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1 Vier Welten der Demokratie Ein Kommentar zu Arend Lijpharts Neubearbeitung von Patterns of Democracy (2012) Manfred G. Schmidt (Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg) Varieties, Crises, and Innovations of Democracy. An International Symposium to honour Gerhard Lehmbruch on the occasion of his 85th birthday Berlin, 3. Mai 2013 7.4.2013 Wie gelangt man zum „Rom der Demokratie“ (Lehmbruch 1987: 3)? Der älteren Komparatistik zufolge führt dorthin nur der Weg über eine Demokratie mit Mehrheitswahlsystem und einer relativ homogenen politischen Kultur. Die moderne Vergleichende Politikwissenschaft sieht das anders: Viele Demokra- tien mit Verhältniswahl und einer tief gespaltenen Gesellschaft erweisen sich als mindestens ebenso stabil, handlungsfähig und offen für Machtwechsel und po- litische Innovationen wie die Mehrheitsdemokratien. Den Nachweis dafür führ- ten vor allem Gerhard Lehmbruch und Arend Lijphart in ihren bahnbrechen- den Beiträgen zur Vergleichenden Politikwissenschaft. „Proporz“-, „Konkor- danz“- und „Verhandlungsdemokratie“ heißen die Stichworte bei Lehmbruch (1967, 1992, 1996, 2003, 2012), „consociational democracy“, „consensus democ- racy“, „negotiation democracy“ und als gemeinsamer Nenner „power sharing democracy“ sind die Schlüsselbegriffe bei Lijphart (1977, 1984, 1999, 2008a, 2012, Zitat 2008a: 3). Lehmbruch und Lijphart haben der vergleichenden Demokratieforschung durch ihre Differenzierung zwischen Mehrheitsdemokratien und nichtmajoritären Demokratien bis heute wegweisende Impulse gegeben. Beide erweiterten den Demokratienvergleich zudem in jeweils spezifischer Weise: Lehmbruch profilierte sich durch die Analyse des spannungsreichen Zusammenwirkens von mehrheits- und verhandlungsdemokratischen Konflikt- regelungsmustern einerseits und politischer Steuerung andererseits. Davon zeugt insbesondere seine 1976 vorgelegte, mittlerweile in der dritten Auflage erschienene Studie über den Parteienwettbewerb im deutschen Bundesstaat (Lehmbruch 2000). Hinzu kommt Lehmbruchs instruktive Verknüpfung der Demokratieforschung mit der Analyse korporatistischer Interessenvermittlung (Lehmbruch/Schmitter 1982, Schmitter/Lehmbruch 1979). Lijpharts Schwer-

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Vier Welten der Demokratie

Ein Kommentar zu Arend Lijpharts

Neubearbeitung von Patterns of Democracy (2012)

Manfred G. Schmidt

(Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg)

Varieties, Crises, and Innovations of Democracy.

An International Symposium to honour Gerhard Lehmbruch on the occasion

of his 85th birthday

Berlin, 3. Mai 2013

7.4.2013

Wie gelangt man zum „Rom der Demokratie“ (Lehmbruch 1987: 3)? Der älteren Komparatistik zufolge führt dorthin nur der Weg über eine Demokratie mit Mehrheitswahlsystem und einer relativ homogenen politischen Kultur. Die moderne Vergleichende Politikwissenschaft sieht das anders: Viele Demokra-tien mit Verhältniswahl und einer tief gespaltenen Gesellschaft erweisen sich als mindestens ebenso stabil, handlungsfähig und offen für Machtwechsel und po-litische Innovationen wie die Mehrheitsdemokratien. Den Nachweis dafür führ-ten vor allem Gerhard Lehmbruch und Arend Lijphart in ihren bahnbrechen-den Beiträgen zur Vergleichenden Politikwissenschaft. „Proporz“-, „Konkor-danz“- und „Verhandlungsdemokratie“ heißen die Stichworte bei Lehmbruch (1967, 1992, 1996, 2003, 2012), „consociational democracy“, „consensus democ-racy“, „negotiation democracy“ und als gemeinsamer Nenner „power sharing democracy“ sind die Schlüsselbegriffe bei Lijphart (1977, 1984, 1999, 2008a, 2012, Zitat 2008a: 3).

Lehmbruch und Lijphart haben der vergleichenden Demokratieforschung durch ihre Differenzierung zwischen Mehrheitsdemokratien und nichtmajoritären Demokratien bis heute wegweisende Impulse gegeben. Beide erweiterten den Demokratienvergleich zudem in jeweils spezifischer Weise: Lehmbruch profilierte sich durch die Analyse des spannungsreichen Zusammenwirkens von mehrheits- und verhandlungsdemokratischen Konflikt-regelungsmustern einerseits und politischer Steuerung andererseits. Davon zeugt insbesondere seine 1976 vorgelegte, mittlerweile in der dritten Auflage erschienene Studie über den Parteienwettbewerb im deutschen Bundesstaat (Lehmbruch 2000). Hinzu kommt Lehmbruchs instruktive Verknüpfung der Demokratieforschung mit der Analyse korporatistischer Interessenvermittlung (Lehmbruch/Schmitter 1982, Schmitter/Lehmbruch 1979). Lijpharts Schwer-

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punkt hingegen ist insbesondere die – qualitative und quantitative Verfahren kombinierende – Erkundung der „Patterns of Democracy“, so der Haupttitel seiner Studien von 1999 und 2012, und ihres politischen Leistungsprofils. Damit beflügelte er eine Forschung, die, wie Lehmbruch, dem Zusammenhang zwi-schen politischen Institutionen und der Staatstätigkeit nachgeht.

Bei allen Gemeinsamkeiten sind die Unterschiede zwischen Lehmbruchs und Lijpharts analytischem Zugriff nicht zu übersehen: Lehmbruch bevorzugt die qualitativ-vergleichende institutionalistische Forschung mit einer kleineren Fallzahl und tiefenscharfer, entwicklungsgeschichtlich ausgerichteter Perspek-tive. Lijphart hingegen, ein vom Behavioralismus und von der quantifizieren-den Politikforschung geprägter Wissenschaftler, vergleicht eine größere Anzahl von Demokratien und ihre Wirkungen. Wenngleich Lehmbruch und Lijphart mit Verhandlungsdemokratien sympathisieren, springt doch ein Unterschied im Grad des Engagements für nichtmajoritäre Regime ins Auge: Lehmbruch ist der durch den Historischen Institutionalismus geprägte Analytiker, der verfas-sungschirurgischen Eingriffen gegenüber skeptisch bleibt. Lijphart hingegen ist Verfassungsingenieur. Demokratieförderliches constitutional engineering ist sein Anliegen. Dafür hat er eine Zauberformel. Sie heißt Konsensusdemokratie.

