Supply Chain Management / Logistik. Vorlesung · organisatorische Unterschied ist auch, das...

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2018 Andreas Logistik Grundlagen 2 26.05.2018 Supply Chain Management / Logistik. Vorlesung

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2018

Andreas

Logistik Grundlagen 2

26.05.2018

Supply Chain Management / Logistik. Vorlesung

Supply Chain Management/Logistik. Vorlesung Studiengang Wirtschaftsingenieur Elektrotechnik

Andreas Seidel | 2018 | [email protected] 1

Inhalt Standardisierung (1) ................................................................................................................................. 2

Europalette ............................................................................................................................................. 2

Wirtschaftliche Bedeutung der Europalette .................................................................................. 4

Seecontainer (ISO-Container) ........................................................................................................... 5

Wechselbrücken ................................................................................................................................... 7

Transportlogistik ....................................................................................................................................... 8

Lizenz ........................................................................................................................................................... 9

Anlage: Logistik im Stau. Managerismus Denkzettel 52 ................................................................. 9

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Logistik. Grundlagen 3

Standardisierung (1)

Eine grundlegende Anforderung an einen effizienten Warenfluss ist eine Standardisierung, d.h. die Kompatibilität der eingesetzten Sachmittel

1. Hier wird dies beispielhaft an den

beiden zentralen Ladungsträgern der Euro-Palette und dem Standard-Seecontainer erläutert

Europalette

Die Europalette hat im innereuropäischen Warenverkehr, aber auch in der Auslegungen von Lagereinrichtungen und Verkehrsträgern. Bei der Europalette handelt es sich um eine Mehrweg-Holzpalette, neben dem Grundmaß von 60 x 120 cm, ist sie von den Aufbaumaßen (siehe Folien 4 und 5) detailliert spezifiziert, dies gilt auch für die Güte des verwendeten Holzes und der Gebrauchszustände – so müssen z.B. reparierte Paletten mit einem speziell signierten Nagel gekennzeichnet werden. Dazu gehören auch die eingebrannten Kennzeichnungen EPAL und EUR. Produktion und Wartung dürfen aus Gründen der Qualitätssicherheit nur von lizensierten Betrieben durchgeführt werden.

Qualitätsunterschiede

Man unterscheidet beim Europaletten-Tausch verschiedene Arten der Qualität, die für den jeweiligen Versender ausschlaggebend sind:

Neue Europalette

Direkt vom Hersteller an den Kunden geliefert. Üblich in der Lebensmittelindustrie sowie bei Arzneimitteln und sonstigen gegen Verschmutzung empfindlichen Waren.

Neuwertige Europalette

Europalette, die in höchstens zwei Tauschvorgänge involviert war. Üblich bei Industriebetrieben, die ihre Verpackungsmaschinen auf Europaletten genormt haben. Unter anderem dürfen hier keine Holzsplitter von der Europalette abstehen oder fehlen.

Gebrauchte/tauschfähige Europalette

Europalette, die aufgrund häufiger Benutzung bereits einige Mängel aufweist, etwa dunklere Holzfärbung oder kleine Absplitterungen. Diese Art wird bei den meisten Firmen und Speditionen benutzt.

Verbrauchte/nicht mehr tauschfähige Europalette

Bezieht sich auf eine verfaulte oder kaputte Europalette.

Reparierte Europaletten

1 Dies gilt analog für die Informationsflüsse, was im weiteren Verlauf der Vorlesung Thema wird

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Nicht mehr tauschfähige Europaletten werden von eingetragenen und von der EPAL lizenzierten Betrieben repariert. So reparierte Europaletten fallen wiederum in die Kategorie gebraucht/tauschfähig. Erkennen kann man reparierte Europaletten an einem runden Nagelsiegel im Mittelklotz, der ausschließlich von der EPAL vergeben wird.

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Dem Einsatz liegt ein Poolsystem zugrunde, wer Güter auch Europaletten liefert, muss darüber einen Nachweis führen und hat dann den Anspruch über das Poolsysteme Paletten gleicher Güte im Tausch zurück zu erhalten. Die Güte der Paletten hat eine große praktische Bedeutung, so werden in automatischen Hochregallagern in der Regel nur Neupaletten akzeptiert, dies einerseits aus der Sicht der Anlagensicherheit aber auch der Sauberkeit, Abrieb und Kontamination von gebrauchten Paletten können nicht nur Sensoren, Antriebs- und mechanische Teile belasten (Anlagenwartung), auch die eingelagerte Güter sollen nicht verstauben/verschmutzen.

