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Research Collection Doctoral Thesis Beitrag zur Kenntnis der linden Weine Messungen an verdünnten, fadenziehenden organischen Hydrosolen Author(s): Martin, Lothar Publication Date: 1948 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000097163 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection . For more information please consult the Terms of use . ETH Library

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Research Collection

Doctoral Thesis

Beitrag zur Kenntnis der linden WeineMessungen an verdünnten, fadenziehenden organischenHydrosolen

Author(s): Martin, Lothar

Publication Date: 1948

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000097163

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Beitragzur Kenntnis der linden

Weine

Messungen an verdünnten, fadenziehenden

organischen Hydrosolen

VON DER

EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN

HOCHSCHULE IN ZÜRICH

ZUR ERLANGUNG

DER WÜRDE EINES DOKTORS DER

TECHNISCHEN WISSENSCHAFTEN

GENEHMIGTE

PRO MOTIONSARBEIT

VORGELEGT VON

LOTHAR MARTIN

VON AARAT

Referent: Herr Prof. Dr. H. Pallmann

Korreferent: Herr Priv.-Doz. Dr. H. Gessner

ZÜRICH 1948

Neographik G.m.b.H.

Gerechtigkeitsgasse 25('27

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MEINEN ELTERN

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INHALTSÜBERSICHT

Seite

I. EINLEITUNG 1

II. LITERATURBESPRECHUNG 3

1. Vorkommen und Entstehung des Lindseins der Weine 3

2. Die physikalischen und physikalisch-chemischen Eigenschaften linder Weine 7

3. Die chemischen Eigenschaften des Schleimes im linden Wein 8

4. Verhütung und Heilung des Fehlers 9

5. Ergebnis der Literaturbesprechung 9

III. QUANTITATIVE BESTIMMUNG DES LINDSEINS DURCH

MESSUNG DER KAPILLARSTEIGGESCHWINDIGKEIT 11

1. Einführung 11

2. Theorie 11

3. Material und Methode 16

4. Resultate 19

5. Mefigenauigkeit und Übereinstimmung der Resultate mit den

theoretischen Voraussetzungen 27

6. Die Kapillarsteigmethode. Diskussion ihrer Eignung zur Kennzeichnung

verdünnter fadenziehender Systeme 28

7. Irreversibilität des SchüttelefTektes bei lindem Wein 32

8. Praktische Methode zur Bestimmung des Schütteleffektes an lindem Wein 33

9. Schlußbemerkungen 36

IV. KÜNSTLICHE HERSTELLUNG VON LINDEM WEIN

MIT BAKTERIEN 37

1. Vorversuche 37

2. Versuch zur Reinzucht der Bakterien 37

3. Tätigkeit der Bakterien im Wein 38

4. Mikroskopische Untersuchungen 44

5. Konservierung der Bakterien 45

6. Schlußbemerkungen 46

V. CHEMISCHE EIGENSCHAFTEN DES SCHLEIMES AUS

LINDEM WEIN 47

1. Fällung und Auflösung 47

2. Reinigung und chemische Untersuchung 47

3. Fraktionierte Fällung der Schleimstoffe aus lindem Wein 48

4. Beständigkeit der Schleimstoffe linder Weine 50

5. Der SchleimstofF linder Weine in Lösungen verschiedener

Wasserstoffionenkonzentration 51

6. Untersuchung von reinem Bakterienschleim 52

VI. ZUSAMMENFASSUNG 55

VII. LITERATURVERZEICHNIS 59

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I. EINLEITUNG

Das Lindwerden des Weines ist ein Fehler, der durch Mikroor¬

ganismen verursacht wird, und der den Wein wahrend kürzerer oder

längerer Zeit ungeniessbar oder mindestens unappetitlich macht.

Linde Weine sind fadenziehend, sie fliessen lautlos ins Glas und

bilden dabei schleimige Faden; man nennt sie deshalb auch "still",

"schwer", "lang", "zah", "ölig" ("huileux", "gras"). Der aus der

Flasche kommende Flussigkeitsstrahl lost sich nicht wie gewohn¬

lich in Tropfen auf, sondern er ist zusammenhangend und reisst

beim Aufhören des Einschenkens schwer ab. Durch kraftiges Schut¬

tein kann das Fadenziehen zum Verschwinden gebracht werden. Lin¬

der Y/ein ist meistens etwas trübe. Wenn er sonst gesund ist, sind

Bukett und Geschmack bei Weissweinen annähernd normal (der Ken¬

ner empfindet oft eine erste Andeutung von Milchsaurestichigkeit).

Bei Rotweinen sind Geschmacksfehler häufiger zu beobachten. Beim

Kosten linder Weine kann ihre schleimige Beschaffenheit deutlich

gefühlt werden.

Y/eisse und rote Traubenweine sowie Obstweine können lind wer¬

den. Das Lindwerden ist unberechenbar. Häufig werden nicht alle

Flaschen desselben Abzuges lind. Auch im Fass kann der Wein lind

werden, wobei die einzelnen Fasspartien (untere oder obere Hälfte)

oft verschieden stark befallen werden. Meistens werden junge Wei¬

ne wahrend oder nach dem Aepfelsäureabbau lind. Alkohol-, gerb-

stoff- und saurearme Weine sind besonders gefährdet. Das Lindwer-

den im Fass ist unangenehm, weil solcher Yfein eine spezielle Be¬

handlung verlangt; dies bedeutet Mehrarbeit und Verzögerung der

Konsumreife des Weines. Besondere Sorgen bereitet das Lindwerden

in Flaschen, da es vom Laien erst beim Einschenken bemerkt wird;

Gast und Gastgeber sind dann enttäuscht.

In der vorliegenden Arbeit werden nach Besprechung der ein¬

schlagigen Literatur erstens die physikalischen Eigenschaften des

linden Y/eines und ahnlicher fadenziehender Schleimlosungen behan¬

delt, und es wird eine praktische quantitative Methode zur Be¬

stimmung des "Lindgrades" vorgeschlagen und diskutiert. In einem

zweiten Abschnitt wird über unsere Versuche zur kunstlichen Her-

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Stellung linden Weines mit Bakterien und die damit in Verbin¬

dung stehenden Yfeinanalysen berichtet. Untersuchungen über den

im linden V/ein enthaltenen Schleimstoff und dessen chemische Ei¬

genschaften bilden Gegenstand eines weiteren Abschnittes.

Wenn beim Abschluss dieser Arbeit in mancher Beziehung noch

Unklarheiten herrschen, ist dies der Vielfalt des Problems zu¬

zuschreiben, das zu seiner vollständigen Lösung die Zusammenar¬

beit von Mikrobiologen, Chemikern und physikalischen Chemikern

erfordert.

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il. literatureesprechung

1. Torkommen und Entstehung des Lindsexns der Weine

Die Ursachen des Lindwerdens konnten erst mit Erfolg unter¬

sucht werden, nachdem PASTEUR gezeigt hatte, dass lebende Mikro¬

organismen im Wein vorkommen, welche nachteilige Veränderungen des

Weines bewirken können. PASTEUR (22) hat auch das Lindwerden des

Weines untersucht, das er meistens bei schwachen Weissweinen beo¬

bachtete. Er fand in linden Weinen rosenkranzartige Fäden von Bak¬

terien und bemerkte dazu, dass es wichtig wäre, deren spezielle

Eigenschaften und Lebensmöglichkeiten kennen zu lernen. Seit PA¬

STEUR ist nicht mehr ernstlich daran gezweifelt worden, dass das

Lindwerden auf die Tätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführen

ist. In der Folge wurde eine ganze Anzahl verschiedener Organis¬

men beschrieber, die alle befähigt sein sollten, den Wein lind zu

machen. Das Lindwerden der Weine wird in der Regel durch Bakterien

hervorgerufen. Es sei erwähnt, dass nach WORTMAOTT (30) und MEISS¬

HER (17) auch Dematium pullulans und Torulaceen den Wein schleimig

machen können.

Die Untersuchungen über das Lindwerden durch Bakterien sind

vielseitig und widersprechend. Als Ursache wird oft ein zu grosser

Restzuckergehalt des Weines infolge unvollständiger Gärung ange¬

führt. Ein hoher Stickstoffgenalt des Weines in Verbindung mit

kleinen Konzentrationen von Alkohol, Tannin und Säure soll das

Lindwerden begünstigen.

KRAMER (13) untersuchte die schleimige Gärung des Zuckerrüben¬

saftes sowie das Lindwerden des Weines. Er fand, dass diese bei¬

den Erscheinungen nicht durch den gleichen Mikroorganismus hervor¬

gerufen werden. Er nannte den Schleimbildner im Wein Bacillus vis-

cosus vini. Es sind 0,6 - 0,8 ,u dicke und 2 - 6 ja lange Stäbchen,

die bis 14/« lange Scheinfäden bilden können. Daneben fand er im

schleimigen Bodensatz linder Weine andere Bakterien, Hefen, sowie

kleine Kugelchen verschiedener Grösse, die er als leblose Substanz

ansah. Es gelang ihm, mit Trüb aus lindem Wein, nicht aber mit

Reinzuchten des Bacillus viscosus vini, junge sterile Weissweine,

die noch 3 $ Zucker enthielten, künstlich lind zu machen. Seine

Versuchsgefässe verschluss er mit Watte, mit Kork oder durch Ue-

berschichten des Weines mit Oel. Bei Zimmertemperatur wurden die

Weine unter Oelabschluss in 4 - 8 Wochen stark lind, weniger die

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Weine unter Kork- und gar nicht die Weine unter Watteverschluss.

Das Lindwerden trat also hei gleichartiger Impfung umso stärker

ein, je besser die Weine vor Luftzutritt geschützt waren. Unter

Luftzutritt verlieren linde Weine nach einigen Tagen ihre Schlei¬

migkeit, was zu dem Schluss führte, dass Bacillus viscosus vini

obligat anaerob ist.

KAYSER und MANCEAU (12) untersuchten eingehend die Bakterien¬

flora linder Weine. Sie fanden immer ein Gemisch von anaeroben

und aeroben Bakterien, die sehr schwer zu trennen sind, da sie in

Symbiose leben. Die Erreger des Lindwerdens sind fakultative An¬

aerobier. Yerscniedene Stämme wurden in Reinkultur gezüchtet. Die

Bakterien waren 1,0 - 4,2 yx lang und 0,7 - 1,7 /> breit, sie bil¬

deten Ketten. Unter strengem luftabschluss konnten sie sterile

Weine lind machen, die ca. 1 i° Zucker enthielten und säurearm wa¬

ren. Höhere Alkoholgehalte (über ca. 13 Vol.$) und Mangel an or¬

ganisch gebundenem Stickstoff und Mineralsalzen hinderten ihre

Vermehrung. Die Bakterien waren auf Tannin viel weniger empfind¬

lich, als bis dahin angenommen wurde. Erst 1 g Tannin im Liter

wirkte merklich hemmend auf ihr Wachstum. Es ist daher praktisch

zwecklos, durch Tanningaben Weine vor dem Lindwerden schützen zu

wollen, ohne sie dadurch ungeniessbar zu machen. Als Stoffwechsel-

produkte der Lind-Erreger wurden im Wein Mannit, Alkohol, Essig¬

säure und Milchsäure gefunden; Zucker wurde verzehrt. Linder Essig

entstand, wenn zu einem zuckerhaltigen Wein Luft zutreten konnte

und sich dabei auch Mycoderma aceti entwickelte.

Einzig KRAMER und KAYSER & MANCEAU (loc.cit.) haben durch Im¬

pfung mit Bakterien Weine künstlich lind gemacht. Viele andere Au¬

toren haben das Lindwerden beschrieben und untersucht und auch

Bakterien gezüchtet. Sie versuchten in der Regel nicht, künstlich

linde Weine herzustellen. In den wenigen Fällen, da dies geschah,

waren die Versuche erfolglos. Es kann daher nicht beurteilt wer¬

den, ob wirklich mit den Erregern des Lindwerdens gearbeitet wur¬

de.

MAZE und PACOTTET (16) untersuchten die Mikroben des Umschla-

gens und des Bitterwerdens sowie des Lindwerdens der Weine. Sie

fanden in linden Weinen Bakterienketten mit beinahe runden Glie¬

dern, die unter Luftabschluss wuchsen, aber nach Angewöhnung an

Luft auch in offenen Kulturröhrchen sich gut vermehrten. Junge

Kulturen bildeten lange Ketten, später nahmen die einzelnen Glie¬

der immer ausgesprochenere Stäbchenform an, und die Ketten zer-

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fielen. Diese Bakterien wurden immer auch in umgeschlagenen und

bitter gewordenen Weinen gefundenen. Es wurden keine physiologi¬schen Unterschiede zwischen den Bakterien, die obige drei Krank¬

heiten verursachen, gefunden. Die Autoren schliessen daraus, dass

die Bakterien in kranken Weinen immer Assoziationen bilden, in

denen die Lind-Erreger am häufigsten vorzukommen scheinen.

SEMICHON (26) beschrieb Bakterien in rosenkranzähnlichen Ket¬

ten, die die schleimige Substanz im Wein produzieren. Dabei ent¬

steht auch Kohlendioxyd, das beim Schütteln entweicht; Mannit und

Milchsäure sind immer im linden Wein enthalten. Durch Tanninzu¬

satz wird das Eiweiss gefällt und damit das Wachstum der stets

vorhandenen Bakterien gehemmt.

BEIJEHINCK (1) untersuchte die Essigbakterien und erwähnt,

dass Bacterium rancens und Bacterium pasteurianum Hansen das

Lindwerden von Bier und Wein verursachen können, aber nur in

Ausnahmefillen, da hier Sauerstoffmangel das Wachstum der Es¬

sigbakterien gewöhnlich verhindert. In der Regel soll das Lind-

werden durch anaerobe Milchsäurebakterien verursacht werden.

SHII.57ELL (27) hat das Lindwerden des Bieres genau untersucht.

Er fand, dass es Essigbakterien sind, (Acetobacter capsulatum und

Acetobacter viscosum), die das Bier lind machen. Erstaunlich klei¬

ne Bakterienmengen sind schon imstande, den ïehler hervorzurufen.

Das Bier wird nach diesem Autor nur lind, wenn es Dextrin enthält

und die Alkoholkonzentration nicht über 5-6 Vol.$ beträgt. Sehr

kleine Mengen Luft sind für das Lindwerden des Bieres nötig, grös¬

sere Mengen sind eher schädlich für die Schleimbildung. Die pH-

Azidität des Bieres spielt.praktisch keine Rolle, bei pH 5 wurde

das Wachstum der schädlichen Bakterien noch nicht behindert.

Einen ganz neuen Aspekt erhielt die Bakteriologie der Weine,

als MÜELLER-THDRGAU und OSTERWALDER (18) den biologischen Säure¬

abbau erkannten. Von diesem Zeitpunkt an betrachtete man die Bak¬

terien im Wein nicht mehr nur als Schädlinge, sondern auch als

nützliche Helfer bei der Bereitung milder Weine. Dabei wird im

Jungwein durch die Tätigkeit verschiedener Mikroorganismen (Bac¬

terium gracile, Micrococcus acidovorax und Micrococcus variococ-

cus) die'Aepfelsäure in Milchsäure und Kohlendioxyd zersetzt.

Dies bedeutet einen wesentlichen Rückgang der Gesamtsäure und der

aktuellen Azidität. Dem Aepfelsäureabbau folgt meistens eine Wein¬

steinausscheidung, wodurch die Gesamtoäure des Weines noch wei¬

ter fällt.

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MÜELLER-THURGAU und OSTEHWALDER (19) beobachteten, dass eini¬

ge ihrer Versuchsweine während oder nach dem Säureabbau lind wur¬

den. In einer späteren Publikation behandeln sie das lindwerden

eingehender. Sie beobachteten, dass auch zuckerfreie Weine lind

werden können und vermuten, dass das Lindwerden mit dem Säureab¬

bau in Zusammenhang stehe. Sie fanden stark linde Weine, die ein¬

zig Bacterium gracile enthielten, das normalerweise für den Aepfel-

säureabbau am geeignetsten ist. Es ist ihnen aber nicht gelungen,

mit Reinkulturen von Bacterium gracile oder anderen säureabbauen¬

den Mikroorganismen künstlich linde T/eine herzustellen. Die Auto¬

ren fanden, dass Milchsäurestich und lindwerden gleichzeitig auf¬

treten können, betonen aber, dass die beiden Krankheiten nichts

miteinander zu tun haben.

WIDMER und BRAUN (28) sowie WIDMER und GEIGER (29) beobachte¬

ten, dass während des Säureabbaus immer Lindwerden auftritt, das

aber oft nur schwach und von kurzer Dauer ist. Bei verschieden

vorbehandelten, teils entsäuerten Weinen mehrerer Traubensorten

wurde der Säureabbau und das Lindwerden untersucht. Der Wein wur¬

de in Flaschen gehalten, die teils mit Heberverschluss, teils mit

Kork verschlossen waren. In letzteren wurde der Wein stärker lind.

Die Weine waren nicht sterilisiert, sie enthielten die natürliche

Bakterienflora. Palis der Säureabbau nicht spontan eintrat, konn¬

te er durch Impfen mit Bakterien aus Wein, der den Säureabbau

schon durchgemacht hatte, erzwungen werden.