Diese Zauberformel entstammt Lijpharts Studien über Mehrheitsdemokratien und ihre nichtmajoritären Gegenstücke. Wegweisend dafür sind insbesondere sein 1984 veröffentlichtes Buch Democracies und die Vorstudien wie Lijphart (1977). 1999 folgte die Erweiterung der 1984er-Studie unter dem Titel Patterns of Democracy. Sie ist – mehr noch als das Werk von 1984 – ein Meilenstein der Ver-gleichenden Politikwissenschaft. Seit Herbst 2012 liegt die neubearbeitete und in der Datenbasis bis 2010 aktualisierte Fassung dieses Werkes vor. Sie wird im Folgenden gewürdigt.

1. Mehrheits- und Konsensusdemokratien im Lichte von Lijphart (2012)

Wie schon in den Vorläufern von 1984 und 1999, gründet Lijphart den Ver-gleich der Demokratien 2012 auf die Unterscheidung zweier Typen: die „Westminster“- oder „Mehrheitsdemokratie“ und die „Konsensusdemokratie“. Machtkonzentration zeichnet die Mehrheitsdemokratie aus, Machtaufteilung ist das Markenzeichen der Konsensusdemokratie. Wie in der Studie von 1999 erfasst Lijphart die Mehrheits- und die Konsensusdemokratie auch in seiner Studie von 2012 anhand von zehn Merk-malen. Es sind dies: 1. die Konzentration der Exekutivmacht in den Händen einer alleinregierenden, auf die Mehrheit im Parlament gestützten Partei im Falle der Mehrheitsdemo-

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kratie und die Aufteilung der Exekutivmacht auf breite Koalitionen von Partei-en in der Konsensusdemokratie, 2. die Dominanz der Exekutive über die Legislative anstelle des Kräftegleich-gewichts zwischen Exekutive und Legislative, 3. ein Zweiparteien- oder Beinahe-Zweiparteiensystem im Unterschied zum konsensusdemokratischen Vielparteiensystem, 4. die Mehrheitswahl mit ihrer hohen Disproportionalität von Stimmen- und Sitzanteilen an Stelle der Verhältniswahl, 5. pluralistische Staat-Verbände-Beziehungen statt korporatistische Muster der Interessenvermittlung, 6. ein unitarischer, zentralisierter Staat in der Mehrheitsdemokratie versus ein föderalistischer, dezentralisierter Staatsaufbau in der Konsensusdemokratie, 7. ein Einkammer-Parlament im Gegensatz zum konsensusdemokratischen Zweikammersystem mit gleich starken Kammern, 8. eine mit einfacher Mehrheit veränderbare Verfassung oder das Fehlen einer geschriebenen Verfassung anstelle von konstitutioneller Rigidität infolge einer geschriebenen Verfassung, die nur mit Supermehrheiten geändert werden kann, 9. das Letztentscheidungsrecht der Legislative über die Gesetzgebung im Un-terschied zur richterlichen Nachprüfung der Gesetzgebung und 10. eine von der Exekutive kontrollierte Zentralbank statt einer autonomen Zentralbank. Die Mehrheitsdemokratie ist die Staatsverfassung der Machtkonzentration. Sie verschafft der Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen Regierung bei der Politikgestaltung einen großen Spielraum. Die Konsensusdemokratie“ („consensus democracy“) oder „Verhandlungs-demokratie“ („bargaining democracy“) (Lijphart 2012: 2) hingegen ist die Staatsverfassung der Verantwortungsverteilung und der Machtaufteilung. Sie ist eine „power sharing democracy“ (Lijphart 2008a: 3). Sie enthält Sicherungen und Gegenkräfte gegen die Mehrheit in der Legislative und die Exekutive. Die Konsensusdemokratie will zudem der Minderheit die Chance der Machtteilha-be offenhalten. Dafür kommen ein suspensives oder absolutes Veto ebenso in Frage wie hohe Zustimmungsschwellen, beispielsweise Zweidrittelmehrheit oder Einstimmigkeit. Lijpharts Studie von 2012 fokussiert auf jene 36 Staaten mit einer Bevölkerung von mindestens 250.000 Einwohnern, die seit 1989 oder früher demokratisch verfasst sind, und zwar im Zeitraum von der ersten demokratischen Wahl im Jahre 1945 oder später bis zum 30. Juni 2010 (Lijphart 2012: 46). Über die aus-gewählten Länder informieren im Detail die in der Tabelle 1 genannten Demo-kratien.1 Zu ihnen gehören 33 der 36 Staaten der Studie von 1999. Aufgrund von Demokratiebeschädigungen größerer Art schloss Lijphart Kolumbien, Pa-

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pua-Neuguinea und Venezuela aus dem Kreis der etablierten Demokratien aus. Neu hinzu kamen dafür Argentinien, Korea und Uruguay.

Tabelle 1: Die 36 Demokratien der Lijphart Studie von 2012

Land Wird in Lijphart (2012) erfasst seit …

Argentinien 1984

Australien 1946 Bahamas 1972 Barbados 1966 Belgien 1946 Botsuana 1965 Bundesrepublik Deutschland 1949 Costa Rica 1953 Dänemark 1945 Finnland 1945 Frankreich (V. Republik) 1958 Griechenland 1974 Großbritannien 1945 Indien 1977 Irland 1948 Island 1946 Israel 1949 Italien 1946 Jamaika 1962 Japan 1946 Kanada 1945 Korea 1988 Luxemburg 1945 Malta 1966 Mauritius 1976 Neuseeland 1946 Niederlande 1946 Norwegen 1945 Österreich 1945 Portugal 1976 Schweden 1948 Schweiz 1947 Spanien 1977 Trinidad und Tobago 1961 Uruguay 1985 USA 1946

Quelle: Lijphart 2012: 49.

Inwieweit kommen die Demokratien den Idealtypen der Mehrheits- und der Konsensusdemokratie nahe? Die Antwort gibt Lijphart anhand der Operationalisierung der zuvor erwähnten Merkmale der Mehrheits- und der Konsensusdemokratie (siehe Tabelle 2). In dieser Tabelle wird beispielsweise die Konzentration der Exekutivmacht anhand des Durchschnitts der anteiligen

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Lebensdauer von Regierungen der jeweils kleinstmöglichen Koalition („mini-mal-winning cabinets“) und der Alleinregierungen erfasst. Und die Differenz zwischen dem Mehrheits- und dem Verhältniswahlsystem misst Lijphart an-hand der Disproportionalität von Stimmen- und Parlamentssitzverteilung.

Tabelle 2: Lijpharts Operationalisierung der Mehrheits- und der Konsensusdemokratie (2012)

KONZEPT INDIKATOR

1. Grad der Konzentration der Exekutiv-macht

Dauer der Regierungen der jeweils kleinstmöglichen Koalition („minimal-winning cabinets“) und von Alleinregierungen in Prozent des Untersuchungszeitraums (Lijphart 2012: 99f.)

2. Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Legislative / Dominanz der Exekutive

Ein im Wesentlichen auf der durchschnittlichen Lebensdauer von Kabinetten basierender Dominanz-Index (mit Sonderberechnun-gen der Präsidialsysteme) (Lijphart 2012: 118ff.)

