Jitter .Rezension_Cornelia und Holger Lund: Audio.Visual

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Von Andreas Rauth ABSOLUTE PARTY CORNELIA & HOLGER LUND AUDIO.VISUAL—ON VISUAL MUSIC AND RELATED MEDIA Magazin für Bildkultur Jitter WebExtra.Rezension

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Rezension von Andreas Rauth zu dem 2009 erschienen Buch Audio.Visual—On Visual Music and Related Media, herausgegeben von Corneli und Holger Lund.

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Von Andreas Rauth

Absolute PArtyCornelia & Holger lund

Audio.VisuAl—on VisuAl Music And RelAted MediA

Magazin für Bildkultur

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// die analogie des Sehens, oder der grunderscheinungen aller Sichtbarkeit mit der grunderscheinung des gehörs, führt auf sehr schöne resultate für eine zukünftige Vereinigung der Musik und Mahlerey, oder der Töne und Farben … //

PhiliPP otto Runge

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»MusikAlisch dArgestellt ist helles blAu

einer Flöte ähnlich, dAs dunkle deM cel-

lo, iMMer tieFer gehend den wunderbAren

klängen der bAssgeige; in tieFer, Feierlicher

ForM ist der klAng des blAu deM der tieFen

orgel vergleichbAr«, schrieb der MAler

wAssily kAndinsky 1912 in seinen AusFührun-

gen Über daS geiSTige in der KunST. die Mög-

lichst bruchlose übersetzung von Musik

in bild oder von klAng in FArbe ist ein Alter

künstlertrAuM.

wo Musik und bild stets Auch Ausdruck ei-

nes jeweils eigenen MAngels sind – dAs bild

ist stuMM, die Musik unsichtbAr – ist deren

koMbinAtion Auch Mehr Als FArbton oder

klAngbild. und doch, besieht MAn sich die

begriFFe genAuer, wird dArin Mühelos eine

grenze AuFgehoben ist, die in der wAhrneh-

Mung kAuM je gAnz verschwindet. die synäs-

thesie gelingt durch eine der sPrAche eigene

syntheseleistung, Allerdings uM den Preis

der AbstrAktion: dAs bezeichnete ist iM wort

selbst nicht erFAhrbAr.

cornelia & holger lund Audio.Visual—on Visual Music and Related Media

Von Andreas Rauth

a b S o l u T e P a r T y

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// am beginn des 21. Jahrhunderts hat sich Visual Music zu einer hochdynamischen Kunst und Performancekultur entwickelt //

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Audiovisuelle Kunst bleibt deswegen immer beides, nämlich auditiv und visuell, weil zu ihrer Wahrnehmung der Mensch über zwei Sinnesorgane statt einem verfügt. Dass es dennoch eine gemeinsame Realität gibt, belegt schon das Vorhandensein von eben-solchen Begriffen wie Farbton oder Klangbild; und Kandinskys Aussagen sind daher auch keine zufällige Be-hauptungen, so wenig wie sie empiri-sche Tatsachen wiedergeben.

Der Begriff »Visual Music« bilde-te sich in Diskussionen der künstlerischen Avantgarde im ersten Drittel des 20. Jahrhun-derts, als die Malerei durch die Loslösung vom Abbild zu sich selbst gebracht wurde, in dem sie nur darstellen sollte, was ihre ei-genen Mittel sind: Punkte, Linien, Flächen und Farben. Zusammen mit der Malerei wur-de auch der Film, kaum dass er auf der Welt war, vom Repräsentationszwang befreit, man sprach von absoluter Malerei und absolutem Film.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich Visual Music zu einer hochdynami-schen, weitverzweigten Kunst und Perfor-mancekultur entwickelt, die nur noch wenig mit ihren Wurzeln gemeinsam hat. Audio.Visual—On Visual Music and Related Me-dia, liefert in wissenschaftlichen Beiträgen, Essays, Bilderstrecken und beiliegender DVD ein bewusst unscharfes Bild eines künstle-rischen Feldes, das neue Formen des Erzäh-

lens ebenso einschließt wie die Verweigerung jeglicher Narration; traditionelle Filmauf-führungen ebenso wie neue Performance-Praktiken. Herausgeber des von der Stiftung Buchkunst unter die schönsten deutschen Bücher 2009 gewählten Bandes sind Cornelia und Holger Lund, die gemeinsam die Medi-enkunstplattform fluctuating images betreiben und unter anderem im Jahr 2007 das Festival Exploring Party (http://fluctuating-images.de) kuratierten.

