Esseenim quod haec scientia considerat non accipitur contractum ad hoc vel illud sed potiusprout est prima effluxio dei et creatum primum ante quod non est creatum aliud De hisautem in CONSEQUENTIBUS perquiretur subtilius
17 Vgl B Thomassen Metaphysik und Lebensform Untersuchungen zur Grundlegung derMetaphysik im Metaphysikkommentar Alberts des Groszligen (Beitraumlge zur Geschichte derPhilosophie und Theologie des Mittelalters Neue Folge Bd 27) Muumlnster 1985 71ndash82
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nun fragt ob das Seiende als solches das Gegenstand der Metaphysik istnicht seine Transzendentalitaumlt und die Metaphysik ihren Status als Funda-mentalwissenschaft verlieren18 Denn offensichtlich meint esse weder ein Ers-tes im strengen Sinne noch besitzt der so interpretierte Begriff eine uneinge-schraumlnkte extensionale Allgemeinheit Zudem ergibt sich von der Sache herdie Schwierigkeit zu erklaumlren wie es vereinbar ist einerseits das Sein ausdem Liber de causis als verursacht zu denken und anderseits im Metaphysik-kommentar als Grund fuumlr Subjektcharakter dieses Begriffs hinsichtlich derMetaphysik darauf zu verweisen dass das Seiende alles Nachfolgende fun-diert selbst aber in nichts was ihm vorausliegt selbst fundiert ist19 Wiekann es sich um ein und denselben Begriff des Seienden handeln wenn ereinmal als verursacht und ein anderes Mal als nicht in etwas anderem fun-diert gedacht werden soll
Aertsen sieht diese Schwierigkeiten und fuumlhrt zwei Argumente an mitdenen er die genannten Bedenken beheben moumlchte Zum einen beruft er sichdarauf dass das Sein auch als Geschaffenes in einem hinreichenden Maszligevoraussetzungslos ist Das ist der Fall weil das Sein durch sein Geschaffen-sein zwar den Schoumlpfer voraussetzt aber was seine konstituierenden Bestim-mungen betrifft unabhaumlngig von diesem ist Analysiert man alles was dasWesen eines Geschaffenen ausmacht so gelangt man als letzte Bestimmungzum esse und nicht noch uumlber dieses hinaus Als Beleg dient folgende Stelleaus Buch II des Liber de causis
bdquoWenn man sagt dass das Erste nichts voraussetzt meint man dass esnichts von sich [nihil sui] voraussetzt d h nichts mit Blick auf die Be-stimmungen die in sein Wesen eingehen und es innerlich konstituierenUnd so ist das Sein ein Erstes das nichts voraussetzt Weil [das Sein] aberein Hervorgang oder ein Ausfluszlig vom Ersten ist ist es notwendig dasses den Schoumlpfer voraussetzt Aber dieser ist nichts von ihm [nihil sui]Das erste Prinzip geht naumlmlich nicht wesentlich in die Konstitution ir-gend eines Dinges ein Deshalb gelangt die Aufloumlsung des Seienden [reso-lutio entium] nicht bis zum ersten Prinzip wenn die Aufloumlsung in We-sensmerkmale geschiehtldquo20
18 Vgl J A Aertsen Die Frage nach dem Ersten und Grundlegenden in W Senner u a(Hrsg) Albertus Magnus Zum Gedenken nach 800 Jahren Neue Zugaumlnge Aspekte undPerspektiven (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens Neue Fol-ge Bd 10) Berlin 2001 91ndash112 109 Hierzu auch Aertsen Medieval Philosophy (wieAnm 15) 202ndash204
19 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 4 [O]portet quod omnium principia peristam scientiam stabiliantur per hoc quod ipsa est de ente quod est primum omnium funda-mentum in nullo penitus ante se fundatum
20 Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 81 Cum enim dicitur quod primum nihilsupponit ante se intelligitur quod nihil sui supponit ante se hoc est de essentiantibus et
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 163
Zum anderen argumentiert Aertsen dafuumlr dass der transzendentale Charak-ter des Seinsbegriffes auch dann erhalten bleibt wenn er sich allein auf denBereich des Kreatuumlrlichen bezieht Denn wenn bdquotranszendentalldquo die univer-selle Praumldizierbarkeit eines Begriffes und nicht die Voraussetzungslosigkeiteines Gegenstandes meint dann haumlngt die Kennzeichnung der Metaphysikals Transzendentalwissenschaft zunaumlchst davon ab ob ens ein universell prauml-dizierbarer Begriff ist auch wenn er auf das Geschaffene begrenzt ist Diesscheint der Fall zu sein da Albert dem Begriff des Seins eine Allgemeinheitzuspricht die wie Aertsen sagt zwar von einer anderen Art als die der Uni-versalien ist die aber gleichwohl als unbegrenzt gelten kann Als Beleg fuumlhrtAertsen ebenfalls eine Aussage Alberts aus dem zweiten Buch des Liber decausis an allerdings aus dem Kontext einer Frage die das Verhaumlltnis desSeins als dem ersten Geschaffenen und der seienden Dinge im Einzelnen be-trifft Auf dieses Argument und den besonderen Kontext in den es einzuord-nen ist wird noch einzugehen sein
Diese beiden Argumente betreffen den Status der Metaphysik da sichbeide auf die Interpretation des Begriffes des Seins und damit auf den fuumlr dieMetaphysik zentralen Gegenstand beziehen Die Frage die sich mit Blick aufdie unterschiedliche Deutung der Metaphysik Alberts durch de Libera undAertsen ergibt betrifft den Zusammenhang der in diesem Argument im Vor-dergrund stehenden Grundbestimmungen des Seins naumlmlich die der Voraus-setzungslosigkeit und die der umfassenden Praumldizierbarkeit Wie verhaltensich diese Momente zueinander und welche Bedeutung kommt ihnen jeweilsin der Gegenstandsbestimmung der Metaphysik Alberts zu Zunaumlchst istnach dem Argument hinsichtlich der Voraussetzungslosigkeit des Seins zufragen (III) in einem naumlchsten Schritt steht dann die Frage nach dem trans-zendentalen Charakter des Seinsbegriffes im Vordergrund (IV)
III Die Voraussetzungslosigkeit des esse
Was den Aspekt der Voraussetzungslosigkeit des Seins betrifft differenziertAlbert in seinem Argument zwischen zwei Formen der Abhaumlngigkeit bzwder Voraussetzungslosigkeit Das Sein ist in einer anderen Weise von einemersten Prinzip abhaumlngig als alles das was dem Sein nachfolgt eben von die-
intrinsece constituentibus ipsum Et sic esse primum est quod nihil ante se supponit Quiatamen est processus sive effluxus a primo necesse est quod supponat ante se creatoremSed ille nihil sui est Primum enim principium non ingreditur essentialiter constitutionemrei alicuius Propter quod resolutio entium non devenit usque ad primum principium quan-do in essentialia fit resolutio
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sem abhaumlngig ist Fuumlr die Abhaumlngigkeit des Seins vom ersten Prinzip verwen-det Albert die Ausdruumlcke processus effluxus oder creatio Creatio meint eineVerursachung besonderer Art naumlmlich eine causatio ex nihilo Eine solchecausatio ist nicht nur voraussetzungslos sondern sie teilt dem folgenden alsodem esse keinerlei Bestimmungsmoment mit denn von sich her ist das essenichts nur durch das Vermoumlgen und die Kraft des ersten Prinzips ist es Nonenim secundum seipsum est sed a potentia et virtute primi Secundum autemseipsum nihil est21
Der Gegenbegriff zur creatio ist der der informatio22 Alles was nachdem Sein ist ist nicht im engeren Sinne geschaffen sondern informiert Infor-matio setzt eine Unterscheidung zwischen dem Akt des Seins und der je eigen-tuumlmlichen Auspraumlgung des Seienden voraus So ist beispielsweise das Lebendie besondere Weise in der bestimmten Seienden naumlmlich den Lebewesendas Sein eigen ist Den sinnenbegabten Wesen ist wiederum eine bestimmteWeise zu eigen wie ihnen das Lebendigsein zukommt Informatio meint alsoeinen Prozess fortschreitender Bestimmung und Konkretion die als solcheeben nicht voraussetzungslos ist Das Sein ist das Anfangsmoment einer jedenBestimmungsreihe und wird deshalb in Bezug auf alles Folgende als incohatioaufgefasst23
Alles was ist laumlsst sich also in die zugrundeliegenden Bestimmungsmo-mente zerlegen Am Ende einer solchen Resolution gelangt man zum esse alsdem Moment das nicht weiter zu zerlegen ist da es als einfach zu gelten hatwenngleich es von der Einfachheit der ersten Ursache ausgeschlossen ist24
Als Konsequenz dieses Ansatzes dass das esse seinerseits als geschaffen mitBlick auf alles Geschaffene aber als das Erste zu verstehen ist ergibt sich eineInterpretation des Seins die dieses sowohl als Akt wie auch als Potentialitaumltdeutet Albert behauptet sowohl dass das Sein Akt des Seienden ist25 wieauch dass es von sich aus im Status der Potentialitaumlt ist26 Gemeint ist offen-sichtlich eine jeweils unterschiedliche Blickrichtung Gegenuumlber dem erstenPrinzip ist das Sein in potentia ja sogar eine nihil wie Albert ausdruumlcklichsagt Als Erklaumlrungsgrund der seienden Dinge aber ist das Sein Akt d hdasjenige Moment das die je eigentuumlmlichen Bestimmungsmomente die je-des Seiende kennzeichnet verwirklicht Das Sein kann also fuumlr Albert gleich-zeitig als geschaffen und doch als erstes gelten als im weitesten Sinne verur-sacht und doch als voraussetzungslos insofern Sein eben beides ist Erstes
21 Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 8122 Vgl Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 31423 Vgl Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 8124 Vgl ebd25 Ebd [E]sse actus est entium26 Ebd Et secundum seipsum in potentia est
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und Zweites Akt und Potenz nichts und nichts seiner selbst voraussetzend[nihil et nihil sui supponens]
Man koumlnnte den Eindruck gewinnen dass die durch den Liber de causisbedingte Neigung zur negativen Theologie sich dem Seinsbegriff der aristote-lischen Metaphysik insofern anschlieszligt als hier eine Lehre von disjunktivenpassiones entis einen geeigneten Anknuumlpfungspunkt bietet Allerdings solltehierbei nicht die Differenz missachtet werden die man annehmen muss zwi-schen einem allgemein praumldizierbaren Seinsbegriff sowie den ihn explizieren-den disjunktiven Praumldikaten auf der einen Seite und dem Sein als einer onto-logischen Instanz die sowohl dem uumlbergeordneten Prinzip als auch den un-tergeordneten Seienden gegenuumlber in einer Kausalrelation steht
Nicht nur die Bestimmungen die Albert vom Sein gibt scheinen dieseneinander widerstreitenden Charakter zu haben sondern der Seinsbegriffselbst scheint in seiner Anwendbarkeit nicht klar zuzuordnen zu sein Denneinerseits scheint er fuumlr das primum creatarum bzw primum causatum vor-behalten zu sein doch wendet ihn Albert eben auch auf die erste Ursachebzw das erste Prinzip selbst an wenn er vom esse dictum de primo principiospricht Albert traumlgt damit der Intuition Rechnung dass auch das erste Prin-zip in gewisser Weise ist Er selbst hat bereits im ersten Buch seines Kommen-tars zum Liber de causis unter Ruumlckgriff auf die Metaphysik Algazalis unddie dort aufgefuumlhrten zwoumllf Eigenschaften des Ersten eben dieses nicht nurals Sein sondern als notwendiges Sein apostrophiert27 Die Frage wie dieseVerwendungsweise des Begriffs esse zu rechtfertigen ist laumluft auf eine Unter-suchung der Einheit des Begriffs und damit auf die Frage nach der univokenoder aequivoken bzw analogen Praumldikation des Begriffs des Sein hinaus Die-se Frage nach der Einheit des Seinsbegriffes betrifft damit unmittelbar daszweite Grundsatzproblem der Metaphysik naumlmlich die Frage inwiefern dieMetaphysik eine Transzendentalwissenschaft genannt werden kann
IV Die Transzendentalitaumlt des Seinsbegriffes
Wenn transzendental eine jede Wissenschaft ist die transkategoriale Begriffezum Gegenstand hat dann kann man Alberts Analyse an den Schluumlsselstellenseines Kommentars zum Liber de causis tatsaumlchlich als Beleg dafuumlr ansehendass die Metaphysik mit ihrem Gegenstand des ens inquantum ens durchgaumln-gig als Transzendentalwissenschaft zu begreifen ist Denn Albert wendet sichausdruumlcklich gegen die Annahme dass durch die Anwendung des Seinsbegrif-
27 Vgl ebd 17 f
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fes sowohl auf das erste Prinzip als auch auf das primum creatum die Einheitdes esse als eines transkategorialen Begriffes in Frage gestellt wuumlrde Zwarist es so dass esse in den beiden genannten Verwendungsweisen nicht mehrdasselbe meinen kann also keine univoke Praumldikation vorliegen kann dochhebt dies nicht die Einheit einer uumlberkategorialen Aussage dieses Begriffesauf In einem ersten Schritt stellt Albert die nicht-univoke Bedeutung des esseexplizit fest bdquoAus dem zuvor gesagten folgt dass Sein wenn es vom erstenPrinzip ausgesagt wird und Sein wenn es von den zweiten ausgesagt wirdnicht univok ist Etwas univok Ausgesagtes ist naumlmlich wesentlich in allenDingen von denen es ausgesagt wirdldquo28
Diese These wird erlaumlutert und begruumlndet indem Albert die Moumlglichkeiteinen Begriff univok zu verwenden ganz auf das Praumldikationsschema derkategorialen Begriffe reduziert Eine univoke Aussage ist immer die einerGattung von den darunter fallenden Dingen Albert spricht explizit nur vonder Aussage eines genus was der Sache nach auf die Art- und Differenzbegrif-fe zu erweitern waumlre Die Aussage eines Gattungsbegriffes so argumentiertAlbert beinhaltet aber immer eine essentielle Gemeinsamkeit mit den durchdie Gattung konstituierten Gegenstaumlnden Dass das erste Prinzip in diesemSinne eine wesentliche Gemeinsamkeit mit dem Nachfolgenden haben koumlnn-te die im Begriff esse ausgesagt wuumlrde haumllt Albert fuumlr eine absurde Annah-me29 Soll sich der Zusammenhang von erstem Prinzip nachfolgendem Seinund den konkreten Einzelgegenstaumlnden nicht vollends aufloumlsen bleibt aufdieser Grundlage nur die Moumlglichkeit eine Gemeinsamkeit aufgrund einesanalogen Verhaumlltnisses anzunehmen
bdquoWenn also das erste Prinzip Sein genannt wird und das Geschaffenebzw Verursachte Sein genannt werden dann handelt es sich in diesemFall nur um eine Gemeinsamkeit aufgrund von Analogie Diese Gemein-samkeit besteht in dem einen durch sich und im eigentlichen Sinne inden anderen aber durch eine Nachahmung von jenem wie im viertenBuch der Ersten Philosophie bewiesen wurdeldquo30
28 Ebd 82 Ex quo sequitur quod esse dictum de primo principio et esse dictum de secundisnon sit univocum Univocum enim in omnibus his est essentialiter de quibus praedicatur
29 Ebd Sequitur etiam ulterius quod esse dictum de primo principio et esse dictum de secun-dis nec unum genus sit entium nec in uno genere Si enim esset unum genus cum naturaquae genus est secundum essentiam sit in his quorum genus est et essentialiter constituensea sequeretur quod esse primi principii essentialiter constitueret entia quod impossibileest Si vero esset in uno genere cum esse aliorum sequeretur quod aliquid esset prius primoprincipio et simplicius eo quod absurdum est
30 Ebd Cum ergo primum principium esse dicitur et creata sive causata esse dicuntur nonest ibi communitas nisi per analogiam Quae communitas in uno est per se et proprie inaliis autem per imitationem illius sicut in IV PRIMAE PHILOSOPHIAE probatum est
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 167
Dieses Argument ist fuumlr die im Raume stehende Frage nach der Einheit vonAlberts Metaphysikkonzeption von besonderer Bedeutung Offensichtlich istes Alberts Absicht die Metaphysik wie sie sich einerseits in Metaphysik Αund Ζ darstellt und wie sie andererseits auf der Grundlage der Ausfuumlhrungenzum ersten Prinzip und zum Sein als dem ersten Geschaffenen im Liber decausis entfaltet wird in einer Einheit zu begreifen Diese Einheit ergibt sichnicht aus einer wesentlichen Gemeinsamkeit all dessen was Seiendes genanntwird sondern aus der Bezogenheit jeder Verwendung des Seinsbegriffes aufein erstes von woher sich eine analog gemeinsame Praumldikation des metaphy-sischen Grundbegriffes esse ergibt Der Seinsbegriff auf den man stoumlszligt wennman eine Resolution aller von den seienden Dingen aussagbaren Bestimmun-gen durchfuumlhrt ist deshalb nur auf das Sein des primum creatum anwendbarund dieser wird eben nicht univok vom schlechthin Ersten wie es im Liberde causis thematisiert wird also vom ersten Prinzip ausgesagt31
Dieser Aspekt von Alberts Praumldikationstheorie der das Verhaumlltnis desersten Prinzips zum Sein als dem Ersterschaffenen betrifft geht nicht in dieUumlberlegungen ein die Aertsen hinsichtlich der Transzendentalitaumlt der Meta-physik anstellt Aertsen beantwortet die Frage nach der Einheit des Seinsbe-griffes und der davon abhaumlngenden Transzendentalitaumlt unter Ruumlckgriff aufein Argument das Albert als Antwort auf eine andere Frage entwickelt Dieresolutive Analyse des konkreten Seienden fuumlhrt zu einem ersten Begriff dereben nicht das erste Prinzip einschlieszligt Er mag transkategorial sein wirdaber wohl nicht im Sinne einer Fundamentalwissenschaft als transzendentalgelten koumlnnen
Ist fuumlr Albert mit den bisher genannten Uumlberlegungen die Frage nach derUnivokation des Begriffs des Seins in Bezug auf das erste Prinzip und dasprimum creatum beantwortet und zwar negativ beantwortet harrt die Fragenach der Einheit des Seinsbegriffes hinsichtlich des primum creatum und al-lem Seienden das diesem nachgeordnet ist noch einer Klaumlrung Im Ergebnisgeht Albert von einer Einheit des Seinsbegriffes aus die sich aber nicht alsEinheit eines kategorialen Begriffes ergibt so dass esse in dem Sinn ein ein-heitlicher Begriff waumlre wie es die Begriffe Mensch oder Lebewesen sindGleichwohl ist der Begriff des esse einheitlich wie einfach und zeichnet sichzudem durch die groumlszligte moumlgliche Allgemeinheit aus
bdquoDie umfassendste Praumldikation ist die die in allem vorkommt Das Seinaber als erstes Geschaffenes ist durch keine Differenz bestimmt Der Um-fang seiner Praumldikation ist also durch nichts beschraumlnkt Es folgt also
31 Ebd Est ergo esse quod primum est in entium compositione et in resolutione ultimumnon simpliciter primum sed primum creatum
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dass [dem Sein] die umfassendste Allgemeinheit zu eigen ist obwohl sei-ne Allgemeinheit weder die einer Gattung einer Differenz einer Art ei-nes Propriums noch die eines Akzidens ist sondern die eines ersten Prin-zips das in das Sein aller Dinge eingeht und durch eine Analogie aufalles Seiendes bezogen ist Das Sein ist also ein erstes Geschaffenes eineseinfach und ein im Sinne der umfassendsten Allgemeinheit allgemei-nesldquo32
Zu beachten ist allerdings dass die hier genannte umfassendste Allgemeinheitinsofern einer Einschraumlnkung unterliegt als Albert mit diesem Ausdruck aufdie urspruumlngliche Frage antwortet ob der Begriff des Seins allgemeiner istund weiter reicht als alles Seiende das dem Sein nachfolgt universalius etlatius omnibus entibus se sequentibus33 Der Superlativ latissima universalitaszur Kennzeichnung des Seinsbegriffes ist also einzuschraumlnken auf die kompa-rativische Verwendung zu Beginn des Kapitels wo von einer groumlszligeren Allge-meinheit des Seinsbegriffes im Vergleich zu den Begriffen die konkret Seien-des bezeichnen die Rede ist Diese gegenuumlber den seienden Dingen weitrei-chendere Allgemeinheit kommt dem Begriff des Seins aufgrund seinerAnnaumlherung zum ersten Prinzip zu In Nachahmung der Einheit des Erstendie das Sein als creatum primum nicht selbst erreicht besitzt es eine in Relati-on gesehen groumlszligere Allgemeinheit als die anderen Seienden bdquoDas Sein alsdas erste Geschaffene ist aufgrund seiner Annaumlherung zu jenem [ersten Prin-zip] und durch die Nachahmung von [dessen] Einheit in einem houmlheren Maszligeeines als alles Nachfolgende wenngleich es keine reine Einheit besitztldquo34
Dies liegt an seinem transgenerischen Charakter der allerdings nichtgleichbedeutend ist mit einer uneingeschraumlnkten Allgemeinheit wie sie einemuneingeschraumlnkt und univok praumldizierbaren Seinsbegriff zukaumlme
Albert erlaumlutert mit Blick auf das Sein den Grund weshalb sich die Ein-heit des Seins gegenuumlber den nachfolgenden Seienden auszeichnet Nach Al-bert ist es die Art und Weise wie sich Akt und Potenz im Sein bzw denkonkreten Dingen verhalten Alles was dem Sein nachfolgt ist durch eineZusammensetzung oder Vereinigung von Akt und Potenz gekennzeichnet die
32 Ebd 83 Latissima enim praedicatio est quae est in omnibus Esse autem primum creatumnulla differentia determinatum est Ambitus ergo suae praedicationis a nullo restrictus estSequitur ergo quod latissimae universalitatis est quamvis universalitas sua non sit generisvel diffentiae vel speciei vel proprii vel accidentis sed principii primi ingredientis in essererum omnium quod per analogiam refertur ad entia Est igitur esse creatum primumunum simplex universale latissimae universalitatis
33 Ebd 82 Ex praeinductis accipitur quod esse unicius sive simplicius est et per consequensuniversalius et latius omnibus entibus se sequentibus
34 Ebd Esse autem creatum primum ex accessu ad illud per unitatis imitationem unicius[Fauser liest unius] est omnibus sequentibus sed non vere unum purum
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 169
darin besteht dass sich nicht ein und dasselbe in Akt und Potenz befindetSeiendes in diesem Sinne enthaumllt sowohl aktuierte Momente als auch dasVermoumlgen dass andere Bestimmungen erst noch aktualisiert werden DasGegenmodell zu einer solchen congregatio aus Akt und Potenz besteht darindass sich ein und dasselbe in Akt und Potenz befindet Albert denkt hieroffenbar an einen einheitlichen und das Ganze betreffenden Uumlbergang voneinem Anfangszustand den er incohatio nennt zu einem Endzustand dener als perfectio bezeichnet35 Diese Beschreibung einer zwar dem konkretenSeienden uumlberlegenen Einheit die aber gleichwohl eingeschraumlnkt bleibt trifftoffensichtlich auf das Sein zu Denn dieses ist wie bereits gesehen fuumlr Albertsowohl Akt als auch Potenz allerdings nicht in Gestalt einer Zusammenset-zung aus aktuellen und noch in Potenz befindlichen Teilen sondern als eineVermittlung von Anfang und Vollendung die sich jeweils auf ein und dassel-be bezieht und nicht nur Teile eines Ganzen betrifft Anders ausgedruumlcktkann man vielleicht sagen Das Sein ist als Ganzes dynamisch da es gegen-uumlber dem ersten Prinzip im Status der Moumlglichkeit ist waumlhrend es mit Blickauf die Vielheit des Seienden das Moment des Wirklichseins beinhaltet
Das Sein als Ganzes in seiner Dynamik von Akt und Potenz zu deutenhat im Liber de causis selbst kein Vorbild sondern geht offensichtlich aufAlberts durch die aristotelischen Vorgaben gepraumlgtes Verstaumlndnis zuruumlck Mitdieser Dynamik ist eine Grundstruktur gemeint wie sie immer schon voraus-gesetzt werden muss wenn man etwa das Sinnesvermoumlgen eines Tieres alsdie Weise verstehen will in der sich das Lebendigsein der Tiere verwirklichtoder die Vernunft als das begreifen will worin sich die besondere Ausprauml-gung der Sinnlichkeit des Menschen zeigt
Albert deutet das Sein nicht nur als Einheit von Akt und Potenz sondernauch als Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit das Sein ist naumlmlichauf gewisse Weise beides endlich und unendlich36 Vieleicht liegt in dieserEigenschaft des Seins widersprechende Bestimmungen wie Akt und PotenzEndlichkeit und Unendlichkeit in sich zu enthalten auch ein Hinweis dasesse des Liber de causis deutlicher in einer praumldikationslogischen Weise zuverstehen Die genannten Bestimmungen sind dann nicht als Eigenschafteneiner ontologischen Instanz sondern als moumlgliche begriffliche Entfaltungen
35 Ebd 82 f Sequentia vero unitatem non habent nisi compositionis potentiae et actus quaeunitas non esset sed congregatio si idem et unum non esset in potentia et actu Idem enimet unum est cuius esse secundum incohationem est in potentia et secundum perfectionemest in actu
36 Ebd 143 Ens autem creatum primum quod est intelligentia non simpliciter est infinitumquid Et si dicitur esse infinitum non est infinitum secundum seipsum et proprie loquendonec simpliciter est finitum nec simpliciter infinitum sed quodam modo finitum et quodammodo infinitum
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eines uumlbergeordneten allgemeinen Praumldikates naumlmlich dem des Seiendenauszufassen
V Zwischen zwei Traditionen von Metaphysik
Der Seinsbegriff bietet Albert die Gelegenheit die durch den Liber de causisvorgegebene Lehre vom processus bzw effluxus des Alls aus einem erstenPrinzip mit der aristotelischen Doktrin vom Seienden als dem ausgezeichne-ten Gegenstand der Metaphysik zu verbinden Albert hat beide Ansaumltze dieer zumindest einer einheitlichen Schultradition zugeschrieben hat mehrfachin seinem Werk als einen in sich stimmigen und einheitlichen Ansatz vonMetaphysik zu begreifen versucht Albert steht mit diesem Vorgehen ganz inder Pariser Tradition des Guide de lrsquoeacutetudiant der ganz selbstverstaumlndlich denGegenstand der Metaphysik als erstes Seiendes bezeichnet um diesen dannunmittelbar folgend als den Begriff des Seienden aufzufassen der in allgemei-ner Weise von allen Prinzipien der Dinge aussagbar ist37 Erstheit im Sinneeiner Fundierung des Emanationsprozesses und Erstheit im Sinne der allge-meinen Praumldizierbarkeit verbinden sich in dieser Tradition des Studienfuumlhrersmit Blick auf den Gegenstand der Metaphysik ganz selbstverstaumlndlich undohne eine weiter gehende Problematisierung hervorzurufen Fuumlr den Guidede lrsquoeacutetudiant verbindet sich im Gegenstand der Metaphysik ganz offensicht-lich ein Begriff des Seienden der als Ursprung eines Emanationsprozessesgedacht wird mit einem praumldikationslogisch allgemeinsten Begriff dessenPrinzipiencharakter davon abhaumlngt dass er als Begriffsgehalt in allen ande-ren Begriffen enthalten ist
Neben dieser bei Albert erkennbaren Tendenz die Einheitlichkeit der bei-den Deutungsmoumlglichkeiten zu betonten ist allerdings auch auf Alberts Auf-fassung zu verweisen wonach es sich hierbei tatsaumlchlich um sich ausschlie-szligende Konzeptionen handelt In besondere Weise wird dies im zweiten Kapi-tel von Alberts Einleitung zum Metaphysikkommentar deutlich Es ist nichtzu bestreiten dass hier explizit die Unvereinbarkeit einer Deutung des Gegen-standes der Metaphysik im Sinne eines praedicatum commune das einheit-lich von den disjunktiven Bestimmungen ausgesagt wird auf der einen Seiteund einer causa prima auf die alle kategorialen Bestimmungen zuruumlckgefuumlhrtwerden auf der anderen Seite ausgeschlossen wird Gerade in dieser Diffe-
37 Lafleur Le bdquoGuide de lrsquoeacutetudiantldquo (wie Anm 1) sect 12 34 Subiectum uero methaphisicepotest dici primum ens eo quod est illud a quo omnia alia exeunt in esse et a quo conseru-antur Et potest dici subiectum eius ens communiter dictum ad omnia uniuersalia principiarerum
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 171
renzierung liegt Alberts Hauptargument gegen die von ihm fuumlr falsch gehalte-nen Interpretationen des Gegenstandes der Metaphysik Alberts zentrale The-se besteht ausdruumlcklich darin dass das Subjekt der Metaphysik nicht dieUrsache sein kann insofern sie als Ursache oder insofern sie als ein Erstesbegriffen wird38
Gleichwohl versucht Albert offensichtlich in Metaphysik IV die drohendeSpannung zu beheben die daraus resultiert dass man den Gegenstand derMetaphysik einerseits aus der Prioritaumlt eines allgemeinsten Praumldikats ableitetoder andererseits auf der Prioriaumlt in einem Fundierungsgefuumlge und damit ineiner dem Sein eigentuumlmlich zukommenden Voraussetzungslosigkeit gruumlndetDas entscheidende Interpretament ist hierbei die aus dem Liber de causisherruumlhrende These wonach das Sein insofern das Erste ist als es kein anderesSeiendes voraussetzt Das Sein selbst ist in diesem Sinne voraussetzungsloswas daher kommt dass es nicht durch Einformung die ein Seiendes bereisvoraussetzt sondern durch Schoumlpfung die unabhaumlngig von jedem Seiendenist hervorgebracht wird39
Die Ausfuumlhrungen im Liber de causis zeigen dass hierzu gewisse Modifi-kationen notwendig sind die Albert bereits in seinem Metaphysikkommentar
38 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 3 Ex his igitur et huiusmodi talem isti accepe-runt opinionem Sed quod errent non difficile est ostendere quoniam subiectum est inscientia ad quod sicut ad commune praedicatum reducuntur partes et differentiae quarumquaeruntur proprietates in ipsa et ad quod consequuntur passiones quae inesse subiectodemonstrantur Certo autem certius est quod substantia quantitas qualitas et huiusmodinon reducuntur ad causam sicut ad praedicatum commune cum tamen de modis et proprie-tatibus talium omnium in hac scientia determinetur Similiter autem per se esse et per acci-dens potentia et actus unum et multum idem et diversum conveniens et contrariumseparatum et non-separatum et huiusmodi quae sunt passiones quae subiecto istius scien-tiae universaliter et ubique probantur inesse non sequuntur causam inquantum causa autinquantum est prima Et cum passio immediata sit subiecto in scientia omni non potestesse causa subiectum scientiae istius
39 Ebd 163 Ens enim est subiectum habens accidentia multa quae accidunt ei per se quaelicet realem ad ipsum non habeant differentiam habent tamen differentiam in modo Quodpatet per hoc quia cum ens nihil habeat ante se patet quod non procedit in esse sicut formaalicui addita praecedenti sed sicut subiectum in quo informata sunt omnia sequentia Vitaenim est ex additione formae cuiusdam se habens ad ens et similiter substantia et sensus etratio et intellectus Nec dicitur esse subiectum sicut species quae subicitur generi differentiaconstitutiva sed dicitur subiectum sicut id quod praesupponitur in omnibus sequentibus etomnibus substat eis Et sic patet quod licet sequentia realem ad ipsum non habeant diffe-rentiam habent tamen ad ipsum differentiam in modo et haec differentia sufficit scientiaeprimae philosophiae Sic enim omnia sequentia enti demonstrantur inesse ut entia per infor-mationem esse habentia insunt enti per creationem solam esse habenti eo quod nihil penitusante se habeat reliqua autem ad minus sibi praesupponunt ipsum ens Sic enim intelligiturquod in LIBRO DE CAUSIS dicitur quod sbquoprima rerum creatarum est esse et non est anteipsum creatum aliudlsquo Omnia autem alia sunt per informationem ut bonum et omnia alia
