Fakultät Technik und Informatik Department Informatik
Faculty of Engineering and Computer Science Department of Computer Science
Andy Herzberg
Head directed navigation in virtual environments
Andy Herzberg
Head directed navigation in virtual environments
Ausarbeitung zum Aufbauseminar eingereicht im Rahmen des Studiums im Studiengang Master Next Media am Department Informatik der Fakultät Technik und Informatik der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Betreuender Prüfer: Professor Kai von Luck Abgegeben am 24.02.2016
Andy Herzberg Thema der Arbeit
Head directed navigation in virtual environments Stichworte
VR, virtuelle Realität, Navigation, kopfgesteuerte Navigation Kurzzusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Navigation in virtuellen Umgebungen. Besondere Betrachtung findet die kopfgesteuerte Navigation. Es werden Ansätze und Versuchsanordnungen aus wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema beschrieben sowie deren Vor-‐ und Nachteile diskutiert.
Andy Herzberg Title of the paper
Head directed navigation in virtual environments Keywords VR, virtual reality, navigation, head directed navigation Abstract
This paper deals with the navigation in virtual environments. Special consideration will be attached to the head directed navigation. Several approaches and experimental arrangements from scientific work will be described and discussed.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ......................................................................... 5
2 Abgrenzung von AR und VR .............................................. 6
3 Navigation in virtuellen Umgebungen .............................. 7
4 Qualitätsfaktoren für Navigation bei virtuellen Ortsbesichtigungen .......................................................... 9
5 “Kid-‐Playing-‐Airplane” Metapher von Fuhrmann ............ 11
6 Weiterentwicklung der Idee von Fuhrmann .................... 13
7 Simulator Sickness ......................................................... 16
8 Fazit ............................................................................... 17
9 Quellenverzeichnis ......................................................... 18
10 Abbildungsverzeichnis .................................................... 19
11 Anhang .......................................................................... 20
Einleitung 5
1 Einleitung
Virtual Reality (VR) ist aktuell ein Hype-‐Thema. Die Internet-‐Giganten Facebook und Google haben sich dieses Themas angenommen und stecken viel Aufwand in die Entwicklung der Oculus Rift, des Cardboards und des virtuellen Klassenzimmers1. Neuesten Gerüchten zufolge arbeitet Google zur Zeit ebenfalls an einer Stand-‐Alone-‐VR-‐Datenbrille2. Die New York Times überraschte ihre Abonnenten Ende letzten Jahres durch die Beilage eines Cardboards, mit dem Dokumentationen durch eine separate VR-‐Video-‐Anwendung virtuell erlebbar wurden3. Laut Gartners Hype Cycle wird die virtuelle Realität in etwa 5 bis 10 Jahren den Massenmarkt erreicht haben4. Die vorliegende Arbeit greift dieses aktuelle Thema auf und beschäftigt sich mit der Navigation in virtuellen Umgebungen (Virtual Environments). Virtuelle Umgebungen sind definiert, dass es sich um eine synthetische Welt handelt, durch die man sich als Nutzer mit einem First Person View (frei übersetzt: Sicht aus der Ich-‐Perspektive) bewegt. In diesem Zusammenhang spricht man häufig von Immersion. Der Nutzer soll möglichst tief in die virtuelle Umgebung eintauchen und mit ihr verschmelzen. Je weniger er die Außenwelt und störende Einflüsse bemerkt, desto eher kann er sich auf die VR-‐Erfahrung einlassen. Die Navigation ist ein elementarer Bestandteil zur Fortbewegung in virtuellen Szenen. Sie kann als störend wahrgenommen werden, wenn sie kompliziert oder nicht an die Realität angelehnt ist. Ich habe dieses Thema gewählt, da ich vor circa einem Jahr auf der droidcon in Berlin mein erstes Cardboard geschenkt bekommen habe. Begeistert stellte ich fest, wie einfach sich ein Smartphone in eine 3D-‐Datenbrille verwandeln lässt. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich der Frage auf den Grund gehen, wie man mit Hilfe der kopfgesteuerten Navigation einfach und effizient durch virtuelle Umgebungen navigieren kann. Zu diesem Zweck werden verschiedene Ansätze der kopfgesteuerten Navigation aus wissenschaftlichen Arbeiten herangezogen und mit ihrer Problemstellungen diskutiert.