REITTSCHLER (23) fasst die Beobachtungen aus der heutigen Wein¬

praxis wie folgt zusammen: Das Lindwerden tritt während oder un¬

mittelbar nach dem Säureabbau ein. Es kommt umso häufiger vor, je

besser»das den Wein enthaltende Gefäss verschlossen und je säure¬

ärmer der Wein ist. Auf Grund eigener Versuche schliesst er, dass

das Lindwerden von Bakterien bewirkt wird, die Aepfelsäure und

andere Extraktbestandteile anzugreifen vermögen. Sie bilden beim

Wachstun wechselnde Kengen Schleimstoffe, die dem Wein seine fa¬

denziehende Eigenschaft verleihen. Die Schieine sind sehr labil

und werden schon durch kurzes Schütteln zerrissen, ebenso durch

lebhafte Kohlendioxydentbindung bei rasch verlaufenden Säureabbau.

Ist der Säureabbau schleichend, so entweicht das Kohlendioxyd nur

schwach, da die Viskosität des Weines durch den Schiein erhöht

ist. Zerreisst man den Schleim in einem linden Wein durch Schüt¬

teln, so entweicht auch das Kohlendioxyd, oft unter deutlicher

Schaumbildung. Diese Theorie erklärt auch das stärkere Auftreten

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des Fehlers in gut verschlossenen Gefässen, doch tritt er auch un¬

ter solchen Umständen nur ein, wenn der Säureabbau relativ lang¬

sam verläuft. Die spontane Selbstheilung linder Weine erklärt der

Autor durch allmähliche Zersetzung der Schleimstoffe.

2. Die physikalischen und physikalisch-chemischen

Eigenschaften linder Weine

Hierüber konnten nur wenige Angaben gefunden werden. Es ist

allgemein 'bekannt, dass durch Schütteln das Fadenziehen verschwin¬

det. Die meisten Autoren sprechen dem linden Wein relativ hohe

Viskosität zu, ohne diese gemessen zu haben. WIDLÎER und GEIGER

(29) bestimmten Oberflächenspannung und Viskosität nach üblichen

Methoden an linden Weinen vor und nach dem Schütteln. Sie fanden

diese Grössen unverändert, obwohl der Wein nach dem Schütteln

nicht mehr fadenziehend war.

Es ist weiter bekannt, dass linde Weine schwerer filtrierbar

sind als gesunde. GEISS (6) erwähnt kurz, dass linde Weine meist

nicht filtriert werden können.

RUEDIGER (24) untersuchte die Schönung linder T/eine vom kol¬

loidchemischen Standpunkt aus. Die natürlichen Kolloide gesunder

Weine sind negativ geladen; Gelatine trägt in saurer Lösung posi¬

tive Ladung. Bei einer Gelatineschönung tritt gegenseitige Ent¬

ladung der beiden Kolloide und Flockung ein. Durch Kataphorese-

versuche fand er, dass der Schleim in linden Obst- und Trauben¬

weinen positive Ladung trägt (?). Agar-Agar, ein negatives Kol¬

loid, sollte daher zur Schönung linder Weine geeignet sein, was

auch durch manche Versuche bestätigt wird. Immerhin war die Schö¬

nung mit Agar-Agar bei einigen linden Obstweinen erfolglos. In

solchen Fällen wurde eine negative Ladung des Schleimes festge¬

stellt, und die Schönung gelang mit Gelatine. Wieder andere lin¬

de Obstweine konnten durch Schönung überhaupt nicht geheilt wer¬

den.

NITSCHMAHN und SCHRADE (21) haben gezeigt, dass fliessbare Sy¬

steme nur spinnbar oder "fadenziehend" sind, wenn sie die sog.

Orientierungsviskosität als Viskositätsanomalie besitzen, d.h.

wenn die Viskosität mit steigender Zugspannung zunimmt durch

Orientierung anisodiametrischer Teilchen in der Lösung. Uebliche

Viskosimeter eignen sich nicht zur Erforschung der Orientierungs-

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Viskosität. An fliessenden Jaden spinnbarer, relativ konzentrier¬

ter Lösungen von Casein oder Zellulose wurden mit einer speziel¬

len Apparatur Viskositätsmessungen durchgeführt, wobei die erwähn¬

te Viskositätsanomalie erfasst werden konnte. - Die von den Auto¬

ren als "fadenziehend" bezeichneten Flüssigkeiten sind relativ

konzentrierte, spinnbare Lösungen, die nicht mit verdünnten

Schleimlösungen, z.B. lindem V/ein, verglichen werden können. Der

markanteste Unterschied zwischen fadenziehenden Schleimlösungen

und spinnbaren Lösungen ist, dass jene beim Schütteln ihr Paden-

ziehvermögen verlieren, während diese dabei unverändert bleiben.

3.-Die chemischen Eigenschaften des Schleimes im

linden Wein

Es gibt zwei Auffassungen über die Natur des Schleimes im lin¬

den Wein. Die ältere schreibt dem Schleim Eiweisscharakter zu;

sie weicht mehr und mehr der Ansicht, dass es sich um ein polymè¬

res Kohlehydrat handelt, üeber die Entstehung des Schleimes wird

in der Literatur entweder nichts ausgesagt, oder es wird vermu¬

tet, dass er durch Quellung und Ablösung der Zellwandstoffe der

Mikroorganismen entsteht.

Nach KRAMER (loc.cit.) ist der Schleim mit Alkohol fällbar und

in Wasser nicht löslich, sondern nur stark quellend.

KAYSER und MANCEAU (loc.cit.) nehmen an, dass der Schleim aus

Zucker entstehe. Er soll nicht alkoholfällbar sein, sondern höch¬

stens bei Alkoholzusatz zu lindem Wein durch andere alkoholfäll¬

bare Substanzen mitgerissen werden, gleich wie bei Tanninzusatz.

Mit Jod gibt der Schleim keine Färbung.

Hach SEMICHON (loc.cit.) gibt der Schleim mit Tannin keinen

Niederschlag und fällt beim Kochen nicht aus. Es kann sich des¬

halb nicht um ein Eiweiss handeln. Der Autor fand den Schleim im

linden Wein in so kleiner Konzentration, dass er ihn nicht unter¬

suchen konnte.

RENTSCHLER (loc.cit.) beobachtete, dass sich gesunder Wein mit

der doppelten Menge Alkohol besser mischen lässt als linder. Wird

die Mischung unsanft vorgenommen, so entsteht dabei nur eine Trü¬

bung. Bej_ vorsichtigem Mischen von lindem Wein mit Alkohol schei¬

den sich lange Fäden ab, die in Wasser löslich sind. Die wässri-

ge Lösung ist fadenziehend und verliert diese Eigenschaft beim

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Schütteln, wie linder Wein, wobei aber kein Kohlendioxyd entbun¬

den wird. Nach Reinigung der gefällten Substanz wurde sie analy¬siert. Das Ergebnis liess auf Kohlehydrate schliessen, an deren

Aufbau Stickstoff beteiligt ist. Aehnliche Verbindungen konnten

aus Substraten von Reinkulturen säureabbauender und anderer Bak¬

terien und Pilze isoliert werden. Sie scheinen alle nahe verwandt

zu sein und zu den Mucinen (Schleimstoffen) zu gehören.

4. Verhütung und Heilung defa Fehlers

Die immer wieder empfohlenen Massnahmen zur Verhütung des

lindwerdens sind: vollständige Vergärung des Zuckers, Erhöhung

des Alkohol- Säure- und Tanningehaltes, nicht zu langes Liegen¬

lassen auf der Hefe, Einschwefeln, Filtrieren und Pasteurisieren.

KRAMER und MAZE & PACOTTET (loc.cit.) empfehlen u.a. möglichst

vollständige Entfernung der stickstoffhaltigen Substanzen aus dem

Wein. Zum Schutz der Piaschenweine vor dem Lindwerden führt REN-

ISCHLER (loc.cit.) neben dem Einbrennen auch Entkeimungsfiltra¬tion an. Im Pass darf man jedoch die Tätigkeit der Mikroorganis¬

men nicht völlig unterbinden, da sonst der Säureabbau nicht statt¬

findet, der für die Qualität z.B. der Ostschweizer Weine sehr

wichtig ist.

Die Heilung linder Weine vollzieht sich beim Lagern oft von

selbst. Nach MUELLER-THDRGAU und OSTERWALDER (20) ist es möglich,

dass dabei Zutritt von wenig Sauerstoff nötig ist. Die Heilung

durch starkes Bewegen des linden Weines (Schütteln, Abziehen durch

ein Reissrohr, Brause usw.) wird vielfach empfohlen, ebenso alle

bekannten Schönungsverfahren. Falls der V/ein noch unvergorenen

Zucker enthält, soll dieser zuerst mit Reinhefe vergoren werden.

RENTSCHLER (loc.cit.) hat gezeigt, dass schon mit kleinen Men¬

gen Ascorbinsäure und Wasserstoffperoxyd linder Wein in kurzer

Zeit geheilt werden kann, indem der Schleim durch dieses System

abgebaut wird. Leider wurde der Wein dabei geschmacklich beein¬

trächtigt.

5. Ergebnis der Literaturbesprechung

Es wurden diejenigen Literaturstellen besprochen, die im all¬

gemeinen gute Angaben über das Lindwerden enthalten, oder die

speziell für unsere Arbeit wichtig sind. Eine vollständige Be-

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sprachung der älteren Literatur bis 1913 stammt von KROEKER und

findet sich im Handbuch von LAEAR (14)•

Bach der Zeit PASTEÜRs sind bis zum Jahre 1910 ziemlich viele

bakteriologische Arbeiten über das Lindwerden erschienen, die

alle keine Lösung des Problems herbeiführten. Später wurden sol¬

che Arbeiten spärlicher, man begnügte sich mit Vermutungen und

bekümmerte sich wenig um die bereits geleistete Torarbeit. So

blieb das Problem des Lindwerdens bis heute ungelöst. Die Entste¬

hung des linden Weines wird auf die Tätigkeit von Bakterien zu¬

rückgeführt, deren Eigenschaften man nicht oder ungenügend kennt.

Es scheint, dass sie mit dem Säureabbau in Beziehung stehen, des¬

halb ist ihre Bekämpfung schwierig, wenn der Säureabbau nicht be¬

hindert werden soll.

Ueber die Beziehungen zwischen iVeinzusammensetzung und Schleim¬

bildung durch Bakterien ist nichts Sicheres bekannt. Der Mecha¬

nismus der Schleimbildung und die Eigenschaften des Schleimes

wurden nur ungenügend untersucht.

Man ist daher gezwungen, von neuen Gesichtspunkten aus das

Lindwerden zu bearbeiten und dabei zu versuchen, die allgemeinen,

neueren Portschritte in der Oenologie anzuwenden.

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III. QUANTITATIVE BESTIMMUNG DES LINDSEINS DURCH

MESSUNG DER KAPILLARSTEIGGESCHWINDIGKEIT

1. Einführung

Wie in der Einleitung 'beschrieben wurde, besitzt linder Wein

die Eigenschaft des Fadenziehens, das beim Schütteln verschwin¬

det; wir nennen dies den Schütteleffekt. Da der Schütteleffekt

ein typisches Llerkmal linder Weine ist, wurde versucht, durch

geeignete Messungen der Veränderungen der Fliesseigenschaften

beim Schütteln ein wissenschaftlich begründetes Mass für die

Stärke des Fehlers aufzustellen. Es wurden zuerst Viskosität und

Oberflächenspannung vor und nach dem Schütteln gemessen. Dies

führte ähnlich wie bei WIDMER und GEIGER (loc.cit.) zu keinem Er¬

folg. Die Oberflächenspannung war nach dem Schütteln unverändert,

und aus gelegentlichen kleinen Veränderungen der Viskosität konn¬

ten keinerlei sichere Schlüsse gezogen werden. Es wurde dann die

AufStieggeschwindigkeit des Weines in Filtrierpapier gemessen und

gefunden, dass sie nach dem Schütteln bedeutend grösser ist als

vorher, wenn es sich um einen linden Wein handelt. Auf Grund die¬

ser Beobachtung wurde eine Methode zur quantitativen Messung des

Schütteleffektes ausgearbeitet. Ferner wurden Untersuchungen an

anderen verdünnten fadenziehenden Systemen durchgeführt und die

entsprechenden Resultate miteinander verglichen. Konzentrierte

Zuckerlösungen, Honig, Oe'l, spinnbare Lösungen hochmolekularer

Stoffe usw. zeigen auch eine Art Fadenziehen, das aber von hoher

Viskosität herrührt, beim Schütteln nicht verschwindet und des¬

halb nicht mit dem hier untersuchten Fadenziehen verdünnter

Schleimlösungen verglichen werden kann.

2. Theorie

CAMERON und BELL (3) stellten im Jahre 1906 eine Gleichung

auf, welcher der kapillare Flüssigkeitsaufstieg in Filtrierpa¬

pier gehorcht:

1) hn = k . t

h ist der zur Zeit t benetzte Weg im Filterstreifen, k und n sind

Konstanten.

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Durch Anwendung des POISEUILLE'sehen Strömungsgesetzes auf

den Aufstieg von Flüssigkeiten in Kapillaren kam LUCAS (15) auf

theoretischem Wege zu folgender Formel:

2) h2 = -!j^-| cos i>. t

h = Steighöhe in cm_,

6 = Oberflächenspannung der Flüssigkeit in Dyn.cm•\ = Viskosität der Flüssigkeit in Poisen

r = Radius der Kapillaren in cm

b = Benetzungswinkel zwischen Flüssigkeit und Kapil-larwand in Graden

t = Steigzeit in sec.

Die Gleichung gilt streng für eine kreisrunde, unverzweigte

und horizontalliegende Kapillare. Wenn- sie vertikal steht, steigt

die Flüssigkeit nur bis zu einer Endsteighöhe hj; , bei welcher

die Oberflächenspannung die an ihr hängende Flüssigkeitssäule ge¬

rade noch zu tragen vermag:

20 C3) hE =

r.g.d

g = Erdbeschleinigung in cm.sec _,d = Dichte der Flüssigkeit in gr.cm"''

Bei vertikal stehender Kapillare gilt Gleichung 2) nur, wenn h

klein ist im Vergleich zu hg .

Gleichung 1) ist mit Gleichung 2) identisch, wenn

4) k =

' ? cos &>,

und

5) n = 2

ist. Für Filtrierpapier, das ein verzweigtes ïïetz nicht runder

Kapillaren darstellt, ist der Exponent n nach den Messungen von

LUCAS (loc.cit.) und anderen Forschern grösser als 2.

Logarithmiert man Gleichung 1), so erhält man:

6) n.log h = log k + log t,

die Gleichung einer Geraden. Der Tangens des Neigungswinkels zur

Abszisse (log t) ist gleich dem reziproken Wert von n, und der

negativa Wert des Abszissenabschnittes ist gleich log k.

GUYE (8) hat die energetischen Verhältnisse beim kapillaren

Aufstieg theoretisch untersucht und schöne Messungen mit Wasser,

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- 13 -

Petrol una Paraffinöl durchgeführt. Bei der Durchtränkung (imbi¬

bition) des Papiers wird Wärme frei. Beim Aufstieg von Wasser

konnte in unmittelbarer Nähe des Papierstreifens (der von einer

engen Glasröhre umgeben war) eine Temperaturerhöhung bis zu 3° C

gegenüber der Umgebung gemessen werden. Die Auswertung der Ver¬

suche ergab, dass bei der Energiebilanz die kinetische Energie

der sich im Papier bewegenden Flüssigkeit vernachlässigt werden

kann. Bis zu einer Ansaugstrecke von 3 cm kommt es nicht darauf

an, ob das Papier vertikal steht oder horizontal. In diesem Be¬

reich kann also bei vertikalem Aufstieg auch die zu überwinden¬

de Schwerkraft vernachlässigt werden.

Mehrere Forscher haben den Aufstieg von Lösungen in Filtrier¬

papier untersucht. Es tritt oft ein Vorauseilen des Lösungsmit¬

tels und eine Trennung der Lösungsbestandteile ein. Zusammenfas¬

send kann gesagt werden, dass neutrale Bestandteile wie Zucker

am wenigsten hinter dem Lösungsmittel zurückbleiben, während po¬

sitiv geladene Körper von der negativen Zellulose stark adsor¬

biert werden, negative weniger.

HAEUSERMAinr (9) hat das Eindringen von Flüssigkeiten verschie¬

dener Lipophilie in das Interzellularsystem der Blätter von Di-

anthua barbatus gemessen, um daraus zu erfahren, aus v/elcher Sub¬

stanz die Interzellularoberfläche besteht. Bei steigender Lipo¬

philie der Infiltrationsflüssigkeit durchläuft die Aufstiegge¬

schwindigkeit ein Maximum, bei welchem die Flüssigkeit die In¬

terzellularoberfläche am besten benetzt. Die Resultate ergeben,

dass der Oberflächenfilm in den Interzellularräumen ziemlich li-

pophil ist und wahrscheinlich aus Kutin besteht. - In Vorversu¬

chen mit Filtrierpapier wurde untersucht, ob die Länge des in die

Versuchsflüssigkeit eingetauchten Streifenendes die Steiggeschwin¬

digkeit beeinflusst. In dem untersuchten Bereich von 3-7 mm Ein¬

tauchtiefe blieb die Steiggeschwindigkeit unverändert.