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andeutet wenn er die Metaphysik dort als scientia transphysica und ebensoals scientia divina bezeichnet Die Frage die sich jetzt stellt betrifft die Span-nungen die zwischen den unterschiedlichen Deutungsweisen einer erstenWissenschaft bestehen und die sich aus Alberts eigenen Ausfuumlhrungen erge-ben Behaumllt der von Albert in den verschiedenen Kontexten der Auseinander-setzung mit Aristoteles mit dem Liber de causis und mit dem Werk des Dio-nysius Ps Areopagita entworfene Seinsbegriff eine hinreichende Einheitlich-keit um als Gegenstand der alle anderen Wissenschaften fundierendenMetaphysik dienen zu koumlnnen
Die allgemeine Praumldizierbarkeit des Seinsbegriffes so wie sie von Aristo-teles zumindest in Metaphysik I und auch in IV zum Ausdruck gebracht wirdkann mit Blick auf den Liber de causis nur bedingt aufrecht erhalten werdenda in der dort vorgetragenen Reihung von primum principium esse und entiadas Sein eben nicht an erster Stelle steht so dass ein entsprechender Begriffdes Seins in praumldikationslogischer Hinsicht nicht alles umfassend sein kannGelegentlich finden sich Andeutungen den Seinsbegriff auch auf das erstePrinzip auszudehnen was naheliegt da man eben davon sprechen kann dassdas principium primum ist Albert schraumlnkt diese Praumldikation aber dahinge-hend ein dass der Seinsbegriff in diesem Fall nur in Analogie nicht aber ineiner univoken Bedeutung verwandt wird Ebenfalls haumllt Albert die Anwen-dung des transkategorialen Seinsbegriffes auf das kategorial Aussagbare auchfuumlr einen Fall analoger Praumldikation Albert gelangt zwar zu einer Interpretati-on der umfassenden Allgemeinheit des Begriffes esse und damit zu einer kor-respondierenden Einheit der Aussage allerdings ist er nicht der Meinungdass diese Einheit des Begriffs zu einer univoken Praumldikation des esse fuumlhrtStatt einer strikt praumldikationslogischen Deutung greift Albert deshalb auf dieeher metaphorische Beschreibung einer imitatio40 des jeweiligen Analogonzuruumlck Wenn man also Alberts Ansatz der Metaphysik mit Aertsen alsTranszendentalphilosophie bezeichnen moumlchte sollte man im Blick behaltendass der zentrale Begriff dieser Metaphysik in seinem Umfang eingeschraumlnktist bzw seine Aussage aufgrund der Analogielehre einen Rest metaphorischenSprechens nicht ablegen kann Fuumlr Albert schwingt im Ausdruck transcende-re eben immer die Konnotation auf die transphysica mit weshalb die Meta-physik nicht eine Transzendentalwissenschaft ist die einer scientia divina ge-genuumlbersteht sondern die mit dieser zusammenfaumlllt oder zumindest auf dieseausgerichtet ist Wobei der von Aristoteles her uumlbernommene Begriff der goumltt-lichen Wissenschaft nicht ein grenzuumlberschreitendes weil goumlttlich offenbartesWissen meint
40 Vgl Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 82
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 173
Der tiefere Grund dieses Befundes scheint darin zu bestehen dass Albertin seiner Metaphysik tatsaumlchlich zwei unterschiedliche Ansaumltze zu verbindensucht L Honnefelder spricht deshalb davon dass Albert den Versuch unter-nimmt ein ganzheitstheoretisches Modell einer transzendentalen Metaphysikmit einem reihentheoretichen Ansatz eines am Leitfaden der Kausalitaumltsver-haumlltnisse orientierten Entwurfs der ersten Philosophie zu verbinden41 Albertschlieszligt auf diese Weise die Metaphysik mit der aus dem Liber de causisgewonnen Lehre von Gott als dem Ursprung aller Dinge ab42
Die sachliche Differenz unterschiedlicher Ansaumltze im Werk Albertsscheint ebenso evident zu sein wie der Versuch Alberts diese zu vereinenLetzteres wird von de Libera unterschaumltzt wenn er zwei voumlllig losgeloumlsteAnsaumltze Alberts konstatiert ersteres wird nicht ausreichend gewuumlrdigt wennAertsen Alberts Metaphysik als ganze und ohne Differenzierung als Trans-zendentalwissenschaft deutet43 Gegenuumlber Honnefelder ist zu fragen woraufsich die Verbindung der beiden Ansaumltze bei Albert im Detail stuumltzt und wieweit sie aufgrund der inneren Spannungen die sich aus der Kombinationzweier unterschiedlicher Paradigmen ergeben tatsaumlchlich reicht
VI Ganzheits- und reihentheoretischer Ansatz der Metaphysik
Honnefelder hebt hervor dass fuumlr diese Verbindung zweier zumindest primafacie heterogener Ansaumltze Alberts Interpretation der Zweiten Analytiken undinsbesondere seine Deutung des Begriffs des Subjektes einer Wissenschaft eineentscheidende Rolle spielen44 Im Gegensatz zu anderen zeitgenoumlssischen In-terpreten der Zweiten Analytiken antwortet Albert auf die Frage was denn
41 Vgl L Honnefelder Metaphysik als bdquoErste Wissenschaftldquo Die kritische Rezeption der ari-stotelischen Metaphysik durch Albert den Groszligen in Ders (Hrsg) Albertus Magnus undder Ursprung der Universitaumltsidee Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13 Jahr-hundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft Berlin 2011insbes 347
42 Vgl ders Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13 Jahrhundert Perspektiven aufdie epochale Bedeutung des groszligen Philosophen und Theologen (Lectio Albertina Bd 13)Muumlnster 2012 insbes 11
43 Eine gewisse Akzentverschiebung scheint in Aertsens juumlngestem Buch festzustellen zu seinGegenuumlber dem fast gleichlautenden Aufsatz aus dem Jahr 2001 ergaumlnzt er seine urspruumlngli-che Deutung nun um den Hinweis dass Albert zur Begruumlndung der Annahme dass dasSeiende als solches Gegenstand der Metaphysik sei weniger auf bdquocommonness of beingldquoals eher auf seine bdquofirstnessldquo abhebt Vgl Aertsen Medieval Philosophy (wie Anm 15) 204
44 Zum folgenden vgl H Moumlhle Albertus Magnus und die Vielheit der Wissenschaften inHonnefelder Ursprung der Universitaumltsidee (wie Anm 41) 301ndash331 511ndash520 insbes 303ndash314
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unter einem Subjekt einer Wissenschaft zu verstehen ist und wodurch sichdie Einheit der in einer Wissenschaft zugrundegelegten Beweisprinzipien alsodie Einheit eines Wissenschaftsgenus ergibt mit dem Hinweis dass es sichhierbei um einen Kausalzusammenhang handelt45 Die Einheit einer Wissen-schaft ergibt sich nicht auf der Ebene von unter- und uumlbergeordneten Begrif-fen und Saumltzen wie man vermuten koumlnnte wenn man eine Wissenschafts-theorie am Leitfaden der demonstrativ verfahrenden Geometrie betreibt wieAristoteles dies uumlber weite Strecken der Zweiten Analytiken tut Vielmehrsieht Albert die Loumlsung der Frage nach der Einheit einer Wissenschaft durchden Hinweis auf einen jeweils abgrenzbaren und erklaumlrungskraumlftigen Kausal-zusammenhang gegeben46
Fuumlr die Metaphysik scheinen diese beiden Optionen der Gegenstandsbe-stimmung naumlmlich aufgrund der praumldikativen Ordnung allgemeiner und we-niger allgemeiner also uumlber- und untergeordneter Begriffe mit einem allge-meinsten Begriff an der Spitze einerseits und einem System auseinander fol-gender Kausalzusammenhaumlnge andererseits eine entscheidende Rolle zuspielen Doch ist dieser methodische Dualismus tatsaumlchlich ein adaumlquatesMittel sich den Texten Albert in allen ihren Facetten zu naumlhern Wird hiervielleicht eine idealtypische Unterscheidung die aus heutiger Sicht durchauseine sachliche Angemessenheit postulieren kann auf die von Albert vertrete-nen Metaphysikdeutung uumlbertragen die sich der modernen Perspektive nichtfuumlgt und aufgrund der durch mehrere Traditionen bestimmten konkreten his-torischen Situation von Alberts Denken weitaus komplexer ist
VII Die Ambivalenz der resolutiven Methode
Es scheint tatsaumlchlich so dass diese fuumlr die moderne Interpretation der meta-physischen Modelle zum Standard gewordene Unterscheidung im Werk Al-berts weitaus weniger trennscharf ist Dies zeigt sich vor allem in AlbertsDeutung des Begriffs der resolutio die eben nicht nur die Begriffsresolutionmeint sondern auch unmittelbar gleichgesetzt wird mit der Zuruumlckfuumlhrungeiner Kausalkette auf ihr erstes Glied Offensichtlich wendet Albert das reso-
45 Alberti Magni Ed Bor 2 (wie Anm 2) 60 Ex his autem quae dicta sunt ulterius quasi excorollario concluditur quod non est sive contingit ex alio genere descendentem in aliudgenus demonstrare Genus autem hic non dicimus praedicabile unum vel primum secundumordinem praedicati sed dicimus genus quod est generationis principium sicut causa eademenim est per se causa subiecti et per consequens passionis principium quia quod est causacausae est etiam causa causati unde generans subiectum generat per se passiones
46 Vgl Moumlhle Vielheit der Wissenschaften (wie Anm 44) 301ndash331 511ndash520
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 175
lutive Verfahren sowohl im begriffslogischen als auch im kausaltheoretischenKontext an Es bildet damit eine Klammer die die Bezugnahme auf allgemei-ne Begriffe mit der Eroumlrterung kausaler Zusammenhaumlnge verbindet Pro-grammatisch entfaltet Albert diesen Zusammenhang als Grundlage fuumlr seineAuseinandersetzung mit Dionysius Ps Areopagita zu Beginn seines Kommen-tars zu De divinis nominibus Demnach ist eine zweifache Verwendung desBegriffs einer resolutiven Methode zu beachten zum einen die aristotelischeMethode der Begriffsresolution die auf allgemein praumldizierbare Begriffsge-halte zielt und zum anderen die kausalresolutive Methode die Albert entfal-tet und die eine Zuruumlckfuumlhrung der fuumlr uns erkennbaren Wirkungen auf diezugrundeliegende Ursache im Blick hat und in diesem Sinne synthetisierendund nicht analytisch vorgeht47 Albert gibt diese Gleichstellung keineswegsauf wenn er auch an spaumlterer Stelle vom Sein spricht das einerseits der End-punkt der vom Verstand betriebenen Begriffsresolution ist und das aber auchgenau jenes ist das selbst durch Schoumlpfung und nicht durch Einformunghervorgebracht wurde und deshalb als erster der goumlttlichen Hervorgaumlnge zudeuten ist48
Die gleiche Ambivalenz die der Begriff der resolutio zeigt wiederholtsich auch im Blick auf den Begriff der Allgemeinheit Allgemeinheit kannnaumlmlich ebenfalls praumldikationslogisch und kausaltheoretisch gedeutet wer-den Im ersten Fall betrifft die Allgemeinheit ein Praumldikat das eine maximaleExtension hat und sich darin zeigt dass sich kein weiterer Begriff findenlaumlsst der den vorliegenden in sich enthielte49 Im zweiten Fall kann man voneiner mehr oder weniger allgemeinen Kausalitaumlt sprechen je nachdem wel-cher Bereich moumlglicher Verursachung groumlszliger ist Albert scheint diesen Begriff
47 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 2 f Quis autem sit auctor patet per eaquae dicta sunt in principio CAELESTIS HIERARCHIAE et similiter quis habitus regens inhac scientia quia fides secundum quod tradita est in sacra scriptura Modus autem duplexest scilicet modus agendi et modus materiae Modus agendi in omnibus suis libris est resolu-torius Sed videtur quod in hoc libro sit modus compositivus Determinat enim sicut dic-tum est de nominibus significantibus causam secundum exitum causatorum ab ipsa proce-dere autem causatum a causa pertinet ad modum compositionis ergo modus huius libri estcompositivus Et dicendum quod est duplex modus quo proceditur de causa in causatumaut e converso Unus est factivus secundum quod causa producit effectum et hic modusest compositivus quia effectus recedit a simplicitate causae Sed quia nos non possumuscognoscere causam ipsam secundum quod est simplex in se ut per eam accipiamus cogni-tionem causati sed potius e converso ideo est alius modus cognoscitivus quo per causataaccipimus causam et hic est resolutorius et talis est modus huius scientiae non secundumquod fit resolutio in causam prout est ignota propter eminentiam sui ad modum significan-di per nomen quia hoc pertinet ad mysticam theologiam sed secundum quod fit resolutioin causam prout est univoce producens causatum
48 Vgl ebd c 5 n 20 31449 Vgl ebd
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der kausalen Allgemeinheit sogar als Maszligstab und Ursprung praumldikativerAllgemeinheit aufzufassen wenn er explizit davon spricht dass sich die Ord-nung dieser nach jener naumlmlich der kausaltheoretischen bemisst Beide For-men der Allgemeinheit lassen sich aus Alberts Perspektive auf den Begriff desSeins anwenden50
Die Ambivalenz des Begriffes einer Resolution wird auch in Alberts Sen-tenzenkommentar deutlich wenn er mit Blick auf die Frage nach der Einfach-heit des durch die resolutio Erreichten auf eine Inkompatibilitaumlt zweier Ver-fahren aufmerksam macht Das Verfahren einer Begriffsresolution fuumlhrt dem-nach zu einem allgemeinen Begriff des Seienden der hinsichtlich derKennzeichnung als geschaffenes oder ungeschaffenes Seiendes indifferent istDieser Begriff so argumentiert Albert ist aber auf keine Weise identisch miteiner Bestimmung die auf Gott angemessen angewandt werden koumlnnte Diesliegt daran dass erst der durch eine Differenz zusammengesetzte Begriff desens increatum Gott bezeichnen wuumlrde Damit wird aber eine Zusammenset-zung von Teilmomenten naumlmlich Seiendheit und Ungeschaffenheit auf Gottuumlbertragen und so seine schlechthinnige Einfachheit nicht adaumlquat zum Aus-druck gebracht Dies vermag hingegen der Begriff der causa denn diesererlaubt es die Unzusammengesetztheit Gottes und die Vorgaumlngigkeit des Be-griffes ens increatum vor dem Begriff ens die durch das begriffsresolutiveVerfahren nicht abgebildet werden kann zu erfassen51 Im Ergebnis bleibt
50 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 314 [C]ausalitas boni communior estquam causalitas entis quia inquantum est finis extendit se etiam ad non-existentia quaeeam desiderant ut supra dictum est et ideo secundum principium communicationis eiusest ordo nominum
51 Alberti Magni Ed Bor 25 (wie Anm 2) 253 Ad primum quod obiicitur de ente dicendumquod id in quo stat resolutio nostri intellectus est simplex secundum quid et simplicitercompositum Intellectus enim resolvens abstrahit universale a particulari et ulterius magisuniversale a minus universali ndash et ideo non aufert nisi differentias coarctantes et verum estquod secundum ablationem illarum differentiarum ens simplex est et ideo stat in ipsoresolutio sed ulterius compositum est et concretum habitudinibus potentialibus scilicetquod ipsum est post nihil et ideo variabile in nihil et ideo privatio et potentia decidentiaeest in eo nisi contineatur et etiam habet habitudinem ad ea cum quibus est componibilequae habitudo non nihil est in eo sicut supra diximus sed tamen illae habitudines abstrahipossunt ab eo secundum intellectum sed illa quae est potentiae privationis non potestabstrahi ab ente creato quia in ratione eius est per hoc quod ipsum est creatum Si autemobiicitur quod ens abstrahit ab ente creato et increato dicendum quod hoc frivolum estquia ex hoc sequitur quod ens increatum esset compositum si enim ens per unam rationemcommunem conveniret ei et creato oporteret quod ens commune coarctaretur in ipso peraliquam differentiam et sic ab alio haberet esse et hoc esse et hoc supra improbatum estergo ens in quo stat resolvens intellectus non est ens increatum sed ens increatum est anteipsum sicut causa Ad hoc autem quod obiicitur quod unum verum et bonum et aliquidsunt de primis simplicibus dicendum quod hoc frivolum est quia non convertuntur cumente secundum suas intentiones sed secundum sua supposita et ideo non est dubium quinilla sint composita
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festzuhalten dass diese unterschiedlichen Resolutionsverfahren das begriffs-logische und das kausaltheoretische nicht zur Deckung gebracht werdenkoumlnnen ja was gravierender ist offensichtlich zu Spannungen fuumlhren undsich deshalb nicht ohne weiteres einem einheitlichen Ansatz subsumieren las-sen
Diesen Befunden entspricht es dann auch wiederum dass der Begriff derFundierung und damit der Prinzipiencharakter von Begriffen und den darausabgeleiteten Wissenschaften ebenfalls ambivalent wird Das ist naumlmlich inso-fern der Fall als ein Begriff als Fundamentalbegriff verstanden wird weil erder allgemeinste im Sinne der Aussagbarkeit ist gleichwohl aber auch voneinem ersten Begriff deshalb die Rede ist weil er ein Erstes in einem kausalenProzess bezeichnet52 Fundierung geschieht in Alberts Perspektive in beiderleiHinsicht weshalb es kein einseitig ausgerichtetes Fundierungsverhaumlltnis ge-ben kann Diese Mehrdeutigkeit des Fundierungsparadigmas macht dann imUumlbrigen auch die von de Libera mit Blick auf die Pariser Magister der 1240erJahre vertretene These53 in ihrer Anwendung auf Albert zweifelhaft wonacheine genuin aristotelische Metaphysik deren Fundierungsparadigma praumldika-tionslogisch ausgerichtet ist eine darauf folgende neuplatonisch bestimmteTheologie die kausaltheoretisch bestimmt ist fundieren wuumlrde
VIII Ergaumlnzung der Metaphysik alsFokussierung ihrer Perspektive
Trotz dieser Ambivalenzen benutzt Albert die Unterscheidung der begriffs-logischen Methode vom kausalanalytischen Verfahren wiederum fuumlr einekeineswegs in Frage gestellte Differenzierung von theologischer und philoso-phischer Vorgehensweise Wie Albert zu Beginn des fuumlnften Kapitels seinesKommentars zu De divinis nominibus deutlich macht laumlsst sich durch eineUnterscheidung eines begriffslogischen und eines kausalanalytischen Verfah-rens eine theologische Rede uumlber das Sein von einer philosophischen Betrach-tungsweise abheben Waumlhrend der Theologe die kausale Interpretation desSeienden verfolgt richtet sich das Interesse des Philosophen auf die Begriffs-resolution die bei einem ersten allgemeinen Praumldikat zum Stillstand kommtDer Kontext fuumlr diese Feststellung ist die Aussage des Dionysius Pseudo-Areopagita dass er sich nun zu Beginn des fuumlnften Kapitels seiner Schriftuumlber die Gottesnamen dem theologischen Lob des wahrhaft existierendenGottes zuwenden wolle Albert schreibt
52 Vgl Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 2 f ebd 453 Vgl De Libera Structure de corpus scolair (wie Anm 1) 77
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bdquo[Dionysius] sagt also zuerst Gesprochen ist genug uumlber das Gute jetztaber ist uumlberzugehen zum wahrhaft existierenden theologischen Lob deswahrhaft existierenden Gottes d h zur Auslegung des Lobes Gottesdurch das er in diesem Namen sbquowahrhaft Existierenderlsquo gelobt wird und[Dionysius] sagt theologisches [Lob] im Unterschied zur philosophischenBeschaumlftigung mit dem Seienden deren Absicht darin besteht dasjenigeSeiende zu bestimmen bei dem die resolutio des Verstandes wie bei einemersten Begriff zum Halten kommt indem seine Eigenschaften und Teilebezeichnet werden Die Absicht des Theologen besteht aber darin vomSeienden zu handeln insofern uumlber die Ursache eines jeden Seienden ge-sprochen wird wie naumlmlich von ihm alles Existierende herausflieszligtldquo54
Der Begriff des Lobes gehoumlrt natuumlrlich in den Kontext des dionysischen Tex-tes die Unterscheidung einer philosophischen und einer theologischen Redevom Seienden hingegen findet sich ebenso in den im engeren Sinne metaphy-sischen Schriften Alberts wie sich dort auch die inhaltliche Abgrenzung derbeiden Blickrichtungen findet Waumlhrend der philosophische Ansatz die Be-griffsresolution verfolgt steht fuumlr das theologische Verfahren der Kausalitaumlts-leitfaden im Mittelpunkt der sich wie im Liber de causis ndash und auch bereitsim Metaphysikkommentar angekuumlndigt ndash an der Fluxustheorie orientiertWas hier unter Theologie zu verstehen ist bedarf sicher weiterer AnalysenEine Theologie die sich auf die Kenntnis uumlbernatuumlrlich geoffenbarter Prinzi-pien stuumltzt wie sie Albert zu Beginn des Sentenzenkommentars entwirft unddie sich zudem durch Ihren Charakter als scientia affectiva auszeichnet kannin diesem Kontext keinesfalls gemeint sein Jede Form einer im engeren Sinnewasheitlich von Gott handelnden Theologie ist hiervon zu unterscheiden55
Albert weiszlig von Anbeginn seiner akademischen Laufbahn deutlich zwi-schen den Untersuchungsgegenstaumlnden und -methoden der Philosophen undder Theologen zu unterscheiden Dies ist insbesondere der Fall wenn es umdie zentralen metaphysischen Grundbegriffe geht In seinem Sentenzenkom-mentar stellt er mit Nachdruck fest dass Aristoteles aus philosophischer Per-spektive die transzendentalen Begriffe des ens und unum und nicht die siebegleitenden Begriffe des verum und bonum in den Vordergrund der Betrach-
54 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 303 Dicit ergo primo Dictum est suffi-cienter de bono nunc autem transeundum est ad vere existentem laudationem theologicamdei existentis vere idest ad exponendum laudem dei qua laudatur in hoc nomine quod estsbquovere existenslsquo et dicit theologicam ad differentiam philosophici negotii de ente cuius inten-tio est determinare de ente in quod stat resolutio intellectus sicut in primam conceptionemassignando passiones et partes eius theologi autem intentio est determinare de ente secund-um quod dicitur de causa omnis entis prout ab ipso fluunt omnia existentia
55 Vgl etwa Op om XXXVII2 c 1 458 f
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tung stellt was hingegen die Sancti die Kirchenlehrer wobei vor allem Dio-nysius Ps Areopagita gemeint sein duumlrfte tun56 Der Grund hierfuumlr bestehtnach Albert darin dass Aristoteles den Begriff des Seienden als letztes Ergeb-nis eines begriffsresolutorischen Verfahrens und nicht als Bezeichnung einesersten Seienden versteht das Ursprung einer Fluxus-Bewegung ist In diesemletzten Sinne wird das Seiende dann von den Sancti als erstes Seiendes EinesWeises und Gutes betrachtet das jeweils Ursprung einer Kette von Hervor-bringungen ist deren Quellgrund jeweils das Erste ist Dieses Verfahren derSancti naumlmlich ihr Modus der Betrachtung ruumlckt dann andere transzenden-tale Begriffe wie vor allem das bonum in den Blickpunkt der Betrachtung
Im Ergebnis ist an den Eigenheiten der unterschiedlichen Perspektivenfestzuhalten die zwar aufeinander bezogen werden koumlnnen die aber keinEinheitsmodell einer neuplatonisch-aristotelischen Einheitswissenschaft seinkann in der die Sancti ebenso wie die Philosophi das ihnen jeweils Eigentuumlm-liche unter einem gemeinsamen Dach aufgeben muumlssen Dies gilt auch wennman dieses Dach transzendentalphilosophisch konstruieren will Denn I Sentd 46 a 14 macht ja gerade deutlich dass fuumlr Albert die Grenzlinie zwischeneiner universalistisch philosophischen Methode der Begriffsresolution und ei-nes an der Fluxustheorie orientierten Verfahrens der Sancti mitten durch dievermeintlich transzendentalen Begriffsbestimmungen verlaumluft weshalb voneiner theologischen Grundlegung der transcendentia wie mehrfach von Aert-sen behauptet57 nicht die Rede sein kann Denn offensichtlich geht die Be-handlung verschiedener transzendentaler Begriffe Hand in Hand mit einerjeweils grundlegend anderen Methode naumlmlich der praumldikationslogischenBegriffsresolution einerseits und der am Kausalitaumltsleitfaden vollzogenen Flu-xustheorie andererseits Albert traumlgt dieser Differenz zudem dadurch Rech-nung dass er zwischen dem Philosophen Aristoteles der paradigmatisch denersten Weg repraumlsentiert und den Sancti die die zweite Zugangsweise ver-koumlrpern unterscheidet Ausschlaggebend ist bei dieser Vorgehensweise dassAlbert sehr genau zwischen einer Metaphysik die sich des Verfahrens derBegriffsresolution bedient und einer Theorie der Sancti die ihren Ausgangs-punkt vom fluxus ab ente primo nimmt zu differenzieren weiszlig Im Einzelnensind es drei Elemente die Albert als Kennzeichen des philosophisch-metaphy-sischen Verfahrens anfuumlhrt die durch die Begriffsresolution erreichbare Zu-ruumlckfuumlhrung des Spaumlteren auf das Fruumlhere die Reduktion des Zusammenge-setzten auf das Einfache und schlieszliglich die hieraus resultierende Allgemein-heit die alles in sich versammelt (colligit omnia) und die ndash so ist zu er-
56 Vgl hierzu Aertsen Medieval Philosophy (wie Anm 15) 183ndash18657 Vgl ebd184 Ders Die Frage nach dem Ersten (wie Anm 18) 97
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gaumlnzen ndash durch den umfassenden Begriff des Seienden insofern es Seiendesist gegeben ist58
Das von Albert den Sancti zugeschriebene theologische Wissen das sichdes kausalresolutorischen Verfahrens bedient steht aber wie Albert an ande-rer Stelle ausfuumlhrt unter einem deutlich ausgesprochenen Erkenntnisvorbe-halt der dieses zwar einerseits uumlber die Lehre der Philosophen heraushebtes aber gleichwohl an die mit der Endlichkeit des menschlichen Verstandesgegebenen Grenzen bindet
bdquoDie goumlttliche Substanz kann in gewisser Weise von uns erkannt werdenauch an sich allerdings nicht vollkommen Dass etwas vollkommen er-kannt wird sagt man wenn man von etwas weiszlig was es ist und wasseine Eigenschaften sind Dies vermag der geschaffene Verstand abernicht hinsichtlich der goumlttlichen Substanz aufgrund [Gottes] Unendlich-keit [Gott] wird aber erkannt wie der Endpunkt einer Resolution inso-fern wir ihn nach allem Verursachten und nach jeder Einfachheit derKreaturen finden Aber eine solche Erkenntnis richtet sich eher auf daswas er nicht ist als auf das was er ist insofern wir naumlmlich die goumlttlicheSubstanz durch Beiseitelassen alles Geschaffenen erkennen und indemwir so zu ihr gelangen benennen wir sie auch Und deshalb sagt [Diony-sius] dass [Gott] unbekannt und unaussprechlich istldquo59
Gott faumlllt aus der Perspektive einer Seinsmetaphysik die sich an das impliziteVerdikt des Liber de causis haumllt Gott auszligerhalb des Skopus des Seins zu
58 Alberti Magni Ed Bor 26 (wie Anm 2) 449 f Si autem quaeritur secundum quem ordi-nem se habeant ad invicem unum verum bonum et ens dicendum quod secundum Philoso-phum ante omnia sunt ens et unum Philosophus enim non ponit quod verum et bonumsint dispositiones generaliter concomitantes ens nec divisio entis secundum quod est ensest per verum et bonum Quia Philosophus non considerat ens secundum quod fluit ab enteprimo et uno et sapiente et bono sed ipse considerat ens secundum quod stat in ipsointellectus resolvens posterius in prius et compositum in simplex et secundum quod ipsumper prius et posterius colligit omnia Et ideo de vero et bono non determinat per huncmodum sed de bono quod est finis ad quem est motus et ideo dicit quod nec una estdemonstratio in mathematicis per rationem boni Et ideo sic generaliter considerando istaut consideraverunt Sancti dicemus quod inter ista scilicet essentia et ens est primum natu-ra circa quod ut substratum sibi ponuntur alia
59 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 304 Solutio Dicendum quod divinasubstantia aliquo modo a nobis cognosci potest etiam secundum se sed non perfecteperfecte enim cognosci dicitur de quo scitur quid ipsum sit et proprietates eius hoc autemnon potest intellectus creatus in substantia divina propter sui infinitatem Cognoscitur ta-men ut terminus resolutionis secundum quod invenimus ipsum post omnia causata et postomnem simplicitatem creaturarum Sed talis cognitio potius est quid non est quam quidest inquantum scilicet cognoscimus substantiam divinam per remotionem ab omnibus cau-satis et sic devenientes in ipsam etiam nominamus ipsam et propter hoc dicit quod estignotum et ineffabile
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denken heraus Erweitert man aber diesen Ansatz der Metaphysik durch dieFrage nach dem Grund des Seins d h versteht man das Sein als herausragen-des aber doch als Glied einer Kausalreihe wie es der Liber de causis nahe-legt ergibt sich die Moumlglichkeit in einer anderen Weise von einem Ersten zusprechen Die oben angedeutete Theorie einer negativen Theologie erlaubt esnaumlmlich die resolutiv gewonnenen Letztbestimmungen einer Seinsmetaphy-sik in Richtung auf ein quid zu uumlberschreiten von dem man dann zumindestsagen kann was es nicht ist
In Alberts Interpretation des Dionysischen Ansatzes wird diese negativeTheologie begleitet durch eine Abbild- oder Aumlhnlichkeitsmetaphorik DieGrundlage hierfuumlr ist das von Albert beispielhaft im ersten Kapitel von Dedivinis nominibus zugrundegelegte Analogieverstaumlndnis wonach Gott eineder analogen Aussage zugrundeliegende Konvenienz gegenuumlber allem vonihm Verursachten zukommt die einem Urbild-Abbild Verhaumlltnis von Gottund Schoumlpfung entspricht Dieser Analogiekonzeption entspricht dann einesich hieraus ergebende Partizipationslehre die diese Urbild-Abbild Metapherontologisch ausdeutet60 Albert beruft sich fuumlr dieses Vorgehen einer exemp-larursaumlchlich motivierten Deutung die er auf die grundlegenden transzenden-talen Begriffe des Wahren Guten und Seienden anwendet ausdruumlcklich aufPlaton und dessen Begriff des ersten Guten61 Auf diesem Hintergrund laumlsstsich in einem reihentheoretischen Ansatz eine Ursachenfolge als abbildhafteExplikation eines processus aus der goumlttlichen Substanz deuten so dass esdann im fuumlnften Kapitel von De divinis nominibus heiszligt bdquoDie ursprungshaf-te goumlttliche Substanz schreitet in alle Seiende fort wie eine wirkmaumlchtige undformhafte Ursache die in jede Substanz die Aumlhnlichkeit ihrer eigenen Subs-tanz verstroumlmtldquo62
60 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 35 Dicimus quod haec ratio est suffi-ciens ut deus possit nominari ab omnibus causatis quia est causa omnium et bene concedi-mus quod habet convenientiam cum causatis non univocationis sed analogiae non tamentalis analogiae quod aliquid idem participetur a deo per prius et a causatis per posteriusquia sic esset aliquid simplicius et prius deo sed quia deus est secundum substantiam aliquidut vita vel sapientia vel huiusmodi non per participationem et alia participant illud acceden-do ad primum quantum possunt sicut est convenientia exemplatorum ad exemplar ut siintelligeretur aliqua rectitudo per se existens quae imprimeretur diversis lignis quaedamplus participarent rectitudinem secundum quod essent minus nodosa nullum tamen parti-ciparet rectitudinem secundum simplicitatem exemplaris Similiter in exitu rerum ad esseunumquodque tantum participat de esse quantum similatur divino radio secundum for-mam suam et similiter in reditu ad finem unumquodque in tantum est bonum et appetibilequantum habet de similitudine ultimi finis quod est primum bonum et ideo propter talemconvenientiam causatorum ad causam potest deus nominari ex omnibus causatis