Andy WARhol beReitete deR VisuAl Music den Weg in die PARty

Zu den historischen Eckpfeilern, die in verschiedenen Beiträgen thematisiert wer-den, gehören die Arbeiten der klassischen Avantgarde wie die von Walter Ruttmann, Hans Richter, Oskar Fischinger oder der we-niger bekannten Mary Ellen Bute, deren Werk von Sandra Naumann vorgestellt wird. Den entscheidenden Impuls in Richtung einer auch heute noch gültigen Vorstellung von Vi-sual Music gab Andy Warhol 1966 mit seiner Show Exploding Plastic Inevitable. Damit, so Hol-ger Lund in seinem Beitrag über »Visual Music in the Context of Multimedia Parties«, kon-struierte Warhol »ein neuartiges multime-diales Zwitterereignis zwischen Kunst und Party« und holte nicht nur die »Visual Music aus dem Film heraus«, sondern begründete damit einen »Ansatz, der bis in die zeitgenös-sische Praxis von Visual Music mit VJs und Musikern hineinwirkt, die live ihren visuel-len bzw. auditiven Part entwickeln.« (S. 307) Die Arbeit Berlin Horse (1968, Abb. diese Seite) des Avantgardefilmers Malcom Le Grice wie-derum zählt zu den frühen Werken des soge-nannten »Expanded Cinema«, das filmische Mehrfachprojektionen mit Live-Performance verbindet – vorgestellt von Maxa Zoller.

In Berlin Horse sieht man zur Musik von Ambient-Musiker Brian Eno einen abgefilm-ten und mit verschiedenen Methoden mani-pulierten Film, in dem ein Pferd an einer Lon-ge seine Runden auf einem Platz dreht. Das 9-minütige Werk wurde, wie man aus dem Essay von Maxa Zoller erfährt, auch mal auf einem Konzert der Elektronik-Pioniere Robert Fripp und Brian Eno im Londoner Palladium-Theater aufgeführt. – Was Zoller hingegen nicht verrät, wohl aber das immer auskunft-freudige Internet: Fripp und Eno spielten dort im Jahr 1975 Stücke aus ihrem bis heute un-erreicht gebliebenen Album No Pussyfooting sowie des Nachfolgers Evening Star. – Bei dem häufig als Doppelprojektion in Endlosschleife vorgeführten Film handelt es sich nach Zol-ler um eine »highly sensual experience« (S.

82), die sich wohl erst in der Dauer so richtig entfaltet. Auf der DVD ist das Werk allerdings nur als 2-Minuten-Ausschnitt vorhanden, dem schwerlich die von Zoller in Aussicht ge-stellte Erfahrung abzuringen ist.

// am beginn des 21. Jahrhunderts hat sich Visual Music zu einer hochdynamischen Kunst und Performancekultur entwickelt //

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neue FoRMen des eRzählens und oPto-elektRonische AnAlog-sythesizeR

Unter den weiteren Beiträgen auf der DVD zeigt die Fußballspiel-Collage 2. Halb-zeit von Pfadfinderei & Modeselektor ein be-sonderes Highlight audiovisueller Narrati-on. Die lückenlose Aneinanderreihung von Spielernamen, sportlichen Fachbegriffen und journalistischen Idiomen – realen Spiel-kommentaren entnommen – erzeugt eine hochverdichte Meta-Version des medial ver-mittelten Spielgeschehens. Der eigentliche Kommentar auf das System Fußball zeigt sich in den konsequent als Markensignet gestalte-ten sportjournalistischen Worthülsen (Abb. S. 9 unten). Im Ergebnis liefert die anschauliche Abstraktion 4:52 Minuten beste Unterhaltung – und damit vielleicht mehr als die meisten Spielbegegnungen.