1 "Google Is Offering Its Virtual Reality Classroom System to Schools for Free." The Verge. 28. Sep. 2015. Web. 11. Feb. 2016. 2 "Medienbericht: Google plant Smartphone-‐freie VR-‐Brille -‐ SPIEGEL ONLINE." SPIEGEL ONLINE. Web. 20. Feb. 2016. 3 "Want to Watch the News in 3D?" Fortune New York Times Enters the World of Virtual Reality with Google Partnership Comments. 20. Okt. 2015. Web. 11. Feb. 2016. 4 "Gartner's 2015 Hype Cycle for Emerging Technologies Identifies the Computing Innovations That Organizations Should Monitor." Gartner's 2015 Hype Cycle for Emerging Technologies Identifies the Computing Innovations That Organizations Should Monitor. Web. 11. Feb. 2016.
Abgrenzung von AR und VR 6
2 Abgrenzung von AR und VR
Wie ordnet sich Virtual Reality in den Kontext der Virtualität ein? Hierzu haben Milgram und Kishino das Reality-‐Virtuality Continuum5 entwickelt. Die folgende Abbildung veranschaulicht den fließenden Übergang in diesem Modell.
Abbildung 1: Mixed Reality Taxonomie nach Migram et al. (1995)6
Links in der Abbildung befindet sich die Realität. Im mittleren Bereich findet sich die Mixed Reality, die aus Augmented Reality und Augmented Virtuality besteht. Bei der Mixed Reality „handelt es sich [...] um ein Kontinuum, welches sich zwischen der Realität und der Virtualität (virtuellen Realität) erstreckt, wobei der Anteil der Realität kontinuierlich ab-‐ nimmt, während sich der Anteil der Virtualität entsprechend erhöht.“6 Bei der Augmented Reality werden Bilder der Realität mit virtuellen Objekten überlagert. Nutzer haben ein klares Bild davon, wo sie sich befinden und können sich frei und intuitiv bewegen. Hindernisse werden gesehen und Kollisionen können vermieden werden.
5 "Augmented Reality: A Class of Displays on the Reality-‐virtuality Continuum." Milgram, Paul, Haruo Takemura, Akira Utsumi, und Fumio Kishino. Telemanipulator and Telepresence Technologies. 1995. Print. 6 "Virtual und Augmented Reality (VR/AR): Grundlagen und Methoden der virtuellen und augmentierten Realität." Broll, Wolfgang, Ralf Dörner, Paul Grimm, und Bernhard Jung. Berlin: Springer Vieweg, 2013. Print.
Navigation in virtuellen Umgebungen 7
Die Augmented Virtuality ist das Verschmelzen von realen Objekten in einer virtuellen Umgebung. Das könnte zum Beispiel ein Live-‐Video in einer virtuellen Szene sein. Rechts in der Abbildung befindet sich die virtuelle Realität. Hierbei handelt es sich um rein künstliche 3D-‐Welten. Je nachdem, für welchen Teil der Virtualität eine Anwendung kreiert wird, eignen sich unterschiedliche Ausgabegeräte zur Informationsdarstellung. Bei Augmented Reality sind dies zum einen auf dem Kopf getragene Datenbrillen und zum anderen Handheld Displays – in erster Linie Smartphones. Anhand von Sensoren kann die Position und Lage im Raum festgestellt werden. Mit Hilfe dieser Koordinaten werden zur Laufzeit Bilder berechnet, die auf die Displays projiziert werden. Im Kontext der Virtual Reality finden zumeist Head Mounted Displays (z.B. Google Cardboard oder Oculus Rift) und Projektionen (z.B. CAVE -‐ Cave Automatic Virtual Environment) Anwendung. Im Rahmen dieser Arbeit wird ausschließlich die Navigation in virtuellen Umgebungen betrachtet.