61 Vgl Alberti Magni Op om XXXIV1 (wie Anm 2) 18262 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 305 [] divina substantia principalis
procedit in omnia entia sicut causa effectiva formalis profundens in omnem substantiamsimilitudinem suae substantiae
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Die Absicht des Dionysius in diesem Kontext besteht nach Albert darinuumlber das Existierende zu sprechen insofern es in Gott ist bzw von ihmausgeht Dies kann aber nur auf die Weise geschehen dass Gott als Ursachebegriffen wird indem der Hervorgang des Seienden hinreichend durch denHervorgang der goumlttlichen Substanz expliziert wird Der tiefere Grund liegtdarin dass ein Ansatz einer ganzheitstheoretischen Metaphysik zwar mit demBegriff des Seins uumlber das Praumldikat verfuumlgt das umfassender ist als der Begriffder Substanz communior quam intellectus substantiae In der Substanz aberso interpretiert Albert den Text des Dionysius findet sich das Sein zuerst undungetruumlbt primo et simpliciter Die Substanz aber so faumlhrt Albert fort laumlsstsich qua causa und d h reihentheoretisch explizieren
bdquoObwohl der Begriff des Seienden allgemeiner ist als der Begriff der Subs-tanz erfasst man [den Begriffsgehalt des] Seienden erstlich und schlecht-hin im [Begriffsgehalt der] Substanz Anderes insofern es Seiendes isthat eben diese [Bestimmung des Seienden] von der Substanz als einerUrsache Und alles was auf Gott zuruumlckgefuumlhrt wird faumlllt aus dem Be-griffsfeld des Akzidentellen heraus Und weil [Dionysius] hier beabsich-tigt vom Existierenden zu handeln insofern es in Gott in der Weise istin der er Ursache ist wird der Hervorgang des Seienden durch den Her-vorgang der Substanz hinreichend erlaumlutertldquo63
In dieser Passage stellt Albert zwei Leistungsmerkmale die man dem Begriffdes Seienden zuschreiben kann gegenuumlber zum einen die Allgemeinheit zumanderen die grundlegende und uneingeschraumlnkte Bedeutung die diesem Be-griff zukommt Alberts These lautet nun dass beides nicht notwendig zusam-menfaumlllt Der Grund hierfuumlr besteht darin dass die groumlszligte Allgemeinheit desBegriffs des Seienden gerade dadurch zu Stande kommt dass man von derEinschraumlnkung auf den Begriff der Substanz absieht also unter Sein nichtausschlieszliglich das Sein einer Substanz versteht Will man aber auf der ande-ren Seite ndash so argumentiert Albert ndash den Begriff des Seienden erstlich undschlechthin also in grundlegender Weise begreifen dann muss man ihn vomSubstanzsein her denken Dies bedeutet Seiendes kausal zu interpretierenalso von seiner Verursachung her zu verstehen Seiendes soll von der Substanzher verstanden werden insofern diese als Ursache verstanden wird (a sub-stantia sicut a causa) Der substantielle Charakter des Seienden kommt am
63 Ebd 305 Et dicendum quod quamvis intellectus entis sit communior quam intellectussubstantiae ens tamen primo invenitur et simpliciter in substantia Alia autem secundumquod sunt entia et hoc ipsum habent a substantia sicut a causa et omnia reducta in deumcadunt a ratione accidentis Et quia hic intendit determinare de existente secundum quodest in deo per modum quo est causa ideo sufficienter explicatur processus entis per proces-sionem substantiae
Metaphysik als Theologik Rezeption und Transformation der Metaphysik 183
deutlichsten dadurch zustande dass man die Substanz nicht nur irgendwieals Ursache versteht sondern sie bis auf Gott als die eigentliche Ursachezuruumlckfuumlhrt In diesem Fall verliert der Begriff alle Konnotationen des akzi-dentiellen Seins und wird im engeren Sinne als SubstanzUrsache in den Blickgenommen
Was das fuumlnfte Kapitel seines Kommentars zu De divinis nominibus be-trifft scheint Albert tatsaumlchlich von einer einheitlichen Interpretation der Me-taphysik uumlberzeugt zu sein unabhaumlngig davon welcher Methode sie sichbedient Offensichtlich besteht nur eine perspektivische Differenz innerhalbder Metaphysik ob sie den Weg der Begriffsresolution mit dem Zielpunkteines ersten Verstandesbegriffes beschreitet oder ob sie die kausale Rekons-truktion der Emanationsprozesse bis hin zu der grundlegenden Differenz ei-ner nur Gott zukommenden Schoumlpfung und eine alles weitere bestimmendenInformationsprozesses betreibt Die Erstheit des Seinsbegriffes stellt sichnaumlmlich fuumlr Albert in beiden Faumlllen ein sowohl in praumldikationslogischer Per-spektive als auch mit Blick auf die von Gott ausgehenden Emanationsprozes-se innerhalb derer dem Sein wiederum eine entsprechende Erstheit zukommt
bdquoMan muss naumlmlich sagen dass das Sein schlechthin gemaumlszlig der Naturund dem Begriff nach fruumlher als alles andere ist Es ist naumlmlich der ersteBegriffsgehalt des Verstandes und hierin kommt der aufloumlsende Verstandletztlich zu einem Stillstand Nur [das Sein] selbst wird aber auch durchSchoumlpfung hervorgebracht ohne das etwas anderes vorausgesetzt wuumlrdealles andere aber [wird hervorgebracht] durch Einformung naumlmlich uumlberdas vorausexistierende Seiende hinaus wie der Kommentator im Liberde causis sagt Jenes aber ist das Erste das von einem anderen hervor-geht und das nicht hervorgeht indem etwas [anderes] vorausgesetztwird Und so bleibt [als Ergebnis] uumlbrig dass unter allen goumlttlichen Her-vorgaumlngen das Sein das Erste istldquo64
So eng Albert in dieser Passage die genannten Perspektiven mit Blick auf dieErstheit des Seins als Einheit begreift so nachdruumlcklich wird durch diesesVorgehen aber auch die Differenz eines auf das Geschaffene beschraumlnktenSeinsbegriffes zu einem allgemeinsten Praumldikat das Gott und Schoumlpfung um-fasst deutlich Von der Sache her scheinen hier nicht alle Folgeproblemegeloumlst zu sein Entweder fuumlhrt die Begriffsresolution nicht wirklich zu einem
64 Ebd 314 Dicendum quod esse simpliciter secundum naturam et rationem est prius omni-bus aliis est enim prima conceptio intellectus et in quo intellectus resolvens ultimo statIpsum etiam solum per creationem producitur non praesupposito alio omnia autem aliaper informationem scilicet supra ens praeexistens ut dicit Commentator in LIBRO DE CAU-
SIS Illud autem est primum procedens ab alio quod non procedit supposito quodam et itarelinquetur quod inter omnes processiones divinas esse sit primum
184 Hannes Moumlhle
Ersten oder der Seinsbegriff muss sich in einer hier scheinbar ausgeschlosse-nen Weise doch noch auf Gott beziehen lassen
IX Erweiterung der aristotelischen Metaphysikund deren Verhaumlltnis zur Theologie
Im Ergebnis zeigt sich also dass die ganzheitstheoretische Betrachtungsweisedie von einem allgemeinen Begriff des Seins ausgeht reihentheoretisch zuergaumlnzen ist So stellt sich zumindest Alberts Vorgehen dar wenn man esvon seinem in den Aristoteleskommentaren hervortretenden Kernbestand herversteht Der Blick auf die Auseinandersetzung mit Dionysius zeigt aber auchdass Albert hierbei von einer urspruumlnglichen Einheit in der Sache ausgehtdie sich praumldikationslogisch oder kausaltheoretisch erfassen laumlsst In diesemSinne naumlmlich dass eine Wissenschaft vom transzendentalen Seinsbegriff umeine am Leitfaden der Kausalverhaumlltnisse orientierte Betrachtung zu erwei-tern ist koumlnnte man versucht sein in Bezug auf die Metaphysik Alberts voneiner Theologik oder besser von einer Gott als Ursache in den Blick nehmen-den Erweiterung der Metaphysik zu sprechen Die Rede von der Erweiterungunterstellt eine Nachordnung der Inhalte dieses Teils der Metaphysik wasAlbert selbst betont wenn er von den Hervorgaumlngen aus dem goumlttlichen We-sen die hier zur Sprache kommen sagt dass sie in der Erkenntnisordnungnachgeordnet sind weil sie als naumlhere Bestimmungen dem Sein nachfolgendas in epistemologischer Hinsicht das Erste und damit im eigentlichen SinneGegenstand der Metaphysik ist65
Gleichwohl sollte man diese Deutung der Metaphysik die ein inklusivesModell von Theoriestuumlcken mit heterogener Herkunft nahelegt nicht uumlber-spitzt als eine grenzuumlberschreitende Vermischung einer genuin philosophi-schen und einer genuin theologischen Perspektive verstehen Vielmehr scheintdas Verhaumlltnis beider eher das einer vertiefenden Fokussierung des ganzheits-theoretischen Verfahrens durch die kausal orientierte und an den Substanzbe-griff anknuumlpfende Betrachtung zu sein Diese Verbindung der Perspektivenintegriert das kausaltheoretische Vorgehen ohne dass dadurch die Ursacheals solche das eigentliche Subjekt der Metaphysik wuumlrde Diese Position die
65 Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 4 [] processiones illae divinae quas inducitnon sunt primae per hoc quod sunt divinae sed per hoc quod ad entis primi sunt simplicita-tem reductae Et ideo patet quod nulla ipsarum est absolute prima nisi ens et omnes suntad ens consequentes et ideo solum ens simplex est primum et subiectum et alia consequun-tur ad ipsum sicut partes et passiones eius Talia etiam licet sint causata divina et processio-nes simplices non tamen esse habent extra materiam []
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als Gegenstand der Metaphysik eine erste Ursache annaumlhme schlieszligt Albertmit Nachdruck zu Beginn seines Metaphysikkommentars aus66 um demge-genuumlber das Seiende als Seiende ausdruumlcklich als Gegenstand der Metaphysikherauszustellen Diese Deutung Alberts wird davon getragen dass das Seien-de als Gegenstand der Metaphysik eben auch als Substanz und damit alsUrsache verstanden werden kann Mit Blick auf den Anfang von AlbertsMetaphysikkommentar ist hervorzuheben dass diese Einheit insofern vorge-zeichnet ist als die Kennzeichnungen der Ursache und der Substanz als Eigen-schaften (passiones) des allgemeinen Begriffs des Seienden und damit des ei-gentlichen Gegenstandes der Metaphysik verstanden werden67
Die aus der Verbindung unterschiedlicher Verfahren auf die Albert zu-ruumlckgreift resultierenden Spannungen sind Spannungen nicht etwa zwischender Theologie und der Philosophie sondern entstehen innerhalb der Meta-physik selbst Das begriffslogische Verfahren gelangt demnach bis zu einemprimum creatum naumlmlich dem durch den Begriff esse Beschreibbaren unddamit nicht bis zu Gott als dem ersten Prinzip selbst Bei einem kausaltheore-tischen Vorgehen innerhalb der Metaphysik gelingt zumindest uumlber den Ursa-chenbegriff noch eine eingeschraumlnkte Erfassung des Ersten das dadurch inden Blick kommt dass man es als erste Ursache begreift An dieser Stellegelangt allerdings auch die kausaltheoretisch argumentierende Metaphysikan eine Schnittstelle an der die metaphysisch ausweisbaren Begriffe der Ver-ursachung und der Einformung vom theologischen Begriff der Schoumlpfunguumlberboten und in ihrer Begrenzung als philosophische Grundbegriffe erkenn-bar werden68 Die Rede von einer Metaphysik als Theologik scheint deshalbin Bezug auf Albert nicht angemessen zu sein Gegenuumlber einer solchen Ver-mutung unterscheidet Albert viel zu deutlich zwischen dem Goumlttlichen wiees in der Philosophie durch entsprechende Ersatzbegriffe wie den der Ursa-che in den Blick kommt und dem Goumlttlichen das eine auf Offenbarungrekurrierende affirmative oder eine auf bejahende Aussagen verzichtende ne-gative Theologie zum Gegenstand hat
Zwar laumlsst sich Gott als Ursache begreifen so dass sich im Ausgang voneiner kausalen Kette affirmative Aussagen von ihm treffen lassen doch uumlber-steigt Gott diese Ursachenkette wesentlich so dass seine Washeit letztlichauch dem kausalen Zugriff entzogen bleibt69 Soll die geschaffene Welt in
66 Vgl Alberti Magni Op om XVI1 (wie Anm 2) 367 Vgl ebd 468 Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 80 f Sicut enim SAEPIUS dictum est creare
ex nihilo producere est Quod autem causat non supposito quodam alio quo causet conse-quenter sequitur quod causet ex nihilo Primum autem causat non supposito quodam alioquo causet Primum ergo causat ex nihilo Causatio ergo ipsius creatio est
69 Alberti Magni Op om XXXVII2 (wie Anm 2) 458 f [E]t dicit quod deus est causaomnium et tamen essentialiter est super omnia Et ideo quamvis causaliter omnium affirma-
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ihrem Verursachtsein verstanden werden koumlnnen ndash was fuumlr die Metaphysikund ihren Gegenstand von ganz zentraler Bedeutung ist insofern das Seindas primum causatum ist ndash so ist vor diesem Hintergrund zu fragen inwie-fern dies auf der Grundlage der geschilderten Transzendenz Gottes moumlglichsein soll Albert beantwortet diese Frage die er sich selbst in Form einesEinwandes im Anschluss an die dionysische Konzeption der negativen Theo-logie stellt70 mit einer spezifischen Analogielehre Gilt einerseits dass dieWasheit Gottes auszligerhalb des kausalen Zugriffes liegt so ist doch anderer-seits eine gewisse Gemeinsamkeit von Gott als Ursache und den verursachtenDingen selbst zu konstatieren Diese Gemeinsamkeit verbindet Ursache undWirkung nicht durch kategorial aussagbare Praumldikate sondern durch eineAnalogie der Nachahmung (analogia imitationis) in der die verursachtenDinge als Bilder oder Aumlhnlichkeiten Gottes erscheinen koumlnnen die in Begrif-fen wie sbquoWeisheitlsquo und sbquoGutheitlsquo ausgedruumlckt werden
bdquoDazu dass eine Wirkung von der Ursache ausgesagt werden kann istes erforderlich dass Ursache und Wirkung auf irgendeine Weise etwasmiteinander teilen Daher sagen wir dass Gott wenngleich er mit denGeschoumlpfen weder der Gattung noch der Art noch der Analogie nachin Gemeinschaft steht wodurch etwas ein sbquoeineslsquo waumlre in ihm und denanderen so steht er doch in einer gewissen Gemeinschaft der Analogieder Nachahmung insofern andere ihn nachahmen soweit sie es koumlnnenEinige aber ahmen ihn nur als von ihm Gedachte nach wie die die nichterstlich in ihm sind wie Esel und Stein in ihrer Gestalt und diese werdenvon Gott nicht wesenhaft ausgesagt sondern nur ursaumlchlich Einige aberahmen ihn nach als Bild oder Aumlhnlichkeit seiner selbst welche erstlichin ihm sind wie Weisheit Gutheit usf und diese werden von Gott we-senhaft und ursaumlchlich ausgesagtldquo71
tiones ponantur in ipso tamen multo magis essentialiter omnia removentur ab ipso et ipsenihil est eorum Et istae negationes non sunt oppositae illis affirmationibus quia non suntsecundum idem sed oportet causam omnium ponere et super negationes et super affirmatio-nes quia per neutrum horum comprehenditur quiditas dei
70 Vgl ebd 45971 Ebd Solutio Dicendum quod ad hoc quod effectus praedicetur de causa oportet quod
causa et effectus sint communicantia aliquo modo unde dicimus quod deus quamvis noncommunicet cum creaturis genere vel specie vel analogia per quam aliquid unum sit in ipsoet aliis communicat tamen quadam analogia imitationis secundum quod alia imitanturipsum quantum possunt Quaedam tamen imitantur ipsum tantum ut ideata sicut quaenon sunt per prius in ipso sicut asinus et lapis in formis suis et ista non praedicantur dedeo essentialiter sed causaliter tantum Quaedam imitantur ipsum ut imago vel similitudoipsius quae per prius sunt in ipso sicut sapientia bonitas etc et ista dicuntur de ipsoessentialiter et causaliter Uumlbersetzung nach Albertus Magnus Institut (wie Anm 11) 473
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Die kausale Deutung des Seinsbegriffes die Albert dem Liber de causis ent-nimmt bietet die Moumlglichkeit den praumldikationslogisch betrachtet allgemei-nen Begriff des ens inquantum ens auf einen Grundbestand seiner Bedeutunghin zu fokussieren die Albert im Substanzcharakter einer wirkmaumlchtigencausa prima erblickt Der Preis dieser Fokussierung ist eine Einschraumlnkungdes Allgemeinheitscharakters des Seinsbegriffes Albert lehnt sich mit seinerKombination eines praumldikationslogischen und eines kausaltheoretischen Vor-gehens insofern an die Moumlglichkeiten der aristotelischen Metaphysik selbstan als Aristoteles die vielfache Aussagbarkeit des Seinsbegriffes auf eine pri-maumlre Bedeutung hin zuspitzt die ebenfalls das substantielle Sein akzentu-iert72 Die neuplatonische Fluxuslehre verbindet sich in Alberts Perspektivemit der aristotelischen Substanzmetaphysik insofern als der Ursachenbegriffdie Bruumlcke zwischen der goumlttlichen Substanz einerseits und den aus ihr her-vorflieszligenden Wirkungen andererseits zu schlagen vermag was Albert unterRuumlckgriff auf Dionysius feststellen kann73 Die aristotelische Analogielehrewiederum findet Aufnahme in eine neuplatonisch inspirierte Urbild-AbbildRelation die Albert im Anschluss an Dionysius als Nachahmungsanalogieversteht Diese Analogie druumlckt die Gemeinsamkeit aus die man zwischenUrsache und Wirkung annehmen muss um dass Hervorgebrachte als Wir-kung letztlich einer ersten Ursache begreifen zu koumlnnen wie es die Lehre desLiber de causis nahelegt
Literatur
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Editio Coloniensis XXXIV1 Muumlnster 1978
72 Diesen Zusammenhang der Lehre von der Analogie der Nachahmung zu den entsprechen-den Thesen des Aristoteles stellt Albert ausdruumlcklich her Vgl Alberti Magni Op om XVII2 (wie Anm 2) 82
73 Alberti Magni Op om XXXVII1 (wie Anm 2) 305 [] divina substantia principalisprocedit in omnia entia sicut causa effectiva formalis profundens in omnem substantiamsimilitudinem suae substantiae
188 Hannes Moumlhle
Alberti Magni Super Dionysium de divinis nominibus Opera Omnia EditioColoniensis XXXVII1 Muumlnster 1972
Alberti Magni Super Dionysium mysticae theologiae Opera Omnia EditioColoniensis XXXVII2 Muumlnster 1972
Alberti Magni Logicae secunda pars Editio Borgnet 2 Paris 1890Alberti Magni Commentarii in I Sententiarum (d IndashXXV) Editio Borgnet
25 Paris 1893Alberti Magni Commentarii in I Sententiarum (d XXVIndashXLVIII) Editio
Borgnet 26 Paris 1893Aristotelesrsquo Metaphysik griech-dt in d Uumlbers v H Bonitz neu bearb mit
Einl u Kommt hrsg v H Seidl griech Text in d Edition v W ChristHamburg 2 verbesserte Aufl 1982
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Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics
Eleonore Stump
I Introduction
Aristotle and Aquinas inhabit vastly different cultures one pagan and oneChristian and their metaphysics are correspondingly different The ultimatefoundation of reality for Aquinas is the triune God and this is obviouslyldquonotrdquo the ultimate foundation of reality for Aristotle As Aristotle sees itthe metaphysical foundation of reality is being which is transcendental toeverything there is and the modes of which are given in the ten categoriesof everything there is On Aquinasrsquos Christian worldview it is also true thatat the metaphysical foundation there is being but this being is a God whocreates knows and loves creatures
The difference in outlook between Aristotlersquos pagan worldview andAquinasrsquos Christian worldview has far-ranging effects in many areas of phi-losophy and most notably in the area of metaphysics which has to do withbeing For Aquinas there is such a thing as subsistent being as distinct fromthe being of the categories1 In this paper I will explore what Aquinas hasto say about subsistent being and the way in which it influences his distinctlynon-Aristotelian understanding of the ultimate foundation of reality
The heart of Aquinasrsquos view of subsistent being is comprised in his under-standing of the doctrine of divine simplicity As Aquinas understands it thedoctrine can be summarized in three claims
The first distinguishes God from material objects2
1 Aquinas has a place for this kind of esse in his metaphysics too of course (See especiallyDe ente et essentia c5) On his view this esse is common to everything there is when it isabstracted by the mind it is a universal in the sense that it is common to many althoughunder different significations What distinguishes the esse which is God from the commonesse is that the divine esse precludes combination with anything else whereas the commonesse is open to combination with form and matter
2 Die Werke Thomas von Aquins werden in folgender Weise angegebenSancti Thomae Aquinitatis Summa theologiae ed Leonina IVndashXII Rom 1888ndash1906 [=ST]In quattuor Libros Sententiarum Stuttgart 1980 [= In Sent]Summa contra gentiles ed Leonina XXXIII Rom 1918 [= SCG]Quaestiones disputatae de potentia Turin 1965 [= QDP]
192 Eleonore Stump
1 It is impossible that God have any spatial or temporal parts that couldbe distinguished from one another as here rather than there or as nowrather than then
The second claims that the standard distinction between an entityrsquos essentialand intrinsic accidental properties cannot apply to God3
2 It is impossible that God have any intrinsic accidental properties
And the third rules out the possibility of components of any kind in theessence that is the divine nature Even when it has been recognized that allGodrsquos intrinsic properties must be essential to him it must be acknowledgedas well that
3 whatever can be intrinsically attributed to God must just be the singleundivided unity that is God
For this reason God is his own essence or nature4 For all things other thanGod there is a real distinction between what they are and that they arebetween their essence and their existence but on the doctrine of simplicitythe essence that is God is not different from Godrsquos existence Therefore un-like all created entities God is his own being
II Difficulties raised by the doctrine of simplicity
There is a large literature attempting to explain and evaluate the claims con-stitutive of the doctrine of simplicity and it is not possible in this short paperto explore all the controversies at issue in this literature Here I will focus onjust one which Norman Kretzmann and I raised in earlier work5 It has todo with the apparent incompatibility of Godrsquos simplicity and Godrsquos free
Quaestiones disputatae de veritate ed Leonina XXII Vol III Rom 1973 [= QDV]De ente et essentia ed Leonina XLIII Rom 1976 [= ENTE]Expositio libri Boetii De ebdomadibus ed Leonina L RomndashParis 1992 [= In De hebd]Die angegebene Stelle in der ST findet sich I q3 a1ndash2 cf also q9 a1 and q10 a1
3 Sancti Thomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q3 a64 Ebd a35 See N KretzmannE Stump ldquoAbsolute Simplicityrdquo Faith and Philosophy 2 1985 353ndash
382 For further development of our original view and attempts to take account of objecti-ons to it see the chapter on simplicity in E Stump Aquinas LondonndashNew York 2003 92ndash130 Some paragraphs of this paper are taken from that chapter
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 193
choice In my view this is the most challenging difficulty for the doctrine ofsimplicity
On the face of it the doctrine of simplicity seems to entail that the onlythings God can do are the things God does in fact do6 If God could dootherwise than he does then some characteristics of God would be contin-gent not necessary But contingent features of God would be accidents inGod or so it seems In medieval logic an accident is just a characteristic thata thing can have or lack and still be what it is7 Since the doctrine of simplici-ty rules out accidents in God it seems to entail that everything about God isessential to him and therefore necessary for him For this reason on thisinterpretation of divine simplicity God is the same in all possible worlds ascontemporary philosophers would put it Or to put the same point in otherwords on this interpretation of divine simplicity God cannot do other thanhe does
It is perfectly clear however that Aquinas does hold that God can doother than he does In fact Aquinas takes God to be possessed of choice orliberum arbitrium8 and he argues for this claim vigorously in a variety ofplaces But for Aquinas liberum arbitrium is the power for choosing amongalternative possibilities In addition to the standardly cited passage in Summatheologiae I q19 a10 for example Aquinas says in Quaestiones disputataede veritate q24 a3 ldquothere remains to God a free judgment [liberum iudici-um] for willing either this or that as there is also in us and for this reasonwe must say that liberum arbitrium is found in Godrdquo9
In particular Aquinas holds that God was free to create or not to createGodrsquos creating was not brought about in God by any necessity of nature10
6 The question whether God could do what he does not do or refrain from doing what hedoes is a well-recognized problem in the tradition of rational theology Aquinas for in-stance discusses it several times ndash z B Sancti Thomae Aquinitatis Commentarii in librossententiarum [= In Sent] (wie Anm 2) I 43 11ndash2 Sancti Thomae Aquinitatis SCG (wieAnm 2) II c23 26ndash27 Sancti Thomae Aquinitatis QDP (wie Anm 2) q1 a5 SanctiThomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q25 a5 I discuss this question further later in thispaper
7 See for example Peter of Spain (Petrus Hispanus Portugalensis) Tractatus AfterwardsCalled Summule logicales ed L M de Rijk Assen 1972 23 Accidens est quod adest etabest praeter subiecti corruptionem
8 The notion of liberum arbitrium is not equivalent to our notion of free will but is rather anarrower concept falling under the broader concept of freedom in the will For more expla-nation of Aquinasrsquos understanding of liberum arbitrium see the chapter on freedom inStump Aquinas (wie Anm 5) 277ndash306
9 Sancti Thomae Aquinitatis QDV (wie Anm 2) q24 a3 unde remanet ei liberum iudiciumad volendum hoc vel illud sicut etiam et in nobis est Et propter hoc oportet dicere in Deoliberum arbitrium inveniri [hellip] The translations of Aquinasrsquos texts in this paper are mine
10 See for example Sancti Thomae Aquinitatis SCG (wie Anm 2) II c23
194 Eleonore Stump
And since this is so with regard to creating God could do other than hedid In fact God did create but it was open to God not to create Notcreating is therefore something that God could have done but did not do
Thomists have typically supposed that Aquinasrsquos claim that God has noaccidents is consistent with Aquinasrsquos claim that God could do other thanhe does For example Reginald Garrigou-Lagrange says ldquoGodrsquos free act ofcreation although it would be possible for Him not to act is not an acci-dentrdquo11
And later he says ldquoGod is absolutely immutable although it was in Hispower not to choose that which He freely chooses from eternity For thisfree choice is not even in the least degree a superadded accident in God andit posits no new perfection in Himrdquo12
But how are these positions to be reconciled If God can do other thanhe does then it is possible for God to exist as God and yet act differentlyfrom the way he actually does act In that case however the way God actual-ly acts is not necessary to him Hence that God acts in the way he does is acontingent fact about God For this reason Godrsquos acting in this way certainlydoes appear to be an accident of Godrsquos And yet Aquinas holds not only thatGod has no accidents but even that God is his own nature and so since thenature of God is invariable it seems that God cannot do other than he doesPut in contemporary terms on this interpretation of divine simplicity Godmust be the same in all possible worlds in which he exists
We can put the conundrum this way Since no one whose will is boundto just one set of acts makes real choices among alternative acts it looks asif accepting Godrsquos absolute simplicity as a datum leads to the conclusion thatGod has no alternative to doing what he does If we begin from the otherdirection by taking it for granted that God does make choices among alter-natives then it seems that God cannot be absolutely simple
Furthermore this problem looks particularly intractable because it seemsto show a deep and irreducible difference among those things characterizingGod contrary to the doctrine of simplicity which seems to imply that Godrsquosnature is utterly and indivisibly one If God has free choice then some of thethings characterizing God are things God chooses to be characterized by ndashsuch as his being a God who creates But it makes no sense to suppose thatGod freely chooses all the things that characterize him so that it is up tohim for example whether or not the principle of non-contradiction appliesto him or whether or not he is omnipotent good eternal or simple Consid-erations of this sort evidently require us to draw a distinction between two
11 R Garrigou-Lagrange The One God St LouisndashLondon 1943 190ndash19112 Ebd 511 f
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 195
groups of things characterizing God those that are freely chosen by God andthose regarding which God has no choice
And this apparently real distinction among things characterizing Godcannot be explained as only a reflection of diversity in the temporal effectsbrought about by the single eternal activity which is God or as no morethan different manifestations of a single active goodness Instead on thisinterpretation of divine simplicity this distinction appears to express a radi-cal diversity within the divine nature itself in that some characteristics ofGod ndash such as his existing ndash are not subject to his control while others ndashpresumably such as his creating the world ndash are consequences of his freechoice13
In this paper I will first outline the heart of the doctrine of simplicity byfocusing on Aquinasrsquos connection between Godrsquos simplicity and the quid estor essence of God Then I will argue that these considerations provide acertain resolution of the apparent incompatibility between divine simplicityand divine free will The result is a metaphysics of the ultimate foundationof all reality that is decidedly non-Aristotelian but rich and powerful in itsapplications
III Agnosticism about Godrsquos nature
It is helpful to begin by setting aside one interpretation of Aquinasrsquos positionAquinas places a discussion of Godrsquos simplicity at the start of his treat-
ment of the nature of God in the Summa theologiae14 and he begins thatdiscussion with a short prologue In the prologue he says
