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Neuromarketing – Nutzen und Potenzial im E-Commerce Die Entdeckung des Einflussfaktors Mensch Verfasser Roger Schnider Frohburgstrasse 325 8057 Zürich [email protected] Zürich, 5. August 2010 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement Vertiefungsarbeit Strategie & Management

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Neuromarketing – Nutzen und Potenzial im E-Commerce Die Entdeckung des Einflussfaktors Mensch

Verfasser Roger Schnider Frohburgstrasse 325 8057 Zürich [email protected]

Zürich, 5. August 2010

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Neuromarketing – Nutzen und Potenzial im E-Commerce Die Entdeckung des Einflussfaktors Mensch Verfasser Roger Schnider Frohburgstrasse 325 8057 Zürich [email protected]

Geburtsort Zürich

Beteiligte Firma Carpathia GmbH E-Business und E-Commerce Beratung Thomas Lang Geschäftsführer

Betreuer Urs Guggenbühl Leiter Innovationszentrum IZSG

Schule FHS St. Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Weiterbildungszentrum Technik Tellstrasse 2 9001 St. Gallen

Studiengang MAS in Corporate Innovation Management (MAS CInM, Nr. 250402)

Abgabetermin 9. August 2010

Zürich, 5. August 2010

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Vorwort

Die Aufgabe, die ich für meine erste Vertiefungsarbeit vorgeschlagen habe, ist eine Knacknuss – das wurde mir im Laufe meiner Arbeit immer mehr bewusst. Ich konnte mich in die kontrovers diskutierte und deshalb auch faszinierende Thematik des Neuromarketings vertiefen. Gleichzeitig habe ich den Versuch unternommen, Erkenntnisse aus dem Neuro-marketing mit dem Online Shopping zu verknüpfen.

Der Cartoon gibt die etwa 300 investierten Stunden auf dem Weg zum nun vorliegenden Resultat und meine Gemütslage treffend wieder. Seriös verstandenes Neuromarketing lässt keine oberflächliche Betrachtung zu. Wer einfache Lösungskonzepte propagiert, öffnet Fehl-deutungen und Missverständnissen Tür und Tor und weckt überzogene Erwartungen. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich das Vorgehen einer breiten Auslegeordnung gewählt. Heute sollte ich Potenzial und Nutzen von Neuromarketing, aber auch die berechtigten Kritikpunkte ausgewogen beurteilen können.

Die Ziele, die ich mir für meine erste Vertiefungsarbeit gesteckt hatte, habe ich nach meinem Empfinden erreicht: Erstens vermittelt meine Arbeit einen Überblick über den Bereich Neuro-marketing, und zweitens konnte ich herausarbeiten, wie die Hirnforschung und ihre Erkennt-nisse im E-Commerce nutzbringend verwendet werden können.

Die Carpathia Consulting GmbH als beteiligte Firma sowie ich in meiner Tätigkeit bei der Firma Webcraft GmbH (Betreiber des Online Shops www.supermagnete.com) wollen erfahren, welche Bedeutung Neuromarketing für den wichtigen Prozess der Conversion Rate Optimization (CRO) haben kann. Der Carpathia-Gründer und E-Commerce-Spezialist Thomas Lang soll zudem eine Grundlage für den strategischen Entscheid erhalten, Aspekte aus dem Neuromarketing in die Beratungsleistungen zu integrieren.

Mein Dank geht an Urs Guggenbühl für das Begleiten meiner Vertiefungsarbeit. Namentlich erwähnen möchte ich auch Thomas Lang und André Morys. Viele interessante Gedanken-anstösse insbesondere für den zweiten Teil meiner Arbeit habe ich von André Morys und der Firma Web Arts AG erhalten. Herzlichen Dank für Euren Input.

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Management Summary

Begründet Neuromarketing ein neues Zeitalter? Bringt der vermeintliche Blick ins Hirn der Kunden Erkenntnisse, die Marktforschung und Marketing in eine neue Ära führen? Welches Potenzial steckt hinter dem Schlagwort «Neuromarketing»? Werden damit einfach nur über-rissene Erwartungen geweckt?

Die vorliegende Vertiefungsarbeit nimmt einerseits eine Standortbestimmung des noch jungen Forschungsfeldes Neuromarketing vor. Andererseits versucht sie aufzuzeigen, wie die Hirnforschung und ihre Erkenntnisse auch im E-Commerce nutzbringend eingesetzt werden können.

Neuromarketing ist mehr als eine Modewissenschaft. Die Forschungsdisziplin versucht seit über zehn Jahren, Methoden und Erkenntnisse aus der Hirnforschung auf marketingrele-vante Fragen zu übertragen. Dank den Fortschritten in der Hirnforschung ermöglicht Neuromarketing erstmals, Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse im Gehirn des Konsumenten während dem Kauf besser zu verstehen. Was sind die Konsequenzen? Befinden wir uns damit auf dem Weg zum gläsernen Kunden, der von Marketingstrategen nach Belieben beeinflusst werden kann? Das sind durchaus berechtigte Ängste, die auch ethisch-rechtliche und moralische Fragen aufwerfen.

Seriöses Neuromarketing erlaubt keine oberflächliche Betrachtung und funktioniert nur in Zusammenarbeit mit entsprechend ausgebildeten Experten wie Medizinern und Neuro-wissenschaftlern. Ein unsachgemässer Einsatz der komplexen bildgebenden Verfahren führt schnell zu einer Fehlinterpretation der Ergebnisse. Einfache Lösungskonzepte entsprechen nicht der Realität, wecken hohe Erwartungen und sind letztlich kontraproduktiv. Es ist erwiesen: Einen «Kaufknopf» gibt es im Gehirn nicht. Auch die Angst vor einer perfekten Kaufverführung dank Neuromarketing ist letztlich unbegründet. Denn Menschen lassen sich nur dann beeinflussen, wenn sie schon zu etwas motiviert sind.

Die Frage ist berechtigt: Ist die Hoffnung auf eine einfache Erklärung des Konsumenten-verhaltens nicht grundsätzlich abwegig, wenn man bedenkt, wie komplex unser Entschei-dungsorgan Gehirn ist? Selbst die professionelle Neuromarketing-Gilde bestreitet nicht, dass ihre Erkenntnisse nur begrenzt aussagekräftig sind. Denn wer sich gewissenhaft mit der Materie beschäftigt, wird die Reduktion der unglaublichen Komplexität des Gehirns auf wenige Variablen immer kritisch beurteilen und als fahrlässig einstufen.

Trotz aller Kritik: Die Bedeutung des jungen Forschungsfeldes wird weiter zunehmen. Der Haupttreiber ist die technische Entwicklung im Bereich der apparativen Hirnforschungs-methoden. Die hohen Eintrittsbarrieren werden insbesondere auf der Kostenseite sinken. Der Fortschritt wird zu neuen Erkenntnissen führen und auch eine vermehrte kommerzielle Anwen-dung ermöglichen. Das Wissen aus der aktuellen Hirnforschung ist für Marktforschung und Marketing schon heute eine Bereicherung. Es gilt, das Regal nach den interessantesten Honig-töpfen und den anregendsten Fragen oder Denkanstössen zu durchforsten. Jeder Marketeer erweitert seine Sichtweise, wenn er sich mit der Grundidee des Neuromarketings befasst und zu verstehen beginnt, welche Prozesse sich im Kopf der Kunden in typischen Kaufsituationen abspielen. Der Einsatz teurer Hirnforschungsmethoden ist dafür nicht notwendig.

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Wer sich den neuen Einsichten gegenüber offen zeigt, sieht klassische Marketingmythen widerlegt. Die moderne Hirnforschung bestätigt, was Psychologen schon länger wissen: Als Individuum ist der Mensch alles andere als ein rational handelndes Wesen. Kaufen ist kein rationaler Vorgang. Emotionen spielen dabei eine zentrale Rolle, und der Mensch lässt sich unbewusst von ihnen führen. Dr. Hans-Willi Schroiff, Leiter der Henkel-Marktforschung, erkennt «eine Wiedergeburt der psychologischen Beschäftigung mit dem Konsumenten». Er stellt im Interview in der Zeitschrift «W&V» zudem fest: «Es gibt eine Renaissance der Perzeption [= Wahrnehmung; der Verfasser] des Konsumenten als emotional denkendes und handelndes Wesen. Das ist sehr positiv» (Schröter, 2008, S. 24).

Emotionen rücken auch immer mehr in das Blickfeld von E-Shop-Betreibern und beratenden E-Commerce-Agenturen. Sie wollen den Besuchern von Online Shops ein besseres – das heisst emotional ansprechenderes – Einkaufserlebnis bieten. Die Einsicht, dass jede Kauf-entscheidung durch Faktoren wie Emotion und Motivation (unbewusst) beeinflusst wird, kann bei jedem Online Shop ein blockiertes Umsatzpotenzial erschliessen.

Damit eröffnen sich attraktive Perspektiven, denn der Einflussfaktor Mensch wird im E-Commerce noch viel zu wenig berücksichtigt. Dafür verantwortlich sind die technische Sichtweise, die im Medium Internet vorherrscht, und der zu starke Fokus der Shop-Betreiber auf die rasante Entwicklung von Web-Tools und -Applikationen.

Ein zentraler Erfolgsfaktor im E-Commerce ist die Conversion Rate Optimization (CRO), die sich mit der Optimierung der Konversionsleistung einer Website beschäftigt. Diese Leistung zeigt auf, wie wirksam ein Online Shop seine Besucher zu einem Kauf motivieren kann. Meine Arbeit stellt ein Modell einer Conversion Rate Optimization vor, das die emotionalen Einfluss-faktoren näher zu beleuchten versucht und die Nutzermotivierung ins Zentrum stellt (s. Abb. 11, S. 23). Der Versuch, die Entscheidungsprozesse eines Shop Users zu identifi-zieren, kann die Grundlage zu einer Vereinfachung seiner Entscheidungsmechanismen bilden.

Erkenntnisse aus dem Neuromarketing, aber auch aus der Psychologie und Hirnforschung können dazu beitragen, den Kunden besser zu verstehen. Darauf ausgerichtete Optimie-rungsmassnahmen wiederum werden zu Verbesserungen führen, die eine grosse Wirkung auf die Konversionsrate entfalten können. Der Shop-Besucher wird weniger demotiviert beziehungsweise stärker motiviert. Meist ist damit auch eine Emotionalisierung des Shop-Erlebnisses verbunden, da sich der User emotional besser verstanden und angesprochen fühlt. Letztlich geht es ganz einfach darum, die Erwartungshaltung der Shop-Besucher zu übertreffen und sie so zu begeistern, dass sie sich im besten Fall zu Fans entwickeln.

Doch zwischen Wunschdenken und Realität liegen Welten. Für die erfolgreiche Umsetzung braucht es neben einer ganzheitlichen Betrachtung und dem Einbezug verschiedener Fach-bereiche und Disziplinen auch das Verständnis, dass jede Conversion Rate Optimization einen Prozess und kein Projekt darstellt. Und typischerweise wird gerne ausgeblendet, dass mit jeder Conversion Rate Optimization auch Dinge verändert werden. Es braucht gerade in der konkreten Umsetzung eine Kultur, die beim Testen auch Fehler erlaubt. Nur die Shop-Betreiber, die zu diesem Risiko bereit sind, legen das Fundament für eine erfolgver-sprechende Conversion Rate Optimization.

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Die folgenden Hinweise zur Struktur der Vertiefungsarbeit dienen der besseren Orientierung: Ausgehend von einer kurzen Darstellung des Begriffs Neuromarketing (Kap. 1.1) werden die verwendeten Methoden skizziert (Kap. 2.1ff.). Darauf aufbauend erfolgt eine kurze Dar-stellung von vier bekannter gewordenen Studien (Kap. 2.2ff.). Anschliessend wird der Nutzen aus der Hirnforschung für das Marketing anhand einer Auswahl von Erkenntnissen veran-schaulicht (Kap. 2.3ff.). Den Überblick über das Thema Neuromarketing runden eine Betrachtung von Chancen und Risiken sowie ein Ausblick ab (Kap. 2.4ff.). Im zweiten Teil sind die typischen Herausforderungen des E-Commerce beschrieben (Kap. 3.1ff.) und die Bedeutung der Conversion Rate Optimization (CRO) herausgehoben (Kap. 3.2). Es folgt ein erweitertes Modell einer Conversion Rate Optimization, das eine zentrale Erkenntnis aus dem Neuromarketing aufnimmt (Kap. 4.2). Das visuell aufbereitete Schema (s. Abb. 11, S. 23) wird zum Abschluss näher erläutert (Kap. 4.2.1ff.) und mit einem Fazit abgerundet (Kap. 4.3).