*

Nach diesem Ueberblick über die Teorie des kapillaren Flüssig¬

keitsaufstieg in Filtrierpapier kann der Aufstieg des linden Wei¬

nes in Filtrierpapier besprochen werden. Man betrachte vorerst

die Verhältnisse beim Aufstieg auf eine konstante Höhe h,wobei

die Steigzeit tu des ungeschüttelten Weines grösser ist als die

des geschüttelten, die wir mit t~ bezeichnen. Der Quotient der

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- 14 -

beiden Zeiten soll als Schütteleffekt S definiert werden:

7) s = "|a .

Logarithmiert erhält diese Gleichung die Form:

8) log S = log tu - log tg .

Unter der Voraussetzung, dass hier das Gesetz von CAMERON und

HELL (loc.cit.) anwendbar ist, (was praktisch noch untersucht

wird), gilt für den ungeschüttelten Wein nach Gleichung 6):

9a) nu . log h = log ku + log tu

und für den geschüttelten Wein:

9b) ng . log h = log kg + log tg

Aus diesen Gleichungen kann man log tu und log tg berechnen und

in Gleichung 8) einsetzen; man erhält:

10) log S = i^.log h - log ky - ng.log h + log kg

oder:

n,, nCT k_11) S = h

^ - g.-S

.

K.

Aus Gleichung 11) sieht man, dass im allgemeinsten Fall der

gemessene Schütte'leffekt S von der gewählten Steighöhe h, von

den Exponenten r^ und ng und von den viskositätsabhängigen Kon¬

stanten i^ und kg abhängt.

In den Versuchen wird stets dasselbe Filtrierpapier verwendet,und auch die Flüssigkeitspaare - geschüttelt und ungeschüttelt -

sind nur in Bezug auf das Fadenziehen verschieden. Falls die Ex¬

ponenten riy und ng gleich gross werden, reduziert sich Gleichung11) zu:

12) S = ^ .

Wenn aber die Steighöhe h = 1 cm gewählt wird, gilt Gleichung 12)auch dann, wenn r^ und n verschieden sind.

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- 15 -

Nach LUCAS (loc.cit.) ist:

4) k = -j2^| cos b.

Wenn die Kapillarwände aus Zellulose bestehen, und die aufstei¬

gende Flüssigkeit eine wässrige Lösung ist, kann die Benetzung

des Papiers als vollkommen und somit <S gleich 0 angenommen wer¬

den. Der Paktor cos & wird gleich 1 und fällt weg. - Bei voll¬

ständiger Gleichförmigkeit des Filtrierpapiers ist dessen wirksa¬

mer Kapillarradius r konstant. In der Praxis können zwei Papier¬

streifen auch bei sorgfältigster Vorbereitung nicht genau densel¬

ben Wert für r aufweisen. Die Unterschiede sind jedoch klein und

können praktisch vernachlässigt werden.

Gleichung 12) kann somit mit grosser Annäherung folgende Form

annehmen:

13) S = !*$* .

° u* Hg

Der durch Messung der AufStieggeschwindigkeiten des linden Weines

vor und nach dem Schütteln bestimmte Schütteleffekt S ist abhän¬

gig von den Veränderungen der Viskosität und Oberflächenspannung,

die der Wein durch das Schütteln erfährt.

*

Es sind nun folgende Untersuchungen durchzuführen:

1.) Beweis der Gültigkeit des Gesetzes von CAMERON und BELL,

bzw. von LUCAS, für das recht komplizierte System "linder Wein".

Es müssen die Aufstiegzeiten für verschiedene Höhen h gemessen

werden. Die erhaltenen Werte, nach Gleichung 6) umgerechnet und

graphisch dargestellt, sollten auf einer Geraden liegen.

2.) Ermittlung der Werte der Exponenten n^ und ng. Bei Gleich¬

heit sollen die Messungen für ungeschütteltes und geschütteltes

System zwei parallele Geraden liefern. Ein Nichtparallelsein

zeigt Ungleichheit von n^ und ng.

3.) Messung der Viskosität und Oberflächenspannung mit gewöhn¬

lichen Methoden an ungeschütteitern und geschütteltem linden Wein,

und Vergleich der Ergebnisse mit den Resultaten der Kapillarsteig¬

methode.

Die Untersuchungen an lindem Wein werden verglichen mit gleich-

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- 16 -

artigen Messungen an menschlichem Speichel und an verdünnten Lö¬

sungen von Sehleim aus Samen von Plantago psyllium, die eben¬

falls fadenziehend sind und einen Schütteleffekt zeigen.

3. Material und Methode

a) Die Apparatur (Pig. 1) besteht aus einem Messingkasten von

260 mm Höhe, 210 mm Breite und 140 mm Tiefe, dessen Vorder- und

Hinterseite aus Glasscheiben bestehen. Die Torderseite ist als Tü¬

re (T) ausgebildet. In der Kastendecke stecken zwei senkrecht ver¬

schiebbare, nicht um ihre Achse drehbare Metallstäbe (M) mit qua-,

dratischem Querschnitt. An diesen sind Klammern (K) montiert,

welche zwei auswechselbare Filtrierpapierstreifen (F) tragen. Die

Stäbe (M) sind ausserhalb des Kastens mit verstellbaren Arretier¬

klemmen (A) versehen, so dass die eingehängten Filtrierpapier-streifen durch Verschiebung der Stäbe immer gleich tief in die

Versuchslösung getaucht werden können. Senkrecht unter den Fil¬

trierpapierstreifen stehen zwei geeichte Bechergläser (B) zur Auf¬

nahme der Versuchslösungen. Die Kastenwände links und rechts sind

mit Fliesspapier ausgekleidet, das mit Versuchslösung oder reinem

Lösungsmittel benetzt wird. Dadurch wird die Luft im Kasten mit

Fljissigkeitsdampf gesättigt. Gearbeitet wird in einem temperatur¬konstanten Raum bei 20° C.

Figur 1. Apparat zur Messung der Kapillarsteiggeschwindigkeit

T = Türe, M = verschiebbare Metallstäbe, K = Klammern, F = Fil¬trierpapierstreifen, A = Arretierklemmen, B = Bechergläser

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b) Das Papier: Pur alle Versuche dienten die sehr saugfähigen

Filtrierpapierstreifen No. 571 von Schleicher und Schüll, von de¬

nen speziell ein Vorrat aus ein- und derselben Fabrikationscharge

angeschafft wurde, um möglichste Gleichmassigkeit zu erzielen.

Die Streifen hatten die Hasse 20 x 160 mm. Sie wurden jeweils für

ein Versuchspaar geschüttelt-ungeschüttelt mit einem scharfen

Messer der länge nach, entzweigeschnitten, um eine bessere Gleich-

mässigkeit des Papiers zu erreichen. Beim Zerschneiden wurde dar¬

auf geachtet, dass der Schnitt vollständig glatt war, da sonst

grössere Fehler entstanden.

Vor den Versuchen wurde die Befestigungsstelle am oberen Ende

der Streifen mit Bleistiftstrich markiert. Ferner wurden die

Steighöhen von 1-9 cm mit Bleistiftpuhkten längs der I.Iitte der

Streifen eingezeichnet. Quer über die Streifen gezogene Blei¬

stiftstriche können die Aufstieggeschwindigkeit der Flüssigkeiten

verändern. Die Streifen standen stets mit der Feuchtigkeit der

Raumluft im Gleichgewicht.

c) Eichung der Apparatur: Zuerst werden in beide Bechergläser

je 10 com Wasser gefüllt. Zwei Probestreifen werden eingesetzt

und so tief in das Wasser getaucht (ca. 5 mm), dass der obere

Rand des LIeniskus mit der am Streifen markierten Steighöhe 0 cm

übereinstimmt. Hun werden die Arretierklemmen bis zur Decke des

Kastens hinuntergeschoben und dort befestigt, so dass die Lletall-

stäbe nicht mehr tiefer gesenkt werden können. Nun hebt man die

Stäbe, spannt neue Filtrierpapierstreifen ein, befeuchtet das

Fliesspapier an den Seitenwänden des Kastens mit Wasser. Man

schliesst den Kasten und wartet eine Minute, damit sich die Duft

im Kasten mit «"asserdampf sättigen kann. Dann senkt man beide

Probestreifen gleichzeitig in das Wasser, bis die Arretierklenmen

auf der Decke des Kastens aufsitzen und setzt im selben lioment

eine Stoppuhr in Gang. Man kontrolliert nun, ob die Aufstiegzei¬

ten des Wassers bis zu einer bestimmten Höhe bei beiden Streifen

gleich sind. Wenn dies nicht zutrifft, wiederholt man den Ver¬

such unter Neufixierung der Arretierklemmen. Zeitdifferenzen bis

zu 5 ^ sind eben noch tragbar.

Die einmal eingestellte Apparatur darf nicht mehr verändert

werden, auch die Bechergläser dürfen nicht verwechselt oder gegen

andere umgetauscht werden, da selten zwei Bechergläser genau

gleich dimensioniert sind.

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Die Apparatur ist nit zwei Aufhängevorrichtungen versehen,

damit eine gleichzeitige liessung mit zwei verschiedenen Ver¬

gleichsflüssigkeiten (z.B. ungeschüttelter und geschüttelter

Wein) möglich ist, wenn his zu einer bestimmten Steighohe ge¬

messen wird. Misst man mit hinein Streifen die Aufstiegzeiten für

verschiedene Höhen, so können praktisch nicht zwei Versuche

gleichzeitig beobachtet werden.

d) Vorbereitung der Flüssigkeiten: Die zur Messung gelangenden

Flüssigkeiten müssen vorher filtriert werden, damit die Probe¬

streifen nicht durch grobe Bestandteile verstopft werden. Bei fa¬

denziehenden Flüssigkeiten ist darauf zu achten, dass die Flüs¬

sigkeit aus dem Trichter nicht ins Aufnahmegefäss tropft, son¬

dern gleiohmässig der Wand des Gefässes entlang fliesst, da durch

die mechanische Beanspruchung beim Eintropfen ein kleiner Schüt¬

teleffekt entstehen kann. Die Filtration durch gewöhnliches Fil¬

trierpapier bewirkt keine Störung. Um mit dem beschriebenen Ap¬

parat den Schütteleffekt messen zu können, braucht es mindestens

25 ccm Filtrat. Stark schleimige Flüssigkeiten lassen sich oft

nur schwer filtrieren. Es ist in vielen Fällen ratsam, ein etwas

grösseres Faltenfilter zu nehmen und etwas mehr Versuchslösung,

man erhält so schneller 25 ccm Filtrat.

In einem geschlossenen Erlenmeyerkolben von 50 ccn Inhalt wer¬

den nun 15 ccm des Filtrates geschüttelt. Dies kann von Hand oder

mit einer Schüttelnaschine geschehen. Linder ,7ein als Versuchs-

Flüssigkeit wurde gewöhnlich 10 Iiinuten lang in einem Synchron¬schüttler mit 150 Schüttelbewegungen pro Llinute und einer Gang¬

weite von 7 cm geschüttelt.

Ungeschüttelter und geschüttelter Teil des Filtrates sind nun

bereit zur Kessung.

e) Lies sung: !.!an gibt 10 ccm Flüssigkeit in eines der Becher¬

gläser, befeuchtet das Papier an den Seitenwänden des Apparates

mit Versuchsflüssigkeit oder reinem Lösungsmittel und misst mit

den vorbereiteten Filtrierpapierstreifen die gesuchten Aufstieg¬

zeiten, wie dies bei der Sichung des Apparates beschrieben wurde.

Die für die verschiedenen Höhen benötigten Aufstiegzeiten werden

notiert und nachher ausgewertet. Oft steigt die Flüssigkeit im

Papier nicht vollständig gleiohmässig, so dass die Benetzungs-

front nicht gerade oder nicht horizontal verläuft. Man nuss dann

so gut wie möglich das Mittel abschätzen. Werden mit der selben

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- 19 -

Versuchsflüssigkeit mehrere Proben hintereinander gemessen; so

müssen die ursprünglichen 10 ccm jeweils wieder aufgefüllt werden.

4. Resultate

Die Resultate der Messungen mit Wasser, lindem Wein, menschli¬

chem Speichel und verdünnten Lösungen des Schleimes aus Samen von

Plantago psyllium werden hier ohne Diskussion, lediglich mit den

notwendigen Erläuterungen, dargestellt. Die Besprechung erfolgt

später. - In den graphischen Darstellungen misst die Ordinate den

Logarithmus der Steighöhe h in cm, die Abszisse den Logarithmus

der zugehörigen Steigzeit t in sec. Die angeschriebenen Zahlen

bedeuten nicht die logarithmischen, sondern die numerischen Werte

dieser beobachteten Grössen.

a) Messergebnisse mit Wasser als Versuchslösung

Zum Vergleich mit den eigentlichen Versuchslösungen und zur

Charakterisierung des verwendeten Filtrierpapiers wurden einige

Messungen mit Wasser durchgeführt. In Tab.l. sind die Aufstieg-

zeiten für 1-9 cm Höhe angegeben, wie sie in vier aufeinanderfol¬

genden Versuchen gemessen wurden, sowie die Mittelwerte dieser

vier Messreihen. Fig.2. zeigt die Mittelwertskurve. Aus dieser er¬

Tabelle 1. Kapillarsteiggeschwindigkeit von reinem Wasser

Höhe

in cm

Steigzeit in Sekunden

1. 2. 3. 4. Mittel + Fm Fm %

1

2

« 3

4

'5

6

7

8

9

2,4

11

27

51

82

123

173

230

296

2,5

11

26

48

78

116

163

217

282

3,0

12

28

52

84

122

170

225

291

3,0

12

29

54

84

123

171

230

295

2,7 ± 0,16

11,5 ± 0,29

27,5 ± 0,65

51,3 ± 1,25,82,0 ± 1,41

121 ± 1,68

169 ± 2,18

226 ± 3,08

291 ± 3,19

5,9 /»

2,5 *

2,4 1>

2,4 *

1,7 °/°

1,4 1"

1.3 $

1.4 fo

1,1 1°

Fm = mittlerer Fehler der Mittelwerte

mittelt man die für das verwendete Filtrierpapier charakteristi¬

schen Werte von k und n für Wasser zu: k = 0,385, n = 2,149. Aus

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- 20 -

k ergibt sich bei bekannter Oberflächenspannung und Viskosität

des Wassers nach Gleichung 4) der Wert für den "mittleren wirk¬

samen" Kapillarradius des verwendeten Papiers zu:

r = 1,1 10~4 cm

Figur 2. Kapillarsteiggeschwindigkeit von'reinem Wasser

Exponent n = 2,149

10 100 sec.

Steigzeit in sec clogar. Skala}

b) IJessergebnisse mit lindem Wein

Für einen linden Wein sind in Tab.2. die Steigzeiten von je

Tabelle 2. Kapillarsteiggeschwindigkeit von ungeschüttel-

tem und geschütteltem linden Wein

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

ungeschüttelt geschüttelt

1. 2. 3.Mit- .

tel -Fm 1. 2. 3.

Mit¬

tel+ Fm

1 8,0 8,0 8,0 8,0 ± 0,0 5,0 4,8 6,0 5,3 + 0,3 1,512 33 31 31 31,7 ± 0,7 18 17 22 19,0 + 1,5 1,673 77 71 68 72,0 ± 2,6 42 38 46 42,0 + 2,3 1,714 135 123 119 126 +

4,8 75 72 81 76,0 + 2,6 1,665 215 190 185 197 ± 9,3 118 114 131 121 + 5,1 1,636 306 267 262 278 ± 14 170 167 188 175 + 6,6 1,597 410 355 350 372 + 19 233 236 260 243 + 8,5 1,538 527 460 447 478 ± 25 306 313 345 321 + 12 1,499 658 589 558 602 ± 30 392 398 441 410 + 15 1,47

Pm = mittlerer Fehler der Mittelwerte

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21

Figur 3. Kapillarsteiggeschwindigkeit von ungeschütteltem

und geschütteltem linden Wein

1 = linder Wein ungeschüttelt, Exponent2 = linder Wein geschüttelt, Exponent3 = Wasser aus Fig.2, Exponent

nu = 1,949hs = 2,053n = 2,149

Steigzeit in

100 sec

sec Clogar Skala}

Tabelle 3. Kapillarsteiggeschwindigkeit von wiederaufgelöstem

Schleim aus, lindem Wein, ungeschüttelt und geschüttelt

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

unge schüttelt geschüttelt

1. 2. 3.Mit-

. ^

tel i ** 1. 2. 3.Mit¬

tel+ Fm

1 4,0 5,0 5,0 4,7 ± 0,3 3,0 3,0 3,0 3,0 +_ 0,0 1,57

2 17 20 19 18,7 + 0,9 11 12 13 12,0 + 0,6 1,56

3 43 46 46 45,0 + 1,0 29 29 30 29,3 + 0,3 1,54

4 80 84 85 83,0 + 1,5 54 53 56 54,3 + 0,9 1,53

5 127 132 136 132 + 2,6 86 86 92 88,0 + 2,0 1,50

6 182 186 195 188 ±3,8 128 128 140 132 + 4,0 1,42

7 248 251 263 254 ± 4,6 183 179 193 185 + 4,2 1,37

8 324 329 339 331 ± 4,4 248 241 254 248 + 3,8 1,33

9 410 419 431 420 + 6,1 323 311 327 320 + 4,8 1,31

Fm = mittlerer Fehier der Mittelwerte

drei Versuchen mit dem ungeschüttelten und geschüttelten Wein zu¬

sammengestellt, sowie die aus den Mittelwerten berechneten Schüt¬

teleffekte für alle Steighöhen. Die graphische Darstellung der

Mittelwerte zeigt Fig.3, in welche zum Vergleich auch die Gerade

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Figur 4. Kapillarsteiggeschwindigkeit von wiederaufgelöstem

Schleim aus lindem Wein, ungeschüttelt und geschüttelt

wässrige Lösung ungeschüttelt, Exponent r^ = 2,059wässrige Lösung geschüttelt, Exponent n^ = 2,156~~ -- -

-R-rnonpnt n = ?."Un3 = Wasser aus Fig.2, Exponentn

to »->

100 sec

Steigzeit in sec Clogor Skalcü

für Wasser aus Fig.2. eingezeichnet wurde.