Die Standardisierung des Ladehilfsmittels Palette hat dann eine Vielzahl von praktischen Auswirkungen, alle Systemmaße für Lagereinrichtungen, Fördertechnik einschließlich der Abmessungen der Ladeflächen von LKW sind standardmäßig auf das Europalettenmaß ausgelegt.

Neben dem Europaletten-System hat sich ein zweites, das Chep-Poolsystem etabliert, das auf Kunststoffpaletten basiert, wobei die technischen Abmessungen übernommen wurden. Der Vorteil der Kunststoffpalette liegt z.B. in Hygieneaspekten. Der wesentliche organisatorische Unterschied ist auch, das Europalettensystem basiert auf einem breiten Netzwerk, das Chep-System wird ausschließlich von dem gleichnamigen Unternehmen betrieben.

Eine organisatorische Standardisierung besteht in den CCG3-Normen. Paletten nach CCG

1 Standard dürfen eine maximale Ladungshöhe von 1050 mm, nach CCG 2 Standard max. 1950 mm haben. Auch dies dient der optimierten Auslastung im Transport- und Lagerbereich. So werden in automatischen Hochregallagern, aber auch in konventionellen Lägern besonders im Lebensmittel- und Konsumgüterbereich die Standardfachhöhen am CCG 1-Standard festgelegt, um eine optimale Raumauslastung des Lagerraumes zu erreichen.

Insbesondere in der chemischen Industrie hat sich die sogenannte Industrie-Palette mit der Abmessung 100 x 120 cm durchgesetzt.

Andere Poolsysteme im europäischen Rahmen durchzusetzen, ist an der Marktdominanz dieser Marktkonstellation bisher gescheitert.

Der Einsatz nicht-standardisierte Paletten, sogenannte Einweg-Paletten, aber teilweise noch bei Import-Produkten üblich, soweit diese nicht umgepackt werden, werden diese in 2 Quelle: Wikipedia-Stichwort „Europoolpalette“, Stand

3 CCG = Centrale für Coorganisation, Köln, heute Global Standard One, Germany = GS1. Die CCG wurde

als Normungsinstitut für logistische Prozesse des Einzelhandels gegründet, hat aber auch Bedeutung für andere Branchen wie Gesundheit/Arzneimittel, Automobil, Maschinen- und Anlagenbau. Dazu gehören unter anderem die Standardisierung von Barcode- (EAN) und RFID-Anwendungen und die Schaffung von digitalen Standards in der Übertragung von logistischen Informationen. Die Angliederung an die weltweit tätige GS1-Organisation trägt der Notwendigkeit der Abstimmung internationaler Standards durch die Globalisierung der Versorgungsketten Rechnung.

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der Praxis meist auf Normpaletten gestellt, um eine technisch reibungslose Abwicklung zu gewährleisten. Ein typisches Problem von solchen Paletten ist oft schon, dass sie nicht ohne weiteres von Gabelstablern oder Hubwagen aufgenommen werden können und damit eine reibungslose Abwicklung behindern. Darüber hinaus kommen Einwegpaletten insbesondere dann zum Einsatz, wenn die technischen Grundmaße eines Produktes die Stellfläche einer Normpalette überschreiten.

Wirtschaftliche Bedeutung der Europalette

Die Produktion von Europaletten ist in Deutschland 2017 um ca. 7 Mio. Stück gegenüber 2016 auf über 110 Mio. gesteigert worden. Bedenkt man, dass diese Paletten für eine Mehrfachverwendung ausgelegt sind, zeigt dies deutlich als indirekter Indikator die Zunahme der Güterproduktion. Praktisch hat die aktuelle Situation zur Folge, dass die Nachfrage aktuell kaum noch bedient werden kann, weil auch der Markt für gebrauchte Paletten gegenwärtig praktisch leer ist.