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...................................................................................................................................... i Management Summary ............................................................................................................ ii Inhaltsverzeichnis..................................................................................................................... v Darstellungsverzeichnis .......................................................................................................... vi 1. Neuromarketing – Begriffliches ............................................................................................1

1.1 Neuromarketing und Neuroökomie.................................................................................1 1.2 Motivation, Emotion und Gefühl......................................................................................1 1.3 Verwendung wichtiger Begriffe .......................................................................................2

2. Was leistet Neuromarketing wirklich? ..................................................................................3 2.1 Neurowissenschaftliche Messmethoden – Ein Überblick ...............................................3

2.1.1 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT).....................................................4 2.1.2 Vorgehensweise Untersuchung mittels fMRT ..........................................................5

2.2 Ausgewählte Studien Neuromarketing ...........................................................................6 2.2.1 Wirkung von Statussymbolen (Autos) ......................................................................6 2.2.2 Markenpräferenz bei Softdrinks (Pepsi vs. Coke)....................................................6 2.2.3 Markenpräferenz bei Kaffeesorten / Biermarken .....................................................7 2.2.4 Produktpräferenz vs. Preis beim Kaufentscheid ......................................................7

2.3 Hirnforschung trifft auf Marketing – Erkenntnisse...........................................................8 2.3.1 Die intuitive Kraft des Gehirns – der Autopilot .........................................................9 2.3.2 Die wahren Entscheider sind Emotionen ...............................................................10 2.3.3 Marken entlasten Entscheidungsprozesse ............................................................10

2.4 Neuromarketing – Übersicht und Befund......................................................................11 2.4.1 Neuromarketing – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen ..................................12 2.4.2 Neuromarketing – Fazit und Ausblick ....................................................................14

3. Kann E-Commerce Erkenntnisse aus dem Neuromarketing nutzen?................................15 3.1. Herausforderung E-Commerce....................................................................................15

3.1.1 97% der Besucher kaufen nicht .............................................................................17 3.1.2 Konversionsrate – grosses Optimierungspotenzial................................................17 3.1.3 Ersteindruck einer Website – schnell und gnadenlos ............................................18

3.2 CRO als der zentrale E-Commerce-Erfolgsfaktor.........................................................20 4. Modell einer Conversion Rate Optimization (CRO)............................................................21

4.1 Konversion – kein linerarer Prozess .............................................................................21 4.2 Nutzermotivation – Basis einer CRO ............................................................................21

4.2.1 Motivationsmodell und der Shop-Besucher ( , , ) ...........................................24 4.2.2 Konversionsleistung – vom Erstkontakt bis zum Fan ( , , , ) .........................25 4.2.3 CRO – nur als interdisziplinärer Ansatz erfolgreich ( ).........................................27 4.2.4 CRO – Prozess und kein Projekt ( ).....................................................................28

4.3 Ganzheitliche CRO vereinfacht, verbessert und verändert ..........................................29 Quellenverzeichnis .................................................................................................................30 Anhänge.................................................................................................................................33

Anhang 1: Glossar ..............................................................................................................33 Schlusserklärung....................................................................................................................37

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Darstellungsverzeichnis

Tab. 1: Überblick relevante neurophysiologische Messverfahren ...........................................3 Abb. 1: Beispiel einer fMRT-Aufnahme (linksseitiges Finger-Tapping) ...................................4 Abb. 2: Beispiel funktioneller Magnetresonanztomograf .........................................................5 Abb. 3: Ausschnitt Originalartikel New York Times Magazine.................................................6 Abb. 4: Funktionsweise des Gehirns bei einer typischen Entscheidungssituation. .................8 Abb. 5: Schematische Darstellung der Bedeutung von Autopilot und Pilot .............................9 Abb. 6: Neuromarketing als Titelstory, Gehirn als Briefmarkensujet .....................................11 Abb. 7: Hinforschung zur Erforschung von Konsumentenverhalten......................................12 Abb. 8: Konversionsrate schematisch erklärt ........................................................................16 Abb. 9: Verteilung der Konversionsraten deutscher Online Shops .......................................18 Abb. 10: Grosser Besucheranteil, der im Ersteindruck Online Shop verlässt .......................19 Abb. 11: Modell Conversion Rate Optimization (CRO) .........................................................23 Abb. 12: Einflussfaktoren für menschliches Handeln ............................................................24 Abb. 13: Schema interdisziplinärer Ansatz Conversion Rate Optimization ...........................27 Abb. 14: CRO-Prozess als Kreislaufmodell (Schema adaptiert von Web Arts AG) ..............28

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1. Neuromarketing – Begriffliches

1.1 Neuromarketing und Neuroökomie

Eine interessante und reizvolle Kombination, wenn sich Hirnforschung und Marketing treffen. Die Kombination der beiden Fachbereiche ist die Basis der Forschungsdisziplin Neuro-marketing. Um die Bezeichnung noch etwas exakter zu umschreiben, sind stellvertretend für viele Begriffsdefinitionen folgende zwei Beispiele angeführt:

Neuromarketing (oder auch Consumer Neuroscience) ist eine Forschungsrichtung, die neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden nutzt, um die Grundlagen des für das Marketing relevanten Konsumentenverhaltens besser zu verstehen. […] Die Forschungs-arbeiten fokussieren dabei zumeist Probleme der Marken-, Kommunikations- und / oder Käuferverhaltensforschung. (Kenning, Plassmann & Ahlert, 2007, S. 57)

Unter dem Stichwort Neuromarketing werden Konsumentenverhaltens- und neurowissen-schaftliche Forschung miteinander kombiniert und Zustände und Prozesse innerhalb des Organismus von Konsumenten messbar gemacht. (Schilke & Reimann, 2007, S. 252)

Ohne Hirnforschung also kein Neuromarketing. Letztlich hat erst der rasante Fortschritt der technischen Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der bildgebenden Verfahren (s. Kap. 2.1ff.), die breitere Akzeptanz des Fachs ermöglicht. Die Erkenntnisse der neueren Hirnfor-schung, soweit diese technisch gewonnen wurden, sind nicht älter als zwanzig Jahre.

Neuromarketing ist als Teildisziplin der Neuroökonomie zu verstehen und fokussiert als solche auf die marketingrelevanten Aspekte wie die Beziehung zu Marken, den Kaufent-scheid oder die Aufname von Werbebotschaften. Oliver Schilke und Martin Reimann beschreiben in ihrem Artikel in der Zeitschrift «Journal für Betriebswirtschaft» (JfB, 2007) den Begriff Neuroökonomie folgendermassen:

Als eigene Forschungsrichtung hat sich die Neuroökonomie seit Ende der 1990er Jahre entwickelt. Die Neuroökonomie greift dabei auf verschiedene Disziplinen zurück. Die Wirtschaftswissenschaften liefern die theoretischen und praxisbezogenen Problemstellungen. Die Neurowissenschaften geben Aufschluss über die Anatomie des menschlichen Gehirns beziehungsweise dessen Funktionsweise. Mit ihren Methoden unterstützen sie die Lokalisierung, Beschreibung und Differenzierung der Zustände und Prozesse im menschlichen Gehirn und geben somit Aufschluss über die neuronalen Grundlagen menschlichen Verhaltens in ökonomischen Entscheidungssituationen. Die Psychologie, aber auch die Soziologie, Anthropologie und Philosophie leisten einen Erklärungsbeitrag für die gemessenen Phänomene. (Schilke & Reimann, 2007, S. 249)

1.2 Motivation, Emotion und Gefühl

Da diese Arbeit auf die Bedeutung von Emotion oder Motivation eingeht, ist eine kurze Begriffsdefinition angebracht. Gleichzeitig erfolgt hier der Hinweis, dass ein weiterer Bezug zur Verhaltens-, Emotions- sowie Motivationsforschung ausbleibt.

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Im Online-Nachschlagewerk Wikipedia wird die Beziehung von Emotion, Motivation und Gefühl thematisiert:

Der Begriff Gefühl bezeichnet nach Lammers die subjektiv wahrgenommene Seite einer Emotion. Beispielsweise kann sich jemand minderwertig fühlen weil er von der Emotion Angst betroffen ist. Eine Motivation kann man auch als Zustand umschreiben, in dem ein Ziel (bewusst oder unbewusst) angestrebt wird. Eine Emotion hingegen ist ein Zustand, der sich einstellt, wenn motivspezifische Ziele erreicht oder frustriert werden. Mit anderen Worten: Emotionen begleiten die Befriedigung und Frustration von Motiven und werden als Gefühle unterschiedlich empfunden («gefühlt») (vgl. dazu Lammers, 2007, S. 33ff.). (Wikipedia, Seite «Motivation», ohne Datum)

Emotionen sind mit Gefühlen nicht gleichzusetzen. Gefühle entstehen durch die Bewertung von Ereignissen, wie ein Beispiel illustrieren soll: Emotion (Furcht) + Bewertung (Hund = Gefahr, Schmerzen) lösen das Gefühl (Angst) aus (vgl. dazu BR-online, ohne Datum).

Emotionen sind auch ein wesentliches Marketingobjekt. Kenning et al. stellen in ihrem Artikel in der Zeitschrift «MARKETING ZFP» fest, dass in der Marketingforschung wenig über Ent-stehung und Wirkung von Emotionen bekannt ist. Sie führen weiter aus:

Erste Ergebnisse der neurowissenschaftlich orientierten Marketingforschung legen die Vermutung nahe, dass der Emotionsbegriff weitaus differenzierter verstanden werden sollte als dies in der bisherigen Marketingforschung der Fall gewesen ist. […] Auch ist die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Emotionen (z. B. Angst versus Gier) kaum bekannt. Mit Hilfe der bildgebenden Verfahren rückt eine mögliche Beantwortung dieser Fragen in greifbare Nähe. Auf dem Weg dahin wird es notwendig sein, ein deutlich differen-ziertes Bild des Emotionsbegriffs zu entwickeln. Erste Ansätze hierzu finden sich im neuro-wissenschaftlichen Schrifttum (vgl. beispielsweise Ochsner K. & Gross J., 2005). Diese Ansätze gilt es, bei Eignung, zu integrieren. (Kenning et al., 2007, S. 65)

1.3 Verwendung wichtiger Begriffe

Folgende Begriffe sind für diese Arbeit gleichbedeutend:

• funktioneller Magnetresonanztomograf, Kernspintomograf und Hirnscanner • Online Shop, E-Shop, Web Shop, Shop und Shop-Betreiber

Zugleich wird die Bedeutung obiger Begriffe auf einen Online Shop im Bereich Business-to-Consumer (B2C) eingegrenzt (s. Kap. 3).

• E-Commerce und Online Shopping • Shop-Besucher, Shop User, Web-Nutzer, Besucher und User • Conversion Rate Optimization und CRO (Abkürzung)

Ein paar weitere Begriffe, die im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen nicht schon im Hauptteil erklärt werden, sind im Glossar in Anhang 1 zu finden.

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2. Was leistet Neuromarketing wirklich?

2.1 Neurowissenschaftliche Messmethoden – Ein Überblick

Der Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden bildet die Grundlage, um die (neuro) biologischen Grundlagen menschlicher Entscheidungsmechanismen zu entschlüsseln.

Die folgende Tab. 1 bietet eine Übersicht über die wichtigsten angewandten Verfahren und liefert eine kurze Beschreibung der einzelnen Methoden inkl. deren Vor- und Nachteile. Ins-besondere der Einsatz des bildgebenden Verfahrens der funktionellen Magnetresonanz-tomografie (fMRT) hat zur erhöhten Aufmerksamkeit von Neuromarketing geführt.

Tab. 1: Überblick relevante neurophysiologische Messverfahren

Klassifizierung Methode Kurzbeschreibung

Bildgebende Verfahren

Elektrische Aktivität (Veränderungen von elektrischen Strömen)

Elektroenzephalografie (EEG) Messung elektrischer Spannungs-schwankungen an der Hirnoberfläche: + gute zeitliche Auflösung + relativ einfache Apparatur und Daten-analyse + relativ geringe Messkosten - sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Lokalisierung von Hirnbereichen, die für die Spannungsschwankungen verantwortlich sind

Magnetencephalografie (MEG) Erfassung von Veränderungen magnetischer Ströme entlang oberflächennaher Nerven-fasern: + gute zeitliche Auflösung - eingeschränkte räumliche Auflösung - relativ hohe Messkosten - relativ komplexe Datenanalyse

Stoffwechsel-Aktivität (Veränderungen des Stoffwechsels)

Positronen-Emissions-Tomografie (PET)

Nuklearmedizinische Technik zur Unter-suchung von Stoffwechselvorgängen in den Nervenzellen: + gute räumliche Auflösung - sehr schlechte zeitliche Auflösung - Verabreichung radioaktiver Kontrastmittel (invasiv) - relativ hohe Messkosten - relativ komplexe Datenanalyse

funktionelle Magnetresonanz-tomografie (fMRT)

Messung von Stoffwechselvorgängen mittels magnetischer Eigenschaften des Blutes: + gute räumliche Auflösung - geringere zeitliche Auflösung als EEG und MEG - relativ hohe Messkosten - relativ komplexe Datenanalyse

Quelle: Kenning et al., 2007, S. 59 (Auszug aus der Tabelle wurde leicht adaptiert)

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Oliver Schilke und Martin Reimann fassen zusammen:

Insgesamt besitzen also alle aufgeführten Verfahren spezifische Vor- und Nachteile. Während eine exakte räumliche Lokalisierung von Hirnaktivitäten insbesondere mit den Verfahren des PET und fMRT ermöglicht wird, eignet sich die EEG-Methode vor allem für die zeitlich exakte Messung globaler Zustände des Gehirns. Folglich sollte die anzu-wendende Methode bzw. Methodenkombination insbesondere vor dem Hintergrund der spezifischen Forschungsfrage ausgewählt werden. (Schilke & Reimann, 2007, S. 252)

2.1.1 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

Das derzeit populärste Verfahren ist die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) und wird deshalb etwas näher vorgestellt. fMRT ist eine Weiterentwicklung der klassischen Magnetresonanztomografie. Durch fMRT-Aufnahmen ist es möglich, Stoffwechselvorgänge, die aufgrund von Aktivität entstehen, sichtbar zu machen. Rückschlüsse auf den Ort einer Aktivität können in Form von Wahrscheinlichkeiten berechnet werden.