3 Navigation in virtuellen Umgebungen
Jede VR-‐Anwendung hat ihre spezifischen Anforderungen, welche die Auswahl der Navigationsmöglichkeiten beeinflussen. Nicht zuletzt spielt das physikalische Setup eine Rolle. Während eine Desktop-‐VR-‐Anwendung im Allgemeinen mit Joystick und Tastatur bedient wird, betrachtet man eine Fishtank-‐VR mit einer VR-‐Brille, die über interne oder externe Sensoren gesteuert wird. Für virtuelle Ortsbegehungen, wie zum Beispiel der virtuelle Rundgang durch ein in der Planung befindliches Bauprojekt, stehen nach Marc M. Mine7 die im Folgenden beschriebenen Navigationstechniken zur Verfügung.
7 "Virtual Environment Interaction Techniques." Mine, Mark R. Technical Report. University of North Carolina at Chapel Hill. 1995. Print.
Navigation in virtuellen Umgebungen 8
Physikalisches Gehen Der Eindruck des physikalischen Gehens kann mit Laufbändern oder Tretmühlen erreicht werden. Der Nutzer hat hierbei den Eindruck, er würde sich fortbewegen, bleibt jedoch faktisch an der gleichen Stelle. Er läuft auf einer Art Kugelbett und ist gegen Stürze gesichert. Ein Beispiel für eine solche Tretmühle ist die Virtuix Omni. Durch diese Technik kann eine gute Präsenz in der virtuellen Szene erreicht werden. Nachteilig ist, dass Anwendungen speziell für diese Eingabegeräte optimiert werden müssen. Zudem ist die Technik aktuell teuer und die Entwicklung dieser Devices steckt in den Kinderschuhen.
Blickgerichtetes Gehen Bei dieser Technik bewegt sich der Nutzer in die Richtung, in die er schaut. Die in Kapitel 5 und 6 vorgestellten Navigationsmetaphern fallen in diesen Bereich. Vorteilhaft an dieser Technik ist, dass keine weiteren physikalischen Eingabegeräte benötigt werden. Eine einfache VR-‐Brille mit entsprechender Sensorik reicht aus, um die größtmögliche Anzahl an VR-‐Nutzern zu erreichen.
Gestensteuerung / Pointing Bei dieser Technik wird die Bewegung mit Hilfe von Gesten gesteuert. Der Nutzer bewegt sich in die Richtung, in die er mit der Hand oder einem Gegenstand deutet. Nachteilig ist bei dieser Implementierung zumeist die zusätzliche Notwendigkeit der Gestenerkennung. Außerdem kann der Nutzer (abhängig von der Implementierung) die Hände nicht sehen, was die Navigation erschweren kann.
Physikalische Steuerungsgeräte Physikalische Steuerungsgeräte sind beispielsweise 3D-‐Maus, Joystick oder Lenkrad. Auch hier kann die Navigation schwierig sein, wenn der Nutzer seine Hände in der virtuellen Umgebung nicht sieht.
Virtuelle Steuerungen Bei dieser Navigationsmethode initiiert der Nutzer die Fortbewegung über virtuelle Tastenfelder. Hier kann es sich negativ auswirken, dass dem Nutzer das haptische Feedback bei virtuellen Tastenfeldern fehlt.
Qualitätsfaktoren für Navigation bei virtuellen Ortsbesichtigungen 9
4 Qualitätsfaktoren für Navigation bei virtuellen Ortsbesichtigungen
Bowman8 stellt die folgenden Qualitätsfaktoren als relevant für eine bestmögliche Navigation bei virtuellen Ortsbesichtigungen heraus:
• Einfache Bedienung o Die Navigation, die gerade für Non-‐Gamer eine Hürde darstellt, muss für
diese Anwendungsformen leicht zu erlernen und bedienen sein. Der Nutzer soll sich auf die Umgebung und nicht auf die Navigation konzentrieren.
• Minimum an zusätzlichen Eingabegeräten o Um keine Nutzer für eine Anwendung auszuschließen, sollte der kleinste
gemeinsame Nenner für die Bedienung gewählt werden. Die Hände des Nutzers sollten frei bleiben, damit sie für andere Tätigkeiten in der virtuellen Umgebung zur Verfügung stehen. Nachteilig an zusätzlichen Geräten ist, dass diese mitunter teuer sind und von der VR-‐Anwendung unterstützt werden müssen. Zudem kann die Hardware (durch Kabel etc.) einschränken.