13 This apparent diversity is clearly expressed by Aquinas in such passages as these (SanctiThomae Aquinitatis SCG I c80) (wie Anm 2) Deus de necessitate velit suum esse et suambonitatem nec possit contrarium velle (ldquoGod necessarily wills his own being and his owngoodness and he cannot will the contraryrdquo) Sancti Thomae Aquinitatis SCG I c88 (wieAnm 2) [hellip] respectu sui habeat voluntatem tantum respectu autem aliorum electionemElectio autem semper per liberum arbitrium fit Deo igitur liberum arbitrium competit (ldquoinrespect of himself God has only volition but in respect of other things he has selection(electio) Selection however is always accomplished by means of free choice Thereforefree choice is suited to Godrdquo) Ebd Nam liberum arbitrium dicitur respectu eorum quaenon necessitate quis vult sed proprie sponte [hellip] (ldquofree choice is spoken of in respect ofthings one wills not necessarily but of onersquos own accordrdquo) Notice that even though Godrsquosexistence and attributes are conceived of here as being willed by God they are expresslyexcluded from among the objects of Godrsquos free choice This diversity is discussed furtherlater in this paper
14 Sancti Thomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q3 Cognito de aliquo an sit inquirendumrestat quomodo sit ut sciatur de eo quid sit Sed quia de Deo scire non possumus quid sitsed quid non sit non possumus considerare de Deo quomodo sit sed potius quomodo non
196 Eleonore Stump
ldquoWhen we know with regard to something that it is we still need to askabout its mode of being (quomodo sit) in order to know with regard toit what it is (quid sit) But because we are not able to know with regardto God what he is but [rather] what he is not we cannot consider withregard to God what the mode of being is but rather what the mode ofbeing is not hellip it can be shown with regard to God what the mode ofbeing is not by removing from him those things not appropriate to himsuch as composition and motion and other things of this sortrdquo
This passage and others like it have sometimes been cited as evidence for aninterpretation of Aquinas as committed to the via negativa in a radical waySo for example Leo Elders says ldquoThe comprehension of Godrsquos essence isaltogether excluded This conclusion is presupposed in the Prologue to theThird Question Even if we say that God is perfect good or eternal we mustrealize that we do not know what these terms mean when predicated ofGodrdquo15
Claims such as this can give the impression that for Aquinas becauseof Godrsquos simplicity it is not possible for human beings to have any positiveknowledge of God On this interpretation of Aquinasrsquos views Aquinas main-tains that because God is simple human beings can know what God is notbut they cannot know anything of what God is16
But caution is warranted here It is true that Aquinas explains divinesimplicity in terms of what God is not ndash not a body not composed of matterand form and so on On the other hand however in the course of showingwhat God is not Aquinas relies heavily on positive claims about God Sofor example he argues that God is not a body on the basis of these claimsamong others God is the first mover God is pure actuality God is the firstbeing God is the most noble of beings In arguing that God is not composedof matter and form Aquinas in fact makes a huge substantial positive meta-physical claim about the nature of God He says ldquoa form which is not ableto be received in matter but is subsistent by itself (per se subsistens) is individ-uated in virtue of the fact that it cannot be received in something else AndGod is a form of this sortrdquo17
sit [hellip] Potest autem ostendi de Deo quomodo non sit removendo ab eo ea quae ei nonconvenient utpote compositionem motum et alia hujusmodi
15 E L Elders The Philosophical Theology of St Thomas Aquinas Leiden 1990 14316 For discussion of this position in the secondary literature see the chapter on simplicity in
Stump Aquinas (wie Anm 5) 92ndash13017 Sancti Thomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q3 a2 ad 3 Sed illa forma quae non est
receptibilis in materia sed est per se subsistens ex hoc ipso individuatur quod non potestrecipi in alio et hujusmodi forma est Deus
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 197
In Summa theologiae I q13 the question about the names of God Aqui-nas explicitly repudiates the sort of agnosticism some scholars attribute tohim Aquinas himself associates such a position with Moses Maimonides andattacks it vigorously In still other texts Aquinas bluntly rejects the viewthat human beings can have no positive knowledge of God In Quaestionesdisputatae de potentia q7 a5 for example he says ldquo[hellip] the understandingof a negation is always based on some affirmation And this is clear fromthe fact that every negation is proved by an affirmation For this reasonunless the human intellect knew something affirmatively about God it wouldbe unable to deny anything of Godrdquo18
For all these reasons it is a mistake to read the prologue to Summatheologiae I q3 as implying a radical agnosticism with regard to knowledgeof God
In my view the problem in interpreting Aquinasrsquos remarks in the pro-logue has to do with the expression lsquoquid estrsquo in the claim that we do notknow of God what he is (quid est)19 The expression lsquoquid estrsquo is a technicalterm of medieval logic For example Peter of Spain the author of a standardscholastic logic text gives the traditional medieval formula for a genus asldquothat which is predicated of many things differing in species in respect ofwhat they are (in eo quod quid)rdquo20 This phrase (lsquoin eo quod quid estrsquo) in aslightly different definition captures the notion of species as well The quidest of something therefore has to do with the genus or species of that thingor more generally with the kind of thing it is So if one cannot know some-thingrsquos quid est one cannot know what kind of thing it is
It is helpful to see in this connection that one can know a great dealabout something even if one does not know (or cannot know) what kind ofthing it is According to quantum physics we do not know what kind ofthing light is The best we can do is sometimes to think of light as a waveand sometimes to think of it as a particle although we recognize that lsquowaversquoand lsquoparticlersquo are not synonymous terms and we certainly understand thatnothing can be at the same time both a wave and a particle So we do notknow the quid est of light and our modes of speaking about light are irredu-
18 Sancti Thomae Aquinitatis QDP (wie Anm 2) q7 a5 intellectus negationis semper fun-datur in aliqua affirmatione quod ex hoc patet quia omnis negativa per affirmativam pro-batur unde nisi intellectus humanus aliquid de Deo affirmative cognosceret nihil de Deoposset negare
19 See in this connection particularly Sancti Thomae Aquinitatis SCG (wie Anm 2) I c1420 Peter of Spain Tractatus (wie Anm 7) 17 Et sic diffinitur genus est quod predicatur de
pluribus differentibus specie in eo quod quid (19) Species est que predicatur de pluribusdifferentibus numero in eo quod quid est
198 Eleonore Stump
cibly imprecise Even so however we have a great deal of positive knowledgeabout light
So it is not accurate to take Aquinas as embracing a radical agnosticismabout Godrsquos nature However we are to understand his version of the doc-trine of divine simplicity it does not imply that we cannot know anythingpositive about God With this worry over agnosticism put to one side wecan now turn again to the doctrine of simplicity
IV Esse and id quod est
On the doctrine of simplicity God is his own essence or quid est and hisessence is being or esse It seems to follow from these claims that God justis identical to esse If God is the ultimate foundation of all reality and Godis esse then Aquinasrsquos position seems at least similar to Aristotlersquos at leastinsofar as it privileges being as foundational in metaphysics
Furthermore in his commentary on Boethiusrsquos treatise De hebdomadi-bus Aquinas makes a careful distinction between esse and an entity or idquod est21 Among the many differences between esse and id quod est thatAquinas introduces he calls attention to the fact that lsquoid quod estrsquo signifiessomething concrete whereas lsquoessersquo does not22 He also highlights the fact thatid quod est is particular23 whereas esse is not In these and other ways Aqui-nas argues for the metaphysical difference between esse and id quod estSince on the doctrine of simplicity God is esse and esse is distinct from idquod est in these ways some scholars conclude that for Aquinas God is nota concrete particular in fact God is not an entity at all24
It is an advantage of this interpretation of Aquinasrsquos view of divine sim-plicity that it helps to explain the three basic claims of the doctrine of simplic-ity formulated above Nothing which is not an id quod est has temporal orspatial parts And nothing which is not an id quod est has intrinsic accidentseither For example ldquorednessrdquo is not an id quod est and it has no intrinsicaccidents It is the wrong ldquosortrdquo of thing we might say to have intrinsicaccidents If we think of intrinsic accidents as belonging somewhere in the
21 In this connection cf also Sancti Thomae Aquinitatis ENTE (wie Anm 2) c3 Cf alsoJohn Wippel Being The Oxford Handbook of Aquinas ed B DaviesE Stump Oxford2011 77ndash84
22 Sancti Thomae Aquinitatis In De hebd (wie Anm 2) II 2223 Ebd II 2424 Vgl z B Elders Philosophical Theology (wie Anm 15) 22 ldquoFor St Thomas God is never
ldquoan objectrdquo for God is far above our understandingrdquo
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 199
nine Aristotelian categories other than substance then it is easy to see whynothing that is not an id quod est should be thought to have intrinsic acci-dents ldquoRednessrdquo does not have a certain size or quantity for example itdoes not engage in action or receive the action of anything else ndash and so onRedness is what it is ndash redness ndash and nothing else at all
In addition with regard to something that is not an id quod est evenexistence cannot be attributed to it Because ldquorednessrdquo is not an id quod estthen it might be true that there is redness but its being redness would be allthere is to it For Aquinas who is not tempted to Platonism in this connec-tion redness is not the kind of thing that can exist Consequently we cannotseparate redness into itself and its existence The same point holds as regardsesse There is no distinction between esse and the existence of esse If therewere esse would become something concrete and particular an id quod estrather than only esse
So the supposition that God is only esse helps to make sense of the threeclaims of simplicity presented at the outset Nonetheless this supposition ismisleading at best and at worst certainly false if not nuanced carefully
One problem is that on this supposition the concept of God as onlyesse seems religiously pernicious Alvin Plantinga puts the problem in termsof Godrsquos being a property but his objections remain the same if we transposehis lsquopropertyrsquo into lsquoessersquo Plantinga says ldquoThis view [that God is identical toesse alone] is subject to a difficulty both obvious and overwhelming Noproperty could have created the world no property could be omniscient orindeed know anything at allrdquo25
On Aquinasrsquos own views of the difference between esse and id quod estPlantingarsquos conclusions are right As Aquinas himself explains nothing thatis not an id quod est can exercise any causal efficacy or enter into any causalrelations whether in creating or in knowing
Consequently if the doctrine of simplicity implies that God is esse alonethen it seems that many of the standard divine attributes discussed and ac-cepted by Aquinas cannot be applied to God Those attributes apply only tosomething that is an id quod est Moreover many of the biblical storiesabout Godrsquos interactions with human persons which Aquinas himself takesseriously and literally26 cannot be understood as Aquinas understands themif God is only esse and not id quod est
So here is where matters stand As Aquinas himself is at pains to showin his commentary on Boethiusrsquos De hebdomadibus there is all the difference
25 A Plantinga Does God Have a Nature Milwaukee 1980 4726 As he does for example with regard to Godrsquos interactions with Job see his prologue to
his Expositio super Job
200 Eleonore Stump
in the world between something which is esse and something which is an idquod est If the doctrine of simplicity is correctly understood as some defend-ers of the doctrine and also some detractors of it suppose to mean thatGod is only esse then it is hard to know how to ward off the dramaticinfelicities Plantinga laments and Aquinas appears caught in large obviousself-contradictions
V Quantum metaphysics
It is worth noticing however that on this interpretation of Aquinasrsquos viewof divine simplicity as found in some defenders and detractors of the doc-trine of simplicity we do in fact know the quid est of God That is becauseon this interpretation we know that God is esse and we know somethingabout the nature of esse as Aquinasrsquos own discussion of it in his commentaryon Boethiusrsquos De hebdomadibus shows where he gives a detailed characteri-zation of esse So if the doctrine of simplicity has to be interpreted as claim-ing that God is only esse and nothing more then on Aquinasrsquos own viewswe would actually know a reasonable amount about the quid est of GodBut as is clear from Aquinasrsquos prologue to the question on simplicity inSumma theologiae Aquinas is insistent that we are unable to know the quidest of God because of Godrsquos simplicity And so the implication of the viewthat God is esse alone namely that we do know a reasonable amount aboutthe quid est of God should be a warning sign about this interpretation
In my view the problem with this interpretation is not that it identifiesGod with esse The problem is that it rejects the notion of God as id quodest This rejection looks sensible especially given Aquinasrsquos care to distin-guish esse from id quod est but in fact it is not true to Aquinasrsquos positionas can be seen from the very commentary on Boethius in which Aquinasexercises so much care to distinguish esse from id quod est
In his commentary on Boethiusrsquos De hebdomadibus Aquinas begins hisdiscussion of esse and id quod est by saying
ldquoWe signify one thing by lsquoessersquo and another thing by lsquoid quod estrsquo justas we signify one thing by lsquorunningrsquo (lsquocurrerersquo) and another thing by lsquoarunnerrsquo (lsquocurrensrsquo) For lsquorunningrsquo and lsquoessersquo signify in the abstract justas lsquowhitenessrsquo also does but lsquoid quod estrsquo that is lsquoan entityrsquo and lsquoarunnerrsquo signify in the concrete just as lsquoa white thingrsquo also doesrdquo27
27 Sancti Thomae Aquinitatis In De hebd (wie Anm 2) II 22 Aliud autem significamus perhoc quod dicimus esse et aliud per id quod dicimus id quod est sicut et aliud significamuscum dicimus currere et aliud per hoc quod dicitur currens Nam currere et esse significatur
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 201
And Aquinas concludes that discussion this way
ldquoit is evident on the basis of what has been presented that [hellip] in com-posite things esse and id quod est differ as regards the things themselves(realiter)28hellip And so [Boethius] says that in every composite thing esseis one thing and the composite thing itself [the thing as an id quod est]is anotherrdquo29
But having worked so hard to distinguish between esse and id quod est inthis way Aquinas then goes on immediately to say something that is on theface of it quite surprising He says ldquoIn simple things [however] esse itselfand id quod est must be one and the same as regards the things themselves(realiter)rdquo30
And after giving an argument that there cannot be more than one thingwhich is both esse and also id quod est Aquinas sums up his position bysaying ldquoThis one sublime simple is God himselfrdquo31
On Aquinasrsquos view then the distinction he has been arguing for betweenesse and id quod est does not hold in Godrsquos case It is right to say that Godis esse as the doctrine of simplicity makes clear But this esse is also ndash some-how ndash an id quod est
We could suppose that in making this claim about God Aquinas is willingto violate the laws of logic as regards God since he himself has just shownthat the characteristics of esse and those of id quod est are incompatible Butthis would be a rash conclusion since in many other places Aquinas mani-festly supposes that even God cannot do what is logically contradictory32
But if we remember Aquinasrsquos insistence that we cannot know the quid estfor God then another interpretation suggests itself Another way to think
in abstracto sicut et albedo sed quod est id est ens et currens significatur in concreto velutalbum
28 The qualifier lsquorealiterrsquo is needed here because in the preceding discussion Aquinas has ex-amined the distinction between esse and id quod est considered just as concepts Once thatconceptual distinction has been established he moves next to show that the conceptualdistinction is exemplified by all composite things but that it does not apply to the onething which is entirely simple namely God
29 Sancti Thomae Aquinitatis In De hebd (wie Anm 2) II 32 sicut esse et quod est differuntsecundum intentiones ita in compositis differunt realiter Quod quidem manifestum est expraemissis [hellip] et ideo dicit quod in omni composito aliud est esse et aliud ipsum composi-tum quod est participando ipsum esse
30 Ebd II 33 in simplicibus in quibus necesse est quod ipsum esse et id quod est sit unum etidem realiter Vgl also Sancti Thomae Aquinitatis SCG (wie Anm 2) I c38
31 Sancti Thomae Aquinitatis In De hebd (wie Anm 2) II 3532 For an excellent discussion of Aquinasrsquos theory of modality and its connection to Godrsquos
nature see T Pawl Thomistic Account of Truthmakers for Modal Truths Saint LouisUniversity Dissertation 2008
202 Eleonore Stump
about the doctrine of simplicity as Aquinas understands it is as the expressionof a kind of quantum metaphysics
What kind of thing is it which has to be understood both as a wave andas a particle We do not know That is we do not know the quid est of lightAt the ultimate foundation of all reality things get weird we might say Theultimate foundation of physical reality includes light and quantum physicswhich is our best attempt at understanding the kind of thing light is requiresalternately attributing to light incompatible characteristics
Analogously we can ask What kind of thing is it which can be bothesse and id quod est We do not know The idea of simplicity is that atthe ultimate metaphysical foundation of reality is something that has to beunderstood as esse ndash but also as id quod est We do not know what kind ofthing this is either And this conclusion is precisely what we should expectfrom Aquinasrsquos insistence that we do not know the quid est of God
Nonetheless on Aquinasrsquos view we can have considerable positive knowl-edge about God even so just as we can have a significant body of knowl-edge about light on quantum physics
We can begin by recognizing that Godrsquos nature is such that there is some-thing false about conceiving of it either as esse alone or as id quod est aloneThat is why Aquinas says of God ldquoWith regard to what God himself is(secundum rem) God himself is neither universal nor particularrdquo33
For this reason we have to exercise care in the way we frame our claimsabout God It is acceptable to say that God is esse provided that we under-stand that this claim does not rule out the claim that God is id quod est anentity a concrete particular
Aquinas puts the point this way
ldquoThose [material] creatures that are whole and subsistent are compositeBut the form in them is not some complete subsisting thing Rather theform is that by means of which some thing is For this reason all thenames imposed by us to signify some complete subsisting thing signifyin the concrete as is appropriate for composite things But those namesthat are imposed to signify simple forms signify something not as subsist-ing but rather as that by means of which something is as for examplelsquowhitenessrsquo signifies that by means of which something is white There-fore because God is both simple and subsistent we attribute to God bothabstract names ndash to signify Godrsquos simplicity ndash and concrete names ndash tosignify Godrsquos wholeness and subsistence Nonetheless each kind of name
33 Sancti Thomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q13 a9 ad 2 Deus secundum rem non sitnec universalis nec particularis
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 203
falls short of Godrsquos mode [of being] just as our intellect does not knowGod as he is in this liferdquo34
We can gain insight into Aquinasrsquos position here by considering that thereare Scriptural texts claiming that God is loving and Scriptural texts claimingthat God is love35 It seems however that these claims cannot be true togeth-er If they were it would have to be true that love is loving But love isabstract and universal And as Plantingarsquos lines call to our attention anabstract universal is not the sort of thing that can be loving It isnrsquot a personand only persons can be loving36 So it seems just a category mistake toattribute loving to love On Aquinasrsquos understanding of the doctrine of sim-plicity however we can make sense of both these Scriptural claims BecauseGod is simple and we do not comprehend his quid est the best we can do isto adopt quantum metaphysics Sometimes we have to characterize God withabstract terms ndash and so we say that God is love ndash and sometimes we have tocharacterize God with concrete terms ndash and so we say that God is loving
Consequently it turns out that in one sense Plantinga is after all inagreement with Aquinas Each of them thinks that God must be character-ized as an id quod est a concrete entity The difference between them liesprecisely in the quantum metaphysics mandated by the doctrine of simplicityFor Aquinas it is right to describe God as an id quod est capable of creatingloving and acting ndash but only with the proviso that it is also right to describeGod as esse
34 Sancti Thomae Aquinitatis ST (wie Anm 2) I q13 a1 ad 2 Et quia in hujusmodi creaturisea quae sunt perfecta et subsistentia sunt composita forma autem in eis non est aliquidcompletum subsistens sed magis quo aliquid est inde est quod omnia nomina a nobisimposita ad significandum aliquid completum subsistens significant in concretione proutcompetit compositis quae autem imponuntur ad significandas formas simplices significantaliquid non ut subsistens sed ut quo aliquid est sicut albedo significat ut quo aliquid estalbum ndash Quia igitur Deus et simplex est et subsistens est attribuimus ei et nomina abstrac-ta ad significandam simplicitatem ejus et nomina concreta ad significandam subsistentiamet perfectionem ipsius quamvis utraque nomina deficient a modo ipsius sicut intellectusnoster non cognoscit eum ut est secundum hanc vitam Vgl also Sancti Thomae Aquinita-tis SCG I c30
35 For an example of the first see 1 Joh 4 10 and for an example of the second see 1 Joh 48
36 In this context I am using lsquopersonrsquo in a contemporary sense not the medieval sense inwhich it is true that there are three persons in the Trinity On medieval theology there isone mind and one will in God and therefore God counts as a person in our contemporarysense of lsquopersonrsquo
204 Eleonore Stump
VI Simplicity contingency and divine free will
On the doctrine of eternity God is outside time37 Some scholars have takenthat doctrine to imply that God cannot act since (on their view) all actionpresupposes temporal duration or temporal location Or they have supposedthe doctrine implies that Godrsquos mode of existence is that of a frozen pointas it were without duration of any kind since (on their view) all duration ispersistence through time In effect such interpretations of the doctrine ofeternity take the doctrine to imply a metaphysical smallness about an eternalGod by comparison with temporal creatures
But on Aquinasrsquos view this is to get the doctrine backwards as it wereThe mode of existence of an eternal God is greater than that of temporalentities God is able to act at any and every point in time and his mode ofexistence is broad enough to encompass all of time within it38 Just as all ofa two-dimensional world can be here from the point of view of a personinhabiting a three-dimensional world so all of time is present from the pointof view of an eternal God inhabiting the now of eternity For Aquinas thedoctrine of eternity implies not a metaphysical smallness in God but rathera metaphysical greatness in God whose mode of duration encompasses thewhole world of time in which temporal creatures live
There is an analogous conceptual move to be made as regards the doc-trine of simplicity On the doctrine of simplicity God is subsistent esse Somescholars have interpreted the doctrine to imply that God is identical only toesse39 giving rise to the complaint voiced by Plantinga that a simple Godcannot act as persons do or to the equally worrisome objection that every-thing about God is absolutely necessary since there are no accidents in GodIn effect such an interpretation of the doctrine of simplicity takes it to implythat God is metaphysically more limited than concrete things such as com-posite human beings who can act and who can do otherwise than they do
But this is to get the doctrine of simplicity backwards The doctrine ofsimplicity implies that at the ultimate metaphysical foundation of all realitythere is the esse that is God But it also implies that this esse without losingany of its character as esse is also somehow an id quod est subsistent andconcrete with more ability to act and with more freedom in its acts thanany concrete composite entity has
37 For defense of this claim see the chapter on eternity in Stump Aquinas (wie Anm 5) 131ndash158
38 For explanation and defense of these claims see the chapter on eternity in Stump Aquinas(wie Anm 5) 131ndash158
39 That is not to common esse but to the esse that is God
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 205
On this way of understanding divine simplicity when the esse that isGod acts its action is not an accident in it This is not because esse is aninert universal like redness that is the same in all possible worlds Ratherbecause this esse is subsistent because it is also an id quod est it is moreactive than anything composite is and it has more power to do otherwisethan any composite entity does
It is not that Aquinas fails to see that there is an incompatibility betweenesse and id quod est or that he supposes the laws of logic do not hold inGodrsquos case Rather on his interpretation of the doctrine of simplicity it isnot strictly speaking correct to assert just that God is esse or just that Godis an id quod est In fact Godrsquos true nature is unknown to us at least in thislife Human reason can see that human reason cannot comprehend the quidest of God But what human reason can comprehend is that whatever Godrsquosnature really is it is such that those things true of esse and those things trueof an id quod est should both be affirmed of it even if differently and indifferent contexts
Since it is right to say that God is esse even if his real nature is notcorrectly and precisely specified as identical to esse then it is also right tosay that God has no accidents Nothing characterizable as esse can haveaccidents any more than redness can have accidents Redness is redness andnot redness plus accidents Redness is only its own nature The same pointapplies to God as the doctrine of simplicity affirms
But one very big metaphysical difference between redness and God liesin the difference between the nature of redness and the nature of the subsist-ent esse that God is Redness is not the kind of thing that exists since it isnot a particular But the esse that is God is not a universal like rednessRather this esse is such that it is also right to say that it is an id quod estAs such it is right to say that it is a particular an entity and that it doesexist Since it nonetheless remains right to say of it that it is esse it is rightto say that there is nothing to it except its nature as esse Even its existencethen is its esse
Similar things have to be said about Godrsquos acts Nothing that is only anabstract universal could act But because it is also right to say that God isan id quod est it is right to hold that God has the power to act and doesact Nonetheless when God acts it is also right to say that what acts is esseand so Godrsquos acting remains within his nature as esse That is the acts en-gaged in by the esse that is also an id quod est are not added on to esse assomething additional to esse In acting the esse that is God remains esse itdoes not become esse plus the property of acting
Our mode of speaking is therefore inaccurate as regards God but wecan nonetheless see how to frame a quantum metaphysics just as we can
206 Eleonore Stump
work out the mathematics of a quantum physics even if our mode of speak-ing about light is analogously imprecise
On the doctrine of simplicity then the esse that is the ultimate founda-tion of reality has the power to do more than created composite things cando but without its ceasing to be esse In the power and the richness that isthe subsistent esse which God is God can do otherwise than he does withoutceasing thereby to be esse Creation is a free and not a necessitated act onGodrsquos part40