Der Neurowissenschaftler und Gründer der decode Marketingberatung GmbH Christian Scheier (2006a) konkretisiert: «Die Bilder zeigen den Sauerstoffverbrauch in bestimmten Hirnarealen und nicht, wie man denken könnte, direkt die Hirnaktivität. Der Sauerstoff-verbrauch steigt in aktiven Hirnregionen und kann deshalb als Korrelat für neuronale Aktivie-rung dienen» (S. 240). Die Abb. 1 zeigt eine Übersicht der verschiedenen Beobachtungs-ebenen einer fMRT-Aufnahme (heller eingefärbte Regionen = erhöhte Sauerstoffaktivität).

Abb. 1: Beispiel einer fMRT-Aufnahme (linksseitiges Finger-Tapping) Quelle: Academic dictionaries and encyclopedias (ohne Datum)

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2.1.2 Vorgehensweise Untersuchung mittels fMRT

Ein typisches fMRT-Experiment dauert etwa 60 bis 90 Minuten. Der Teilnehmer wird dabei gebeten, sich in einen funktionellen Magnetresonanztomografen zu begeben (s. Abb. 2).

Abb. 2: Beispiel funktioneller Magnetresonanztomograf Quelle: Ruhr-Universität Bochum (ohne Datum)

Die nachfolgenden Ausführungen sind einem Artikel von Schilke & Reimann (2007) entnommen:

Zunächst wird eine strukturelle Aufnahme des Gehirns angefertigt, ohne dass der Proband dabei eine spezifische Aufgabe zu lösen hat. Im Anschluss erfolgt die funktionelle Messung, bei welcher der Teilnehmer auf visuelle, akustische oder fühlbare Reize seitens des Experimentleiters durch Drücken von Knöpfen reagiert. Die Stimuli werden dem Probanden während der Versuchsdurchführung zumeist über spezielle Videobrillen, Spiegelsysteme oder Kopfhörer dargeboten. Währenddessen werden alle zwei bis drei Sekunden komplette Aufnahmen des Gehirns angefertigt, welche speziell auf die Messung der Sauerstoff-sättigung des Blutes optimiert sind. Je nach Länge der Untersuchung werden zwischen 200 und 1’500 Bilder des Gehirns aufgenommen. […] Bei der fMRT-Methodik lassen sich insbesondere Nachteile hinsichtlich der Versuchsumgebung des Probanden nennen. Diese ist durch grossen Lärm gekennzeichnet, der den Einbezug akustischer Stimuli ins Experi-ment erschwert. Darüber hinaus ist zur Vermeidung von Messstörungen eine Fixierung der Versuchsperson notwendig, was selbst Mundbewegungen des Sprechens im Rahmen der Messung ausschliesst. Während mit den eingesetzten Magnetfeldern zwar keine schwer-wiegenden gesundheitlichen Risiken verbunden werden, können sie in einigen Fällen jedoch zu vorübergehendem Schwindel, einem metallischen Geschmack im Mund und einer Erhöhung der Körpertemperatur führen. (Schilke & Reimann, 2007, S. 251 / 252)

Ergänzend zum Überblick der verwendeten Methoden werden im nächsten Kapitel aus dem immer grösser werdenden Bestand an empirischen Untersuchungen vier bekanntere Studien kurz vorgestellt.

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2.2 Ausgewählte Studien Neuromarketing

Betrachtet man den Forschungsstand der im Bereich Neuromarketing durchgeführten Studien (vgl. dazu z. B. Kenning et al., 2007, S.61 oder Schilke & Reimann, 2007, S. 253), so wird schnell klar, dass empirische Untersuchungen auf der fMRT-Basis den «harten Kern» aus-machen. Dabei sind die Grundlagen der fMRT seit etwas mehr als zehn Jahren bekannt.

Vereinfachend und offensichtlich nicht ganz trennscharf können die verschiedenen empi-rischen Studien in die drei Kategorien Marken-, Kommunikationsforschung und Kaufver-halten unterteilt werden. Auf vier bekanntere dieser Studien wird nachfolgend kurz einge-gangen (inkl. Kategoriezuordnung).

2.2.1 Wirkung von Statussymbolen (Autos)

Kategorie: Kaufverhalten Studienteam: Erk et al. (2002; für DaimlerChrysler) Methode: fMRT, Sample-Grösse: n=12

In dieser Studie der Universität Ulm wurden zwölf Männern Bilder von Sportwagen, Limou-sinen und Kleinwagen gezeigt. Es zeigte sich, dass Sportwagen die «Belohnungsareale» im Hirn aktivieren, also Hirnareale, die für künftige, positive Erlebnisse besonders affin sind (s. Kap. 2.3, Abb. 4). Kleinwagen dagegen haben dieses Belohnungssystem aktiv gehemmt (vgl. dazu Scheier, 2006a, S. 245).

2.2.2 Markenpräferenz bei Softdrinks (Pepsi vs. Coke)

Kategorie: Markenforschung Studienteam: McClure et al. (2004) Methode: fMRT, Sample-Grösse: n=67

Eine Studie aus dem Jahr 2003 / 2004 zeigte, dass es im menschlichen Hirn zu interes-santen Wechselwirkungen kommt. Die im «New York Times Magazine» veröffentlichten Resultate machten Neuromarketing auf einen Schlag weltweit bekannt (s. Abb. 3).

Abb. 3: Ausschnitt Originalartikel New York Times Magazine Quelle: Thompson, 2003 (Online-Version)

Read Montague vom Baylor College of Medicine liess in einer Studie die Probanden zunächst in einem Blindtest aus neutralen Bechern trinken und ihr Urteil abgeben. Pepsi wurde dabei klar besser benotet – und zwar unabhängig davon, welche der beiden Marken die Probanden nach eigenen Angaben bevorzugten. Geschmacklich lag Pepsi also vorn.

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Dann wurde die Versuchsanordnung leicht geändert, den Probanden war die Marke nun bekannt. Plötzlich fiel ihr Urteil zugunsten von Coca Cola aus. Warum, das zeigten die Bilder des Hirnscanners, denn Montague wertete nicht nur die verbalen Aussagen aus, sondern beobachtete ebenso die neuronalen Aktivitäten der Testpersonen. Ergebnis: Das Wissen um die Marke führte im Vergleich zur fehlenden Information bzgl. Softdrink zu Aktivitäten in anderen Hirnarealen (vgl. dazu Warmbier, 2008, S. 26).

Offenbar, so Montagues Interpretation, werden mit dem Namen Coca Cola mehr positive Assoziationen und Selbstwertgefühle verbunden als mit Pepsi. Was genau den Erfolg von Coca Cola aber ausmacht, konnte Montague mit Hilfe der fMRT-Technik allerdings noch nicht erklären (vgl. dazu von Schaper, 2004).

2.2.3 Markenpräferenz bei Kaffeesorten / Biermarken

Kategorie: Markenforschung Studienteam: Deppe et al. (2005) Methode: fMRT, Sample-Grösse: n=22

Die von Michael Deppe und Peter Kenning (Universität Münster) durchgeführte Studie zur Wirkung von Marken im Gehirn hat ergeben, dass eine bevorzugte Marke (Kaffeesorten bei Frauen bzw. Biermarken bei Männern) das Belohnungszentrum nahezu exklusiv aktiviert. Bei der nicht präferierten Marke dagegen reagiert das Belohnungsareal nicht oder nicht signifikant.

Eine zentrale Erkenntnis dieser Studie: Unsere Lieblingsmarke entlastet von aufwendigen Denkprozessen, Forscher nennen dies die «kortikale Entlastung». Ebenso konnte ein sog. «First-Choice-Brand-Effect» in den aktivierten Hirnregionen nachgewiesen werden: Der Effekt der «kortikalen Entlastung» konnte jeweils nur für eine Marke der Produktkategorie gemessen werden, nicht jedoch für die an zweiter Stelle präferierte Marke (vgl. dazu Scheier, 2006a, S. 242 / 243).

Die durchaus interessanten Erkenntnisse der letzten beiden Studien weisen auf die Wir-kungsmacht von (starken) Marken hin. Wie die vielbeachtete Studie von Pepsi vs. Coke zudem gezeigt hat, können die durch Markenwissen ausgelösten Hirnprozesse sogar phy-sische Stimulation «überstimmen».

2.2.4 Produktpräferenz vs. Preis beim Kaufentscheid

Kategorie: Kaufverhalten Studienteam: Knutson et al. (2007) Methode: fMRT, Sample-Grösse: n=26

Forscher der Universität Stanford zeigten Versuchspersonen Bilder von Pralinen. Ent-schieden sich die Probanden zum Kauf, zeigte ihr Belohnungszentrum (Nucleus Accumbens) Aktivität, das Gehirn freute sich offenbar schon auf das zart schmelzende Lusterlebnis. Dann wurde für einige Sekunden der Preis eingeblendet und die Hirnaktivität erneut gemessen. Die Messungen zeigten: Beim Blick auf den Preis trat die sog. Insula in Aktion, die auch als Schmerzareal bezeichnet wird. Sie ist u.a. dafür zuständig, die negativen Folgen einer Handlung abzuschätzen (vgl. dazu Tenzer, 2010, S. 40).

Emotionen, die durch bestimmte Produkte ausgelöst werden, können also sogar die Akti-vierung von Hirnbereichen überlagern, die für rationale Handlungskontrolle zuständig sind.

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Dr. Hans-Georg Häusel (2009), Vorstand der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg, meint dazu: «Für unser Gehirn ist deshalb die Preis-Wert-Kalkulation eine Lust vs. Unlust bzw. Lust- vs. Schmerz-Kalkulation. Konsequenz: Wer von seinen Kunden mehr Geld haben will, muss den Trennungsschmerz vom Geld durch positive Emotionen kompensieren» (S.67).

2.3 Hirnforschung trifft auf Marketing – Erkenntnisse

Der Einblick in die präsentierte Auswahl an empirischen Studien macht deutlich: Neuro-marketing räumt dank der modernen Hirnforschung mit dem Mythos des bewusst und rational handelnden Kunden endgültig auf. Der Konsumforscher Werner Warmbier verkündet dazu in einem Artikel der Zeitschrit «GDI Impuls» (2008): «Der Homo oeconomicus ist tot. Es lebe der Homo neurooeconomicus» (S. 26).

Die Frage ist berechtigt: Können die Ergebnisse der Hirnforschung wirklich für das Marketing angewandt werden? In diesem Kapitel werden nun drei Mosaiksteinchen zum besseren Verständnis von vielen und vielleicht nur auf den ersten Blick als irrational erscheinenden Entscheidungen unseres Kaufverhaltens näher betrachtet. Die präsentierten Beispiele bein-halten für das Marketing interessante und anwendbare Erkenntnisse.

Im Rahmen dieser Arbeit wird auf die Gehirnstrukturen weitestgehend nicht eingegangen, die entsprechenden Fachbegriffe werden soweit als möglich nicht verwendet. Zum Ver-ständnis und als Grundlage der folgenden Ausführungen vermittelt Abb. 4 in anschaulicher Weise, welche Hirnareale bei einer typischen Entscheidungssituation beteiligt sind.

Belohnungszentrumoder -areal

(der Verfasser)

Abb. 4: Funktionsweise des Gehirns bei einer typischen Entscheidungssituation Quelle: Traufetter (2007, S. 115; Bild aus SPIEGEL SPECIAL)

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2.3.1 Die intuitive Kraft des Gehirns – der Autopilot

Eine für das Marketing sicherlich interessante Erkenntnis der modernen Hirnforschung ist, dass im Gehirn der Kunden zwei verschiedene Systeme für das Kaufverhalten entscheidend sind (s. Abb. 5):

• Das implizite System – der Autopilot: Dieses System arbeitet hoch effizient und weitest-gehend unbewusst. Dazu gehören die Sinneswahrnehmung, viele Lernvorgänge, Emo-tionen, Faustregeln, Stereotypen, Automatismen, spontanes Verhalten, Verstehen und intuitive Entscheidungen.

• Das explizite System – der Pilot: Dieses System arbeitet vergleichsweise langsam, dafür sind die Vorgänge weitestgehend bewusst. Zu diesem System gehören das bewusste Nachdenken, kontrolliertes Verhalten, Planungsprozesse und Logik.

Abb. 5: Schematische Darstellung der Bedeutung von Autopilot und Pilot

Nach der Ansicht des renommierten Harvard-Professors Gerald Zaltman steuert das System des Autopilots 95% des menschlichen Verhaltens – also auch 95% der Kaufentscheidungen. Implizites «Denken» und Entscheiden ist schnell und hoch effizient. Diese effizienten neuro-nalen Netzwerke hat der Mensch ursprünglich speziell für den sozialen Austausch entwickelt.

Vorherige Ausführungen sind dem Artikel «Der Autopilot im Kopf» von Christian Scheier entnommen und werden sinngemäss wiedergegeben (vgl. dazu Scheier, 2006b, S. 77).

Der Psychologe und Intuitionsforscher Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bil-dungsforschung in Berlin meint dazu: «Die intuitive Kraft des Gehirns besteht aus vielem unbewusstem Wissen über die Welt» (vgl. dazu Traufetter, 2007, S. 116).

Studien bestätigen auch, dass intuitive Entscheidungen sehr oft «rational» sind und zu guten Ergebnissen führen. Eine Entscheidung macht zufriedener, wenn sie intuitiv und ohne bewusste Reflektion getroffen wurde. Dazu Christian Scheier (2008): «Das ist auch eine zentrale Aufgabe von Marken und Marketing: den Konsumenten über das Angebot einer impliziten und fiktionalen Belohnung eine intuitive Entscheidung zu ermöglichen und sie damit zu entlasten» (S. 37).

