Janice Kerbel, Hilary Lloyd, Silke Otto-Knapp

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Janice Kerbel, Hilary Lloyd, Silke Otto-Knapp Ausstellung (3. November 2012 bis 6. Januar 2013)

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Ausstellungsbooklet zur Ausstellung Janice Kerbel, Hilary Lloyd, Silke Otto-Knapp im Koelnischen Kunstverein, 2012

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Janice Kerbel, Hilary Lloyd, Silke Otto-KnappAusstellung(3. November 2012 bis 6. Januar 2013)

Janice Kerbel, Hilary Lloyd und Silke Otto-Knapp werden ihre unterschiedlichen Arbeiten in einer gemeinsam gestaltetenInstallation miteinander in Bezug setzen und dabei malerische,filmische und konzeptuelle Verfahren zusammenführen.

Ein wiederkehrendes Motiv der Ausstellung ist die Ausei-nandersetzung mit der Beziehung, die zwischen den inhaltlichenReferenzen künstlerischer Produktion und den dramaturgischensowie stilistischen Mitteln ihrer Inszenierung besteht. Es ist cha-rakteristisch für die drei Künstlerinnen, dass ihre Werke einenforschenden, erprobenden Zugang gegenüber dem eigenen bild-nerischen Material und dessen Dispositionen einnehmen, unddiesen zugleich mit einer besonders starken Behauptung undHinterfragung des Visuellen koppeln. Visualität erscheint in dendrei Praktiken als ein assoziatives und emotionales Instrumenta-rium, das – vielleicht aufgrund seiner besonderen Ambivalenzenund Interpretationsspielräume – zum Umgang mit verschiedenenkulturellen Lebens- und Wissensbereichen besonders geeignet ist.

Søren Grammel(Kurator der Ausstellung)

Cue (#25)

Janice Kerbel

Die im Kœlnischen Kunstverein gezeigte Arbeit Cue (2012, zudeutsch: Stichwort, Regiesignal) besteht aus einer Abfolge von 36 Siebdrucken. Diese zeigen grafische Konstellationen, die aus10 wiederkehrenden Grundformen zusammengesetzt sind und in unterschiedlichen Drehungen von jeweils 90 Grad erscheinen.Die sechs verschiedenen Helligkeitsgrade resultieren aus dermehrfachen Überlagerung von Farbschichten. Die Grafiken hängen eng mit der Entstehung von Kerbels Stück Kill The Workers! zusammen, das die Künstlerin 2011 geschrieben hat.Anstatt für Schauspieler ist das Stück ausschließlich für ein Setvon Bühnenscheinwerfern entwickelt. Licht – als Grundbedin-gung von Sichtbarkeit – und die Praxis des Beleuchtens als Element choreografischer Gestaltung sind, ohne weitere Akteure,in den Mittelpunkt des Stücks gestellt. Die Handlung besteht auseiner Reihe von präzise in Akte und Szenen unterteilter Konstel-lationen aus unterschiedlich geformten Lichtkegeln, die auf demBoden zwischen den aufgestellten Scheinwerfern – gewisserma-ßen der ›Bühne‹ – sichtbar werden. Die formale Sprache, dieKerbel selbst entwickelte, um diese Szenen aus Sicht der Regieplan- und vorstellbar zu machen, findet man in den Siebdruckenvon Cue wieder. Tatsächlich handelt es sich bei den Siebdruckenum topografische Grafiken, von denen jede einzelne eine spezifi-sche Lichtszene des Stücks abbildet. Die Formen deuten sowohlreale Dinge an, wie eine Tür oder ein Fenster, als auch symboli-sche Bedeutungen wie zum Beispiel Mondlicht. Der Anordnungder Flächen liegt ein konstruktives Moment zugrunde, das sichdirekt aus den mechanischen Eigenschaften des Scheinwerfer sys-tems im Stück und deren Überführung in die Siebdruck-Formableitet. Während aber zum Beispiel die Doppelungen undÜberschneidungen von Scheinwerfern im Stück zu einerZunahme der Helligkeit führen, findet in den Grafiken einegegenläufige Bewegung statt: die Blätter verdunkeln sich zuneh-mend. Dies resultiert aus dem additiven Verfahren des Sieb-drucks. Die Überlagerung einzelner Farbschichten im Druckführt logischerweise zur höheren Opazität der Flächen. Diesenmechanisch bedingten Prozess der Invertierung des Lichts imDruckverfahren beschreibt Kerbel als das »Paradox«, anhand dessen ihr überhaupt klar wurde, dass die Planzeichnungen – das Drehbuch – zu Kill The Workers! »eine eigenständige Arbeit« darstellen.