Consequently on Aquinasrsquos interpretation of divine simplicity not allGodrsquos acts are necessitated as contemporary philosophers would put thispoint God is not the same in all possible worlds On the contrary on Aqui-nasrsquos interpretation of divine simplicity it is in fact right to say that there iscontingency in God in our sense of the term lsquocontingencyrsquo But if so thenthere is no problem about Godrsquos having alternative possibilities open to himIt is true that God is not changeable across time At each and every timeGod is one and the same But since even on the doctrine of simplicity Godcan do other than he does this is sufficient for the claim that God has freewill that God has the power to choose among alternative possibilities
Furthermore for the same reasons it is also the case that a simple Godis responsive to things in time A simple God cannot do anything after some-thing happens in time but a simple God has the power to act because ofsomething that happens in time That is because if something in time hadbeen otherwise a simple God might have acted otherwise than he did Tosay this is clearly not to say that God decides what to do after somethinghappens in time or that God can change in time or that there is any potencyin God To say this is only to claim that God has the power to do otherwisethan he does as Aquinas himself argues41 As long as a simple God does atleast some of what he does because of what happens in time God is respon-sive to things in time
But it is still not the case that there are accidents in God or a radicaldiversity within God For composite things contingency (in our sense of theterm) comes with composition of subject and accident but not for God Toascribe contingency free will and action to God is to affirm God as an idquod est a subsistent particular who has causal power of a sort providedby his nature as other particulars also do The subsistent esse that is Godhas more power to act than a composite thing does not less But because
40 For a discussion of this point and the relevant Thomistic texts see the chapter on simplicityin Stump Aquinas (wie Anm 5) 92ndash130
41 For a more detailed discussion of this point see the chapter on simplicity in Stump Aquinas(wie Anm 5) 92ndash130
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 207
the doctrine of simplicity requires simultaneously affirming that God is esseit remains the case that what acts with free will is esse and there are noaccidents in esse or any other radical diversity within it either
Finally just as it is true that redness is one single indivisible unity notdivisible into subject and accident or even into entity and existence so it isright to say the same things about the esse that is God Esse is one singleindivisible unity But because this esse is also an id quod est it is right todistinguish in God those things which are subject to his control such as hiscreating and those that are not such as his divine nature This conclusiondoes not deny that God is esse however on the quantum metaphysics man-dated by the doctrine of simplicity On the doctrine of simplicity it is rightto say that God is an id quod est without its thereby being necessary to denythat God is esse
That these apparently contradictory claims all have to be affirmed showsthat there is a deficiency in our mode of speaking because of course strictlyspeaking these claims cannot all be true Furthermore the laws of logic stillapply to God and not just anything can be correctly affirmed of God Butthe problem is that we do not know how to formulate the claims about Godin an accurate mode of speaking If we could do so then we would knowthe true nature of God We would know the quid est of God But this isprecisely what we do not know So although on Aquinasrsquos view we can haveconsiderable positive knowledge of God the modes of speaking about Godretain their inaccuracy in anything having to do with the quiddity of God
What is it at the ultimate foundation of all reality which is neither anabstract universal nor a concrete particular but which is such that it has tobe affirmed sometimes as esse and sometimes as an id quod est Because wecannot give the answer to this question the best we can do is a sort ofquantum metaphysics analogous to quantum physics where we are in thesame position as regards light We do not understand the quid est of lighteither but we have a large and well-developed physics anyway which givesus a powerful connection to physical reality even if its modus dicendi isdeficient For Aquinas the same is true as regards the metaphysics of beingand the philosophical theology of Godrsquos nature
And so in lines that sum up well the idea of God as esse that is also idquod est Aquinas says
ldquoalthough God is esse only [and not something composite as materialcreatures are] hellip nonetheless God has all the perfections which are inall the genera [of created things] hellip And this is because all these perfec-tions come together in him in accordance with his simple esse By wayof analogy if someone could bring about the functioning of all qualities
208 Eleonore Stump
by means of one quality he would have [in effect] all the qualities inthat one quality In just this way God has all the perfections in hisesserdquo42
VII Conclusion
The difficulty of thinking onersquos way up the ladder of being can leave onewith the impression that the immutable impassible eternal simple God ofThomistic philosophical theology is frozen static inert unresponsive totallynecessitated and incapable of action But Aquinasrsquos notion of God is exactlythe opposite If it were not so subject to misinterpretation one might wellsay that for Aquinas God is maximally dynamic and not static at all OnAquinasrsquos views there is more ability to act ndash one might say more action ndashand more responsiveness on the part of a God with the classical divine attrib-utes than there could be on the part of a composite entity acting in time43
That is why Aquinas can say that in the esse that is God there are all theperfections of all the genera of created things ndash including responsiveness andaction which are perfections of any id quod est with mind and will44
To try to explain the doctrine of simplicity in this way is not to providean argument for the truth or even the compatibility of its claims It is justto try to contribute to insight into this most challenging part of Thomisticphilosophical theology If contra Aquinas we could grasp the quid est ofsomething that is both esse and id quod est we might understand exactlyhow to explain what kind of thing can be described in all these ways andwhat arguments might demonstrate such a description of a simple God Butas it is on Aquinasrsquos views we do not comprehend Godrsquos quid est It is
42 Sancti Thomae Aquinitatis ENTE (wie Anm 2) c5 quamvis sit esse tantum habet omnesperfectiones que sunt in omnibus generibus Et hoc est quia omnes ille perfectiones conveni-unt sibi secundum esse suum simplex sicut si aliquis per unam qualitatem posset efficereoperationes omnium qualitatum in illa una qualitate omnes qualitates haberet ita Deus inipso esse suo omnes perfectiones habet
43 Godrsquos actuality or act of being is an important implication of the doctrine of divine simplici-ty but a detailed exploration of this issue has to be left to one side in this brief paper
44 In this connection it is hard to resist calling attention to the case of light again WhenNewton first discovered that white light contained within it all the richness of the othercolors of light there was considerable opposition to his finding The opposition supposedthat the simplicity of white light excluded the other colors whose richness was thought tobe somehow tarnishing of the pure whiteness of white light Goethe who was among theopposition summed up this sort of attitude by saying that white light is ldquothe simplest mostundivided most homogenous being that we knowrdquo I am indebted to Andrew Pinsent forthe point and the historical information
Simplicity and Aquinasrsquos Quantum Metaphysics 209
easy to imagine how difficult it would be for a two-dimensional creature tocomprehend three-dimensional beings But the metaphysical distance be-tween God and creatures is very much greater than this And so we arelimited to the kind of quantum metaphysics sketched here On this quantummetaphysics a great deal of positive knowledge about God is possible butthe modes of speaking retain an irreducible inaccuracy as regards Godrsquos quid-dity
At the ultimate foundation of all reality for Aquinas there is thensomething very different from the transcendental being which is the Aristote-lian metaphysical ultimate It is being too but being that is somehow alsoan entity with the ability to create to know and to love45
Literatur
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Rom 1888ndash1906Sancti Thomae Aquinitatis In quattuor Libros Sententiarum Stuttgart 1980Sancti Thomae Aquinitatis Summa contra gentiles ed Leonina XXXIII
Rom 1918Sancti Thomae Aquinitatis Quaestiones disputatae de potentia Turin 1965Sancti Thomae Aquinitatis Quaestiones disputatae de veritate ed Leonina
XXII Vol III Rom 1973Sancti Thomae Aquinitatis De ente et essentia ed Leonina XLIII Rom
1976Sancti Thomae Aquinitatis Expositio libri Boetii De ebdomadibus ed Leo-
nina L RomndashParis 1992
45 I owe a debt of gratitude to Theodore Vitali C P whose relentless questioning of myprevious presentation of the doctrine of simplicity led me to want to examine the topicagain And I have learned a great deal from the seminar presentations on divine simplicitygiven by John Foley S J His seminar presentations led me to rethink the doctrine in theway I have outlined it here I am also grateful to him for trenchant criticisms of more thanone earlier draft which caused me to rework some central parts of this paper Finally I amgrateful as well to David Burrell Brian Davies Tim Pawl and Andrew Pinsent for helpfulcomments on an earlier draft
210 Eleonore Stump
Sonstige LiteraturElders L The Philosophical Theology of St Thomas Aquinas Leiden 1990Garrigou-Lagrange R The One God St LouisndashLondon 1943Kretzmann NStump E ldquoAbsolute Simplicityrdquo Faith and Philosophy 2
1985 353ndash382Pawl T A Thomistic Account of Truthmakers for Modal Truths Saint Louis
2008Plantinga A Does God Have a Nature Milwaukee 1980Stump E Aquinas LondonndashNew York 2003Wippel J Being The Oxford Handbook of Aquinas ed B DaviesE
Stump Oxford 2011 77ndash84
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique
Olivier Boulnois
Dans la Meacutetaphysique du Shifa Avicenne soutenait que le sujet de la meacuteta-physique eacutetait lrsquoeacutetant en tant qursquoeacutetant Il donnait agrave son analyse une dimensionnoeacutetique en affirmant que lrsquoeacutetant est lrsquoobjet premier de notre intellect Albertle Grand Thomas drsquoAquin et Duns Scot qui lisent Aristote agrave travers Avi-cenne ne contestent pas ces deux points Le problegraveme est plutocirct de savoirougrave se situe Dieu dans ce scheacutema Soit lrsquoon fait de Dieu le principe du sujetde la meacutetaphysique mais cela oblige agrave situer Dieu au-delagrave de lrsquoeacutetant et denotre intellect Soit lrsquoon inclut Dieu agrave lrsquointeacuterieur de lrsquoeacutetant mais alors nerisque-t-on pas de sacrifier la transcendance de Dieu Henri de Gand partdrsquoun ideacuteal de science a priori qui permet de deacuteduire par la cause lrsquoensembledes thegraveses meacutetaphysiques il interpregravete lrsquoanalogie de lrsquoecirctre comme une analo-gie au sein du concept drsquoecirctre enfin il croit pouvoir construire une deacutemons-tration a priori de lrsquoexistence de Dieu
Cette voie qui inclut Dieu a lrsquointeacuterieur de lrsquoeacutetant saisi en un conceptfut celle que Duns Scot choisit De nombreux travaux ont analyseacute ses thegraveses1Mais la reacutecente eacutedition critique des Quaestiones super libros Metaphysico-rum eacutebranle bien des certitudes acquises En effet dans ce commentaire parquestions sur la Meacutetaphysique2 Duns Scot srsquoefforce drsquounifier des deacuteveloppe-ments provenant drsquoœuvres logiques ou theacuteologiques et de les harmoniser demaniegravere agrave construire un systegraveme philosophique et theacuteologique coheacuterent Leprojet de Scot est tout simplement de fonder la meacutetaphysique comme scienceau sein du systegraveme geacuteneacuteral des sciences Compareacute au caractegravere complexe etaporeacutetique des deacuteveloppements drsquoAristote cette entreprise est une veacuteritablerefondation
Une premiegravere version de cet article a eteacute publiceacute dans O Boulnois Meacutetaphysiques rebellesParis 2013
1 Par exemple L Honnefelder Ens inquantum ens Muumlnster 1979 ders Scientia transcen-dens Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realitaumlt in der Metaphysik des Mittelal-ters und der Neuzeit (Duns Scotus ndash Suarez ndash Wolff ndash Kant ndash Pierce) Hamburg 1990 OBoulnois Etre et Repreacutesentation Une geacuteneacutealogie de la meacutetaphysique moderne agrave lrsquoeacutepoquede Duns Scot Paris 1999
2 Quelques fragments de son commentaire litteacuteral de la Meacutetaphysique viennent drsquoecirctre retrou-veacutes par G Pini mais ils sont encore ineacutedits
212 Olivier Boulnois
Duns Scot caracteacuterise drsquoabord la meacutetaphysique comme une laquo sciencetranscendantale raquo (scientia transcendens) Srsquoappuyant sur le prologue ducommentaire de Thomas (qui suit le fil conducteur de Gundissalinus) DunsScot reprend le mecircme point de deacutepart la meacutetaphysique porte sur le souverai-nement connaissable Mais parmi les trois dimensions ouvertes par ThomasDuns Scot nrsquoen retient que deux laquoLes connaissables au plus haut point sontappeleacutes connaissables en deux sens [a] ou bien parce qursquoils sont connus enpremier lieu et que sans eux les autres ne peuvent ecirctre connus [b] ou bienparce qursquoils sont les connaissables les plus certains raquo3 ndash Concernant la pre-miegravere dimension [a] Scot retient agrave la suite drsquoHenri de Gand lrsquoorientation
3 Die Werke Johannes Duns Scotusrsquo werden in folgender Weise angegebenDuns Scotus Quaestio de cognitione Dei ed by C R S Harris Duns Scotus vol 2Oxford 1927 [= Q c d]Ioannis Duns Scoti Ordinatio prologus (Opera omnia Bd 1) edited by C Balić et aliiCittagrave del Vaticano 1950 [= Ord prol]Ioannis Duns Scoti Ordinatio I d 3 (Opera omnia Bd 3) ed by C Balić et alii Cittagravedel Vaticano 1954 [= Ord I3]Ioannis Duns Scoti Ordinatio I d 4ndash10 (Opera omnia Bd 4) ed by C Balić et alii Cittagravedel Vaticano 1956 [= Ord I4ndash10]Ioannis Duns Scoti Ordinatio I d 26ndash48 (Opera omnia Bd 6) ed by C Balić et alii Cittagravedel Vaticano 1963 [= Ord I26ndash48]Ioannis Duns Scoti Lectura I prologus d 1ndash7 (Opera Omnia Bd 16) ed by C Balić etalii Cittagrave del Vaticano 1960 [= Lect prol I1ndash7]Ioannis Duns Scoti Lectura I d 8ndash45 (Opera Omnia Bd 16) ed by C Balić et alii Cittagravedel Vaticano 1966 [= Lect I8ndash45]Ioannis Duns Scoti Collatio 24 ed by K Balic Bogoslovni Vestnik 9 (1929) 212ndash219[= Col]Ioannis Duns Scoti Reportata Parisiensia III ed Wadding-Vivegraves Vol XXIII Paris 1894[= Rep III]Ioannis Duns Scoti In Categorias (Opera Philosophica Bd I [Quaestiones in LibrorumPorphyrii Isagoge et Quaestiones super Praedicamenta Aristotelis]) ed R Andrews et aliiSt Bonaventure (NY) 1999 [= Cat]Ioannis Duns Scoti Quaestiones in Librorum Porphyrii Isagoge et Quaestiones super Prae-dicamenta Aristotelis (Opera Philosophica Bd I) ed R Andrews et alii St Bonaventure(NY) 1999 [= Praed]Ioannis Duns Scoti Quaestiones Super Librum Elenchorum Aristotelis (Opera philosophicaBd II) ed by R Andrews et alii St Bonaventure NY 2004 [= sup Elench]Ioannis Duns Scoti Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis IndashV (Opera Philo-sophica Bd III) ed R Andrews et alii St Bonaventure (NY) 1997 [= In Met IndashV]Ioannis Duns Scoti Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis VIndashIX edited byG Etzkorn et alii (Opera Philosophica Bd IV) St Bonaventure NY 1997 [= In Met VIndashIX]Ioannis Duns Scoti Quaestiones super secundum et tertium De anima ed by C Bazaacuten etalii (Opera philosophica Bd V) St Bonaventure NY 2006 [= De an]Ioannis Duns Scoti Cuestiones Cuodlibetales In Obras del Doctor Sutil Juan Duns Escotoed Felix Alluntis Madrid 1963 [= Q q]
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 213
primordiale de la meacutetaphysique vers les conditions de possibiliteacute les pluscommunes le souverainement connaissable est eacutegalement le plus commun(communissimum) comme lrsquoeacutetant en tant qursquoeacutetant et ce qui en deacutecoule laquo dece que les reacutealiteacutes les plus communes sont penseacutees en premier ndash ainsi que lrsquoamontreacute Avicenne ndash il en reacutesulte que les autres reacutealiteacutes plus speacuteciales nepeuvent ecirctre connues sans que ces choses communes soient connuesdrsquoabord raquo4 Ainsi Duns Scot privileacutegie lrsquointerpreacutetation avicennienne de la meacute-taphysique en surimpression de la lecture ontologique qursquoen donnait Aris-tote dans la Meacutetaphysique IV Ce qui est le plus commun ne peut pas ecirctreconnu dans les sciences particuliegraveres au contraire il est la condition de celles-ci laquo Il est donc neacutecessaire qursquoil existe une science universelle qui considegraverepar elle-mecircme ces transcendantaux (transcendentia) Et cette science nouslrsquoappelons lsaquomeacutetaphysique rsaquo de lsaquometa rsaquo qui signifie lsaquo trans rsaquo et de lsaquo ycos rsaquolsaquo science rsaquo crsquoest-agrave-dire lsquoscience transcendantalersquo puisqursquoelle porte sur lestranscendantaux raquo5 La structure de la science justifie son eacutetymologie (fantai-siste) laquomeacutetaphysique raquo est un eacutequivalent de laquo science transcendantale raquo quideacutesigne clairement agrave la fois la science des reacutealiteacutes les plus communes et celledes reacutealiteacutes connues drsquoabord ndash autrement dit la condition de possibiliteacute uni-verselle des savoirs particuliers
Duns Scot nrsquooublie pourtant pas la seconde branche de lrsquoalternative [b]Le deacuteveloppement reste pourtant tregraves succinct La meacutetaphysique porte aussisur les objets les plus certains laquo les connaissables les plus certains sont lesprincipes et les causes et ils sont drsquoautant plus certains par eux-mecircmes qursquoilssont anteacuterieurs En effet toute la certitude des choses posteacuterieures en deacutependOr cette science considegravere les principes et les causes de cette sorte comme leprouve le Philosophe au livre I chapitre 2 parce qursquoelle est une sagesse raquo6Il y a donc dans la premiegravere reacutedaction de ses Questions sur la Meacutetaphysiqueune ambivalence non reacutesorbeacutee entre deux sujets et deux dimensions de lameacutetaphysique la consideacuteration des transcendantaux et lrsquoenquecircte sur les pre-miegraveres causes7
John Duns Scotus The Examined Report of the Paris Lecture Reportatio IndashA Latin Text andEngl Translation by A B Wolter O Bychkov St Bonaventure (NY) 2004 [= Rep IndashA]Die angegebene Stelle findet sich in In Met IndashV Prologus sect 16 8
4 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) Prologus sect 17 8 en reacutefeacuterence agrave Avicenna Liberde philosophia prima sive scientia divina I 5 ed S Van Riet LouvainminusLeyde 1977 31et Met Γ 11003 a 21 f
5 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) Prologus sect 18 96 Ebd sect 21 10 vgl Met A 2982 a 5ndash107 J A Aertsen nrsquoa donc pas tort de dire que le prologue des Questions sur la Meacutetaphysique
de Duns Scotus garde un laquo caractegravere traditionnel raquo J A Aertsen Medieval Philosophy asTranscendental Thought From Philip the Chancelor (ca 1225) to Francisco Suarez Lei-denndashBoston 2012 375 Mais on ne peut nier que degraves cette eacutepoque Duns Scotus met toutson effort sur lrsquoanalyse de la possibiliteacute drsquoune science transcendantale Et lrsquoaddition posteacuterie-
214 Olivier Boulnois
Mais lrsquoeacutedition critique de Duns Scot teacutemoigne drsquoune addition posteacuterieurequi prouve que Duns Scot nrsquoeacutetait pas satisfait de sa premiegravere reacutedaction tou-chant lrsquouniversaliteacute de la science transcendantale laquo Cette preuve nrsquoapparaicirctpas efficace puisque lrsquoecirctre se dit prioritairement de la substance drsquoapregraves lelivre IV de cet [ouvrage] Et il en va de mecircme de lrsquoun srsquoil est un transcendan-tal et srsquoil relegraveve seulement du genre de la quantiteacute [hellip] il nrsquoest pas dit agrave eacutegaliteacutede toutes choses raquo8 Pour que la science des transcendantaux puisse ecirctre lapremiegravere il faudrait qursquoelle srsquoapplique indiffeacuteremment agrave toutes les diffeacute-rences agrave commencer par la diffeacuterence entre la substance et les autres cateacutego-ries Il faudrait ainsi que lrsquoecirctre et lrsquoun se disent agrave eacutegaliteacute de toutes choses etnon par prioriteacute de la substance (pour lrsquoecirctre) ou de la quantiteacute (pour lrsquoun)Or une telle eacutegaliteacute de preacutedication ne peut ecirctre acquise que si lrsquoon admetlrsquounivociteacute des transcendantaux et drsquoabord lrsquounivociteacute de lrsquoecirctre Cette addi-tion marginale nous donne accegraves agrave lrsquoatelier du penseur Duns Scot se relisanta pleine conscience de lrsquoideacutee que la dimension transcendantale de la meacutetaphy-sique ne sera pleinement conquise qursquoavec la deacutemonstration de lrsquounivociteacute delrsquoecirctre Il doit donc affronter la question aristoteacutelicienne de lrsquoeacutequivociteacute delrsquoecirctre qui semblait rendre impossible une science univoque
Pour analyser ce travail jrsquoeacutetudierai drsquoabord sa theacuteorie de la science (I)puis son eacutelaboration de lrsquoaporie aristoteacutelicienne en trois solutions successives(II III et IV) et enfin les ambiguiumlteacutes qursquoil legravegue agrave la posteacuteriteacute (V)
I La dimension critique
Dans ses premiegraveres Questions sur la Meacutetaphysique Duns Scot pose la ques-tion de la possibiliteacute de la science Qursquoest-ce qui lrsquoa conduit agrave cette ques-tion ndash Rien de moins que la question de la possibiliteacute de la meacutetaphysiquePour reacutepondre agrave la question laquo agrave quelles conditions de possibiliteacute la meacutetaphy-sique est-elle possible raquo Duns Scot doit drsquoabord demander laquo agrave quelles con-ditions de possibiliteacute une science est-elle possible raquo Cette question il la posedans ses Questions sur la Meacutetaphysique I q4 laquo La science est-elle engendreacuteepar lrsquoexpeacuterience raquo Provient-elle de lrsquoexpeacuterience des sens ou de principes in-
ure que nous allons eacutetudier ne fait que renforcer cette orientation lrsquoensemble de ses travauxtendant agrave reconqueacuterir la connaissance de la cause premiegravere agrave partir de celle des transcendan-taux
8 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) Prologus sect 19 9 Ou encore dans la relation entreDieu et la creacuteature il faudrait que les transcendantaux soient preacutediqueacutes eacutegalement de Dieuet de la creacuteature Mais cet aspect theacuteologique ne joue un rocircle deacutecisif que dans les commentai-res des Sentences
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 215
neacutes ou a priori ndash Si la meacutetaphysique est originairement la connaissance delrsquoeacutetant de la substance et de Dieu il faut parvenir agrave deacuteterminer lrsquoessence decette science Or srsquoenqueacuterir de lrsquoessence de la meacutetaphysique crsquoest deacuteterminerde lrsquointeacuterieur sa possibiliteacute et la distinguer de ce qui lui est impossible reacuteali-ser une critique Pour Duns Scot la critique fait partie inteacutegrante de la deacuteter-mination de lrsquoessence de la meacutetaphysique
Duns Scot affronte deux thegraveses opposeacutees 1 Drsquoune part une lecture stric-tement empiriste drsquoAristote pour laquelle toute connaissance provient delrsquoexpeacuterience sensible 2 De lrsquoautre la theacuteorie platonicienne de la science etsa reprise par Augustin pour lesquelles toute science a une origine transcen-dante et intelligible
1 La position empiriste est impossible Lrsquoexpeacuterience ne nous montre qursquounepluraliteacute limiteacutee drsquoeacuteveacutenements singuliers or la science supposer une reacutegu-lariteacute universelle Il ne serait donc pas leacutegitime drsquoextrapoler agrave partir deces cas singuliers pour conclure agrave une loi universelle Ce type de deacuteduc-tion commet la faute de logique appeleacutee fallacia consequentis il y a plusdans les conseacutequences que dans les preacutemisses
2 Lrsquoorigine transcendante de la science a ses lettres de noblesses Lrsquoesclavedu Meacutenon a su trouver en lui-mecircme la reacuteponse aux interrogations qursquoonlui faisait Augustin avec la doctrine de lrsquoillumination pensait trouverla laquo veacuteriteacute authentique raquo (veritas sincera) dans une connaissance perma-nente intelligible et universelle qui ne venait pas du sensible et dumuable Et Henri de Gand a fait de la sinceritas veritatis la cleacute de sadoctrine de lrsquoillumination ndash Mais dans son analyse Duns Scot souligneqursquoil faut distinguer entre la neacutecessiteacute objective drsquoune science et lrsquoaccegravessubjectif et peacutedagogique agrave cette science Lrsquoaide que peut donner un maicirctredans lrsquoenseignement est comparable agrave celle du meacutedecin crsquoest principale-ment la nature qui gueacuterit le malade le meacutedecin nrsquoest qursquoun instrumentexteacuterieur de mecircme crsquoest principalement la science qui instruit lrsquoeacutelegravevelrsquoenseignement nrsquoest qursquoune aide exteacuterieure Lorsque laquo la lumiegravere natu-relle de lrsquointellect est assez puissante pour deacuteduire les conclusions agrave partirdes principes raquo9 cette science est acquise par une deacutecouverte Mais lors-qursquoon a besoin drsquoun maicirctre celui-ci (comme le disait deacutejagrave Augustin dansle De Magistro) ne fait que fournir des signes sensibles exteacuterieurs lrsquoeacutelegraveveconccediloit les termes et tire de lui-mecircme les conclusions Finalement toutsavoir doit ecirctre un savoir par soi-mecircme
Pour construire une science il faut enchaicircner trois opeacuterations de lrsquointellectlrsquoappreacutehension des termes simples la composition de propositions articuleacutees
9 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q4 sect 11 98
216 Olivier Boulnois
et enfin lrsquoargumentation deacuteductive10 Or la connaissance des termes simplesa pour condition sine qua non leur sensation dans le singulier11 On ne peutpas concevoir le rouge si on nrsquoa pas deacutejagrave vu ou moins une fois la couleurrouge Pour Scot comme pour Aristote le concept drsquoexpeacuterience ne deacutesigneeacutevidemment pas ce que nous appellerions une connaissance expeacuterimentale(construite et reproductible) il indique des perceptions freacutequentes accumu-leacutees dans la meacutemoire Par conseacutequent la science des termes nrsquoexige mecircmepas une expeacuterience mais elle requiert au minimum une sensation12 Lrsquoabstrac-tion de lrsquouniversel ne vient pas drsquoun processus expeacuterimental de surimpressiondes sensations une seule perception suffit pour abstraire
Agrave lrsquoaide de cette connaissance des termes simples nous pouvons eacutelaborerla science des principes ceux-ci nous apparaissent avec eacutevidence degraves que nousen connaissons les termes13 Ainsi le principe laquo le tout est plus grand que lapartie raquo nous apparaicirct comme eacutevident degraves lors que nous savons ce qursquoest untout et ce qursquoest une partie Objectivement une fois donneacutee la connaissancedes termes la science se construit par son eacutevidence formelle Pourtant DunsScot indique que lrsquoon peut en avoir une connaissance par les effets (quia) agravepartir drsquoune expeacuterience nous veacuterifions ainsi que les termes du principe serencontrent freacutequemment dans les objets sensibles Par exemple je peux per-cevoir freacutequemment par les sens que tel tout singulier coiumlncide avec ce quiest plus grand14 Dans lrsquoexpeacuterience il y a donc une confirmation subjectivede la coheacuterence objective de la science mais celle-ci nrsquoen deacutepend pas
La certitude des connexions intelligibles est plus forte que celle de lrsquoexpeacute-rience laquoMecircme lagrave ougrave le sens perccediloit la conjonction des termes singuliers dansla reacutealiteacute on adhegravere encore plus certainement agrave un principe complexe par lalumiegravere naturelle de lrsquointellect qursquoen raison drsquoune appreacutehension du sens raquo15Il est possible de raisonner juste avec des figures fausses ou de produire despropositions correctes alors qursquoon est victime drsquoune illusion des sens16 Jepeux voir une tour comme ronde alors qursquoelle est carreacutee mais je ne me trom-perai pas sur la deacutefinition du cercle
La science a donc une structure axiomatico-deacuteductive En droit elle par-vient agrave ses conclusions sans recourir agrave lrsquoexpeacuterience sauf pour lrsquoappreacutehensiondes termes simples dont elle se sert laquo Crsquoest pourquoi ceux qui ont acquis
10 Ebd sect 12 99 vgl De an III 6430 a 27-b 6 reacutesumeacute dans J Hamesse (Ed) AuctoritatesAristotelis LouvainndashParis 1975 187
11 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q4 sect 13 99 vgl Anal post I 1881 a 37ndash3912 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q4 sect 16 100 frequens acceptio sensibilium13 Ebd sect 14 100 vgl Anal post I 372 b 23ndash2514 Ebd sect 14 100 hanc totalitatem et hanc maioritatem coniungi15 Ebd sect 17 10116 Ebd sect 18 101
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 217