Die Produktion durch die lizensierten Betriebe stößt dabei zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Die Erweiterung der Anlagen, stößt auch an die Grenzen der Maschinenhersteller. Gegenwärtig geht man davon aus, dass der Zeitraum von Bestellung bis zur Inbetriebnahme ca. 2 Jahre beträgt. Der Import aus Nachbarländern ist zudem auch rückläufig, weil dort die Fertigungskapazitäten mit der Produktion für die heimischen Märkte ausgelastet sind. Ein anderes grundlegendes Problem ist eine zunehmende Knappheit des Rohstoffes Holz. Dies liegt einerseits an Witterungsbedingungen im Jahr 2017. Andererseits an dem gesamten ökonomischen Umfeld durch einen generellen globalen Aufschwung. Besonders China (wo in den vergangenen Jahrzehnten eine massive Abholzung stattgefunden hat) und die USA kaufen massiv europäische Hölzer auf um ihre eigenen Waldbestände zu schonen.

Quelle. Welt online4

4 Carsten Dierig: Europaletten-Mangel zeigt Wahnsinn des deutschen Aufschwungs, 11.01.2018,

https://www.welt.de/wirtschaft/article172375497/Europaletten-Mangel-zeigt-Wahnsinn-des-deutschen-Aufschwungs.html

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Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich einen Fall, wie wir mit Logistik nicht als betrieblicher Funktion sondern als volkswirtschaftlicher Gesamtfunktion an Grenzen stoßen. Gleiches gilt auch für den Ausbau der Verkehrssysteme, die Nutzung von Wirtschaftsflächen oder den Energieverbrauch und die Schadstoffbelastung durch Logistik, die insbesondere im weiterem unter dem Thema Nachhaltigkeit behandelt werden.

Der Neuwert eine Europalette beträgt gegenwärtig ca. 10 Euro. Geschätzt sind gegenwärtig in Deutschland über 500 Millionen Paletten im Umlauf. Dies bedeutet, dass hier hinter der eigentlichen Güterlogistik ein eigenständiges komplexes Logistiksystem betrieben wird, das alleine der Bereitstellung von Ladungsträgern dient.

Diese sekundären logistischen Systeme – wie auch im Fall des anschließend vorgestellten Seecontainers – gewinnen immer mehr systembestimmende Schlüsselfunktionen in logistischen Netzwerken und wirken unmittelbar auf betriebliche logistische Systeme und Logistikketten. Dies bedeutet auch, dass operative betriebliche Entscheidungen mit übergeordneten Systemen rückgekoppelt werden müssen.

Seecontainer (ISO-Container)

Die Einführung des ISO-Containers ist ein wesentlicher Faktor für die Globalisierung der Güterströme. War früher für die Be- und Entladung eines Stückgutfrachters eine Liegezeit von ein bis zwei Wochen in einem Hafen erforderlich, können moderne Containerschiffe eine wesentliche höhere Gütermenge mit einem Tag Liegezeit umschlagen.

Die gängigsten Größen sind der 20 und der 40 Fuss Container. In der allgemeinen Klassifizierung von Güterströmen wird üblicher Weise von TEU (Twenty Foot Equivalent Unit) gesprochen. Ein 40‘ Container entspricht somit 2 TEU. Der Neuwert eines solchen 40‘ Containers entspricht ca. 4.500 Euro, wobei der jeweilige Stahlpreise und die jeweilige Nachfragesituation zu starken Schwankungen führen können. Neben den Standardcontainern für Stückgut gibt es spezialisierte für Kühltransport und für flüssige oder gasförmige Stoffe.

Da die ISO-Container nicht dem europäischen Palettenmaß entsprechen, werden sie hier nur im Transport für die Zu- oder Abführung von den Seehäfen verwendet.

Jeder Container ist mit einer weltweit eindeutigen Nummer versehen, die eine jederzeitig Identifizierung ermöglicht.

ISO6346 konforme Containernummer

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Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung des Containerumschlags an deutschen Seehäfen.

Containerumschlag deutscher Seehäfen. Quelle: Statistisches Jahrbuch 2017

Im Verhältnis dazu stehen die Zahlen für den weltweiten Containertransport inc. Prognose bis zum Jahr 2020. Die relative Stagnation der deutschen Containermengen nach dem Einbruch mit einer europaweiten Umverteilung zwischen den Seehäfen zu tun. So baut z.B. China den von ihm in Griechenland erworbenen Hafen Thessaloniki, einschließlich dem Aufbau einer Hinterlandbahnstrecke systematisch zum zentralen europäischen Zugang aus, was zu einem signifikanten Zeitvorteil führt.

