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Research Collection

Journal Issue

disP - The Planning Review

Publication Date: 1996

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000981948

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Noch einmal zu Peter Sloterdijk: «Ge-wisse Arten von Ignoranz sollten nicht alsKavaliersdelikte hingenommen werden»(s.o.). Gegen die Bequemlichkeit, diegrossen Denker zu ignorieren, führt ereine Klassikeredition ins Feld: Unter demTitel «Philosophie Jetzt!» will er einenKanon der massgeblichen Denktraditio-nen zusammenstellen. Er fordert damit dieredliche argumentative Bezugnahme.

Wie wär’s mit einer Klassikereditionzur Planung – oder: wie ignorant darfPlanung, dürfen Planerinnen und Planerheute argumentieren? Wie beliebig darfdie Bezugnahme auf planerische Vor-läufer und Denktraditionen sein? Dazusind historiographische Arbeiten vonBedeutung. Nicht aus Selbstzweck undauch nicht nur als Ideengeschichte, son-dern als Arbeiten, die Zusammenhängeund Abhängigkeiten planerischen Han-delns offenlegen und so zu einer eigent-lichen «Wirkungsgeschichte» der Pla-nung beitragen. Tatsächlich nehmensich die Sozialwissenschaften langsamdieses Themas an. Jean Daniel Blanc(vgl. auch sein Buch «Die Stadt als Ver-kehrshindernis», 1993) liefert einenspannenden Beitrag dazu. In diesemKontext klingt wieder einmal plausibelan, was offensichtlich schwierig ist –was aber damit keineswegs obsoletwird: Planung hat eine wichtige kultur-politische Dimension, die von einemEntwurf, von Visionen zu zukünftigenund wünschenswerten Lebensmöglich-keiten getragen sein sollte . . . und: dassder Erfolg von Planung vom Vorhanden-sein geeigneter und engagierter «Durch-setzungskoalitionen» abhängt.

Planung Jetzt! Ein Hinweis in eigenerSache: Keine Klassikeredition zwar –aber doch eine fundierte Bearbeitungder jüngeren Planungsgeschichte, diesist das Ziel eines von Franz Oswald(Prof. ETHZ) und François Walter (Prof.Uni Genf) geleiteten Forschungsprojek-tes. Im Rahmen eines Planungsseminars(Leitung: Martin Lendi, Prof. ETHZ, unddie beiden vorgenannten), das imZusammenhang damit steht, kann mandem Versuch eines generationenüber-greifenden Gespräches über Bilanzenund Visionen der Raumplanung und desStädtebaus seit 1950 in der Schweizbeiwohnen (Do. 20.6.96).

Zwei weitere Beiträge in diesem Heftkreisen um das Thema der Nachhaltig-keit. Daniel Wachter (auf dessen neuesBuch zur Schweizer Geographie aufS. 54 f. hingewiesen wird) fokussiert imSpannungsfeld von Nachhaltigkeit undBodenpolitik die Raumplanung. In ihrerFunktion, die verschiedenen bodenrele-vanten Politikbereiche zu koordinieren,wird sie zum Kernelement einer Nach-haltigkeitspolitik. Abgesehen von seinenHinweisen auf entsprechende planeri-sche Handlungsfelder gibt Wachter einegute Zusammenfassung der Nachhaltig-keitsdiskussionen. Beachtenswert: auchästhetische Aspekte fallen in Betracht . . .

Wie der – trotz Kommunikationstechno-logien und u.a. auch wegen des Recyc-lings von Rohstoffen (!) ständig wachsen-de – Güterverkehr stadtverträglichergemacht werden könnte, ist Gegenstandvon Willi Dietrichs Beitrag. Er wartet mitaufschlussreichen Zahlen über diese Ver-kehrsart auf und mit dem hoffnungsfrohenPostulat, dass für die Verbesserung derwirtschaftlichen und der ökologischen Effi-zienz des Güterverkehrs widerspruchs-freie Handlungsspielräume vorhandensind. Das liest man gerne, noch liebersähe man sie auch genutzt – wohlan!

Ich gestehe es: Einen Moment langzögerte ich – soll ich Barbara Leichtlevorschlagen, den Titel ihres Beitrages zuändern? Von «Lust» im planungswissen-schaftlichen Kontext zu sprechen ist ehersuspekt und verweist auf die Untiefenunserer Ratio bzw. unseres Seelenhaus-haltes . . . Gleichwohl: dass durch «Lust»Planung zukunftsträchtiger wird . . . einerPsychologin kann, nein, muss man die-sen gedanklichen Zutritt gewähren . . .Sie berichtet über Ergebnisse einer For-schungsarbeit im Rahmen von Partizipa-tionsprozessen bei Neuplanungen vonWohnungen. Dabei erweist sich diekooperative Zusammenarbeit verschie-denster Beteiligter nicht nur als ein orga-nisatorisches Problem. Es geht zentralum Kommunikation, und dabei interes-sieren neben Organigrammen auch Psy-chogramme. . .

Planung also auch als selbstreflexivesGeschäft: klingt schön kompliziert, abermeint eigentlich nur, dass über Planungnachdenken auch immer wieder überdie eigene Rolle nachdenken heisst.

Zugegeben – der Spruch ist geklaut: DerPhilosoph Peter Sloterdijk hat ihn fürsein Metier geprägt und damit Philoso-phie als «Überblicksarbeit» postulierenwollen. Damit erhält aber auch die Pla-nung neue philosophische Weihen –endlich, nachdem sie im Zuge derModernekritik und in postmodernenBeliebigkeitstraktaten wahlweise be-schimpft oder belächelt wurde. Da trö-stet es doch, wenn Sloterdijk, der mitseiner «Kritik der zynischen Vernunft»(1983) postmoderne Geisteswellenwarf, nun vom Ende der Beliebigkeitund vom notwendigen Bemühen umKanonbildung spricht (vgl. «Focus»1/96, S. 62 ff.). Es braucht sie alsodoch: Richtschnüre, Massstäbe, Regeln– auch und gerade im sich individuali-sierenden und atomisierenden gesell-schaftlichen Kontext.

«Von der Konkurrenz über die Koexi-stenz zur Kooperation . . .» – wie in derPhysik, so auch im richtigen (Planungs-)Leben: das jedenfalls lehren BarbaraZibells Übertragungsversuche von Er-kenntnissen aus der Chaosforschung aufdie Planung. Die (natur)wissenschaftli-che Beschäftigung mit der Komplexitätder Realität erklärt die Schwierigkeitender Planung, die räumliche Realität imgewünschten Sinne zu beeinflussen. Die«neue Bescheidenheit» den Zielen undMöglichkeiten der Planung gegenüberbedeutet aber keinen Verzicht auf denPlanungsanspruch. Vielmehr liefert bzw.bestärkt die Chaosforschung auch neueDimensionen planerischen Handelns:Prozessualität und Selbstorganisationz.B: also durch die Organisierungkooperativer Handlungsformen, die imeigenen Interesse ohnehin tätigen raum-wirksamen Entwicklungskräfte auf ge-meinsame Ziele hin zu verknüpfen . . .

Und interessant in diesem Zusammen-hang ist, dass Seif S. Hassan in seinerBilanz von Planungen im Sudan aufähnliche Schlussfolgerungen hinarbei-tet: mit den «Top-down-Planungen» wer-den wichtige sozioökonomische undgestaltgebende Prozesse ignoriert undungünstig beeinflusst. Eine Planung, diesich auf die Potentiale des bestehendensozialen und gesellschaftlichen Gewe-bes abstützen kann, verspricht mehrAussicht auf Erfolg.

DISP 124 2 1996M i c h a e l K o c h

Planung: Das vertikale Gewerbe

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DISP 124 3 1996J e a n - D a n i e l B l a n c

Planlos in die Zukunft?Zur Entwicklung der Raumplanungspolitik in der Nachkriegszeit

Die langanhaltende wirtschaftlicheHochkonjunktur nach dem ZweitenWeltkrieg brachte in der Schweiz einenenormen Bauboom mit sich, welchernicht nur den äusseren Anblick des Lan-des, sondern auch die Raumordnungweitgehend veränderte. Während inrascher Folge neue Siedlungsgebieteerschlossen und neue Infrastrukturenaller Art erstellt wurden, war von einerraumplanerischen Steuerung dieserhistorisch einmaligen Transformationwenig zu spüren.

Es war aber keineswegs so, dass dieNotwendigkeit einer planerischen Len-kung der überbordenden Bautätigkeiteinfach noch nicht erkannt wordenwäre. Im Gegenteil: Seit den 30er Jah-ren war in der Schweiz eine intensiveDebatte über die Notwendigkeit von«Landesplanung» geführt worden, inder im wesentlichen alle Probleme be-reits diskutiert wurden, welche späterwieder auftauchten. Doch diese früheraumplanerische Diskussion brach inder zweiten Hälfte der 40er Jahre ab,also genau dann, als der grosse Auf-schwung der Bautätigkeit einsetzte. Die-ser erstaunliche zeitliche Zusammen-hang zeigt sich in den «Dokumenten zurGeschichte der schweizerischen Landes-planung». [1] Die 1979 publiziertenZeugnisse der schweizerischen Pla-nungsdiskussion stammen ausnahmslosentweder aus der Zeit vor 1950 odernach 1960. Die 50er Jahre scheinen inbezug auf den Planungsdiskurs einschwarzes Loch darzustellen, obwohlgerade in dieser Zeit für die räumlicheOrdnung des Landes wichtige Entschei-dungen gefallen sind – man denke etwaan die Festlegung des Nationalstrassen-netzes.

Die folgenden Ausführungen versu-chen die Entwicklung der schweizeri-schen Raumplanung in der Zeit vomZweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahrenachzuzeichnen. Sie stützen sich, so-weit es sich um den Bereich der Orts-und Regionalplanung handelt, auf einehistorische Untersuchung im KantonBaselland, der als ein für diese Zeit typi-scher Urbanisierungsraum gelten kann.

Diskussion um Landesplanungwährend des KriegesWährend des Zweiten Weltkrieges fandin der Schweiz erstmals eine breite Dis-kussion über die Notwendigkeit einerstärkeren Planung der räumlichen Ent-wicklung statt. Dieser um den BegriffLandesplanung kreisende Diskurs hatteseine Ursprünge in den 30er Jahren. [2]Doch damals war er auf einen kleinenKreis interessierter Fachleute, vor allemArchitekten, beschränkt geblieben undhatte in der auf soziale und wirtschaft-liche Themen ausgerichteten Politik derKrisenjahre keine Beachtung gefunden.

An ein breiteres Publikum getragenwurden Planungsfragen zum ersten Malan der Landesausstellung 1939 inZürich. Dies war vor allem der Tatsachezu verdanken, dass Armin Meili, derführende Kopf der Planungsbewegung,zum Direktor dieser Ausstellung ernanntworden war. Er benutzte diese Platt-form, um den Planungsgedanken in derAbteilung «Planen und Bauen» denhunderttausenden Schweizerinnen undSchweizern vertraut zu machen, welchean die «Landi» pilgerten. Damit hatte erErfolg, denn die Landesplanung blieb inden folgenden Kriegsjahren im Ge-spräch. [3] Jedenfalls findet der Histori-ker überall Spuren eines regen öffentli-chen Diskurses über die Notwendigkeitvon Landesplanung: Weitere Ausstellun-gen zum Thema wurden organisiert,Tagungen fanden statt, verschiedensteParlamente befassten sich mit Landes-planung, und die Zeitungen druckteneifrig entsprechende Artikel ab. Auch inoffizielle Dokumente des Bundes fanddas Ziel einer Berücksichtigung der Lan-desplanung Eingang, und an der ETH-Zürich wurde der Vorläufer des heutigenORL-Institutes gegründet.

Als Höhepunkt dieser Entwicklungwurde 1943 die Vereinigung für Landes-planung (VLP) im Beisein eines Bundes-rates und vieler Prominenter aus Wis-senschaft, Politik und Behörden gegrün-det. Als Dachorganisation von regiona-len Planungsverbänden sollte sich dievon Armin Meili präsidierte Vereinigungkünftig ebenso der politischen Öffent-lichkeitsarbeit wie der Fachdiskussionund der Erarbeitung planerischer Richt-linien widmen. Die halboffizielle VLP

sollte diese Funktionen anstelle einesBundesamtes für Landesplanung aus-üben, dessen Schaffung Meili früher ge-fordert hatte.

Woher kam das plötzlich aufflammen-de Interesse für diese Fragen? Zunächstscheint die besondere Situation derSchweiz im Windschatten des europäi-schen Krieges die Bereitschaft fürgrundsätzliche Überlegungen gestärktzu haben – z. B. auch dadurch, dass dieArchitekten wenig Arbeit und dafür Zeitzum Nachdenken hatten. Weiter warentscheidend, dass sich das ThemaLandesplanung einen Platz innerhalbder Integrationsideologie «Geistige Lan-desverteidigung» sichern konnte. Unterdem nur vage bestimmten Ziel vonLandesplanung liessen sich viele Interes-sen bündeln. Es liessen sich damit hei-matschützerische Vorstellungen ebensoverbinden wie städtebauliche Ideen,und der patriotische Impetus zur Vertei-digung des Schweizer Bodens vereintesich mit sozialpolitischen Anliegen imBereich des Siedlungsbaus und der bäu-erlichen Forderung nach Schutz vorBodenspekulation. Begriff und Bedeu-tung von Landesplanung passten gutzu der während des Krieges propa-gierten Vorstellung einer «Volksgemein-schaft» und dem damit verbundenenVorrang öffentlicher vor privaten Interes-sen.

Bei der Diskussion um Landesplanunghandelte es sich im Grunde genommenum eine kulturpolitische Bewegung mitvorwiegend ästhetischen Zielen. Wäh-rend des Krieges fand sich für diesesAnliegen ein grösseres Publikum – dochpraktische Folgen hatte dies kaum. Beiden Pionieren der Landesplanungherrschte eine klare Ausrichtung aufgrundlegende Ziele vor, während siesich für die konkreten Probleme derUmsetzung ihrer Ideen noch wenig inter-essierten. So blieb es bei einem lebhaf-ten Interesse und einem gewissen Kon-sens in der Öffentlichkeit für reichlichdiffuse und allgemeine Ziele, währendman sich über konkrete Massnahmenlieber ausschwieg. Politische und recht-liche Massnahmen zur Umsetzung derForderungen der Landesplaner wurdenauf Bundesebene jedenfalls nicht ein-geleitet.

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Erstaunlich ist immerhin, dass in einerZeit, in der sich die Bautätigkeit imwesentlichen noch auf die Städte kon-zentrierte, ein so grosses Problem-bewusstsein entstanden war. Doch diefrühen Landesplaner sahen sich mittenin einer dramatischen Entwicklung derBesiedlung: «Es sind 70 Jahre planloserEntwicklung hinter uns. Diese Raum-anarchie muss nun durch eine wohl-fundierte Landesplanung ersetzt wer-den.» [4] Die Landesplaner hatten dieklare Erwartung, dass die zukünftigebauliche Entwicklung zu verschärftenProblemen führen würde, welche siegerne rechtzeitig lösen wollten. Sie woll-ten die Zukunft gestalten, statt von ihrüberrollt zu werden.

Eine klare Absage an dieLandesplanungUnmittelbar nach 1945 erlebte dieSchweiz einen unerwartet starken wirt-schaftlichen Aufschwung. In der Bau-wirtschaft begann ein drei Jahrzehnteanhaltender Boom – doch das öffent-liche Interesse an siedlungspolitischenFragen liess gleichzeitig merklich nach.Jetzt, wo man sich nicht länger mitunverbindlichen Absichtserklärungenbegnügen konnte, zeigte es sich, dassman nicht bereit war, den Worten Tatenfolgen zu lassen.

Deutlich zum Ausdruck kam dies amSchweizerischen Juristentag 1947 in En-gelberg, der dem Thema Landespla-nung gewidmet war. Die Planer hofften,dass die Juristen ihnen einen rechtlichgangbaren Weg zur Landesplanungweisen würden, doch die Mehrheit derReferenten war anderer Ansicht. Derabschlägige Konsens der Juristen laute-te: «Die Landesplanung soll weder zueinem staatlichen Monopol, noch zurTarnung einer neuen Wirtschaftspolitikwerden, sie darf insbesondere die fö-deralistische Struktur des Staates nichtbeseitigen oder wesentlich schwächen.Die Zeit für ein eidgenössisches Landes-planungsrecht ist noch nicht gekommen:abgesehen davon, dass die technischenGrundlagen dafür noch nicht vorhanden

sind, sprechen auch psychologische,staatsrechtliche und staatspolitische Be-denken gegen ein solches Bundes-gesetz.» [5] Kategorisch abgelehnt wur-de also das wichtigste Anliegen derLandesplaner, eine auf möglichst über-geordneter Ebene gelenkte oder zumin-dest geregelte Siedlungsentwicklung.Kein Wunder, dass Meili die Engelber-ger Tagung im Rückblick als «kältesteDusche» für die Landesplanung bezeich-nete [6], markierte sie doch das vorläu-fige Ende der entsprechenden Bemühun-gen.

Weshalb diese scharfe Ablehnung?Neben den erwähnten föderalistischenBedenken – welche bekanntlich beiallen möglichen Gelegenheiten vorge-schoben werden – spielte der Wunschzur Befreiung von den autoritären For-men der Kriegszeit eine Rolle. Zumkriegswirtschaflichen Dirigismus wurdenun offenbar auch die Idee der Landes-planung gerechnet. Weiter liessengrundsätzliche Ängste vor in ihrem Aus-mass noch wenig absehbaren Eingriffenin die Eigentumsfreiheit die Juristen voreiner verbindlichen gesetzlichen Veran-kerung von planerischen Kompetenzenzurückschrecken. Die Landesplanungs-pioniere versuchten diese Befürchtungenzwar zu zerstreuen, doch war das nichtso einfach, weil die Frage des Verhält-nisses zwischen Planung und Eigentumtatsächlich noch weitgehend ungeklärtwar. Schliesslich hatten auch konser-vative Planer immer wieder mit neuenFormen des Bodenrechts als Vorausset-zung wirksamer Siedlungsplanung ge-liebäugelt. So berief sich auch Meiliweiterhin auf die Ideen von Hans Ber-noulli, obwohl dieser schon vor demKrieg wegen seiner Ideen über dasBodenrecht seinen ETH-Lehrstuhl verlo-ren hatte. Im Klima des aufkommendenKalten Krieges waren Ideen wie kommu-nales Bodeneigentum und Baurechtnicht mehr gefragt oder galten gar pau-schal als kollektivistisch. Die mehrheit-lich bürgerlichen Planer bemühten sichzwar, solche Vorurteile zu zerstreuen,doch sie konnten sich gegen die neo-liberale Grundströmung nicht durchset-zen.

Auf Ablehnung stiess in den anbre-chenden 50er Jahren nicht nur die Pla-

nung auf nationaler, sondern auch jeneauf regionaler Ebene. Dies wurde zwarweniger deutlich zum Ausdruck ge-bracht, und an einigen Orten wurdensogar Regionalplanungen an die Handgenommen, doch letztlich blieben dieseVersuche weitgehend folgenlos und ver-mochten der rasanten Ausbreitung derstädtischen Agglomerationen nichts ent-gegenzusetzen.