3. Fragmentierungsgrad des Parteiensys-tems

Laakso-Taagepera-Indikator der Anzahl der wichtigsten Parteien in der zentralstaatlichen Legislative (N=1/Σsi2, si2 = quadrierter Sitzanteil jeder Partei im Parlament) (Lijphart 2012: 66, 74f.)

4. Wahlsystem / Ausmaß der wahlsystem-bedingten Disproportionalität von Stim-men- und Parlamentssitzverteilung

Gallagher-Index (Wurzel aus der halbierten Summe der qua-drierten Differenzen der Stimmen- und Parlamentssitzanteile der Parteien - ohne die kleinen, als „sonstige“ klassifizierten Partei-en) (Lijphart 2012: 145, 150f.)

5. Pluralistische oder korporatistische Staat-Verbände-Beziehung

Index des Interessengruppenpluralismus nach Siaroff (1998) mit Ergänzungen (Lijphart 2012: 162ff.)

6. Machtaufteilungsgrad der Staatsstruktur (dezentralisierter Föderalismus versus zentralisierter Einheitsstaat)

Föderalismus- und Dezentralisations-Skala von 1,0 (unitarisch und zentralisiert) bis 5,0 (föderal und dezentralisiert) (Lijphart 2012: 178)

7. Konzentrations- bzw. Aufteilungsgrad der Legislativmacht (Einkammer- bzw. Zwei-kammersystem)

Skala der Legislativmachtkonzentration von 1,0 (Unikameralismus) bis 4,0 (starker Bikameralismus) (Lijphart 2012: 199f.)

8. Schwierigkeitsgrad der Verfassungsände-rung

Skala der zur Verfassungsänderung erforderlichen Mehrheit von 1,0 (einfache Mehrheit) bis 4,0 (über zwei Drittel hinausreichende Supermehrheiten) (Lijphart 2012: 208)

9. Letztentscheidungsrecht über Gesetz-gebung (Parlament oder Verfassungsge-richtsbarkeit)

Skala der Stärke der verfassungsgerichtlichen Gesetzesüberprü-fung von 1,0 (keine Überprüfung) bis 4,0 (weit ausgebaute Über-prüfung) (Lijphart 2012: 215)

10. Grad der Zentralbankautonomie Schätzungen auf der Basis von Indizes der Zentralbankautono-mie und unter Berücksichtigung der Europäischen Zentralbank (Lijphart 2012: 234f.)

Anmerkungen: Alle Messungen erstrecken sich über den Zeitraum von frühestens 1945 bis 2010.

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Mit den Variablen der Tabelle 1 erkundet Lijphart die Strukturen der Demokra-tien. Ein Hauptergebnis dieser Erkundung bildet das Schaubild 1 ab: Es zeigt, dass den Messungen der Demokratiestrukturen laut Tabelle 2 zwei Dimensio-nen (im Sinne von Faktoren der Faktorenanalyse) zugrunde liegen: die „Exeku-tive-Parteien-Dimension“ und die „Föderalismus-Unitarismus-Dimension“ (Lijphart 2012: 241-244). Das Schaubild 1 informiert zudem über die Position der 36 Demokratien auf diesen Dimensionen. Die Exekutive-Parteien-Dimension spiegelt den Unterschied zwischen mehr-heitskonzentrierenden und mehrheitsbremsenden Strukturen wider. Gemessen wird die Exekutive-Parteien-Dimension anhand der standardisierten Durch-schnittswerte der jeweils ebenfalls standardisierten Daten der ersten fünf Indi-katoren der Tabelle 2: Konzentration der Exekutivmacht, Dominanz der Exeku-tive, Fragmentierung des Parteiensystems, wahlsystembedingte Disproportio-nalität und Interessengruppenpluralismus. Die Standardisierung der Daten erfolgt durch die z-Transformation. Die z-Transformation macht verschiedenartige Messwertreihen vergleichbar indem sie die Originalzahlen einer Messwertreihe in ihre Abweichung vom Mittelwert umwandelt und die Abweichungen durch die Standardabweichung der Mess-wertreihe teilt. (Die Standardabweichung ist die Quadratwurzel der durch die Anzahl der Messwerte dividierten Summe der quadrierten Abweichung jedes Messwertes vom arithmetischen Mittel der Messwertreihe.) Die hieraus resul-tierenden z-Werte informieren über die relative Lage eines Messwertes in einer (nunmehr standardisierten) normalverteilten Population von Messwerten (siehe Schaubild 1 und Tabelle A-1 im Anhang). Die Föderalismus-Unitarismus-Dimension buchstabiert die Differenz zwischen Machtaufteilung und Machtkonzentration vor allem als Unterschied zwischen einer (durch Föderalismus, autonome Zentralbank, verfassungsrechtliche und richterstaatliche Restriktionen) institutionell gezügelten Demokratie und wenig gebremster Volksherrschaft. Die Föderalismus-Unitarismus-Dimension basiert auf den ebenfalls standardisierten Werten der restlichen fünf Variablen der Ta-belle 2: Föderalismus- und Dezentralisierungsgrad, Ein- bzw. Zwei-kammersystem, Schwierigkeit der Verfassungsänderung, richterliche Gesetzes-überprüfung und Zentralbankautonomie.

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Schaubild 1:

Vier Welten der Demokratie: föderalistische und unitarische Mehrheits- und Konsensusdemokratien

2. Vier Welten der Demokratie: Demokratiestrukturen in 36 Staaten nach

Lijphart (2012)

Mit diesen Konzepten und Daten erfasst Lijphart die institutionelle Architektur der 36 Staaten seiner Studie.

Von den vielen interessanten Ergebnissen der „Patterns of Democracy“ von 2012 verdienen vier besondere Aufmerksamkeit. Erstens: Es gibt nicht nur eine Demokratieform, sondern verschiedene Demo-kratieformen. Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen den Mehrheits- und den Konsensusdemokratien. Manche Staaten sind überwiegend mehr-

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heitsdemokratisch verfasst – allen voran Großbritannien und Neuseeland –, an-dere hingegen überwiegend konsensusdemokratisch, so die Schweiz und Deutschland. Zweitens: Nicht nur der Unterschied zwischen Mehrheits- und Konsensusdemokratie zählt. Wichtig ist auch die Differenz zwischen zentrali-sierten, einheitsstaatlichen Demokratien einerseits und föderalistischen Demo-kratien mit Verfassungsgerichtsbarkeit und autonomer Zentralbank anderer-seits. Drittens: Lijpharts Studie von 2012 deckt insoweit (wie schon ihr Vorgänger von 1999) nicht nur zwei Welten der Demokratie auf – Mehrheitsdemokratie hier, Konsensusdemokratie dort –, sondern vier, was bei seiner Interpretation der Daten allerdings zu kurz kommt. Die vier Welten der Demokratie sind - die einheitsstaatlichen Mehrheitsdemokratien (wie Großbritannien), - die föderalistischen Mehrheitsdemokratien (beispielsweise die USA), - die einheitsstaatlichen Konsensusdemokratien (wie die nordeuropäischen Staaten und die Benelux-Länder) und - die föderalistischen Konsensusdemokratien. Viertens: Die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Schweiz und Österreich eine föderalistische Konsensusdemokratie. Und Deutschland repräsentiert zu-sammen mit der Schweiz sogar den Gegenpol zu den typischen Mehrheitsde-mokratien.2 3. Demokratieformen und politisches Leistungsprofil