Banken-krise

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Quelle: Statista

Die hier dargestellten Prognosedaten müssen aber auch kritisch hinterfragt werden, weil sie von einer linearen Fortschreibung von Vergangenheitswerten und –prämissen ausgehen. Gegen diese Prognosen spricht z.B. ein Trend in vielen Industrieländern, Produktionen in ihre Ursprungsländer zurückzuholen und andererseits ein Trend global verteilt lokale Produktionen aufzubauen, die nicht nur als Zulieferer agieren, sondern mit hoher Wertschöpfungstiefe Produkte für die lokalen Märkte herstellen.

Den Prognosen liegen oftmals noch solche Annahmen zugrunde wie die Anfang 2013 von der amerikanischen Beratungsgesellschaft McKinsey formulierte Vorschau: »Merely to keep up with projected global growth through 2030, it will be necessary to spend $57 trillion on roads, bridges, ports, and the like - more than the total estimated value of today’s infrastructure.«

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Heute zeichnet sich stattdessen eine Tendenz ab, statt immer mehr in den Güterverkehr in intelligente Produktionsverfahren und –netzwerke zu investieren, die die Notwendigkeit zum Transport immer größerer Gütermengen reduzieren.

Wechselbrücken

Eine Adaption des ISO-Container-Konzeptes auf die Anforderungen des europäischen Binnenverkehrs stellen die sogenannten Wechselbrücken dar, die eine räumliche und zeitliche Entkopplung der Transportladungsträger von den eigentlichen Fahrzeugen ermöglichen. Durch ausklappbare Standfüße können sie in passender Höhe an Laderampen aufgestellt werden, so dass eine normale Be- und Endladung jederzeit

5 McKinsey Quarterly, March 2013 Newsletter-More infrastructure for less, per Email am 11. März 2013,

die Summe entspricht nach aktuellem Stand ca. 50 Billionen Euro

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möglich ist. Für größere Umschlag- und Lageranlagen gibt es zudem spezielle Umsetzfahrzeuge, die die Wechselbrücken zwischen Laderampen und Bereitstellplätzen verfahren können.

Diese Technik wird insbesondere für die Systemverkehre im Bereich des Stückgutes und der Paketdienste eingesetzt. Neben der Entkoppelung von den Transporteinheiten ermöglicht dies auch den kompletten Tausch von ganzen Ladeeinheiten zwischen Transporteinheiten, ohne dass ein Umladen erforderlich wird.

Insbesondere ist der Einsatz von Wechselbrücken auch bei bimodalen Verkehren von Bedeutung. Bimodal bedeutet hier den Wechsel des Verkehrsträgers Straße im Nahverkehr zum Verkehrsträger Bahn im Fernverkehr. Güter werden also nur über Kurzstrecken bis zum Umschlagbahn mit dem LKW gefahren und am Zielbahnhof wieder in Kurzstrecke mit dem LKW bis zum Bestimmungsort. Einer der zentralen Umschlagplätze in der Region ist Köln-Eifeltor, über den z.T. Ganzzüge mit Wechselbrücken abgewickelt werden.

Transportlogistik

Die Transportlogistik erfüllt die Funktion der Raumüberbrückung im Logistikprozess. Die letzten Güterverkehrsprognosen gehen von einer Zunahme von über 40 % im Zeitraum 2010 bis 2030 in Deutschland aus. Dies ist alleine deshalb auch bezeichnend, weil Deutschland in der Binnenstruktur ein weitgehend gesättigter Markt ist, d.h. der Güterverbrauch pro Kopf der Bevölkerung schon seit Jahren nicht mehr signifikant steigt (sieht man von Sonderbereichen wie etwa Smartphones ab, die aber mit Blick auf das Verkehrsvolumen keine Rolle spielen). Die Zunahme liegt auch nur bedingt in der anhaltenden Exportstärke der deutschen Wirtschaft begründet. Eine der Ursachen ist allerdings der Umstand das Deutschland durch seine geographische Lage ein wesentliches Transitland ist, d.h. Waren, die nicht für den deutschen Markt bestimmt sind durch Deutschland hindurch transportiert werden.