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2.3.2 Die wahren Entscheider sind Emotionen

Der Hirnforscher Antonio R. Damasio hat um 1995 ein Modell entwickelt, das der Realität im Vergleich zum Hemisphären-Modell (grobe Vereinfachung des Denkens in der «rechten» bzw. «linken» Hirnhälfte) deutlich näher kommt. In seinem Ansatz gibt es keine klare Tren-nung zwischen Emotion und Verstand. Vielmehr ist das Emotionale häufig das Rationale, und bei jeder (Kauf)Entscheidung spielen emotionale Aspekte eine zentrale Rolle.

Wenn ein Konsument eine Kaufentscheidung fällt, so Damasios Argument, spielt die folgende Frage eine zentrale Bedeutung: «Wie werde ich mich fühlen, wenn ich das tue / kaufe?» Zur Beantwortung werden (unbewusst) vergangene Erlebnisse aus dem Gedächtnis zu Rate gezogen. Diese zukunftsgerichteten Evaluationsprozesse sind für die Marketing-praxis durchaus von Bedeutung (vgl. dazu Scheier, 2006a, S. 239).

Zu erwähnen ist, wie Damasio sein neues Modell hergeleitet hat. Hans-Georg Häusel (2009) schreibt dazu: «Damasio hatte aufgrund von Untersuchungen bei hirnverletzten Patienten er-kannt, dass Emotionen keinesfalls Störungen in Entscheidungsprozessen waren. Das Gegen-teil war der Fall: Ohne Emotionen kamen keine Entscheidungsprozesse zustande» (S. 72).

Damasio machte klar: Ohne diese Verknüpfung ist der Mensch wie gelähmt. Jede Entschei-dung braucht einen emotionalen Anstoss. Aus purem Verstand heraus kann der Mensch nicht handeln (vgl. dazu Traufetter, S. 114).

Wie zwei der in Kap. 2.2ff. präsentierten Studien aufgezeigt haben, bevorzugen Konsumenten, was im Gehirn starke Emotionen auslöst. Im Mittelpunkt stehen hier das limbische System und eine Struktur, die als «Belohungszentrum» bezeichnet wird (sog. Nucleus accumbens). Der Begriff Belohnungssystem ist eigentlich nicht ganz exakt. Es handelt sich dabei mehr um ein Signal für die Erwartung einer Belohnung, das Gehirn stellt sich auf eine Belohnung ein und reagiert positiv mit Vorfreude auf das erwartete Lustgefühl. Das wirkt als starker Antrieb. Und dieses Prinzip funktioniert auch beim Konsum, die emotionalen Hirnareale bestimmen bei unseren Kaufentscheidungen mit (vgl. dazu Tenzer, 2010, S. 38 / 39).

2.3.3 Marken entlasten Entscheidungsprozesse

Die Resultate der bildgebenden Verfahren und insbesondere die Studie von Deppe et al. (2005, s. Kap. 2.2.3) haben zu einer weiteren fürs Marketing interessanten Erkenntnis geführt: Bevorzugte Marken führen bei Hirnarealen zu einer Verringerung der Aktivität, die für das analytische Verarbeiten und Speichern von Informationen zuständig sind, also für rationale Entscheidungen. Gleichzeitig werden erhöhte Aktivitäten in jenen Hirnarealen gemessen, die Emotionen einbringen und die dem Hirn beim Entscheiden helfen, indem sie seinen Aufwand für langwierige Beurteilungen reduzieren. Diesen Effekt bezeichnen For-scher der Neuroökonomie wie Dr. Peter Kenning (Zeppelin University Friedrichshafen) als «kortikale Entlastung» (vgl. dazu Warmbier, 2008, S. 29).

Der Effekt der «kortikalen Entlastung» zeigt also auf, dass Marken das Hirn emotionalisieren, zu Lasten der analytischen Informationsverarbeitung.

Der Neuromarketingspezialist Hans-Georg Häusel (2009) meint ergänzend dazu: «Wenn die Kaufentscheidung keine Konflikte im Kopf erzeugt, wenn sie nicht begründet werden muss bzw. mit einem Risiko verbunden ist, wählt unser Gehirn automatisch die bekanntere und ihm so sympathischere Marke, also die mit dem stärkeren neuronalen Netz» (S. 167).

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2.4 Neuromarketing – Übersicht und Befund

Die vorherigen Beispiele machen klar: Die Hirnforschung kann fürs Marketing interessante Erkenntnisse liefern, das Potenzial wird aber erst dann richtig erschlossen, wenn dieses Wissen Zugang findet zur Marketingtheorie und -praxis. Spezialisierte Firmen wie z. B. Mediaplus (Publicis) und die Gruppe Nymphenburg um Hans-Georg Häusel versuchen Erkenntnisse aus der Hirnforschung in einen breit anwendbaren Marketingansatz zu über-führen. Solche Lösungskonzepte wie z. B. die Limbic Map (vgl. dazu Häusel, 2009, S. 44–51) werden kontrovers diskutiert. Gleichzeitig kann deren generelle Aussagekraft kritisch hinterfragt werden.

Die eigentliche Neuromarketing Geburtsstunde geht zurück in den Herbst 2003, als ein Artikel im New York Times Magazine für Aufsehen sorgte (Pepsi vs. Coke Studie, s. Kap 2.2.2). Die Resultate der empirischen Studie wurden übrigens in einem neunseitigen Artikel fast ein Jahr später in der wissenschaftlichen Zeitschrift Neuron veröffentlicht (vgl. dazu McClure et al., 2004).

Wo steht Neuromarketing heute, was hat der Beizug der Hirnforschung für Marketingfrage-stellungen an neuen Erkenntnissen gebracht? Wenn, dann ist ein eigentlicher Neuro-Hype in den Jahren 2004-2005 entstanden (s. Abb. 6).

Abb. 6: Neuromarketing als Titelstory, Gehirn als Briefmarkensujet Quelle: Scheier (2006a, S. 236)

Neuromarketing wird seither wieder realistischer betrachtet, wie Christian Scheier in seinem Artikel im FOCUS-Jahrbuch schon 2006 vorschlägt: «Das Thema Neuromarketing sollte weder zu kritisch noch zu optimistisch betrachtet werden. Noch wichtiger: Das Thema sollte nicht auf die so genannten bildgebenden Verfahren (funktionelle Magnetresonanztomografie, fMRT) reduziert werden. Denn gerade in der Marketingpraxis (aber auch in der Markt-forschung) können wir vieles von der aktuellen Hirnforschung lernen, ohne einen einzigen Euro für teure Studien mit bildgebenden Verfahren ausgeben zu müssen» (2006a, S. 236).

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Und Scheier weiter: «Es gilt, den goldenen Mittelweg zu finden. Und der liegt in der breiteren Fassung des Begriffs «Neuromarketing» und damit in der Übertragung aktueller Erkennt-nisse der Hirnforschung in die Marketing- und Marktforschungspraxis, statt in der (alleinigen) Fokussierung auf bildgebende Verfahren» (2006a, S. 236).

2.4.1 Neuromarketing – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen

Es liegt auf der Hand, dass die Aussicht, dank moderner Hirnforschung Konsumentenent-scheidungen vermeintlich sichtbar zu machen, Erwartungen generiert und Ängste auslöst. Die Werbeindustrie kann nun, so die Angst beziehungsweise die Hoffnung, ein Live-Interview direkt mit unserem Gehirn führen, statt sich mühsam mit Gruppendiskussionen und verbalen Befragungen quälen zu müssen. Und das Schreckensgespenst des gläsernen, weil komplett durchleuchteten Konsumenten ruft Konsumentenschützer auf den Plan, die schon das Sze-nario einer orwell’schen Forschung heraufbeschwören und deshalb gesetzliche Verbote fordern. Die Realität liegt wohl irgendwo zwischen solchen Extrempositionen. Die nachfol-gende Betrachtung der Chancen und Risiken versucht ein ausgewogenes Bild der Diskus-sion aufzuzeigen.

Chancen

Ein grosses Potenzial der neuroökonomischen und primärwissenschaftlichen Forschung liegt im Einsatz bildgebender Verfahren begründet. Die Reaktion des Konsumentenhirns auf bestimmte Marketingimpulse wie z. B. Marken oder Preis kann dadurch direkt und unmittel-bar gemessen werden (s. Abb. 7).

Abb. 7: Hinforschung zur Erforschung von Konsumentenverhalten

Gewonnene Erkenntnisse aus dem Neuromarketing sind eigentlich nicht neu. Psychologen wissen schon länger, dass wir nicht allein auf der Basis rationaler Überlegungen handeln, sondern auch unbewusst und von Emotionen geleitet. Die Logik hinter solchen Entschei-dungen erschliesst sich aber leichter, wenn man beachtet, was dabei im Gehirn vor sich geht. Und auch Kaufentscheidungen sind oft besser zu verstehen, sobald man die Arbeits-weise des Gehirns in typischen Konsumsituationen kennt.

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Durch die heutigen neurowissenschaftlichen Verfahren wird es also nachvollziehbar, was im Gehirn in bestimmten Entscheidungs- und Wahrnehmungssituationen passiert. Die Vorgänge können gemessen werden, während sie stattfinden, die Messgenauigkeit wird dadurch erhöht. Auch die unbewussten Zustände (s. Kap. 2.3.1) können sichtbar gemacht und besser verstanden werden. Dies im Vergleich zu klassischen Erhebungsmethoden, wie dem Fragebogen. Man denke nur an das Grundproblem, in denen der Proband den analysierten Sachverhalt nicht verständlich formulieren kann bzw. sich überhaupt nicht über ihn bewusst ist (dieser also im Verborgenen bleibt). Auch der Wahrheitsgehalt einer Befragung mittels Fokusgruppe wird immer dann verfälscht, wenn soziale Erwünschtheit oder strategisches Antwortverhalten eine Rolle spielt.

Prof. Marco Iacoboni vom UCLA Brain Mapping Center in Los Angeles spitzt mit seinem Urteil den Sachverhalt zu: «Neuromarketing ist die ultimative Fokusgruppe. Wir haben Zugang zu Informationen, die die Probanden nicht artikulieren können.» Fokusgruppen seien störanfällig, ein fMRT-Gerät lasse sich hingegen nicht täuschen (vgl. dazu von Schaper, 2004).

Risiken und Nebenwirkungen

Das Potenzial verspricht verheissungsvolle Perpektiven. Doch wie zu Beginn dieses Kapitels schon angetönt: Die Aussicht auf den gläsernen Verbraucher schürt berechtigterweise Ängste. Zudem sind mit dem Einsatz der bildgebenden Verfahren Nachteile verbunden, die bedeutsamsten werden nachfolgend aufgezählt:

• Die mit jeder fMRT-Untersuchung verbundene «künstliche» Versuchsumgebung (s. Kap. 2.1.2) und die oft unzureichenden Sample-Grössen bilden eine Heraus-forderung, solche Studien zielgruppenspezifisch oder gar repräsentativ durchzuführen. Die Wahrnehmung der Probanden wird durch die ungewöhnliche Umgebung sowie spezielle Umstände wie enger Raum, Hitze und Lautstärke beeinflusst. Dies kann die Ergebnisse verfälschen. Generell kann also die externe Validität hinterfragt werden.

• Die in einem Laborexperiment gewonnenen Erkenntnisse blenden wichtige Umfeld-faktoren aus. So wird das individuelle Kaufverhalten durch weitere Faktoren beeinflusst, etwa sozialpsychologisch und (inter)kulturell bedingte oder in der persönlichen Biografie begründete. Ebenso berücksichtigen die Momentaufnahmen der empirischen Studien die Tatsache nicht, dass sich das menschliche Gehirn im Rahmen des Alterungspro-zesses durch ein erstaunliches Mass an Anpassungsfähigkeit auszeichnet und ein Leben lang flexibel und formbar bleibt (sog. neuronale Plastizität).

• Neuroökonomische Forschungsprojekte sind durch hohe Eintrittsbarrieren nicht nur in methodischer, sondern auch in fachlicher Hinsicht gekennzeichnet. Auf Seiten des For-scherteams ist eine komplexe Interpretationsleistung notwendig, von der Versuchs-planung über die Datenerhebung bis zur -auswertung. Zudem ist die Zahl der verfüg-baren Technologien – wie zum Beispiel Hirnscanner – begrenzt und deren Nutzung auch heute mit hohen Kosten verbunden.

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• Ein unsachgemässer Einsatz der komplexen Verfahren führt schnell zu einer Fehlinter-pretation der Ergebnisse. Neuromarketing ist ein Thema für entsprechend ausgebildete Experten, häufig Mediziner oder Neurowissenschaftler. Ebenso sind bei derart kom-plexen Verfahren wie mittels fMRT die Instruktion und das Testdesign besonders rele-vant für das Verständnis des Befundes. Kleine Unterschiede können bereits zu grossen Effekten in den Resultaten führen.

• Der Einsatz von neurowissenschaftlichen Methoden führt schnell zur Forderung nach rechtlichen Bedingungen und wirft ethische Bedenken auf. Werden diese Befürchtungen im Rahmen moralischer Vorüberlegungen auch genügend beachtet? Diese ethisch-rechtliche und generell marketingskeptische Diskussion wird weiterhin geführt und ist nicht abgeschlossen.