Ferner wurden aus 100 com des selben Weines in ungeschüttel-

tem Zustand die alkoholfällbaren Substanzen gewonnen (siehe V.l.)

und wieder in 100 com Wasser aufgelöst. An dieser wässrigen Lö¬

sung - ungeschüttelt und geschüttelt - wurden gleichartige Mes¬

sungen ausgeführt wie am ursprünglichen Wein. Tab.3. und Fig.4.

zeigen die Resultate.

c) Messergebnisse mit menschlichem Speichel

Menschlicher Speichel stellt ein für die Untersuchung des

Schütteleffektes geeignetes System dar. Er ist in hohem Masse fa¬

denziehend und verliert diese Eigenschaft beim Schütteln. Er hat

vor lindem Wein den Vorzug, eine sehr verdünnte wässrige Lösung

zu sein, welche relativ wenig Substanzen enthält, die nichts mit

dem Fadenziehen zu tun haben, wie Alkohol, Säure usw. Ausserdem

steht er, wenigstens in kleinen Mengen, jederzeit zur Verfügung.

Menschlicher Speichel enthält das schleimige Mucin, das aus

einem Kohlehydrat- und einem Eiweissanteil besteht. Ferner ent¬

hält er Eiweisstoffe, Amylase und anorganische Bestandteile.

Frisch gesammelter Speichel verliert bei Zimmertemperatur sei¬

ne Schleimigkeit ziemlich rasch. Nach kurzen Erhitzen in Wasser¬

bad behält er sie über lange Zeit unverändert. - 50 com Speichel

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Tabelle 4. Kapiliarsteiggeschwindigkeit yon ungeschütteltem

und geschütteltem menschlichem Speichel

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

ungeschüttelt geschüttelt

1. 2. 3.Mit- +

tel_ Pia 1. 2. 3.

Mit¬

tel+ Pm

1 8,0 9,0 9,5 8,8 i 0,4 4,0 5,6 5,2 4,9 + 0,5 1,80

2 37 40 42 39,7 + 1,5 20 22 21 21,0 + 0,6 1,89

3 97 106 105 103 + 2,9 '48 51 48 49,0 + 1,0 2,10

4 186 200 197 194 1 4,3 85 91 86 87,3 + 1,9 2,22

5 304 322 320 315 î 5,7 135 141 141 139 + 2,0 2,27

6 444 472 472 463 ± 9,4 200 206 202 203 + 1,8 2,28

7 613 657 650 640 ± 14 280 292 281 284 +3,9 2,25

8 810 878 855 848 ± 20 376 387 368 377 + 5,5 2,25

9 1040 1130 1110 1090 ± 27 489 496 482 489 + 4,0 2,23

Fm = mittlere Fehier der Mittelwerte

Figur 5. Kapillarsteiggeschwindigkeit von ungeschütteltem

und geschütteltem menschlichem Speichel

1 = Speichel ungeschüttelt, Exponent nu = 2,1572 = Speichel geschüttelt, Exponent ng = 2,0983 = Wasser aus Pig.2, Exponent n = 2,149

10 100 sec

Steigzeit in sec Clogar Skala3

wurden sofort nach dem Sammeln für 10 Minuten in ein siedendes

Wasserbad gestellt. Hoch heiss wurden die entstandenen Eiweiss-

niederschläge und andere Verunreinigungen abfiltriert. Die nur

noch schwach trübe Flüssigkeit wurde zu Aufstiegversuchen in Pil-

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- 24 -

trierpapier verwendet. Ihr Gehalt an organischer Trockensubstanz

betrug 0,26 fJ, der Aschengehalt 0,22 '/>. In Tab.4. und Fig.5.

sind die Resultate der Messungen zusammengestellt.

d) Messergebnisse mit Schleim aus Samen von Plantago psyllium

Aus den Samen von Plantago psyllium ("Flohsamen" genannt) kann

durch Auswaschen mit heissem Wasser ein Schleim gewonnen werden,

dessen Lösung stark fadenziehend ist. Schon in kleinen Konzentra¬

tionen resultieren stark fadenziehende Systeme, die sich durch

Schütteln wie linder Wein und Speichel verändern und das Fadenzieh¬

vermögen verlieren. Nähere Untersuchungen über das Fadenziehen

und den Schütteleffekt drängten sich daher auf.

Tabelle 5. Kapillarsteiggeschwindigkeit einer 0,029 c/S-igen

Lösung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

ungeschüttelt geschüttelt

1. 2. 3.Mit¬

tel+ Fm 1. 2. 3.

Mit¬

tel+ Fm

1 5,5 6,0 5,5 5,7 + 0,2 3,5 4,0 4,0 3,8 + 0,2 1,50

2 22 25 24 23,7 + 0,9 14 16 16 15,3 + 0,7 1,55

3 55 64 60 59,7 + 2,6 34 39 37 36,7 + 1,5 1,63

4 109 130 120 120 + 6,1 66 71 65 67,3 + 1,9 1,79

5 192 227 203 207 + 10 108 115 106 110 + 2,7 1,88

6 312 373 327 337 +_ 18 163 170 158 164 +_ 3,5 2,06

7 485 578 515 526 + 27 227 237 217 227 + 5,8 2,32

8 730 870 757 786 + 43 305 320 290 305 + 8,7 2,58

9 1050 1250 1100 1130 + 60 398 415 376 396 + 11 2,85

Fm = mittler e Fehier der Mittelwerte

Die Konstitution des Schleimes aus Samen von Plantago psyllium

ist nicht genau bekannt; sie wurde von HIRST und JONES (11) un¬

tersucht. Der Schleim ist polymères Kohlehydrat, dessen Baustei¬

ne Galakturonsäure, Galaktose, Xylose und Arabinose sind.

2 gr Samen wurden mit 400 ccm 80° C heissem Wasser übergös¬

sen. Der sich vom Samen ablösende Schleim wurde von Zeit zu Zeit

durch vorsichtiges Umrühren in der ganzen Flüssigkeit verteilt.

Nachdem die Lösung deutlich -fadenziehend geworden war, wurde

durch eine G-2 Glasfilternutsche langsam filtriert und das Fil-

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25

Figur 6. Kapillarsteiggeschwindigkeit einer 0,029 $-igen

Lösung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

1 = Lösung ungeschüttelt, Exponent n =

2 = Lösung geschüttelt, Exponent n =

3 = Wasser aus Pig.2, Exponent n =

? (Kurve)2,1632,149

3 2

Steigzeit in sec. Clogar. Skala D

Tabelle 6. Kapillarsteiggeschwindigkeit einer 0,015 $-igen

Lösung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

1000sec

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

ungeschüttelt geschüttelt

1. 2. 3. EÏ-+- *» 1. 2. 3.Mit¬

tel+_ Fm

1 4,0 5,0 5,0 4,7 ± 0,3 3,0 3,0 3,8 3,3 +0,3 1,42

2 16 18 18 17,3 ± 0,7 12 13 15 13,3 + 0,9 1,30

3 38 42 41 40,3 + 1,2 29 30 33 30,7 + 1,2 1,31

4 73 77 78 76,0 + 1,5 53 58 63 58,0 +_ 2,9 1,31

5 118 125 126 123 ± 2,5 88 93 103 94,7 + 4,4 1,30

6 174 183 185 181 ± 3,4 130 138 150 139 + 5,8 1,30

7 244 260 259 254 + 5,2 182 193 209 195 ^ 7,8 1,30

8 328 348 345 340 ± 6,2 242 257 278 259 +_ 10 1,31

9 426 449 448 441 ± 7,5 312 333 359 335 + 13 1,32

Fm = mittlere Fehier der 1! ittelwerte

trat in verschiedenen Verdünnungen zu Aufstiegversuchen in Fil¬

trierpapier verwendet.

Die Verdünnungen wurden mit Wasser bei Zimmertemperatur vor¬

genommen. Die unverdünnte Lösung hatte einen Gehalt an Trocken¬

substanz von 0,029 °ß>' Die Resultate sind in den Tabellen 5-7 und

in den entsprechenden Figuren 6-8 dargestellt.

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cm

- 26 -

Figur 7. Kapillarsteiggeachwindigkeit einer 0,015 '/»-igen

Lösung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

1 = Lösung ungeschüttelt, Kxponent nu = 2,1542 = Lösung geschüttelt, Exponent n^ = 2,1683 = 'iVasser aus Fig.2, Sxponent nJ = 2,149

10 100 sec

Steigzeit in sec C logar SkalaD

Tabelle 7, Kapillarsteiggeschwindigkeit einer 0,006 $-igen

Lösung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

Hö¬

he

in

cm

Steigzeit t in Sekunden Schüt¬

telef¬

fekt

S

ungeschüttelt geschüttelt

1. 2. 3. tS"± Pm 1. 2. 3.Mit¬

tel+ Fm

1 3,0 3,5 3,3 3,3 + 0,1 2,6 3,0 3,0 2,9 + 0,1 1,14

2 13 16 14 14,3 + 0,9 11 13 12 12,0 +_ 0,6 1,19

3 30 36 32 32,7 + 1,8 27 32 28 29,0 + 1,5 1,13

4 58 67 59 61,3 + 2,9 52 61 53 55,3 + 2,9 1,11

5 94 108 94 98,7 ± 4,7 84 98 86 89,3 + 4,4 1,11

6 139 158 139 145 + 6,3 123 142 126 130 + 5,9 1,12

7 192 222 193 202 + 9,8 172 196 174 181 + 7,7 1,12

8 257 296 255 269 + 13 229 255 232 239 + 8,2 1,13

9 333 377 330 347 i 15 295 331 300 309 + 11 1,12

Fm = mittlere Fehler der Mittelwerte

Der Aufstieg der 0,029 ^-igen ungeschüttelten Lösung ergibt

in der graphischen Darstellung (Fig.6) eine Kurve. Der Exponent n

ist nicht konstant, er nimmt mit wachsender Steighöhe zu, ein be¬

stimmter Wert kann deshalb nicht angegeben werden.

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27 -

ffigur 8. Kapillarsteiggeschwindigkeit einer 0,006 fe-igen

LÖ3ung von Plantago-Schleim vor und nach dem Schütteln

1 = Lösung ungeschüttelt, Exponent nu = 2,129Exponent ng2 = Lösung geschüttelt,

3 = Wasser aus Pig.2, Exponent n =

2,1512,149

Steigzeit in

100 sec

sec C logon Skala }

5. Messgenauigkeit und Übereinstimmung der Resultate

mit den theoretischen Voraussetzungen

Die Methodengenauigkeit und die Reproduzierbarkeit der Messre¬

sultate sind befriedigend. Die Messungen bei Steigzeiten unter

10 sec. sind wohl mit grösseren Ablesefehlern verbunden und des¬

halb nicht mit dem selben Gewicht zu beurteilen wie die Messungen

bei längeren Zeiten. Die drei Messreihen, die für jedes System

angegeben wurden, sind zum Teil ziemlich stark voneinander ver¬

schieden. Die beste Uebereinstimmung wurde mit Wasser erhalten,

die schlechteste mit der konzentriertesten Lösung von Plantago-

Schleim. Bei den geschüttelten Lösungen ist die Genauigkeit all¬

gemein besser als bei den ungesohüttelten. Bei allen fadenziehen¬

den Systemen müssen mehrere Messungen gefordert werden, wenn zu¬

verlässige Resultate erhalten werden sollen.

Wie aus den graphischen Larstellungen hervorgeht, wird - mit

Ausnahme der konzentriertesten Lösung von Plantago-Schleim - bei

allen Lösungen das LUCAS'sehe Gesetz erfüllt, abgesehen davon,

dass die Exponenten n nicht genau gleich 2 sind. Es bleibt also

der wirksame Kapillarradius des Filtrierpapiers während des Ver-

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- 28 -

suches im allgemeinen konstant. Die Poren des Filtrierpapiers

werden durch die Schleimsubstanzen nicht oder nur unmerklich ver¬

stopft, wenn diese nicht in au grosser Konzentration vorhanden

sind. Bei der konzentriertesten ungeschüttelten Lösung von Plan-

tago-Schleim ist die Kurve nicht mehr linear, sondern gegen die

Abszisse abgebogen. Hier scheint eine Verstopfung der Filterpo¬

ren vorzuliegen, während dies schon bei der 2-faehen Verdünnung

nicht mehr der Fall ist.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die theoretische Be¬

rechnung des Schütteleffektes S war die Gleichheit der Exponenten

n^ und ng bei ungeschüttelten und geschüttelten fadenziehenden

Systemen. Sie ist bei keiner unserer Lösungen ganz genau erfüllt.

Dies zeigt sich auch darin, dass der gemessene Schütteleffekt S

nicht für alle Steighöhen den gleichen Wert annimmt. Immerhin ist

er wenigstens bei den beiden verdünnten Lösungen von Plantago-

Schleim praktisch konstant, ebenso bei Speichel für Steighöhen

über 3 cm. Bei lindem Wein und der wässrigen Lösung des Schlei¬

mes aus lindem Wein sinkt der Wert von S mit wachsender Steig¬

höhe.

6. Die j£apillarsteigmethode. Diskussion ihrer Eignung

zur Kennzeichnung verdünnter fadenziehender Systeme

Bis heute vermag nur die Kapillarsteigmethode, wie sie oben

beschrieben wurde, verdünnte fadenziehende Systeme quantitativ zu

kennzeichnen. Der Schütteleffekt S ist für solche Lösungen cha¬

rakteristisch, und sein Wert kann als quantitatives Mass für das

Fadenziehvermögen des Systems dienen. Weder die Oberflächenspan¬

nung noch die im HOEPPLER'sehen Kugelfallviskosimeter gemessene

Viskosität eignen sich zur quantitativen Charakterisierung ver¬

dünnter fadenziehender Systeme.

Die Oberflächenspannung d verdünnter fadenziehender Systeme

wird durch Schütteln nicht verändert, Tab.8. zeigt die I'essergeb-

nisse. Die HOEPPLEH-Viskosität r\ verdünnter fadenziehender Syste¬

me kann durch Schütteln wenig verändert werden, Tab.9. zeigt die

Uessergebnisse. Als Beleg für das Fadenziehvermögen der unter¬

suchten Systeme wurde in beiden Tabellen auch der oben definierte

Schütteleffekt S angegeben.

Linde Weine und Plantago-Schleim zeigen ungeschüttelt und ge-

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- 29 -

Tabelle 0. Oberflächenspannung d verdünnter fadenzie¬

hender Systeme. Messresultate vor und nach dem Schütteln

SystemSchüttel¬

effekt SOberflächenspannung

in Dyn/emungeschüttelt geschüttelt

Linder Wein 1,59 50,3 50,0

Wässrige Auflösung des

Schleimes aus lindem Wein1,46 69,9 69,6

Menschlicher Speichel 2,14 60,8 62,7

Lösung von Plantago-Schleim 0,029 7°

2,02 71,7 71,6

Tabelle 9. HOEPPLER-Viskosität verdünnter fadenziehender

Systeme. Messresultate vor und nach dem Schütteln

System

Schüttel¬

effekt S

HOEPPLER-Viskosität als

Fallzeit d.Kugel in sec.

ungeschüttelt geschüttelt

Linder Wein 1,59 132,3 131,5

Wässrige Auflösung des

Schleimes aus lindem Wein1,46 95,6 94,8

Menschlicher Speichel 2,14 131,0 97,6

Lösung von Plantago-Schleim 0,029 %

2,02 141,6 137,2

schüttelt dieselben 6- und q-Werte. Einzig beim Speichel drückt

sich das Schütteln auch in den Viskositätswerten (nach HOEPPLER)

aus. Die gemessenen Effekte liegen aber weit unter jenen, die mit

der Kapillarsteigmethode beobachtet werden können.