Lijpharts Demokratiestudien verknüpfen die Institutionenforschung mit der Analyse materieller Politiken. Dieses Forschungsprogramm hat er in der Neu-bearbeitung seiner Patterns of Democracy besonders weit ausgebaut und im Ver-gleich zur Vorgängerstudie von 1999 erheblich verbessert. Die größten Ände-rungen betreffen die Kapitel 15 und 16. In ihnen vergleicht Lijphart die politi-schen Leistungsprofile der Konsens- und der Mehrheitsdemokratie. In diesen Kapiteln hat Lijphart die Kritik an seiner Studie von 1999 größtenteils berück-sichtigt (Lijphart 2012: x f.).3 Die Politikwirkungen von Mehrheits- und Konsensusdemokratien erfasst Lijphart mit teils älteren, teils neuen Indikatoren. Altbekannte Messlatten sind Wirtschaftswachstum, Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit sowie Frauenrepräsentation und politische Gleichheit. In neuem Gewande kommen Indikatoren wie Sozialausgaben und Umweltperformanz einher. Die Sozialaus-gaben beispielsweise misst Lijphart nunmehr mit den Nettosozialausgaben nach Adema und Lladaique (2009), die im Unterschied zu den Bruttosozialausgaben auch die Effekte der Besteuerung von Sozialeinkommen, der sozialpolitisch ge-zielten Steuererleichterungen und gesetzlich vorgeschriebene private Sozialleis-

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tungen erfassen. Neu aufgenommen wurden Messlatten wie die good governance-Indikatoren der Weltbank und die Messungen der Demokratiequali-tät seitens der Economist Intelligence Unit (Lijphart 2012: x f.). Ferner verwendet Lijphart nunmehr Kontrollvariablen, um den Einfluss von Wirkfaktoren wie den Stand wirtschaftlicher Entwicklung und die Bevölkerungsgröße auf die ma-teriellen Politiken zu berücksichtigen. Lijpharts Datenanalyse zufolge ist die Konsensusdemokratie der Gewinner: “the overall performance record of the consensus democracies is clearly superi-or to that of the majoritarian democracies”, schlussfolgert Lijphart (2012: 296, ähnlich 2012: xi). Konsensusdemokratien machen auch bei der Qualität der De-mokratie einen Unterschied. Lijphart wertet diesen Nachweis als „probably the most significant of all my work“ (2008a: 9). Konsensusdemokratien sind nicht nur „besser beim Repräsentieren“, sie sind auch insgesamt „besser beim Regie-ren” (Lijphart 2012: 274 – jeweils Übersetzung d. Verfassers), gemessen etwa an Effektivität des Regierens, Korruptionskontrolle und Inflationsbekämpfung (Lijphart 2012: 263). Ferner stehen die Konsensusdemokratien für eine freundli-chere, sanftere Demokratie – „a ‚kinder, gentler‘ democracy“ (Lijphart 2012: 274). Denn sie sind, so Lijphart „more likely to be welfare states; they have a better record with regard to the protection of the environment; they put fewer people in prison and are less likely to use the death penalty; and the consensus democracies in the developed world are more generous with their economic as-sistance to the developing nations“(2012: 274f.). Lijphart beschreibt nicht nur die Strukturen der modernen Demokratie genauer als viele andere. Er beantwortet auch die Frage, welches Demokratiemodell sich am besten für den Export von Staatsverfassung eignet. Sein Rat ist eindeutig – und wird noch nachdrücklicher vorgetragen als in früheren Studien: Die Konsensusdemokratie ist die „attraktivere Wahl” (Lijphart 2012: 296 – Übers. d. Verf.). für jene Länder, die sich erstmals eine demokratische Fassung geben oder die ihre Demokratiestrukturen reformieren wollen. Das gilt nicht nur für kulturell und sozial relativ homogene Staaten, sondern auch und gerade für Länder mit tiefen kulturellen und ethnischen Spannungslinien (Lijphart 2012: 296). Dort wäre die Mehrheitsdemokratie ein Sprengsatz, weil das „winner take all“-Prinzip und das Fehlen von Machtaufteilung und gesicherten Vetorechten der wichtigsten Konfliktparteien dort ein Nullsummenspiel erzeugen. Die Konsensusdemokratie hingegen ermöglicht kooperative Lösungen auch bei schweren Konflikten. Sie ist, Lijphart zufolge, wirklich der „normativ hoch be-wertete Regierungsmodus für alle demokratischen Systeme“ (Lehmbruch 2012: 46 – Hervorhebung d. Verf.) geworden.

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4. Nur ein konsensusdemokratischer Weg zum Erfolg?

Lijpharts These, dass die Konsensusdemokratien leistungsfähiger als die Mehr-heitsdemokratien sind, verdient ebenso viel Aufmerksamkeit wie seine Empfeh-lung, die Konsensusdemokratie als allseits passende Lösung für demokratieför-derliches constitutional engineering zu nutzen. Beide Thesen bedürfen allerdings der einen und anderen Einschränkung. 4.1 Eine erste Einschränkung ist hinsichtlich der Art der Unterschiede zwischen den Konsens- und den Mehrheitsdemokratien zu machen: Es handelt sich um Gruppenunterschiede. Doch auch die gruppeninterne Variation ist beträchtlich: Konsensusdemokratie ist nicht gleich Konsensusdemokratie und keine Mehr-heitsdemokratie ist mit der anderen identisch. Das muss bei der Verallgemeine-rung der Befunde bedacht werden. Deutschlands konsensusdemokratische Strukturen beispielsweise umfassen friedlichere Konfliktregelungen und höhere sozialstaatliche Leistungen als andere zur Konsensusdemokratie geneigte Staa-ten wie Indien, Israel, Uruguay und Mauritius. Ein zweites Beispiel: Nicht nur in Konsensusdemokratien wurde die Sozialpolitik weit ausgebaut, sondern auch in manchen Mehrheitsdemokratien, allen voran in Frankreich (siehe Ab-bildung A-1 im Anhang). Demnach können sich auch Mehrheitsdemokratien als eine „freundlichere und sanftere Gesellschaft“ präsentieren, so Lijpharts eigent-lich für die Konsensusdemokratien reserviertes Etikett. 4.2 Lijpharts Demokratiebegriff berücksichtigt weder die Mitwirkung der Wäh-ler bei der Wahl und Abwahl von Regierenden noch die Reichweite des Wahl-rechts noch den Unterschied zwischen Repräsentativ- und Direktdemokratie. Insofern unterschätzt Lijphart den Partizipationsgehalt von Ländern mit inklu-siven Beteiligungsrechten. Mehr noch: Würde Lijphart auch die Direktdemokra-tie berücksichtigen, wäre die Schweiz nicht länger nur eine Konsensusdemokratie, sondern ein Land, das auch scharfe mehrheitsdemokra-tische Einrichtungen kennt: Die Mehrheit bei Volksabstimmungen hat dort das letzte Wort! 4.3 Lijphart zufolge werden etliche öffentliche Aufgaben in den Konsensusdemokratien besser als in den Mehrheitsdemokratien bewältigt. Die Betonung liegt auf „in“. Das lässt die Frage nach Ursache und Wirkung offen. Offen bleibt, auf welchen Mechanismen die von Lijphart nachgewiesenen Kor-relationen zwischen Demokratiestrukturen und den Policy-Indikatoren beru-hen. Ein Beispiel: Lijphart zufolge besteht ein inverser Zusammenhang zwi-schen der Exekutive-Parteien-Dimension und der jahresdurchschnittlichen In-flationsrate von 1981 bis 2009 und von 1991 bis 2009 (Lijphart 2012: 263): Die Konsensusdemokratien übertreffen die Mehrheitsdemokratien bei der Inflati-