lrsquoexpeacuterience drsquoune conclusion par les effets (quia est) semblent se rapporteragrave elle comme ceux qui srsquoeacutetonnent (admirantes) ignorant encore la cause dece qursquoils connaissent comme vrai par les effets et agrave partir de lagrave ils com-mencent agrave philosopher et agrave rechercher la cause raquo17 La science nrsquoest pas ladialectique En dialectique lorsqursquoune proposition est confirmeacutee par plu-sieurs expeacuteriences et qursquoon ne peut pas preacutesenter drsquoobjection on admet cettethegravese La dialectique se satisfait drsquoune approche empiriste humienne de lascience Mais elle nrsquoest pas vraiment la science Pour qursquoil y ait science ilfaut une connaissance universelle qui permette de deacuteduire neacutecessairement lesconclusions agrave partir de principes Lrsquoexpeacuterience est seulement lrsquolaquo occasion raquo dela science et les propositions expeacuterimentales sont du domaine du probable18
Scot rejette ainsi avec vigueur tout empirisme laquo toutes les conclusionsqui nous sont naturellement connnaissables par une deacutemonstration pour-raient ecirctre connues mecircme si tous les sens se trompaient raquo19 Un aveugle-neacutepeut former des propositions parfaitement scientifiques sur les couleursmecircme srsquoil ne les perccediloit pas20
On ne peut pas pour autant admettre lrsquohypothegravese drsquoune source transcen-dante de la science On ne peut recourir agrave la reacuteminiscence car celle-ci croitretrouver la science au fond de notre meacutemoire or il importe que celui quiconnaicirct ait conscience de ce qursquoil connaicirct Augustin lui-mecircme a montreacute contrePlaton qursquoil ne suffit pas drsquointerroger un jeune homme pour qursquoil retrouve lascience il faut lrsquointerroger avec ordre Cela signifie fondamentialement qursquoonlui fait apercevoir lrsquoeacutevidence objective de lrsquoenchaicircnement des propositions21
Duns Scot peut alors eacutenumeacuterer quatre degreacutes drsquoaccegraves agrave la science
1 Lrsquohomme deacutepourvu drsquoexpeacuterience et de deacutemonstration nrsquoa qursquounecroyance il croit que telle proposition est vraie
2 Lrsquohomme drsquoexpeacuterience mais sans deacutemonstration a un savoir certainmais contingent Il voit un effet et il est certain que la nature agit demaniegravere reacuteguliegravere Il peut bien affirmer que le soleil se legravevera demainmais crsquoest une connaissance intuitive du contingent ce nrsquoest pas unescience
3 Lrsquohomme qui a la science du principe mais nrsquoen tire pas les conclusionsa seulement une science virtuelle
17 Ebd sect 20 10118 Ebd sectsect 22ndash23 102ndash10319 Ebd sect 45 109 laquo il en deacutecoule que toutes les conclusions qui sont naturellement connaissa-
bles par nous par une deacutemonstration pourraient ecirctre connues mecircme si tous les sens setrompaient raquo
20 Ebd sect 46 109ndash11021 Ebd sect 37 107 vgl Augustinus De Trinitate XII 15 24
218 Olivier Boulnois
4 Lrsquohomme qui atteint la deacutemonstration applique le principe aux conclu-sions il a la vraie science la science laquo par la cause raquo (propter quid)22
Ainsi la structure de la science est celle drsquoune deacuteduction propter quid ellepart de certains principes et arrive agrave des conclusions de maniegravere deacuteductive eta priori Tandis que lrsquoexpeacuterience ne nous donne que lrsquoeacutetonnement et le deacutesirde rechercher la cause agrave partir de ses effets (quia) ndash Nous arrivons ainsi agrave ladeacutefinition de la science selon Duns Scot dans le prologue des ReportataParisiensia et celui de lrsquoOrdinatio La science est 1 la connaissance laquo cer-taine raquo 2 drsquoune veacuteriteacute neacutecessaire 3 ayant pour nature de tirer son eacutevidencedrsquoune autre veacuteriteacute neacutecessaire 4 par un discours syllogistique 23
1 Elle est certaine ce qui exclut lrsquoillusion lrsquoopinion et le doute2 Elle porte sur un objet neacutecessaire car si la science faite de propositions
neacutecessaires portait sur une veacuteriteacute contingente son objet pourrait changeret elle deviendrait fausse
3 Elle est deacuteductive et ne se reacuteduit pas agrave une intelligence des principes4 Elle passe drsquoune proposition agrave une autre au moyen drsquoun discours syllogis-
tique ce nrsquoest pas une vision intuitive des relations intelligibles entre lesveacuteriteacutes Autrement dit ce nrsquoest pas la science que Dieu possegravede elle estle propre drsquoun sujet fini de connaissance
Nous pouvons donc reacutepondre au problegraveme des conditions de possibiliteacutes dela science Celle-ci commence avec lrsquoexpeacuterience ou plus exactement avec lasensation Mais elle a sa valeur objective indeacutependamment de lrsquoexpeacuteriencequi nrsquoen est que lrsquooccasion Certes nous avons besoin de penser les termespremiers de la science mais on peut produire ces termes premiers agrave partirdrsquoune expeacuterience sensible fausse ou mecircme sans expeacuterience sensible On peutdonc dire que pour Scot (comme plus tard pour Kant) la science commenceavec lrsquoexpeacuterience mais qursquoelle nrsquoen deacuterive pas
22 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q4 sect 79 11823 Duns Scotus Rep IndashA (wie Anm 3) Prologus q1 sectsect 9ndash13 Prima condicio scilicet quod
scientia sit cognitio certa excludens omnem deceptionem opinionem et dubitationem con-venit omni virtuti intellectuali [ 2] Secunda condicio scilicet quod sit veri necessariisequitur ex prima Quia si scientia esset veri contingentis posset sibi subesse falsum proptermutationem obiecti [ 3] Tertia condicio [quod natum est habere evidentiam ex necessa-rio prius evidente] est propria distinguens scientiam ab intellectu principiorum quia isteest veri habentis evidentiam ex terminis [hellip 4] Quarta condicio scilicet quod notitia eviden-tiae posterioris sit causata a priore per discursum syllogisticum est imperfectionis nec estde per se ratione scientiae secundum se sed tantum scientiae imperfectae
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 219
II La premiegravere solution scotiste lrsquoanalogie vers la substance
Le lecteur qui srsquoefforce de comprendre lrsquoensemble de la penseacutee de Duns Scotrencontre une seacuterie tregraves complexe drsquoaffirmations ndash Drsquoune part concernantle sujet de cette science nous trouvons des textes ougrave Duns Scot soutient quelrsquoeacutetant est le sujet premier de la meacutetaphysique Mais nous avons aussi destextes ougrave il admet conformeacutement agrave la tradition que crsquoest Dieu ou la sub-stance ndash Drsquoautre part touchant sa structure nous avons des textes ougrave DunsScot soutient conformeacutement agrave la tradition que lrsquoecirctre est eacutequivoque Maisnous en rencontrons drsquoautres ougrave il affirme de maniegravere absolument inouiumledans lrsquohistoire de la meacutetaphysique que lrsquoecirctre est univoque
Cela forme un puzzle assez complexe que je vais essayer de scheacutematiserici en partant de lrsquohypothegravese que pour fonder la meacutetaphysique commescience Duns Scot doit affronter lrsquoaporie fondatrice de la meacutetaphysiquedrsquoAristote Lrsquoavantage de cette complexiteacute est qursquoelle nous permet de voir lagenegravese de la penseacutee de Scot et la maniegravere dont il deacutepasse progressivementlrsquointerpreacutetation drsquoAristote
La position aristoteacutelicienne sur la meacutetaphysique peut ecirctre exprimeacutee entrois propositions incompatibles
1 La laquo science rechercheacutee raquo porte sur lrsquoecirctre2 Il nrsquoy a de science que drsquoun genre-sujet3 Lrsquoecirctre se dit en plusieurs sens il nrsquoest pas un genre
La seule maniegravere de deacutepasser lrsquoaporie aristoteacutelicienne consiste agrave remodelerchacune des trois propositions Dans ses commentaires de lrsquoOrganon drsquoAris-tote et dans la premiegravere version de son commentaire de la MeacutetaphysiqueDuns Scot a reacuteeacutelaboreacute chacune drsquoelles Afin drsquoatteindre sa nouvelle deacutefinitionde la meacutetaphysique il a fallu que Duns Scot fasse eacutevoluer le concept de sujetdrsquoune science en mecircme temps que sa structure24
24 Certains travaux reacutecents (notamment ceux de D Demange S Dumont T Noone G PiniR Wood) suggegraverent que plusieurs passages des Questions sur la Meacutetaphysique seraientplus tardifs que les œuvres theacuteologiques Malheureusement lrsquoeacutedition des Questions sur laMeacutetaphysique ne propose ni stemma ni datation des couches reacutedactionnelles Crsquoest pour-quoi je parle ici de deux couches posteacuterieures lrsquoune agrave lrsquoautre et consideacutereacutees de maniegravereimmanente Je deacutecris ici une geacuteneacutealogie conceptuelle et non une eacutevolution chronologiqueMais selon une communication reacutecente de K Emery qui travaille agrave lrsquoeacutedition critique desReportata Parisiensia il faut distinguer aussi diverses eacutetapes reacutedactionnelles du Commentai-re des Sentences Drsquoabord le commentaire drsquoOxford puis celui qui fut donneacute agrave Paris de1302 agrave 1305 ce dernier fit lrsquoobjet drsquoune Reportatio laquelle fut ensuite compleacuteteacutee par deseacuteleacutements venus de lrsquoenseignement drsquoOxford pour former une nouvelle synthegravese destineacutee agraveecirctre publieacutee dans ce que nous appelons lrsquoOrdinatio Cela signifie qursquoon ne peut plus consideacute-rer tous les passages communs avec les Reportata parisiensia comme des interpolations
220 Olivier Boulnois
1 Lrsquouniteacute du sujet de la meacutetaphysique
La proposition 3 avait deacutejagrave eacuteteacute remodeleacutee par lrsquohistoire de la meacutetaphysiqueoccidentale depuis le neacuteoplatonisme25 Elle consistait agrave surdeacuteterminer philo-sophiquement la remarque drsquoAristote en Meacutetaphysique Γ 2 lrsquoecirctre se dit enplusieurs sens mais par reacutefeacuterence agrave un terme premier la substance Cettereacutefeacuterence (attributio) eacutetait penseacutee comme une analogie crsquoest-agrave-dire une pro-venance et une participation au terme premier la substance ou agrave Dieu Laposition la mieux connue de Scot eacutetait celle drsquoHenri de Gand qui soutenaitagrave la fois comme Avicenne que le premier concept que nous avons danslrsquointellect est celui drsquoeacutetant et comme Thomas drsquoAquin que lrsquoeacutetant creacuteeacute sedisait par analogie de lrsquoeacutetant increacuteeacute il rendait ces deux thegraveses compatibles enaffirmant que le concept drsquoeacutetant creacuteeacute obtenu par abstraction agrave partir de notreexpeacuterience eacutetait privativement indeacutetermineacute tandis que le concept de drsquoeacutetantincreacuteeacute obtenu par neacutegation de toutes les imperfections eacutetait neacutegativementindeacutetermineacute pourtant dans notre esprit agrave la suite drsquoune erreur drsquoaccommo-dation lrsquoun se confondait avec lrsquoautre Henri appelait cela un laquo concept com-mun analogue raquo
Au deacutepart Duns Scot ne semble pas avoir contesteacute les deux thegraveses fonda-mentales sur lesquelles srsquoappuie cette interpreacutetation Il a drsquoabord soutenu enbonne tradition aristoteacutelicienne que lrsquoeacutetant est eacutequivoque aux dix cateacutegoriesauxquelles correspondent dix concepts Mais cela nrsquoempecircche pas qursquoil y aiten mecircme temps une relation reacuteelle drsquoattribution entre les reacutealiteacutes qursquoils signi-fient ndash Sur ce point Scot se conforme agrave une longue tradition Albert le Grandet Henri de Gand ont deacutejagrave soutenu que lrsquoeacutetant eacutetait eacutequivoque selon le logi-cien et analogue selon le meacutetaphysicien26 Scot admet donc la thegravese deacutejagravedeacutefendue par Albert le Grand que lrsquoens est eacutequivoque logiquement tout eneacutetant analogue reacuteellement27 Lrsquoeacutetant est analogue pour ce qui concerne la
(ainsi que lrsquoont fait les eacutediteurs) Ainsi il est vraisemblable que la premiegravere couche reacutedac-tionnelle des Questions sur la meacutetaphysique est contemporaine de lrsquoenseignement drsquoOxfordet la seconde contemporaine ou posteacuterieure agrave lrsquoenseignement de Paris
25 Vgl J-F Courtine Inventio analogiae Paris 200526 Albertus Magnus De praedicabilibus Opera Omnia I Ed Borgnet Paris 1890 70 b
Tamen quia in talibus respectus est ad unum quod est simpliciter ens ideo non simpliciterest aequivocum Quare non omnium ad unum respicientium est idem modus et ratio respi-ciendi unum enim est ut mensura alterum ut dispositio Ideo quoad hoc est aequivocumEt ideo totum simul analogum hoc est commune secundum proportionem vocatur quodmedium est inter univocum et aequivocum vgl Henricus a Gandavo Quodlibetum XIq11 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) IV q1 sect 70 315 f Voir A de Libera Lessources greacuteco-arabes de la theacuteorie meacutedieacutevale de lrsquoanalogie de lrsquoecirctre Les Eacutetudes philosophi-ques 3ndash4 1989 319ndash345
27 Duns Scotus Praed (wie Anm 3) q4 sect 38 285 Intelligendum tamen quod vox quaeapud logicum simpliciter aequivoca est quia scilicet aeque primo importat multa apud
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 221
relation des autres cateacutegories agrave la substance parce qursquoelle suppose une deacutepen-dance reacuteelle tandis que la signification logique est simplement eacutequivoqueaucun sens de lrsquoecirctre nrsquoa de prioriteacute logique sur les autres
Dans ce sens on pourrait admettre que lrsquouniteacute du sujet de la meacutetaphy-sique est une uniteacute drsquoanalogie il suffit qursquoil y ait une uniteacute drsquoanalogie entretous les termes qui sont attribueacutes agrave ce sujet crsquoest-agrave-dire que tous ces termesaient une attribution agrave un terme premier
2 La structure de la science
Mais pour que la meacutetaphysique soit une science il faut remplir des condi-tions drastiques Connaicirctre crsquoest connaicirctre par la cause28 La science devraitdonc se deacuteployer a priori Avicenne lrsquoa rappeleacute suivi par Henri de GandMais pouvons-nous avoir une connaissance a priori de Dieu ou de la sub-stance
Dans le sujet simple drsquoune science sont contenus tous les principes ettoutes les conclusions que lrsquoon peut eacutetablir sur ce sujet29 Dans ce cas cha-cune des veacuteriteacutes de cette science appartient au mecircme genre30 Il faudrait doncpour ecirctre science par la cause que la meacutetaphysique puisse deacuteduire les autresproprieacuteteacutes agrave partir de son sujet Or cette preacutetention se heurte agrave un pheacutenomegravenedeacutecrit par Aristote lrsquoeacutequivociteacute de lrsquoecirctre qui se dit en plusieurs sens DunsScot en conclut lrsquoimpossibiliteacute drsquoavoir une science unique de lrsquoecirctre il sembleqursquoil y ait autant de sciences qursquoil y a de genres-sujets Or les cateacutegories sontles reacutealiteacutes ultimes au-delagrave drsquoelles il nrsquoy a rien
Une voie vers la solution consiste agrave dire que lorsqursquoun sujet est analogueles proprieacuteteacutes deacutemontreacutees ne se deacuteduisent pas du sujet mais se rapportent agravelui comme au terme premier auquel tous les autres sont attribueacutes31 Scotabandonne ainsi lrsquoideacuteal drsquoune science a priori ou deacuteductive La connaissancedu sujet de la science ne peut permettre de deacuteduire ses proprieacuteteacutes Lorsqursquoon
metaphysicum vel naturalem qui non considerant vocem in significando sed ea quae signifi-cantur secundum illud quod sunt est analoga propter illud quod ea quae significantur licetnon in quantum significantur tamen in quantum exsistunt habent ordinem inter se Ideolsaquo ens rsaquo a metaphysico in IV et VII Metaphysicae ponitur analogum ad substantiam et acci-dens quia scilicet haec quae significantur in essendo habent ordinem sed apud logicum estsimpliciter aequivocum quia in quantum significantur per vocem aeque primo significan-tur
28 Anal Post I 271 b 9ndash1229 Duns Scotus In Met VIndashIX (wie Anm 3) VI q1 sectsect 39ndash40 15 f30 Anal post I 2887 a 38 f vgl Duns Scotus In Met VIndashIX (wie Anm 3) VI q4 sect 38 15
et sect 41 1731 Duns Scotus Cat (wie Anm 3) q4 sectsect 48 f 288 f
222 Olivier Boulnois
possegravede une science par analogie son sujet ne peut pas servir de majeuredans une deacutemonstration Ici il srsquoagit de la substance qui selon Aristote jouele rocircle drsquouniteacute focale de reacutefeacuterence (attributio) Dans le cas de lrsquoeacutetant il y abien un concept univoque crsquoest celui drsquoeacutetant mais tous les preacutedicats qui luisont attribueacutes sont dits par analogie la science ne peut pas porter sur lesdivers sens de lrsquoeacutetant selon leur analogie (les cateacutegories posteacuterieures) maiselle porte sur le terme premier univoque auxquels les autres sont attribueacutesla substance La deacutemonstration ne pourra pas porter sur une proprieacuteteacute uni-verselle du sujet mais on deacutemontrera les proprieacuteteacutes des analogueacutes avant deles reporter sur le terme premier auquel tous les objets de la science sontattribueacutes
Quelle structure peut-on alors donner agrave cette science Duns Scot estimeque son uniteacute est moins forte que lrsquouniteacute geacuteneacuterique La meacutetaphysique enraison de la pluraliteacute des sens de lrsquoecirctre (et des genres correspondants) necontient pas virtuellement toutes les propositions scientifiques comme in-cluses dans son sujet En effet le concept drsquoeacutetant ne contient en lui-mecircmeaucune autre connaissance On ne peut en deacuteduire ni Dieu ni la substancePourtant la deacutetermination des divers sens de lrsquoecirctre (du sens propre de chacundes analogueacutes) deacutepend de la deacutetermination du sens du terme premier auqueltout le reste est attribueacute laquoQuand le sujet est analogue les deacutemonstrationsne portent pas sur ce sujet pris en lui-mecircme mais sur le laquo termeraquo premierauquel tous les autres sont attribueacutes Car pour deacuteterminer une multipliciteacutedrsquoanalogueacutes il suffit de deacuteterminer le laquo termeraquo premier auxquels tous lesautres sont attribueacutes comme il est dit au commencement de la MeacutetaphysiqueVII Et si on ne peut montrer aucune proprieacuteteacute du sujet de la science quandil est analogue ce nrsquoest pas inconveacutenient du moins tant que ces proprieacuteteacutessont deacutemontreacutees du laquo termeraquo premier auquel tous les autres sont attri-bueacutes raquo32 Faute drsquoune saisie complegravete et deacuteductive qui deacuteduirait de la connais-sance du terme premier la science de tous les autres objets de cette scienceon se limitera agrave une connaissance plurielle des diverses relations drsquoattributiondes sens de lrsquoecirctre envers la substance
3 Le sujet de la meacutetaphysique
Venons-en maintenant au troisiegraveme problegravemeLa premiegravere Question sur la Meacutetaphysique porte sur le sujet de cette
science srsquoagit-il de lrsquoeacutetant de Dieu ou de la substance Lrsquoambivalence structu-relle de la meacutetaphysique dans ses traditions motive le questionnement sco-
32 Duns Scotus Praed (wie Anm 3) q4 sect 49 288
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 223
tiste laquo Pour ce qui est de lrsquoobjet de cette science il a eacuteteacute montreacute plus hautque cette science porte sur les transcendantaux Il a aussi eacuteteacute montreacute qursquoelleporte sur les causes les plus hautes [hellip] Crsquoest pourquoi on se demandera enpremier lieu si le sujet propre de la meacutetaphysique est lrsquoeacutetant en tant qursquoeacutetant(comme le soutient Avicenne) ou bien Dieu et les Intelligences (comme lesoutient le Commentateur Averroegraves) raquo33
La premiegravere reacuteponse examineacutee par Scot est celle drsquoAverroegraves qui estimeque ce sujet est constitueacute par laquo les substances seacutepareacutees crsquoest-agrave-dire Dieu etles intelligences raquo34 La seconde est celle drsquoAvicenne laquo le premier sujet de cettescience est lrsquoeacutetant en tant qursquoeacutetant raquo35 Il est facile agrave Duns Scot de montrerque les deux objets eacutevoqueacutes par Averroegraves nrsquoont pas drsquouniteacute entre eux etlaissent de cocircteacute le troisiegraveme thegraveme de la meacutetaphysique agrave savoir lrsquoeacutetant36 Lareacutefutation drsquoAvicenne est plus longue et plus difficile drsquoautant plus que celui-ci peut srsquoappuyer sur la Meacutetaphysique IV (Γ) Le fondement principal delrsquoavicennisme est la neacutecessiteacute drsquoavoir une science qui considegravere les termesles plus communs une science universelle condition de toute connaissancescientifique des reacutealiteacutes particuliegraveres37 Lrsquoesprit geacuteneacuteral de la reacuteponse de Scotest qursquoen toute science il faut partir des principes or lrsquoeacutetant comme tel nrsquoapas de principe38
Averroegraves et Avicenne ayant eacuteteacute reacutefuteacutes Duns Scot envisage finalement lasubstance comme sujet premier Une telle deacutecision eacutetait deacutejagrave impliqueacutee dansle concept drsquoanalogie drsquoattribution puisque la Meacutetaphysique IV (Γ) 2 drsquoAris-tote atteacutenuait deacutejagrave lrsquoeacutequivociteacute des sens de lrsquoecirctre en invoquant la reacutefeacuterence agraveun sens premier la substance Scot invoque aussi la prioriteacute de la substancedrsquoapregraves la Meacutetaphysique VII (Z) drsquoAristote39 ndash Par conseacutequent la meacutetaphy-sique deacutemontre non les proprieacuteteacutes de lrsquoeacutetant reacuteellement analogue et logique-ment eacutequivoque mais celles de la substance comme uniteacute focale et objet
33 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q1 sect 1 1534 Ebd sect 13 1935 Ebd sect 68 3836 Vgl ebd sectsect 34ndash35 et 71 29 et 3937 Vgl ebd sect 70 3938 Vgl ebd sect 76 41 et sect 84 4339 Vgl Met Ζ 11028 a 29ndash34 δηλον ουν ὅτι δια ταύτην κἀκείνων ἕκαστον ἔστιν ὥστε το
πρώτως ὂν και οὐ τι ὂν ἀλλ᾿ ὂν ἁπλως ἡ οὐσία ἂν εἴη πολλαχως μεν ου ν λέγεται το πρωτονὅμως δε πάντως ἡ οὐσία πρωτον και λόγῳ και γνώσει και χρόνῳ των μεν γαρ ἄλλων κατη-γορημάτων οὐδεν χωριστόν αὕτη δε μόνη laquo Agrave lrsquoeacutevidence donc crsquoest par cette substance quechacun de ces ecirctres aussi existe de sorte que lrsquoecirctre au sens premier et non pas un ecirctrequelconque mais lrsquoecirctre au sens absolu serait la substance Sans aucun doute premier sedit en plusieurs sens pourtant dans tous les sens la substance est premiegravere par lrsquoeacutenonceacutepar la connaissance et chronologiquement car aucun de tous les autres preacutedicats nrsquoestseacuteparable seule la substance lrsquoest raquo
224 Olivier Boulnois
drsquoattribution pour toutes les propositions meacutetaphysiques Ici le sujet nrsquoestpas un sujet commun mais un sujet drsquoattribution par reacutefeacuterence auquel lesautres cateacutegories se disent Il est lrsquouniteacute agrave laquelle on se raccroche malgreacute lapluraliteacute des cateacutegories
Reacutesumons tout le travail de deacuteplacement accompli par Duns Scot agravegauche nous avons la position drsquoAristote agrave droite la reacuteeacutelaboration de DunsScot
Aristote Duns Scot
1 Toute science est science par les causes et 1 Une science peut connaicirctre une pluraliteacutepreacutesuppose lrsquouniteacute drsquoun sujet commun drsquoobjets selon leur attribution agrave un sujet
premier2 Lrsquoeacutetant nrsquoest pas un genre 2 Lrsquoeacutetant est eacutequivoque conceptuellement
mais reacuteellement analogue (Albert leGrand)
3 La meacutetaphysique porte sur lrsquoousia 3 Le sujet de la meacutetaphysique est la sub-(Γ 2 Z 1) stance
1 Parti de lrsquoideacutee aristoteacutelicienne qursquoune science est a priori et preacutesupposelrsquouniteacute de son sujet Duns Scot invoque la structure drsquoune science quideacutemontre les proprieacuteteacutes des divers sens de lrsquoeacutetant puis les attribue agrave sonsujet
2 Scot va de lrsquoideacutee aristoteacutelicienne que lrsquoeacutetant nrsquoest pas un genre mais esteacutequivoque agrave lrsquoideacutee qursquoil est eacutequivoque conceptuellement mais reacuteellementanalogue
3 Il en conclut que la meacutetaphysique porte sur lrsquoeacutetant en tant que substanceMais celle-ci est le sujet drsquoattribution des autres propositions que lrsquoondeacutemontre drsquoelle
On peut appeler cette premiegravere figure de la meacutetaphysique une meacutetaphysiquede lrsquoecirctre analogue Pour penser la meacutetaphysique seul compte ici le problegravemede la preacutedication transcateacutegoriale La question de la causaliteacute reacuteelle passe agravelrsquoarriegravere-plan
III La deuxiegraveme solution scotiste lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant
Dans ses œuvres theacuteologiques la Lectura la Reportatio parisiensis et lrsquoOrdi-natio Duns Scot reacuteeacutelabore en profondeur la question La distinction entremeacutetaphysique et theacuteologie ne vient pas de la distinction entre leurs deux
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 225
sujets Dieu et lrsquoeacutetant mais de leur mode de connaissance En effet la theacuteolo-gie porte sur Dieu et sur toutes choses en tant que connaissables agrave partir delrsquoessence divine connue dans sa singulariteacute (mais sous le mode de la reacuteveacutela-tion) la meacutetaphysique porte sur toutes choses connaissables naturellementagrave partir de notions universelles40
Dans la Lectura et lrsquoOrdinatio Duns Scot nrsquoheacutesite pas agrave affirmer que lesujet de la meacutetaphysique est lrsquoeacutetant Avicenne a bien montreacute qursquoune science nepeut deacutemontrer lrsquoexistence de son sujet mais doit le preacutesupposer41 Commelrsquoexistence de Dieu est deacutemontreacutee en meacutetaphysique celui-ci ne peut ecirctre sonpremier sujet Si Dieu en eacutetait le sujet il faudrait une science preacutealable delrsquoeacutetant qui deacutemontrerait lrsquoexistence drsquoun eacutetant premier42 Plus geacuteneacuteralementle sujet est constitueacute par les transcendantaux obtenus par abstraction drsquounterme commun lrsquoeacutetant ou drsquoautres proprieacuteteacutes coextensives Mais pour quelrsquoeacutetant soit le sujet de la meacutetaphysique il faut donner agrave son sujet une autreuniteacute et agrave la science une autre structure
1 Lrsquouniteacute de lrsquoobjet de lrsquointellect
Duns Scot fait deacutependre lrsquoune de lrsquoautre deux thegraveses drsquoAvicenne lrsquoeacutetant estle sujet de la meacutetaphysique parce qursquoil est aussi lrsquoobjet premier de notrepenseacutee laquo id quod primo cadit in intellectu raquo Pourquoi fonder ainsi la meacuteta-physique sur la noeacutetique Et que veut dire ici premier
La Lectura et lrsquoOrdinatio distinguent trois types de prioriteacute le premierobjet connu peut lrsquoecirctre selon lrsquoorigine la perfection ou lrsquoadeacutequation43
1 Le premier objet selon lrsquoorigine est lrsquoespegravece sensible si lrsquoon srsquoen tient agravedes connaissances confuses mais crsquoest lrsquoeacutetant si on le considegravere selonlrsquoordre des connaissances distinctes lrsquoeacutetant est le concept le plus simpleet le plus universel la meacutetaphysique est donc la science premiegravere danslrsquoordre des reacutealiteacutes connues distinctement44
2 Le premier objet selon lrsquoordre de perfection est Dieu si lrsquoon considegravere lascience la plus parfaite que nous puissions avoir Mais le plus proportion-
40 Duns Scotus Ord prol (wie Anm 3) sect 200 13541 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) p2 q2 sect 97 34 f Ord prol (wie Anm 3)
p3 q2 sectsect 193 f 129ndash131 Rep I-A prol (wie Anm 3) q3 sect 215 74 Avicenna benedicit et Averroes valde male
42 Duns Scotus In Met VIndashIX (wie Anm 3) VI q4 sect 10 8743 Lrsquoopposition entre origine et perfection remonte agrave la Met Θ 81050 a 4ndash8 la deacutefinition de
lrsquoobjet adeacutequat provient de la celle de lrsquouniversel dans les Anal post I 473 b 32 f44 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sectsect 70ndash81 251ndash256 Duns Scotus Ord
I3 (wie Anm 3) sectsect 71ndash94 surtout 81 sectsect 49ndash61 surtout 55
226 Olivier Boulnois
neacute agrave notre connaissance est le sensible Dieu nrsquoest pas une sorte drsquoideacuteeinneacutee il nrsquoest pas le premier objet connu par nous dans lrsquoordre de notreapprentissage45
3 Lrsquoobjet premier par adeacutequation (ou par preacutecision) est penseacute agrave partir drsquounpassage ougrave Aristote analyse lrsquoextension eacutegale entre le sujet et le preacutedicatIl se prend encore en deux sens Au premier sens celui drsquoune communau-teacute formelle parce que sa raison est incluse dans tout ce qui peut ecirctrelrsquoobjet de cette puissance Au second sens celui drsquoune primauteacute virtuelleparce que lrsquoobjet meut la puissance agrave lrsquoacte envers tout ce qui est virtuel-lement contenu en lui Crsquoest ainsi que lrsquoessence divine est lrsquoobjet premiervirtuel de la science que Dieu a de toutes choses en se connaissant ilconnaicirct toutes choses Or en ces deux sens lrsquoobjet premier de lrsquointellectfini nrsquoest ni Dieu (thegravese attribueacutee par Scot agrave Henri de Gand) ni la quiddi-teacute de la chose mateacuterielle (thegravese attribueacutee agrave saint Thomas) ni la substanceCar aucun de ces trois objets nrsquoest contenu dans tous les objets que notreintellect peut consideacuterer Et aucun drsquoeux ne meut lrsquointellect agrave connaicirctretout le reste
Selon la Lectura une alternative srsquoouvre laquo soit il nrsquoy aura aucun objet pre-mier [adeacutequat] de notre intellect soit il faut poser lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant raquo46Il faut que lrsquoeacutetant soit univoque sans quoi il nrsquoy a pas drsquoobjet premier etadeacutequat de notre intellect47 ndash Pourtant laquo il nrsquoest pas dit univoquement et demaniegravere quidditative raquo de tous les intelligibles48 Il faut lire ce passage commeun hendiadys lrsquoeacutetant dit univoquement est lrsquoeacutetant dit in quid or lrsquoeacutetant nrsquoestpas dit de maniegravere quidditative de toutes choses