Die Frage ist berechtigt: Ist die Hoffnung auf eine einfache Erklärung des Konsumenten-verhaltens nicht grundsätzlich abwegig, wenn man bedenkt, wie komplex unser Entschei-dungsorgan Gehirn ist? Selbst die professionelle Neuromarketing-Gilde bestreitet nicht, dass ihre Erkenntnisse nur begrenzt aussagekräftig sind. Denn wer sich gewissenhaft mit der Materie beschäftigt, wird die Reduktion der unglaublichen Komplexität des Gehirns auf wenige Variablen immer kritisch beurteilen und als fahrlässig einstufen.

2.4.2 Neuromarketing – Fazit und Ausblick

«Die bunten Bilder aus dem Kernspintomografen suggerieren eine Art der Beherrschbarkeit des Konsumenten», analysiert der Psychologe Hans-Georg Häusel (vgl. dazu Hanser, 2009, S. 27). Eine solche Vereinfachung entspricht nicht der Realität und ist wenig zielführend, vielmehr kontraproduktiv. Es ist erwiesen: Einen Kaufknopf im Gehirn gibt es nicht, auch einen Sitz religiöser Gefühle sucht man vergebens.

Das Autorenteam um den deutschen Neuroökonomen Peter Kenning fasst in einem Artikel zusammen:

Insgesamt zeigt sich, dass die Integration neurowissenschaftlicher Methoden und Erkennt-nisse in die Marketingforschung keinen revolutionären Angriff auf bestehende, etablierte Ansätze darstellt, sondern vielmehr eine fruchtbare Weiterentwicklung ihrer Methoden zur Untersuchung des Konsumentenverhaltens bildet. (Stoll, Hubert, Kenning & Ahlert, 2008, S. 37)

Selbst wenn man Neuromarketing kritisch gegenübersteht: Es ist mehr als eine Wissen-schaftsmode. Die Bedeutung des noch jungen Forschungsfeldes wird weiter zunehmen. Haupttreiber ist die technische Entwicklung im Bereich der bildgebenden Verfahren. Einer-seits werden die heute immer noch hohen Eintrittsbarrieren verringert, andererseits wird der Fortschritt zu neuen Erkenntnisen führen. Die Erwartungshaltung – nach einer Hype-Phase vor ein paar Jahren – hat heute schon einer realistischeren Einschätzung Platz gemacht. Spannend wird die Frage bleiben, ob eine Annäherung bzw. der Austausch zwischen primär- und populärwissenschaftlichen Forschungsansätzen zukünftig vermehrt stattfinden wird oder weiterhin auf Grundsatzpositionen vor allem im Lager der Primärforscher verharrt wird. Erst wenn sich mehr Mediziner bzw. Hirnforscher in die Marketing- oder Marktforschungspraxis wagen, ist ein breiterer und gleichzeitig seriöser Einsatz der Verfahren zu erwarten.

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3. Kann E-Commerce Erkenntnisse aus dem Neuromarketing nutzen?

Die immer noch sehr teuren Neuro-Studien unter Einsatz eines Kernspintomografen zum Beispiel sind für einen Online Shop heute kaum nutzbar. Doch auch die E-Commerce-Branche kann aus der modernen Hirnforschung der letzten zehn Jahre Nutzen ziehen und für das eigene Geschäftsmodell wertvolle Denkanstösse sowie neue, anregende Frage-stellungen erhalten. Emotion oder Motivation können dabei schnell ins Blickfeld rücken (Begriffsdefinition s. Kap. 1.2 und Anhang 1).

Neuromarketing hat bestätigt, dass bei jeder (Kauf)Entscheidung emotionale Aspekte eine zentrale Rolle spielen. Konsumenten bevorzugen, was im Gehirn starke positive Emotionen auslöst (s. Kap. 2.3.2).

Es liegt also nahe, für den ganzen Konversionsprozess eines Online Shops emotionale Ein-flussfaktoren näher zu beleuchten und dadurch Optimierungspotenziale zu erschliessen. Das erarbeitete Modell einer Conversion Rate Optimization (CRO) greift genau diese Erkenntnis auf und stellt die Nutzermotivierung ins Zentrum. Hat nicht jeder Web Shop ein brachlie-gendes Potenzial, den Besucher emotional zu aktivieren bzw. nicht unnötig zu demotivieren?

Zu Beginn des zweiten Teils dieser Arbeit wird näher aufgezeigt, welchen Herausforderungen sich ein typischer Online Shopping Anbieter stellen muss (s. Kap 3.1ff.). Darauf aufbauend wird die Optimierung der Konversionsrate als zentraler Erfolgsfaktor jedes E-Shops thematisiert (s. Kap. 3.2). Abschliessend wird das entwickelte Modell einer Conversion Rate Optimization (CRO) näher erläutert (s. Kap. 4ff. und Abb. 11, S. 23). Das Modell bildet eine strategische Basis. Die konkrete Umsetzung des erarbeiteten Konzepts ist nicht Bestandteil dieser Arbeit.

Die Betrachtung von E-Commerce wird auf das Segment B2C – also Business-to-Consumer – eingegrenzt. Eigenheiten im Bereich B2B (Business-to-Business) bleiben unberücksichtigt. Die gewählte Begriffsdefinition von «B2C» schliesst zudem Online-Auktions- und Handels-Plattformen wie Ricardo.ch oder Ebay Schweiz aus.

Speziell erwähnen möchte ich hier, dass ich bei der auf E-Commerce und Conversion Rate Optimization spezialisierten Agentur Web Arts AG einen reichhaltigen Fundus an interes-santen Gedankenanstössen gefunden habe (Website www.web-arts.de, Blog «Konversionskraft.de» sowie diverse Broschüren / Whitepapers und Grafiken). Im deutsch-sprachigen Raum ist mir kein weiterer Anbieter bekannt, der für den zweiten Teil meiner Arbeit qualitativ ähnlich gute Informationen liefern konnte. Von mir übernommener Input seitens Web Arts und des Gründers und CEOs André Morys ist entsprechend vermerkt. Die kooperative und bereitwillige Zusammenarbeit ist herzlich verdankt.

3.1. Herausforderung E-Commerce

Die E-Commerce-Branche ist wie das Forschungsfeld Neuromarketing noch recht jung, blickt aber schon auf eine gleichermassen dynamische wie spannende Entwicklung zurück. Gekennzeichnet wurde diese durch eine Vielfalt technischer Neuerungen sowie hohe Wachtumsraten vor allem in den letzten 3-4 Jahren. Im Jahr 2008 kauften die Schweizer Konsumenten Produkte im Wert von knapp CHF 5.9 Mia. via Internet, was einem 38% Zuwachs gegenüber 2006 entspricht (vgl. dazu Universität St.Gallen, 2009).

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Der E-Commerce-Report 2010 hat im Jahr 2009 für die 21 führenden B2C-E-Commerce-Anbieter ein Umsatzwachstum von 14% ausgewiesen (vgl. dazu Hochschule für Wirtschaft FHNW, 2010, S. 1). Und der Schweizer E-Commerce-Berater Thomas Lang erwartet auch für die kommenden 2–3 Jahre ein Branchenwachstum im zweistelligen Prozentbereich (Telefon vom 02.08.10).

Dieser sehr kurze Abriss soll an dieser Stelle reichen, eine weitere quantitative Analyse der Online Shopping Branche bleibt hiermit aus. Zum Verständnis der nachfolgenden Aus-führungen ist es angebracht, die Begriffe «Konversion» sowie «Konversionsrate» einführend zu erläutern.

Konversion – erfolgreich abgeschlossene Bestellung

Konversion oder Conversion bezeichnet im E-Commerce und Online-Marketing allgemein die messbare Erreichung des Ziels einer definierten Massnahme. Ziele und deren Konver-sion können z. B. sein:

• Ausgelöste Bestellungen in einem Online Shop • Registrierung für einen Newsletter auf einer Website • Download eines Infoblattes (PDF-Datei) auf einer Website

In einem Online Shop macht also jede erfolgreich abgeschlossene Konversion (= Bestellung) aus einem Interessenten einen Kunden.

Konversionsrate – Spiegel der Kundenzufriedenheit

Als Konversionsrate oder Conversion Rate wird in der Regel der prozentuale Anteil der Besuche eines Web Shops bezeichnet, der zu Bestellungen führt (s. Abb. 8).

Abb. 8: Konversionsrate schematisch erklärt Eine Konversionsrate von 5% bedeutet also, dass fünf von 100 Besuchern eines E-Shops einen Produktkauf getätigt haben. Die Besucherzahl wird standardmässig mittels der Kenn-zahl «Visits» erhoben. Die Zahl der «Unique Visitors» bzw. «eindeutigen Besucher» ist eine weitere mögliche Kennziffer.

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Anzumerken gilt, dass unter den Spezialisten keine Einigkeit herrscht, wie lange ein Besuch als nur ein Besuch zu werten ist (z. B. 24 Std. oder 1 Woche?). Dazu kommen Messun-schärfen aus technischen Gründen, wie z. B. ein User, welcher vom Büro und von zu Hause den Online Shop benutzt.

André Morys – Gründer und CEO der Agentur Web Arts AG – umschreibt es treffend: «Konversionsraten beschreiben letztlich den Faktor, wie stark ein Shop Nutzer zum Kauf motivieren kann – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass jeder Käufer eine individuelle Motivation besitzt die von individuellen Motiven geprägt wird» (Morys, 2008). Auf diesen wichtigen Aspekt wird in Kap. 4.2 und 4.2.1 noch näher eingegangen.

E-Commerce wird vorerst einmal ein Markt mit attraktivem Wachstum bleiben. Am Horizont aber wird schon das Szenario eines zunehmenden Verdrängungswettbewerbs sichtbar. Zugleich sieht sich jeder Shop-Betreiber mit einer stetig steigenden Erwartungshaltung seitens User konfrontiert. Viele Web Shops werden an der zukünftigen Entwicklung nicht gleichermassen partizipieren können. Dies liegt schon in den nachfolgend kurz erläuterten Herausforderungen begründet.

3.1.1 97% der Besucher kaufen nicht

André Morys stellt die Kardinalfrage: «Was lässt 97 von 100 Menschen abbrechen?» Warum also kann ein typischer Online Shop nur 3 von 100 Besuchern zu einem Kauf bewegen? Die Antwort auf diese zentrale Frage ist zum Beispiel nicht nur im Shopdesign zu finden, die Ursachen sind vielfältig, nachfolgende Auswahl soll dies ausschnittsweise illustrieren:

• Motivation der Shop-Besucher • Übersichtlichkeit • Emotionale Ansprache • Angebot / Sortiment / Angebotspräsentation • Preise / Preisdarstellung • Vertrauen • Gestalterische Qualität • Serviceversprechen

Es gibt nicht nur zahlreiche Faktoren, welche die Konversionsrate negativ beeinflussen. Oft bestehen zwischen diesen Faktoren zusätzlich Wechselwirkungen, die den Effekt verstärken können. So wirkt eine unübersichtliche Startseite selten vertrauenserweckend, die Motivation eines Besuchers wird dadurch auch gleich gedämpft.

3.1.2 Konversionsrate – grosses Optimierungspotenzial

Die 2009 im HighText Verlag publizierte Studie «Konversionsraten deutscher Onlineshops» (vgl. dazu Web Arts, 2009a) ermöglichte einen interessanten Blick auf die Verteilung von Konversionsraten deutscher Online-Händler (s. Abb. 9). Konkrete Daten für die Schweiz stehen leider nicht zur Verfügung. Der Carpathia-Gründer und E-Commerce-Spezialist Thomas Lang geht in der Schweiz von tendenziell etwas höheren Konversionsraten aus. Nach seiner Meinung bewegen sich diese im Schnitt zwischen 3–4% (Telefon vom 02.08.10).

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Abb. 9: Verteilung der Konversionsraten deutscher Online Shops Quelle: Web Arts (2009a; Auswertungszeitraum Juni–Nov. 2008, n=120)

Laut Information der Firma Web Arts AG kann von einer durchschnittlichen Konversionsrate von etwa 3% ausgegangen werden. Zugleich macht die Verteilung klar, dass zwischen Durchschnitt und Best Practice ein grosses Potenzial liegt. Es gibt neben der Mehrheit an E-Shops auch solche, die offenbar erheblich höhere Konversionsraten generieren können. Web Arts AG nennt in ihrem Blog «Konversionskraft.de» den Web Shop Pro Flowers (www.proflowers.com) als Best Practice Beispiel. Die Höhe der Konversionsrate des ameri-kanischen Online-Blumenhanbieters ist mit durchschnittlich ca. 28% phänomenal (Zeitraum 24 Monate, vgl. dazu Morys, 2010).

Man muss sich die Frage stellen, welche Faktoren für eine hohe Konversionsrate verantwort-lich sind. André Morys dazu: «Die Studie liefert zwei Korrelationen: Zum einen zeigt sich, dass ein erhöhtes Mass an Kundenorientierung in Form von Kundenbefragungen und Bedarfsana-lysen die Konversionsrate nach oben treibt. Zum anderen stellte die Studie Zusammenhänge zwischen Markenpositionierung und Konversionsraten her» (Web Arts, 2009c, S. 2).

Thomas Lang stellt zudem fest, dass die Schweizer E-Shops weiterhin von der generellen Verschiebung ins Online-Business profitieren. Die attraktiven Zuwachsraten der letzten Jahre sind von einem strukturellen Wachstum getrieben. Dadurch sind laut T. Lang zahlreiche Shop-Betreiber noch gar nicht gezwungen, sich mit dem Prozess «Conversion Rate Optimization» zu beschäftigen und schöpfen ihr Potenzial hier noch nicht aus (Telefon vom 02.08.10).