• Nutzer nicht ermüden o Physikalische Eingabegeräte wie beispielsweise eine 3D-‐Maus können den
Nutzer ermüden, da sie ihn möglicherweise zu einer unnatürlichen Körperhaltung zwingen.
• Räumliches Bewusstsein schaffen o Nutzer bewegen sich in der realen Welt nicht durch Drücken eines Buttons.
Es sollte daher ein Navigationsschema gewählt werden, das seine Entsprechung in der Realität findet bzw. weitestgehend an diese angelehnt ist. Ansonsten kann dies zu Orientierungsverlust und der Zerstörung der mentalen Karten der virtuellen Welt führen.
8 "Travel in Immersive Virtual Environments: An Evaluation of Viewpoint Motion Control Techniques." Bowman, D.A., D. Koller, und L.F. Hodges. Proceedings of IEEE 1997 Annual International Symposium on Virtual Reality. 1997. Print.
Qualitätsfaktoren für Navigation bei virtuellen Ortsbesichtigungen 10
• Translative Begrenzungen vermeiden o Ein Nutzer kann sich in der virtuellen Umgebung (wie auch in der Realität)
nur mit der gegebenen Geschwindigkeit bewegen. Aus diesem Grund ist die Stecke, die ein Nutzer in einer gewissen Zeit begehen kann begrenzt. Eine gute Navigation soll nach Bowman in dieser Hinsicht keine Einschränkung darstellen.
• Bodenhaftung verwenden o In der Realität bewegt sich der Nutzer am Boden. Diese Eigenheit sollte
auch auf die Virtualität übertragen werden. Für Ortsbesichtigungen sollte komplett auf die dritte Dimension verzichtet werden, da diese unnötige Komplexität der Steuerung mit sich bringt.
In der Arbeit von Bowman wird die folgende Systematik zur Klassifizierung der Navigationsmöglichkeiten vorgeschlagen.
Abbildung 2: Systematische Klassifikation der Navigationsmöglichkeiten bei Ortsbesichtigungen
Jeweils eine Auswahl eines Strangs der Taxonomie ergibt ein eigenes Navigationschema. Durch beliebige Kombination können neue Steuerungsmöglichkeiten geschaffen werden.
“Kid-‐Playing-‐Airplane” Metapher von Fuhrmann 11
5 “Kid-‐Playing-‐Airplane” Metapher von Fuhrmann
Im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit9 von Anton Fuhrmann wurde die sogenannte „Kid-‐Playing-‐Airplane“-‐Metapher entwickelt. Inspiriert wurde diese Navigationstechnik durch die Art, wie Kinder Flugzeug spielen.
Abbildung 3: Kind beim Flugzeug spielen10
Die Fortbewegung erfolgt in Blickrichtung. Die Kopfneigung dient der Kontrolle der Bewegung. Wenn der Kopf nach vorne geneigt wird, bewegt sich der Nutzer in der Virtualität nach vorne. Analog dazu bewegt sich der Nutzer rückwärts, wenn der Kopf nach hinten gelehnt wird. Stoppen geschieht durch Ausbalancieren des Kopfes. Das Lenken in der virtuellen Szene geschieht durch Drehen des Kopfes in die entsprechende Richtung. Angelehnt an die Qualitätsfaktoren von Bowman zur Navigation in virtuellen Umgebungen wird auf die auf die dritte Dimension (die Bewegung nach unten oder oben) verzichtet.
9 "Strolling Through Cyberspace With Your Hands In Your Pockets: Head Directed Navigation In Virtual Environments." Fuhrmann, Anton, Dieter Schmalstieg, und Michael Gervautz. Eurographics Virtual Environments ’98: 216-‐25. 1998. Print.