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onsbekämpfung. Sie sorgen für eine um rund 3 Prozentpunkte niedrigere Infla-tionsrate – sofern konsensusdemokratische Fälle mit Hyperinflation (Israel von 1981 bis 1985 und Uruguay 1990 und 1991), wie bei Lijphart (2012: 267) gesche-hen, ausgeklammert werden. Allerdings verschwindet die Korrelation von Konsensusdemokratie und Inflationsrate, wenn die Hyperinflationen nicht aus-geklammert werden. Doch selbst wenn man Lijpharts Vorgehensweise folgt, bleiben die Mechanismen einer erfolgreichen Inflationsbekämpfung ungeklärt. Die Zentralbankautonomie und der Föderalismus, die zentrale inflationsdämp-fende Mechanismen sind (Busch 1995), kann Lijphart nicht gemeint haben: Denn sie gehören zur Föderalismus-Unitarismus-Dimension. Doch diese ist mit der Inflationsrate nicht signifikant korreliert (Lijphart 2012: 272f.). Sollten dem-gegenüber die fünf Indikatoren der Exekutive-Parteien-Dimension Ursachen von unterdurchschnittlichen Inflationsraten sein? Wird die Inflationsrate wirk-lich vom Mehrheitswahlsystem gedämpft, zudem von der Dominanz der Exe-kutive über die Legislative, vom Zweiparteiensystem und von den pluralisti-schen Staat-Verbände-Beziehungen? In der Inflationstheorie ist nichts in Sicht, was diese Fragen bejahen lässt. 4.4 Die Konsensusdemokratien schneiden Lijphart zufolge nicht schlechter als die Mehrheitsdemokratien ab, sondern meist besser. Allerdings erreichen auch die Konsensusdemokratien öfters Grenzen: Kein statistisch signifikanter Zu-sammenhang besteht zwischen der Konsensusdemokratie und anderen wichti-gen Policy-Indikatoren wie dem Wirtschaftswachstum, Budgetdefizit und Ar-beitslosenquote seit 1991 (Lijphart 2012: 263), finanzielle Konsolidierung und In-flation – sofern man Hyperinflationen nicht ausklammert. Und kein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht zwischen der Konsensusdemokratie ei-nerseits und Indikatoren wie Staatsausgaben für Bildung, Forschung und ande-ren Humankapital-Messlatten sowie der Frauenerwerbsquote andererseits,4 um nur einige Beispiele zu nennen. 4.5 Fragen werfen zudem die Korrelationen zwischen den Demokratiedimensi-onen und den Policy-Indikatoren auf. Lijpharts Demokratiedimensionen wirken asymmetrisch. Nur eine der zwei Demokratiedimensionen korreliert mit einer nennenswerten Anzahl von Politik-Indikatoren: die Exekutive-Parteien-Dimension. Die zweite Dimension hingegen, die „federal-unitary dimension“, erweist sich fast durchweg als nichtsignifikant (Lijphart 2012: 272f., 287, 293, 295). Die Politikresultate, die Lijphart untersucht, hängen demnach nicht mit dem Unterschied zwischen föderalistischen und einheitsstaatlichen Konsensus- bzw. Mehrheitsdemokratien zusammen. Das wirft allerdings die Frage auf, ob die These, wonach die Konsensusdemokratie die Mehrheitsdemokratie bei den Politikwirkungen übertrifft, verallgemeinerbar ist. Wenn eine von zwei Dimen-sionen der Demokratien die These vom Leistungsvorsprung der Konsensdemo-kratie nicht bestätigt, gibt es drei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist diese:

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Lijpharts Hauptthese von der besseren Policy-Performanz der Konsensusdemokratien taugt wenig. Die zweite Möglichkeit ist folgende: Die Indikatoren, die zur Föderalismus-Unitarismus-Dimension gehören, sind be-langlos für die Unterscheidung der Mehrheits- von der Konsensusdemokratie. Die dritte Möglichkeit, die der Verfasser dieses Beitrags bevorzugt, ist diese: Es gibt vier Demokratiewelten, nicht nur zwei, wie Lijphart letztlich meint. Und diejenigen Demokratiewelten, die sich (im Sinne von Lijpharts Messlatten) als leistungskräftiger als die Mehrheitsdemokratien erweisen, sind die föderalisti-schen Konsensusdemokratien, wie Schweiz und Deutschland, und die konsensusdemokratischen Einheitsstaaten (wie die nordeuropäischen Länder). In den föderalistischen Konsensusdemokratien ist „power sharing“ – Machttei-lung – tatsächlich weit vorangeschritten. In den konsensusdemokratischen Ein-heitsstaaten hingegen erlaubt die Staatsstruktur erheblich weniger Machttei-lung. Hier sind die Chancen des Durchregierens für Regierungen beträchtlich größer als in den föderalistischen Konsensusdemokratien. Es sind demnach zwei recht unterschiedliche Wege, die zum (konsensusdemokratischen) Erfolg führen – und nicht nur ein Weg. 5. Es ist nicht alles Gold, was glänzt – Schwächen der Konsensusdemokratie

Lijpharts Fürsprache für die Konsensusdemokratie hat einiges für sich – und sei es nur der Nachweis, dass die Mehrheitsdemokratie nicht besser ist, sondern häufiger schlechter abschneidet. Wer will, kann hierin einen Beleg für Luh-manns spitze Bemerkung sehen, die Mehrheitsregel sei „keine Legitimierungs-weise, sondern eine Verlegenheitslösung“ (Luhmann 1989: 196). Allerdings neigt Lijphart dazu, die Schwächen der Konsensusdemokratie zu unterschätzen – ebenso wie die der Konkordanzdemokratie.5 Das Leistungsprofil der Konsensusdemokratie ist allerdings zweiwertig, wie vergleichende Studien und Untersuchungen einzelner Länder zeigen (Armingeon 2011, Köppl/Kranenpohl 2012, Schmidt 2010b: 326 ff.): Ihm sind Vorzüge und Nachteile eigen.