Die Capillarsteigmethode stellt ebenfalls eine Viskositätsmes¬

sung dar, die unter schonendsten Bedingungen vor sich geht. Das

feine Gerüst hochmolekularer fadenförmiger Kolloide, welches das

System durchwirkt - die Struktur - wird offenbar bei der Viskosi-

metrie im HOEPPLER-Apparat oder in den OSTWALD-Viskosiiaetern we¬

niger erfasst als beim Kapillarisieren durch feinporige Filter-

streifen. Beim Schütteln werden diese Peinstrukturen verändert

oder zerstört. Im Filterstreifen äussert sich dies durch eine

auffallende "Viskositätsabnahme". Gleichung 13) formuliert:

Die Messung der Oberflächenspannung ö vor und nach dem Schütteln

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- 30 -

zeigt die Unveränderlichkeit dieser Grösse (Tab.9.). Man kann

demnach Gleichung 13) vereinfachen:

13 a) s =*Lä'le

Bei der Berechnung des Schütteleffektes aus den Steigzeiten der

ungeschüttelten und geschüttelten fadenziehenden Systeme .wurde

7) s = |agesetzt. Die beiden Quotienten werden identisch.

Wir versuchten mit verschiedenen Modellsubstanzen, z.B. mit

Pektin, Agar-Agar, Gelatine, das Fadenziehen wässriger Lösungenzu verursachen, was uns aber nicht gelungen ist. Die in diesem

Zusammenhang interessanteste Substanz war Gelatine. Beim Abküh¬

len einer heiss zubereiteten 1 jS-igen Gelatinelösung entsteht ge¬

rade noch ein festes Gel. Durch Schütteln kann es zerstört werden,das System wird vorübergehend flüssig und geliert beim Stehen

wieder neu, da Gelatine thixotrop ist. Verdünntere Lösungfen blei¬

ben beim Abkühlen flüssig, sie sind nicht fadenziehend. Beim

Schütteln sinkt ihre Viskosität ab und steigt nachher langsamwieder an. Diesen "Schütteleffekt" haben wir an Gelatinelösungenverschiedener Konzentration mit Filtrierpapier und mit dem HOEPP-

IiER-Viskosimeter gemessen und die Resultate in Tab.10. zusammen¬

gestellt.

Tabelle 10. Der Schütteleffekt bei Gelatinelö¬

sungen, gemessen mit zwei verschiedenen Methoden

Konz. d.

Gelatine

Kapillarsteigmethode HOEPPLER-ViskosimeterSteigzeit in sec.

4 cm Steighöhe "s Fallzeit d.Kugel in sec.S

*u *8 *u *g

0,40

0,35

0,30

0,25

95

78

73

61

83

72

71

61

1|14

1,08

1,03

1,00

170,4

151,4

135,6

116,4

154,0

140,6

128,0

114,3

1,11

1,08

1,06

1,02

tu = ungeschüttelt, tg = geschüttelt

Es ist deutlich zu sehen, dass beim Gelatinesol die mit zwei

ganz verschiedenen Methoden gemessenen Schütteleffekte ziemlich

genau übereinstimmen, dass also in diesem Falle, wo die Lösungen

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- 31 -

nicht fadenziehend sind, das Papier deren "normale" Viskositäten

misst.

Ifeiter wurde die Abhängigkeit des Schütteleffektes von der

Dauer,des Schütteins untersucht. Beim Schütteln mit dem Synchron-

soüüttler (siehe III.3.d) ist der volle Schütteleffekt schon in

lcurzer Zeit erreicht. Verschiedene Proben eines linden Weines wur¬

den mit dem Synchronschüttler während Zeiten von V2-20 Minuten

geschüttelt. Hernach wurde der Schütteleffekt mit der Kapillar¬

steigmethode gemessen. Die Resultate sind in Tab.11. zusammenge¬

stellt und in Pig. 9. veranschaulicht. Nach'2-5 Ilinuten Schüttel¬

zeit ändert sich der Schütteleffekt praktisch nicht mehr.

Tabelle 11. Abhängigkeit des gemessenen Schütteleffektes S

von der Schütteldauer beim Schütteln im Synchronschüttler

Schüttelzeit

in Minutengemessener Schüt¬

teleffekt S

0,5 1,27

1,0 1,37

2,0 1,50

5,0 1,57

10,0 1,59

20,0 1,62

Figur 9. Abhängigkeit des gemessenen Schütteleffektes S

von der Cchütteldauer beim Schütteln im Synchronsehüttler

SchUttel

effekt S

1,621,59157X50

1,37

1,27

051 2, 10 20 min

Schütteldauer in Ilinuten

Von Hand kann das Schütteln in Reagensgläsern sehr effektvoll

durchgeführt werden, wirkungsvoller als mit der Maschine. Schon

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- 32 -

mit ca. 20 kräftigen Schüttelbewegungen ist bei den eingefüllten

2-5 com Flüssigkeit der volle Schütteleffekt erreicht. Um bei¬

spielsweise bei Serienversuchen die Gewissheit zu erhalten, dass

genug geschüttelt wurde, kann man einige Proben nochmals schüt¬

teln. Der Schütteleffekt darf sich dabei, verglichen mit dem ur¬

sprünglichen Resultat, nicht mehr ändern.

7. Irreversibilität des Schütteleffektes bei lindem Wein

Das Fadenziehen des linden Weines wird durch Schütteln zer¬

stört, es kehrt beim Stehenlassen des geschüttelten Weines nicht

mehr zurück. Der Schütteleffekt ist also irreversibel, und es ist

interessant zu untersuchen, ob nicht durch geeignete Behandlung

des Schleimes wieder Fadenziehen erreicht werden kann.

Wie oben gezeigt wurde, kann der Schleim aus lindem Wein mit

Alkohol (60 Vol.-$S der Mischung) ausgefällt und in Wasser wieder

gelöst werden. Die wässrige Lösung ist nur dann fadenziehend,

wenn der Wein vor der Fällung nicht geschüttelt wurde. Der Nieder¬

schlag aus geschütteltem Wein gibt keinen Schütteleffekt mehr.

Anderseits ist das Schütteln erfolglos, wenn zum Zwecke der Fäl¬

lung des Schleimes aus lindem, ungeschütteltem Wein der erforder¬

liche Alkohol schon zugemischt ist. Die Mischung kann.beliebig

lange geschüttelt werden, ohne dass der Schleim die Eigenschaft

verliert, seine wässrige Auflösung fadenziehend zu machen. Einer¬

seits wird also der gefällte Schleim durch Schütteln nicht verän¬

dert, wahrend anderseits der einmal geschüttelte Schleim durch

Fällen und Wiederauflösen das Fadenziehen nicht wieder gewinnt.

In einem Schema auf Seite 33 sind diese Verhältnisse klar zusam¬

mengestellt.

Wir versuchten auch durch andere Behandlungen des geschüttel¬

ten Schleimes aus lindem Wein das Fadenziehen wieder hervorzubrin¬

gen. Längeres Stehenlassen bei Zimmertemperatur oder bei 0° C war

erfolglos. DEUSL zeigte z.B. in unserem Laboratorium, dass geschüt¬

telter Plantago-Schleim nach Fällung und Wiederauflösung in Wasser

nicht fadenziehend ist. Wird der gleiche alkoholgefällte Schleim

dagegen in Aethylendiamin oder Formamid aufgelöst, oder auch nur

in wässriger Lösung erhitzt, so erweist er sich wieder deutlich

als fadenziehend. Mit Schleim aus lindem Wein war diese Behand¬

lung erfolglos; es gelang nie, den geschüttelten Schleim wieder

fadenziehend zu machen.

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Schema: Der Schütteleffekt S bei lindem Wein; Einfluss ver¬

schiedener Behandlungsweisen bei der Fällung des Schleimes

linder Wein

(Beispiel: S = 1,97)'

ungeschüttelt

Alkoholzusatz

zur Fällung der,Schleimstoffe

Lösung der abge¬trennten Schleim¬

stoffe in Wasser

erneut fadenziehend

Schütteln der

Mischung

Lösung der abge¬trennten Schleim¬

stoffe in Wasser

erneut fadenziehend

geschüttelt

Alkoholzusatz

zur Fällung der

Schleimstoffe

Lösung der abge¬trennten Schleim¬

stoffe in Wasser

nicht fadenziehend

(beispiel: S = 1,99) (Beispiel: S = 1,82) (Beispiel: S = 1,03)

8. Praktische Methode zur Bestimmung des

Schütteleffektes an lindem T/ein

Um möglichst schnell und praktisch den Schütteleffekt eine's

linden Weines zu bestimmen, wurde in den meisten Fällen eine sehr

einfache Apparatur verwendet, die in jedem Laboratorium leicht

hergestellt werden kann (siehe Figur 10). Ueber eine gewöhnli¬

che Tüpfelplatte (T) (85 x 85 mm) wird eine Brücke aus Aluminium¬

blech (B) gestellt, so dass der Abstand zwischen waagrechtem

Blechstück und Tüpfelplatte 4 cm beträgt. In das waagrechte Blech¬

stück werden an der Vorderkante senkrecht über den Vertiefungen

der Tüpfelplatte 1 mm tiefe und 5 mm breite Einschnitte (E) ge¬

feilt. Bas Ganze steht auf einer Glasplatte und wird mit einer

geeigneten Glasschale (G) bedeckt.

Die Aufstiegstrecke von 4 cm entspricht den Voraussetzungen

für die Gültigkeit des LUCAS'sehen Gesetzes noch sehr gut und

gewährleistet gut messbare, nicht zu lange Steigzeiten, so dass

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Pigur 10. Praktische Apparatur zur Bestimmung des

Schütteleffektes an lindem Wein

T = Tüpfelplatte, B = Blechbrücke, E = Einschnitte,G = Glasschale

während des Aufstieges keine besondere Rücksicht auf die Verdun¬

stung genommen werden muss. Wenn sehr langsam aufsteigende Flüs¬

sigkeiten gemessen werden sollen, kann leicht ein mit Lösungs¬

mittel getränktes Stück Fliesspapier mit unter die Glasschale ge¬

stellt werden.

Es wurde dasselbe Filtrierpapier (No. 571 von Schleicher und

Schüll) wie für die oben beschriebenen Versuche verwendet. Es

wurde mit einem scharfen Messer in Streifen von 4 x 50 mm zer¬

schnitten, wobei peinlich darauf geachtet wurde, dass die Schnit¬

te glatt waren. Für zwei zusammengehörende Messungen an unge-

schütteltem und geschütteltem Wein wurden jeweils zwei nebeneinan¬

derliegende Streifen verwendet. Vor der Messung stand das Papier

mit der konstant temperierten Raumluft im Gleichgewicht.

Für je drei Messungen am ungeschüttelten und geschüttelten

Wein genügen insgesamt 3 ccm filtrierten Weines. Die Hälfte da¬

von wird in einem Reagensglas kräftig geschüttelt. Mit einer

Tropfpipette werden von jeder ?robe 12 Tropfen in je eine Vertie¬

fung der Tüpfelplatte gegeben. Nun fasst man mit einer Hand ei¬

nen Probestreifen an einem Ende, stellt ihn in die 12 Tropfen un¬

geschüttelten Wein, so dass er schwach gegen die Blechbrücke an¬

lehnt und in den zugehörigen Einschnitt zu liegen kommt. Im sel¬

ben Moment setzt man mit der anderen Hand eine Stoppuhr in Gang.

Einen zweiten Streifen stellt man analog in die 12 Tropfen ge¬

schüttelten Wein Tina setzt eine zweite Stoppuhr in Gang. Man

deckt den Apparat mit der Glasschale zu, beobachtet den Aufstieg

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- 35 -

des Weines und stoppt die zu jedem Streifen gehörende Stoppuhr

in dem Moment, in welchem die Benetzungsfront bis zum waagrechten

Blechstück gestiegen ist. Die Zeiten werden notiert, die Strei¬

fen entfernt, und die Kessung kann wiederholt werden. Die ur¬

sprünglichen 12 Tropfen reichen für 3 Messungen aus. Sind weite¬

re Messungen nötig, so füllt man wieder Wein nach. Die Berechnung

des Schütteleffektes S erfolgt nach Gleichung 7)•

Tabelle 12. enthält die Resultate einer Reihe von 10 Messun¬

gen, die nacheinander mit demselben Wein gemacht wurden. Die ein¬

zelnen Steigzeiten stimmen weniger gut überein als die daraus be¬

rechneten Werte für den Schütteleffekt S. Dies zeigt, dass durch

Verwendung von nebeneinanderliegenden Streifen die Unregelmässig¬

keiten des Papiers bis zu einem gewissen Grade ausgeschaltet wer¬

den konnten. Von 10 Messungen ist der Mittelwert des Schüttelef¬

fektes ÏÏ = 1,494. Aus der Fehlerrechnung ergibt sich ein mittle¬

rer Fehler des Mittelwertes von i 0,0085 = 0,57 ïi> Der mittlere

Fehler einer Einzelmessung beträgt ± 0,027 = 1,8 56.

Tabelle 12. Praktische Methode zur Bestimmung des Schüttel¬

effektes an lindem Wein. 10 aufeinanderfolgende Messungen

Nummer

Steigzeit in sec. für

4 cm Steighöhe

Schüttel¬

effekt S

ungeschüttelt geschüttelt

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

87

87

87

87

88

85

90

86

82

86

59

57

59-

57

58

59

60

58

55

57

1,475

1,526

1,475

1,526

1,517

1,441

1,500

1,483

1,491

1,509

Mittelwert des Schütteleffektes 'S = 1,494 - 0,0085

Die Messung des Schütteleffektes S gibt ein quantitatives Mass

für den "Lindgrad" des Weines. In Tab.13. sind die Beziehungen

zwischen der Grösse des Schütteleffektes S und dem "Lindgrad" des

"feines .zusammengestellt.

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- 36 -

Tabelle 13. Beurteilung des "Lindgrades" der Weine aus

der Grösse des Schütteleffektes S

Einem Schuttel-

effekt S von:

entspricht ein:

1,0 vollständig normaler Wein

1,1 - 1,2schwach linder Wein, bei dem nur

der Kenner das Lindsein bemerkt

1,3 linder Wein, schwach bis mittel

1,4 und mehr stark linder Wein

9. Schlussbemerkungen

Die Methode der Messung der Aufstieggeschwindigkeit fadenzie¬

hender Lösungen in Filtrierpapier hat uns neben der guten prak¬

tischen Brauchbarkeit auch theoretische Erkenntnisse über den Me¬

chanismus des Fadenziehens bei verdünnten Schleimlösungen gelie¬

fert. Die Strukturen der von uns untersuchten Schleime sind ver¬

schieden von denjenigen fester Gele oder angelierter Lösungen.

Die Schleime müssen aus grossen anisodiametrischen Molekülen be¬

stehen, die netzartig miteinander verbunden sind, die Haftstel¬

len sind labil. Sie werden durch Schütteln so verändert, dass die

zusammenhängende Netzstruktur zerstört wird. In dem feinen ver¬

zweigten Kapillarsystem des Filtrierpapiers zeigt sich dies durch

einen starken Abfall der "Viskosität", der mit den gewöhnlichen

Viskösimetern kaum messbar ist, wenn es sich um kleine Schleim¬

konzentrationen handelt.

Unsere Versuche über das Lindwerden des Weines durch Bakteri¬

en und über die chemischen Eigenschaften des dabei entstehenden

Schleimes, die in den nachfolgenden Kapiteln besprochen warden,

wurden durch die AufStiegmethode sehr stark erleichtert. Die Me¬

thode wird für die Weinuntersuchung gute Dienste leisten können

und auch auf anderen Gebieten, wo es sich um verdünnte, faden¬

ziehende Schleimlösungen handelt, anwendbar sein.

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IV. KUENSTLICHE HERSTELLUNG VON LINDEM WEIN MIT BAKTERIEN

1. Vorversuche

Es wurde vorerst nach der Arbeitsmethode von KRAMER (loc.cit.)

versucht, durch Impfen eines sterilen jungen Weines mit Bakteri¬

en aus lindem Wein das Lindwerden künstlich hervorzurufen. Für

die Versuche verwendeten wir vollständig vergorene Weissweine

ohne wesentlichen Restzuckergehalt. Das pH wurde auf 3,4 - 3,6

eingestellt. Die Versuchsweine wurden in mit Watte verschlosse¬

nen Reagensgläsern oder Erlenmeyerkolben fraktioniert sterili¬

siert, indem sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen 30 Minuten

lang auf 90-93° C erhitzt wurden. Dabei verdunstet ein Teil des

Alkohols. Hierauf wurden die Weine je nach Grösse der Gefässe mit

1-5 Tropfen einer Bakteriensuspension aus lindem Wein geimpft und

mit einer 1 - 1,5 cm hohen Schicht von gereinigtem sterilem Pa-

raffinöl überschichtet. Die Gefässe wurden wieder mit Watte ver¬

schlossen und im Thermostat bei 20° C aufbewahrt. Nach 3-4 Wo¬

chen wurden die Weine lind, und es entstand nach anfänglicher

Trübung ein schleimiger Bodensatz, der hauptsächlich aus Bakteri¬

en bestand und mit Erfolg zur Impfung weiterer Weine verwendet

werden konnte.

Die zur Impfung verwendeten Bakterien wurden aus lindem, aber

sonst gesundem Wein herauszentrifugiert, oder es wurde der Boden¬

satz verwendet. Der Versuch misslingt, wenn die Bakterien vorher

längere Zeit mit Luft in Berührung stehen. Die Mischkulturen konn¬

ten aber lange im Kühlschrank aufbewahrt werden, auch unter Luft¬

zutritt, ohne ihr Schleimbildungsvermögen zu verlieren.