Wesentliche weiterer Grund ist hier die veränderten Produktionskonzepte im Rahmen von → Supply Chain Strategien, die bewirken, dass der Anteil der Zwischenprodukte zwischen räumlich weit verteilten Fertigungsstandorten transportiert werden müssen. Gleichzeitig führen auf Reduzierung von Beständen abzielende Strategie zu höheren Lieferfrequenzen.

In der Güterverkehrsprognose fließt quantitativ nur mit einem geringen Teil, das massive Wachstum durch das durch die Tendenz zum Online-Shopping ein, dass sich aber besonders auf das Verkehrsaufkommen in den städtischen Zentren deutlich auswirkt.

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Lizenz

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Von Andreas Seidel

Der Befund ist augenscheinlich: Rund um die Uhr reiht sich LKW an LKW auf den

Autobahnen, nachts quellen die Rasthöfe über, weil die Fahrer ihre Ruhezeiten einhalten

müssen. Bei einer Wachstumsprognose des Güterverkehrsvolumens von ca. 40 % zwischen

2010 und 2030 ist auch kein Ende dieser Entwicklung absehbar. Das Problem ist nicht neu.

Kurz vor der Finanzkrise von 2008, die auch die Realwirtschaft in die Knie gezwungen hat,

wurde vor dem Kollaps der Verkehrswege gewarnt. Daraus gelernt hat niemand.

Gleichzeitig müssen wir uns klar machen, dass wir im Kern in einer Gesellschaft mit

überwiegend gesättigten Bedürfnissen leben, dass wir – abgesehen von dem Hype um das

jährlich neuste Smartphone – nur noch marginal mehr konsumieren.

Was sich in der Vergangenheit tatsächlich verändert hat, ist eine allgemeine Reduzierung

der Wertschöpfungstiefen und ein zunehmender Trend zum Onlinehandel, die zusammen

für eine drastische Verkehrszunahme sorgen.

Supply Chain Konzepte mit Systemfehler

Ein wesentlicher Grund für den so stark wachsenden Verkehr ist in dem zentralen Prinzip

des Supply Chain Managements (SCM) zu sehen, das auf die Verringerung der

Fertigungstiefe setzt. Vordergründig geht es um die Ausnutzung von

Produktionskostenvorteilen (Personalkosten) an „billigeren“ Standorten.

Oft geht es nur um die Reduzierung der im eigenen Unternehmen gebundenen

Investitionen. Dies wirkt sich vor allem in Bilanzkennzahlen wie Return on Capital

Employed (ROCE) aus und wird immer wieder für die Ausgliederung von „produktiven“

Unternehmensteilen angewendet. Je weniger Personal und gebundenes Kapital dem

Umsatz gegenüber stehen, desto höher die Kapitalmarktattraktivität.

Da in diesem bilanztechnisch begründeten Verhalten die Sicht auf operative

Transportkosten nur nachgeordnete Bedeutung hat, wurden Ausgliederungen mit zum Teil

höherem Transportaufwand in Kauf genommen. Kostenerhöhungen durch längere Wege

wurden häufig bewusst klein gerechnet, was dem operativen Transportmanagement oft

bitter auf die Füße gefallen ist. Denn dieses wird nach steigenden und nicht einholbaren

operativen Kosten bewertet, nicht nach Bilanzkennzahlen.

Auch wo es um die Verlagerung aus Produktions-/Personalkosten geht, ist immer wieder

festzustellen, dass in den Methoden bzw. Simulationstools zur

Wirtschaftlichkeitsberechnung Transportkosten nur vereinfacht und mit unrealistisch

optimistischen Werten berücksichtigt werden, während innerbetriebliche Faktoren

hochakribisch einfließen.

Was nun in der ursprünglichen Einzelbetrachtung vielleicht noch zu einem klaren Nutzen

geführt hat, ist aber, seit diese Art Supply Chain-Konzepte massenhaft kopiert eine

Sogbewegung ausgelöst haben, ins Gegenteil verkehrt. Transport wurde zu einer knappen

und kostensensitiven Dienstleistung. Die Folge war, dass man die Konzepte zur

Kostensenkung als Druck auf die Logistikbranche weitergegeben hat, die dies bereitwillig

aufgenommen hat. Die Folgen sieht man in der dramatischen Zunahme von im Verkehr

sichergestellten Schrott-LKW und vor allem auch in den prekären

Beschäftigungsverhältnissen meist osteuropäischer Fahrer.