Dabei war es den Planern schon lan-ge klar gewesen, dass sich im Umfeldder grossen Städte die grössten Proble-me stellen würden, und sie hatten aucheinige Konzepte entwickelt, wie diesenzu begegnen wäre. In der Skizze«Zürich – heute und morgen» hatteMeili 1945 Ideen entwickelt, wie daswuchernde Wachstum der Agglomera-tion Zürich in geregelte Bahnen gelenktwerden sollte. [7] Eine Studiengruppeum Hans Carol vertiefte diese Gedan-ken in den folgenden Jahren im Grund-lagenwerk «Städte – wie wir sie wün-schen». [8] Im Kanton Zürich wurde dieRegionalplanung zwar mit einem eige-nen Büro institutionalisiert, doch fehltendiesem letztlich alle nötigen Kompeten-zen, so dass bis weit in die 60er Jahrevon Regionalplanung kaum gesprochenwerden kann. In der Region Basel wur-de nach 1945 von den Planungsstellenbeider Halbkantone mit viel Elan einegemeinsame Regionalplanung initiert,um das Wachstum der Agglomerationgrenzüberschreidend in geordnete Bah-nen zu lenken und insbesondere eineüberkommunale Grünflächenplanung zuermöglichen. Doch zeigte sich bald,dass der politische Rückhalt für dieseArbeit fehlte, und die ganze Sache ver-lief nach einigen Jahren im Sand.

Im Jahr 1950 schrieb die NZZ eineArt Nachruf auf die Landesplanung,welcher illustriert, wie weit man sichschon von der Diskussion der Kriegszeitentfernt hatte: «Es gab während desKrieges eine Zeit, in der man sich beiuns sehr eingehend mit Fragen desSiedlungswesens beschäftigte. Das wardamals, als jene Bewegung entstand,deren Bestrebungen unter dem Begriffder Landesplanung allgemein bekanntgeworden sind. Leider scheint es in denletzten Jahren merklich stiller um siegeworden zu sein.» [9]

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Die unreflektierte Entwicklungder 50er JahreIn den ersten Nachkriegsjahren fiel inder Schweiz die Landesplanung als Zielwie als Thema aus Abschied und Trak-tanden. Dabei blieb es während dergesamten 50er Jahre, obwohl die bau-liche Entwicklung und die Ausbreitungvon Siedlungen aller Art jede Erwar-tung übertraf. Natürlich gab es immernoch Leute, welche die planlose Ent-wicklung kritisierten. So wurde 1954an einer Regionalplanerkonferenz voreinem «Versinken des Mittellandes ineiner strukturlosen Verstädterung» [10]gewarnt. Doch solche Stimmen stiessennoch kaum auf eine Echo.

Der einzige erfolgreiche Versuch, lan-desplanerische Fragen erneut zu the-matisieren, erfolgte mit dem Pamphlet«achtung: die Schweiz» von LuciusBurckhardt, Max Frisch und MarkusKutter. Diese forderten in ihrer 1955erschienenen Schrift anstelle einer Lan-desausstellung den Bau einer neuenStadt, um so laufender Siedlungsent-wicklung eine Alternative entgegenzu-stellen. Der Vorschlag löste eine lebhaf-te Diskussion in der Öffentlichkeit aus,was an sich schon bemerkenswert war.Er stellte aber in der geistigen Land-schaft der 50er Jahre eine Ausnahme-erscheinung dar, welche weitgehendfolgenlos blieb.

In den 50er Jahren herrschte eineselektive Wahrnehmung der gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Ent-wicklung vor. Zwar nahm man dieeinzelnen Zeichen einer beschleunigtenEntwicklung – z. B. der wachsendeWohlstand – zur Kenntnis, doch derGesamtprozess entzog sich dem öffent-lichen Bewusstsein. So wurde auch diefast sprunghafte bauliche Entwicklungkaum thematisiert. Auch die massiv ein-setzenden Wanderungsbewegungen,welche Hunderttausende von Menschenaus den ländlichen Gebieten derSchweiz und Italiens in die rasch wach-senden Vororte der grossen Städte ver-schoben, liefen weitgehend ohne öffent-liche Beachtung ab.

Diese Nichtbeachtung einer weitge-henden Transformation der Siedlungs-struktur nahm im Kanton Baselland fastgroteske Formen an, nachdem im Jahr

1950 die Stimmbürger die Schaffungeines Statistischen Amtes abgelehnt hat-ten. In der Folge wurden die bisherigenstatistischen Arbeiten der Verwaltungzumeist eingestellt. Zwar wurde weiter-hin peinlich genau Buch geführt überden Bestand an Kühen, Schweinen undanderem Viehzeug, doch über die Ein-wohnerzahlen in den aus allen Nähtenplatzenden Vorortsgemeinden lagen nurdie Zahlen der Volkszählung 1950 vor,obwohl sich die Einwohnerschaft vieler-orts schon nach wenigen Jahren verdop-pelt hatte.

Natürlich existierten trotz fehlenderöffentlicher Diskussion in der Schweizauch in den 50er Jahren implizite Leit-bilder der räumlichen Entwicklung desLandes. Eine seit längerem geläufigeMeinung war, dass das Wachstum dergrossen Städte, und insbesondere vonZürich, ein Problem für den Kleinstaatund für den Föderalismus darstelle.Diese Vorstellung hatte ihre Ursprüngein einem schon lange verbreitetenSelbstbild der Schweiz als ländlich-bäuerlicher Nation. Die Meinung, dasWachstum der grossen Städte, welcheman mit Vorliebe als «Wasserköpfe»bezeichnete, müsse begrenzt werden,wurde in den 50er Jahren immer wiedergeäussert. Gleichzeitig unternahm manaber nichts, um der laufenden Entwick-lung entgegenzutreten. Dabei war dasWachstum der grossen Städte gerade inden 50er Jahren noch in vollem Gange,obwohl sich sein Schwerpunkt immerstärker in die Vororte verschob.

Frühe Zersiedlungdes vorstädtischen Raumes«Man müsste [. . .] mit den Ortsplanun-gen zuwarten, bis die Regionalplanun-gen stattgefunden hätten. Viel Zeit wür-de so aber nutzlos verstreichen, undmanche Verschandelung der Ortschaf-ten könnte nicht verhindert werden.»[11] Dieses Zitat des Architekten HansMarti zeigt, wie sich die Pioniere derLandesplanung in den 50er Jahren ver-hielten: Nachdem sie hatten einsehenmüssen, dass vorerst kaum Chancen füreine Verwirklichung von Landes- undRegionalplanungen bestanden, wand-ten sie sich der Ortsplanung zu – und

fanden hier reichlich Beschäftigung.Allerdings waren die rechtlichen Vor-aussetzungen dafür je nach Kanton sehrunterschiedlich. Es soll hier am Beispieldes Kantons Baselland ausgeführt wer-den, wie es überhaupt dazu gekommenwar, dass Ortsplanungen rechtlich mög-lich waren.

In den stadtnahen Gemeinden desKantons Baselland war es schon seitdem Ende des 19. Jahrhunderts, vorallem aber während der 1920er Jahre,zu einem ebenso raschen wie ungeord-neten Siedlungswachstum gekommen.Überall schossen Häusergruppen undEinzelgebäude aus dem Boden, in de-nen Zuzüger aus der Stadt Wohnsitznahmen. Die gesetzlichen Grundlagenboten den Gemeindebehörden kaumMöglichkeiten, gegen die sich gross-flächig ausbreitende Zersiedlung vorzu-gehen. Mehr noch: Die Gemeindenwaren verpflichtet, die Erschliessung derhäufig von privaten Spekulanten errich-teten Siedlungen zu übernehmen, d. h.Strassen und Werkleitungen zu erstel-len. Finanziell war dieser planlose Infra-strukturbau wegen der räumlichen Ver-zettelung ausgesprochen aufwendig.Da die Neuzuzüger zudem vorwiegendärmeren Schichten angehörten und fürdie Gemeinden wenig fiskalischen Ge-winn darstellten, brachten sie diese inernsthafte finanzielle Bedrängnis. DieMöglichkeit, sich durch Eingemeindungin die Arme der damals noch wohl-habenden Stadt zu flüchten, hatten dieverarmten Vorortsgemeinden wegen derbereits mitten durchs Siedlungsgebietlaufenden Grenze zwischen den beidenBasler Halbkantonen nicht.

Auf Grund dieser Probleme wurdenbei der Revision des kantonalen Bau-gesetzes 1941 neu die Möglichkeit bau-planerischer Massnahmen auf Gemein-deebene verankert. Die entsprechendenParagraphen waren allerdings recht all-gemein gehalten, denn man hatte nochkeine genaueren Vorstellungen von Pla-nung. So hiess es: «Die Gemeinden sindbefugt, im Interesse ihrer baulichen Ent-wicklung für ihr ganzes Gebiet oder füreinzelne Teile desselben Bebauungs-,Zonen- und Baulinienpläne sowie dazu-gehörende Baureglemente und Baupoli-zeivorschriften aufzustellen.» [12]

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Erstaunlicherweise hatte es gegen dieAufnahme dieser planerischen Bestim-mungen, welche von der Öffentlichkeitfast unbemerkt in den Gesetzestexteingeflossen waren, kaum Oppositiongegeben. Da die Kompetenzen aufGemeindeebene verblieben, bestandenkeine Befürchtungen vor unerwünschtenplanerischen Eingriffen übergeordneterBehörden. Die Gesetzgeber hatten of-fensichtlich in der Meinung gehandelt,es ginge hier nur um die Probleme we-niger Gemeinden, welche auf dieseWeise gelöst werden könnten.

Bereits wenige Jahre nach Inkraft-treten des Gesetzes wurden die neuenrechtlichen Möglichkeiten von den Kan-tonsbehörden aber benutzt, um eineeigentliche ortsplanerische Offensiveeinzuleiten. Auch dafür spielte die spe-zielle Situation während des Kriegeseine Rolle, denn die kantonale Verwal-tung war mit ganz neuen Problemenkonfrontiert. Sie hatte den bundesrät-lichen Vollmachtenbeschluss gegen dieSpekulation mit Landwirtschaftslanddurchzuführen, eine Aufgabe, der siemangels Erfahrung zuerst eher skeptischbegegnete. Nachdem sich die kantona-len Beamten aber einmal mit dem Pro-blem der Unterscheidung von Landwirt-schafts- und Bauland zu befassenbegonnen hatten, widmeten sie sich die-ser planerischen Aufgabe mit zuneh-mender Begeisterung und wurden dabeiauch vom zuständigen Regierungsratunterstützt. Dabei spielte eine Rolle,dass sich in der Region Basel ein kleinerKreis von interessierten Fachleuten, Poli-tikern und Beamten gebildet hatte, derPlanungsfragen diskutierte und entspre-chende Massnahmen vorantrieb.

1945 wurde in der kantonalen Ver-waltung eine Planungsstelle eingerich-tet. Diese wandte sich Mitte der 40erJahre in einem Rundschreiben an dieGemeinden und forderte sie – gestütztauf das Baugesetz – zur Einleitung vonOrtsplanungen auf. Eine ganze Reihevon Gemeinden erteilte in der Folge ent-sprechende Aufträge und liess sichdamit auf ein Experiment mit nochunklarem Ausgang ein. Zu dieser Zeitwusste noch niemand, wie denn ein«normaler» Bau- und Zonenplan auszu-sehen habe und welche Bedeutung ihm

in der Praxis zukommen werde. Dieersten Erfahrungen der Gemeinden mitden Zonenplänen waren sehr unter-schiedlich. Einige Gemeinden verfügtenbereits ums Jahr 1950 über rechtskräfti-ge Ortsplanungen, bei anderen dauertedas Verfahren noch viele Jahre.

Pragmatische Entwicklung der Orts-planungen im Kanton BasellandEs war zwar nur eine Minderheit derGemeinden des Kantons Baselland, wel-che sich in den 50er Jahren ernsthaft mitOrtsplanungen beschäftigte, doch han-delte es sich dabei um die grösserenOrte, grösstenteils um die Vororte derStadt Basel, aber auch um einige Regio-nalzentren des Oberbaselbietes. Auf-grund der Entwicklung der Bevölke-rungszahlen kann gesagt werden, dasses sich um Orte handelte, welchebereits in den vergangenen Jahrzehntenein stärkeres Wachstum erlebt hatten.Man versuchte also, die Zukunft auf-grund der Erfahrungen der Vergangen-heit zu gestalten.

Im allgemeinen konnte man in den50er Jahren auf die Erfahrungen derVergangenheit bauen, denn das Bevöl-kerungswachstum war zwar weit grös-ser als in früheren Wachstumsphasen,doch es bewegte sich noch vorwiegendin alten Bahnen. Der bereits gross-flächig zersiedelte erste Vorortsgürtelfüllte sich im Verlauf der 50er Jahre auf,während die weiter von Basel entferntenGemeinden erst in den 60er Jahrenmassiv vom Wachstum erfasst wurden.Die weiter von Wachstumszentren ent-fernten Dörfer, welche heute die peri-urbane Zone bilden, waren in den 50erJahren noch kaum das Ziel der Zuzüger.

Das wichtigste Ziel der Ortsplanun-gen der 50er Jahre war, das Wachstumin geordnete Bahnen zu lenken. Als einesolche Ordnung verstand man klarvoneinander getrennte Zonen. Vor allemIndustrie- und Gewerbezonen einerseitsund Wohngebiete andererseits sollten,soweit es die bereits bestehende Durch-mischung noch erlaubte, grossräumiggetrennt werden. Diese Trennung kannauch als funktionales Äquivalent fürumweltpolitische Massnahmen interpre-tiert werden. In einer Zeit, in der Indu-

strie- und Gewerbebetriebe noch fastnach Belieben lärmen und stinken durf-ten, versuchte man sie von der Wohn-bevölkerung zu trennen, um Konflikte zuvermeiden. Insbesondere das Problemder Luftverschmutzung spielte im unterenBaselbiet eine bedeutende Rolle, dahier die chemische Industrie in den 50erJahren kräftig expandierte.

Den in den Zonenplänen zum Aus-druck kommenden Ordnungsvorstellun-gen entsprach es, die verschiedenenBaustile der Wohngebiete sorgfältigauseinanderzuhalten, wobei vor allemdie Höhe der Häuser ausschlaggebendwar. Die Unterscheidung zwischen ein-oder zweigeschossigen Einfamilien-hauszonen und den Zonen für den drei-stöckigen Mehrfamilienhausbau ent-sprach der sozialen Differenzierung derentstehenden Siedlungen. In der chroni-schen Wohnungsnot nach dem Kriegermöglichten die einfachen Bauformeneine rasche Steigerung des Wohnbaus.So entstanden grossflächige Siedlungenmit zonenkonformer Bebauung in repeti-tiver Anordnung; die typischen Quartie-re der 50er Jahre.

Die neuen Vorstädte der 40er undfrühen 50er Jahre hatten mit ihrer offe-nen Bebauung und den Rasenflächeneinen ausgesprochen nichtstädtischenCharakter – und genau das war dasZiel. Die Höhe der Bebauung wurdeallerdings zunehmend diskutiert, da im-mer wieder versucht wurde, eine höhereals die erlaubte Ausnützung zu erzielen.Eigentliche Hochhäuser wurden in den50er Jahren von der Bevölkerung nochüberwiegend abgelehnt, von Architek-ten und Bauherren aber verstärkt propa-giert. Im Jahr 1956 begann man imstadtnahen Birsfelden, wo das Baulandknapp war, mit dem Bau der erstenHochhäuser eine neue baugeschichtli-che Periode im Kanton Baselland.

Das Problem derLandwirtschaftszoneSchon bald sorgte das Problem derLandwirtschaftszone für Verwirrung,ohne dass es im Verlauf der 50er Jahrehätte geklärt werden können. Verfolgtedie Ortsplanung primär das Ziel, Ord-nung in das Baugebiet eines Ortes zu

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bringen, so blieb die Frage vorerstoffen, was ausserhalb der definiertenBauzone erlaubt war. Die Bestrebungder Planer war es, dieses sogenannteübrige Gemeindegebiet grundsätzlichdem Bauen zu entziehen und der land-wirtschaftlichen Nutzung vorzubehal-ten. Eine klare Regelung sollte die Spe-kulation mit zukünftigem Bauland verun-möglichen, und es sollte ganz allgemeinverhindert werden, dass überall in derLandschaft gebaut werden konnte. Dochwährend die rechtliche Zulässigkeit derZonenplanung an sich nicht bestrittenwurde, stiess jeder Versuch, das Bauenin bestimmten Zonen ganz oder weit-gehend zu verbieten, auf starken Wider-stand. Die Grenzziehung zwischenEigentum und Planung war noch nichtgeklärt.

Auch die von der kantonalen Pla-nungsstelle Baselland in den 40er Jah-ren entworfenen Baureglements-Norma-lien sahen explizit Landwirtschaftszonenvor. Ähnlich ging man in anderen Kan-tonen vor, in denen damals die Ortspla-nungen vorangetrieben wurden. DerWiderstand der betroffenen Grund-eigentümer liessen aber nicht auf sichwarten, und die Frage wurde rasch bisvors Bundesgericht gezogen. Das höch-ste Gericht entschied 1948 in einemwegleitenden Fall, dass eine gesetzlicheGrundlage für Bauverbotszonen nichtbestehe und die entsprechende Bestim-mung des Zonenplanes im Widerspruchzur (damals noch ungeschriebenen)Eigentumsgarantie der Bundesverfas-sung stünde. [13] Es folgten in den kom-menden Jahren ähnliche Entscheide invergleichbaren Fragen, so auch betreffseine Grünzone in der Stadt Zürich.Damit war die Angelegenheit höchst-instanzlich für längere Zeit entschieden,wobei die Frage offen blieb, wie denndie nötigen gesetzlichen Grundlagenallenfalls aussehen könnten. [14]Im Prinzip hiess dies nun, dass dasBauen zwar innerhalb des Baugebietesden Beschränkungen der jeweiligenZone unterworfen blieb, ausserhalb desBaugebietes aber gänzlich frei wäre,womit die ganze Zonenplanung adabsurdum geführt worden wäre. Dochso leicht gaben Planer und betroffeneGemeinden nicht auf, denn wenn auf

jeder Wiese gebaut werden durfte,drohten riesige Erschliessungskosten.Trotz der grundsätzlichen Entscheideder höchsten Instanz bestand in der pla-nerischen Praxis ein gewisser Spielraumfür restriktive Massnahmen, und im Kan-ton Baselland war man entschlossen,diesen zu nutzen. In einem verwaltungs-internen Schreiben wurden schon 1948die Grundzüge dieser Strategie entwor-fen:

«Wir sind überzeugt, dass früher oderspäter die Rechtsauffassung dem moder-nen Planungsbedürfnis näherkommenwird. Bis aber eine einwandfreie Rechts-grundlage geschaffen worden ist, mussein anderer Ausweg gesucht werden,wenn die Planung den Gemeinden nichtuntragbare Lasten aufbürden soll. Die-ser Weg kann u.E. darin bestehen, dassbezüglich Wasserversorgung, Kana-lisation und Weganlagen in den Ge-meindereglementen die notwendigenBestimmungen aufgenommen werden.Wenn im Gemeindereglement steht,dass nur in der anerkannten Bauzoneein Wasseranschluss erfolge, dann wirddas Bauen praktisch verunmöglicht unddie Frage über die Entschädigung stelltsich nicht. Wenn überdies festgestelltwird, dass derjenige, der ausserhalbder anerkannten Bauzone baut, sich aufeigene Kosten an die bestehende Ka-nalisation anschliessen und die im Bau-gesetz vorgesehenen Wege auf eigeneKosten bauen müsse, dann wird auchder Letzte, der unter Umständen nocheine eigene Wasserversorgung errich-ten kann, vom Bauen abgeschreckt.»[15]

Diese Stossrichtung wurde in der Fol-ge für die Praxis der 50er Jahre imKanton Baselland wegleitend. Die Ge-meinden wurden angewiesen, auf dieBezeichnung Landwirtschaftszone zuverzichten und statt dessen die Grenzeder Kanalisationsprojektierung als Krite-rium zu verwenden. Auf diese Weisekonnte eine wilde Ausdehnung der Be-siedlung weitgehend verhindert wer-den. In anderen Kantonen wurde eineähnliche Praxis verfolgt, doch sind dieUnterschiede insgesamt gross, und anvielen Orten konnte in den 50er Jahrennoch nach Lust und Laune in die Land-schaft gebaut werden.