- Ein wunder Punkt der Konsensussysteme liegt darin, dass ihr Verhält-niswahlsystem bei niedriger Sperrklausel zu einem hochgradig fragmen-tierten Parteiensystem führen kann und im ungünstigsten Fall zum „tro-janischen Pferd der Demokratie“ mutiert (Hermens 1931).

- Auch laborieren die Konsensusdemokratien meist an höheren Entschei-dungskosten als die Mehrheitsdemokratien. Der Grund liegt in ihren ho-hen Mehrheitsschwellen.

- Ein Strukturdefekt jeder nichtmajoritären Demokratie ist zudem ihre – durch die Machtaufteilung bedingte – Schwäche im Falle der Nichteini-

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gung der Streitparteien: Nun droht die Blockade des politischen Ent-scheidungsprozesses. Die Mehrheitsregel hingegen ermöglicht auch bei Nichteinigung Lösungen – notfalls mit einer Stimme Mehrheit. Um Ent-scheidungen auch bei drohender Nichteinigung zustande zu bringen, greifen insbesondere die föderalistischen Konsensusdemokratien hinge-gen zu Kompromisstechniken: Sie verlängern oder vertagen den Ent-scheidungsprozess, sie vermindern strittige Verteilungs- oder Umvertei-lungsvorhaben, sie sorgen für zeitliche Streckung des Vollzugs und sie schnüren Pakete aus Zugeständnissen und Vorteilserringung der betei-ligten Streitparteien. Doch solche Kompromisstechniken können die Fä-higkeit der Politik, Probleme zu lösen, erheblich vermindern, wie etwa die Politikverflechtungstheorie zeigt (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976).

- Aufgrund der hohen Konsensbildungsschwellen ist der Willensbildungs- und Entscheidungsprozess in der Konsensusdemokratie zudem anfällig für Gruppen, die kooperationsunwillig sind, und für jene, die die Koope-rationsverweigerung aus taktischen Gründen androhen, um Vorteile bei der Kompromissbildung zu erlangen. Insoweit plagt ein Problem die Konsensusdemokratie, das spiegelbildlich zur Tyrannei der Mehrheit ist: die Tyrannei der Minderheit durch Androhung von Kooperationsver-weigerung oder Blockade seitens der Vetospieler.

- Konsensusdemokratien laborieren überdies an einem Zeittaktproblem. Ihre verhandlungsdemokratischen Strukturen erfordern meist viel Zeit für die Willensbildung und Entscheidungsfindung. Häufig wird erst mit größerer Verzögerung über Probleme entschieden. In der Schweiz spricht man deshalb von der „üblichen helvetischen Verzögerung“ bei der Reaktion staatlicher Politik auf gesellschaftliche Problemlagen. Diese Verzögerung kann vorteilhaft sein: Man kann Fehler vermeiden, die an-dere gemacht haben. Mit der Verzögerung gehen allerdings auch Nach-teile einher, etwa eine verspätete Reaktion oder ein unwiderrufliches Versäumnis.

- Zudem sind die Konsensussysteme keineswegs bei allen Konfliktrege-lungen in ethnisch tief gespaltenen Ländern erfolgreich. Sie kennen auch Misserfolge. Davon zeugen etwa die schwerfälligen Konfliktbearbeitun-gen in Nordirland, in Bosnien, in Belgien, und gescheiterte Konsensre-gime wie in zwei der drei Länder, die Lijphart (2012) aus dem Kreis der Demokratien ausklammerte: Papua-Neuguinea und Venezuela. Und als ein Indiz gegen die generelle Eignung der Konsenssysteme für die Kon-fliktregelung wird man auch den Fehlschlag der Konkordanzsysteme im Libanon oder in Kolumbien zählen können.6 All das weckt Zweifel an der generellen Eignung der Konsensusdemokratie zur gütlichen Kon-fliktregelung in kulturell tief gespaltenen Ländern. Zugleich stützen die Zweifel Lehmbruchs These, dass Konsensussysteme anspruchsvolle kul-turelle Voraussetzungen haben, insbesondere historisch und sozial tief

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verankerte Kooperations- und Lernprozesse der Eliten ebenso wie ent-sprechende langjährige kooperationsförderliche Institutionen (Lehm-bruch 1992). Wo beides fehlt, kann die Einpflanzung von konkordanzdemokratischen Strukturen ebenso fehlschlagen wie die von konsensusdemokratischen.

6. Demokratiestrukturen, Staatstätigkeit und Parteienpolitik

Lijphart argumentiert überwiegend mit Institutionen, Strukturen und Funktio-nen. Wer seine Demokratieerkundungen in akteurstheoretischer Hinsicht er-gänzt, beispielsweise durch Parteien und ihr Tun und Lassen an der Regierung, fördert weiterführende Ergebnisse zutage. Davon zeugt allein dieser Befund: Lijpharts wichtigste Messlatte der Mehrheitsdemokratie – die „Exekutive-Parteien-Dimension“ – korreliert mit Indikatoren der parteipolitischen Zusam-mensetzung von Regierungen (siehe Schaubilder A-2a und A-2b im Anhang): Herrschen konsensusdemokratische Strukturen, sind Linksparteien stärker an der Regierung beteiligt7 und säkular-konservative Parteien schwächer. Umge-kehrt gilt: Mehrheitsdemokratische Strukturen kovariieren mit starken säkular-konservativen Regierungen. Mehr noch: Die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung trägt zur Er-klärung von Politiken bei, die Lijphart bei seinem Test der Konsensus- und der Mehrheitsdemokratie verwendet. Ein Beispiel ist die Analyse der Nettosozial-leistungsquote in 22 OECD-Mitgliedstaaten, ein weiteres die Analyse des Inde-xes der Umweltperformanz in 34 Ländern der Lijphart-Studie. Zu den Determi-nanten der Nettosozialleistungsquote und der Umweltperformanz gehören In-dikatoren der parteipolitischen Zusammensetzung. Berücksichtigt man sie in multivarianten Erklärungen, wird Lijpharts Exekutive-Parteien-Faktor sogar in-signifikant (siehe Tabelle A-2 im Anhang).8 Dieser Befund verweist auf Alternativen zu Lijpharts Policy-Erklärung. Lijphart hat die institutionenzentrierte Erklärung von materiellen Politiken gewählt. Außerdem hat er mit seinen Kontrollvariablen - Stand der ökonomischen Ent-wicklung und Bevölkerungsgröße – implizite die sozioökonomische Theorie der Politikerklärung genutzt. Weitere Ansätze der Policy-Forschung hat Lijphart al-lerdings nicht bedacht – weder die Parteiendifferenztheorie (Schmidt 2010a) noch die Machtressourcentheorie (Esping-Andersen 1990) noch die Lehre vom Politik-Erbe (Rose/Davies 1984) oder von den internationalen Determinanten der Staatstätigkeit (Swank 2010). Wie insbesondere Studien über die Sozialpoli-tik zeigen (Schmidt u.a. 2007, Huber/Stephens 2012), stützt der Erklärungsbei-trag dieser Theorien eine Hypothese, die über Lijphart (2012) hinausreicht: die