Janice KerbelCue (#26)

1 Janice KerbelCue (#1 – #36), 2011Siebdruck auf Papier, 36-teiligje 55,9 x 55,9 cm

Janice KerbelCue (#29)

Janice KerbelCue (#27)

Kerbels Interesse daran, Stücke zu schreiben, wurde spätestensmit dem Radiospiel Nick Silver Can’t Sleep deutlich, das erstmals2006 auf BBC 3 gesendet wurde. Dem Stück liegt eine genaueRecherche in das Leben von Nachtpflanzen zugrunde, die sie ineine tragische Liebesgeschichte überträgt: Nick Silver, botanischeFachbezeichnung Nicotiana Sylvestris, ist eine Nachtpflanze, die sich in Cereus Grand verliebt, botanische FachbezeichnungSelenicereus Grandiflorus, die nur für eine Nacht im ganzen Jahrerblüht – die beiden Pflanzen, Nick Silver und Cereus Grand,sind botanisch dazu verurteilt, sich nie verbinden zu können.

Kerbels Arbeiten basieren häufig auf genauen Recher-chen und Bestandsaufnahmen von Zusammenhängen, denensich sonst vermutlich niemand widmet: wie, beispielsweise, entsteht eine Geisterstadt (Deadstar, 2006); wie sieht das durch-schnittlichste aller Baseballspiele aus (Ballgame, 2009–2012, eine Tonarbeit, die von einem professionellen Kommentator vorPublikum gelesen wird); welche Konstellationen von Pflanzenergeben sich aus der gärtnerischen Umnutzung halb-öffentlicherRäume – und wie verweisen diese auf die sozialen Parameterihrer Kontexte zurück (Home Climate Gardens<, 2002–2003);oder wie können Sternenkonstellationen die Planung vonmenschlichen Siedlungen und Gemeinschaften beeinflussen(Zodiac, 2007)? Ihre minutiöse wie überzeugende Planung einesGeldraubs in der Coutts Bank in London (Bank Job, 1998) undderen Veröffentlichung als Künstlerbuch (Bookworks, London)veranlasste die Bank zur Entwicklung neuer Sicherheitsvorkeh-rungen.

Es sind nicht die tatsächlich vermerkten Tatbestände, diedie Künstlerin bei ihren Recherchen interessieren, sondern dieverschiedenen Versionen von Wirklichkeit, die sich als imaginäreSpielräume in Bezug auf die geschilderten Situationen konstruie-ren lassen. Kerbels Arbeit kreist zuletzt immer um die Frage, wieman Dingen eine Form geben kann, deren Komplexität über dieMöglichkeiten des Visualisierbaren hinaus geht.

Janice KerbelCue (#31)

Janice KerbelCue (#33)

Janice KerbelCue (#32)

Janice KerbelCue (#35)