“Kid-‐Playing-‐Airplane” Metapher von Fuhrmann 12
Abbildung 4: Beziehung zwischen Kopfneigung und translatorischer Bewegung10
Abbildung 5: Lenken durch Kopfdrehung11
Abbildung 6: Umschalten der Bewegungsmodi11 Probleme können bei diesem Navigationsschema auftreten, wenn der Nutzer sich umschauen will und dabei unbeabsichtigt eine Bewegung auslöst. Zur Problemlösung schlägt Fuhrmann die Einführung eines Schwellwerts (z.B. 10°) an – im Rahmen dieses Winkels kann der Kopf geneigt werden, ohne das eine Bewegung in der virtuellen Szene ausgelöst wird. Als weitere Lösung schlägt Fuhrmann das Umschalten zwischen dem Gehen-‐ und Umschauen-‐Modus vor.
Evaluation von Fuhrmann Fuhrmann verwendet zur Evaluation seiner Navigationslösung Virtual IO i-‐glasses, die mit einem PC verbunden sind. Die Brille verfügt über eine wesentlich geringere Auslösung als beispielsweise die Oculus Rift. Die Tracking-‐Sensoren sind mit in den i-‐glasses verbaut. Den Testaufbau stellt eine virtuelle Galerie dar, die mit einem First Person View begangen werden kann. Es handelt sich hierbei um einen Irrgarten. Ziel in der virtuellen Szene ist es, den Ausgang zu finden. Einzelne Bereiche der Galerie sind durch Schiebetüren getrennt, um den Spielspaß zu erhöhen. Abbildungen zum Versuchsaufbau finden sich im Anhang dieser Arbeit.
10 "Strolling Through Cyberspace With Your Hands In Your Pockets: Head Directed Navigation In Virtual Environments." Fuhrmann, Anton, Dieter Schmalstieg, und Michael Gervautz. Eurographics Virtual Environments ’98: 216-‐25. 1998. Print.
Weiterentwicklung der Idee von Fuhrmann 13
Seitliches Neigen des Kopfes erzeugt – anders als in der Beschreibung des Navigations-‐schemas dargestellt – eine Seitwärtsbewegung in der virtuellen Szene. Der Versuchsaufbau und die Evaluation wurden auf einer Messe durchgeführt, so dass die Ergebnisse recht dürftig ausfallen. Laut Fuhrmann erfuhr die kopfgesteuerte Navigation grundsätzlich eine sehr positive Resonanz. Die Methode war besonders für ungeübte, neue Nutzer leicht zu erlernen. Besonders gut gelang dies, weil die Nutzer vor Versuchsdurchführung anderen Probanden bei der Steuerung zusehen konnten. Nach kurzer Einübungszeit wurde die Steuerung kaum noch bemerkt. Erstaunlicher Weise kam es trotz Irrgarten zu keiner Orientierungslosigkeit. Das Setup erweckte allerdings den Eindruck, dass mehrere Navigationsschemata miteinander verglichen werden sollten, was während der Versuchsdurchführung zur Ernüchterung bei den Probanden führte, da dieses Versprechen nicht eingelöst wurde. Negativ fielen außerdem das eingeschränkte Sichtfeld und die niedrige Auflösung der Virtual IO i-‐glasses auf.
6 Weiterentwicklung der Idee von Fuhrmann
Philipp Adam Lyon hat im Rahmen seiner Master Thesis11 auf der Arbeit von Fuhrmann aufgebaut und verschiedene kopfgesteuerte Navigationstechniken qualitativ und quantitativ miteinander verglichen. Dieses geschah ebenfalls mit einem First Person View in einem Gamekontext. Es ging bei dem zu evaluierenden Spiel darum, in kürzester Zeit möglichst viele Fahnen in einer virtuellen Umgebung einzusammeln. Die Testgruppen durchliefen jeweils vier Level mit einem Navigationsschema, welches während der Versuchsdurchführung iterativ angepasst wurde. Laut dem Autor sind in dem Versuchsaufbau die Geschwindigkeit der Fortbewegung und der Drehwinkel an bestehende PC Games und die Wirklichkeit angelehnt. Bei der
11 "Head Motion Controls for 3D Head Mounted Display Games." Lyon, Phillip Adam, und Stefan Rank. Thesis. Drexel University. 2014. Print.