3.1.3 Ersteindruck einer Website – schnell und gnadenlos

Eine der grössten Herausforderungen jedes E-Shops liegt schon in den Eigenheiten des Mediums Internet begründet. Extrem schnell werden Websites auf ihren ersten Eindruck beurteilt, zugleich ist der nächste Konkurrent nur den berühmten nächsten Klick entfernt. Immer mehr Konsumenten sind heute mit dem Web und auch dem Online Shopping ver-traut(er), verbunden mit einer intensiveren Nutzung. Gleichzeitig haben die User heute hohe Erwartungen an Websites und Web-Anwendungen (wie z. B. Online Shopping). Dies hat

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eine Anfang 2010 von CA Technologies in Zusammenarbeit mit dem Consulting Unter-nehmen Foviance durchgeführte Studie bestätigt. Die Resultate der unter dem bezeich-nenden Namen «Web Stress» veröffentlichten neurologischen Untersuchung an insgesamt 13 Probanden sind eindeutig: Wenn die Online-Erwartungen der Teilnehmer nicht erfüllt wurden, regten sie sich schneller auf, waren irritiert und mussten sich bis zu 50% mehr kon-zentrieren (CA & Foviance, 2010). Jeder Web Shop ist deshalb gut beraten, näher zu ergründen, wie es mit der Erwartungshaltung seiner Besucher aussieht (s. Kap. 4.2.1).

Wie vorhin schon kurz ausgeführt: Der Konsument im Internet beurteilt in Sekundenbruch-teilen eine Website, der Ersteindruck ist schnell gemacht. Wer als Shop-Betreiber Opfer dieses gnadenlosen und schnellen Urteils wird, verliert schon nach wenigen Sekunden oder Klicks viele potenzielle Kunden (s. Abb. 10). Gerade in der Phase des Kennenlernens ist es deshalb für jeden Online Shop zentral, die relevanten Botschaften für Web-Nutzer auf den Punkt zu bringen.

Abb. 10: Grosser Besucheranteil, der im Ersteindruck Online Shop verlässt Quelle: Web Arts (2009a; Auswertungszeitraum Juni–Nov. 2008, n=94)

Was obige Abbildung auch zeigt: Offenbar spielen emotional bedingte Schranken eine grosse Rolle. Denn nur ein kleiner Teil des Besucherverlustes von etwa 3% kann auf die all-gemein bekannte Usability (Begriffsdefinition s. Anhang 1) und damit verbundene funktionale Barrieren zurückgeführt werden. Gerade der Ersteindruck eines neuen Shop-Besuchers wird durch das Wechselspiel von Bewertung, Erwartungshaltung und Wahrnehmung geformt. Die daraus resultierenden und blitzschnellen Entscheidungen werden grossenteils unbewusst durch Emotionen beeinflusst.

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Daraus können folgende Schlüsse gezogen werden:

• Traditionelle, auf Usability-Optimierung konzentrierte Massnahmen greifen zu kurz und entfalten nur eine kleine Wirkung. André Morys formuliert es treffend: «Detailoptimie-rungen bringen Detailverbesserungen» (Web Arts, 2009c, S. 3). Mein Eindruck deckt sich mit seiner folgenden Aussage: «E-Commerce-Manager beobachten zudem immer wieder, dass nach funktionalen Optimierungen die ersten positiven Effekte nach kurzer Zeit wieder abflachen» (Web Arts, 2009c, S. 6). Der Effekt eines neu strukturierten Sei-tenlayouts z. B. kann schnell wieder verblassen.

• Viel effektiver ist eine Optimierung jedes Web Shops, die auch den enorm wichtigen Prozess des Ersteindrucks sowie durch Emotion / Demotivation verursachte Schranken mitberücksichtigt (s. Kap. 4.2.1).

Es sollte schon deutlich geworden sein: Für jeden Online Shop ist die Optimierung der Kon-versionsrate der zentrale Erfolgsfaktor. Auch im deutschsprachigen Raum wird dafür der Begriff der Conversion Rate Optimization (CRO) verwendet.

3.2 CRO als der zentrale E-Commerce-Erfolgsfaktor

Conversion Rate Optimization beschäftigt sich folglich mit der Optimierung der Konversions-leistung einer Website. Viele Faktoren beeinflussen und ergeben in der Summe eine gute Konversionsrate. Bei einem E-Shop dazu gehören z. B. die Startseite, das Shop Design bzw. Layout oder die Ladezeit.

Heute werden CRO-Massnahmen immer noch zu isoliert und nur auf Teilaspekte wie z. B. das Shopdesign ausgerichtet. Das bei Shop-Optimierungen verbreitete «Trial and Error» Prinzip kann ebenfalls kritisch hinterfragt werden, insbesondere dann, wenn für den Optimie-rungsprozess ausschliesslich auf das Urteil von Experten gesetzt wird, anstelle der rele-vanteren Kundenperspektive.

Eine wirklich effektive Wirkung entfaltet CRO erst dann, wenn man zu verstehen versucht, was im Kopf des Kunden passiert. Wenn ergründet wird, wie und warum Emotion und Moti-vation, Erwartung und Wahrnehmung die Handlung jedes Besuchers beeinflussen. Die aus dieser Analyse generierten Erkenntnisse können zu einer erheblich grösseren Wirkungsent-faltung jeder CRO führen.

André Morys vergleicht den Vorgang eines Onlinekaufs mit einer Seiltanznummer und führt in einem Blogbeitrag dazu aus:

Onlinekäufer scheinen in ihrer Motivation gefestigt zu sein. Und trotzdem brechen sie oft bei der winzigsten Abweichung zwischen Erwartung und Realität den Kaufvorgang komplett ab. Es ist nicht so, dass die Menschen vor dem Bildschirm die eine oder andere offene Frage oder Unsicherheit verkraften. Nein, sie brechen viel schneller ab als wir denken. Bei funktio-nalen Defiziten hingegen probieren sie oft wesentlich länger aus, um die «Aufgabe» zu lösen als man glauben würde. (Morys, 2009a)

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4. Modell einer Conversion Rate Optimization (CRO)

Die Ausführungen in den Kap. 3.1ff. machten schon deutlich: Ohne Verständnis über die menschlichen Entscheidungsprozesse im Kopf des Shop-Besuchers wird jede Conversion Rate Optimization das Potenzial nur marginal ausschöpfen. Es lohnt sich also, für den ganzen Konversionsprozess eines Online Shops emotionale Einflussfaktoren näher zu beleuchten.

4.1 Konversion – kein linerarer Prozess

Einleitend soll mit einer weiteren vorherrschenden Denkweise aufgeräumt werden: Der Kon-versionsvorgang in einem Online Shop verläuft nicht nach einem linearen Muster. Einsatz und Analyse der heute üblichen Trichtervisualisierungen (z. B. beim eigentlichen Bestell-prozess) werden der Realität zu wenig gerecht. André Morys nimmt diesen Aspekt in einem Blogbeitrag auf:

Wenn wir darüber nachdenken, wie Konversion als Prozess aussieht, so denken wir meist an einen linearen Ablauf von Schritten oder Seiten. Dargestellt wird dieser Prozess oft als Trichter (Funnel), in dessen Fortschritt immer mehr Nutzer die Seite verlassen – bis zum Schluss die (meist sehr kleine) Menge derer übrig bleibt, die die Zielaktion […] durchgeführt haben. Daher erscheint es nicht ungewöhlich, dass wir zur Verbesserung der Konversions-rate auch Seite-für-Seite durchgehen (z. B. Landingpage-Optimierung) und jeweils nach Schwachstellen suchen. [...] Erfolgsautor Bryan Eysenberg beschreibt schon in seinem 2006 erschienenen Buch «Call to Action» das Dilemma der Sichtweise. In realen Situa-tionen springen die Nutzer nämlich von Seite zu Seite – quer durch den Funnel – bevor sie das eigentliche Konversionsziel erreichen (oder nicht). Seine Sichtweise findet erstmals aus einem anderen Blickwinkel statt – nämlich dem der Nutzer – die wichtigste Grundlage zur Verbesserung der Konversionsrate von Onlineshops und anderen Portalen. (Morys, 2009b)

4.2 Nutzermotivation – Basis einer CRO

Das auf Seite 23 dargestellte Modell einer Conversion Rate Optimization vermittelt einen schematischen Überblick. Grundsätzlich soll damit jeder Web Shop einen Rahmen für eine effektive CRO erhalten. Die konkrete und operative Umsetzung des erarbeiteten Konzepts ist nicht Bestandteil dieser Arbeit.

Das CRO-Modell nimmt eine der wichtigen Erkenntnisse aus dem Neuromarketing auf, dass jede (Kauf)Entscheidung durch emotionale Faktoren beeinflusst wird (s. Kap. 2.3.2). Emo-tionen rücken auch immer mehr in das Blickfeld von E-Shop-Betreibern und beratenden E-Commerce-Agenturen. Sie wollen den Besuchern von Online Shops ein besseres – das heisst emotional ansprechenderes – Einkaufserlebnis bieten. Doch nicht jeder Online Shop kann das Potenzial einer gesteigerten Emotionalisierung gleichermassen ausschöpfen. Ein E-Shop Betreiber mit einem Standardsortiment im Bereich Elektronik und Technik «emotionalisiert» z. B. nicht im gleichen Umfang wie ein Anbieter von Liveshopping (z. B. daydeal.ch) oder Clubshopping (z. B. vente-privee.com).

Eine Leitidee für das erarbeitete Modell vermittelte eine Aussage von Malte Polzin aus einem von mir geleiteten Workshop (vgl. dazu S. 22). Matthias Henrici – Senior Consultant bei Web Arts AG – bringt genau diesen Gedankenanstoss auf den Punkt: «Die grösste Kauf-Motivation ist das Nicht-Vorhandensein von Demotivation» (Henrici, 2009).

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Wenn also die Vision bzw. Mission einer Conversion Rate Optimization darin besteht, bei einem Shop User den Zustand von Demotivation möglichst zu vermeiden, dann ist für jeden Online Shop ein interessantes und lange nicht ausgeschöpftes Potenzial vorhanden.

Die Nutzermotivation bildet gedanklich die Grundlage für das entwickelte Modell und die zentrale Frage lautet folglich: Wie lässt sich Demotivation des Nutzers verhindern bzw. seine Motivation verbessern? Oftmals geht damit auch eine gesteigerte Emotionalisierung des Einkaufserlebnisses einher oder wird parallel dazu gezielt zu erreichen versucht.

Das ausgearbeitete Modell wird nun überblicksartig näher erläutert und begründet. Dazu werden die vier im Modell enthaltenen Bestandteile in je einem Kapitel abgehandelt. Die in der Abb. 11 aufgeführten Nummern ( - ) sind für einen besseren Bezug in den jeweiligen Kapitelüberschriften sowie Textpassagen in Klammern vermerkt.

Abschliessend ist die Information zum «Round Table» angebracht, den ich als Bestandteil dieser Arbeit am Mi 09.06.10 durchgeführt habe. Am von mir moderierten und knapp drei-stündigen Workshop haben nachfolgend aufgeführte Teilnehmer mitgewirkt:

• Thomas Lang (Inhaber Carpathia GmbH) • Patrick Kessler (Präsident Verband des Schweizerischen Versandhandels) • Malte Polzin (Leiter Marketing und Kommunikation, Competec Holding AG mit u.a.

Brack, Alltron, daydeal.ch) • Daniel Risch (Senior Consultant, Unic AG) • Roger Schnider (Moderation)

Input aus dieser Runde von E-Commerce-Experten ist in das vorliegende Konzept ebenfalls eingeflossen und ist nochmals verdankt.

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Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 23 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement

Abb. 11: Modell Conversion Rate Optimization (CRO)

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4.2.1 Motivationsmodell und der Shop-Besucher ( , , )

Für die Optimierung der Konversionsleistung eines Online Shops ist es notwendig, den Entscheidungsprozess der Besucher zu beleuchten. André Morys führt dazu aus:

Um Konversionsraten effektiv optimieren zu können, ist zunächst die Frage nach den Gründen für die Abbrüche zu stellen. Da die zur Konversion benötigte Aktion stets vom Nutzer ausgehen muss, ist eine wesentliche Ursache für das Ausbleiben der Aktion in einer zu geringen Motivation des Nutzers zu sehen. (Web Arts, 2009b, S. 4)

Dazu können diverse psychologische Modelle beigezogen werden, die Motivation erklären, wie z. B. das Rubikon-Modell oder die «Theory of 16 Basic Desires» (vgl. dazu Reiss, 2002). Das nachfolgende Schema (s. Abb. 12; ) von Web Arts AG stellt die Einflussfaktoren für menschliches Handeln vereinfacht dar.