Wachstumsorientierte Planungs-euphorie in den 60er JahrenIn den frühen 60er Jahren erhoben sichin der Schweiz in verschiedenen Berei-chen kritische Stimmen, welche eineUnzufriedenheit mit bestimmten Aspek-ten der wirtschaftlichen und gesellschaft-lichen Entwicklung formulierten. Es wur-de unübersehbar, dass das grosseTempo des Wachstums zu zahlreichenunerwarteten und unerwünschten Folge-erscheinungen führte. Langsam begannman sich von der sorglosen Laisser-faire-Haltung der 50er Jahre zu verabschie-den, um sich intensiv mit der politischenund planerischen Bewältigung derWachstumsfolgen zu beschäftigen.

Verschiedene Änderungen zeigtensich schon gegen Ende der 50er Jahrein der Bautätigkeit des Staates an.Nachdem sich die öffentliche Hand jah-relang in Sachen Bauen äusserste Zu-rückhaltung auferlegt hatte – sowohl ausfinanz- wie aus konjunkturpolitischenGründen –, wurde nun ein wachsenderInfrastrukturrückstand konstatiert und kri-tisiert. Der Rückstand in der Versorgungmit Schulen und Spitälern und allenanderen öffentlichen Bauten war natür-lich in den schnell wachsenden Vororts-siedlungen am grössten.

Der Staat müsse mit einem forciertenInfrastrukturbau aktive Wachstumspolitikbetreiben, hiess es nun. Doch geradehier machte sich das Fehlen einer Regio-nalplanung schmerzhaft bemerkbar.Wie sollte sich der Kanton beispielswei-se die Standorte künftiger Schulensichern, wenn ihm jegliche planerischeKompetenzen fehlten? Ausserdem be-nötigte man für die beschleunigte Infra-strukturplanung Statistiken und Progno-sen über den künftigen Bedarf. Manmusste also zu einem Bild der Gesamt-entwicklung gelangen, d. h. die Inter-dependenz von Bevölkerungs-, Wirt-schafts- und Siedlungsentwicklung ab-schätzen lernen.

Im Verlauf der 60er Jahre wurde Pla-nung immer stärker zu einem wichtigenöffentlich diskutierten Thema. Gleichzei-tig erstreckten sich die Planungshorizon-te über immer längere Zeiten und umfas-sten immer mehr Gebiete. Nachdem inden 50er Jahren bestenfalls dortgeplant worden war, wo es unumgäng-

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lich schien, setzte nun eine Phase derPlanungseuphorie und des Glaubens indie Planbarkeit der Entwicklung ein. Dergrundsätzliche Wandel beruhte im Kerndarauf, dass man nicht mehr daranglaubte, eine möglichst unbeeinflussteEntwicklung sei die beste Voraussetzungfür wirtschaftlichen Erfolg, sondern sichvielmehr das Credo «Wachstum be-nötigt Planung» durchsetzte.

Dieser Wille zum systematischenZugriff zeigte sich auch in der aufkom-menden politischen Planung, dem Ver-such, die Staatstätigkeit ganz allgemeinzu planen und auf die wirtschaftlicheund gesellschaftliche Tätigkeit abzustim-men. [16] Die neue Einstellung zur Pla-nung brach selbstverständlich nichtplötzlich durch, und ebensowenig ver-schwanden die Widerstände dagegen.Der öffentliche Diskurs über die Not-wendigkeit von Planung ging der Schaf-fung neuer gesetzlicher Grundlagen vor-aus, und das Erreichte entsprach letzt-lich nicht annähernd dem Geforderten,doch im Unterschied zu den 50er Jah-ren war nun viel Bewegung in dieganze Frage gekommen.

Die praktische Planung fand auch inden 60er Jahren noch vorwiegend alsOrtsplanung statt, wobei nun nicht mehrdie zonenkonformen Zeilenbauten, son-dern grossangelegte Gesamtüberbauun-gen dominierten. Die einsetzende Re-gionalplanung befand sich dagegen imKanton Baselland noch im Stadium derGrundlagenforschung. Ihre Notwendig-keit wurde unterdessen aber kaummehr in Frage gestellt, denn gleichzeitigmit den Wachstumsplanungen – Schu-len, Spitäler, Strassen usw. – musstenun auch schon die Bewältigung vonWachstumsfolgeproblemen wie der Ge-wässerverschmutzung vorangetriebenwerden. Am schnellsten voran kam dieregionale Verkehrsplanung, welche zudieser Zeit fast ausschliesslich aus Stras-senverkehrsplanung bestand.

Im Verlauf der 60er Jahre verstärktensich die Bemühungen, auch dem Bundim Bereich der Raumplanung – wie mander Sache jetzt sagte – Kompetenzenund Verantwortung zu übertragen. Aller-dings waren hier auch die Widerständeam grössten. Von Bedeutung war, dassdie bürgerliche Mehrheit in den 60er

Jahren einen Weg fand, die sozial-demokratisch-gewerkschaftlichen Vorstel-lungen eines mit der Planungsfrage ver-bundenen neuen Bodenrechts – konkret:ein Vorkaufsrecht der Gemeinden – insAbseits laufen zu lassen und 1969 eineexplizite Eigentumsgarantie in der Bun-desverfassung zu verankern. [17] ImSchutz dieser klaren Leitplanke wurdenun der Bund zur Gesetzgebung imBereich Raumplanung ermächtigt. DieGeschichte der Bundesgesetzgebung indiesem Bereich sollte in den folgendenJahren aber keineswegs so problemlosverlaufen, wie man in der Planungs-euphorie der ausgehenden 60er Jahrenoch glaubte. In den 70er Jahren konn-te der Bund lediglich mit Dringlichkeits-recht Raumplanungspolitik betreiben,und erst 1980 konnte das erste Raum-planungsgesetz in Kraft treten.

Geschichte der Raumplanung:Keine kontinuierliche EntwicklungIn der Schweiz wurde vor und währenddes Zweiten Weltkrieges eifrig über Fra-gen einer zu schaffenden «Landes-planung» diskutiert. Dabei war derWunsch massgebend, die räumlicheEntwicklung nicht einfach dem Zufallund den Marktkräften zu überlassen,sondern sie bewusst mitzugestalten.Auch wenn die Planungspioniere dasAusmass des zu erwartenden Wachs-tums wie alle anderen gewaltig unter-schätzten, hätten ihre Überlegungenzum Ausgangspunkt einer besseren undvor allem früheren planerischen Bewälti-gung der Nachkriegsentwicklung wer-den können.

In der unmittelbaren Nachkriegszeitkam es schnell zu einer Klärung derHandlungsabsichten. Jegliche verbindli-che Planung auf übergeordneter Ebenewurde abgelehnt, während eine gewis-se planerische Ordnung auf Gemein-deebene akzeptiert wurde. Gleichzeitigblieb das Verhältnis von Ortsplanungund Grundeigentum mit Unklarheitenbehaftet, welche aber für die prakti-sche Planung keine unüberwindlichenSchwierigkeiten boten, sofern der politi-sche Wille vorhanden war. Dabei ist zubeachten, dass Planungsfragen in den50er Jahren insgesamt eine völlig unter-

geordnete Rolle spielten und dass des-halb auch keine öffentliche Diskussionüber sie stattfand. Trotz des unerwartetgrossen Wachstums von Wirtschaft undBevölkerung dachte man in den 50erJahren nicht daran, dass die Bewälti-gung dieses Wachstums grössere Pro-bleme bereiten könnte. Entsprechendsorglos wurden in dieser Zeit auch über-all bauliche Tatsachen geschaffen, wel-che die weitere Entwicklung weitgehendprägten.

Dieses Muster handlungsleitenderOrientierungen ist lange Zeit hindurchunverändert geblieben. Doch in denfrühen 60er Jahren liessen sich dieWachstumsfolgeprobleme nicht mehr soeinfach übersehen. Die rasante Entwick-lung von Bevölkerung, Besiedlung undWirtschaft liess sich nicht mehr ohnevermehrte staatliche Interventionen, undinsbesondere nicht ohne vermehrteplanerische Tätigkeit, bewältigen. Nunsetzte ein Prozess ein, in dem sich dieWahrnehmung grösserer Komplexitätund die Versuche zu ihrer planerischenBewältigung gegenseitig hochschaukel-ten. Am Ende dieses Prozesses standeine Gesellschaft, in der man die Ent-wicklung auf Jahrzehnte hinaus planenund prognostizieren zu können glaubte.Gleichzeitig wurden die gesetzlichenund verfassungsmässigen Grundlagender eigentlichen Raumplanung auf eineeigentumsfreundliche Weise geklärt. ImBereich der Ortsplanungen änderte imÜbergang zu den 60er Jahren zwar derStil, nicht aber der Grundcharakter,denn noch immer war das Hauptziel derPlanung die Ermöglichung einer raschenbaulichen Expansion, die Bereitstellungvon genügend erschlossenem Bauland.

Ab den 60er Jahren griff man auf ver-schiedene Forderungen zurück, welcheschon die Pioniere der 30er und 40erJahre gestellt hatten, z. B. auf die Schaf-fung eines Bundesamtes für Raumpla-nung. Dennoch unterschied sich derPlanungsdiskurs während des ZweitenWeltkrieges ganz wesentlich von jenemder 60er Jahre. Während dieser einemgrundsätzlich technokratischen Ansatzfolgte und auf praktische Problemlösun-gen ausgerichtet war, hatte jener primärkulturpolitische, also «idealistische» Zie-le verfolgt. Ausserdem bezogen sich

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die Planungsdiskurse auf verschiedeneObjekte, denn Siedlungs- wie Natur-landschaften hatten in der Zwischenzeitihren Charakter grundsätzlich verän-dert.

Was die Ziele der Planung anbelangt,schloss sich der Kreis erst in den 70erJahren, als neue Werte in den Vorder-grund rückten, und es ging nicht mehrnur um die planerische Absicherung desWachstums, sondern vermehrt um dieBewahrung der noch nicht überbautenLandschaften. Das im Raumplanungs-gesetz von 1979 formulierte Ziel eineshaushälterischen Umgangs mit demBoden liegt damit wieder näher bei derGedankenwelt der Landesplaner der40er Jahre als bei jener der Wachs-tumsplanungen der Nachkriegszeit. Eszeigt sich damit, dass die Geschichteder Raumplanung keinesweges einereinfachen Entwicklungslogik nach demSchema «zuerst das Problem, dann dieLösung» folgt, sondern dass das Pro-blembewusstsein einer Zeit primär vonvorherrschenden ideologischen Grund-strömungen geprägt wird.

Anmerkungen

[1] Winkler, Ernst u. a. (Hg.): Dokumente zurGeschichte der schweizerischen Landespla-nung, Zürich 1979.[2] Vgl. Meili, Armin: Allgemeines über Lan-desplanung, in: Die Autostrasse Nr. 2, 1933,S. 17 ff.[3] Vgl. Walter, François: Fédéralisme etproprieté privée 1930–50. Les attitudes faceà l’aménagement du territoire en temps decrise et de pleins pouvoirs, in: DISP Nr. 82,1985.[4] Meili, Armin: Soziale und ethischeGrundlagen der Landesplanung, in: DieSchweiz. Jahrbuch der Neuen HelvetischenGesellschaft, 1943, S. 177.[5] Diese Zusammenfassung der Verhand-lungen gemäss NZZ vom 4.10.1947.[6] Meili, Armin: 25 Jahre Landesplanung inder Schweiz, Werk, Nr. 9, 1958.[7] Meili, Armin: Zürich heute und morgen.Wille oder Zufall in der baulichen Gestal-tung, Zürich 1945.[8] Carol, Hans und Max Werner: Städte –wie wir sie wünschen. Ein Vorschlag zur Ge-staltung schweizerischer Grossstadt-Gebiete,

dargestellt am Beispiel von Stadt und KantonZürich. Zürich 1949.[9] NZZ 9.9.1950.[10] NZZ 28.8.1954.[11] Marti, Hans: Erfahrungen und Zukunfts-aufgaben der schweizerischen Landespla-nung, in: Plan Nr. 8, 1951, S. 96.[12] Chronologische Gesetzessammlung desKantons Baselland, Bd. 18, S. 535.[13] BGE 74, I, S. 174 ff.[14] In den frühen 60er Jahren kam HansHuber in einem Gutachten zum Schluss, dassauch eine bundesgesetzliche Verankerungder Landwirtschaftszone nicht hinreiche, daeine so weit gehende Eigentumsbeschrän-kung in der Verfassung vorzusehen sei. Vgl.Huber, Hans: Zur Verfassungsmässigkeit derLandwirtschaftszone, in: DISP Nr. 82, 1985.[15] Schreiben der Direktion des Innern andie kantonale Planungskommission vom2.3.1948. Staaatsarchiv Baselland, Bau A6Regional- und Landesplanung.[16] Vgl. Linder, Wolf u. a. (Hg.): Planung inder schweizerischen Demokratie, Bern 1979.[17] Vgl. Tschudi, Anton: Die sozialdemo-kratisch-gewerkschaftliche Verfassungsinitia-tive gegen die Bodenspekulation aus demJahre 1963, Konstanz 1979.

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DISP 124 10 1996D a n i e l Wa c h t e r

Nachhaltige Entwicklung:Folgerungen für die schweizerische Bodenpolitik*

die Bodenpolitik aufgesplittert auf ver-schiedene Sektoralpolitiken, wie z.B.die Agrarpolitik, die Wohnungsmarkt-politik, die Verkehrspolitik, die Natur-schutzpolitik etc. Eine übergreifende,koordinierende Funktion hat dabei dieRaumplanung. Deren starke Ausrichtungauf die Flächennutzungsplanung lässtaber auch wieder viele Aspekte aus-geklammert, die die Bodenpolitik be-rühren, wie die Wohnungsmarktpolitikoder die Steuerpolitik. Allerdings sollmit dem Begriff «Bodenpolitik» auchkein allumfassendes Sammelsurium ge-bildet werden. Die verschiedenen Sekto-ralpolitiken betreffen die Bodenpolitiknur insofern, als bodennutzungsrelevan-te Effekte vorliegen oder die Verteilungvon Grundbesitz und Grundrente beein-flusst wird.

Die Bodenpolitik verfügt sowohl überallokative als auch über distributive Zie-le. Allokative Ziele betreffen Fragen derBodennutzung bzw. die Frage, wie undauf welche Weise der Boden genutztwerden soll. Diese allokativen Zieleumfassen ökologische und wirtschaft-liche Ziele. In der Schweiz können auf-grund der Bundesverfassung und derGesetzgebung die allokativen Ziele derBodenpolitik unterschieden werden, dieim oberen Teil von Abb.1 zu sehen sind.

Distributive Ziele sind in den als un-gerecht empfundenen Verteilungsimpli-kationen des Bodenmarktes begründet.Dabei geht es einerseits um die Vertei-lung des Grundrenteneinkommens, an-dererseits aber auch um eine gerechtereVerteilung der Eigentumsrechte amBoden. Die Schweiz verfügt über diedrei distributiven Ziele der Bodenpolitik,die im unteren Teil von Abb.1 zu sehensind.

Bei der Betrachtung der zehn teilwei-se recht unterschiedlichen Ziele wirdschnell deutlich, dass zwischen den Zie-len der Bodenpolitik beträchtliche Ziel-konflikte auftreten können (die Pfeile inAbb. 2): Exemplarisch sollen nur einigewenige Zielkonflikte angesprochen wer-den:– So kann eine übermässige Beachtungdes Zieles «Schaffung räumlicher Vor-aussetzungen für die Wirtschaft» diehaushälterische Bodennutzung, die na-türlichen Lebensgrundlagen, das Agrar-

land oder die Siedlungsqualität beein-trächtigen.– Ein überrissener oder unzweckmässi-ger Mieterschutz, der die Rentabilitätvon Wohnungsmarktinvestitionen zustark verringert oder den Liegenschaf-tenhandel erschwert, kann den Woh-nungsbau bremsen und den Bodenmarktin seinen Funktionen stören.– Der Schutz der natürlichen Lebens-grundlagen und des Agrarlandes führtzu einer Verknappung und Verteuerungdes Bodens für Verwendungszwecke imSiedlungsbereich und kann damit sei-nerseits die wirtschaftlichen und woh-nungspolitischen Ziele der Bodenpolitikstören.

In der schweizerischen Diskussion umeine ökologisch nachhaltige Entwick-lung dominieren Themen wie unser Bei-trag zur CO2- oder zur Ozonlochpro-blematik. Die Bodenpolitik wird dabeiallzu schnell ausser acht gelassen. Da-bei bestehen enge Bezüge zwischenBodenpolitik und nachhaltiger Entwick-lung. Denn Strategien nachhaltiger Ent-wicklung bedürfen immer der Konkreti-sierung im Raum und in der Bodennut-zung, z. B. wenn es um die Definitionzukunftstauglicher Siedlungsstrukturenoder um die Flächensicherung für bo-denbeanspruchende Naturgüter geht.

Im folgenden wird zuerst etwas näherauf die schweizerische Bodenpolitik undderen Probleme eingegangen. Danachwerden die Begriffe «Nachhaltigkeit»und «nachhaltige Entwicklung» disku-tiert. Anschliessend wird auf die beidenwichtigsten bodenpolitisch relevantenMarktversagen eingegangen, welchebodenpolitisches Handeln des Staatesrechtfertigen (öffentliche Güter und ex-terne Effekte). Im darauffolgenden Ab-schnitt werden die besprochenen The-menkreise verknüpft, und es wird darge-legt, wie eine nachhaltige Bodenpolitikaussehen könnte. Zum Schluss folgeneinige abschliessende Bemerkungen.