Weiterentwicklung der Idee von Fuhrmann 14
Implementierung wurden eine Geschwindigkeit von 10 m/s und eine Drehwinkel-‐geschwindigkeit von 90°/s verwendet. Anzumerken ist an diese Stelle, dass der Oculus Rift Best Practice Guide12 eine Geschwindigkeit von ungefähr 1,5m/s empfiehlt, damit kein Unwohlsein auftritt. Lyon ging von der Annahme aus, dass die Probranden ihre Geschwindigkeit selber regulieren und somit Unwohlsein vermeiden könnten.
Aviation Control Scheme Das Aviation Control Scheme greift unmittelbar die Idee von Fuhrmann auf. Lyon verzichtet allerdings, zugunsten der einfacheren Erlernbarkeit, auf Rückwärtsbewegung, Seitwärtsbewegung und Umschalten der Modi „Gehen“ und „Umherschauen“. Die Beschleunigung war im Versuchsaufbau bei wenig Kopfneigung nach vorne linear und wurde bei stärkerer Neigung exponentiell gesteigert. Selbiges galt für die Drehung: Diese ist erst linear und ab einem gewissen Drehwinkel wird zusätzliche Drehung addiert, um eine 360° Drehung zu ermöglichen.
Motocycle Control Scheme Das Motorcycle Control Scheme wurde inspiriert durch das Fahren und Schalten beim Motorrad. Durch Kopfnicken wird ein Gang hoch geschaltet und die Geschwindigkeit der Fortbewegung erhöht. Die Fortbewegung erfolgt in Blickrichtung. Das Lenken erfolgt durch Kippen des Kopfes nach rechts bzw. links – analog dazu, wie sich ein Motorradfahrer in die Kurve legt. In der Arbeit von Lyon wird nicht deutlich, wie genau die Geschwindigkeitsreduktion erfolgt. Ich antizipiere, dass die Gänge mit der gleichen Geste erst hoch und dann wieder heruntergeschaltet werden.
Abbildung 7: Motorcycle Control Scheme nach Lyon13 (mit Anmerkungen)
12 "Oculus Best Practices." Oculus VR, LLC. Developer Center. Web. 18. Feb. 2016. 13 "Head Motion Controls for 3D Head Mounted Display Games." Lyon, Phillip Adam, und Stefan Rank. Thesis. Drexel University. 2014. Print.
Weiterentwicklung der Idee von Fuhrmann 15
Stillness Control Scheme Dieses Schema soll die Möglichkeit bieten, Umherschauen und Bewegung gleichermaßen zu unterstützen. Die Beschleunigung ist umgekehrt proportional zur Bewegung des Kopfes und die Fortbewegung erfolgt in Blickrichtung. Wenn der Nutzer sich umschaut, wird die Geschwindigkeit gedrosselt. Fixiert der Nutzer hingegen ein Punkt, wird die Beschleunigung erst linear, dann exponentiell gesteigert.
Evaluation von Lyon Im Gegensatz zur Arbeit von Fuhrmann wurden von Lyon diverse Daten erhoben. Zum einen waren dies sämtliche Sensordaten (lineare Beschleunigung, Winkelgeschwindigkeit und Positionsangaben) der Oculus Rift. Zum anderen wurden spezifische Daten aus der App gespeichert, wie z.B. Betrag der Bewegung, Drehung des Avatars und absolute Position. Beginn und Ende einer Session und die Versuche bis zum Einsammeln einer Flagge waren ebenfalls Bestandteil des Daten-‐Trackings. Der Vorteil der umfangreichen Datenerhebung ist die vielseitige Analysemöglichkeit, die sich daraus ergibt. So können beispielsweise Game Play Metriken aus den Daten berechnet werden und eine anonymisierte Rekonstruktion der Szene im Nachhinein ist möglich. Abbildungen zum Versuchsaufbau und den Ergebnissen der Evaluation finden sich im Anhang dieser Arbeit. Nach dem Versuch wurde eine Befragung der Probanden hinsichtlich Erlernbarkeit, Einfachheit der Steuerung, Komfort und Spaß durchgeführt. Aus den Ergebnissen der Befragung konnte Lyon eine moderate Zustimmung zu kopfgesteuerter Navigation feststellen. 22 Probanden haben jeweils vier Level durchgespielt. Es konnten allerdings nur 52 Datensets aufgezeichnet werden, weil die Nutzer reihenweise an Simulator Sickness (Unwohlsein) litten. Interessanter Weise waren es häufiger die Teilnehmer, die angegeben hatten, über Erfahrung mit 3D-‐Simulationen zu verfügen. Aufgrund des gehäuften Unwohlseins wurde die Geschwindigkeit aller Schemen zwischen dem zweiten und dritten Level um 50 Prozent verringert. Zwischen dem dritten und vierten Level musste die Geschwindigkeit abermals um 50 Prozent reduziert werden. Diese Geschwindigkeitsreduktion brachte insgesamt keine deutliche Verbesserung in der Bewertung der Navigationsschemen, allerdings nahm die Treffgenauigkeit beim Einsammeln der Flagge deutlich zu. Grundsätzlich hat das Aviation Control Scheme die besten Bewertungen erhalten, gefolgt von dem Motorcycle Control Scheme. Das Stillness Control Scheme war am schwierigsten zu bedienen. In Sachen Komfort hat keines der Navigationsmetaphern besonders gut abgeschnitten.