Silke Otto-Knapp

Die Bilder von Silke Otto-Knapp zeigen sowohl bühnenhafteRäume – Landschaften, Gärten oder in früheren Arbeiten auchAnsichten amerikanischer Großstädte – wie auch tatsächlicheBühnensituationen zumeist moderner, teilweise zeitgenössischerBallett- und Tanzaufführungen. Hinzu kommen Figuren vonTänzern, allein, wie bei der Probe im Studio, oder im Ensemblewährend der Aufführung. Diese Figuren positionieren sich zuden sie umgebenden Räumen in choreografierten Bewegungen.Die Künstlerin arbeitet mit fotografischen Vorlagen, die sie inKatalogen, Zeitschriften und dem Internet findet und in denInnenraum ihrer Bilder überträgt. Die Kompositionschiffren derBühne und ihre unterschiedlichen performativen Ausdrucksfor-men werden dabei über die konkreten syntaktischen Eigenschaf-ten des Mediums Malerei verhandelt. Eine wichtige Rolle spieltdabei das Arbeiten mit Gouache und Aquarell direkt auf Lein-wand. Die wasserbasierten Farbschichten erlauben der Künstle-rin, die gesetzten Formen immer wieder auszuwaschen. Durchdas – teilweise über lange Zeiträume – wiederholte Besprühen,Betropfen und Begießen der Leinwand mit Wasser und dem Verreiben und Auswischen werden klare Definitionen zwischenFlächigkeit und Tiefe, Figur und Grund, Schärfe und Unschärfeaußer Kraft gesetzt. Der Malprozess verläuft subtraktiv; nichtdurch die Addition von Farbflächen, sondern durch deren wie-derholte Auflösung formiert sich das Bild. Diesem Verfahren istein spekulatives Moment eingeschrieben, das Malerei nicht ein-fach affirmativ behauptet, sondern als Praxis in einen Zusam-menhang konzeptueller Reflexion einschreibt. Striche und Flä-chen werden bereits in dem Bewusstsein gesetzt, wie sie durchspäteres Auswaschen erscheinen und sich in Bezug zum umlie-genden Bildraum verhalten könnten. Im Resultat schaut man auf manche Bildbereiche wie durch beschlagenes Glas oder denMikroprismenring eines manuellen Kamerafokus. Manche derals Negativform gestalteten Details wiederum erinnern an foto-grafische Experimente der Solarisation, die die hell-dunkel-Verhältnisse dokumentierter Realität mittels Überbelichtungumkehrt. Durch ihre Anordnung und Vereinfachung verschmel-zen Figurengruppen zu ornamenthaften Bändern, scheinen Konturen einzelner Körper je nach Betrachterstandpunkt flirrendauf, um sich jäh wieder zu entziehen. Die figurativen Konstella-tionen dieser Bilder sind von einer faszinierenden Instabilität undProzessualität. Alle sichtbaren Entscheidungen werden zugleichvor dem Hintergrund der ihnen vorangegangenen Verwerfungenund ihres eigenen potenziellen Verschwindens aufgeführt.

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Silke Otto-KnappCurtain (silver), 2011Wasserfarbe, Gouache auf Leinwand60 x 45 cm

Die Arbeit zeigt einen ornamental gestaltetenEntwurf. Wie der Titel andeutet, könnte es sich um ein Detail aus einem Vorhang oderWandbehang, möglicherweise einer Bühnende-koration, handeln.

Durch die Aneignung und Übertragung in das Dispositiv desmalerischen Bildraums werden die Kontexte Park, Stadt, Glas-haus, Bühne, Ballett und Tanz – letzteren trägt die Auswahl derin der Ausstellung präsentierten Malereien Rechnung – zu Ver-suchsräumen, innerhalb derer menschliche Begehren als zugleichmodellhaft zeitlos wie auch unfixiert und ungreifbar in Szenegesetzt werden.

Die Motive dieser Arbeiten lassen sich auch in einen größeren konzeptuellen Zusammenhang stellen, in dem Choreo-grafie als Kulturtechnik verstanden wird, die für die Herstellungund Erfahrung von Wirklichkeit maßgeblich ist. Die Untersu-chung der Komposition von Natur, Stadt und Körper als Elemente einer ›Choreografie des Sozialen‹ schafft ästhetischeFolien, vor deren Hintergrund die Konstruktion moderner Identität reflektiert werden kann.