Bodenpolitik und bodenpolitischeZielkonflikteBodenpolitik wird hier definiert als dieGesamtheit aller staatlichen Massnah-men, welche die Zuweisung des Bodensauf verschiedene Bodenverwendungs-zwecke und die Nutzungsweise regelnoder beeinflussen, sowie jener Mass-nahmen, welche die sich im Zusammen-hang mit der Bodennutzung ergeben-den Einkommens- und Vermögenspro-bleme regeln. Ein weiterer, wichtigerAspekt ist der Schutz des Bodens alsNaturelement in qualitativer Hinsicht,also der Schutz vor Verunreinigungen,Bodenerosion etc.

Bei der Bodenpolitik handelt es sichum einen äusserst komplexen Politik-bereich, der nicht unter einem Dach ver-einigt und koordiniert ist. Wegen derMultifunktionalität des Bodens mit sei-nen verschiedenen produktiven, agrari-schen und ökologischen Funktionen ist

Abb.1: Bodenpolitische Ziele der Schweiz(Quelle: Wachter 1993, S. 113).

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Angesichts der Vielzahl von Zielen,die teilweise miteinander in Wider-spruch stehen, ist die Bodenpolitikgezwungen, sich um die Austarierungvon wirtschaftlichen, ökologischen undsozialen Zielen zu bemühen. WelcheEmpfehlungen lassen sich hierzu ausder Nachhaltigkeitsdiskussion gewin-nen? Im folgenden wird nun der Fragenachgegangen, welche Handlungsleitli-nien sich aus der Nachhaltigkeitsdiskus-sion für die notwendige bodenpolitischeQuadratur des Kreises ableiten lassen.

Nachhaltigkeit und nachhaltigeEntwicklungIm deutschen Sprachraum entstand derBegriff «Nachhaltigkeit» im Zusammen-hang mit der Forstwirtschaft und bedeu-tet, dass nachhaltig über einen langenZeitraum hinweg eine nahezu gleichblei-bende Menge an Holz erzeugt wird. DasPrinzip der Nachhaltigkeit wurde im Laufdes 18. und 19. Jahrhunderts, ausge-hend von Deutschland, entwickelt und istheute anerkannte Maxime einer geregel-ten Forstwirtschaft. In diesem Fall istNachhaltigkeit ein recht eingeschränktesKonzept für die Nutzung einer einzel-nen, erneuerbaren Ressource und heisstalso, dass in einer Zeitperiode nichtmehr als die in dieser Zeit maximal nach-wachsende Menge genutzt wird.

Im internationalen Rahmen ist der eng-lische Ausdruck «Sustainability» bzw.«Sustainable Development» durch die

«World Commission on Environmentand Development» (1987) dank derenBericht «Our Common Future», demsog. Brundtland-Bericht, popularisiertworden. Der Begriff wurde dann vorallem auch im Zusammenhang mit derUNO-Konferenz über Entwicklung undUmwelt UNCED ’92 in Rio de Janeiroeiner breiten Bevölkerung ins Bewusst-sein gebracht.

Die Brundtland-Kommission definiertein ihrem Bericht von 1987 wie folgt:«Sustainable development is develop-ment that meets the needs of the presentwithout compromising the ability offuture generations to meet their ownneeds» (S. 43). Ferner: «Sustainabledevelopment is a process of change inwhich the exploitation of resources, thedirection of investments, the orientationof technological development and insti-tutional change are all in harmony andenhance both current and future poten-tial to meet human needs and aspira-tions» (S. 46).

Im Fall der Brundtland-Kommissionwird Nachhaltigkeit zum sozio-ökonomi-schen Konzept; der Begriff wird auf dieganze Gesellschaft übertragen. Hierwerfen sich gegenüber dem einfachenKonzept einer erneuerbaren Ressourceviele neue Fragen auf:– Was soll dauerhaft gemacht werden:Umwelt und Natur / die Industrieent-wicklung / die Konsumsteigerung? Die-se Aspekte schliessen sich gegenseitigeventuell aus.

– Neu kommt hier die Frage der nicht-erneuerbaren Ressourcen, z. B. der fos-silen Energieträger, dazu, von denenunser heutiges Wirtschaftssystem ab-hängig ist. Abb. 3 zum schweizerischenEnergieverbrauch von 1910 bis 1992ruft in Erinnerung, dass der schweizeri-sche Energiebedarf heute zu 83% durchnichterneuerbare Energieträger, näm-lich Erdölbrennstoffe, Treibstoffe, Gas,Uran für Atomstrom und Kohle, gedecktwird. Nichterneuerbare Ressourcen kön-nen grundsätzlich nicht nachhaltig ge-nutzt werden. Darf man sie brauchen?Wie soll man sie verbrauchen?– Sollen einzelne wirtschaftliche Akti-vitäten erhalten werden? Hier ist Wan-del allerdings, z. B. wegen neuer Tech-nologien, unabdingbar und kommt auchin der Brundtland-Definition klar zumAusdruck, wo «a process of change»,ein Wandlungsprozess, verlangt wird.– Dann spielt die Verteilungsproble-matik eine Rolle, d.h., wer hat Zugangzu den wirtschaftlichen und ökologi-schen Ressourcen? Für die unbefriedig-ten Bedürfnisse eines grossen Teils derMenschheit sind teilweise ja auch un-gleiche Verteilungsverhältnisse verant-wortlich.

Seit dem Erscheinen von «Our Com-mon Future», und vor allem auch imGefolge der UNCED ’92, sind unzähli-ge Publikationen verfasst worden, dieden Begriff der nachhaltigen Entwick-lung zu konkretisieren versuchten. AlsErgebnis soll hier lediglich festgehaltenwerden, dass es sich bei der nachhalti-gen Entwicklung / Sustainable Develop-ment um ein mehr-dimensionales Kon-zept handelt. Grundlegend ist der Ge-danke der ökologischen Nachhaltigkeit.Darüber hinaus ist entscheidend, dassdas ökologisch Notwendige auch öko-nomisch machbar ist. Die Idee der nach-haltigen Entwicklung beinhaltet gerade-zu, dass eine Wohlfahrtsverbesserungerreicht werden soll. Dazu können –zumindest bei ärmeren Bevölkerungs-schichten – auch Wohlstandssteigerun-gen beitragen. Damit ist eine weitereDimension angesprochen, die soziale.Weil der Begriff «Sustainable Develop-ment» aus der Entwicklungsländerdis-kussion stammt, ist in den meisten Ver-öffentlichungen dazu auch der Hinweis

Abb. 2: Mögliche Zielkonflikte der Boden-politik (Quelle: Wachter 1993, S.115).

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zu finden, dass das Los der Benach-teiligten verbessert werden soll, d.h.,die Entwicklung muss sozialverträglichsein.

Zum zentralen Aspekt der ökologi-schen Nachhaltigkeit sind heute in derWissenschaft eine Reihe von Kern-postulaten weitgehend anerkannt. Derfolgende Kriterienkatalog lehnt sich anVorschläge an, die die SchweizerischeGesellschaft für Umweltschutz in Zu-sammenarbeit mit dem Institut fürWirtschaft und Ökologie der Hoch-schule St. Gallen ausgearbeitet hat(Minsch 1993 und 1994) und die einegute Synthese der internationalen um-weltökonomischen Forschung darstel-len.1. Erneuerbare Ressourcen:Die Inanspruchnahme der erneuerbarenRessourcen ist so zu gestalten, dass dieNutzungsrate die natürliche Regenera-tionsrate nicht übersteigt.2. Absorptionsfähigkeit der Öko-systeme:Bei der Belastung der Umwelt durchAbfälle und Emissionen ist sicherzustel-len, dass die Verschmutzungsrate unterder Absorptionsrate der Umwelt liegt.

3. Gesunderhaltung der Biosystemeund Erhaltung der Artenvielfalt:Notwendige Voraussetzung für einenachhaltige Nutzung der Naturgüter istdie Gesunderhaltung der Biosysteme.Dies verlangt eine weitestmögliche Er-haltung der Artenvielfalt.4. Erhaltung einer lebenswerten,menschenwürdigen Kulturlandschaft:Die Kulturlandschaft besitzt neben wich-tigen ökologischen Funktionen auch dieRolle eines geschichtlichen Gedächtnis-ses der Gesellschaft. Der pfleglicheUmgang mit der Kulturlandschaft istsomit Element ökologischer Nachhaltig-keit wie auch der Erhaltung der Würdedes Menschen.5. Nichterneuerbare Ressourcen:Die Nutzung nichterneuerbarer Ressour-cen ist nur in dem Ausmasse zuge-lassen, als es gelingt, die gesamtwirt-schaftliche Ressourcenproduktivität ei-nes Landes so zu erhöhen, dass es trotzallfälligem Wirtschaftswachstum zu ei-nem absoluten Rückgang des Ver-brauchs an nichterneuerbaren Ressour-cen kommt.

Das erste Kriterium ist bodenpolitischrelevant, weil viele Bodennutzungen im

ökologischen und agrarischen Bereich(Wald, Agrarland) den Charakter vonerneuerbaren Ressourcen haben. Daszweite Kriterium ist bodenpolitisch rele-vant, weil der Boden als Naturelementin seiner Regelungsfunktion die natür-lichen Kreisläufe des Wassers, der Luft,der organischen und mineralischen Stof-fe regelt: er filtert, reinigt, baut ab undlagert. Das dritte Postulat ist von boden-politischer Bedeutung, weil der Bodenin seiner Lebensraumfunktion Lebens-grundlage für Mikroorganismen, Pflan-zen und Tiere ist, also Grundlage derBiosysteme, der Artenvielfalt, generellder Naturgüter. Auch beim vierten Krite-rium ist der Konnex zur Bodenpolitikoffensichtlich, denn Kulturlandschaftbenötigt Boden. Die nichterneuerbarenRessourcen schliesslich sind bodenpoli-tisch vor allem deshalb relevant, weilderen Verbrauch zu Bodenbelastungenführt. Der Verbrauch fossiler Energieträ-ger führt beispielsweise über das Ver-kehrswesen – mit 31% (1993) die gröss-te Komponente des schweizerischenEnergieverbrauchs – zu Flächenver-brauch, Zersiedlung der Landschaftoder Schadstoffbelastungen im Boden.

MarktversagenVon 1950 bis 1990 hat sich die über-baute Fläche der Schweiz mehr als ver-doppelt. In 40 Jahren hat damit unsereGesellschaft mindestens ebensoviel Bo-den überbaut und irreversibel verändertwie alle Generationen zuvor. GemässErgebnissen des Projektes «Raumbeob-achtung Schweiz» des Bundesamtes fürRaumplanung und des Bundesamtes fürUmwelt, Wald und Landschaft wurdenzwischen 1972 und 1983 für Siedlun-gen, Bauten, Anlagen, Strassen undWege jährlich 2900 ha, im Zeitraum1978 bis 1989 jährlich 2400 ha Bodenverbaut, d. h. ca. 7 ha pro Tag, 50 m2

pro Minute oder knapp 1m2 pro Sekun-de. Zusätzlich wurde der Landschafts-raum immer stärker durch qualitativeVeränderungen tangiert. Kleinstrukturenwie Baumgruppen, Obstbäume oderHecken, naturnahe Waldränder undspezielle Waldstandorte, Fliessgewäs-ser, Feuchtgebiete, ursprüngliche Gelän-

Abb. 3: Schweizerischer Endenergie-verbrauch 1910–1992 nach Energieträgern(Quelle: Schweizerische Gesamtenergie-statistik).

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deformen oder extensiv genutzte Flä-chen wurden in grosser Zahl zerstört.Rund das Doppelte der Fläche für Bau-ten und Anlagen geht der naturnahenLandschaft jährlich auf diese Weise ver-loren.

Wir leben also den genannten Kriteri-en nachhaltiger Entwicklung in bezugauf den Boden nicht nach. Dabei ist zuberücksichtigen, dass nicht nur man-gelnder guter Wille, sondern auchMarktversagen dafür verantwortlich ist.Der Bodenmarkt erfüllt verschiedeneVoraussetzungen für das Funktioniereneines Marktes nicht. Eine zentraleUnvollkommenheit des Bodenmarktesresultiert aus der Tatsache, dass wichti-ge Bodenfunktionen die Eigenschaftenvon öffentlichen oder Kollektivgüternhaben (Wachter 1993, S. 73 ff., Tschurt-schenthaler 1986).

Typischen Kollektivgut-Charakter wei-sen die erwähnten Regelungs- undLebensraumfunktionen des Bodens auf.Von der Nutzung dieser Güter profitie-ren alle Personen, ohne dafür direktetwas zu bezahlen. Wenn keine Mög-lichkeit besteht, vom Nutzen von öffent-lichen Gütern als Privatperson oderUnternehmen direkt in Form von Ein-kommen zu profitieren, entfällt derAnreiz zum Angebot dieser Güter. Eswird nach Möglichkeiten gesucht, mitdenen der Boden auf rentablere Weisegenutzt werden kann. UnüberbauteLandschaften sind somit aus der Sichtder bodenbesitzenden Personen im Ver-gleich zu überbauten Landschaftenweniger wert. Als Folge davon kommtes zu Übernutzungen des Bodens. DerStaat muss zur Korrektur dieses Markt-versagens und zur Gewährleistung deröffentlichen Güter in den Bodenmarktkorrigierend eingreifen, z. B. durch dieAusweisung von Landwirtschaftszonenund Schutzzonen für Natur und Land-schaft.

Ein anderes zentrales Marktversagen,das von bodenpolitischer Bedeutung ist,sind die externen Effekte im Umwelt-bereich (Wachter 1990 und 1993,S. 82 ff.). Negative externe Effekte sindKosten, die jemand, ohne sie selber zutragen, auf Dritte abwälzen kann. SindHandlungen mit negativen Externalitä-ten verknüpft, werden sie im Übermass

ausgeführt. Die hinlänglich bekannteKostenunterdeckung des Strassenver-kehrs (vor allem aufgrund der externenUmweltkosten) führt zu einer übermässi-gen Nachfrage nach Verkehrsleistungenund fördert das Ausufern der Städte, dieSub- und Desurbanisierung sowie diefunktionale Entmischung. Dadurch wirdder Konflikt mit den ökologischen Zielender Bodenpolitik verstärkt. Neben demVerkehrswesen ist auch die Landwirt-schaft zu erwähnen. Wegen des Einsat-zes von Hilfsstoffen, Dünger, Schäd-lingsbekämpfungsmitteln etc. ist sie inausgeprägtem Masse für die Boden-belastungen verantwortlich.

Neben den negativen Umweltexterna-litäten sind aber auch die positiven zuerwähnen. Positive externe Effekte sindLeistungen, die jemand für andere er-bringt, ohne dafür abgegolten zu wer-den. Sind Handlungen mit positivenExternalitäten verknüpft (ein Beispielwäre die Landschaftspflege durch Bau-ern), werden sie in zu geringem Masseausgeführt. Viele Leistungen der Forst-wirtschaft und einer multifunktionalenLandwirtschaft, wie z. B. Arbeiten imZusammenhang mit Landschaftspflegeoder die Produktionsbereitschaft für Zei-ten gestörter Nahrungsmittelzufuhr, ha-ben den Charakter positiver Externalitä-ten. Externe Effekte sollten korrigiert,internalisiert werden, indem die negati-ven den Verursachern angelastet, diepositiven den Urhebern entschädigt wer-den.

Nach all diesen theoretischen Erörte-rungen, die die Notwendigkeit desSchutzes der Regelungs- und Lebens-raumfunktionen des Bodens begründe-ten, bleibt natürlich die Frage des Wie-viel. Wieviel dieser nichtproduktivenBodenfunktionen wollen wir als Gesell-schaft sicherstellen? Es ist hier dieBewertungsproblematik angesprochen.Es fehlt hier der Platz, um intensiv aufdiesen Problemkreis einzugehen. Es solllediglich darauf hingewiesen werden,dass in der Umweltökonomie anerkanntist, dass beim Vorliegen von Unsicher-heiten und Irreversibilitäten, also wennwir die ökologischen Zusammenhängenoch nicht genau kennen oder wenngewisse Umweltnutzungen unumkehr-bar zu Verlusten der Umweltgüter füh-

ren, analog zu einer Versicherungsüber-legung sog. «safe minimum standards»anzustreben sind, d.h., dass man imZweifelsfall eher mehr als weniger Um-welt und Natur schützen sollte (Daly/Cobb 1989).

Nachhaltige BodenpolitikWie sind nun diese Aussagen zur öko-logischen Nachhaltigkeit im Rahmender bodenpolitischen Zielkonfliktdiskus-sion zu berücksichtigen? Im Buch «Bo-denmarktpolitik» (Wachter 1993) legteder Autor dieses Beitrages eine boden-politische Strategie dar, die unterRespektierung der wirtschaftlichen undsozialen Ziele der Bodenpolitik einemöglichst geringe Bodenbelastung undeinen möglichst geringen Bodenver-brauch bewirkt, also die wirtschaftli-chen, sozialen und ökologischen Zielezu versöhnen versucht.

1. SiedlungsbegrenzungErste und wichtigste Forderung ist einedefinitive Siedlungsbegrenzung. Sied-lungsbegrenzung bedeutet die strikteBegrenzung des Baugebietes, die demBauen am Siedlungsrand ein Ende setztund es vermehrt auf die Nutzungsreser-ven im Siedlungsraum ausrichtet. Sied-lungsbegrenzung bedeutet, dass zugrosse Bauzonen verkleinert werdenund das Siedlungsgebiet danach defini-tiv zu begrenzen ist.

Heute haben wir zu grosse Bauzonen,die nicht mit dem Raumplanungsgesetzkonform sind. Sie würden etwa für eineVerdoppelung der Bevölkerung bei dergegenwärtigen Art der Bodennutzungausreichen. Dabei schreibt das Raum-planungsgesetz in Artikel 15 vor, dassBauzonen Land umfassen sollen, dasbereits weitgehend überbaut ist odervoraussichtlich in den nächsten 15 Jah-ren benötigt wird. Und das Siedlungs-gebiet ist heute nicht definitiv begrenzt,weil gemäss Artikel 15 des Raumpla-nungsgesetzes die Bauzonen bei Bedarfimmer weiter ausgedehnt werden kön-nen.

Siedlungsbegrenzung ist nötig, umdie Nachhaltigkeitskriterien 1, 2, 3 und4 zu erfüllen, also Schutz erneuerbarerRessourcen, Schutz der Absorptions-

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fähigkeit der Ökosysteme, Biosystem-und Artenschutz sowie Kulturland-schaftsschutz.

Siedlungsbegrenzung ist aber auchwichtig zur Erfüllung von Kriterium 5,also zur Reduktion des Verbrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen. Denn einwichtiges Problem, das sich als Folgeder dispersen Besiedlung unseres Lan-des ergibt, ist deren Energieintensität.Disperse Einfamilienhausteppiche in derLandschaft sind nur schwer mit demöffentlichen Verkehr zu erschliessen undtragen deshalb zum weiteren Anstiegdes motorisierten Privatverkehrs bei.Dieser ist viel energieintensiver als deröffentliche Verkehr.