Die Formel für viele Supply Chain-Entscheidungen, dass Transport nichts kostet, geht nicht

mehr auf. Die Logistikbranche hat den Kostendruck zunehmend an osteuropäische

Subunternehmer weitergegeben, die nun wiederum mit Subunternehmern arbeiten. Die

großen Logistikkonzerne wie DHL haben zwar Vertragsbedingungen festgelegt, die

Mindestlohn und Sozialbedingungen gewährleisten sollen. Auf die Umsetzung wird aber

nicht so genau geschaut. Mit einem Mindestmaß an betriebswirtschaftlichem Verständnis

kann man wissen, dass die mit den Subkontraktoren ausgehandelten Verträge am Ende der

Kette nur noch prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen.

Die Transportbranche nimmt billigend Verschleiß in Kauf. Selbst hart gesottene Logistik-

Manager in der Industrie, die noch vor wenigen Jahren mit dem Argument „es gibt ja noch

genügend andere auf dem Markt, wenn meine Dienstleister in Konkurs gehen“ ruinöse

Konditionen durchgesetzt haben, sehen diese Alternative nicht mehr.

In einem ganz entscheidenden Punkt könnte dieses System jetzt aber auch brechen. In

einem Musterprozess gegen die DHL klagt eine Gruppe von Sub-Sub-Dienstleistern

Vergütungen ein, die ihnen von den direkten Vertragspartnern der DHL verwehrt werden.

Nach geltendem EU-Recht ist so eine Klage gegen den Hauptunternehmer, also hier die

DHL, wenn Mindestlöhne und Sozialvorschriften unterschritten werden, zulässig. Sollte sie,

was abzusehen ist, erfolgreich sein, ist eine Kettenreaktion zu erwarten.

Supply Chain-Kosten werden auf die Allgemeinheit abgeladen

Die Kosten für Produktionsverlagerungen und die Bilanzoptimierung werden der

Allgemeinheit auferlegt, indem Verkehrswege, Rastplätze, Häfen und Flughäfen massiv

ausgebaut und immer mehr Flächen für logistischen Umschlag als Bauland bereit gestellt

werden. Das fordert die die Bundesvereinigung Logistik in einem offenen Brief an die

Bundesregierung anlässlich ihres Jahreskongresses im Oktober 2017. Verkehrswegeplanung

und -umsetzung ist aber bekanntlich ein Prozess von Jahrzehnten.

Gleichzeitig gilt, dass der Verbrauch von Neuflächen für Bebauung (Straßen, Gewerbe,

Wohnen) viel zu hoch ist. Die Bundesregierung hat sich in die Pflicht gesetzt, die

Neuerschließung von ca. 74 ha pro Tag zu halbieren, die EU hat eine Reduzierung auf null

gefordert. Auch wenn diese Ziele gegenwärtig missachtet werden, wird bald mal in den

verkehrsstarken Ballungsgebieten Schluss sein mit neuem Bauland.

Online-Handel verschärft das Logistikproblem

Die geschilderten Probleme betreffen im innerstädtischen Verkehr auch den stark

wachsenden Online-Handel. Gegenwärtig entwickelt man dort Vorstellungen von

innerstädtischen Mikro-Logistikzentren, um die Zustellung möglichst durch Fahrradkuriere

auf der letzten Meile sicherzustellen (u.a. der Vorschlag der Bundesvereinigung Logistik).

Wie aber schon bei der Vorstellung der Flugdrohnen, bzw. erdgebundenen Zustellrobotern

als Zukunft der Paketbelieferung stellt sich die Frage der Umsetzung. Angesichts von rund

drei Milliarden zugestellter Paket- Express- und Kuriersendungen, wie viele Fahrradkuriere

will man einsetzen?