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Silke Otto-KnappTableau 1 (braiding),2011Wasserfarbe, Gouache auf Leinwand130 x 150 cm

Das Bild arbeitet miteiner Situation aus dem Ballett Les Noces(Premiere 1923) von Igor Strawinski, choreo-grafiert von BronislavaNijinska (1891–1972).Das Ballett mit Kostü-men von Natalija Gontscharowa ist fürMusik mit 4 Flügeln,Sängern und Perkussiongeschrieben. Anstatt wieüblich im Orchestergra-ben, haben Nijinska und Strawinski dieInstrumente zu einemTeil des Bühnenbildesgemacht und sie nochüber der Ebene der Tänzer platziert. Letzterewerden im Bild vonOtto-Knapp wie grafischeElemente gezeigt, die, fast abstrakt, als reineBewegungen erscheinen.Die weißen Kleider sindErgebnisse des Auswasch-verfahrens der Künstlerin (vgl. Text oben). KlareDefinitionen, was imBühnenraum vorn und hinten ist, werden durchdie spezifische Behand-lung der Bildfläche aufge-hoben.

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Silke Otto-KnappFront Cloth(Mondaufgang),2011Wasserfarbe, Gouache auf Leinwand140 x 160 cm

Die bordürenhafteingesetzten Ornamente linksund rechts des Bildraums nehmenBezug auf dasVogelmotiv einerGestaltung, die die russische Malerin NatalijaGontscharowa(1881–1962) fürdas Bühnenbild zur Oper Der goldene Hahn(Ballets Russes,1914, Musik von N. Rimski-Korsakow) aufPapier angefertigthat. Der sich öff-nende Bildraumbasiert auf einemDruck eines japanischen Land-schaftsmotivs, derursprünglich einenMönch zeigte.Otto-Knapp ver-wandelt diese Figurin ihrem Bild ineine Frau.

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Silke Otto-KnappWinter forest, 2010Wasserfarbe, Gouache auf Leinwand150 x 170 cm

Eine Situation aus dem Ballett Kikimora, einereher unbekannten Produktion des Ballets Russes nach einem Orchesterstück von AnatoliLjadow. Kikimora ist eine heidnische Gottheitaus der slawischen Mythologie. BronislavaNijinska trat in dem Stück als Tänzerin auf. In dem Bild rückt der Landschaftshintergrundder Bühne in den Mittelpunkt, während sichdie eigentliche Choreografie fast auflöst. Die Formen der Bäume fallen durch eine grafische,fast geometrische Komposition auf.

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Silke Otto-KnappStage (Birds), 2012Wasserfarbe aufLeinwand130 x 150 cm

Wie für das BildFront Cloth (vgl. Nr. 3) arbeitet Silke Otto-Knapphier mit einerGestaltung, die die russische Malerin NatalijaGontscharowa(1881–1962) fürdas Bühnenbild zur Oper Der goldene Hahn(Ballets Russes,1914, Musik von N. Rimski-Korsakow) aufPapier angefertigthat.

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Silke Otto-KnappTwo Figures(Sitting), 2011Wasserfarbe, Gouache auf Leinwand100 x 130 cm

Das Bild arbeitetmit einem Aus-schnitt aus einerzeitgenössischenAdaption des Balletts Les Nocesdurch den briti-schen Choreografenund Tänzer MichaelClark, StravinskyProject Part 3: I Do(2007). Die Diffe-renzierung vonBildraum und Bühnenraum wirdin der Arbeit durchdie Kompositionund den homoge-nen Umgang mitsilberner Gouacheaufgehoben, die dieKörper als fragileFlächen in einemundefiniertenUmraum schim-mern lassen.

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Silke Otto-KnappStage (North &South), 2012Wasserfarbe auf Leinwand130 x 150 cm

Die Malerei beziehtsich auf die Mountain HomeStudios Stage, eineArt Freilicht-Bühneoder Tanz-Deck,das sich die US-amerikanischeChoreografin AnnaHalprin (*1920) inMount Tamalpais,ihrem Wohnort,eingerichtet hat.Otto-Knapp maltebereits einige Ver-sionen dieser Bühnenach fotografischenVorlagen, bevor sieMount Tamalpaisim Juni 2011 erstmals besuchte.