2. Versuch zur Reinzucht der

Bakterien

Es wurde versucht, die für das Lindwerden verantwortlichen Bak¬

terien in Reinkultur zu erhalten. Zu diesem Zweck wurden aus dem

Trüb eines linden Ottoberger-Weines 1944 Ausstriche auf Platten

von (Traubensaftgelatine gemacht. Bei 20-30° C im Brutraum ent¬

standen in 5-15 Tagen runde Einzelkolonien. Sie waren durchschei¬

nend trübe, an der etwas gewölbten Oberfläche matt glänzend, weissbis schwach gelbbraun gefärbt. Ungefähr 30 solcher Kolonien wur-

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den einzeln weitergezüchtet *). Die Bakterien waren Kokken bis

Kurzstäbchen, 0,6 - 0,9/< breit und 0,7 - 1,0 u. lang, unbeweg¬

lich, meist zu zweien vorkommend oder längere Ketten bildend. Es

konnte keine Sporenbildung beobachtet werden. Auf Wein ohne Pa-

raffinöl bildeten sie meist zuerst eine Oberflächenhaut, trübten

dann die ganze Flüssigkeit und setzten sich später zu Boden. Das

Temperaturoptimum für das Wachstum lag bei 28-30° C, bei 6° C

wurde noch schwaches, bei 37° C kein Wachstum mehr beobachtet.

Auf Wein ohne Paraffinöl wuchsen sie noch schwach bei einem pH

von 2,8.

Die Bakterien bildeten Säure aus Glukose, selten aus Arabino-

se, Xylose, Fructose und Galaktose, keine Säure aus Glycerin,

Ehamnose, Sorbit, Mannit, Saccharose, Maltose, Lactose, Raffinose,

Inulin, Dextrin, Stärke, Salicin. In jenen Nährlösungen, in denen

keine Säurebildung eintrat, konnte deutliche Schleimbildung fest¬

gestellt werden. Die Bakterien bildeten Katalase; Gelatine wurde

nicht verflüssigt; die Gramfärbung war positiv.

Es wurde versucht, mit diesen Reinkulturen linden Wein zu er¬

zeugen. Nach derselben Methode, die mit) dem ursprünglichen Bak¬

teriengemisch erfolgreich war, erhielten wir durchwegs negative

Resultate: es trat kein lindwerden auf. Wir versuchten dann die

Schleimbildung anzuregen durch anfängliche Züchtung bei optimaler

Temperatur und nachherige Abkühlung auf Zimmertemperatur, durch

Aenderung der Sauerstoffzufuhr und durch Zugabe von sterilem

Schleim aus lindem Wein. Alle diese Versuche waren erfolglos. Es

ist unabgeklärt, ob das Lindwerden des Weines durch Mikroorganis¬

men erzeugt wird, die in den Reinkulturen nicht erfasst wurden,

oder ob die Passage der Bakterien in optimalem Nährmedium bei der

Reinkultur deren Fähigkeit zum Lindmachen zerstört. Die Versuche

mit den oben erwähnten Kohlehydraten, aus denen keine Säure, da¬

für aber Schleim gebildet wurde, deuten eventuell auf letztere

Möglichkeit hin.

3. Tätigkeit der Bakterien im Wein

Ein Weisswein (Räuschling 1944), der den Säureabbau noch nicht

durchgemacht hatte, wurde mit Kalilauge auf pH 3,6 entsäuert; zur

*) Herrn Dos. Dr. Ch. GODET und Herrn Dr. 0. RICHARD sind wir für

die Mithilfe bei den bakteriologischen Untersuchungen zu Dank

verpflichtet.

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Abscheidung des Weinsteins wurde er für einige îage in den Kühl¬

schrank gestellt, dann filtriert und sterilisiert. In Erlenmeyer-

kolben von 750 ccn Inhalt wurden damit vier Parallelversuche in

folgender Weise durchgeführt:

1. Impfung mit Bakterien aus einer der Reinkulturen und Ver¬

schluss mit sterilem Gummizapfen. Bas Gefäss war so weit aufge¬

füllt, dass nur noch ein kleiner Luftraum zwischen Zapfen und

Wein verblieb.

2. Gleiche Impfung, aber Verschluss mit Wattestopfen, so dass

Luftzutritt möglich war.

3. Impfung mit einer Bakteriensuspension des ursprünglichen,

schleimbildenden Trubs und Verschluss mit Gummizapfen, wie No.l.

4. Gleiche Impfung wie No.3 und Verschluss mit Wattestopfen.

Als luftdichter Verschluss wurden Gummizapfen verwendet, um

eine Störung der Weinanalyse durch Paraffinöl zu vermeiden. Nach

Tabelle 14. Chemische Veränderungen des Weines durch

Bakterientätigkeit

Bestimmung sterilNummer der Proben (s.oben)1. 2. 3. 4.

Gesamtsäure (Mäq/l)

Essigsäure (Mg$jWeinsäure (£g$]Milchsäure (M|£/ijfixe Säure (Mäq/l)

Alkoho1 (Mäc^iGlycerin (gr/l)

pH

79,5

0,355,8

1,5720,9

1,9721,9

73,7

46,11000

6,8

3,6

62,2

0,7712,8

1,5720,9

4,1045,6

49,4

39,6860

6,4

3,9

332

18,5308

1,5720,9

1,9321,4

24

21,6469

6,4

3,4

63,2

0,8113,5

1,5720,9

4,4048,9

49,7

42,8930

6,6

3,8

286

16,3272-

1,5720,9

1,2213,6

14

25,5554

6,4

3,5

S = "Lindgrad" 1,0 1,0 1,0 1,3 1,1

Mäq/l = Milliäquivalent pro Liter

drei Wochen Kulturzeit bei 20° C wurde der Versuch unterbrochen,

die Bakterien wurden abzentrifugiert und der Wein bis zur Been¬

digung der Analysen im Kühlschrank aufbewahrt. Die Analyse wur¬

de zur Hauptsache nach den Vorschriften des Schw. Lebensmittel¬

buches (25) durchgeführt. Die Glycerinbestimmung erfolgte nach

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der Methode von ZEISEL, PANTO und STRITAR (31). Die Resultate

sind in Tabelle 14. zusammengestellt.

.Es fällt auf, dass der Wein unter luftabschluss viel weniger

verändert wurde als bei Luftzutritt. Es sollen zuerst die luft¬

dicht mit Gummi verschlossenen Proben besprochen werden, No.l.

und 3. Sie haben im wesentlichen den Säureabbau durchgemacht. Im

Vergleich zum sterilen Wein hat die Gesamtsäure bei beiden abge¬

nommen, das pH ist gestiegen, und der Milchsäuregehalt hat zuge¬

nommen. Die Zersetzung der Aepfelsäure beim Säureabbau verläuft

nach folgender Gleichung:

h00c-ch2-ch-c00h —» c02 + ch3-ch-coohÔh Öh

Aepfelsäure Milchsäure

Beim Säureabbau muss die Zunahme der Milchsäure annähernd gleich

der Abnahme der fixen Säure sein, wenn keine weiteren Verände¬

rungen eintreten. Für Probe 1. stimmt diese Rechnung recht gut,

für Probe 3. weniger gut.

Eine schwache Vermehrung der Essigsäure wird beim Säureabbau

immer beobachtet, sie bleibt hier in normalen Grenzen. Die Er¬

niedrigung des Alkoholgehaltes ist nicht auf Bakterientätigkeit

zurückzuführen, sondern auf Verluste bei der Sterilisation, da

die geimpften Proben einmal mehr bei 93 C sterilisiert wurden

als die sterile Vergleichsprobe. Glycerin- und Weinsäuregehalt

sind bei allen Proben gleich geblieben. Ein wesentlicher Unter¬

schied zwischen Probe 1. und 3. ist nicht vorhanden abgesehen

davon, dass Probe 3. lind geworden ist, was zu erwarten war auf

Grund der Impfung mit schleimbildendem Trüb.

Die Proben 2. und 4. sind ausserordentlich stark verändert

worden. Nahezu die Hälfte des Alkohols ist verschwunden, und es

ist sehr viel Essigsäure entstanden. Da der Alkoholgehalt zu Be¬

ginn des Versuches wegen der Verluste beim Sterilisieren nicht

genau bekannt ist, und während des Versuches eine Verdunstung

durch den Wattestopfen möglich war, können keine Berechnungen

über die Aequivalenz des verschwundenen Alkohols mit der ent¬

standenen Essigsäure gemacht werden. Es ist also die Gesamtsäu¬

re stark gestiegen, aber die fixe Säure wurde viel mehr vermin¬

dert als in den Proben 1. und 3. Es besteht kein Zweifel darü¬

ber, dass auch unter Luftzutritt der Säureabbau stattgefunden

hat. Der Milchsäuregehalt ist aber bei Probe 2. gleich geblie-

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- 41 -

hen, bei Probe 4. hat er sogar abgenommen. Es wurde also bei

beideïi Proben auch Milchsäure abgebaut. Die abgebaute Milchsäure

kann berechnet werden, indem man die Differenzen der Milchsäure-

gehalte der einander entsprechenden Proben 1. und 2, - und 3.

und 4. - ausrechnet, oder indem man die entsprechenden Differen¬

zen der Werte für fixe Säure bildet. Man erhält so ziemlich ge¬

nau dieselben Werte. Es kann aber nicht festgestellt werden, ob

die Milchsäure vollständig zerstört oder zu Essigsäure abgebaut

wurde. - Auch bei den Proben 2. und 4. sind Weinsäure- und Gly-

ceringehalt unverändert geblieben. Probe 4. zeigt trotz des

Luftzutrittes einen schwachen Schütteleffekt. Es liegt hier mög¬

licherweise der Fall vor, den KAYSER und MANCEAU (loc.cit.) als

"linden Essig" bezeichneten, allerdings mit dem Unterschied,

das3 hier keine Entwicklung von Mycoderma aceti festgestellt wer¬

den konnte.

Die vier Analysen zeigen, dass die von uns verwendeten Bakteri'

en ,die normalerweise nur den Säureabbau (mit oder ohne Lind¬

werden) bewirken, bei genügender Säuerstoffzufuhr den Wein voll¬

ständig ungeniessbar machen können.

Wie schon erwähnt wurde, ist der im linden Wein vorhandene

Schleim mit Alkohol fällbar. Der Niederschlag besteht aber nicht

aus reinem, fadenziehendem Schleim, sondern er enthält eine Reihe

anderer alkoholfällbarer Stoffe (Hemizellulosen, Eiweisse), die

in jedem Wein vorhanden sind, und die die Reinigung des faden¬

ziehenden Schleimes sehr schwer gestalten. Es ist interessant,

zu untersuchen, ob ein Wein auch ohne diese Stoffe lind werden

kann. Wenn dies zutrifft, kann ein relativ reiner Bakterien-

Schleim dadurch erhalten werden, dass ein Wein, der frei von al¬

koholfällbaren Stoffen ist, künstlich lind gemacht wird.

Zu diesem Zwecke wurden 10 Liter Wein (Räuschling 1946), der

den Säureabbau noch njcht durchgemacht hatte, am Vakuum auf ca.

1,5 1 eingedampft. Zu dem Konzentrat wurden 2,3 1 Alkohol gege¬

ben. Der entstandene Niederschlag wurde nach 24 Stunden abfil¬

triert. Hierauf wurde ein Teil des Alkohols am Vakuum wieder ab¬

destilliert, die Mischung wurde mit Wasser auf 10 1 verdünnt und

auf einen Alkoholgehalt von ca. 7 Vol.-4> und mit NaOH auf ein

pH von 3,4 eingestellt. Dieser Wein wurde auf 5 Erlenmeyerkol-ben von 2 1 Inhalt verteilt und sterilisiert. Der Wein in vier

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dieser Kolben wurde mit schleimbildenden Bakterien aus dem Trüb

linden Weines geimpft, mit sterilem Paraffinöl überdeckt und

bei 20° C stehen gelassen. 2 1 Wein wurden als Vergleichaprobesteril aufbewahrt.

Die Verarbeitung des Schleimstoffes wird im nächsten Abschnitt

behandelt. Hier soll an einer umfassenderen Analyse gezeigt wer¬

den, welches die chemischen Veränderungen des Weines beim Säure¬

abbau und Lindwerden sind. Um die Unsicherheit in der Alkohol¬

bestimmung auszuschalten, die den eben beschriebenen Versuchen

anhaftete, wurde sofort nach der Impfung eine Alkoholbestimmung

ausgeführt. Der erhaltene Wert wurde in Tab.16. als Alkoholge¬

halt des sterilen Weines eingesetzt. Ferner wurde das Lindwer¬

den zeitlich verfolgt, indem aus einem Kolben von Zeit zu Zeit

eine Probe steril entnommen und damit der Schütteleffekt gemes¬

sen wurde. Die Resultate dieser Bestimmungen sind in Tab.15. zu¬

sammengestellt. Man sieht deutlich, dass das Lindwerden allmäh¬

lich, in diesem Falle während des Säureabbaues fortschreitet.

Tabelle 15. Zeitliche Verfolgung des Lindwerdens.

Datum: Schütteleffekt S

Impfung: 20. V. 1,00

30. V. 1,14

9. VI. 1,30

17. VI. 1,45

Abbruch des Versuches:

3. VII. 1,58

Die Kolben wurden jede Woche einmal schwach bewegt, um die

Bakterien, die sich zur Hauptsache zu Boden gesetzt hatten, wie¬

der zu suspendieren. Während der letzten zwei Wochen des Versu¬

ches wurde der Wein vollständig in Ruhe gelassen. Nach 43 Tagen

Kulturzeit wurde beobachtet, dass sich der Wein zu klären be¬

gann, indem die oberen Schichten beinahe völlig klar wurden. Hun

wurde der Versuch unterbrochen, der Wein wurde von Paraffinöl

befreit, filtriert und bis zur Beendigung der Untersuchungen im

Kühlschrank aufbewahrt.

Das Resultat der Analysen ist in Tab.16. zusammengefasst. Man

erkennt einen starken Abfall der Gesantsäure und einen starken

Anstieg der Milchsäure. Da hier die Zitronensäure ebenfalls be¬

stimmt wurde (nach GODET und CHARBIERE (7)) kann eine vollsten-

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Tabelle 16. Chemische Veränderungen de3 Weines beim

Säureabbau und Lindwerden (Räuschling 1946)

Bestimmungsteril lind

gr/1 Mäq/1 gr/1 Mäq/1

Alkohol 51,5 1117 50,6 1098

Gesamtsäure 70,9 45,1

Weinsäure 0,43 5,7 0,43 5,7

Milchsäure 0,88 9,8 3,42 38,0

Zitronensäure 0,22 3,4 0,02 0,3

Essigsäure 0,10 1,7 0,36 6,0

fixe Säure 69,2 39,1,

reduz. Zucker als

Invertzucker 0,60 0,27

Extrakt berechnet 14,8 13,3

spez. Gewicht 0,99705 0,99659

pH 3 ,41 3 ,69

S = "Lindgrad" 1 ,00 1 ,58

Tabelle 17. Säurebilanz

Gesamtsäure des abgebauten Weines 45,1 Mäq/1

entstandene Milchsäure (= V2 abgebau¬te. Aepfelsäure in Milliäquivalenten)

+ 28,2 It

abgebaute Zitronensäure + 3,1

76,4 11

entstandene Essigsäure

berechnete Gesamtsäure des

Weines vor dem Säureabbau

- 4,3 "

72,1 "

gefundene Gesamtsäure des

Weines vor dem Säureabbau 70,9 It

Differenz 1,2 11

(Mäq/l = Milliäquivalent pro Liter)

dige Bilanz der Säuren aufgestellt werden (siehe Tab.17.). Die

Berechnung der ursprünglichen Gesamtsäure stimmt gut mit dem ge¬

fundenen Wert überein.

Der Versuch zeigt, dass ein Wein auch ohne die gewöhnlichen

alkoholfällbaren Substanzen stark lind werden kann (S = Lindgrad =

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44

= 1,58), dass diese also für das Lindwerden nicht wesentlich sind.

Bemerkenswert ist hier nur noch der ziemlich vollständige Abbau

der Zitronensaure, eine nicht unbekannte Erscheinung auch bei nor¬

malem Säureabbau, sowie das Absinken des kleinen Restzuckerge¬

haltes auf etwas weniger als die Hälfte des ursprünglichen Wertes.

Der Wein muss, abgesehen vom Lindsein, als vollständig gesund an¬

gesprochen werden..