Bewertung

Abb. 12: Einflussfaktoren für menschliches Handeln Quelle: Web Arts (2009b, S. 5)

Die einer Handlung vorgelagerten Einflussfaktoren beschreibt André Morys wie folgt:

Die Intensität mit der Nutzer eine Handlung ausführen möchten, resultiert aus einer Bewer-tung zwischen Wahrnehmung und Erwartung. Dabei geschieht die Bewertung sowohl auf emotionaler als auch auf rationaler Ebene. Die bewusste, kognitive Verarbeitung auf ratio-naler Ebene ist der emotionalen Bewertung nachgelagert. Die emotionale Bewertung ist schneller und stärker – Neurowissenschaftler gehen sogar davon aus, dass die emotionale Ebene grundsätzlich die rationale Ebene kontrolliert. (Web Arts, 2009b, S. 5)

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Schon das gedankliche Auseinandersetzen mit obenstehendem Modell verbunden mit der Adaption auf die Merkmale des eigenen Web Shops führt zu vielfältigen Ansatzpunkten für eine effektive CRO. Nachfolgend werden drei Aspekte erläutert ( , ):

• Nur eine aus der Sicht des Nutzers erwartungskonforme Shop-Gestaltung unter Berück-sichtigung mentaler Modelle (Begriffsdefinition s. Anhang 1) führt zu einem nutzer-freundlichen Online Shop. Es gibt zu diesem Thema eine interessante Studie der Firma eResult GmbH. Die mittlerweile in drei Erhebungswellen (2003, 2005, 2009) durchge-führte Umfrage vermittelt Informationen zur User-Erwartung bezogen auf die Gestaltung einer Startseite. Die panelbasierte Online-Befragung 2009 (n=600) hat z. B. ergeben, dass knapp 72% der Web-Nutzer eine Suchfunktion am häufigsten im oberen rechten Seitenbereich erwarten (vgl. dazu eResult, 2009).

• Ergibt sich in einer bestimmten Situation eine negative Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität, weckt dies Gefühle wie Unbehagen, Verwirrung oder Frustration. Dies hat die Studie von CA zum Thema «Web Stress» bestätigt (s. Kap. 3.1.3).

• Das menschliche Gehirn ist auf das Prinzip der Vereinfachung getrimmt. So versucht der Mensch immer, den Aufwand für das Bewerten einer möglichen Handlung zu minimieren. Verbesserungen, die eine Reduktion des kognitiven Aufwands eines Web-Nutzers bewirken, machen sich also rasch bezahlt. Dazu gehören z. B. eine bessere Lesbarkeit oder eine klare Orientierung (vgl. dazu Web Arts, 2009b, S. 5).

Letztlich wird damit der Nutzer immer konsequent aus seiner Perspektive betrachtet. André Morys vermerkt dazu: «Wenn wir nutzerorientiert Denken wollen, müssen wir noch einen Schritt weiter gehen: Nutzer spingen im Entscheidungsprozess nicht nur hin-und-her – sie stellen sich auch eine Menge Fragen» (Morys, 2009b).

4.2.2 Konversionsleistung – vom Erstkontakt bis zum Fan ( , , , )

Es ist das Hauptziel jeder CRO, aus dem Pool von Interessenten bzw. Erstbesuchern mög-lichst viele Kunden zu generieren. Ein richtig nachhaltiger Effekt entsteht aber dann, wenn aus der Menge an Kunden wiederum möglichst viele zu begeisterten Fans avancieren. Diese Fans zeichnet einerseits ein hohes Mass an Kundenloyalität aus, andererseits führt ihre Begeisterung zu einem Multiplikatoreffekt, indem sie in ihrem Freundeskreis als eigentliche Botschafter auftreten. Die neuen Kommunikationskanäle im Bereich Social Media können diesen Effekt zusätzlich verstärken.

Aus der Sicht eines Web Shops kann deshalb zu Recht von einer Konversionsleistung geprochen werden, wenn Erstbesucher zu treuen Fans gemacht werden. Der zweite Bestandteil des CRO-Modells unterscheidet dazu fünf Phasen, die idealtypisch den Vorgang der Konversionleistung definieren ( ). Es versteht sich, dass nicht jeder Shop-Besucher alle Phasen linear durchläuft. Ein User kann z. B. ohne grosse Umschweife basierend auf der Glaubwürdigkeit einer Empfehlung aus dem Freundeskreis eine Bestellung vornehmen. In diesem Fall nimmt er die beabsichtigte Konversionsleistung der ersten beiden Stufen prak-tisch nicht in Anspruch. Nicht unüblich ist auch das Unterbrechen des eigentlichen Kaufvor-gangs und der Rückfall in die Phase des «aktiven Besuchers», ehe der Kaufvorgang zu einem späteren Zeitpunkt dann wirklich abgeschlossen wird.

Das CRO-Modell definiert griffige Bezeichnungen für die Konversionleistung in jeder Phase, wie z. B. das «Verbünden» im Stadium des aktiven Besuchers ( ). Ergänzend wird jeder der fünf Stufen auch eine angestrebte Handlung seitens User zugeordnet ( ) sowie eine Aus-wahl von möglichen Kriterien bzw. Einflussfaktoren aufgelistet ( ), die für das Erreichen der

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jeweiligen Konversionsleistung zu berücksichtigen sind. Die Basis für das Zuordnen geeig-neter Kriterien bilden Erkenntnisse aus dem Motivationsmodell. Diese Einsichten werden idealerweise auch beim Konkretisieren von detaillierten Optimierungsaktivitäten berücksich-tigt. Zur Illustration werden folgende zwei Beispielen angeführt:

• Wie in Kap. 3.1.3 schon ausgeführt, verliert jeder E-Shop viele Erstbesucher schon nach wenigen Klicks und kurzer Zeit. Es ist daher sinnvoll, den Ersteindruck unverzüglich durch möglichst klare und relevante Informationen zu festigen. Individueller Nutzen oder Unique Value Proposition sollten direkt verstanden werden können. Der Besucher braucht für den Ersteindruck Klarheit. Eine delikate Aufgabe, denn der User trifft bei fehlender Bestätigung seiner Erwartungshaltung in ultrakurzer Zeit einen für den Shop fatalen Entscheid, indem er diesen wieder verlässt und im schlimmsten Fall auch gleich zum letzten Mal besucht hat.

• Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeit und Vertrautheit bilden die Grundlage von Vertrauen. Dieses ist für den eigentlichen Bestellvorgang absolut zentral. Es lohnt sich also, den Bestellprozess gezielt unter der Sichtweise von Vertrauen zu durchleuchten und sich zu fragen, wo das Vertrauen des Shop Users in diesem für ihn sensitiven Vorgang unter-graben wird (bzw. gefestigt werden kann).

Bei den in Abb. 11 aufgeführten Kriterien ( ) handelt es sich um idealtypische Beispiele, die für jeden Online Shop zur Anwendung kommen können. Die zusammengestellte Liste ist selbstverständlich nicht abschliessend. Bestimmte Einflussfaktoren wie z. B. Vertrauen oder Sicherheit können durchaus mehr als einer Stufe zugeteilt werden und sind in Abb. 11 in der dafür wichtigsten Phase aufgeführt.

An dieser Stelle ist das Thema Kundenbegeisterung angebracht, die insbesondere für die letzte Stufe der ganzen Konversionsleistung anzustreben ist. Der Aspekt der Begeisterung sollte auch schon in den vorherigen Phasen berücksichtigt werden. Einfacher gesagt als getan. Anne Schüller – Managementberaterin sowie führende Expertin für Loyalitätsmar-keting – führt dazu aus: «Begeisterung kann man nicht einfordern, man muss sie sich – genauso wie Vertrauen und Loyalität – immer wieder neu verdienen» (Schüller, 2010, S. 50).

Anne Schüller nimmt das in Kap. 4.2.1 beschriebene Wechselspiel zwischen Erwartung und Wahrnehmung wieder auf: «Erwartungen wie auch Wahrnehmung und Bewertung des Erhaltenen sind immer emotional markiert. Das hat mit dem eigenen Anspruchsniveau zu tun. Und mit den abgegebenen Versprechen. Ebenso zählt, was üblicherweise zu erwarten ist.» Sie folgert daraus: «Begeistert ist, wer mehr erhielt, als er erwartet – oder mehr als andere. Denn unser Hirn vergleicht immer und fragt: In Relation wozu? […] Um Kunden zu begeistern, wird man also Erwartungen übertreffen müssen, sonst schlägt die positive Erwartungshaltung schnell in Enttäuschung um» (Schüller, 2010, S. 51).

Es sind oft kleine Gesten wie z. B. eine Dankeskarte, die zu einem emotionalen Auspack-erlebnis beiträgt, oder zwischenmenschliche Faktoren, die die Kundenbeisterung nähren und für emotionale Verbundenheit sorgen. Gerade das Aufkommen von Social Media (z. B. Facebook) bietet heute für praktisch jeden Web Shop verschiedene Plattformen an, auf welchen sich begeisterte Kunden austauschen und als eigentliche Markenbotschafter ihren Enthusiasmus verbreiten können (oder im umgekehrten Fall auch ihrer Enttäuschung Luft machen).

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Anne Schüller zieht ein treffendes Fazit: «Jedes (Werbe-)Versprechen ist eine unbezahlte Schuld. […] Also: Lieber weniger versprechen und mehr erfüllen» (Schüller, 2010, S. 51). Ein Grundsatz, der sich jeder Online Shop zu Herzen nehmen sollte.

Nach den ersten beiden Bestandteilen, die vor allem den gedanklichen bzw. konzeptionellen Rahmen des CRO-Modells bilden, werden nun mit den beiden letzten Komponenten Aspekte betrachtet, die mit der Umsetzung verbunden sind.

4.2.3 CRO – nur als interdisziplinärer Ansatz erfolgreich ( )

Sofern der Prozess der Conversion Rate Optimization wie in meinem Modell unter eine ganzheitliche Sichtweise gestellt wird (weg vom Eingrenzen auf das übliche und lineare Trichterdenken), so ist der Einbezug verschiedener Fachbereiche bzw. Disziplinen die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Fachdisziplinen wird zum Verständnis schematisch aufgezeigt (s. Abb. 13; ).

Abb. 13: Schema interdisziplinärer Ansatz Conversion Rate Optimization

Es braucht den Input aus verschiedenen Fachbereichen wie z. B. Usability, Psychologie, Medizin / Hirnforschung oder Neuromarketing, um die Entscheidungsprozesse von Shop Usern besser zu verstehen. Die generelle Frage ist berechtigt: Führt die meist isolierte Sichtweise aus den einzelnen Fachbereichen überhaupt zu wertvollen Erkenntnissen? Der Shop-Besucher als Kunde ist in diesem Schema nicht explizit aufgeführt, seine Sichtweise wird im Prozessablauf vor allem in der Phase der Analyse und Messung / Bewertung (Testing) mitberücksichtigt (s. Kap. 4.2.4).

Es ist offensichtlich: Eine solche Projektgruppe führt zu einem zusätzlichen Aufwand für Pro-jektorganisation und Prozessmanagement. Die deutlich verbesserte Wirkung der CRO aber wird diesen Zusatzaufwand mehr als kompensieren und letzlich sollte durch den Einbezug und das Zusammenwirken der verschiedenen Fachbereiche auch der ROI höher ausfallen.

Auf die damit verbundenen Herausforderungen und Problematiken während des Umset-zungsprozesses wird nicht näher eingegangen. Der Austausch zwischen den Spezialisten ist zudem vor allem in der Analysephase gleich zu Beginn des Prozesses mit mehr Aufwand verbunden und kann zu wichtigen Erkenntnissen führen.

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4.2.4 CRO – Prozess und kein Projekt ( )

Für die erfolgreiche Umsetzung braucht es neben einer ganzheitlichen Betrachtung auch das Verständnis, dass jede CRO einen Prozess und kein Projekt darstellt. Conversion Rate Optimization kann nicht nur über einen Start- und Endtermin definiert werden, vielmehr gehört CRO zu einer der laufenden und fortwährenden Kernaufgaben jedes Online Shops.

Zur schematischen Darstellung des Prozesses werden Kreislaufmodelle verwendet. Damit wird auch die darin enthaltene Philosophie eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) aufgenommen (s. Abb. 14; ).

Abb. 14: CRO-Prozess als Kreislaufmodell (Schema adaptiert von Web Arts AG)

Ich beleuchte in meiner Arbeit den Prozessablauf nur überblicksartig. Die insgesamt fünf Phasen mit dem entsprechenden Hauptziel sind nachfolgend aufgeführt:

• Analyse: Entscheidungsprozesse des Web-Nutzers besser verstehen (Basis: Motivationsmodell)

• Konklusion: Aufgrund der Analyse richtige Schlussfolgerungen ziehen • Optimierung: Erkenntnisse in die Optimierungsaktivitäten einfliessen lassen

(Vision: Keine Demotivation des Shop Users über die ganze Konversionsleistung) • Messung / Bewertung: Optimierungsmassnahmen testen und bewerten

(z. B. A / B Testing) • Rollout: Getestete und positiv bewertete Optimierungsmassnahmen shopweit und

dauernd implementieren Susanne Seibold von Web Arts AG zieht in einem Blogbeitrag ein treffendes Fazit: «Unter-nehmen, die CRO als kontinuierlichen Prozess verstanden haben und über ein reines Re-Design ihres Angebots hinaus denken, haben den Wert hinter CRO erkannt» (Seibold, 2009).

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4.3 Ganzheitliche CRO vereinfacht, verbessert und verändert

Den Abschluss bildet ein Resümee zum erarbeiteten Modell einer Conversion Rate Optimization. Der Versuch, bei einer Conversion Rate Optimization die Entscheidungs-prozesse eines Shop-Besuchers zu identifizieren, kann die Grundlage zu einer Verein-fachung seiner Entscheidungsmechanismen bilden.

Erkenntnisse aus dem Neuromarketing, aber auch aus der Psychologie und Hirnforschung können dazu beitragen, den Kunden besser zu verstehen. Darauf ausgerichtete Optimie-rungsmassnahmen wiederum werden zu Verbesserungen führen, die eine grosse Wirkung auf die Konversionsrate entfalten können. Der Shop-Besucher wird weniger demotiviert beziehungsweise stärker motiviert. Meist ist damit auch eine Emotionalisierung des Shop-Erlebnisses verbunden, da sich der User emotional besser verstanden und angesprochen fühlt. Letztlich geht es ganz einfach darum, die Erwartungshaltung der Shop-Besucher zu übertreffen und sie so zu begeistern, dass sie sich im besten Fall zu Fans entwickeln.