Simulator Sickness 16
7 Simulator Sickness
Da Simulator Sickness bei den Versuchen von Lyon eine starke Rolle spielte, werden hier die Ursachen betrachtet. Simulator Sickness beschreibt Symptome des Unwohlseins, die in virtuellen Umgebungen auftauchen können. Sie entstehen durch Konflikte zwischen visueller und Körper-‐Sensorik. Ursachen sind u.a.
• Beschleunigung / Geschwindigkeit • Mangel an Kontrolle bei der Navigation • Nutzungsdauer der virtuellen Umgebung • Zu viel Bodensicht • Mangelnde stereoskopische Sehfähigkeit • Eingeschränktes Sichtfeld • Verzögerung der optischen Darstellung (Latenz) • Flackern • Erfahrung mit VR • Fehlende Bodenhaftung
Um diese Probleme zu identifizieren und zu beheben, empfiehlt der Oculus Rift Best Practice Guide bereits früh Nutzertest durchzuführen. Bei derartigen Problemen kann es helfen, einen bewegten Avatar vor die First Person Kamera zu positionieren, damit der Nutzer ein Gefühl für die zu erwartende Bewegung bekommt.
Fazit 17
8 Fazit
Kopfgesteuerte Navigation ist insbesondere für neue Nutzer eine leicht zu erlernende Navigationstechnik für virtuelle Ortbesichtigungen. Sie ist der kleinste gemeinsame Nenner, wenn es darum geht, eine möglichst große Nutzerbasis zu erreichen. Ein Inhaltsanbieter muss sich daher fragen, ob es Sinn macht, zusätzliche Steuerungs-‐Hardware vorauszusetzen. Diese schmälert die Reichweite der potentiellen Nutzerschaft, was sich negativ auf die Refinanzierung eines Projekts auswirken kann. Die Evaluationen haben gezeigt, dass im Produktentwicklungsprozess möglichst früh Nutzertests durchgeführt werden sollten, um die Eignung der Navigationsschemen zu testen. So können frühzeitig negative Faktoren wie Simulator Sickness identifiziert und behoben werden. Insgesamt war festzustellen, dass die virtuelle Realität noch am Beginn der Entwicklung steht. Sie ist ein relativ neues Forschungsfeld und daher ist es nicht verwunderlich, dass es wenige Studien gibt, die sich ausschließlich mit dem Thema der kopfgesteuerten Navigation beschäftigen. Für die Implementierung der Navigation existieren wenige Rahmenparameter an denen man sich orientieren kann. Die Ergebnisse der Evaluationen von Fuhrmann und Lyon haben gezeigt, dass hier noch viel Forschungs-‐ und Optimierungspotential besteht. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn man sich Anwendungen für Google Cardboard im Play Store ansieht. Die meisten haben im Hinblick auf die Navigation meist einen experimentellen Charakter. Es wird vermutlich noch eine Weile dauern, bis sich hier ein Best-‐in-‐Class-‐Standard im Markt durchgesetzt hat.