In diesem Zusammenhang darf manauch die hohen Infrastrukturkosten derdispersen Zersiedlung nicht vergessen,also den Aufwand für Erschliessung,Versorgung und Entsorgung, der für dieöffentliche Hand zu einer zunehmendenBelastung wird. Aus all diesen Erwä-gungen wäre ein Siedlungswesen mitkonzentrierten, verdichteten Siedlungenökologisch, aber auch volkswirtschaft-lich vorteilhafter.

In der Schweiz wehren sich übrigensoft die ländlichen Regionen und dieBerggebiete gegen die Siedlungsbe-grenzung. Sie argumentieren, dadurchwürden die noch weniger entwickel-ten Regionen in ihrer Entwicklungbegrenzt, nachdem die wirtschaftsstar-ken städtischen Räume ihre Naturaus-stattung bereits weitgehend verbrauchthätten. Dagegen ist einzuwenden, dassSiedlungsbegrenzung überhaupt nichtheisst, dass sämtliche Wirtschaftsent-wicklung in den grossen Agglomeratio-nen konzentriert und das restliche Landzu einem Naturpark umfunktioniert wer-den sollten. Vielmehr sollte man sichwieder vermehrt an dem schon längerbekannten Leitbild der konzentriertenDezentralisation orientieren. Das heisst,es ist eine Dezentralisation von Wirt-schaft und Gesellschaft anzustreben,aber mittels regionaler, verdichteterSchwerpunkte und einer Vernetzung derSchwerpunkte, insbesondere mit demöffentlichen Verkehr. Die Forderung derSiedlungsbegrenzung muss somit alsonicht mit regionalpolitischen Zielen imKonflikt stehen.

2. Internalisierung von Umwelt-externalitätenExterne Effekte sind ihren Urhebernanzulasten, um umweltschädigendeHandlungen, die im Übermass ausge-führt werden, zu vermindern. Die Inter-nalisierung der externen Kosten des Ver-kehrs stellt eine grundlegende Voraus-setzung und Rahmenbedingung einerrationalen Bodenpolitik dar, ohne dassdamit direkt in den Bodenmarkt regulie-rend eingegriffen wird. Auch in derLandwirtschaft sollten die negativenexternen Effekte internalisiert werden(z. B. mittels Lenkungsabgaben auf che-mischen Hilfsstoffen).

Aber auch die positiven Externalitätensind zu internalisieren, indem die Ur-heber dafür entschädigt werden, alsoz. B. die Landwirte für Landschaftspfle-ge. Dies wird seit 1993 vermehrt getan,seit in der Landwirtschaftspolitik neueDirektzahlungen für besondere ökologi-sche Leistungen gemäss Artikel 31b desLandwirtschaftsgesetzes eingeführt wur-den. Will die Gesellschaft diese Dienst-leistungen auch in Zukunft beanspru-chen, muss diese Politik weitergeführtund ausgebaut werden.

Mit Stossrichtung [2] werden dieNachhaltigkeitskriterien 1, 2, 3 und 4unterstützt, also Schutz erneuerbarerRessourcen, Schutz der Absorptions-fähigkeit der Ökosysteme, Biosystem-und Artenschutz sowie Kulturland-schaftsschutz.

3. Räumliche Konzepte des Natur-und LandschaftsschutzesFür einen nachhaltigen Natur- und Land-schaftsschutz genügt die Überlassungvon Restflächen nicht. Natur und Land-schaft sind zunehmend durch Isolierungder Naturinseln und durch fehlendenAustausch dazwischen gefährdet. Esbraucht dringend vernetzte naturnaheGebiete, um die Degradierung derNaturelemente zu vermindern. Damitwürden die Nachhaltigkeitskriterien 1,3 und 4 unterstützt, also Schutz erneu-erbarer Ressourcen, Biosystem-/Arten-schutz sowie Kulturlandschaftsschutz.Das Bundesamt für Umwelt, Waldund Landschaft und das Bundesamtfür Raumplanung arbeiten gegenwär-tig an einem Landschaftsschutzkonzept

Schweiz, das u. a. eine verstärkte Ver-netzung der Naturflächen bringen soll.Solche Massnahmen sind zu unterstüt-zen und zu fördern.

4. Flexibilisierung der Raumnutzunginnerhalb der SiedlungsgrenzenNach diesen drei primär ökologischorientierten Strategieelementen einernachhaltigen Bodenpolitik gilt es nunergänzend sicherzustellen, dass da-durch die ökonomischen und sozialenAspekte nicht über Gebühr tangiert wer-den. Es ist daran zu erinnern, dass dienachhaltige Entwicklung neben denökologischen auch die wirtschaftlichenund sozialen Erfordernisse abdeckenmuss.

Zunächst zur Ökonomie. Der Konfliktzwischen Bodennutzungen im Sied-lungsbereich und agrarischen bzw. öko-logischen Bodennutzungen vermindertsich, wenn man sich die Nutzungsreser-ven im Siedlungsraum vergegenwärtigt.Diese Reserven sind beträchtlich. Unter-suchungen im Rahmen des NationalenForschungsprogrammes «Boden» zeig-ten auf, dass in der Schweiz innerhalbder bestehenden Siedlungen nochgewaltige Flächenreserven vorhandensind. In und auf den bestehenden Wohn-gebäudevolumen fänden sich Nutz-flächenreserven für gegen 3 Mio. Ein-wohner und über 2 Mio. Wohnungen,ohne dass dafür unüberbautes Land –auch innerhalb von Bauzonen – bean-sprucht werden müsste (Gabathuler u. a.1990).

Auch die flächenmässigen Bedürfnis-se der Wirtschaft können innerhalb desheutigen überbauten Siedlungsgebietesbefriedigt werden. Im Bereich der indu-striell-gewerblichen Nutzungen und derDienstleistungen sind in den letzten Jah-ren aufgrund des beschleunigten Struk-turwandels und der Desindustrialisie-rung die Reserven stark gestiegen.Somit hat sich die Vereinbarkeit vonwirtschaftlichen und ökologischen Zie-len der Bodenpolitik weiter erhöht.

Für diese Stossrichtung werden Mass-nahmen benötigt, die die Nutzungs-intensivierung innerhalb des Bau- bzw.Siedlungsgebietes fördern und denBodenmarkt verflüssigen. Dazu sindz. B. zu zählen: Verkehrswertbesteue-

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rung von Bauland zur Bekämpfung derBodenhortung, Liberalisierung von Bau-vorschriften; Schaffung erhöhter Markt-transparenz auf dem Boden- und Immo-bilienmarkt oder Beschleunigung vonBaubewilligungsverfahren. Mit dieserStossrichtung wird der Wirtschaft inner-halb der ökologischen Grenzen Entfal-tungsspielraum gegeben.

Allerdings muss man sehen, dass derNutzungsverdichtung und Flexibilisie-rung auch gewisse Grenzen gesetztsind. In Wohngebieten kann einesolche Politik gut funktionierende Sozial-strukturen zerstören, wenn z. B. altein-gesessene Quartierbewohner aus ihrenWohnungen verdrängt werden. Es kannalso zu Konflikten mit der sozialenNachhaltigkeit kommen. Ferner ist auchzu bedenken, dass gewisse Dichte-oder Ausnützungsbeschränkungen öko-nomisch Sinn machen, nämlich umImmissionen wie z. B. Lärm zwischenGebäuden und Grundstücken in Gren-zen zu halten. Bei Nutzungsintensivie-rungen und Flexibilisierungen der Raum-nutzungen ist also ein behutsames Vor-gehen angebracht, das auf die konkre-ten lokalen Gegebenheiten Rücksichtnimmt.

5. Sozialer AusgleichSchliesslich ist noch der notwendigesoziale Ausgleich zu betonen, der jaeine wichtige Dimension der Nachhal-tigkeit darstellt. Die konsequente Verfol-gung der ökologischen Ziele der Boden-politik kann u. U. die sozialen Problemeverstärken, indem z. B. das Bodenange-bot für Wohnungsmarktinvestitionen ein-geschränkt wird. Bei den verteilungs-politischen Fragen steht heute ange-sichts seiner gesellschaftspolitischenBedeutung der Wohnungsmarkt im Vor-dergrund, obwohl es daneben nochandere wichtige verteilungspolitischeFragen gibt, z. B. im Zusammenhangmit der Besteuerung von Boden und vonEinkommen aus Bodenbesitz.

Heute wird in der Schweiz der Mieter-schutz bekanntlich mit einer Miss-brauchsgesetzgebung sowie mittels dersog. Kostenmiete angestrebt, die u. a.dazu führt, dass Altbaumieten im Ver-gleich zu Neubaumieten zu billig sind,d. h., es entsteht eine Spaltung des

Wohnungsmarktes nach Wohnungsjahr-gängen. Die Ökonomen haben dieseArt von Eingriffen in den Preisbildungs-prozess immer wieder kritisiert. Sie be-haupten beispielsweise, dass die tiefenAltbaumieten zu einer Verschwendungvon Wohnraum in Altbauten führten.Diese Hypothese hat die eidgenössischeStudienkommission Marktmiete in einerStudie zwar ausdrücklich widerlegt(Bundesamt für Wohnungswesen 1993).Dennoch fordern die Ökonomen immerwieder die Marktmiete, also die freieMietpreisbildung. Für die Unterstützungsozial Schwacher schlagen sie einegesonderte Massnahme vor, das sog.Wohngeld. Dieses käme gezielt nur denBedürftigen zugute, damit sie auf demdannzumal freien Wohnungsmarkt eineWohnung zu finden in der Lage wären,ohne dass damit Verzerrungen auf demWohnungsmarkt erzeugt würden. ZurMarktmiete sind gegenwärtig verschie-dene Vorstösse im Parlament hängig.Ob sie eingeführt wird ist momentannoch völlig offen. Unter Nachhaltigkeits-gesichtspunkten ist jedenfalls mit Nach-druck zu fordern, dass dabei der sozia-le Ausgleich ernst genommen wird.

SchlussBei der Darlegung der schweizerischenBodenpolitik zu Beginn dieses Beitrageswurde festgehalten, dass Bodenpolitikmehr als Raumplanung umfasse. Den-noch kommt natürlich der Raumplanungeine wichtige Funktion zu, indem sie vie-le Aspekte der Bodenpolitik abdeckt.Der Bund umschreibt im Raumplanungs-bericht 1987 sowie in den gegenwärtigin Bearbeitung befindlichen «Grund-zügen der Raumordnung Schweiz» dieZielsetzungen der Raumplanung wiefolgt (Bundesrat 1987, Bundesamt fürRaumplanung 1994):– Begrenzung des Siedlungswachstumsund bessere Ausnützung der Nutzungs-reserven innerhalb des Siedlungsrau-mes (Siedlungsentwicklung nach innen,Siedlungserneuerung),– Kulturlanderhaltung (Trennung vonSiedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet,Siedlungsbegrenzung),– ökologische Revitalisierung des Le-bensraumes,

– Erhaltung und Stärkung eines dezen-tralisierten Städtesystems (konzentrierteDezentralisation) und stärkere Vernet-zung mit dem öffentlichen Verkehr,

– Verbesserung der verkehrs- und kom-munikationstechnischen Einbindung inEuropa,

– Erhaltung der wirtschaftlichen Lebens-fähigkeit ländlicher Räume.

Die Zielsetzungen weisen eine starkeKongruenz mit den weiter oben aufge-stellten Grundsätzen nachhaltiger Bo-denpolitik auf, obwohl sie natürlichweitergehen, indem auch Aspekte derSiedlungsstruktur und der Regionalpoli-tik angesprochen werden. Es ist hier diewenig spektakuläre, aber politisch nichtminder bedeutsame Abschlussbemer-kung anzufügen, dass die Raumplanungeinen starken Nachhaltigkeitsbezughat. Man sollte sogar sagen: sie istKernelement einer Nachhaltigkeitspoli-tik. Sie darf nicht leichtfertig auf demAltar unüberlegter Deregulierung ge-opfert werden. Zwar ist die Raumpla-nung nie abgeschlossen und muss sichals prozessorientierte Planung immerwieder veränderten Rahmenbedingun-gen anpassen. Dies wurde auch imZusammenhang mit der Flexibilisierungder Raumnutzung innerhalb der Sied-lungsgrenzen betont. Aber Versuchen,die ökologischen Ziele und Instrumenteder Raumplanung aufzuweichen, wiez. B. Forderungen nach Lockerung desGrundsatzes der Trennung von Sied-lungs- und Nichtsiedlungsgebiet, ist ent-gegenzutreten, weil das Nichtsiedlungs-gebiet eine wichtige Funktion bei derBereitstellung öffentlicher Güter hat, woder Staat eine Eingriffsberechtigung inden Bodenmarkt besitzt.

Eine Umorientierung der schweizeri-schen Bodenpolitik im Sinne der in die-sem Beitrag genannten Grundsätze lässtsich nicht mit einfachen Handlungsemp-fehlungen und Schlagworten bewerk-stelligen. Vielmehr braucht es einen an-spruchsvollen Suchprozess, in dem De-regulierungen, Re-Regulierungen undneue Instrumente wichtige Elemente dar-stellen. Eine solche Umorientierung derBodenpolitik wird allerdings durch de-ren institutionelle Aufsplitterung auf un-zählige Sektoralpolitiken erschwert.

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Literatur

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Anmerkung

* Bei diesem Beitrag handelt es sich um eineleicht gekürzte, schriftliche Fassung derAntrittsvorlesung vom 27. November 1995als Privatdozent der Philosophischen FakultätII der Universität Zürich. Im Text wurden nurdort einige punktuelle Quellenhinweise ange-bracht, wo dies unerlässlich schien. Zusätz-lich wurde ein Literaturverzeichnis mit derwesentlichen verwendeten Literatur beige-fügt. Der Autor legt in diesem Beitrag seinenpersönlichen Standpunkt dar, der nicht inallen Punkten mit demjenigen seines Arbeit-gebers, des Bundesamtes für Raumplanung,übereinstimmen muss.

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DISP 124 17 1996W i l l i D i e t r i c h

Güterverkehr in Städten – raumplanerische Lösungsbeiträge

1. ProblemaufrissAuf der regionalen Planungsebene wur-de dem Güterverkehr in der Vergangen-heit wenig Beachtung geschenkt. Daskann nicht darüber hinwegtäuschen,dass die Warentransporte gerade imstädtischen Umfeld mit zahlreichen Pro-blemen zu kämpfen haben. Im Zuge derVergrösserung und Verdichtung derBallungsräume ist das Gütertransport-system und damit eine wichtige Stand-ortvoraussetzung für die Regionalwirt-schaft zunehmend unter Druck geraten.In dieser Situation ist auch die Raumpla-nung aufgerufen, im Rahmen ihrer Ein-flussnahme zukunftsweisende Entwick-lungen zu ermöglichen. Doch zuerst,welches sind die Probleme?

Die Liefertransporte machen in Bal-lungszentren 5 bis 15% des Verkehrs-aufkommens aus, sie gelten aber alsQuelle von 40 bis 80% der Luft- undLärmemissionen [1] (vgl. Abb. 5). DieRolle des Güterverkehrs wurde langeZeit unterschätzt, nicht zuletzt wegender im Vergleich zum Personenverkehrschlechten Datenlage.

Sicher werden in Zukunft technischeEntwicklungen, u. a. emissionsärmererAntriebsaggregate, den Trend ebenfallsbeeinflussen. Schon heute treten aberneben stadtökologischen Fragen Proble-me wie Erschliessung, Netzverknüp-fung, Transportketten, Normierung desFuhrparks und damit verbundene Fra-gen der Raumordnung in den Vorder-grund. Ein optimiertes Gütertransport-system weist wirtschaftlich interessanteAspekte auf, verbessert die Umweltqua-lität und ist von zunehmender Bedeu-tung für die Standortbilanz. [2]

2. Der Güterverkehr im neuenstädtischen KontextZwischen 1950 und 1994 stieg derWelthandel mit jährlich 6% um rundeinen Drittel stärker als die Weltproduk-tion mit jährlich rund 4%. Der globaleHandel ist in den letzten 45 Jahren umreal das 14fache und die entsprechendeProduktion um bloss das 51⁄2fache ge-wachsen. Das führt zur Feststellung,dass die weltweiten Interdependenzenund die gegenseitige Abhängigkeitdurch eine immer intensivere Verflech-

tung der Produktionsstufen gefördertwerden. [3] Diesem Trend zur Globali-sierung der Wirtschaft sind nicht nur dienationalen Wirtschaftsräume unterwor-fen, sondern in erheblichem Masseauch die Städte. Das anhaltendeWachstum des Verkehrs führt in Verbin-dung mit den neuen Formen der Ver-städterung zu einer Verschlechterungder güterverkehrlichen Rahmenbedin-gungen. Die Raumplanung ist deshalbaufgerufen, mit den Instrumenten derStadtentwicklung zu einer Verbesserungeben dieser Rahmenbedingungen bei-zutragen. Der Ist-Zustand des Güterver-kehrs in den Städten kann in vier Wir-kungskreisen beschrieben werden.

Erstens die Wirtschaftlichkeit: Güter-transporte sind gerade im Stadtverkehralles andere als gewinnbringend. Derwirtschaftliche Tiefgang der städtischenTransportwirtschaft hält schon seit eini-ger Zeit an. Nicht nur Luft- und Lärm-emissionen stellen eine Belastung dar,auch die fehlende Wirtschaftlichkeit derSammel- und Verteiltransporte ganz all-gemein. Im Klartext: Die Produktivitätdes Strassengüterverkehrs sinkt in derStadt ständig, seit der motorisierte Indi-vidualverkehr ab den siebziger Jahrenso dramatisch zugenommen hat. DieBahn bietet im Sammel- und Verteilver-kehr der Stadt in den allermeisten Fällenkeine wirtschaftliche Alternative an. Soist der Strassenverkehr zwar dominant,aber keineswegs rentabel, weil der ge-genseitige Behinderungsgrad zwischenPersonenverkehr und Güterverkehr mitder Verkehrslawine ebenfalls zugenom-men hat. Heute schätzt man den Pro-duktivitätsrückgang im Lieferverkehrwährend der letzten 15 Jahre auf 50%.[4]

Für die sinkende Produktivität ist nichtnur die Verkehrszunahme verantwort-lich. Weitere Einflüsse spielen eine Rol-le: Produktionsbedingungen (Abbau derLager zugunsten von Verkaufsfläche, fle-xible Lieferungen), Lieferbedingungen(spezielle Kundenwünsche, Sofortser-vice mit schlechter Auslastung, Wer-bung am Fahrzeug), Fracht (Vermei-dung von Transportschäden, geringerVerpakkungsaufwand, sperrige Güter,sachkundiger Ablad), gesetzliche Be-stimmungen (Gefahrgüter, Lebensmittel-

verordnung), Eigentransporte (hoheStandzeiten, geringer Anreiz für Wirt-schaftlichkeitsüberlegungen). [5]

Die Güterfeinverteilung schlägt ko-stenmässig vor allem in Städten negativzu Buche. Bei einer überregionalen Sen-dung fallen im Hauptlauf 30% derKosten an. Am kostenintensivsten sindaber Vor- und Nachlauf (Feinverteilung),besonders in den städtischen Verteil-gebieten. Bei Paketlieferungen machenallein die Kosten des Verteilverkehrsüber 50% der gesamten Lieferkostenaus, ohne entsprechend vergütet zu wer-den. [6] Weil der Lieferverkehr heute inden Städten nicht kostendeckend ist,muss er weitgehend quersubventioniertwerden. Vertrauenswürdige Studien ha-ben schon vor Jahren darauf aufmerk-sam gemacht. [7] Die innerbetriebli-che Transportrationalisierung vermochtewirtschaftliche Verluste in der Vergan-genheit noch zu kompensieren. DieseMöglichkeiten sind aber einmal ausge-reizt. Als weitergehende Strategie bietetsich die betriebsübergreifende Koopera-tion an. Ziel ist die Transportbündelungin bestimmten Teilräumen. Auf die Reali-sierungsmöglichkeiten derartiger Projek-te kommen wir im letzten Kapitel zurück.