*

4. Mikroskopische Untersuchungen

Die Morphologie der Bakterien der Reinkulturen haben wir schon

beschrieben. - Es wurden die Bakteriensedimente zahlreicher lin¬

der, aber sonst gesunder Y/eine mikroskopiert. In den meisten konn¬

ten nur die Bakterien gefunden werden, die wir in den Reinkultu¬

ren beobachtet haben. Auch die im Laboratorium künstlich lind ge¬

machten Weine zeigten oft das

gleiche Bild. In einigen Fäl¬

len zeigten sich aber neben

den üblichen Bakterien', wenn

auch in kleiner Minderzahl,

kokkenförmige Gebilde, die

nur unsicher als Mikroorga¬

nismen angesprochen werden

können. Es sei hier die oben

erwähnte Beobachtung von KRA¬

MER zitiert, der in lindem

Wein neben Bakterien und He¬

fen auch kleine "Kügelchen"

konstatierte, die er jedoch

nicht als lebende Organismen

ansah. Die Bedeutung dieser

kokkenfdrmigen Korperchen für

das Lindwerden ist bis heute

unabgeklart. In einzelnen

linden Weinen fanden wir auch

wenige Hefen. Ihr Vorkommen ist aber nicht typisch für linde Wei¬

ne. In unseren Versuchen verschwanden sie schon nach der ersten

Ueberimpfung des Trübes auf einen sterilen, praktisch zuckerfrei¬

en Wein.

Mikrophotographie: Bakterien

aus einem linden Versuchswein

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5. Konservierung der Bakterien

Um jederzeit Bakterien zur Verfügung zu haben, die unter den

besprochenen Bedingungen Wein lind machen, wurden mit einem

Tiefgefrier-Vakuum-Trocknungsverfahren ïrockenampullen mit Bak-

terientrub aus lindem '.Vein hergestellt. Zu diesem. Zwecke konn¬

ten wir die Apparatur des bakteriologischen Institutes der E.T.H

benützen. Diese arbeitet in abgeänderter und vereinfachter T/ei¬

se nach dem Verfahren von FLOSDORF und I.IÜDD (5). Die Bakterien

wurden aus dem linden -Wein herauszentrifugiert und in einigen ccm

steriler Magermilch aufgeschlämmt. Von dieser Aufschlämmung wur¬

den je ca. 4 Tropfen in sterile und mit Watte versehene Glasröhr¬

chen gebracht, deren Masse 7 x 100 mm waren. Die so beschickten

Röhrchen wurden in einen Drahtkorb gestellt. Durch rasches Ein¬

tauchen in mit festem Kohlendioxyd gekühltes Aceton wurde die

Bakteriensuspension momentan eingefroren.

Nun wurden die Röhrchen in die auf -15° C vorgekühlte Troek-

nungs-Apparatur gebracht und unter einem Druck von ca. 0,01 mm

Quecksilber in gefrorenem Zustand getrocknet. Hach vollständiger

Trocknung (nach ca. 48 Stunden) wurde der aus den Gläschen her¬

vorstehende Teil der Wattestopfen abgeschnitten. Die verbleiben¬

de sterile Watte wurde mit einem Glasstab bis auf 0,5 cm über

den am Boden der Gläschen liegenden Trockenrückstand hinabgestos-

sen. Ueber die Watte wurde nun eine ca. 0,5 cm hohe Schicht von -

Blaugel gegeben. Durch gelindes Erwärmen mit einem Brenner wurde

das Blaugel nochmals scharf getrocknet, wobei darauf geachtet

wurde, dass die Watte nicht verkohlte. Im gleichen Arbeitsgang

wurden die Röhrchen etwa 3 cm über dem Blaugel im Gebläse zu ei¬

ner ca. 1 mm dicken Kapillare ausgezogen. Hun wurden die Röhr¬

chen durch Anschliessen an die Hochvakuumpumpe evakuiert und in

diesem Zustand durch Abschmelzen der Kapillare verschlossen. Das

Blaugel gestattet, defekte Röhrchen bald zu erkennen. Wenn ein

Röhrchen nicht dicht zugeschmolzen ist, oder nachträglich ein

Sprung im Glas entstand, färbt sich das Blaugel rot, ein Zeichen,

dass Luftfeuchtigkeit eindringen konnte. Solche Proben sind zu

verwerfen. Bei einiger Uebung gelingt es leicht - ohne nennens¬

werten Ausschluss - gute Dauerkonserven herzustellen.

Die Trockenkonserven waren nach 16 Monaten noch keimfähig,

und durch Impfen eines Weines in der beschriebenen Weise konnte

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dieser lind gemacht werden. Als Beleg diene folgendes Beispiel:

Eine 16 Monate im Dunkeln aufbewahrte Konserve wurde geöffnet

durch Ritzen und Aufbrechen des Glases im oberen Drittel der Wat¬

telage. Durch schwaches Klopfen löst sich die Trockensubstanz

des Bakterientrubes vom Glas, oder sie kann mit einem sterilen

Platindraht leicht abgelöst werden. Die Trockenmasse wird in

1 ccm sterilem Wasser gelöst, und mit dieser Suspension wird der

Wein geimpft. Nach 6 Tagen konnte deutlich das Bakterienwachstum

an der Trübung des Weines festgestellt werden, nach 14 Tagen be¬

trug der "Lindgrad" S = 1,13, nach 30 Tagen S = 1,42.

6. Schlussbemerkungen

Es ist uns nicht möglich, das Bakterium, das aus unseren

Reinkulturen gezüchtet und untersucht wurde, zu benennen. Die

Morphologie stimmt sehr gut mit Bacterium gracile MUELLER-THUR-

GAU überein, jedoch sind die physiologischen Eigenschaften ziem¬

lich verschieden, so dass wir die Frage offen lassen müssen. Sie

ist vom Bakteriologen definitiv zu beantworten.

Wir haben uns hier mit der künstlichen Herstellung von lindem

Wein befasst, ohne die Frage nach der Verhütung des Lindwerdens

zu berücksichtigen. Da es sich um einen primär mikrobiellen Wein¬

fehler handelt, ist grosse Sauberkeit in der Weinbereitung sehr

wichtig. Der Fehler kann von Wein zu Wein übertragen werden, es

sollen deshalb auch anscheinend gesunde Weine ohne Vorsichts-

massnahmen nicht mit den selben Geräten behandelt werden: die

Möglichkeit einer Infektion ist durchaus vorhanden.

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V. CHEMISCHE EIGENSCHAFTEN DES SCHLEIMES AUS LINDEM V/EIN

1. Fällung und Auflösung

Der in lindem Wein vorhandene Schleim kann mit Alkohol ausge¬

fällt werden. Zu je 100 com Wein werden 150 com Alkohol (96 f)

gegeben und durch vorsichtiges Umschwenken und Rühren vermischt.

Die Mischung trübt sich sofort, und es entsteht ein fädiger bis

flockiger Niederschlag, der schon nach einer Stunde abzentrifu-

giert werden kann, oder sich innert 1-2 Tagen von selbst zu Bo¬

den setzt; die überstehende Flüssigkeit ist vollständig klar.

Der Niederschlag wird abdekantiert, zentrifugiert und mehrmals

mit 60 io Alkohol gewaschen. Auf diese Weise können auch aus grös¬

seren Mengen Wein die alkoholfällbaren Substanzen verlustlos und

ohne Schwierigkeit gewonnen werden.

Der erste Niederschlag ist meist sehr unrein. Er enthält den

fadenziehenden Schleimstoff des linden Weines neben anderen alko¬

holfällbaren Substanzen sowie im Wein vorhandenen Schwebekörpern

(Mikroorganismen usw.), die mitgerissen werden.

Die Menge alkoholfällbarer Substanz, die verschiedene Weine

enthalten, kann in weiten Grenzen schwanken, sie beträgt im Mit¬

tel rund 0,5 gr pro Liter. Zwischen lindem und normalem Wein exi¬

stieren keine quantitativen Unterschiede.

Der Niederschlag aus lindem Wein hat schleimige Konsistenz,

ist gelbbraun bis schmutzig-rot gefärbt, je nachdem er aus ei¬

nem weissen oder roten Wein stammt. Die Substanz ist in reinem

Wasser löslich, die Lösung wird fadenziehend und zeigt deutlichen

Schütteleffekt. Die Lösung ist oft stark trübe und klärt sich

beim Stehen langsam, indem sich unlösliche, an sich nicht faden¬

ziehende Bestandteile zu Boden setzen.

2. Reinigung und chemische Untersuchung

Die mit Alkohol gefällte Substanz aus lindem Wein wird in Was¬

ser aufgelöst und am besten durch Zentrifugieren von unlöslichen

Bestandteilen befreit. Man zentrifugiert während 1 Stunde bei

3000 Touren/Min. Nach dieser Operation ist die Lösung meist nur

noch schwach trübe.

Durch weitere Fällungen mit Alkohol oder Aceton, Wiederauflö¬

sen und Zentrifugieren kann die Substanz beinahe weiss und die

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Lösung ziemlich klar erhalten werden. Auch mit dem Mikroskopkönnen dann in der Lösung praktisch keine festen Verunreinigun¬

gen mehr beobachtet werden.

üit fortschreitender Reinigung durch Umfallen verändert sich

die Alkoholfällbarkeit der Substanz: sie bildet nach Alkoholzu¬

satz eine weiss-trübe, sehr feine Suspension, ein Alkosol, das

sich auch durch Zentrifugieren nicht mehr trennen lässt. Durch

Zusatz kleiner Mengen Säure (Salzsäure oder Weinsäure bis zu n/50der Lösung) wird die Suspension leicht geflockt.

Nach mehreren Umfällungen geht schliesslich die Schleimigkeitder Substanz, am Schütteleffekt gemessen, mehr und mehr verloren*

Da der Schütteleffekt das einzige Kriterium für das Vorhandensein

fadenziehenden Schleimes ist, scheint demnach dieser Schleim mit

zunehmender Reinigung verloren zu gehen.

Es wurde versucht, auf chemischem Wege weiter zu kommen, in¬

dem man die chemischen Eigenschaften alkoholfällbarer Substanzen

aus normalem und lindem Wein verglich. Dabei fand man eine so

weitgehende Gleichheit in der Elementaranalyse und den chemischen

Reaktionen, dass auf diesem Wege kein Erfolg zu erhoffen war. Ei¬

ne Charakterisierung des speziellen fadenziehenden Schleimes '

schien unmöglich. Die alkoholfällbaren Substanzen aus lindem und

normalem Wein bestehen aus C, H, 0 und meist nur wenig N; P

und S sind nicht vorhanden. Sie enthalten wenig Karboxylgrup-pen, aber kein Methoxyl. Der Stickstoffgehalt nimmt mit gunehmen-

der Reinigung ab. Die einmal umgefällte alkoholfällbare Substanz

enthielt 1,4 $> N, nach dreimaliger Umfällung 0,78 $ II. Die

mehrmals umgefällte Substanz enthält keine reduzierenden Zucker.

Sie kann mit heisser verdünnter Säure hydrolysiert werden und

liefert dabei im Maximum 61 # reduzierende Zucker. Die Hydrolysewurde durch mehrstündiges Kochen am Rückflusskühler mit n/5 HCl

ausgeführt. Nach verschiedenen Zeitabständen wurden Proben ent¬

nommen und analysiert. Die Bestimmung der reduzierenden Zucker

(Berechnung als Invertzucker) wurde mit FEHLING'scher Lösung nach

der massanalytischen Methode durchgeführt (siehe BLEYER (2)). Die

Resultate sind in Tab.18. und Fig.11. dargestellt.

3. Fraktionierte Fällung der Schleimstoffe aus lindem Wein

Aus einem linden Wein versuchten wir durch fraktionierte Fäl¬

lung mit steigenden Mengen Alkohol einen reineren fadenziehenden

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Tabelle 18. Ergebnis der Hydrolyse von gereinigter alkohol¬

fällbarer Substanz aus lindem Wein

Koohdauer

in Stunden

reduzierende Zucker (als Invertzucker)

in gr/100 ccm

Lösung

in Gew.-% der Gesamtsub-

stanz vor der Hydrolyse

0,0

0,5

1,0

2,5

5,5

9,5

15,0

16,5

0,01

0,07

0,10

0,17

0,25

0,32

0,35

0,36

1,69

11,9

16,9

28,8

42,3

54,2

59,4

61,0

Figur 11. Ergebnis der Hydrolyse von gereinigter alkohol-

fällbarer Substanz aus lindem Wein

% hydrolysierteSubstanz

9,5 15 165

Hochzeit in Stunden

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- 50 -

Schleim zu erhalten, der frei von nicht fadenziehenden Substan¬

zen sein sollte. Nach Mischung der Proben wurden sie 5 Tage lang

stehen gelassen, bis sich die entstandenen niederschlage abge¬

setzt hatten, und die überstehende Lösung klar war. Als Kriteri¬

um für die Anwesenheit fadenziehenden Schleimes diente wieder

der Schütteleffekt.

Unter einem Alkoholgehalt der Lösung von 30 Vol.--,S entsteht

kein Niederschlag. Von 40-60 % Alkohol enthalten die Niederschlä¬

ge fadenziehenden Schleim, dessen Menge ziemlich gleichmässig mit

steigender Alkoholkonzentration zunimmt. Eine Trennung der Schlei¬

me durch diese fraktionierte Fällung lässt sich nicht durchführen.

4. Beständigkeit der Schleimstoffe linder V/eine

Wird linder Wein in offenem Gefäss an der Luft stehen gelas¬

sen, so verliert er das Fadenziehen von selbst ziemlich rasch.

Schon nach 1-2 Tagen konnte in den meisten Fällen kein Schüttel¬

effekt mehr gemessen werden. Bei 0° C bleibt der Schütteleffekt

des linden Weines auch bei Luftzutritt längere Zeit konstant.

Der gefällte und in Wasser aufgelöste Schleim ist beständi¬

ger, sein Fadenziehvermögen bleibt aber auch nicht lange erhal¬

ten. Zusatz eines Sterilisationsmittels oder von mindestens 12 ',â

Alkohol vermindert das Absinken des Schütteleffektes stark. Eine

so sterilisierte Lösung kann bei Zimmertemperatur, besser aber

bei 0° C, lange Zeit aufbewahrt werden, ohne dass sich der Schüt¬

teleffekt wesentlich ändert. Mehrfaches Gefrieren und Auftauen

ist ohne Einfluss. - Bei kurzem Sieden der sauren Schleimlösung

(pH 3,6) geht der Schütteleffekt vollständig verloren.

Es ist zu schliessen, dass der Schleim durch die Tätigkeit

von Mikroorganismen unter Luftzutritt leicht abgebaut wird. Im

Wein scheint dies durch die weineigenen Bakterien zu geschehen,

was in den Kellereien nicht unbekannt ist. Die meisten "Heilungs¬

vorschriften" für linden Wein empfehlen ja unter anderem den Wein

mit Luft in Berührung zu bringen. Zweifellos entweicht dabei auch

Kohlendioxyd. Dies seheint uns aber nur eine unwesentliche Be¬

gleiterscheinung zu sein.

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5. Der Schleimstoff linder Weine in Lösungen verschiedener

Wasserstoffionenkonzentration

Durch Mischung gleicher Seile einer Lösung von Schleimstoff

aus lindem Wein mit gleichen Teilen verschiedener Pufferlösungen

wurden Gemische im pH-Bereich von 1-11 hergestellt, die alle

dieselbe Konzentration des Schleimstoffes enthielten. Im Bereich

von pH 8-11 wurden sowohl boraxfreie wie auch boraxhaltige Puf¬

ferlösungen verwendet. Die Messung des Schütteleffektes an die¬

sen Gemischen erfolgte 18 Stunden nach dem Ansatz. Tab.19. zeigt

die Resultate.

Tabelle 19. Einfluss des pH und der Zusammensetzung

der Puffer auf die Grösse des Schütteleffektes S

Gehalt der Lösung an Puffersubstanzen pH Schüttel¬

effekt S

0,37 1° HCl

0,09 £ HCl, 0,15 % NaCl, 0,19 <f> Glykokoll

0,69-$ Ha2HP04.2 H2O, 0,64 # Zitronensäure

1,12 $ " 0,39 £

1,47 4> " 0,18 "/<• "

1,73 $ " 0,03 %

0,02 i NaOH, 0,26 £ NaCl, 0,33 $ Glykokoll

0,08 f " 0,18 ?J " 0,23 £ "

0,10 <f> " 0,15 1" " 0,19 $> "

1,0

2,0

4,0

6,0

7,0

8,0

9,0

10,0

11,0

1,25

1,30

1,25

1,21

1,25

1,26

1,16

1,15

1,11

0,08 £ HCl, 0,53 f» Ha2B407.10 H2O

0,02 £ " 0,81 i° "

0,08 $ NaOH, 0,57 /» "•

0,10 fo " 0,48 % »

8,0

9,0

10,0

11,0

1,42

1,42

1,47

1,41

Ton pH 1-8 bleibt der Schütteleffekt annähernd konstant, von

pH 9-11 sinkt er deutlich in jenen Pufferlösungen, die kein Bo¬

rax enthalten. In boraxhaltigen Pufferlösungen von pH 8-11 ist

er konstant und wesentlich grösser als 'in allen anderen Mischun¬

gen.

DEUELjNEDKOM und WEBER (4) haben gezeigt, dass Polysaccharide

mit cis-ständigen freien Hydroxylgruppen nach Boraxzusatz in ge-

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- 52 -

eigneten Konzentrationen gelieren, indem ein dreidimensionales

Netzwerk durch Bildung von Bor-Komplexen entsteht. - Es ist

nicht bekannt, in welcher Weise das Borax auf den Schleim aus

lindem Wein wirkt, und auf Grund des grösseren Schütteleffek¬

tes in borhaltigen alkalischen Lösungen kann nur vermutet wer¬

den, dass der Schleim cis-3tändige Hydroxylgruppen enthält.