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These nämlich, dass ein erheblicher Teil der Politikwirkungen, die Lijphart der Konsensus- bzw. der Mehrheitsdemokratie zuschreibt, in Wirklichkeit anderen Determinanten, unter ihnen der parteipolitischen Zusammensetzung der Regie-rung, geschuldet ist. 7. Bilanz

Kritische Kommentare zu Lijpharts Patterns of Democracies sind mit den Vorzü-gen dieses Werkes abzuwägen. Lijpharts Studie ist und bleibt ein Meilenstein der Vergleichenden Politikwissenschaft. Sie besticht durch ungewöhnlich breit angelegte, innovative und vorbildlich nachprüfbare Analyse der Gemeinsam-keiten und Unterschiede von Mehrheits- und Konsensusdemokratien. Allein damit trägt Lijphart zur Schließung einer Lücke der Demokratietheorie bei. Lijphart will aber noch mehr, nämlich demokratieförderliches constitutional en-gineering. Damit schlägt er eine Brücke zwischen der Theorie und der Praxis der Demokratie. Somit wirkt Lijphart nicht nur an der vordersten Front der verglei-chenden Politikforschung mit, sondern auch an einer prominenten Stelle der Politikberatung. Lijpharts Demokratiestudien haben zudem weiterführende Erkundungen ange-regt. Eine davon betrifft die genauere Messung der parlamentarischen Demo-kratien, die im Unterschied zu Lijphart nicht Strukturvariablen mit Verhaltens-mustern (wie Kabinettsbildung und Regierungsdominanz) vermischt. Steffen Ganghof hat, auf dieser Kritik aufbauend, drei Demokratieformen unterschie-den, und zwar anhand der Zahl der Vetospieler und der wahlsystembedingten Disproportionalität von Stimmen- und Sitzanteilen: pluralitäre Spielarten (wie Großbritannien), majoritäre (z.B. Schweden) und supermajoritäre, wie Deutsch-land und die Schweiz (Ganghof 2005). Von Adrian Vatter (2009) stammen drei weitere, auf eigener Forschung begründete Vorschläge zur Weiterentwicklung von Lijpharts Demokratieforschung. Vatter empfiehlt, drei Dimensionen der Demokratie zu unterscheiden: zusätzlich zu Lijpharts Exekutive-Parteien- und Föderalismus-Unitarismus-Dimensionen die „top-to-bottom“-Dimension von Direktdemokratie und Kabinettsregierung. Ferner schlägt Vatter vor, zwei Hauptformen der Konsensusdemokratie auseinanderzuhalten: den parlamenta-risch-repräsentativen und den direktdemokratischen Typ. Und zudem plädiert Vatter dafür, Lijpharts Operationalisierung der Demokratiestrukturen an der einen und anderen Stelle zu korrigieren (Vatter 2009: 132 ff.). Lijpharts Demokratievergleich beflügelte auch die Erkundung und Messung von gegenmajoritären Institutionen. Davon zeugen beispielsweise der constitu-tional structure-Index von Huber/Ragin/Stephens (1993), der Index der

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gegenmajoritären Institutionen (Schmidt 2010b: 332 ff.) und der Index der Veto-spieler und Mitregenten (Schmidt 2010b: 332 ff.). Weil diese Indizes ihrerseits zur Erklärung von Policy-Profilen beitragen, können sie als ein weiterer, indi-rekter Beitrag von Lijphart zur Politikfelder-Forschung verbucht werden. Andererseits sind institutionenzentrierte Erklärungen von materiellen Politiken eng begrenzt. Institutionen sind bekanntlich einerseits Handlungsbegrenzer („constraints“) und andererseits Handlungsermöglicher („enabling conditions“). Doch determinieren sie weder die Wahlhandlungen noch die Er-gebnisse von Entscheidungsprozessen (Scharpf 2000). Insoweit wird die Erklä-rung von Politik (im Sinne von Policy) und von Variationen des Policy-Profils auch zukünftig über den institutionenzentrierten Ansatz, den Lijphart haupt-sächlich gewählt hat, hinausgehen und neben Institutionen und sozioökonomi-schen Gegebenheiten auch Akteure, Machtressourcen, das Politik-Erbe und das Zusammenwirken von Regimetyp und staatlichen Kapazitäten, wie Governance-Mechanismen (Norris 2012), bedenken müssen.

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A n h a n g

Tabelle A-1: Strukturen der Demokratie nach Lijphart (2012)

Land Exekutive-Parteien-Dimension 1945-2010

Föderalismus-Unitarismus-Dimension 1945-2010

Argentinien -0,93 (--) 1,38 (---)

Australien -0,73 (-0,78) 1,63 (1,71)

Bahamas -1,50 (-1,53) -0,15 (-0,16)

Barbados -1,28 (-1,39) -0,49 (-0,44)

Belgien 1,14 (1,08) 0,10 (0,01)

Botsuana -1,43 (-1,26) -0,48 (-0,50)

Bundesrepublik Deutschland 0,78 (0,67) 2,41 (2,52)

Costa Rica -0,37 (0,34) -0,28 (-0,44)

Dänemark 1,31 (1,25) -0,34 (-0,31)

Finnland 1,58 (1,53) -0,83 (-0,84)

Frankreich V. Republik -0,86 (-1,00) -0,22 (-0,39)

Griechenland -0,64 (-0,73) -0,74 (-0,75)

Großbritannien -1,09 (-1,21) -1,06 (-1,12)

Indien 0.65 (0,29) 1,14 (1,22)

Irland 0,17 (0,01) -0,42 (-0,42)

Island 0,53 (0,52) -1,00 (-1,03)

Israel 1,53 (1,47) -0,90 (-0,98)

Italien 1,12 (1,07) -0,39 (0,21)

Jamaika -1,49 (1,64) -0,40 (-0,28)

Japan 0,60 (0,70) 0,17 (0,21)

Kanada -1,00 (1,12) 1,73 (1,78)

Korea -1,22 -0,07

Luxemburg 0,61 (0,43) -0,88 (-0,90)

Malta -0,83 (-0,89) -0,33 (-0,40)

Mauritius 0,42 (0,29) -0,13 (-0,04)

Neuseeland -0,47 (-1,00) -1,67 (-1,78)

Niederlande 1,34 (1,23) 0,30 (0,33)

Norwegen 0,80 (0,63) -0,66 (-0,66)

Österreich 0,43 (0,33) 1,07 (1,12)

Portugal 0,22 (0,36) -0,61 (-0,70)

Schweden 0,79 (0,82) -1,03 (-0,67)

Schweiz 1,72 (1,77) 1,46 (1,52)

Spanien -0,62 (-0,59) 0,47 (0,41)

Trinidad und Tobago -1,01 (-1,41) -0,24 (-0,15)

USA -0,07 (-0,54) 2,25 (2,36)