Auch der Londoner Paul Mumford, der mit Videos für Popstars wie Franz Ferdinand, Kylie Minogue oder Depeche Mode beauftragt wurde, und dessen Arbeiten ebenso im The Institute of Contemporary Arts (ICA) oder der Tate Britain zu sehen waren, sucht nach neu-en Methoden der audiovisuellen Narration (Abb. S. 9). Ein Thema, an dem sich übrigens die Geister scheiden: von den einen als min-derwertige mimetische Unterhaltung ohne Erkenntnisgewinn abgelehnt, sehen andere hier die Herausforderung, einer universellen – wenngleich (als Kunstform) schon häufiger totgesagten – Kulturtechnik neue künstleri-sche Impulse zu geben. Und so bekennt auch Mumford, sein Ziel, »to tell stories through the production of mini-experimental graphic narratives that combine with sound to create feature-length narrative performances … was … a reaction to the random and abstract na-ture of VJing.« (S. 154)

Eine spannende Form interaktiver Per-formance-Praxis findet man in Anja Füstis, Alexandra Mahnkes und Alexandar Nesics Trigger-Drums & Dance (Abb. S. 10), das wäh-rend der Exploring Party im Württembergi-schen Kunstverein Stuttgart 2007 live auf-geführt wurde. Zwei neben einer Leinwand platzierte Schlagzeuger (Füsti und Nesic) steuern mit »Beat, Rhythmik und Schlagin-tensität« (S. 306) die Präsenz der vorproduzier-ten und auf die Leinwand projizierten Bilder der Tänzerin Alexandra Mahnke.

WhAt you see is WhAt you heAR

Ganz andere Wege wiederum geht das Künstlerduo Mikomikona, die mit Text und Bild in Audio.Visual präsent sind. Statt der üblichen Laptops verwenden Mikomikona Overheadprojektoren und Folien für ihre an medientheoretischen Überlegungen orien-tierten Live-Performances (Abb. Titel und S. 11). Mit einigen Kunstgriffen haben sie Ta-geslichtprojektoren in opto-elektrische Ana-log-Synthesizer verwandelt, auf denen mit Rasterfolien Klangbilder erzeugt werden kön-nen. Dadurch entsteht eine für den Betrach-ter unmittelbar wahrnehmbare Verbindung von Bild und Klang: »The patterns depicted on the transparencies and the motion of the-se patterns become audible in a fully analogi-cal sense—›what you see is what you hear.‹« (S. 247)

Audio.Visual gibt in einer gelungenen Auswahl von Bild- und Textbeiträgen ei-nen interessanten Einblick in ein Gebiet der Kunst, dem das gesamte 19. Jahrhundert in der Idee des Gesamtkunstwerks größ-te Aufmerksamkeit widmete und dem die klassischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts begeistert zujubelten. Mit Auf-kommen des Computers wurde die Umset-zung von bis dahin durch unzureichende Technik verhinderten Ideen überhaupt erst möglich. Gleichzeitig ist aber auch der künst-lerische Horizont ins Alltägliche herabgesun-ken: heute wird wohl niemand mehr mit dem synästhetischen Programm die Erhabenheit kosmischer Einheitsphantasien beschwö-ren oder die Einheit der Künste verwirkli-chen wollen. Doch was durch Beschleuni-gung, Dehnung, Verdichtung und Reduktion des künstlerischen Materials in Verbindung mit Zufall und Wiederholung aus den Lücken der Darstellungs- und Wahrnehmungssys-teme befördert wird, bietet nicht nur neue Sinnenerlebnisse, sondern auch, in ihren ge-lungensten Werken, die Erfahrung von Er-kenntnis und Glück.

cornelia lund und holger lund (hg.):Audio.visual. on visual Music and related Media,

stuttgart: Arnoldsche 2009.hardcover, 17,5 x 25 cm, 320 seiten, zahlreiche Abb. buch mit dVd. Alle texte auf englisch und deutsch.

€ 39,80 / chF 71,00www.arnoldsche.com

Alle Abbildungen © 2009 ARnoldsche Art Publishers, stuttgart und die Autoren, Foto s. 5 © Andreas Rauth

•MikoMikonA: Fourier tanzformation, 2007 (detail), titelseite

•bRuce MccluRe: Five Minutes More—What now My love 1966, 2008, s. 2

•Audio.VisuAl buch, s. 5•MAlcolM le gRice: berlin horse, 1968, s. 6/7•PAul MuMFoRd: Autometa (9), 2007, s. 9 oben

•PFAdFindeRei & ModeselektoR: 2. halbzeit, 2008, s. 9

•AnjA Füsti, AlexAndRA MAhnke, AlexAndAR nesic: trigger-drums & dance, 2007, s. 10

•MikoMikonA: Fourier tanzformation, 2007 (detail), s. 11

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// die lückenlose aneinanderreihung von Spie-lernamen, sportlichen Fachbegriffen und journalistischen idiomen erzeugt eine hoch-verdichte Meta-Version des medial vermit-telten Spielgeschehens //

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