Mais selon lrsquoOrdinatio ce nrsquoest plus une alternative les deux thegraveses sontvraies en mecircme temps Il nrsquoy a tout simplement pas drsquoobjet premier de lrsquointel-lect au sens strict et lrsquoeacutetant est univoque Lrsquounivociteacute est pourtant la conditionsine qua non de lrsquoexistence drsquoune certaine uniteacute de lrsquoobjet de notre intellectqui nrsquoest ni lrsquouniteacute formelle ni lrsquouniteacute virtuelle deacutejagrave eacutevoqueacutees49 La nature et
45 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 85 257 Duns Scotus Ord I3 (wieAnm 3) sectsect 94ndash98 62 f
46 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 97 26147 Vgl ebd sect 98 261 Oportet ponere quod ens sit univocum quod etiam sit obiectum
primum adaequatum intellectui nostro48 Ebd sect 99 261 Dico quod ens non est dictum univoce et in quid de omnibus per se
intelligibilibus mecircme doctrine dans la Collatio 13 sect 349 Vgl Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 129 80 pour la traduction vgl Jean Duns Scot
Sur la connaissance de Dieu et lrsquounivociteacute de lrsquoetant Introduction traduction et commentai-re p O Boulnois Paris 1988 138 Quod si ens ponatur aequivocum creato et increatosubstantiae et accidenti cum omnia ista sint primum obiectum intellecus nostri nec proptervirtualitatem nec propter communitatem Sed ponendo illam positionem [hellip] potest aliquomodo salvari aliquod esse primum obiectum intellectus nostri
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 227
lrsquoextension de lrsquoobjet de notre intellect correspondent agrave la nature et agrave lrsquoexten-sion de lrsquounivociteacute qui deacutepend agrave son tour de la structure de la preacutedicationAutrement dit la meacutetaphysique de lrsquounivociteacute deacutepend de lrsquouniteacute du concept
Cela permet agrave Duns Scot drsquointroduire une analyse preacutecise du conceptdrsquoeacutetant Le concept drsquoeacutetant est un concept laquo absolument simple raquo qui laquo nrsquoestpas analysable en plusieurs concepts raquo En cela il se distingue drsquoun conceptlaquo simple mais non absolument simple raquo lequel correspond agrave laquo tout ce quipeut ecirctre conccedilu par lrsquointellect drsquoun acte drsquointelligence simple quoique pou-vant ecirctre analyseacute en plusieurs concepts concevables seacutepareacutement raquo50 parexemple le concept drsquoeacutetant infini ndash Discregravetement Duns Scot renverse unetradition multiseacuteculaire le concept le plus simple que nous puissions avoirnrsquoest pas celui de Dieu mais celui drsquoeacutetant
On peut alors aborder la question de la primauteacute du concept drsquoeacutetantPour eacutetablir ce point Duns Scot doit drsquoabord preacuteciser ce qursquoil entend parconcevoir confuseacutement ou distinctement Aristote affirmait que laquo les chosesconfuses sont connues drsquoabord raquo51 Saint Thomas soutenait que nous avonsdrsquoabord une connaissance imparfaite et indistincte sous un mode confus52Mais pour Scot connaicirctre un objet confus nrsquoest pas neacutecessairement con-naicirctre confuseacutement53 Il existe des reacutealiteacutes confuses crsquoest-agrave-dire qui mecirclent demaniegravere indistincte diverses parties Mais une mecircme reacutealiteacute peut ecirctre conccedilueconfuseacutement crsquoest-agrave-dire simplement viseacutee par une deacutefinition nominale etelle peut ecirctre conccedilue distinctement lorsqursquoon possegravede la deacutefinition qui deacutecritson essence54 Lrsquoeacutetant enveloppe bien une reacutealiteacute plus ou moins complexeMais parce qursquoil est absolument simple laquo lrsquoeacutetant ne peut ecirctre conccedilu que dis-tinctement raquo Il est mecircme le laquo premier concept distinctement concevable raquo55Cela fait de la meacutetaphysique la condition de possibiliteacute de toute science dis-tincte laquo il peut ecirctre conccedilu distinctement sans les autres et non pas les autressans qursquoil soit conccedilu distinctement raquo56 ndash Second renversement lrsquoeacutetant nrsquoestpas lrsquoobjet drsquoune connaissance confuse et imparfaite mais drsquoune connais-
50 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 71 49 trad Boulnois (wie Anm 49) 11651 Phys I 1 184 a 21ndash22 citeacute par Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 83 57 trad Boulnois
(wie Anm 49) 12152 Thomas drsquoAquin Summa theologiae II q85 a3 sub quadam confusione53 Duns Scotus De an (wie Anm 3) q16 sect 27 154 laquo Thomas a eacuteteacute trompeacute [hellip] parce qursquoil
nrsquoa pas distingueacute entre connaicirctre quelque chose confuseacutement et distinctement et connaicirctrequelque chose de confus raquo (trad Boulnois) vgl W Goris The Confuse and the Distinct ndashTowards a Proper Starting Point of Human Knowledge in Thomas Aquinas and Duns Sco-tus in R L FriedmanJ M Counet (Eds) Soul and Mind Ancient and Medieval Perspec-tives on the De anima (agrave paraicirctre)
54 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 71 49 trad Boulnois (wie Anm 49) 11655 Ebd sect 80 54 f trad Boulnois (wie Anm 49) 11956 Ebd sect 55 trad Boulnois (wie Anm 49) 119
228 Olivier Boulnois
sance distincte et parfaite parce qursquoelle est simple Sa connaissance distinctenrsquoest pas atteinte au terme de la science mais donneacutee au commencementCette prioriteacute conduit agrave opposer lrsquoordre transcendantal agrave lrsquoordre expeacuterimen-tal car toute expeacuterience commence par la connaissance de lrsquoespegravece la plusspeacuteciale57
La reacuteflexion sur la primauteacute de lrsquoobjet de lrsquointellect permet de com-prendre laquo en quel sens la meacutetaphysique est premiegravere et en quel sens elle nelrsquoest pas raquo58 Elle est derniegravere dans lrsquoordre de lrsquoapprentissage car elle est con-nue apregraves toutes les autres Mais elle est premiegravere dans lrsquoordre de la distinc-tion car non seulement elle est la science premiegravere dans lrsquoordre de la connais-sance distincte mais elle est celle qui permet aux autres sciences de devenirdistinctes En effet les principes des sciences particuliegraveres sont admis commeeacutevidents par eux-mecircmes agrave partir de la combinaison des concepts confus deleurs termes Mais laquo agrave partir de la science meacutetaphysique on a ensuite lapossibiliteacute de rechercher distinctement la quidditeacute de se termes raquo et de cettefaccedilon les laquo principes des sciences speacuteciales sont connus plus distinctementqursquoauparavant raquo59 Mieux vaut ecirctre meacutetaphysicien et geacuteomegravetre que geacuteomegravetreAu lieu de principes admis agrave partir drsquoune connaissance confuse la scienceparticuliegravere aura une connaissance distincte de ses propres principes Ellepourra mecircme en deacutecouvrir de nouveaux Ainsi la meacutetaphysique est la condi-tion de possibiliteacute non certes de tout exercice de la science mais de toutescience distincte fondeacutee sur des preacutemisses conccedilues distinctement Crsquoest unecondition structurelle en soi dont nous nrsquoavons pas neacutecessairement con-science
2 La structure de la preacutedication
La cleacute pour penser lrsquouniteacute de la meacutetaphysique consiste en effet agrave penser lesmodes drsquoarticulation de lrsquoeacutetant crsquoest-agrave-dire ses modes de preacutedication DunsScot repart drsquoune deacutefinition stricte de la science qui provient des Secondsanalytiques le sujet drsquoune science est celui de la conclusion eacutetablie par unedeacutemonstration qui lui attribue des proprieacuteteacutes par soi Il lrsquoassouplit cependanten soulignant que pour Aristote il y a deux modes drsquoinclusion par soi60
Lrsquoinclusion per se primo modo ougrave le sujet est inclus dans le preacutedicatsrsquoarticule agrave lrsquoinclusion per se secundo modo ougrave le preacutedicat est inclus dans lesujet Lrsquoexemple aristoteacutelicien montre bien que lrsquoinclusion per se secundo
57 Ebd sect 73 50 trad Boulnois (wie Anm 49) 11758 Ebd sect 81 56 trad Boulnois (wie Anm 49) 121 modifieacutee59 Ebd trad Boulnois (wie Anm 49) 120 modifieacutee60 Anal Post I 473 a 34-b 3
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 229
modo convient particuliegraverement agrave des proprieacuteteacutes disjonctives par paires tellesque lrsquoensemble formeacute par leur conjonction a la mecircme extension que le sujetqursquoils qualifient Or preacuteciseacutement Duns Scot utilisera des proprieacuteteacutes disjonc-tives par paires comme finiinfini contingentneacutecessaire pour les appliqueragrave lrsquoeacutetant et parvenir ainsi agrave remonter jusqursquoagrave Dieu
Lrsquoideacutee drsquoarticuler les deux modes de preacutedication pour fonder une scienceremonte agrave Aristote lui-mecircme laquo Donc agrave propos des objets de science au sensabsolu ceux qui sont dits lsaquo par soi rsaquo de telle sorte qursquoils soient contenus dansles sujets dont ils sont preacutediqueacutes ou que ces sujets les contiennent sont agrave lafois du fait drsquoeux-mecircmes et par neacutecessiteacute raquo61 Toute science est science depreacutedicats qui contiennent analytiquement les sujets ou qui sont contenusvirtuellement en eux Or lrsquoeacutetant nrsquoest pas preacutediqueacute quidditativement de toutce qui est intelligible par soi parce qursquoil nrsquoest preacutediqueacute ainsi ni des diffeacuterencesultimes ni des autres transcendantaux62 En effet les diffeacuterences ultimes etles transcendantaux ne tombent pas sous lrsquoeacutetant ils nrsquoen sont pas des sous-ensembles Les diffeacuterences ultimes sont tout agrave fait exteacuterieures au conceptdrsquoeacutetant auquel elles srsquoajoutent pour le deacuteterminer lrsquoeacutetant se dit quidditative-ment (per se primo modo) de ses infeacuterieurs (cateacutegories genres espegraveces) maisles autres transcendantaux et les diffeacuterences ultimes srsquoen disent qualitative-ment (per se secundo modo)63 En drsquoautres termes la preacutedication quidditativeconcerne uniquement le concept drsquoeacutetant et ce qui lui est infeacuterieur les cateacutego-ries (substance) les genres (animal) les espegraveces (homme)
Pourquoi exclure les autres transcendantaux de la preacutedication essen-tielle ndash Parce qursquoils introduiraient une redondance (nugatio) Les transcen-dantaux convertibles ne sont pas drsquoautres ensembles drsquoessences chaque eacutetantest vrai et bon et pourtant le vrai et le bien ne sont pas autre chose quelrsquoeacutetant mais toujours lrsquoeacutetant pris sous un autre rapport en tant qursquointelligibleou deacutesirable64 Les transcendantaux disjonctifs ne sont pas non plus autrechose que lrsquoeacutetant mais des modaliteacutes de lrsquoeacutetant tout eacutetant est neacutecessaire oucontingent infini ou fini mais la neacutecessiteacute et lrsquoinfiniteacute sont des modes delrsquoeacutetant divin la contingence et la finiteacute des modes de lrsquoeacutetant creacuteeacute65 ndash Pourquoiexclure les diffeacuterences ultimes pour la mecircme raison si la diffeacuterence ultime
61 Anal Post I 473 b 1662 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 131 81 trad Boulnois (wie Anm 49) 138 Sur les
laquo deux orientations principales du savoir raquo ebd 47 f63 Vgl Collatio 24 (wie Anm 3) sect 21 212ndash219 trad Boulnois (wie Anm 49) 30364 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sectsect 134ndash136 83ndash85 trad Boulnois (wie Anm 49) 139ndash
14165 Sur lrsquoexplication modale de lrsquoeacutetant voir Duns Scotus Ord I4ndash10 (wie Anm 3) d8
sectsect 100ndash109 136ndash140 199ndash203 221ndash223 et lrsquoanalyse de Honnefelder Scientia transcen-dens (wie Anm 1)
230 Olivier Boulnois
eacutetait infeacuterieure agrave lrsquoeacutetant lrsquoobjet deacutefini par elle serait deux fois eacutetant une foispar son genre qui est un eacutetant une fois par sa diffeacuterence qui serait aussi uninfeacuterieur de lrsquoeacutetant Lrsquohomme nrsquoest pas deux fois eacutetant en tant qursquoanimal eten tant que rationnel par son genre (animal) lrsquohomme est un eacutetant mais ladiffeacuterence (rationnel) est purement qualitative elle nrsquoa rien de quidditatif66
Comme le dit un ceacutelegravebre adage inspireacute drsquoAristote souvent citeacute par Duns Scotlaquo il ne faut pas multiplier les entiteacutes sans neacutecessiteacute raquo Crsquoest bien lrsquoeacutetant qui estle fondement auquel srsquoarticulent qualitativement les autres transcendantauxet les diffeacuterences ultimes
Pourtant malgreacute cette articulation complexe ou plutocirct gracircce agrave cette arti-culation complexe entre deux ordres de primauteacute on peut encore dire que lepremier objet de notre intellect est lrsquoeacutetant en un sens indirect Il lrsquoest au senspreacutecis ougrave se rencontre en lui cette articulation on ne peut pas dire que tousles intelligibles incluent essentiellement le concept drsquoeacutetant Mais on peut ren-verser le sens de lrsquoinclusion et lrsquoassouplir pour dire qursquoil inclut laquo essentielle-ment raquo une partie des intelligibles et qursquoil est inclus qualitativement dans lereste Lrsquoeacutetant est bien le premier objet adeacutequat de lrsquointellect parce qursquoil a unelaquo double primauteacute de communauteacute et de virtualiteacute raquo de communauteacute enverscertains objets de virtualiteacute envers drsquoautres laquo Tout ce qui est intelligible parsoi ou bien inclut essentiellement la raison drsquoeacutetant ou bien est contenu vir-tuellement ou essentiellement dans ce qui inclut essentiellement la raisondrsquoeacutetant raquo67 Lrsquoeacutetant reste un preacutedicat univoque mais il nrsquoest pas preacutediqueacute uni-voquement de toutes choses Il a une primauteacute de communauteacute envers sesinfeacuterieurs qui lrsquoincluent essentiellement ou quidditativement et une primauteacutede virtualiteacute envers les concepts qualitatifs des diffeacuterences ultimes et des pro-prieacuteteacutes transcendantales Les intelligibles qui incluent essentiellement lrsquoeacutetantsont les conceptrsquos universels qui le divisent genres espegraveces individus etlrsquoeacutetant infini Les autres sont soit contenus essentiellement dans ce qui inclutlrsquoeacutetant comme les diffeacuterences ultimes soit contenus virtuellement danslrsquoeacutetant comme les transcendantaux convertibles La mention drsquoune primauteacutevirtuelle de lrsquoeacutetant pose un problegraveme difficile comment une notion irreacuteducti-blement simple peut-elle causer une connaissance des transcendantaux con-vertibles ndash Du moins cette solution complexe signifie que lagrave ougrave lrsquoeacutetant nrsquoestpas un terme univoque preacutediqueacute quidditativement comme le supeacuterieur delrsquoinfeacuterieur il est inclus dans lrsquoalteacuteriteacute de la diffeacuterence et des autres transcen-dantaux68 La solution est eacuteminemment subtile mais elle permet de maintenir
66 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 131 81 laquo son concept est seulement qualitatif tandisque le genre ultime a seulement un concept quidditatif raquo trad Boulnois (wie Anm 49) 138
67 Ebd sect 137 85 trad Boulnois (wie Anm 49) 141 commentaire 51ndash5368 Ebd trad Boulnois (wie Anm 49) 121 laquo En lui se rencontre une double primauteacute de
communauteacute et de virtualiteacute puisque tout ce qui est intelligible par soi ou bien inclut
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 231
une uniteacute indirecte et minimale du concept drsquoeacutetant en le soumettant auxregravegles logiques des relations entre sujet et preacutedicat
La seconde difficulteacute que doit aborder Duns Scot est le problegraveme de lrsquoar-ticulation entre meacutetaphysique et connaissance de Dieu Si lrsquoon veut conserverles deux principales affirmations drsquoAvicenne lrsquoeacutetant est le sujet de la meacuteta-physique et celle-ci a pour but la connaissance de Dieu Mais nous devonsrenoncer agrave la deacutefinition habituelle de la science le concept drsquoeacutetant nrsquoest pasune cause qui nous permet de deacuteduire lrsquoexistence de Dieu Le concept drsquoeacutetantest le plus simple et le plus indeacutetermineacute de tous il nrsquoinclut en lui-mecircme au-cune deacutetermination et surtout pas la plus parfaite lrsquoexistence de Dieu Lapreuve ontologique nrsquoest pas possible Et la meacutetaphysique ne peut pas ecirctreune science a priori Elle est une science quia par les effets
3 Lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant
Remarquons que le problegraveme poseacute dans ces œuvres theacuteologiques est celui dela connaissance de Dieu crsquoest-agrave-dire de la preacutedication de cateacutegories finies agravepropos de lrsquoinfini Lrsquoanalogie ne porte plus cateacutegorialement sur les diverssens de lrsquoecirctre par rapport agrave la substance mais transcendantalement sur lerapport entre notre concept drsquoecirctre reacutefeacutereacute au creacuteeacute et le concept drsquoecirctre reacutefeacutereacute agravelrsquoincreacuteeacute
Comme Henri de Gand Duns Scot admet que les transcendantaux sontla voie drsquoaccegraves agrave Dieu Mais contrairement agrave lui Duns Scot pense qursquoil existeun seul concept drsquoeacutetant sous-jacent agrave la preacutedication analogique des termes agraveDieu laquoDieu nrsquoest pas seulement conccedilu dans un concept analogue au conceptde la creacuteature crsquoest-agrave-dire [un concept] qui soit entiegraverement autre que celuiqui est dit de la creacuteature mais dans un certain concept univoque agrave lui et agrave lacreacuteature raquo Crsquoest preacuteciseacutement en cela que consiste lrsquounivociteacute laquo Jrsquoappelle con-cept univoque celui qui est drsquoune telle uniteacute que celle-ci suffit agrave lsaquo produire rsaquoune contradiction si on lrsquoaffirme ou si on le nie du mecircme lsaquo terme rsaquo il suffitaussi agrave tenir lieu de moyen terme dans un syllogisme de telle faccedilon que lrsquoonpuisse conclure que les extrecircmes unis dans un moyen terme doteacute drsquoune telleuniteacute sont unis entre eux raquo69 Lrsquounivociteacute signifie deacutesormais qursquoil srsquoagit drsquounconcept unique obtenu par abstraction agrave partir des creacuteatures il possegravede une
essentiellement la raison drsquoeacutetant ou bien est contenu virtuellement ou essentiellement dansce qui inclut essentiellement la raison drsquoeacutetant raquo vgl Boulnois laquo Introduction La destructionde lrsquoanalogie et lrsquoinstauration de la meacutetaphysique raquo
69 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 26 18 trad Boulnois (wie Anm 49) 94ndash95 vglDuns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 21 232 ce critegravere logique a eacuteteacute eacutelaboreacutepar Simplicius vgl aussi Duns Scotus Sup elench (wie Anm 3) q15ndash16 331ndash345
232 Olivier Boulnois
uniteacute telle qursquoil peut servir de moyen terme dans un syllogisme et qursquoil suffitagrave entraicircner une contradiction logique lorsqursquoon le nie et qursquoon lrsquoaffirme enmecircme temps drsquoun mecircme sujet La question de lrsquounivociteacute est donc soumise agravela theacuteorie de la deacutemonstration supposeacutee par les Reacutefutations sophistiques Unescience ne peut ecirctre une science que si ses concepts sont univoques sinon ilse glisse entre eux une tromperie (fallacia)
Dans un second temps lrsquoeacutetant est distingueacute par des modes propres enfini et infini Le grand argument en faveur de lrsquounivociteacute est alors la certitudeau double sens de discernement objectif (certitudo vient de cernere discerner)et drsquoexpeacuterience subjective nous discernons et nous expeacuterimentons que le con-cept drsquoeacutetant dit en lui-mecircme est certain alors que nous pouvons douter deses modes douter de Dieu par exemple Le concept drsquoeacutetant comme tel estdonc distinct du concept drsquoeacutetant divin et drsquoeacutetant creacuteeacute70 En mecircme temps touteconnaissance de Dieu suppose que lrsquoon possegravede un concept commun agrave Dieuet aux creacuteatures71 Ainsi lrsquoeacutetant est conccedilu anteacuterieurement agrave toute autre no-tion Contrairement au concept drsquoeacutetant tel que le deacutecrivait Henri de Gandobtenu par surimpression du concept laquo privativement indeacutetermineacute raquo de lrsquoeacutetantcreacuteeacute et du concept laquo neacutegativement indeacutetermineacute raquo de Dieu il est absolumentsimple
Enfin il faut deacutemontrer lrsquounivociteacute Parmi les cinq arguments deacuteveloppeacutespar Scot lrsquoun drsquoentre eux concerne la structure de la deacutemarche meacutetaphysiquelaquo Toute enquecircte meacutetaphysique agrave propos de Dieu procegravede en consideacuterant laraison formelle de quelque chose en ocirctant de cette raison formelle lrsquoimperfec-tion qursquoelle a dans les creacuteatures en reacuteservant cette raison formelle en luiattribuant totalement la perfection souveraine et en attribuant cela agraveDieu raquo72 Toute enquecircte meacutetaphysique a pour but la connaissance de Dieumais suppose que lrsquointellect construise par abstraction un concept identiqueet univoque dont il niera le mode imparfait et auquel il attribuera la perfec-tion la plus haute en le preacutediquant de Dieu Les trois voies dionysiennescausaliteacute neacutegation et eacuteminence srsquointegravegrent dans un substrat conceptuel affir-matif73 Duns Scot deacutemontre ainsi qursquoune perfection absolue nrsquoest ni propre
70 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sectsect 21ndash25 232 f omnis intellectus certusde uno conceptu et dubius de duobus habet aliquem conceptum de quo certus est aliumab utroque de quo dubius est aliter enim de eodem conceptu esset dubius et certus sedomnis intellectus viatoris habet conceptum certum de ente et bono dubitando per accidensde bono Dei et de bono creaturae et de ente Dei et de ente creaturae igitur ens et bonumsecundum se important alium conceptum a conceptu boni et entis in Deo et in creaturavgl Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sectsect 26ndash55 18ndash38
71 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 29 23572 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 39 26 trad Boulnois (wie Anm 49) 9973 Vgl Boulnois O Introduction La destruction de lrsquoanalogie et lrsquoinstauration de la meacutetaphy-
sique Duns Scotus Sur la connaissance de Dieu (wie Anm 49) 63ndash69
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 233
agrave la creacuteature ni propre agrave Dieu mais qursquoelle est une perfection pure qui a unconcept commun distinct de la deacutetermination qui le rend propre agrave Dieulaquo On connaicirct en premier lieu qursquoune chose est de cette sorte et en second lieuon lrsquoattribue agrave Dieu raquo74 Au lieu drsquoapercevoir les perfections pures dans latranscendance du principe comme le neacuteoplatonisme y invitait on peut deacuteter-miner ce qursquoest une perfection pure sans lrsquoattribuer agrave Dieu Lrsquounivociteacute estdevenue la condition de possibiliteacute de la science transcendantale Il y a unmoment ontologique anteacuterieur au moment theacuteologique
Certes lrsquounivociteacute des attributs divins nrsquoest pas un scoop Crsquoest plutocirctun retour par-delagrave Thomas drsquoAquin et Henri de Gand aux auteurs anciensceux du deacutebut du XIIIeme siegravecle comme Preacutevotin de Creacutemone Pierre deCapoue Guillaume drsquoAuxerre et mecircme Alexandre de Halegraves qui affirmentsans heacutesitation que les attributs divins ou des concepts propres comme celuide personne sont univoques agrave Dieu et agrave la creacuteature75 Mais ce qui est nouveauchez Scot crsquoest drsquoidentifier cette univociteacute theacuteologique agrave une deacutemarche meacuteta-physique Pour lui la theacuteologie srsquoappuie sur la meacutetaphysique les theacuteologienspartent des concepts communs agrave Dieu et agrave la creacuteature qui sont des laquo conceptsmeacutetaphysiques raquo et ils les attribuent agrave Dieu au plus haut degreacute76 Meacutetaphy-sique et transcendantal sont devenus synonymes
Crsquoest donc lrsquounivociteacute des transcendantaux qui deacutetient la cleacute de la solu-tion Ces concepts sont eacutetudieacutes par Scot agrave partir drsquoune exigence theacuteologiquela possibiliteacute drsquoattribuer agrave Dieu des preacutedicats77 Le problegraveme le plus aiguumldepuis Maiumlmonide est drsquoeacuteviter de porter atteinte agrave la transcendance et agrave lasimpliciteacute de Dieu en lui attribuant des proprieacuteteacutes qui ne conviennent qursquoagrave lacreacuteature Lrsquoanalogie servait preacuteciseacutement agrave eacuteliminer les imperfections de lacreacuteature pour eacuteviter de les transposer en Dieu Et lorsqursquoon remplace lrsquoanalo-gie des attributs divins par leur univociteacute comme le fait Scot cette purifica-tion nrsquoest plus possible Mais pour Scot il est possible drsquoaffirmer lrsquounivociteacutede lrsquoeacutetant sans faire de Dieu une reacutealiteacute finie (geacuteneacuterique) Il faut soutenir deuxthegraveses lrsquoune neacutegative laquo rien de ce qui est dit de Dieu nrsquoest dans un genre raquoen raison de son infiniteacute et de son ecirctre neacutecessaire lrsquoautre positive laquo tout cequi est dit de Dieu est transcendantal raquo78
74 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 38 25 trad Boulnois (wie Anm 49) 9975 Vgl Boulnois Etre et repreacutesentation (wie Anm 1) 265ndash26776 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 29 235 conceptus metaphysicales77 Duns Scotus Ord I4ndash10 (wie Anm 3) d8 sectsect 112ndash115 205ndash207 voir le commentaire A
B de Wolter The Transcendentals and their Function in the Metaphysics of Duns ScotusSt Bonaventure (NY) 1946 4ndash11
78 Duns Scotus Ord I4ndash10 (wie Anm 3) d8 sect 112 annotation de Duns Scotus 205 tradBoulnois (wie Anm 49) 241
234 Olivier Boulnois
Or cette thegravese positive dissimule un renversement remarquable de la pro-bleacutematique elle pousse Duns Scot dans ses derniers retranchements lrsquoobligeagrave une nouvelle deacutefinition du transcendantal Alors que transcendantal (trans-cendens) signifie originairement laquo ce qui transcende lrsquouniteacute drsquoun genre raquoDuns Scot remarque laquo Lrsquoeacutetant est diviseacute plus tocirct en infini et en fini qursquoen dixcateacutegories puisque lrsquoun de ceux-ci le fini est commun aux dix genres Donctout ce qui convient agrave lrsquoeacutetant en tant qursquoindiffeacuterent au fini ou agrave lrsquoinfini ouen tant que propre agrave lrsquoeacutetant infini lui convient [hellip] en tant qursquoil est transcen-dantal et hors de tout genre raquo79 Le sens ordinaire de transcendantal est tropeacutetroit un concept commun agrave tous les genres peut encore srsquoappliquer au finiDeacutejagrave les proprieacuteteacutes transcendantales sont ici (en theacuteologie) consideacutereacuteescomme communes agrave Dieu et agrave la creacuteature elles sont donc indiffeacuterentes aufini et agrave lrsquoinfini Lrsquouniteacute du transcendantal est donc exteacuterieure agrave tout genreparce qursquoelle est anteacuterieure agrave la division entre fini et infini Mais Scot vaencore plus loin en caracteacuterisant le transcendantal un attribut propre agrave Dieuest lui-mecircme transcendantal Drsquoune maniegravere deacutecisive Duns Scot abandonnela deacutefinition traditionnelle du transcendantal comme proprieacuteteacute commune (agravetoutes choses)
Crsquoest ainsi que lrsquoon peut consideacuterer des preacutedicats theacuteologiques les attri-buts propres agrave Dieu comme des transcendantaux Ainsi pour Scot la sagesseest un transcendantal crsquoest pourtant un attribut qui convient par eacuteminenceagrave Dieu et qui nrsquoest pas commun agrave tous les eacutetants Il va donc falloir redeacutefinirneacutegativement les transcendantaux laquo De mecircme que la raison de [genre] tregravesgeacuteneacuteral nrsquoest pas drsquoavoir au-dessous de soi plusieurs espegraveces mais de ne pasavoir de genre qui vienne par-dessus [hellip] de mecircme un transcendantal quel-conque nrsquoa aucun genre sous lequel il soit contenu raquo80 La veacuteritable deacutefinitiondu transcendantal est neacutegative elle consiste dans sa souveraineteacute Or unetelle deacutefinition permet justement de maintenir lrsquoambiguiumlteacute onto-theacuteologiquedu transcendantal81 Dieu en raison de sa transcendance aussi bien quelrsquoeacutetant en raison de son universaliteacute ne sont contenus dans aucune cateacutegorieLes attributs divins sont transcendantaux par eacuteminence tandis que lrsquoeacutetantest transcendantal en raison de sa communauteacute Ce sont pourtant lrsquoun etlrsquoautre des transcendantaux
79 Duns Scotus Ord I4ndash10 (wie Anm 3) d8 sect 111 205 trad Boulnois (wie Anm 49) 241ndash242 je souligne
80 Ebd sect 114 206 trad Boulnois (wie Anm 49) 242 on retrouve le mecircme jeu logique quecelui drsquoAvicenne Liber de philosophia prima VIII 4 402 l55ndash60
81 Comme le dit J Aertsen (wie Anm 7) 386 laquoLa deacutefinition neacutegative dissimule des raisonstregraves diffeacuterentes pour nrsquoecirctre pas deacutetermineacute par un genre la communauteacute preacutedicative ou latranscendance ontologique raquo (i e theacuteologique) vgl aussi O Boulnois Quand commencelrsquoontotheacuteologie Aristote Thomas drsquoAquin et Duns Scotus Revue thomiste 95 (1995) 108
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 235
Pour que les preacutedicats univoques ne portent pas atteinte agrave la transcen-dance de Dieu il faut qursquoils soient transcendantaux et non geacuteneacuteriques Maissi tous les attributs divins sont transcendantaux il faut que les proprieacuteteacutesdisjonctives soient elles-mecircmes des transcendantaux Cela nrsquoest nullementeacutevident en quoi des preacutedicats laquo speacutecifiques raquo approprieacutes agrave Dieu commelrsquoecirctre neacutecessaire la sagesse ou la volonteacute seraient-ils des transcendantaux82