Hilary Lloyd

Hilary Lloyds Videoinstallationen blenden weder die spezifischen Reizenoch die Probleme des architektonischen sowie institutionellen Ausstel-lungskontextes aus. Sie verschmelzen die Aspekte Videobild, Apparaturund Raum zu minutiös choreografierten, räumlich-ästhetischen Situatio-nen. Die zugleich eleganten aber auch industriellen technischen Mittel –für den Gebrauch in öffentlichen urbanen bzw. halbprivaten kommerziel-len Räumen gemacht – schaffen im ästhetisierten Kontext des Galerierau-mes gegenüber den BetrachterInnen eine eigenwillig direkte und fokus-sierte Form des gegenseitigen Bezugs und der Wahrnehmung. NeuereArbeiten der Künstlerin, wie sie auch in der Ausstellung gezeigt werden,beziehen auf der Motivebene Architekturen des durch Symbolarchitekturgeprägten internationalen Finanzstandorts London ein. Andere wie-derum fokussieren Details, die einem persönlichen Umfeld entnommensind, zum Beispiel dem Boden eines Ateliers oder einer Wohnung. Fastallen Arbeiten ist gemeinsam, dass die Bildsequenzen nie editiert odernachbearbeitet werden – roh bleiben – wobei die in ihnen gezeigten Bil-der ohne weiteres Zutun fragmentiert und ausschnitthaft erscheinen.Diese Wirkung wird teilweise durch die große Nähe der Kamera zuihrem Motiv erzielt, teilweise dem An- und Zerschneiden des gezeigtenBildausschnitts, oder – wie häufig im Falle urbaner Motive – durchrasche, manchmal zuckende Schwenks. So bleiben die Bildsequenzenneben ihren deskriptiven Aspekten zugleich abstrakt und formal, vonäußeren syntagmatischen Bezügen weitestgehend abgeschnitten, stellensie eine Realität an sich dar. Oft bedient sich die Künstlerin außerdemdes Split Screen Verfahrens, mittels dessen verschiedene Aufnahmen einesMotivs parallel gezeigt und nach Belieben im selben Screen multipliziertwerden können. Wo diese Mittel im öffentlichen Raum der Kontrolleund Übersicht dienen (zum Beispiel im Supermarkt für die gleichzeitigeBeobachtung mehrerer Überwachungskameras), werden sie von derKünstlerin in ihrer Arbeit gegenläufig eingesetzt; Kontext und Inhalteiner Sequenz werden der exakten Kategorisierung entzogen, Bezügemultipliziert, Details wieder versteckt – Übersicht geht verloren. DenBetrachtern bleibt allein das Angebot zur Einlassung und Konzentrationauf die ominös unfixierten und bewusst wenig semiotischen Rückhaltbietenden Oberflächen der Videos. Lloyd gibt nicht mehr vor als dieästhetischen Impulse, die ausschließlich aus der audiovisuellen Faktizitätihrer Stücke hervorgehen. Ihre Videoinstallationen geben wederGeschichten aktueller Politik wieder, noch lassen sie inhaltliche Rück-schlüsse auf eine irgendwie greifbare Autorenexistenz zu; am wenigstenkönnen sie als dokumentaristisch bezeichnet werden. Eher scheinen sie vom experimentellen Film inspiriert zu sein, verunreinigen dessenstrukturalistische Ansätze aber wiederum bewusst. Auf der Ebene vonWahrnehmung und Empfindung vermitteln diese stilistisch abstrahiertenBilder jedoch auf ihre ganz eigene Weise das Verhältnis zu den gesell-schaftlichen Formationen und den durch sie produzierten Begehren,denen sie entnommen sind.