Ein zweiter Grund für die ökonomischund ökologisch unvorteilhafte Entwick-lung des stadtbezogenen Güterverkehrsliegt im Strukturwandel der Agglomera-tionswirtschaften. Der Übergang vonder Industriegesellschaft in eine Dienst-leistungsgesellschaft ist in den Städtenam augenscheinlichsten. Entgegen derursprünglichen Erwartung ersetzen dieanschwellenden Informations- und Da-tenflüsse die ebenfalls zunehmendenTransportbewegungen und besondersdie Güterflüsse in keiner Art und Weise.Im Gegenteil, noch nehmen gleichzeitigmit den Kommunikationsleistungen auchdie Verkehrsleistungen von Gütern undPersonen zu.

Viele Leistungen, die heute von spe-zialisierten Unternehmen angebotenwerden, sind in der erwähnten Indu-striegesellschaft an den Produktions-orten selber, innerhalb der Hersteller-betriebe, erbracht worden. Zu diesenproduktionsorientierten Dienstleistungengehören beispielsweise die Finanzie-rung, Versicherungen, Werbung, Infor-

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matik und Schulung. Produktionsorien-tierte Dienstleistungen konzentrierensich stärker als alle anderen Branchenin den Agglomerationskernen. Die distri-butiven Dienstleistungen (Transportwirt-schaft, Zustelldienste, Lagerbewirtschaf-tung, Grosshandel und Kommunikation)belegen wie die produktionsorientiertenDienstleistungen wichtige Positionen inder wirtschaftlichen Arbeitsteilung.Auch distributive Dienstleistungen wer-den in grosser Konzentration in dendichtbesiedelten Ballungszentren undin den metropolitanen Regionen derSchweiz erbracht.

Produktionsorientierte und distributiveDienstleistungen garantieren die lokaleAnpassung an eine global ausgerichteteLeistungsnachfrage (Metropolisierung).Zur Erfüllung dieser wichtigen Standort-funktion sind sie auf ein ausgesprochenurbanes Umfeld mit entsprechendenQualitätsmerkmalen angewiesen. Dazugehört auch ein stadtverträglicherGüterverkehr. Die Zentrumsaffinität derGütertransportangebote ist hoch. Dasgilt im allgemeinen auch für raumexten-sive Tätigkeiten wie Umschlag der Sen-dungen und Lagerlogistik.

Die aktuelle Zentrumsaffinität der wirt-schaftlichen Träger des Güterverkehrshängt erstens mit der gesuchten Arbeits-marktumgebung zusammen. Die Bran-che ist auf breite Qualifikationen im Ein-satz neuer Technologien angewiesen.Im weiteren sinken die Frachtanteile derMassengüter zugunsten der zusammen-gesetzten Ladungen und Stückgüter.Diese Marktentwicklung ist insbesonde-re in den Ballungsräumen spürbar. Hierganz besonders steigt der Aufwand, dergetrieben werden muss, damit die Trans-portladungen optimiert zusammenge-setzt und die Ladungskapazitäten wirt-schaftlich genutzt, d. h. gut ausgelastetwerden können. Dazu kommen die Ex-pressdienste, ein Marktbereich mit aus-serordentlichen Wachstumsraten, der inganz ausgeprägtem Masse auf die inter-nationalen Zentren ausgerichtet ist. DieDistributionslogistik der Expressdienstebasiert auf einer global vernetzten Stütz-punktstruktur, über die alle Güterbewe-gungen laufen und von wo aus dieregionalen und lokalen Verteil- und Sam-meltransporte getätigt werden. Das

zugrundeliegende Prinzip gleicht einerbestimmten Anzahl weit auseinanderlie-gender Naben, die jeweils von einemKranz aus Speichen umgeben sind.Dank schnellen Transportverbindungenzwischen Grosszentren (Naben) kannauch kurzfristig Kundenwünschen imglobalen Rahmen entsprochen werden.In einem transnationalen Bezugsgefügemit kurzen Ansprechzeiten vereinigt dieNaben-Speichen-Figur ganz deutlicheLeistungsvorteile. Allerdings darf keine

Minimierung von Transportdistanz undFahrleistung erwartet werden. DieseNetzstruktur wird für die Gütertransport-kette allem Anschein nach von zuneh-mender Bedeutung werden.

Der dritte Problemherd im Güterver-kehr der Städte zeigt sich in der Trans-portwirtschaft selber. Die Liberalisierungder europäischen Wirtschaft wird inhohem Masse von den Metropolen undgrösseren Ballungsräumen getragen.Die in diesen Räumen lokalisierte Trans-

Abb. 1: Index für Standortaffinität(CH = 1.0) der distributiven und produktions-orientierten Dienstleistungen.

Abb. 2: Netzstruktur mit metropolitanen Stadt-regionen, nach dem Nabe-/Speiche-Modell.

Abb.3: Eigen- und Fremdtransporte imGüterverkehr.

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portwirtschaft spielt in der Deregulie-rungsdebatte eine sensible, aktive Rolle.Die Ausweitung der Freiheiten im Güter-verkehr bringt Neuerungen bei dergrenzüberschreitenden Zuordnung vonKontingenten (Kabotage), bei der Nor-mierung und bei der Infrastrukturbewirt-schaftung. Ein solcher Strukturwandelwiederum hinterlässt Spuren in Formeines angespannten Preiskampfes. Dar-unter leidet das lokale Transportgewer-be und ganz besonders die städtischverankerte Transportwirtschaft. Ein Aus-weg aus dieser Situation bieten oft Fir-menfusionen und Übernahmen, die inder Branche rasch voranschreiten.

Die städtische Transportwirtschaft istein Musterbeispiel für die Raumfigur derzentralen Dekonzentration. Nehmen wirals Beispiel die Agglomeration Zürich.Die Gütertransportbranche ist mehrheit-lich an der aufkommensstärksten Achse,nämlich im Limmattal, nahe der Stadt-grenze, lokalisiert. Das ist plausibel. Diekernstädtischen Verhältnisse sind fürmanche Strassentransporteure nicht nurzu teuer, sondern auch zu eng (Lade-,Umschlag- und Parkfläche). Und zudemist die Nachfrage nach professionellenTransportangeboten in den Städtenklein. Dagegen ist hier der Anteil derEigentransporte sehr hoch. Das sindGütertransporte, die mit dem eigenen(meist kleinen) Fuhrpark der Firma aus-geführt werden. Dies ist erstaunlich, sinddoch die meisten Eigentransporte nach-weislich unrentabel. [8] Hier tritt wohlnoch eine industriegesellschaftliche Erb-last zutage, die darin besteht, das Erfor-dernis nach Kundennähe ausgerechnetmit logistischen Eigenmitteln umsetzenzu wollen (Werk- und Eigenverkehr).

Ein vierter Punkt charakterisiert dieBeziehung zwischen Verstädterung undGüterverkehr: der Güterumsatz alsKreislauf. Mit der wirtschaftlich und öko-logisch motivierten Rückgewinnung vonWerkstoffen werden zusätzliche Entsor-gungstransporte nötig. Die Rückführungvon rezyklierbaren Stoffen ruft nach neu-en Transportangeboten in den bevölke-rungsreichen Ballungsräumen. Beim Ver-braucher nehmen die Abfälle ab, anden Verkaufspunkten und bei den Pro-duzenten aber zu, verbunden mit einerVielzahl neuer spezifischer Transport-

bedürfnisse. Als Folge entstehen neueRücknahmetransporte im Zusammen-hang mit der Verwertung.

Die Anforderungen von Wirtschaftund Umwelt sind zunehmend dem Kreis-laufprinzip verpflichtet. Die Güterbeför-derung darf aber nicht auf immer grös-ser werdende Verkehrsströme ausgelegtwerden. Denn es ist ja u. a. die steigen-de Verkehrsmenge, die sich spürbarnegativ auf die Produktivität der Sam-mel- und Verteiltransporte auswirkt. Alsorufen im problematischen städtischenVerkehrsumfeld folgerichtig gerade dieRücknahmeverkehre nach einer wirk-samen Transportoptimierung. Eine sol-che Optimierung, z. B. im Sinne einerAbstimmung von Verteil- und Rücknah-metransporten, hat eine grössere Paa-rigkeit der Transportströme, d. h. bes-sere Voraussetzungen für die Fahr-zeugauslastung und damit eine Verrin-gerung des Verkehrsaufkommens undeine Entlastung des Stadtverkehrs, zurFolge. Ganz allgemein legt es derGüterverkehr nahe, die Waren- undStoffkreisläufe und die damit verbunde-nen Leistungen und Wirkungen zu bilan-zieren. Dabei müssen auch im SystemGüterverkehr interne und externe Kostenund Nutzen unterschieden werden.

3. Kostenwahrheit für die Warenbe-förderung in StädtenDie wirtschaftspolitische Lösung für dieFrage der Kostenwahrheit steht hiernicht zur Diskussion. Uns interessiert dieFachmeinung, wonach im Güterverkehrhohe, ungedeckte Effekte anfallen(Lärm, Unfälle, Gebäudeschäden), zuderen Abgeltung keine marktwirtschaftli-chen Einrichtungen zur Verfügung ste-hen. Beim Gütertransportsystem stehendie belastenden Negativeffekte (Kosten)

im Vordergrund, weil praktisch keineunabgegoltenen (positiven) Nutzen vor-liegen. [9] Als Beispiel solcher Negativ-effekte sei neben der vielzitierten Luft-verschmutzung durch die Lastwagenderen hohe Lärmbelastung erwähnt. Einvorbeifahrender einzelner Lastwagen istheute 10- bis 20mal lauter als ein ein-zelner Personenwagen. Der Unterschiedist gerade innerorts aber spürbar höherals ausserhalb der Siedlungen. Ein Last-wagenanteil von 10% an der Fahrzeug-zahl einer Strasse hat fast den gleichenEffekt auf die Lärmemissionen (+3dB[A]) wie eine Verdoppelung der indivi-duellen Personenfahrzeuge. Innerortsführt bereits ein Lastwagenanteil von4% zu einer Lärmerhöhung, wie sie eineVerdoppelung des individuellen Motor-fahrzeugverkehrs erzeugen würde. [10]

In der Schweiz betragen die externenUnfall- und Umweltkosten des Strassen-und Schienenverkehrs insgesamt 1800Mio. Fr. (ohne Infrastruktur- und Betriebs-kosten). Lärmeffekte verursachen diegrössten Aufwendungen zur externenKostendeckung, gefolgt von den Unfall-kosten und den Gebäudeschäden. Mitfast 94% entfällt der Löwenanteil aufden Strassenverkehr. Der Güterverkehrschlägt besonders bei den Gebäude-schäden zu Buche.

Die Schäden oder externen Kostenbei Unfällen und Umwelt sind beim Per-sonentransport 2,5mal höher als beimGütertransport. Dies hängt mit demhohen Anteil des Personenverkehrs anden gesamten Fahrleistungen zusam-men. Bezieht man sich aber auf die Lei-stung bei den einzelnen Verkehrsmitteln,so ändert sich das Bild. Die externenUnfall- und Umweltkosten betragen beiden Nutzfahrzeugen über 0.03 Fr. proTonnen-Kilometer, bei den Personen-wagen aber 0.01 Fr.

Abb. 4: Mehrtransporte zur Rückgewinnungvon Wertstoffen.

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Solche u. ä. Betrachtungen sind auchfür einzelne Agglomerationen ange-stellt worden. In der AgglomerationZürich betragen die externen Verkehrs-kosten etwa 1,5 Mrd. Fr. im Jahr (Infra-struktur- und Staukosten mitgezählt,Grundlage 1990). Dieser Betrag von1,5 Mrd. Fr. fällt zur Hälfte in der Kern-stadt Zürich an und zur anderen Hälftein den Agglomerationsgemeinden. ProKopf der Agglomerationsbevölkerungsind dies 1800 Fr. pro Jahr. Für jedenFranken, den ein Betrieb für einen Last-wagen aufwendet, schiesst die Allge-meinheit in der Agglomeration Zürichzwei zusätzliche Franken ein. Diesezwei Franken entsprechen den unge-deckten sozialen Kosten, die bei denInfrastrukturen, bei Staus und in derUmwelt entstehen. Beim Personen-wagenlenker fallen auf jeden privatenFranken 1.5 Fr. öffentliche Aufwendun-gen an. Im Vergleich zahlt die Allge-meinheit für jeden Franken, den einBahnbenützer für sein Billett ausgibt,zusätzlich noch 0.8 Fr.

Ähnliche Berechnungen hat man füreine mittelgrosse Stadt (Neuenburg)angestellt. Die externen Unfall- undUmweltkosten (ohne Infrastruktur- und

Staukosten) machen hier 495 Fr. proEinwohner aus. 20% dieser Kosten ent-fallen auf den Lastwagenverkehr, 63%auf den Personenwagenverkehr. Um sei-ne verursachten Umweltkosten zudecken, müsste ein Lastwagen in derStadt Neuenburg pro Fahrzeugkilome-ter 0.30 Fr. bezahlen, ein Personenwa-gen 0.07 Fr., ein Motorrad 0.25 Fr., einStadtbus 0.32 Fr. und ein Trollyebus0.13 Fr. Die klassischen Fahrzeuge desGüterverkehrs verursachen also vonallen Fahrzeugen deutlich am meistenexterne Kosten im Stadtverkehr.

Aus den bisherigen Untersuchungengeht hervor, dass die externen unge-deckten Kosten in der Kernstadt bedeu-tend höher sind als in der Agglomera-tion. Aufgrund der engen und schwieri-gen Verkehrsverhältnisse kommen inden Kernstädten immer mehr Liefer-wagen zum Einsatz. Gerade bei denLieferwagen sind aber die ökologischenund energetischen Kennziffern protransportierter Einheit besonders ungün-stig. Aus planerischer Sicht können Ein-zelbefunde nicht überstrapaziert wer-den. Wichtig scheint eine Beurteilungim Gesamtverband der zu einem Zeit-punkt vorhandenen Argumente. Deshalb

soll im folgenden das Verkehrsaufkom-men näher beleuchtet werden.

4. Verkehrsaufkommenund TransportaufwandDer Güterverkehr ist in der Stadt zu gut40% am verkehrsspezifischen Energie-konsum und an der Schadstofffrachtbeteiligt. [11] [12] Sein Anteil an derVerkehrsleistung in den Städten wirdverschiedenen Quellen zufolge mit10–15% angegeben. [13] Sowohl Pro-gnosen als auch Zählungen weisen einekontinuierlich ansteigende Fahrleistungfür die Warenbeförderung nach, unddies ganz besonders im Strassengüter-verkehr. Das Bild ist unterschiedlich jenach Distanzbereich. Der Güterfernver-kehr (Bahn und Strasse) hat sich im Tran-sitland Schweiz zwischen 1960 und1986 (letzte ausgewertete Güterver-kehrszählung) mehr als vervierfacht.Gleichzeitig hat sich der Güternahver-kehr im 50-km-Bereich verdoppelt. DerGüternahverkehr ist um den Faktor 0,43langsamer gewachsen als der Güter-fernverkehr. Allerdings ist der Strassen-anteil im Güternahverkehr naturgemässganz markant höher als im Güterfern-verkehr oder im alpenquerenden Tran-sitverkehr.

In besagter Periode, und noch ausge-prägter in den 90er Jahren, hat sich derGüterbahnanteil ganz allgemein zurück-gebildet, wogegen der Güterstrassenan-teil kräftig zulegte. Diese Feststellunggilt für alle Distanzbereiche. Im Güter-verkehr der Stadt Zürich schätzt manden Rückgang bei den bahnseitigenGütertransporten zwischen 1992 und1994 auf 4%. Dabei ist der Bahnanteilam gesamten Güterverkehr gering. AlsBeispiel sei wieder die Stadt Züricherwähnt, wo die Schiene im Export/Import 1,1 Mio. Tonnen befördert, dieStrasse aber 7,5 Mio. [14] Vergleichtman den Binnen- und Transitverkehroder gar die km-Fahrleistung pro Tonne,so schrumpft der Bahnanteil nochmalsganz erheblich.

Zahlen sind wichtig und geben An-haltspunkte, aber sie sind nicht un-abhängig von den zugrundeliegendenDefinitionen. In der Regel bezieht sichder Güterverkehr auf die mit speziellen

Abb. 5: Fahrzeug-km und Schadstoffemissionim Stadtverkehr.

Abb. 6: Externe Kosten von Personen- undGüterverkehr.

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Nutzfahrzeugen beförderten Warenaller Art. Als Transportgefässe im Güter-verkehr werden dabei Lastwagen, Last-züge, Sattelschlepper, Lieferwagen(Mindestnutzlast, z. B. 1 Tonne) undbahnseitig die Güterwagen aufgeführt.Mit diesen Fahrzeugen wird der Liefer-verkehr im engeren Sinn bestritten. Erumfasst im Stadtgebiet grossräumigeKnotenpunktverkehre und lokale Vertei-lerverkehre, die sich als Binnen-, Ziel-,Quell- oder Durchgangsverkehr für dasbetreffende Gebiet darstellen.

Viele Autoren rechnen den Personen-wirtschaftsverkehr ebenfalls zum Güter-verkehr. [15] Damit sind die Fahrten «inAusübung des Berufs und der dazuerforderlichen Warenbeförderung» ge-meint. Der Pendlerverkehr von und nachder Arbeit wird davon ausgenommen,nicht aber der Geschäfts- und Dienstrei-severkehr (z. B. Handelsvertreter, Ser-vicefahrten, Notfalldienste, Notärzte)und der Einkaufsverkehr. Würde mandiese Personenwirtschaftsverkehre inden Städten auch noch dazurechnen, sowürde die Fahrleistung des Güterver-kehrs insgesamt doppelt so hoch ausfal-len. So gesehen betrüge die geschätzteFahrleistung in der Stadt Zürich bei-spielsweise 300 Mio. Fahrzeugkilome-ter auf der Strasse, während man denVerkehrsaufwand für den Lieferverkehrim engen Sinn mit rund 150 Mio. Fahr-zeugkilometern angibt. Rund die Hälfteder Motorfahrzeugleistung im Personen-wirtschaftsverkehr entfällt auf den Ein-kaufsverkehr. [16]

Die Lieferdichte der Fahrzeuge ist eineumweltrelevante Grösse. Wenn der Aus-lastungsgrad klein und die Tourenschlecht optimiert sind, ist die Lieferdich-te klein, und die Transportleistung protransportierter Gewichtseinheit ist ent-sprechend gross. Es ist deshalb wirt-schaftlich und ökonomisch sinnvoll, dieLieferdichte möglichst anzuheben: näm-lich durch Tourenoptimierung, durcheinen besseren Auslastungsgrad derFahrzeuge oder durch eine Reduktionder Leerfahrten (Paarigkeit der Trans-porte). Für ein Einzelunternehmen stelltsich dies als sehr schwieriges Unterfan-

gen heraus, da ihr Frachtaufkommengering ist. Fast unmöglich ist eine wir-kungsvolle Transportoptimierung (hoheAuslastung) für Betriebe mit vielenEigentransporten. Gemeint sind (meistkleinere) Betriebe, die ein oder mehrereNutzfahrzeuge für ihre Transportbedürf-nisse halten. In Städten sind diese ein-zelbetrieblich kaum zu optimierendenAn- und Auslieferungen im Eigentrans-port weit verbreitet.