Ils sont speacutecifiques en ce qursquoils appartiennent agrave une meacutetaphysique speacuteciale ndashcelle qui traite de Dieu Par extension crsquoest agrave la mecircme science de traiter destranscendantaux communs (lrsquoecirctre lrsquoun le vrai etc) des proprieacuteteacutes disjonc-tives par paire (ecirctre neacutecessaire ou ecirctre possible infini ou fini) et de laquo chacundes deux membres de ce qui est disjoint raquo la premiegravere extension est eacutevidenteune paire de proprieacuteteacutes est convertible avec un transcendantal commun maisla seconde est subtile chaque membre drsquoune paire est particulier et diffeacuteren-cieacute de lrsquoexteacuterieur par rapport au socle fondamental qursquoest lrsquoeacutetant Pourtantpuisqursquoil revient agrave laquo la mecircme science raquo transcendantale de connaicirctre lrsquoeacutetantet Dieu il faudra que les concepts propres agrave Dieu soient transcendantaux
Les transcendantaux culminent ainsi dans lrsquoattribution agrave Dieu laquo tous lestranscendantaux disent des perfections absolues (perfectiones simpliciter) etconviennent agrave Dieu au plus haut point raquo83 Le concept de perfection absolueest un terme preacutecis dans le vocabulaire de Scot il deacutesigne les proprieacuteteacutes quisont telles que les posseacuteder est supeacuterieur au fait de ne pas les posseacuteder Crsquoestle fond de lrsquoargument de saint Anselme laquo tout x qui est absolument meilleurque non-x doit ecirctre attribueacute agrave Dieu raquo84 La position de Scot lrsquoentraicircne eacutetran-gement agrave identifier tous les transcendantaux agrave des perfections absolues et agravefaire fi du membre imparfait dans les transcendantaux disjonctifs par paireCela montre encore une fois que les transcendantaux disjonctifs ne sontqursquoune meacutediation provisoire entre les transcendantaux communs (commelrsquoeacutetant) et les proprieacuteteacutes construites par voie drsquoeacuteminence (et attribueacutees agraveDieu) crsquoest-agrave-dire dans les deux sens du mot une simple laquo cheville raquo pourlrsquoarticulation onto-theacuteologique
Ainsi parti de lrsquoideacutee que laquo tout ce qui est dit de Dieu est transcendantal raquoDuns Scot conclut laquo est un transcendantal tout ce qui est dit de Dieu raquo dans
82 Vgl Duns Scotus Lect I8ndash45 (wie Anm 3) d8 sect 108 37 laquo Tu diras si la sagesse convi-ent drsquoabord agrave lrsquoeacutetant avant qursquoil soit diviseacute en genres la sagesse sera transcendantale (tran-scendens) ndash ce qui semble faux puisque crsquoest un preacutedicat speacutecial raquo
83 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 135 84 trad Boulnois 140 je souligne vgl DunsScotus Ord I4ndash10 (wie Anm 3) d8 sect 78 188 trad Boulnois (wie Anm 49) 229 laquo lesattributs sont des perfections absolues dites de Dieu formellement raquo
84 Anselmus Cantabrigiensis Monologion 15 citeacute par Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3)sect 38 25 trad Boulnois (wie Anm 49) 99
236 Olivier Boulnois
un cercle que lrsquohistorien pourra qualifier selon son degreacute de chariteacute de vi-cieux ou drsquohermeacuteneutique
Dans les œuvres theacuteologiques Duns Scot montre que toute possibiliteacute deconnaicirctre Dieu repose drsquoabord sur lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant laquo Comme on a mon-treacute par lrsquoargumentation que Dieu nrsquoest pas connaissable naturellement parnous agrave moins que lrsquoeacutetant ne soit univoque au creacuteeacute et agrave lrsquoincreacuteeacute de mecircme onpeut argumenter agrave propos de la substance et de lrsquoaccident raquo85 Crsquoest la theacuteolo-gie qui exige et eacutetablit lrsquounivociteacute meacutetaphysique laquo et non lrsquoinverse raquo Elle nesrsquoapplique agrave lrsquoontologie de la creacuteature qursquoapregraves-coup Et pourtant elle est sifondamentale que Duns Scot nrsquoheacutesite pas agrave dire que sans lrsquounivociteacute crsquoest laphilosophie elle-mecircme qui serait deacutetruite dans son ensemble86
Pour une raison theacuteologique la connaissance de Dieu Duns Scot eacutetablitune thegravese meacutetaphysique lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant qui deacutepend elle-mecircme drsquounethegravese eacutepisteacutemologique sur lrsquouniteacute de lrsquoobjet de la meacutetaphysique celui-ci nepeut ecirctre lrsquoeacutetant que si lrsquoon admet une combinaison complexe de preacutedicationquidditative et de preacutedication qualitative87 Ainsi dans ses œuvres theacuteolo-giques (Lectura et Ordinatio) Duns Scot a reformuleacute autrement les troisthegraveses principales de la meacutetaphysique
1 Lrsquouniteacute drsquoune science provient drsquoune combinaison complexe de preacutedicatsqui incluent formellement leur sujet et de preacutedicats qui sont virtuelle-ment inclus dans le sujet
2 Lrsquouniteacute de lrsquoeacutetant correspond preacuteciseacutement agrave cette combinaison complexede preacutedication quidditative et qualitative
3 La meacutetaphysique porte sur le concept transcendantal drsquoeacutetant qui en estle sujet
Paradoxalement ce nrsquoest pas dans un traiteacute de meacutetaphysique mais dans uneœuvre theacuteologique que Duns Scot pose lrsquounivociteacute de lrsquoecirctre On peut appelercette troisiegraveme figure de la meacutetaphysique une meacutetaphysique de lrsquoecirctre univoqueLa question de la preacutedication devient si radicale que ce sont des critegraveres lo-giques qui permettent de deacutefinir lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant (une identiteacute qui reacutesiste agravela fallacia) et de comprendre sa structure (la double preacutedication per se) Crsquoest
85 Duns Scotus Ord I3 (wie Anm 3) sect 139 8786 Duns Scotus Lect prol I1ndash7 (wie Anm 3) d3 sect 110 265 voir mon introduction agrave Duns
Scotus Sur la connaissance de Dieu (wie Anm 49) 13ndash23 comme lrsquoa montreacute G Pini Scotuson Doing Metaphysics in statu isto Archa Verbi Subsidia 3 (2011) 29ndash55 cette extensionrepose sur lrsquoideacutee que sans lrsquounivociteacute la connaissance des substances serait impossible
87 Position semblable dans Duns Scotus De an (wie Anm 3) q21 sectsect 6ndash7 208 f lrsquoeacutetant estlrsquoobjet premier de notre intellect par une double primauteacute drsquoadeacutequation selon la puissanceet selon la preacutedication
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 237
agrave cette condition que lrsquoeacutetant devient le sujet de la meacutetaphysique et qursquoil srsquoap-plique agrave tous ses modes y compris Dieu devenu ens infinitum Crsquoest cette posi-tion diffuseacutee par les nombreuses copies du Commentaire des Sentences qui amarqueacute la posteacuteriteacute Elle est devenue la plus classique et la plus commenteacuteeMais en raison de sa porteacutee theacuteologique elle ne va pas jusqursquoau bout delrsquoorientation ontologique exigeacutee par une science transcendantale
IV La troisiegraveme solution scotiste lrsquoattributiondu multiple agrave Dieu
Et pourtant comme lrsquoa montreacute un article pionnier de D Demange appuyeacutesur une eacutetude minutieuse de la nouvelle eacutedition critique ainsi que plusieurstravaux reacutecents (Wood Pini) il semble que Scot nrsquoait pas eacuteteacute satisfait de sapropre deacutefinition de la science Dans ses Questions sur la Meacutetaphysique ilsemble avoir entrepris une reacutevision et avoir ajouteacute de nouveaux deacuteveloppe-ments88
1 Une nouvelle structure de la science lrsquoagreacutegation
Dans ces additions Duns Scot examine la structure de la meacutetaphysique etsouligne qursquoune meacutetaphysique a priori est inaccessible La meacutetaphysique quiva de la cause aux effets est le propre des intelligences seacutepareacutees crsquoest-agrave-diredes bienheureux et des anges partant drsquoune connaissance intuitive de lrsquoes-sence de Dieu ils peuvent en deacuteduire les attributs89 Neacuteanmoins ce nrsquoest pasune connaissance discursive et donc pas tout agrave fait une science90 Duns Scot
88 Vgl D Demange Pourquoi Duns Scot a critiqueacute Avicenne Antonianum Giovanni DunsScotus Studi e Ricerche nel VII centenario della sua morte ed M Carbajo Nunez Rome2008 235ndash269 R Wood The Subject of the Aristotelian science of Metaphysics in RPasnau C Van Dyke (Eds) The Cambridge History of Medieval Philosophy Vol II 2010609ndash622 Selon ces auteurs la reacutevision a eacuteteacute entreprise apregraves la reacutedaction des œuvres theacuteolo-giques Par exemple un texte des Questions sur la Meacutetaphysique VI renvoyant selon leseacutediteurs agrave la Lectura a eacuteteacute biffeacute par Duns Scotus qui lui preacutefegravere manifestement une autresolution (OPh IV 708) Cependant il me semble difficile de srsquoappuyer sur certaines annota-tions ou ratures posteacuterieures pour affirmer que toutes le sont
89 Duns Scotus Q q (wie Anm 3) VII sect 33 266 Primum principium ad quod attingitmetaphysicus et hoc proprium de Deo non est sibi notum nisi tantum quia esset autemnotum sibi propter quid si posset habere conceptum de Deo virtualiter et evidenter inclu-dentem veritates ordinatas de Deo
90 Vgl Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q1 sect 135 62 Talem metaphysicam habetDeus sed non est sibi scientia
238 Olivier Boulnois
poleacutemique en effet contre lrsquointerpreacutetation de la meacutetaphysique comme unescience par la cause proceacutedant more geometrico agrave la deacuteduction des veacuteriteacutesqursquoelle contient
Dans les Quaestiones de cognitione Dei Duns Scot oppose la meacutetaphy-sique en soi agrave la meacutetaphysique pour nous91 La meacutetaphysique en soi suppose-rait qursquoen connaissant parfaitement le concept drsquoeacutetant on puisse en deacuteduirepar la cause (propter quid) toutes les veacuteriteacutes meacutetaphysiques Mais pour nousle concept drsquoeacutetant est absolument simple obtenu par abstraction il ne con-tient aucune deacutetermination Pour atteindre les veacuteriteacutes meacutetaphysiques le vaga-bond sur terre (viator) est obligeacute de srsquoen tenir agrave ses propres limites il nepourra que remonter vers le principe agrave partir de ses effets (quia) En soi onpourrait sans doute agrave partir du seul concept drsquoeacutetant et par la cause deacuteduirelrsquoexistence drsquoun eacutetant infini ndash ce serait une preuve a priori de lrsquoexistence deDieu telle qursquoHenri de Gand a cru la reacutealiser92 Mais pour nous une tellepreuve est impossible on ne peut connaicirctre cette existence qursquoagrave partir deseffets en remontant vers Dieu agrave partir de notre connaissance finie
Selon les Questions sur la Meacutetaphysique une meacutetaphysique a priori estpossible en soi mais non pour nous toute notre connaissance meacutetaphysiquepart des effets (quia)93 Dans le mecircme texte Duns Scot renonce agrave donner agravetoute science la rigueur de conclusions incluses per se primo ou secundomodo dans le sujet Car il est encore possible de prendre le terme de scienceen un autre sens Dans ce cas la science constitue lrsquoagreacutegation drsquoune seacuterielaquo de termes simples et complexes de principes et de conclusions raquo un peucomme la geacuteomeacutetrie est une alors qursquoelle consiste agrave la fois en eacuteleacutements enaxiomes et en conclusions94 Degraves lors Scot peut agrave la fois dire que le sujet decette science est commun agrave tous les sujets qui sont examineacutes dans cettescience (le concept de figure srsquoapplique agrave toutes les figures geacuteomeacutetriques) etque crsquoest un terme premier auquel tous les autres sont attribueacutes (on deacutemontretelle proprieacuteteacute du triangle mais la figure comme telle a drsquoautres proprieacuteteacutes)En ce sens la meacutetaphysique ne deacutemontrerait pas les proprieacuteteacutes de son sujeten tant que tel mais celui-ci serait agrave la fois un terme commun et le termeauquel on attribue toutes les proprieacuteteacutes des sujets consideacutereacutes dans cettescience
Or dans ce cas nous dit Scot mecircme si on admettait lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant(alternative qursquoil commence agrave envisager seacuterieusement) on pourrait encore
91 Vgl Duns Scotus Q c d (wie Anm 3) 379 384ndash38592 Vgl P Porro Enrico di Gand La via delle proposizioni universali Bari 199093 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q1 sect 119 56 sect 136 62ndash63 sect 150 6794 Ebd sect 103 50ndash51
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 239
poser Dieu comme sujet de la meacutetaphysique comme crsquoest le cas en theacuteolo-gie95
Est-ce simplement un retour agrave la position drsquoAverroegraves ndash Non car le veacuteri-table problegraveme nrsquoest pas de savoir si Dieu ou la substance sont le sujet dela meacutetaphysique mais de savoir si les principes premiers et absolus de lameacutetaphysique contiennent les principes des sciences qui en deacutependent96 OrScot insiste sur le fait que la science premiegravere ne permet pas de deacuteduire lesautres Il y a de nombreuses causes de lrsquohomme mais aucune qui expliquelaquo pourquoi lrsquohomme est lrsquohomme raquo97 La meacutetaphysique de Scot porte sur desquidditeacutes et non sur des existences Or les essences ne peuvent pas se deacuteduirea priori laquoCe nrsquoest pas parce que Dieu est Dieu que lrsquohomme est lrsquohommemecircme si lrsquohomme vient de Dieu raquo98 La cleacute de la deuxiegraveme solution scotisteest dans la meacutethode (modus)99 Selon cette meacutethode nous avons virtuelle-ment lrsquoideacutee drsquoune autonomie des sciences comme ensembles discursifs indeacute-pendants
Il y a des principes plus ou moins primitifs mais cela ne veut pas direque lrsquoun est la cause de veacuteriteacute de lrsquoautre Il peut donc y avoir un ordre desprincipes sans deacuteduction causale100 Pour ce modegravele non-causal de la scienceselon lequel il y a plusieurs principes indeacuteductibles les uns des autres il nrsquoestpas possible de partir de la cause pour deacuteduire toutes les propositions decette science Loin de revenir agrave Averroegraves Duns Scot deacutecouvre lrsquoautonomiedes essences et des discours
Scot propose donc un nouveau modegravele drsquouniteacute de la science par agreacutega-tion de mecircme que lrsquoon peut construire la geacuteomeacutetrie agrave partir de lrsquoagreacutegationdes sciences du cercle du triangle etc on peut atteindre la meacutetaphysiqueagrave partir de lrsquoaddition des sciences de la substance et des autres cateacutegoriesLrsquoagreacutegation doit se comprendre comme la superposition de divers principesil existe des principes pour chaque science qui sont des eacutenonceacutes complexeset ces eacutenonceacutes ont un certain ordre drsquoanteacuterioriteacute les uns par rapport auxautres Ainsi mecircme si lrsquohomme a une cause la proposition laquo lrsquohomme esthomme raquo nrsquoa pas de cause La causaliteacute ontologique nrsquoest pas la mecircme choseque lrsquoordre de prioriteacute formelle crsquoest dans ce cadre que la meacutetaphysique peutecirctre une science par agreacutegation
95 Vgl ebd sect 153 68 Lrsquounivociteacute mentionneacutee ici en meacutetaphysique est lrsquounivociteacute entre lasubstance et les accidents et non comme en theacuteologie entre Dieu et la creacuteature
96 Vgl ebd sect 104 5197 Ebd sect 105 5298 Ebd sect 109 53 Non quia lsaquo Deus est Deus rsaquo ideo lsaquo homo est homo rsaquo licet a Deo sit homo99 Vgl ebd sect 110 53ndash54100 Ebd sect 108 52
240 Olivier Boulnois
2 Le sujet de la meacutetaphysique
Duns Scot relie ensuite la question de la structure de la meacutetaphysique agrave cellede son sujet Une agreacutegation de principes et de conclusions nrsquoa drsquouniteacute quesi elle est attribueacutee agrave un terme premier en lrsquooccurrence Dieu De mecircme nouspouvons accepter lrsquounivociteacute du concept drsquoeacutetant agrave condition de soutenir quecrsquoest lrsquoeacutetant creacuteeacute attribueacute au premier eacutetant crsquoest-agrave-dire encore agrave Dieu101
Duns Scot semble dire que lrsquoeacutetant creacuteeacute est univoque laquo sous la raison du pre-mier eacutetant raquo crsquoest-agrave-dire sous la raison par laquelle il a le mecircme concept queDieu De ce fait la meacutetaphysique comme agreacutegat ne se rapporte plus agrave lasubstance mais agrave Dieu Lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant est maintenant inteacutegreacutee agrave lrsquointeacute-rieur drsquoune analogie de la creacuteature agrave Dieu
Degraves lors la meacutetaphysique a Dieu pour sujet Mais ce nrsquoest plus au sensdrsquoAverroegraves Cela peut arriver de deux faccedilons soit parce que crsquoest la connais-sance de Dieu qui les fait connaicirctre et crsquoest une science par la cause soitparce que les preacutedicats ainsi attribueacutes le font connaicirctre et crsquoest une sciencepar les effets Certes lrsquoange peut avoir une connaissance deacuteductive de lacreacuteature agrave partir de Dieu dans une meacutetaphysique qui procegravede par la cause(propter quid) Mais ce nrsquoest pas celle qui nous est accessible Notre meacutetaphy-sique est une connaissance de Dieu par les effets qui part de lrsquoexpeacuteriencefinie du viator et qui en abstrait des concepts universels102 En partant drsquounedeacutefinition nominale gracircce au principe qursquoil nrsquoy a pas drsquoeffet sans cause onpeut conclure agrave partir drsquoun effet donneacute lrsquoexistence et la nature de sa cause
Une fois devenue science par les effets la meacutetaphysique construite paragreacutegation peut ecirctre une science de lrsquoeacutetant premier elle porte sur touteschoses mais en tant qursquoattribuables agrave Dieu Dans lrsquoeacutetat preacutesent (nunc)lrsquohomme peut seulement avoir une meacutetaphysique selon la seconde meacutethode(quia) car toute notre connaissance provient des sens Crsquoest pourquoi la pre-miegravere science accessible agrave lrsquohomme par la raison naturelle est une science par
101 La science est une agreacutegation de conclusions et de principes Et mecircme si lrsquoon admet uneunivociteacute du concept drsquoeacutetant creacuteeacute (dit de la substance et des accidents) on peut le consideacuterercomme attribueacute au premier concept drsquoeacutetant crsquoest-agrave-dire au concept du premier eacutetant donccomme attribueacute agrave Dieu Mais alors la consideacuteration de tous les eacutetants sera meacutetaphysiqueen tant qursquoelle est attribueacutee au premier eacutetant et non plus agrave la substance la meacutetaphysiqueporte donc sur toutes choses sous la raison drsquoeacutetant Ou bien elle porte sur toutes chosesparce qursquoelles sont connues agrave partir de la connaissance de Dieu comme ses attributs Maiscela ouvre un abicircme car ce sont deux voies opposeacutees la premiegravere voie passe par les effets(quia) la seconde par la cause (propter quid) vgl Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3)I q1 sect 134 61ndash62
102 Vgl ebd sect 132 60 f
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 241
les effets (quia) ndash elle porte sur Dieu comme sujet premier et sur tout eacutetantcomme sur sa laquo matiegravere raquo en tant qursquoil est attribueacute au premier eacutetant103
Duns Scot admet donc ici une structure analogique et une prioriteacute deDieu comme sujet de la meacutetaphysique Mais attention Il ne srsquoagit plus drsquounemeacutetaphysique deacuteductive Crsquoest une laquo scientia quia aggregata raquo ndash une agreacutega-tion de propositions disparates
En passant Duns Scot mentionne un doute ndash une hypothegravese qursquoil neretiendra pas Selon celui-ci la science de lrsquoeacutetant en tant qursquoeacutetant semble anteacute-rieure agrave la science des eacutetants dans leur relation agrave Dieu104 Ainsi une autremeacutetaphysique (alia metaphysica prior) celle qui considegravere lrsquoeacutetant en tantqursquoeacutetant sera anteacuterieure agrave la science qui a Dieu pour sujet Dans sa reacuteponseScot accepte de dire que cette consideacuteration de lrsquoeacutetant en tant que tel estanteacuterieur par lrsquoorigine (prioritate originis) mais non par la viseacutee (prioritateintentionis) Or le premier objet drsquoune science est celui qui est viseacute principale-ment crsquoest-agrave-dire celui envers qui est ordonneacutee lrsquoagreacutegation des connais-sances qui composent cette science105 Ainsi lorsque Duns Scot affirme queDieu est le laquo sujet raquo de la meacutetaphysique il veut dire qursquoil est le principe viseacutepar toutes les sciences agreacutegeacutees et impliqueacutees par elles crsquoest-agrave-dire au fondencore un terme viseacute par une analogie drsquoattribution
Une objection surgit alors srsquoil existe au moins une meacutetaphysique portantsur lrsquoeacutetant a priori (propter quid) pourquoi la science de Dieu nrsquoen fait-elle
103 Vgl ebd sect 136 62 f Secundo modo tantum potest homo nunc metaphysicam habere(quidquid sit de notitia naturali Dei beati vel in statu innocentiae) quia nunc lsaquo omnis nostracognitio oritur a sensu rsaquo tantum Igitur sic potuit tradi a Philosopho Potest igitur primascientia possibilis homini per rationem naturalem acquiri et poni scientia quia ndash et de Deout de subiecto primo et de omni ente ut de materia in quantum attribuitur ad primumens ndash quae nec supponet Deum esse nec ab eius notitia incipiet ad cognoscendum alialicet utrumque oporteret si esset scientia propter quid Sicut enim in scientia quia propriedicta non praesupponitur de subiecto nisi tantum quid dicitur per nomen et concluditurtam esse quam quid est ut praedictum est similiter potest esse in scientia quia aggregataQuod enim in alia scientia posset probari Deum esse lsaquo quia rsaquo et non in tali esset inconveni-ens cum talis consideret effectus ita immediatos eius sicut aliqua alia Quare etiam scientiaquia non probat propter quid subiectum esse quare etiam scientia propter quid praesuppo-nit subiectum esse et quid est cum hoc posset probare per principia subiecti si habetprincipia
104 Vgl ebd sect 137 63 Prima dubitatio est circa hoc quod ponitur Deum esse subiectum inmetaphysica et quod consideret entia ut attribuuntur ad Deum quoniam consideratio enti-um in quantum entia videtur esse prior quam in quantum attribuuntur ad primum ensigitur erit alia metaphysica prior quae consideret entia in quantum entia quam illa quaeponitur de Deo ut de subiecto
105 Vgl ebd sect 140 64 Illa consideratio qua considerantur entia in se prior est prioritateoriginis [hellip] sed non prioritate intentionis Et primum sub-iectum ponitur cuius cognitioprincipaliter intenditur vel ad quod ut ad principium tota aggregatio multarum cognitio-num principaliter ordinatur
242 Olivier Boulnois
pas autant106 Si lrsquoon atteint Dieu crsquoest agrave partir drsquoune proprieacuteteacute disjonctivepar exemple lrsquoeacutetant contingent puis en remontant agrave Dieu comme agrave sa causepar exemple au neacutecessairement ecirctre on lrsquoatteint donc par les effets (quia) Etmecircme si on peut eacutetablir propter quid un certain nombre de thegraveses agrave partir delrsquoattribut necesse esse (par exemple lrsquoimmutabiliteacute divine) la premiegravere preacute-misse eacutetait eacutetablie par une deacutemonstration quia donc lrsquoensemble de la deacute-monstration est tout entier par les effets Il y a ici une tension entre la meacuteta-physique portant sur lrsquoeacutetant qui va de la cause agrave lrsquoeffet et la science de Dieuqui remonte de lrsquoeffet vers la cause
Mais en raison de la prioriteacute logique du concept drsquoeacutetant crsquoest toute lascience de lrsquoeacutetant qui est ordonneacutee agrave la connaissance de Dieu par les effets107
Duns Scot envisage en passant lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant laquo Si lrsquoeacutetant est drsquouneseule et mecircme raison en Dieu et en les autres pourquoi ne peut-on pas ad-mettre que lrsquoeacutetant est le premier sujet sous lequel sont contenus toutes lesreacutealiteacutes connues aussi bien la premiegravere que les autres raquo108 ndash La reacuteponse estclaire laquo mecircme si lrsquoon admet que lrsquoeacutetant est univoque le sujet principal seraencore ici Dieu car cette science nrsquoa pas eacuteteacute transmise en vue drsquoacqueacuteriren elle la connaissance de lrsquoeacutetant en effet elle viserait alors eacutegalement laconnaissance de toutes choses sous elle-mecircmeraquo109 Mecircme si lrsquoeacutetant eacutetait uni-voque la meacutetaphysique ne serait pas une ontologie indiffeacuterente aux diffeacute-rents objets qui tombent sous elle La connaissance de lrsquoobjet suprecircme de lameacutetaphysique reste ce en vue de quoi tout le reste est connu Dans cette phasede sa reacuteflexion lrsquounivociteacute de lrsquoeacutetant nrsquoeacutetait qursquoune hypothegravese et Duns Scotnrsquoadmettait absolument pas que la meacutetaphysique soit drsquoorientation ontolo-gique
106 Vgl ebd sect 149 67 Cum scientia de ente in quantum ens sit propter quid quare scientiade Deo est tantum quia Metaphysica est propter quid quare etiam de Deo non est scientiapropter quid Nam habita prima proprietate eius de ipso possunt aliae ut videtur propterquid de ipso ostendi Je ne comprends pas on vient de dire que la meacutetaphysique eacutetait quiaet pas propter quid ndash la preacutemisse nrsquoest plus bonne dans cet eacutetat de la penseacutee de Scot
107 Vgl ebd sect 150 67 Respondeo quod tota illa scientia propter quid quae est de ente inquantum ens ordinatur ad quia de Deo Metaphysica vero ut est nobis possibilis nuncnon est principaliter scientia propter quid de Deo Semper enim prima proprietas habeturquia Et licet ex illa demonstretur secunda propter quid tamen secunda non cognoscitursimpliciter propter quid quia eius cognitio dependet ex cognitione quia primae passionis
108 Ebd sect 152 68 Si ens est unius rationis Deo et aliis quare non potest ens poni primumsubiectum sub quo continentur omnia cognita tam primum quam alia
109 Ebd sect 153 68 Dato quod ens sit univocum adhuc principale subiectum erit hic Deusquia non traditur scientia propter cognitionem de ente in se habendam tunc enim aequaliterintenderet cognitionem omnium sub ipso quia propter cognitionem totam eius primo
Duns Scot et la refondation de la meacutetaphysique 243
3 Lrsquoarticulation fondamentale de la meacutetaphysique
Henri de Gand distinguait deacutejagrave entre une laquo science universelle raquo qui considegraverelaquo lrsquoeacutetant pris absolument raquo et les laquo sciences particuliegraveres qui considegraverent uneacutetant particulier creacuteeacute raquo pour rechercher son principe pour lui laquo Dieu tombesous la science philosophique comme une partie de son sujet raquo110
Duns Scot donne agrave ces deux aspects de la science les noms de laquo sciencetranscendantale raquo (scientia transcendens) et laquo science speacuteciale raquo (scientia spe-cialis) Au sein de la deacutemarche meacutetaphysique la science transcendantale por-tant sur lrsquoeacutetant et les transcendantaux doit preacuteceacuteder la science speacuteciale por-tant sur un objet speacutecifique le premier eacutetant Ainsi le divin nrsquoest pas le sujetdrsquoune science diffeacuterente de la science de lrsquoeacutetant car les reacutealiteacutes immobiles etseacutepareacutees sont bien consideacutereacutees comme des laquo parties principales raquo de son su-jet111 Cela exclut en tout cas que Dieu soit consideacutereacute comme au-delagrave delrsquoeacutetant ou comme laquoprincipe du sujet raquo de la meacutetaphysique
La meacutetaphysique a pour but de deacutemontrer lrsquoexistence de Dieu et de sesprincipaux attributs Mais pour cela il faut partir du concept drsquoeacutetant etsrsquoefforcer de montrer que lrsquoexistence drsquoun premier eacutetant est drsquoabord possiblecrsquoest-agrave-dire non-contradictoire puis reacuteelle comme chez Henri de Gand
Si lrsquoon part de la prioriteacute conceptuelle de lrsquoeacutetant la meacutetaphysique laquo consi-degravere seulement lrsquoeacutetant en commun raquo pour consideacuterer le premier eacutetant il fautajouter des laquo caracteacuteristiques speacutecifiques (speciales) de lrsquoeacutetant raquo112 Une diffi-culteacute remet en cause lrsquouniteacute de cette science si la meacutetaphysique est une sciencetranscendantale Dieu ne peut ecirctre connu que par lrsquointermeacutediaire des trans-cendantaux proprieacuteteacutes universelles de lrsquoeacutetant Mais le concept de Dieu ajoutequelque chose de particulier il nrsquoest distingueacute que comme primum ens crsquoest-agrave-dire comme un particulier agrave partir drsquoune deacutetermination suppleacutementaireexteacuterieure accidentelle Et comme lrsquoessentiel est anteacuterieur agrave lrsquoaccidentel laproprieacuteteacute transcendantale sera connue avant la deacutemonstration de Dieucomme premier de mecircme que la connaissance des proprieacuteteacutes du nombre estanteacuterieure agrave la deacutemonstration de lrsquouniteacute premiegravere Puisque la meacutetaphysiqueconstruit lrsquoessence divine agrave partir du concept universel drsquoeacutetant et que sonexistence nrsquoest eacutetablie que par des preacutemisses posteacuterieures un deacutedoublement
110 Henricus a Gandavo Summa Quaestionum Ordinariarum a7 q6 ad 3 I 56 v T111 Duns Scotus In Met IndashV (wie Anm 3) I q1 sect 59 36 Haec scientia est lsaquo circa separabilia
et immobilia rsaquo non tanquam circa subiecta sed tamquam circa principales partes subiectiquae non participant rationes subiecti alterius scientiae Il nrsquoy a pas sur ce point de revire-ment chez Scot
112 Ebd sect 142 65 dicendum quod condiciones principales concludendae de primo ente sequ-untur ex proprietatibus entis in quantum ens Speciales enim condiciones entis non conclu-dunt primo aliquid de ipso ideo tantum considerat de ente in communi