Quellenverzeichnis 18
9 Quellenverzeichnis
"Augmented Reality: A Class of Displays on the Reality-‐virtuality Continuum." Milgram, Paul, Haruo Takemura, Akira Utsumi, und Fumio Kishino. Telemanipulator and Telepresence Technologies. 1995. Print.
"Gartner's 2015 Hype Cycle for Emerging Technologies Identifies the Computing Innovations That Organizations Should Monitor." Gartner's 2015 Hype Cycle for Emerging Technologies Identifies the Computing Innovations That Organizations Should Monitor. Web. 11. Feb. 2016.
"Google Is Offering Its Virtual Reality Classroom System to Schools for Free." The Verge. 28. Sep. 2015. Web. 11. Feb. 2016.
"Head Motion Controls for 3D Head Mounted Display Games." Lyon, Phillip Adam, und Stefan Rank. Thesis. Drexel University. 2014. Print.
"Medienbericht: Google plant Smartphone-‐freie VR-‐Brille -‐ SPIEGEL ONLINE." SPIEGEL ONLINE. Web. 20. Feb. 2016.
"Oculus Best Practices." Oculus VR, LLC. Developer Center. Web. 18. Feb. 2016.
"Strolling Through Cyberspace With Your Hands In Your Pockets: Head Directed Navigation In Virtual Environments." Fuhrmann, Anton, Dieter Schmalstieg, und Michael Gervautz. Eurographics Virtual Environments ’98: 216-‐25. 1998. Print.
"Travel in Immersive Virtual Environments: An Evaluation of Viewpoint Motion Control Techniques." Bowman, D.A., D. Koller, und L.F. Hodges. Proceedings of IEEE 1997 Annual International Symposium on Virtual Reality. 1997. Print.
"Virtual Environment Interaction Techniques." Mine, Mark R. Technical Report. University of North Carolina at Chapel Hill. 1995. Print.
"Want to Watch the News in 3D?" Fortune New York Times Enters the World of Virtual Reality with Google Partnership Comments. 20. Okt. 2015. Web. 11. Feb. 2016.
"Virtual und Augmented Reality (VR/AR): Grundlagen und Methoden der virtuellen und augmentierten Realität." Broll, Wolfgang, Ralf Dörner, Paul Grimm, und Bernhard Jung. Berlin: Springer Vieweg, 2013. Print.
Abbildungsverzeichnis 19
10 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mixed Reality Taxonomie nach Migram et al. (1995) ......................................... 6
Abbildung 2: Systematische Klassifikation der Navigationsmöglichkeiten bei Ortsbesichtigungen ........................................................................................... 10
Abbildung 3: Kind beim Flugzeug spielen .............................................................................. 11
Abbildung 4: Beziehung zwischen Kopfneigung und translatorischer Bewegung ................ 12
Abbildung 5: Lenken durch Kopfdrehung .............................................................................. 12
Abbildung 6: Umschalten der Bewegungsmodi ..................................................................... 12
Abbildung 7: Motorcycle Control Scheme nach Lyon (mit Anmerkungen) ........................... 14
Anhang 20
11 Anhang
Abbildungen zum Versuchsaufbau von Fuhrmann14
14 "Strolling Through Cyberspace With Your Hands In Your Pockets: Head Directed Navigation In Virtual Environments." Fuhrmann, Anton, Dieter Schmalstieg, und Michael Gervautz. Eurographics Virtual Environments ’98: 216-‐25. 1998. Print.
Anhang 21
Abbildungen zum Versuchsaufbau von Lyon15
15 "Head Motion Controls for 3D Head Mounted Display Games." Lyon, Phillip Adam, und Stefan Rank. Thesis. Drexel University. 2014. Print.
Anhang 22
Ergebnisse der Evaluation von Lyon16
Abbildung 8: Aviation Control Scheme
16 "Head Motion Controls for 3D Head Mounted Display Games." Lyon, Phillip Adam, und Stefan Rank. Thesis. Drexel University. 2014. Print.
Anhang 23
Abbildung 9: Motocycle Control Scheme
Anhang 24
Abbildung 10: Stillness Control Scheme
Anhang 25
Versicherung über Selbstständigkeit Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbstständig verfasst und nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Hamburg, den _______________ __________________________
24.02.16
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