Mit Eigentransporten werden z. B. inder Stadt Zürich über 2⁄3 der Gesamt-tonnage befördert und gut 90% allerFahrten bestritten. Besonders häufig trittdiese Transportform im Lieferverkehrkleinerer und mittlerer Betriebe in Er-scheinung, wobei der Lieferwagen klardominiert. Die professionellen Transpor-teure (Transportgewerbe) hätten weitbessere Voraussetzungen für gut aus-gelastete Ladungszusammensetzungen.Doch ihr Anteil am Fahrtenaufkommenim Güterverkehr der Stadt ist mit 7%gering. Die restlichen 3% der Fahrtensteuern die Fahrzeuge der städtischenWerke bei (vgl. Abb. 3).

In der grössten Kernstadt der Schweizwerden 60% aller Transporte mit Liefer-wagen (bis 3,5 t Gesamtgewicht) bestrit-ten. [17] Deren Auslastung (ohne Leer-fahrten) ist gemäss Experten gering undwird mit 28,2% angegeben. [18] In die-se schlecht ausgelastete Transportkate-gorie fallen häufig die Firmenfahrzeugeim Eigentransport. Die verbleibenden40% verteilen sich auf mittlere und gros-se Lastwagen. Darunter fallen die Werk-verkehre (Auslastungsgrad 37,6% [19],die Filialistenverkehre (z. B. Grossver-teiler, Auslastungsgrad 68,4%) undschliesslich die gewerbliche Transport-wirtschaft (Auslastungsgrad 72,6%).Die Leerfahrten sind in diesen Zahlennicht mitgerechnet und schlagen in derStadt mit 33% der km-Fahrleistung zuBuche.

Das Güterverkehrsaufkommen auf derStrasse belastet die städtischen Zielge-biete überdurchschnittlich. So werdenausserhalb der Stadt die Fahrzeuge in93% der Fälle auf Privatgelände be- undentladen. Bei den Lieferpunkten in der

Stadt finden aber fast 40% aller Lade-vorgänge im öffentlichen Raum (Strasse,Fussgängerzone) statt [20], was dasVerkehrsgeschehen beeinträchtigt. [21][22]

Ein hoher Anteil des Güterverkehrsbesteht aus Direktfahrten, sei es zwi-schen Flächennutzungen in der Stadtselber (Binnenverkehr) oder von/nachaussen (Ziel-/Quellverkehr). Dadurchentstehen zusätzliche unpaarige Strö-me, die zu erhöhtem Transportaufwandführen. Ein erstrebenswertes Optimie-rungsziel, nämlich die Paarigkeit derTransportströme zu vergrössern, lässtsich nur durch geeignete Formen derTransportkoordination erreichen, z. B.durch einen zusätzlichen Umschlag imzielnahen Raum. Durch organisatori-sche, infrastrukturelle und technischeMassnahmen in den Städten, so rech-nen aktuelle Untersuchungen vor, kön-nen Fahrteinsparungen zwischen 30 bis60% verwirklicht werden. [23]

5. Planung und lokale Rahmen-bedingungenWenn solche Handlungsspielräume ge-mäss Expertisen wirklich vorhandensind, stellt sich die praktische Frage, wiesie zu nutzen wären. Die aktuelle Dis-kussion macht deutlich, dass eine Ein-flussnahme der öffentlichen Hand uner-lässlich und neue Rahmenbedingungenin den aufkommensstärksten Verdich-tungsgebieten des schweizerischenStädtesystems erwünscht sind. Massnah-men sind in jenen Bereichen vorrangig,wo lokale Randbedingungen für opti-mierte wettbewerbsfähige Gütertrans-porte finanzierbar und mit der Möglich-keit nach mehr Ökoeffizienz verträglichsind. Der städtische Handlungsspiel-raum schliesst eine direkte normsetzen-de Aktivität in verschiedenen Zielberei-chen aus, z. B. bei der Kostenwahrheitoder bei den Anforderungen an dieFahrzeuge und Treibstoffe.

In den Städten geht es darum, erstensden vorhandenen Verkehrsraum optimalauszunützen und zweitens eine umwelt-wirksame Dämpfung und Verlagerungder Verkehrsnachfrage zu bewirken.Planerische und betriebliche Mittel der

Abb. 7: Kostenaufwand im Vergleich.

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Verkehrsbeeinflussung müssen gemein-sam ins Spiel gebracht werden.

Die Wahl eines dieser Ansätzebedingt, dass man sich in Politik undFachplanung über konkret anzustreben-de Ziele einig wird. Die im folgendenaufgeführten Zielbereiche wurden bei-spielsweise vom Zürcher Stadtrat als dieseinen anerkannt [24], nach eingehen-den Gesprächen mit der Transportwirt-schaft, mit Verladern und Empfängernvon Warenlieferungen, öffentlichen Ver-waltungen und Beratungsfirmen.

Diese Ziele sind allgemeiner Natur.Sie sprechen Interessenkonflikte an,ohne schon Lösungen bereitzuhalten.Dazu ist es nötig, aus der Sicht derregionalen Ressourcen und Randbedin-gungen Schwerpunkte zu bilden undLösungen dort anzusteuern, wo der Wil-le zur Verwirklichung der Erfordernisseder Raumentwicklung dies verlangt. Sol-che regionalen Schwerpunkte oderGrundsätze können durch einen mode-rierten Meinungsbildungsprozess aus-

gelotet und gestärkt werden (z. B. Güter-verkehrsrunden [25]). Die dabei gewon-nenen Einsichten führen in der Folge zurSelektion bestimmter erfolgversprechen-der Massnahmenfelder.

Für ein solches Auswahlverfahren ste-hen heute mehrere konkrete Beispielezur Verfügung. Die Stadt Bern plant inenger Anlehnung an den Massnahmen-plan Luft ein Güterverkehrskonzept.[26] Zusätzlich zielt eine öffentlicheInitiative auf die Schaffung von über-betrieblichen Transportangeboten in derAn- und Auslieferung ab. Die StadtZürich hat sich vorgenommen, die Trans-portoptimierung im Güterverkehr aufverschiedenen Ebenen zu unterstützen.Dazu gehört das eigene Beispiel, näm-lich die Einsatzoptimierung im stadt-eigenen Fuhrpark, dann aber auch dieFörderung betriebsübergreifender Pilot-projekte [27], die Gestaltung von Liefer-regimes in Fussgängerzonen, die Aus-schöpfung aller sinnvollen Nutzungs-möglichkeiten für die vorhandenen Indu-

striegleise, die Evaluation der heute gül-tigen Auflagen im Baustellenverkehr undschliesslich der aktive Beitrag in bundes-weiten Aktionsprogrammen. [28]

In Schweizer Städten werden auf dreiEbenen Massnahmen ernsthaft ins Augegefasst: auf dem Gebiet der Ausrüstungund des Einsatzes öffentlicher Fuhrparks(private sind weitgehend auf Bundes-bestimmungen ausgerichtet), bei den or-ganisatorischen Massnahmen zur Trans-portoptimierung (z. B. betriebsübergrei-fende Lieferkoordination) und schliess-lich bei den Infrastrukturen für umwelt-schonende und ressourcensparendeTransportketten (z. B. Terminals zurSchliessung kombinierter Transportket-ten und Standortevaluation von offenzugänglichen Umschlagstellen im Richt-planverfahren).

Geeignete Massnahmen sind auf dielokalen und regionalen Randbedingun-gen abgestimmt und variieren dement-sprechend. Die Kriterien zur Beurteilungder Wirksamkeit von Massnahmen müs-sen deshalb frühzeitig bestimmt werden.Die Stadt Zürich möchte beispielsweisedie Ergebnisse daran messen, ob Trans-portbündelung zu ressourcenschonen-den stadtverträglicheren Transportkettenführt, ob die gewerblichen Angebotegegenüber dem schlecht ausgelastetenEigentransport wirkliche Marktchancenerhalten und ob die Transportsicherheitgewährleistet bleibt.

ZusammenfassungDie Güterverkehrsplanung in den Städ-ten setzt voraus, dass man jeden Einzel-fall vor dem Hintergrund der Entwick-lungsmöglichkeiten und Erfordernissedes Städtesystems beurteilt. Heute si-gnalisieren die wesentlichen Marktkräf-te einen tiefgreifenden Trendbruch imSystem der Gütertransporte. Für dieRaumplanung ergeben sich daraus zweiKonsequenzen. Erstens sind die metro-politanen Gebiete in besonderem Mas-se betroffen. Denn hier treten die tra-genden Infrastrukturen und Organisati-onsformen des Güterverkehrs direkt alsStandortfaktor in Erscheinung.

Die Transportwirtschaft ist in diesenGebieten auf geeignete Arbeits- undVerkehrsflächen angewiesen.

Abb. 8: Ansätze zur Verkehrsbeeinflussung.

Abb. 9: Ziele im regionalen Kontext.

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Zweitens ist die Raumplanung auf-gerufen, die wirtschaftliche und ökolo-gische Effizienzsteigerung im Güterver-kehr für eine bessere Stadtverträglich-keit zu nutzen. Die Globalisierung derWirtschaft, die jährlich wachsendenWarenströme und die stark gestiegenenAnsprüche an die Warenbeförderungzeigen, dass der Güterverkehr alswesentliches Merkmal von Zentralitätnicht unterschätzt werden darf. DieStädte stehen heute vor der Herausfor-derung, die wirtschaftliche und ökologi-sche Effizienz des Güterverkehrs aufverschiedenen Ebenen und mit geeigne-ten Instrumenten zu fördern. Die An-sprüche von Wirtschaft und Stadtökolo-gie widersprechen sich auf weitenStrecken nicht. Für die Zielsetzungender Raumentwicklung ist Handlungs-spielraum vorhanden. VordergründigeAufgabe ist es, auf die Güterverkehrs-zunahme und auf die starke Flächen-substitution von Lägern hin zu Verkaufs-funktionen mit Optimierungsstrategienzu reagieren. Je nach Ausgangssitua-tion ist der Ansatz bei Fahrzeugen undFuhrparkzusammensetzung, beim Um-schlag, beim kombinierten Verkehr oderbei neuen kooperationsorientierten An-geboten zu suchen.

Die Entwicklungsziele und die lokalenRahmenbedingungen hängen von derGrösse und der Wirtschaftsstruktur derStadt ab. Um die oben aufgeführtenProbleme einer Lösung zuzuführen, isteine wirkungsvolle Umsetzung der Zielenötig. Dazu muss die Verantwortungbesser auf die involvierten Akteure ver-teilt werden. Bei der grossen räumlichenZersplitterung der Akteure ist dies nichteinfach. Das abgestimmte Vorgehen aufverschiedenen politischen Ebenenscheint heute ein besonders vielverspre-chender Weg. Die Städte können imRahmen der Mittel, die ihnen zur Umset-zung der raumplanerischen Leitbilderzur Verfügung stehen, einen beispielhaf-ten Baustein zur nachhaltigen Entwick-lung beisteuern.

Anmerkungen

[1] Insbesondere Luftreinhalteplan Stuttgart1988.[2] Wirtschaftliche Chance Umweltschutz(1994), Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe Wirt-schaftspolitik, Nr. 70.[3] WTO (1995), Genf.[4] Ruske, W. (1995), Städtischer Wirt-schaftsverkehr, Entwicklungstendenzen undLösungsansätze, in Der Nahverkehr, 3/95,8–18.[5] Stadtplanungsamt Zürich (1992), Güter-verkehr 1992, S. 13; auch Xantener Berichte(1992), Stadtlogistik, Heft 2, ss. 10.[6] Vahrenkamp, R. (1995), Güterverkehrs-zentren und Citylogistik, in InternationalesVerkehrswesen, Nr. 7–8, 467–72.[7] Meyer, A. (1990), Eigentransporte oderFremdtransporte? Neue Zürcher Zeitung,16. Januar.[8] Haldimann, Ch. (1995), Optimierungdes Güterverkehrs in der Stadt Zürich, Pres-semappe vom 5.9.1995, Tiefbau- und Ent-sorgungsdepartement, TED (ehem. Bauamt I)der Stadt Zürich.[9] Stab für Gesamtverkehrsfragen GVF(1994), Grundlagen der Kostenwahrheit imVerkehr.[10] Wittenbirnk, P. (1992), City-Logistik –sind neue Konzepte notwendig? Verkehr undTechnik, 7, 293–297.[11] Wittenbbrink, P. (1992), op. zit.[12] Savy, M. et al. (1995), Le transport demarchandises et la ville: une vision euro-péenne, Ecole Nationale des Ponts et Chaus-sées; Laboratoires Techniques, Territories etSociétés (LATTS).[13] Ruske, W. (1995), Savy, M. (1995),op. zit.[14] Hochrechnung und Wachstumsannah-me gemäss BUWAL, Bericht 53, S. 7.[15] S. Haldimann, Ch. (1995); Ruske, W.(1995).[16] Stdtplanungsamt Zürich (1992), Mass-nahmen zur Förderung des Einkaufens mitden öffentlichen Verkehrsmitteln, Teil I: Ver-kehrsmittelwahl, Motive; EWI + synergo.[17] Stdtplanungsamt Zürich (1988), Güter-verkehrszählung in der Stadt Zürich.[18] Stadtplanungsamt Zürich (1990), Ist-Zustand des Güterverkehrs in der StadtZürich, EWI, UBM, synergo.[19] S. Haldimann, Ch. (1995).[20] S. Ruske, W. (1995).[21] Pfander, M. (1995), Berner Innenstadt,Forschungsbericht des Geographischen Insti-tuts der Universität Bern.[22] Stadtplanungsamt Zürich (1993), DerAn- und Auslieferverkehr in der Stadt Zürich.[23] S. Vahrenkamp, R. (1995), Ruske, W.(1995).

[24] Ziele des Güterverkehrs für die StadtZürich, Stadtratsbeschluss vom 12. Juli1995, Hrsg.: Stadtplanungsamt Zürich.[25] In der Stadt Zürich führte das Stadtpla-nungsamt 1993 eine breitangelegte Ausspra-che durch. Grundlage dazu bildeten ver-schiedene Entwicklungsbilder (s. Fussnote 5:«Güterverkehr 1992»). Vgl. auch Hesse, V.(1993), Stadt- und Wirtschaftsverkehr, Teil II:Vom runden Tisch zu neuen Lösungen, inInformationsdienst Jg. 8, Juni/Juli, Vereini-gung für ökologische Wirschaftsforschung,ss. 9.[26] Räumliches StadtentwicklungskonzeptBern (1995), Kap. 6.5: Organisation desGüterverkehrs, Stadtplanungsamt Bern.[27] Örlike Cargo, City-Logistik Zürich, Pilot-projekt im Rahmen von DIANE 6, Energie-sparender und umweltschonender Güterver-kehr (1995), Arbeitsgemeinschaft Abay &Meier et al.[28]. Das Bundesprogramm Energie 2000fördert Pilotprojekte im Güterverkehr (DIANE6). Mehrere Pilotversuche werden in vielfälti-ger Form von Städten und Kantonen unter-stützt. Das Bundesprogramm COST 321 ana-lysiert den Wirkungsgrad von unterschiedli-chen güterverkehrlichen Massnahmen in derStadt. Es nehmen gegenwärtig die StädteBasel, Bern, Genf, Lausanne, Luzern undZürich teil.

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DISP 124 24 1996B a r b a r a Z i b e l l

Lernen von der Chaosforschung?Raumplanung unter veränderten Vorzeichen

Was hat Raumplanung mit Chaosfor-schung zu tun? Eine Frage, der sich dieAutorin immer wieder ausgesetzt sah,als sie Ende der 80er Jahre begann,dieser Thematik nachzugehen [1].Damals lag das Chaos in der Luft; eswar aber im Rahmen städtebaulicherund planerischer Forschungstätigkeitnoch kaum ein Thema. Inzwischen istdas Chaos – in der Architektur- undStädtebaudebatte – bereits mehrfachaufgegriffen worden, und kaum jemandstellt den Sinn und Zweck solcher Über-legungen noch in Frage. Trotzdem sindwir vermutlich noch weit davon entfernt,zuverlässige Antworten zu geben,inwieweit die neuen Einsichten in dasChaos der Welt sich auf die Grenzenund Möglichkeiten des Handelns imstädtischen System auswirken; aber viel-leicht geht es darum auch gar nicht.Wichtig scheint es, das Überlieferte, dieüberkommenen Ordnungen immer wie-der in Frage zu stellen, um frei zu sein,neue Wege, auch in der Planung, aus-zuprobieren. Und wer sich heute mitOrdnungen und Ordnungsvorstellun-gen, mit Raumordnung schlechthinbeschäftigt, der kommt auch nichtumhin, sich mit dem Chaos auseinan-derzusetzen.

Auf dem Gebiet der Chaosforschungtummeln sich alle Naturwissenschaften,und sie haben dabei zum Teil sehr ähn-liche Erkenntnisse gewonnen, die mitt-lerweile zu Grenzüberschreitungen zwi-schen den spezialisierten Disziplinengeführt haben. Fraktale und (seltsame)Attraktoren sind den Mathematikern,was den Physikern die Turbulenzen oderden Biologen und Chemikern die Selbst-organisation. Aus dem nahezu unüber-schaubaren Gebiet der Chaosforschunggalten die Annäherungsversuche derAutorin vor allem diesen Begriffen, dasie besonders geeignet schienen,Anschauungsmaterial für städtebaulichund planerisch geschulte Augen zur Ver-fügung zu stellen, und gleichzeitig genü-gend assoziative Elemente enthielten,die eine vorsichtige Übertragung derErkenntnisse erlaubten.

Das Aufspüren der Bestandteile,Erscheinungsformen und Darstellungs-möglichkeiten des Chaos sind Annähe-rungsversuche an eine hochkomplexe

Materie, die sich dem Laien/der Laiinnur in Ansätzen erschliesst, gleichzeitigaber ein hohes Mass an Erkenntnis-potential aufweist.