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Hilary LloydShard, 2011JVC LCD 42" Monitor Western Digital HD Media PlayerUnicol Doppel-Säulenaufhängung

Ein 42-Zoll Monitor ist vertikal und etwa mit-tig auf zwei zwischen Boden und Decke veran-kerten Stahl-Stangen montiert. Die Bildflächeist mittels des Split Screen Verfahrens in dreigleichgroße, horizontale Flächen unterteilt. In raschen, von links nach rechts und zurückverlaufenden Schwenkbewegungen erscheintjeweils für Sekundenbruchteile die Form einesvermutlich großen, aber bei Nacht und aus grö-ßerer Entfernung aufgenommenen Gebäudes.Durch die Art der Kameraführung wirkt es, alswürde nicht die Kamera sich bewegen, sonderndas Bauwerk selbst geschwenkt werden. Es han-delt sich dabei vermutlich um die immer glei-che Sequenz, die auf den drei Bildfeldern jeweilsunregelmäßig verteilt aufscheint. Aufgrund derGeschwindigkeit, mit der das Bild hin und herrast, braucht das Auge einige Zeit, um dieInformationen im Bild verarbeiten zu können.Neonartige Beleuchtungen im Vordergrund des Bauwerks legen nahe, dass sich das gezeigteHochhaus zum Zeitpunkt der Aufnahme möglicherweise noch im Bauzustand befand,eingerüstet. Der Titel Shard (dt. = Glassplitter,Scherbe) könnte auf den Wolkenkratzer The Shard in London verweisen, der mit 310Metern das höchste Gebäude Europas ist, undseine Bauhöhe im März 2012 durch Aufsetzeneiner stählernen Spitze erreichte.

Hilary LloydShard, 2011JVC LCD 42" Monitor Western Digital HD Media PlayerUnicol Doppel-Säulenaufhängung

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Hilary LloydFloor, 20122 JVC LCD 47" Monitore 2 Western Digital HD Media PlayerUnicol Doppel-Säulenaufhängung

Zwei 47-Zoll Monitore schweben horizontalüber dem Boden, knapp nebeneinander instal-liert. Jeder Bildschirm ist auf jeweils zwei zwi-schen Boden und Decke verankerten Stahl-Stangen montiert. Die Abstände der Stangenvariieren pro Gerät. Die Bildflächen jedesMonitors sind mittels des Split Screen Verfah-rens in jeweils zwei unterschiedlich große Bildflächen unterteilt. Die zwei größeren der so insgesamt vier Bildflächen beider Monitoreorientieren sich mittig zueinander. Über die vier Bildfelder laufen Nahaufnahmen einer gra-fischen Formation, die entfernt an Werke desUS-amerikanischen Malers Robert Motherwellerinnert. Der Titel der Arbeit sowie zeitweiseaufscheinende Holzdielen legen anfangs dieVermutung nahe, dass es sich um Details vonFarbspritzern handeln könnte. Durch die Ver-änderung des Lichts im Video lösen sich dieFlächen jedoch zeitweise wieder auf und gebenden darunter liegenden Boden frei. Darausergibt sich, dass es sich um die Schatten einesunbekannten Gegenstandes handeln könnte.

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Hilary LloydTower Block, 2011JVC LCD 42" MonitorWestern Digital HD Media Player Unicol VS1000 Trolley

Ein 42-Zoll Monitor ist vertikal auf einen Trolley montiert. Die Bildfläche wurde mittelsdes Split Screen Verfahrens in sechs identische,quadratische Bildflächen unterteilt, in die sichaus unterschiedlichen Winkeln immer wiederdas eingefrorene, auf weißem Hintergrund frei-gestellte Bild eines Wohnblocks hineinschiebt.Dieser scheint sich mal parallel zu den Rändernin die Bildfelder hineinzuwischen, ein anderesmal diese mit der Spitze voran gleichsam zupenetrieren. Manchmal sind nur winzigeDetails dieses vermutlich in den 1970er Jahrenrealisierten Bauwerks an den Schnitträndern derSplit Screens zu sehen, ein andermal bis zu dreivolle Ansichten des faden Monolithen zugleich– kopfüber, liegend und stehend. Die Schnittli-nien der Split Screens werden zu unsichtbarenGrenzen, aus denen Lloyd den Klotz kurz in dieSichtbarkeit hervortauchen lässt und hinterdenen sie ihn wieder verbirgt. Faszinierend istdie Leichtigkeit, die der Gigant als digitales Bildund Spielzeug der Künstlerin bekommt, wäh-rend er immer wieder als sowohl naheliegendewie auch bezaubernde Eventualität erscheint.