Ähnlich wie bei Drohne und Roboter wird mit jeder Fahrt nur ein Paket oder es werden nur

wenige kleine Pakete zugestellt werden können, wofür jedes Mal Rückfahrten ausgelöst

werden Und wie viele Pakete passen wegen Abmessung oder Gewicht jeder zu Fahrrad,

Drohne oder Roboter? Dafür müssen dann immer noch konventionelle Lieferfahrzeuge auf

die Straße (abgesehen von Faktoren wie schlechtes Wetter, das den Einsatz von Drohnen

oder Robotern faktisch unmöglich machen würde, wie auch Restriktionen wie fehlende

Landeplätze für Drohnen, für Roboter blockierte Gehwege durch Kinderwagen, abgestellte

Fahrräder, Mülltonnen oder abgestellte Fahrzeuge, etc.). Die deutsche Baubranche hat

Anfang dieses Jahres das absehbare Ende des Baubooms in den Innenstädten angekündigt,

weil schlicht der Platz für Neubauten fehlt. Wo sollen da die Mikro-Logistikzentren

entstehen? Innenstädte allein nach den Vorstellungen der Logistikbranche zu entwickeln,

Fußgänger, die auf den Gehwegen Platz machen müssen für ein Heer von Zustellrobotern,

all dies stellt den Servicegedanken der Logistik auf den Kopf.

Das Problem mit den Sozialbedingungen findet sich zunehmend auch in der Kurier-

Express-dienst (KEP). Berichte, dass Fahrer in ihren Fahrzeugen oder in Gruppen in

Lagerhallen übernachten, weil sie nach der Zahl ausgelieferter Pakete und nicht nach

Mindestlohn und geregelten Arbeitszeiten bezahlt werden, sind keine Ausnahme mehr.

Auch dies geschieht unter den „wegsehenden“ Augen großer Paketdienstleister. Eine Ende

2017 von WDR durchgeführte Reportage zu diesem Thema führte prompt zu

umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Razzien.

Die KEP-Branche hat Ende 2017 deutliche Preiserhöhungen, insbesondere für die

Haustürbelieferung angekündigt. Wenn wir uns aber Pakete wieder selbst abholen müssen,

wo bleibt dann der Vorteil gegenüber dem Einkauf im stationären Handel? Gegenwärtig

erleben wir einen Verdrängungswettbewerb des Online-Handels, gleichzeitig erleben wir

aber auch, dass dieser vor allem im Präsenzhandel zerstörtes Terrain zurücklässt und sich

Amazon z.B. in großen Flächen wieder aus der Lebensmittelbelieferung zurückzieht, weil

diese nicht lukrativ genug ist. Übertriebenes Ego, gekoppelt mit einem Überschuss an

verfügbarem Kapital, das ohne langfristiges Verantwortungsbewusstsein alles nach dem

bloßen Prinzip von Versuch und Irrtum auszuprobieren meint, ist keine gesellschaftliche

Option.

Digitalisierung des Transports ist keine Lösung

Die vielfach geäußerte Erwartung, dass Digitalisierung die Lösung der Probleme bringt,

kann man zur Seite legen. In der Transportplanung, insbesondere der Auslastung von

Frachtraum, gibt es nur noch marginale Spielräume, Die Vorstellung, dass es noch Potenzial

zur Kostensenkung, gibt, ist zum großen Teil illusorisch. Auch technische Lösungen wie

Drohnen und Roboter, die sicher für eng begrenzte Nischen einen Fortschritt darstellen,

lösen das Grundproblem nicht. Dies gilt genauso für das so genannte Platooning, LKW-

Konvois, die über elektronische Steuerung miteinander verkoppelt sind, um normale

Mindestsicherheitsabstände auf Autobahnen zu unterschreiten, den Verkehr so zu

verdichten, was alleine schon bei der hohen Dichte von Autobahnausfahrten in

Deutschland zu einem Problem wird. Wie soll ein normaler PKW noch abbiegen können,

wenn zukünftig nicht nur zwei sondern fünf oder zehn LKW miteinander gekoppelt sind?

Solange Waren nicht gebeamt werden können, bleibt nur der physische Transport. Da

macht auch die Möglichkeit des 3D-Drucks keine Ausnahme, von dem vor nicht allzu

langer Zeit noch die Fantasie ausging, er würde die Produktion zu uns nach Hause holen.