Ein Modell bildet die Komplexität der Realität immer vereinfacht ab, die vorherigen Ausfüh-rungen auch. Erst der Einsatz in der Praxis wird zeigen, ob das ausgearbeitete Modell «gelebt» werden kann. Denn mit jeder Conversion Rate Optimization werden Dinge auch verändert, es braucht gerade in der konkreten Umsetzung eine Kultur, die beim Testen auch Fehler erlaubt. Nur ein Web Shop, der zu diesem Risiko bereit ist, bildet damit das Funda-ment zu einer erfolgversprechenden Conversion Rate Optimization.

Jeder Shop-Betreiber sollte der Conversion Rate Optimization eine zentrale Bedeutung zumessen, schliesslich kann er damit seine digitale Wertschöpfung wirksam verbessern. Die Strategie baut auf einem interdisziplinär und ganzheitlich verankerten Prozess auf. Der iso-lierte Einsatz einzelner Massnahmen oder Projekte wird bewusst unterlassen.

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Quellenverzeichnis

Neben dem Quellenverzeichnis wurde auch eine Delicous-Linkliste «Neuromarketing» zusammengestellt, mit interessanten Quellen aus dem Internet wie z. B. Blogs, Online-Versionen von Fachzeitschriften oder online verfügbare Vorträge (vgl. dazu http://delicious.com/r.schnider/Neuromarketing).

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Anhänge

Anhang 1: Glossar

Die im Anhang 1 aufgeführten Begriffe nehmen nach Meinung des Verfassers im Rahmen dieser Vertiefungsarbeit eine wichtige Bedeutung ein und werden für eine weitere Klarstel-lung nachfolgend noch näher erläutert. Ein Teil der Begriffe (wie z. B. «Neurowissen-schaften») wird in Hauptteil der Arbeit direkt nicht verwendet und ist für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge ergänzend aufgeführt. Die Quellen für die Begriffs-umschreibungen sind jeweils vermerkt und stammen mehrheitlich aus dem Online-Nachschlagewerk Wikipedia.

Emotion

Emotionen sind komplexe, in weiten Teilen genetisch präformierte Verhaltensmuster, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, um bestimmte Anpassungsprobleme zu lösen und dem Individuum ein schnelles und der Situation adäquates Handeln zu ermög-lichen ([werner.stangl]s arbeitsblätter, Stangl W., ohne Datum).

Die Emotion ist ein komplexer Prozess, der auf verschiedenen psychischen / seelischen Funktionsebenen abläuft. Davon zu unterscheiden ist der Begriff Gefühl, der nur das subjek-tive Erleben der Emotion bezeichnet, wie z. B. Freude, Lust, Geborgenheit, Liebe, Trauer, Ärger, (das) Glücklichsein, Wohlbehagen (Wikipedia, ohne Datum).

Emotionen sind mit persönlich bedeutsamen Ereignissen verbunden und haben einen grossen Einfluss auf unser Handeln. Spezifisch bezeichnet der Begriff «Emotion» kurzfristige Ereignisse des Fühlens und des damit assoziierten Verhaltens. Emotionen werden mithilfe der Dimensionen Valenz (Wertigkeit) und Erregung (engl. arousal) charakterisiert. Im weiteren Sinne werden auch Affekte und Stimmungen unter dem Begriff «Emotion» sub-summiert. Der Begriff «Affekt» bezeichnet die Aspekte von Emotionen, die nach aussen, z. B. in einem Gesichtsausdruck oder der Stimme erkennbar sind. Stimmung bezeichnet einen selbst erlebten, länger anhaltenden emotionalen Zustand (SpringerLink, ohne Datum).

Mentale Modelle

Ein mentales Modell ist die Repräsentation eines Gegenstandes oder eines Prozesses im Be-wusstsein eines Lebewesens. Da die in der Welt vorhandenen Informationen bereits von den Sinnesorganen und auch vom Gehirn massiv gefiltert und verändert werden, ist ein mentales Modell immer nur ein Ausschnitt, ein «verkleinertes» Abbild eines Teils der Wirklichkeit. Den-noch bleiben bei «guten» mentalen Modellen die relevanten Aspekte der Wirklichkeit erhalten, insbesondere ihre Struktur (sog. Homomorphismen) (Wikipedia, ohne Datum).

Wir alle haben Vorstellungen davon im Kopf, wie sich Personen ebenso wie Maschinen und Naturphänomene um uns herum verhalten. Dies erlaubt uns, Geschehnisse vorauszusehen. Man weiss im Voraus, dass ein Bleistift zu Boden fällt, wenn man ihn loslässt. […] Das Ver-halten von Computersystemen sollte also im Einklang sein mit den mentalen Modellen der Benutzer. Das ist letztlich, was Usability anstrebt (Usility GmbH, ohne Datum).

Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 33 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement

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Diese Übereinstimmung von mentalen Modellen und Systemverhalten kann grundsätzlich durch Anpassungen in beide Richtungen erfolgen: der Computer verhält sich, wie es der Benutzer erwartet. Oder der Benutzer durchläuft einen Lernprozess, d.h. er passt sein mentales Modell dem System an. Beides geschieht laufend. Beides hat gute und weniger gute Seiten (Usility GmbH, ohne Datum).

Motivation

Motivation bezeichnet das auf emotionaler bzw. neuronaler Aktivität (Aktivierung) beruhende Streben nach Zielen oder wünschenswerten Zielobjekten. […]

Man unterscheidet zwei Gruppen von Motivationsmodellen:

• Inhaltsmodelle beschäftigen sich mit Inhalt, Art und Wirkung von Motiven. Eine Taxo-nomie [= Klassifizierung / Kategorienzuordnung; der Verfasser] von Motiven wird geboten und bestimmt, nach welchen Gesetzmässigkeiten welche Motive verhaltens-bestimmend werden [vgl. dazu z. B. Reiss, 2002; der Verfasser].

• Prozessmodelle versuchen zu erklären, wie Motivation formal und losgelöst von Bedürfnisinhalten entsteht und auf das Verhalten wirkt. Das Ziel des Verhaltens ist unbestimmt, aber das Individuum will den subjektiv erwarteten Nutzen maximieren.

(Wikipedia, ohne Datum)

Neurowissenschaften

Die Neurowissenschaften sind ein Sammelbegriff für biologische, physikalische, medizi-nische und psychologische Wissenschaftsbereiche, die den Aufbau und die Funktionsweise von Nervensystemen untersuchen.

Untersuchungsgegenstand sind die Mechanismen, mit denen Nervensysteme dazu beitragen, dass Organismen ihre Lebensvorgänge angepasst an ihre jeweiligen Umwelten vollziehen können. Dabei werden Aufbau und Funktion sowohl von einzelnen Nervenzellen (Neuronen), von grösseren Zellverbänden, die Funktionseinheiten bilden, aber auch ganzer Nervensysteme untersucht. […]

Forschungsrichtungen der Neurowissenschaften, die sich hauptsächlich mit der Unter-suchung von Aufbau und Leistungen des Gehirns von Menschen und nicht-menschlichen Primaten befassen, werden oftmals als Hirnforschung oder Gehirnforschung bezeichnet. […]

Grob lassen sich die Neurowissenschaften, den Ebenen entsprechend, in vier unterschied-liche Disziplinen einteilen:

• Neurobiologie • Neurophysiologie • kognitive Neurowissenschaft • klinisch-medizinische Fächer

(Wikipedia, ohne Datum)

Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 34 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement

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selektive Wahrnehmung

Selektive Wahrnehmung bedeutet, dass nur bestimmte Aspekte der Umwelt wahrgenommen und andere ausgeblendet werden.

Sie beruht auf der Fähigkeit, Muster zu erkennen, einem grundlegenden Mechanismus des menschlichen Gehirns. Unser Gehirn ist ständig auf der Suche nach Mustern, um neue Informationen in bereits vorhandene besser eingliedern zu können. Dabei ist die selektive Wahrnehmung meist eine unbewusste Suche nach einem bestimmten Muster. Dies ist not-wendig, um die Fülle an Informationen bewältigen zu können.

Die Auswahl der wahrgenommenen Sinneseindrücke wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst (z. B. Erfahrungen, Einstellungen und Interessen). (Lernwelt, Schipek P., ohne Datum)

subliminale Wahrnehmung

Subliminal ([…] deutsch unterschwellig) ist ein Begriff aus der Psychologie. Er bezeichnet die unterschwellige Darbietung bzw. Wahrnehmung von Reizen. «Unterschwellig» bedeutet, dass die Schwelle des Bewusstseins nicht überschritten wird, dass also Menschen die ihnen dargebotenen subliminalen Reize nicht bemerken oder sie zumindest nicht diskriminieren (trennen) können, sie sind dem Bewusstsein nicht zugänglich.

Reize können aus verschiedensten Gründen an der Schwelle bewusster Wahrnehmung scheitern, etwa wenn ihre Darbietung zu kurz ist oder das Signal-Rausch-Verhältnis oder der Darbietungszeitpunkt ungünstig sind. (Wikipedia, Seite « Subliminal (Psychologie)», ohne Datum)

Kontrovers diskutiert werden subliminale Botschaften in der Werbung. Die Mehrheit der Menschen lehnt unterschwellige Werbebotschaften ab.

Usability

Die Usability ist [...] davon abhängig, ob die Interaktion zwischen dem Anwender und dem technischen System (zum Beispiel einer Website) reibungslos funktioniert. Je schneller und leichter ein Benutzer den zielgerichteten Gebrauch einer Website erlernen und anwenden kann, ohne dabei frustriert zu werden, desto höher ist also die «Usability» (Brenner, 2006, S. 7).

Die Usability ist das Ausmass, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um ein bestimmtes Ziel effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen (DIN, 1999, S. 4).

Nachvollziehbar ist das erste Gesetz zur Usability von Steve Krug, das simpel lautet: «Don’t make me think!» (Krug, 2006, S. 11). Für Krug geht es bei guter Usability darum, bei den «Gedankenblasen» (einer Art Selbstgesprächen, die jeder Besucher einer Website mit sich führt) möglichst viele Fragezeichen zu eliminieren. Der Benutzer soll bei der Benutzung einer Site möglichst wenig überlegen müssen (vgl. dazu Krug, 2006, S. 12ff.).

Andere deutsche Synonyme von Usability sind Benutzerfreundlichkeit, Benutzungsfreund-lichkeit, Benutzbarkeit (Schweibenz & Thissen, 2003, S. 39).

Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 35 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement

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Bei der Web Usability und der Usability eines Online Shops kommen jeweils spezielle Krite-rien zum Tragen. Beide Usability-Ausprägungen verfolgen den Grundsatz der Benutzer-freundlichkeit von Websites.

Wahrnehmung

Wahrnehmung bezeichnet im Allgemeinen den Vorgang der Sinneswahrnehmung von physi-kalischen Reizen aus der Aussenwelt eines Lebewesens, also die bewusste und unbewusste Sammlung von Informationen eines Lebewesens mit Hilfe seiner Sinne. Auch die so aufge-nommenen und ausgewerteten Informationen werden Wahrnehmungen (oder Perzepte) genannt. Diese werden laufend mit den als Teil der inneren Vorstellungswelt gespeicherten Konstrukten oder Schemata abgeglichen.

Der Inhalt und die Qualität der Sinneswahrnehmung (Perzeption), also deren Gerichtetheit und Schärfe, können bewusst durch gezielte Aufmerksamkeit gesteigert werden. (Wikipedia, ohne Datum)

Als Menschen können wir nie die Realität an sich, sondern nur unsere subjektive Wahr-nehmung der Realität kennen, jeder Mensch konstruiert seine eigene Wirklichkeit. Diese Sicht bleibt der Alltagserfahrung häufig verborgen, da die Prozesse unbewusst ablaufen und wir die Welt auf ähnliche Weise interpretieren. […]

So sagte z. B. der Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung Wolf Singer in einem SPIEGEL Interview (1/2001): «Wahrnehmung ist stets ein aktiver Prozess, keineswegs blosses Aufnehmen von Sinneseindrücken. Unsere Wahrnehmungssysteme sind in hohem Masse interpretativ.» […]

Unser Gehirn wird ständig von einer sehr grossen Datenmenge geflutet, vieles davon ist sinnlos, anderes widersprüchlich. Aus dieser Flut von Sinneseindrücken setzt unser Gehirn eine und manchmal mehrere mögliche Repräsentationen der Wirklichkeit zusammen. Es ist die Aufgabe des Hippokampus [s. Abb. 4, S. 8], aus der Fülle möglicher Deutungen die plausibelste auszuwählen. Was allzu ungewöhnlich scheint, wird verworfen. (psychophysik.com, Franz M., ohne Datum).

Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 36 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement

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Schlusserklärung

Erklärung

Der unterzeichnende Autor dieser Arbeit erklärt hiermit, dass er die Arbeit selbst erstellt hat, dass die Literaturangaben vollständig sind und der tatsächlich verwendeten Literatur entsprechen.

Ort / Datum: Zürich, 5. August 2010

Name: Roger Schnider

Unterschrift:

Vertiefungsarbeit Strategie & Management – Roger Schnider Seite 37 Zertifikatslehrgang Strategisches Innovationsmanagement