Uruguay 0,39 -0,79

Quelle: Lijphart 2012: 305ff. Die Zahlen in Klammern sind die Werte der 1999er-Studie. Lijpharts Daten sind Durchschnittswerte für 1945-210 bzw. für die Periode ab Beginn der jeweiligen Demokratiephase (siehe Tabelle A-1). Exekutive-Parteien-Dimension: niedrige Werte (negative Vorzeichen) kennzeichnen eine ausgeprägte Mehrheitsdemokratie (wie Großbritannien), hohe Werte (po-sitive Vorzeichen) zeigen starke Konsensusdemokratiestrukturen an (Beispiel: Schweiz). Föderalismus-Unitarismus-Dimension: niedrige Werte (negative Vorzeichen) zeigen eine hohe Konzentration politischer Macht (zentralisierter Einheitsstaat) an, und hohe Werte (positive Vorzeichen) indizieren fortgeschrittene Machtaufteilung (wie in Deutschland, der Schweiz und den USA). Die Da-ten sind standardisierte (z-transformierte) Durchschnittswerte der standardisierten (z-transformierten) Originalmesswerte. Die Exe-kutive-Parteien-Dimension basiert auf den ersten fünf Merkmalen der Tabelle 2 und die Föderalismus-Unitarismus-Dimension auf den Merkmalen 6 bis 10 dieser Tabelle.

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Abbildung A-1: Der abweichende Fall Frankreich –

Mehrheitsdemokratie und hohe Nettosozialleistungsquote

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Abbildung A-2a: Exekutive-Parteien-Dimension nach Lijphart (2012) und parteipolitische

Zusammensetzung der Regierung – gemessen am Kabinettsitzanteil säkular-konservativer Parteien (1945-2010)

20

Abbildung A-2b: Exekutive-Parteien-Dimension nach Lijphart (2012) und Regierungsbeteiligung

sozialdemokratischer und säkular konservativer Parteien (1945-2010)

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Tabelle A-2: Überprüfung des Lijphart’schen Erklärungsansatz mit Indikatoren der partei-

politischen Zusammensetzung von Regierungen (1945-2010a)

Unabhängige Variablen

Modell 1: Lijpharts Ansatz

Modell 2:

Model 1 + sozial-demokratische

Regierungspartei-en

Modell 3:

Modell 1 + Sozialdemo kratische vs.

säkular-konservative und liberale Parteien

an der Regierung

Modell 4:

Modell 1 + sozialdemokrati-sche vs. säkular-

konservative Parteien an der

Regierung

Interzept

41,28*

38,49*

33,62*

32,51

Human Development In-dex 2010

34,43

32,29

44,10*

44,30*

Population 2009/1000

-0,012

-0,007

-0,008

-0,006

Exekutive-Parteien-Dimension 1945-2010

3,63*

2,63

2,08

1,29

Sozialdemokratischer Kabinettssitzanteil

-

0,17*

-

-

Differenz Kabinettssitz-anteil sozialdemokrati-scher vs. säkular-konservativer und libera-ler Parteien

-

-

0,11*

-

Differenz Kabinettssitz-anteil sozialdemokrati-scher vs. säkular-konservativer Parteien

-

-

-

0,11**

N 34 34 34 34 R² adj. 0,23 0,37 0,39 0,40 Signifikanzniveaus: *** = < 0.01, ** = <0.05, * = < 0.10 Anzahl der Fälle: 34 (fehlende Werte für Bahamas und Barbados) a Zur Homogenisierung des Beobachtungszeitraums wurden alle Variablen über den gesamten Zeitraum von 1945 bis 2010 gemessen. Jahre autokratischer Staatsverfassung wurden bei jedem Regierungsparteienindikator mit 0,0 kodiert.

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1 Bei zukünftigen Updates der Studie würden diesem Selektionsprinzip zufolge mehr als zwei

Dutzend weitere Demokratien hinzukommen, unter ihnen die postkommunistischen Demo-kratien in Mittel- und Osteuropa.

2 Gleichwohl sind die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz berichtenswert:

Deutschland erzielt viel höhere Werte beim Index der Exekutivdominanz und dem Index der richterlichen Nachprüfung von Gesetzen. Allerdings lässt Lijphart erneut (wie schon 1999) einen besonders auffälligen Unterschied außer Acht: die Differenz zwischen der deutschen Repräsentativdemokratie und der schweizerischen Direktdemokratie.

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3 Die kritischen Kommentare zu anderen Teilen des Werkes von 1999 hat er hingegen allzu sehr

ignoriert, beispielsweise Adrian Vatters Anregung, die Direktdemokratie in die Lehre von den Mehrheits- und den Konsensusdemokratien einzubauen (Vatter 2009).

4 Auswertungsbasis wie bei Lijpharts Analysen der Sozial- und der Entwicklungshilfeausgaben

(Lijphart 2012: 290) nur die OECD-Mitgliedstaaten unter den 36 Ländern der Lijphart-Studie. 5 Lijphart hat den Unterschied zwischen der „consensus democracy“ und der „consociational

democracy“ an anderer Stelle wie folgt erläutert (Lijphart 2008a: 8 f.): Die Konsensusdemokratie wird anhand von zehn quantitativ messbaren Indikatoren von eher formal-institutionellen Merkmalen erfasst, die „consociational democracy“ hingegen grün-det auf der qualitativen Identifizierung von vier insgesamt erheblich breiteren, das Informel-le betonenden Komponenten, nämlich große Koalition, Autonomie der Segmente, in welche die Gesellschaft gespalten ist, Proportionalität und Minoritätenrechte. Und während beide Demokratieformen für tief gespaltene Länder in Frage kommen, ist die „consociational de-mocracy“ aus folgendem Grund „die stärkere Medizin“ (Lijphart 2008a: 8 – Übers. d. Verfas-sers): Die „consociational democracy“ verlangt die Einbindung aller wichtiger Gruppen, während die Konsensusdemokratie überwiegend nur Anreize für kooperatives Verhalten setzt (Armingeon 2011: 555).

6 Insoweit reflektiert Kolumbiens Ausschluss aus dem Kreis der etablierten Demokratien bei

Lijphart (2012) auch die Grenzen eines zuvor als demokratisch bzw. konkordanzdemokratisch eingestuften Falles (Lijphart 1984, 1999, 2008b: 29).

7 Gleiches gilt im Übrigen für liberale Parteien – nicht zuletzt ein Effekt des Verhältniswahlsys-

tems in den Konsensusdemokratien. 8 Zum gleichen Ergebnis führt die Überprüfung von Lijpharts Daten bei zwei weiteren Indikato-

ren: dem Budgetdefizit (2003-2007) und den Ausgaben für Entwicklung und Zusammenar-beit. Die übrigen Output- und Outcome-Indikatoren der Lijphart-Studie werden von dem hier erörterten Sachverhalt allerdings nicht berührt. Datenbasis: Lijphart 2012: 304-309 sowie die Policy Output und Outcome-Daten von Lijpharts Website beim Department of Political Science, University of California, San Diego (Abruf Anfang Januar 2013). Die Indikatoren der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierungen entstammen einer vom Verfasser ge-führten Datenbank. Zur Definition und Messung der Parteifamilien siehe Schmidt (1996) und Schmidt (2010a).