Hilary LloydTower Block, 2011JVC LCD 42" MonitorWestern Digital HD Media Player Unicol VS1000 Trolley

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Hilary LloydMoon, 20112 JVC LCD 47" Monitore2 Western Digital HD Media PlayerUnicol Doppel-Säulenaufhängung

Zwei 47-Zoll Monitore sind vertikal auf zweizwischen Boden und Decke verankerten Stahl-Stangen montiert. Ein Monitor ist kurz überdem Boden montiert, der andere knapp unterder Decke, so, als würden sich die beiden Bild-schirme gerade voneinander fortbewegen. DieBildfläche jedes einzelnen Monitors ist in 21Split Screen Felder unterteilt, die jeweils Sequen-zen zeigen, in welchen der Vollmond kadriertwird. Fragmente eines Gebäudes, einer Artscheinwerferbestrahlten Uhrturms, finden sichteilweise als visueller Beifang in einigen derBildausschnitte wieder. Manche der Sequenzenzucken hektisch in vertikalen oder horizontalenVerläufen und scheinen die umliegenden Bild-felder ebenfalls anzustoßen. So entsteht auf denBildschirmen ein kaum überschaubares Ballettaus Hüpf-, Abprall-, Spring- und Wackelbewe-gungen, deren Dynamik durch die Position derbeiden Monitore im Raum nochmals verstärktwird. Die flackernde Gesamtwirkung der insge-samt 42 Sequenzen steht in einem packendenKontrast zur obligatorischen Entrücktheit desgefilmten Himmelskörpers.

Hilary Lloyd Moon, 20112 JVC LCD 47" Monitore2 Western Digital HD Media PlayerUnicol Doppel-Säulenaufhängung

ISBN: 978-3-9815203-2-3

©

Impressum

Publikation

Kœlnischer Kunstverein 2012Idee und Text: Søren Grammel

Gestaltung: Christoph Steinegger/InterkoolLektorat: Sofie Mathoi, Marion Rücker

Auflage 500 StückDruck: Hundt Druck GmbH, Köln

Ausstellung

Janice Kerbel, Hilary Lloyd, Silke Otto-Knapp3. November 2012 bis 6. Januar 2013

Kœlnischer Kunstverein

Kurator: Søren GrammelKuratorische Assistenz: Sofie Mathoi

Technische Leitung: Uwe Becker

Courtesy 1 greengrassi, London, 2 greengrassi, London, 3 greengrassi, London, 4 greengrassi, London, 5 greengrassi, London, 6 Galerie Buchholz,

Köln/Berlin, 7 Overduin and Kite, Los Angeles, 8 Galerie Buchholz,Köln/Berlin, 9 Sadie Coles HQ, London, 10 Sadie Coles HQ, London,

11 Sadie Coles HQ, London, 12 Sadie Coles HQ, London

Besonderer Dank an Sadie Coles HQ, London

Scott Cameron Weaver, Museum für Gegenwartskunst Basel

Ermöglicht durchStadt Köln

Kunststiftung NRW

Unterstützt voncon-tempus.eu

Gaffel

Hahnenstraße 6, 50667 Köln, Deutschland, Telefon 0221 21 70 21, Telefax 0221 21 06 51, [email protected],www.koelnischerkunstverein.de

Eingang

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2) Silke Otto-KnappCurtain (silver), 2011

8) Silke Otto-KnappStage (North & South), 2012

6) Silke Otto-KnappStage (Birds), 2012

11) Hilary LloydTower Block, 2011

12) Hilary LloydMoon, 2011

4) Silke Otto-KnappFront Cloth (Mondaufgang), 2011

7) Silke Otto-KnappTwo Figures (Sitting), 2011

10) Hilary LloydFloor, 2012

1) Janice KerbelCUE (#1 – #36), 2011

5) Silke Otto-KnappWinter forest, 2010

3) Silke Otto-KnappTableau 1 (braiding), 2011

9) Hilary LloydShard, 2011