Umdenken ist dringend notwendig

Die Politik kann den Forderungen der Wirtschaft nach einem Ausbau der Verkehrswege

natürlich folgen. Aber soll sie es überhaupt? Gemessen an den Zeithorizonten für

Infrastrukturvorhaben und den gesellschaftlichen Widerständen gibt es keine kurzfristige

Perspektive. Die Zukunft der Mobilität, - gleich ob im Güter- wie im Personenverkehr -

kann nicht länger Mehr vom Gleichen bedeuten. Regulativ kann die Politik zwar durch

Mauterhöhungen und -ausweitungen (z.B. zusätzliche Citymauts wie in London) reagieren,

genauso wie eine konsequente Anwendung von Sozialvorschriften, die momentan

offensichtlich vor allem bei den Gerichten liegt.

Die Lösung für die Anforderungen an die Supply Chains liegt nicht in der Optimierung des

Transportes. Potential liegt in der Industrie 4.0. Dabei geht es aber nicht so sehr um den

technischen Aspekt als um grundlegende Wirkungen auf das Sourcing und die

Wertschöpfungstiefe. Mit der Vorstellung, die „Time to Market“ durch Digitalisierung zu

reduzieren, wird nur das Ziel ins Auge gefasst, nicht aber die Quellen der Supply Chains. In

diesem Denken sind lange Transportstrecken, die meist auch mit einer zeitlichen

Mengenaggregation (z.B. ein voller Container aus Fernost) einhergehen, kontraproduktiv.

Die Beratungsbranche hat bislang das SCM als den Lösungsansatz angepriesen. Im

gegenwärtigen Digitalisierungsboom wird generell zu kurzfristig gedacht. Es kommt jedoch

darauf an, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren, nicht nur die Strecke von der

Produktion zum Endkunden. Auch das SCM mit neuen Planungstools auszustatten, greift

zu kurz.

Gerade in Verbindung mit Industrie 4.0-Konzepten verliert das Thema

Losgrößenoptimierung gegenüber dem Aspekt Time zu Market an Bedeutung. Dies spricht

für marktnahe Produktionscluster, in der auch Zulieferketten mit kleinen Stückzahlen

schnell reagieren können. Gleichzeitig verlieren globale Personalkostenvorteile an

Bedeutung. Zum Beispiel hat sich das Lohnkostenniveau in China im Produktionsbereich

dem der USA weitgehend angenähert. Neuerdings finden sich regelmäßig Berichte über

US- und europäische Unternehmen, die aus diesen Gründen Produktionen zurückholen und

Endproduktionen in Wachstumsländern aufbauen. Beispiele sind das neue Halbleiterwerk

von Bosch in Sachsen, ein neues Wilo-Pumpenwerk in Dortmund oder die neue

Schuhfabrik von Adidas in Franken, wo das Unternehmen nach Jahrzehnten erstmals

wieder Schuhe in Deutschland produziert, bei Bedarf auf Kundenwunsch gefertigt und

schnell lieferfähig. Solche Standortentscheidungen verändern dann die die gesamte

Lieferkette.

Die Politik muss im weiten Feld der Logistik wieder aktiver werden. Dazu gehören in jedem

Fall regulatorische Maßnahmen, die auch durchgesetzt werden müssen: Arbeitsverhältnisse

auf ein zufriedenstellendes Niveau bringen, Kostengerechtigkeit bei der Nutzung der

Infrastruktur durch Straße und/oderSchiene und eine Verlagerung auf umweltfreundliche

Verkehre fördern. Und in der Industrie sollten vermehrt Konzepte wie Cluster, Plant in Plant

zum Zuge kommen.

Das Management sollte sich verstärkt für kooperative Lieferantenbeziehungen einsetzen,

weil auf diese Weise Kosten optimiert und Ressourcen besser genutzt werden können. Im

Handel sollten vermehrt kreative, dezentrale und mit den Kommunen und Regionen

abgestimmte Lösungen getestet werden. Verbraucher sollten über entsprechende

Kostenbeteiligung zu einem überlegteren Bestellverhalten angehalten werden.

Mit Blick auf Umweltbelastung, Flächenverbrauch und erhaltenswerte Strukturen in Stadt

und Land ist vorausschauendes Handeln in der Logistik zu einer Pflicht für Politik und

Wirtschaft geworden. Die Grenzen des Wachstums der Logistik sind nicht mehr zu

übersehen.

Andreas Seidel, März 2018

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