6. Untersuchung von reinem Bakterienschleia

Da es zur Zeit nicht möglich ist, den fadenziehenden Schleim

aus lindem Wein einigermassen rein darzustellen, schien nur die

bakterielle Reindarstellung des Schleimes erfolgversprechend.

Das methodische Vorgehen wurde unter IV, 3. beschrieben. Hier

berichten wir über die Gewinnung und Untersuchung des reinen fa—

denziehenden Schleimes aus künstlich lind gemachtem Wein, der

vor der Impfung von seinem gewöhnlichen Schleim befreit wurde.

In Vorversuchen wurde festgestellt, dass aus diesem linden

Wein der fadenziehende Schleimstoff durch Zusatz der lV2-fachen

Menge Alkohol nicht zum Sedimentieren gebracht werden kann. Man

war gezwungen, mehr Alkohol zuzusetzen. Erst bei 68 Vol.-jï Alko¬

hol der Lösung wurde das Absetzen eines fadenziehenden Schleim-

koagulates erreicht.

Aus 4,4 1 des filtrierten künstlich lind gemachten Weines wur¬

de der Schleimstoff ausgefällt, abdekantiert, zentrifugiert und

mit 70 5^-igem Alkohol gewaschen. Die Schleimsubstanz enthielt

noch Bakterien und Weinsteinkristalle und war in Wasser nur schwer

löslich. Sie wurde in 60 ccm n/50 HCl mit 12 # Alkoholgehalt auf¬

gelöst und 90 Minuten lang bei 3000 Touren/Min. zentrifugiert,um unlösliche Bestandteile zu entfernen. Die vom Bodensatz abge¬

gossene lösung enthielt nun praktisch keine Bakterien mehr, hat¬

te einen Schütteleffekt von 1,82 und einen Gesamtgehalt an roher

alkoholfällbarer Substanz von 0,27 gr.

Die Lösung enthielt selbstverständlich nicht nur fadenziehen¬

den Schleimstoff, sondern auch andere alkoholfällbare Substanzen,

die durch das Bakterienwachstum während des Versuches in den Wein

gelangen, sowie jene Substanzen, die von Anfang an im Wein vorhan¬

den waren und zwischen 60 und 68 % Alkoholgehalt der Lösung aus¬

fallen, da der Wein zu Beginn des Versuches nur mit 60 J» Alko¬

hol gefällt worden war.

Die Lösung wurde über Nacht im Kühlschrank aufbewahrt, wobei

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- 53 -

sich ein kristalliner Niederschlag bildete, der verworfen vmrde.

Bei Neutralisation der Lösung auf pH 8 entstand ein flockiger

Niederschlag, der nach Wiederauflösung nur einen kleinen Schüt¬

teleffekt zeigte und somit keine wesentlichen Mengen des faden-

Tabelle 20. Resultate der Analyse des reinen

Bakterienschleimes

1. Physikalische Eigenschaften der Lösung (Gehalt 0,119 i«

alkoholfällbare Trockensubstanz):

optische Drehung: vf0

(berechnet auf aschen- L^Jti = +^freie Substanz)

relative Viskosität ungeschüttelt : *\rel = 1»13" geschüttelt: t\ rel = 1,12

Schütteleffekt (Kapillarsteigmethode): S = 1,54

2. Elementaranalyse:

C = 37,8 <f, N = Spuren

H = 5,68 # S = 0

0 = 38,8 <?<> P = 0

Asche = 17,7 5^

Chemische Eigenschaften:

Hydrolyse liefert Aldosen, deren Menge (nach WI1LSTAETTEE

und SCHÜDEL) als Glukose zu ca. 50 f bestimmt wurde.

Haphthoresorcinprobe positiv, die Substanz

enthält Uronsäuren.

4. Abbau durch Enzyme:

Hyaluronidase: negativ

Pektinase: negativ

ziehenden Schleimes enthielt. Ausserdem'bleibt, wie unter V,5.

gezeigt wurde, der Schütteleffekt in wässriger Lösung von pH 8

bestehen, so dass der fadenziehende Schleim nicht ausfallen kann.

Nach Entfernung des alkalischen Niederschlages wurde die farblo¬

se, nur noch schwach opaleszierende Lösung mit der lY2-fachen

Menge Alkohol gefällt, zentrifugiert und der Niederschlag mit

60 jS-igem Alkohol gewaschen. Hierauf wurde er in genau 50 ccm

n/100 HCl gelöst.

Diese Lösung hatte noch einen Schütteleffekt S = 1,54( der da-

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- 54 -

nit kleiner ist als der Schütteleffekt S = 1,58 des ursprüng¬

lichen T/eines, der den Schleim in bedeutend stärkerer Verdün¬

nung enthielt. Dieser S-Verlust ist wohl auf die Behandlung des

Schleimes, nicht aber auf Substanzverluste zurückzuführen.

Die 50 ccm Lösung enthielten 0,059 gr alkoholfällbare Irok-

kensubstanz, die als einigermassen reiner Bakterienschleim an¬

gesprochen werden kann. Es wurde versucht, aus dieser sehr klei¬

nen Substanzmenge einige Angaben über die Zusammensetzung und

die Eigenschaften des Schleimes zu erhalten. Die Resultate der

Bestimmungen sind in Tab.20. zusammengestellt.

Die chemischen Untersuchungen des Schleimes zeigen die ausge¬

sprochene Kohlehydratnatur dieses hochpolymeren fadenziehenden

Stoffes. Die grossen Schwierigkeiten bei der Reinigung unü die

geringen erhältlichen Substanzmengen, sowie das Fehlen einer spe¬

zifischen chemischen Reaktion für den fadenziehenden Schleim wa¬

ren bisher Hindernisse für dessen genaue Untersuchung und Konsti¬

tutionsaufklärung .

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VI. ZUSAMMENFASSUNG

1. Linde Weine fliessen träge, lautlos ins Glas, der Flüssig¬

keitsstrahl dehnt sich zum langen Faden. Die gebräuchlichen Aus¬

drücke "still","schwer","lang"»"zäh","ölig",("huileux","gras")kennzeichnen die gegenüber normalem Wein veränderten Fliesseigen-

schaften. Durch Schütteln geht das Fadenziehen verloren, die

Fliesseigenschaften werden scheinbar wieder normal.

2. Seit PASTEUR wird das lindwerden der Weine auf die Tätig¬

keit von Mikroorganismen zurückgeführt. Es tritt meist während

oder nach dem Säureabbau auf. Besonders häufig wird es.bei rela¬

tiv alkohol- und gerbstoffamen Weinen beobachtet, die zu früh in

Flaschen abgezogen wurden. Sein Auftreten ist unberechenbar; oft

werden nicht alle Flaschen des selben Abzuges lind. Auch im Fass

kann der Wein lind werden. Oft werden die einzelnen Fasspartien

(untere oder obere Fasshälfte) verschieden stark befallen. Linde

Weine sind oft auch geschmacklich etwas geschädigt. - Praktische

Massnahmen zur Verhütung und Heilung des Lindseins wurden viel¬

fach beschrieben, ihr Wert ist aber umstritten und der Erfolg un¬

sicher. Oft verliert sich das Fadenziehen mit der Zeit von selbst.

In der Praxis werden linde Weine oft dtirch Einschwefeln, Umziehen,

Lüften, Filtrieren "entlindet".

3. Das Fadenziehen kann nicht nur an lindem Wein, sondern auch

an anderen, sehr verdünnten Schleimlösungen beobachtet werden. In

dieser Arbeit wird nur das Fadenziehen solcher verdünnter Systeme

behandelt, die diese Eigenschaft durch mechanisches Schütteln ir¬

reversibel verlieren: linder Wein, wässrige Lösungen des aus lin¬

dem Wein durch Alkohol ausgefällten Schleimes, menschlicher Spei¬

chel und Schleim aus Samen von Plantago psyllium.

4. Die Veränderungen der Fliesseigenschaften beim Schütteln

dieser fadenziehenden Systeme können durch Messung der Oberflä¬

chenspannung (Tropfenmethode) nicht erfasst werden: die Oberflä¬

chenspannung bleibt unverändert. Auch die Messung der Viskosität

(HOEPPLER- und OSTWALD-Viskosimeter) ist dazu nicht geeignet: nur

bei menschlichem Speichel konnte nach dem Schütteln eine kleine

Viskositätsverminderung gemessen werden.

5. Zur Messung des Fadenziehens (bzw. des "Lindgrades") eignet

sich die Bestimmung der AufStieggeschwindigkeit der ungeschüttel-

teh und geschüttelten Lösungen in Filtrierpapierstreifen (Kapil-

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- 56 -

larsteigmethode). Die Aufstieggesehwindigkeit in Filtrierpapierist bei fadenziehenden Schleimlösungen nach dem Schütteln stark

vergrSssert. Das Verhältnis der Aufstiegzeiten, tu des ungeschüt-telten und t~ des geschüttelten Systems, auf eine bestimmte Höhe

im Pilterstreifen wurde als Schütteleffekt S = tu/tg definiert.

Der Wert von S beträgt für nicht fadenziehende Systeme 1,00, für

fadenziehende Schleimlösungen ist er grösser. S stellt somit ein

Mass für die Stärke des Fadenziehens dar. Der numerische ",fert

von S kann je nach Art und Konzentration des Schleimes von der

gewählten Steighöhe abhängig sein.

6. Das LUCAS'sehe Gesetz beschreibt den Aufstieg von reinen

Flüssigkeiten in idealen Kapillaren. Es ist für den Aufstieg von

fadenziehenden Schleimlösungen in Filtrierpapier nur annähernd

gültig, doch lässt sich zeigen, dass die "Viskosität" dieser Sy¬steme nach dem Schütteln wesentlich kleiner ist als vorher: das

Filtrierpapier wird zum Viskosimeter und vermag eine Viskositäts¬

änderung zu messen, die vom OSTWALD- oder HOEPPLER-Viskosineter

nicht oder nur schwach erfasst werden kann. Die Messung der Vis¬

kositätsabnahme beim Schütteln nicht fadenziehender Selatinesole

ergibt jedoch mit Filtrierpapier und mit dem HOEPPLER-Viskosime-

ter gleiche Werte (Tab.21.).

Tabelle 21. Verhältnis der Viskositätswerte vor und nach dem

Schütteln bei fadenziehenden und nicht fadenziehenden Systemen

gemessen mit Filtrierpapier und mit dem HOEPFLER-Viskosimeter

System

Quotient der Viskositätswerte

1u/lg gemessen mit:

Filtrierpapier HOEPPLER-Viskosimeter

a) nicht fadenziehend:

1,14 1,11Gelatinesol 0,40 £

b) fadenziehend:

linder Wein

menschlicher Speichel

Lösung von Plantago-schleim 0,029 'h

1,59

2,14

2,02

1,01

1,34

1,03

Index u = ungeschüttelt, Index g = geschüttelt

7. Bei lindem Wein wie auch bei den übrigen untersuchten Sy¬

stemen ist der durch Schütteln bewirkte Verlust des Fadenzie-

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- 57 -

hens irreversibel. Auch durch Fällen und Wiederauflösen gewinnt

der Schleim aus geschüttelten Lösungen sein Fadenziehvermögen

nicht mehr" zurück.

8. Zur Bestimmung des ScMtteleffektes S, oder des Lindgrades

von Wein, wird eine praktische Methode beschrieben und auf ihre

Genauigkeit geprüft. Tab.13. zeigt die Beurteilung von Wein auf

Grund der Grösse des Schütteleffektes S.

Tabelle 13. Beurteilung des "Lindgrades" der Weine aus

der Grösse des Schütteleffektes S

Einem Schüttel¬

effekt S von:entspricht ein:

1,0 vollständig normaler Wein

1,1 - 1,2schwach linder Wein, bei dem nur der

Kenner das Lindsein bemerkt

1,3 linder Wein, schwach bis mittel

1,4 und mehr stark linder Wein

9. Mit Bakterientrüb aus lindem Wein können bei Luftabschluss

normale Weine durch Impfen künstlich lind gemacht werden. Die

vor dem Impfen auf ein pH 3,4-3,6 eingestellten und sterilisier¬

ten Versuchsweine werden mit Gummiverschluss oder durch XJeber-

schichten mit Paraffinol vor Luftzutritt geschützt. Mit dem Lind¬

werden vollzieht sich auch der Aepfelsäureabbau. wie durch ein¬

gehende Weinanalysen gezeigt wird.

10. Der Bakterientrüb linder Weine enthält vorwiegend oder

ausschliesslich Kurzstäbchen, von denen zahlreiche Reinkulturen

angelegt wurden. Die Bakterien aller Reinkulturen hatten dassel¬

be Aussehen, sie waren 0,6-0,9 /» breit und 0,7-1,0 fx. lang, unbe¬

weglich, meist zu zweien vorkommend oder zu Ketten vereinigt.

11. Die Bakterien der Reinkulturen verursachten in den vorher

sterilisierten Versuchsweinen dieselben chemischen Veränderungen

wie der ursprüngliche Bakterientrüb.

12. îlit den Reinkulturen konnten keine linden Weine erhalten

werden. Zum sicheren Lindmachen der Versuchsweine eignete sich

nur der ursprüngliche Bakterientrüb aus lindem Wein; die Ursa¬

che konnte bisher nicht gefunden werden.

13. Die in jedem normalen Wein vorhandenen alkoholfällbaren,

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- 58 -

nicht fadenziehenden Schleimstoffe sind für das Lindwerden be¬

langlos, es muss auf die Produktion spezieller Bakterienschlei¬

me zurückgeführt werden.

14. Mit dem Tiefgefrier-Vakuum-Trocknungsverfanren gelingt es

leicht, Pauerkonserven sohleim'bildender Bakterien aus lindem Wein

herzustellen, die ihre physiologischen Eigenschaften lange Zeit

beibehalten.

15. Aus lindem Wein kann durch Fällung mit der lV2-fachen Men¬

ge Alkohol (96 i°) ein Niederschlag gewonnen werden, dessen wässri-

ge Auflösung fadenziehend ist. Weder durch Umfallen, noch durch

fraktionierte Fällung gelingt es, den fadenziehenden Schleim von

anderen alkoholfällbaren Substanzen des Weines zu trennen. Bei

fortgesetztem Umfallen geht das Fadenziehvermögen des Schleimes

langsam verloren.

16. Die chemischen Eigenschaften alkoholfällbarer Substanzen

aus lindem und normalem Wein sind weitgehend gleich. Es sind im

wesentlichen hochpolymere Kohlehydrate, die bei Hydrolyse bis zu

61 $> reduzierende Zucker liefern. Sie enthalten wenig Stickstoff,

dessen Menge sich bei fortgesetzter Reinigung vermindert. Sie

sind phosphor- und schwefelfrei. Fadenziehender Schleim aus lin¬

dem Wein und .die gewöhnlichen alkoholfällbaren Substanzen aus nor¬

malem Wein lassen sich bisher nur durch den Schütteleffekt ihrer

Lösungen unterscheiden.

17. Der Schütteleffekt des fadenziehenden Schleimes bleibt in

gepufferten Lösungen von pH 1-8 annähernd konstant und sinkt von

pH 9-11 ab. In Borat-Pufferlösungen von pH 8-11 ist er konstant

und grösser als in Lösungen ohne Borat.

18. Zur Herstellung eines reinen Bakterienschleimes wurde ein

Versuchswein, der frei von alkoholfällbaren Substanzen war, künst¬

lich lind gemacht.Aus diesem Wein wurde der fadenziehende Bak¬

terienschleim gefällt, von Eiweissubstanzen und anderen Verunrei¬

nigungen so weit wie möglich getrennt, und analysiert. Er ist ein

hochpolymeres rechtsdrehendes Kohlehydrat, das bei Hydrolyse bis

zu 50 $> reduzierende Zucker liefert und Uronsäuren enthält. Die

Elementaranalyse ergab 37,8 $> C, 5,68 f H, 38,8 f 0, 17,7 %

Asche; die Substanz war praktisch stickstoffrei und enthielt we¬

der Phosphor noch Schwefel.

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VII. LITERATURVERZEICHNIS

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31. S.ZEISEL und Mitarb. siehe C.v.d.HEIDE

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Bildbeilage

Elektronenopti8che Aufnahmen: Bakterien aus dem Trüb

eines linden Ottoberger-Vieines 1944. r

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Lebenslauf

Ich, Lothar Martin, von Aarau, wurde am 9. Juni 1921

in Zürich geboren. Ich besuchte hier 6 Jahre die Primar¬

schule und 6 '/ä Jahre das kantonale Gymnasium, Real¬

abteilung. Im Jahre 1940 bestand ich die Eidgenössische

Maturität Typus B. Im Herbst 1940 begann ich das Chemie¬

studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule

und erhielt im Frühling 1945 das Diplom als Ingenieur-

Chemiker. Vom März 1945 bis zum März 1948 war ich

Assistent am agrikultur-chemischen Institut der Eidgenösssi-

schen Technischen Hochschule bei Prof. Dr. H. Pallmann. In

dieser Zeit führte ich die vorliegende Promotionsarbeit aus.

Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. H. Pallmann,

danke ich herzlich für seine grosse Hilfsbereitschaft und die

vielseitigen Anregungen, die ich von ihm empfangen durfte.