1. Turbulenzen und (seltsame)Attraktoren: Städtische Dynamikund Anziehungskräfte

Die Vielfalt der TurbulenzTurbulenzen sind uns aus vielen alltägli-chen Zusammenhängen bekannt: Wind-hosen und Wirbelstürme als Determi-nanten des globalen Klimas gehörengenauso dazu wie die plötzlich ent-stehenden Unruhen an Börsenmärktenund der Wasserstrudel, der sich imAblauf der Badewanne bildet. Turbulen-zen entstehen zum Beispiel, wenn Flüs-sigkeiten von der langsamen Fliess-bewegung in schnellere Fliessgeschwin-digkeiten oder gasförmige in flüssigeAggregatzustände übergehen (und um-gekehrt). Entsprechendes gilt auch fürdie Windgeschwindigkeit oder die Um-schlagsdynamik im Aktienhandel. Der-artige «Phasenübergänge», deren Zu-standekommen inzwischen mit derComputertechnik zum Teil nachträglichanalysiert, aber kaum vorhergesagtwerden kann, sind ein wichtiges Kriteri-um für die Entstehung von Chaos.

Lange Zeit wurde die Turbulenz alsein Zustand der Unordnung, der Gesetz-losigkeit angesehen; heute sieht man inihr die Wirkung seltsamer Attraktorenverborgen. Auf der makroskopischenEbene erscheint die turbulente Bewe-gung zwar als irregulär und chaotisch,

doch ist sie auf der mikroskopischenEbene im Gegenteil hochgradig organi-siert. Die auftretenden vielfältigen Raum-und Zeitebenen entsprechen einemkohärenten Verhalten von Millionen undAbermillionen von Molekülen, ein Phä-nomen, das im Rahmen der Selbstorga-nisationstheorien näher untersucht wird[2].

Assoziationen zum städtischen LebenTurbulenzen liefern erste oberflächlicheAssoziationen zum städtischen Lebenund zur städtischen Entwicklung: Solässt das Bild sich auf die Dynamik über-tragen, welche wir in den Zentren vonAgglomerationen – ausgehend von denZentren der Kernstädte – beobachtenkönnen. Hier tritt uns die Turbulenz inder Hektik des Geschäftslebens ent-gegen, ein grosser Teil der Verkehrs-ströme der Stadtregion läuft an diesemPunkt zusammen. Aus der Ferne, vonder makroskopischen Ebene her be-trachtet wirkt die Gesamtheit der Bewe-gungen wie das geschäftige Hin- undHereilen von Ameisen in einem Amei-

Abb. 1: Turbulenz im Wasserstrudel.aus: Hans Hartmann / Hans Mislin. Die Spi-rale im menschlichen Leben und in der Natur.Eine interdisziplinäre Schau, Basel 1985,S.17.

Abb. 2: Erfassung der Verkehrsströme vonYokohama, ein Bild der Turbulenz.aus: Rem Koolhaas/Winy Maas u. a. Yoko-hama 1992. In: Arch+ 117, S. 65.

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senhaufen, irregulär und chaotisch. Wirwissen aber, dass jede einzelne Bewe-gung nach einem individuellen Planabläuft, der aufgrund einer innerenKohärenz und Koordination der Bewe-gungen zum Aufbau einer wohlgeord-neten Gesamtheit führt. Bei menschli-chen Ansiedlungen ist das Ergebniseiner Gesamtordnung – je nach Ebeneder Betrachtung: Frosch- oder Vogel-perspektive – ebenso nachzuvollziehen,auch wenn sie vom Standpunkt unsererWahrnehmung, insbesondere in den im-mer grösser werdenden Agglomeratio-nen, häufig nicht erkennbar ist; erst auseiner gewissen Distanz, von der höhe-ren Position des Flugzeugs aus, kannwieder eine makroskopische Ordnungfestgestellt werden [3].

Seltsame AttraktorenTurbulenzen dienen auch der Illustrationvon «geheimen» Anziehungskräften; imRahmen der Chaosforschung sind siemit der Wirkung «seltsamer Attraktoren»in Verbindung gebracht worden. DerBegriff des Attraktors stammt aus derTheorie dynamischer Systeme; er dientder Kennzeichnung alles dessen, wor-auf sich ein System zubewegt resp.wovon es angezogen wird. Mit Hilfevon Attraktoren kann das Langzeitver-halten eines Systems im Zustandsraumgeometrisch dargestellt werden: Jeder

Punkt innerhalb des Systems kennzeich-net den Zustand des Systems in einembestimmten Zeitpunkt; schreitet dasSystem in der Zeit fort, ändert sich derZustand des Systems. Die Bewegungs-bahn jedes einzelnen Punktes wird alsOrbit (geschlossene Bahn) oder Trajek-torie (offene Bahn) bezeichnet [4].

Attraktoren in der MathematikEs gibt verschiedene Arten von Attrakto-ren, welche die möglichen Entwicklun-gen von Systemen wiedergeben. LangeZeit waren in der Mathematik nur solcheAttraktoren bekannt, deren Verhaltensich trotz ihrer Komplexität exakt vor-ausberechnen lässt. Erst im Zuge neue-rer Darstellungsmöglichkeiten in derComputertechnik wurden auch Beispielesogenannter chaotischer (oder: seltsa-mer) Attraktoren entdeckt, deren Verhal-ten nicht vorhersagbar ist, weil sie sichunregelmässig entwickeln, sie also ihrebisherigen Bewegungsbahnen oder ihreangestammten Einzugsbereiche verlas-sen. Ihr Auftreten hängt mit den Gesetz-mässigkeiten des exponentiellen Wachs-tums zusammen, mit Rückkoppelung (Ite-ration) und Nichtlinearität [5]. Die«geheimen Anziehungskräfte» der Tur-bulenzen lassen sich mit Hilfe dieserseltsamen Attraktoren darstellen.

Attraktoren in sozialen SystemenAuch menschliche Lebensgemeinschaf-ten, soziale Systeme bewegen sich aufbestimmte Orte oder Punkte im Zu-standsraum zu resp. werden von sol-chen angezogen. Die Geschichte zeigtzum Beispiel, «dass gesamtgesellschaft-liche Veränderungen in Ökonomie undPolitik die Entwicklungsbedingungen

einer Stadt so verändern können, dassin einer historisch relativ kurzen Epocheaus Weltstädten Provinznester werden –und umgekehrt, dass Städte über allesozialen und politischen Veränderungenhinweg ihre Funktion und Grösse erhal-ten haben». [6]

Abgesehen von diesen Veränderun-gen im Aufstieg und Niedergangganzer Städte kann das Bild des Attrak-tors auf die räumliche Entwicklung einereinzelnen Stadt- oder Siedlungszelleangewendet werden: Von chaotischenAttraktoren gehen offensichtlich im zeit-lichen Verlauf unterschiedlich starke An-ziehungskräfte aus, so dass die Orbitsimmer weiter auseinanderstreben, im-mer weniger miteinander zu tun zu ha-ben scheinen, immer unregelmässigerund immer weniger vorhersagbar wer-den. Bei der grundsätzlich endlichenGrösse des Attraktors können zweiOrbits auf einem (chaotischen) Attraktoraber nicht für immer exponentiell aus-einanderlaufen. Die Entfernung zumAttraktor kann also – wie auch die Ent-fernung zur Kernstadt einer Agglomera-tion – nicht beliebig vergrössert werden.Folglich muss sich das Objekt, damit eskompakt bleibt, auf sich selbst «zurück-falten» [7].

Seltsame Attraktoren in der StadtAuch die räumliche Ausdehnung derStadt, das Entstehen von Ballungsräu-men ist wie das exponentielle Ausein-anderstreben der Orbits eines chaoti-schen, per definitionem aber grundsätz-lich endlichen Attraktors nicht unbe-grenzt möglich, wenn die Erreichbarkeitzentraler Einrichtungen gewährleistetbleiben soll. Das Erfordernis des «Auf-

Abb. 4: Wandel der Peripherie zum Zen-trum, Folge der veränderten Anziehungskräfteseltsamer Attraktoren?aus: Cedric Price im Gespräch mit PhilippOswalt. Das Ungewisse – Die Freude amUnbekannten. In: Arch+ 109/110, Dezember1991, S. 53.

Abb. 3: Lorenz-Attraktor, ein seltsamerAttraktor.aus: James Gleick. Chaos – Die Ordnung desUniversums. Vorstoss in Grenzbereiche dermodernen Physik, München 1988, S. 47.

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sich-selbst-Zurückfaltens» begegnet unshier in Form der Verdichtung und derInnenentwicklung, der inneren Erweite-rung. Gleichzeitig wächst das Erforder-nis einer Bildung weiterer Zentren undSubzentren, um die Funktionsfähigkeitdes Systems aufrechtzuerhalten. Dieseneuen Zentren resp. Subzentren werdengewissermassen zu neuen (seltsamen)Attraktoren mit unterschiedlichen An-fangsbedingungen und spezifischen Ein-zugsgebieten, welche sich mit den Ein-zugsgebieten anderer Zentren über-schneiden und somit in Konkurrenztreten können. Die Überschneidung die-ser Einzugsgebiete führt zu einer immerstärkeren Mischung im Stadtgebiet: DieLogik eines zentralen Kerns und dieLage von Quartieren mit bestimmtenFunktionen löst sich immer mehr auf,wird geradezu beliebig. Das Auftretenvon Chaos trotz zahlreicher Versucheder Einflussnahme auf die äussere Ord-nung des Erscheinungsbildes wird nach-vollziehbar.

Neue Zentren an den RändernWenn wir versuchen, das Bild der Tur-bulenzen und Attraktoren auf das Sied-lungswachstum zu übertragen, dannkönnen wir das heute nicht mehr auf dieInnenstädte oder die Kernstädte vonAgglomerationen beschränken. Die Tur-bulenz bewegter Verkehrs- und Nut-zungsströme begegnet uns vor allemauch in den Randbereichen der Agglo-merationen, wo sich eine neue Dynamikin Form der vielerorts entstehenden undentstandenen neuen Zentren entwickelt.Ob Einkaufs- oder Dienstleistungszen-tren, Vergnügungs- oder Freizeitparks –es stellt sich die Frage, ob hier auch selt-same Attraktoren am Werk sind, die denWandel zwischen Zentralität und Peri-pherie abbilden, der die Entstehung vonneuen kollektiv bedeutungsvollen Orteneinleitet, im Zuge dessen die alten Zen-tren zu Nebenschauplätzen des Ge-schehens werden können.

2. Fraktale: Ränder undSiedlungsgrenzenFraktale Strukturen und fraktales Wachs-tum finden heute begeisterte Anhängerunter all jenen, die versuchen, in den

Abb. 5: Neue Zentren an den Rändern. Ver-brauchermarkt auf der grünen Wiese in Sach-sen-Anhalt (D).aus: Barbara Zibell. Chaos ohne Grenzen?Von der Bedeutung der Ränder. In: deutschebauzeitung 6/1994, S. 73.

Abb. 6: Neue Zentren an den Rändern.Städtebauliches Entwicklungsgebiet Hochbordin Dübendorf (Zürich-Nord).aus: Ernst Basler und Partner. Infrastrukturund Verkehr. Firmenbroschüre.

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vorhandenen, unordentlich erscheinen-den Siedlungsstrukturen doch noch eineinnewohnende Ordnung nachvollzieh-bar werden zu lassen [8]. Immer häufi-ger werden fraktale Muster im Zusam-menhang mit Architektur und Städtebaubemüht, um eine Analogiebildung zuden komplexen Strukturen städtischerund baulich-räumlicher Erscheinungenherzustellen [9]. Und richtig: Obwohldie zerfranste Form der Stadtorganis-men heute oftmals als ungeordneterscheint, wissen wir natürlich, dass dieräumliche Ausdehnung der Stadt zuganzen Stadt-Landschaften durchausinneren Ordnungsprinzipien unterliegt.Wirtschaftliche und politische Entschei-dungen, die auf dem Hintergrundgesamtgesellschaftlich wirksamer Ziel-vorstellungen resp. Ordnungssystemegefällt wurden, haben zum heutigenErscheinungsbild unserer Stadt-Land-schaften geführt. Dies lässt sich – trotzaller chaotisch anmutenden Strukturen –auch geometrisch nachvollziehen. Nurreichen die uns gewohnten Formen derklassisch-euklidischen Geometrie hierfürnicht mehr aus. Die Formen der heuti-gen Siedlungslandschaften entsprecheneher den Gesetzmässigkeiten einer frak-talen Geometrie.

Was sind Fraktale?Der Begriff des Fraktals ist aus demlateinischen «frangere» abgeleitet, dasheisst: zerbrechen, unregelmässigeBruchstücke erzeugen. Diese Doppel-bedeutung – in Stücke zerbrochen undirregulär – ist auch in dem Wort «Frag-ment» enthalten. Fraktal sind alle nicht-glatten Mengen, also alle Mengen mitgebrochenen Dimensionen. «Fraktale»,die auch als sogenannte «Bausteine desChaos» [10] Berühmtheit erlangt haben,bezeichnen alle gebrochenen, nichtglatten Oberflächen oder gebrochene,nicht gerade verlaufende Linien.

Die «fraktale Geometrie», deren Ent-deckung erst durch Computerexperi-mente ermöglicht wurde, basiert aufden Arbeiten des Mathematikers undIBM-Computerwissenschaftlers BenoîtMandelbrot [11]. Die realen Formen inder Natur (fraktale Strukturen) könnenzum einen mit dieser neuen «fraktalenGeometrie» viel wirklichkeitsnäher be-

schrieben werden als mit der herkömm-lichen euklidischen Geometrie, sie sindzum anderen auch in der Lage, denVerlauf vergangener dynamischer Ent-wicklungsprozesse (fraktales Wachs-tum) nachzuzeichnen und abzubilden.

Fraktales Wachstum –Fraktale StrukturenFraktale Strukturen sind die Folge einesungeordneten und irreversiblen Wachs-tumsprozesses, kristallines Produkt inForm gegossener oder formgewordenerEnergie, «Folge der zufälligen Anlage-rung von dauerhaft hängenbleibendenTeilchen an einen vorhandenen Kernoder Cluster», extremes Beispiel füreinen Nicht-Gleichgewichtsprozess, indem überhaupt keine Umverteilung statt-findet. Die fraktalen Muster entstehen imZuge wiederholter Anlagerungsprozes-se, ihre Dichte nimmt bei zunehmenderGrösse ab. Das Siedlungswachstumfolgt diesen Gesetzmässigkeiten; auchhier sind die Teilchen, zum Beispiel dieGebäude oder Quartiere, in der Regel –zumindest relativ – dauerhaft an einenOrt gebunden [12].

Fraktales Wachstum in der NaturIn der Natur wachsen Objekte auf vieleArten; beispielsweise wächst ein perfek-ter Kristall nahezu im Gleichgewicht: Erprobiert gleichsam mehrere Konfigura-tionen, bis er diejenige mit der stabil-sten Struktur findet. Kommt zu einemwachsenden Kristall ein weiteres Mo-lekül hinzu, so muss es im allgemeinenviele mögliche Stellen abwandern, bises an einem günstigen Ort hängen-bleibt. Ein Gleichgewichtskristall wächstlangsam und verändert sich unablässig.Den meisten realen Wachstumsprozes-sen steht jedoch nicht so viel Zeit zurVerfügung: So befindet sich zum Bei-spiel alles biologische Leben nicht imGleichgewicht [13].

Fraktales StadtwachstumBaulich-räumliche Wachstumsprozessesind weder mit dem kristallhaftenWachstum der unbelebten Materie nochmit den evolutiven Bedingungen desbiologischen Lebens voll vergleichbar.Sie bewegen sich im Zwischenbereichzwischen rein materiellen und lebendi-

gen Wachstumsprozessen und verfügendamit gewissermassen über eine frakta-le Dimension: Je grösser diese ist, um soschneller und dynamischer, je kleinerdie fraktale Dimension, um so näher amGleichgewicht verläuft die Entwicklung.Entsprechende Beispiele von stabilenPhasen, in denen sich das Wachstumlangsam, überschaubar, quasi in geord-neten Bahnen vollzieht, sind in derStadtentwicklung genauso auszuma-chen wie solche von instabilen Phasenmit dynamischen, sich gewissermassenüberschlagenden, turbulenten Erschei-nungen, in der weniger Planung undvorausschauende Steuerung als mehrZufall und Chaos zu regieren scheinen.

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Abb. 7: Fraktale: Gebrochene BrownscheKüstenlinien, entstanden durch mathematischeModellierung.aus: Benoît B. Mandelbrot. Die fraktaleGeometrie der Natur, Basel/Boston 1987,Tafel 286.

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Langsame und schnelle Wachstumspro-zesse hinterlassen aber gleichermassenfraktale Strukturen [14]; der Unterschiedliegt nur in den Bedingungen ihrer Ent-stehung, das heisst: ob sie im Gleich-gewicht oder fern vom Gleichgewichtgewachsen sind. Fraktales Wachstumkennzeichnet alle Prozesse, die beson-ders schnell, das heisst unter Störungdes Gleichgewichtes ablaufen, und die-se Wachstumsprozesse finden vor allemin den Randbereichen eines Systemsoder eines Objektes statt. Charakteri-

stisch für aus fraktalem Wachstum ent-standene fraktale Strukturen sind dieausgefransten Ränder oder unregelmäs-sigen Oberflächen, in denen keine her-kömmliche «Ordnung» mehr erkennbarist. Je schneller gewachsen und je grös-ser ein Objekt also auch in seiner Aus-dehnung ist, um so weniger kompakt,um so «fraktaler» erscheint es in seinerStruktur. Das gilt nachweislich auch fürdie Siedlungsmuster grosser Agglomera-tionen.

Fraktale Planung?In den letzten Jahren hat man dieseArt des Wachstums intensiv untersucht.So wurden auch im Rahmen eines Son-derforschungsbereiches der DeutschenForschungsgemeinschaft [15] die Ge-setzmässigkeiten des fraktalen Wachs-tums und deren Übertragbarkeit aufdie Siedlungsentwicklung untersucht.Die angestellten Vergleiche zwischenden Siedlungsstrukturen von Metropolenwestlicher Industrieländer oder frühererosteuropäischer Planwirtschaften mit sol-chen der Dritten Welt lassen den Schlusszu, dass fraktale Muster entstehen, unterwelchen Bedingungen sie auch immererfolgen. Ist Planung also obsolet ge-worden? Oder muss sie gegenüber demPlanbaren und dem Unplanbaren undgegenüber dem, was der wesentlicheGegenstand des Planens sein sollte,eine veränderte Haltung entwickeln?Geht es um die entstehenden Musteroder um die Verteilung und Vernetzungvon Wohn- und Arbeitsplätzen, vonLebensräumen?

3. Selbstorganisation:Bedingung für Entwicklung –Korrektiv der PlanungDurch Selbstorganisation können ineinem System neue räumliche und/oderzeitliche Strukturen entstehen, die nichtauf ein einfaches Ursache-Wirkungs-Schema rückführbar sind. Die Kräfte derSelbstorganisation können insbesonde-re in instabilen Zeiten von Phasenüber-gängen, in denen das System fern vomGleichgewicht nach neuen Möglichkei-ten der Weiterentwicklung, nach einerneuen (wandelbaren) Ordnung sucht,

zur treibenden Kraft der Entwicklungwerden: «Systeme wie Staatsverwaltun-gen, Wirtschaft oder Kirche, aber aucheinzelne Menschen und andere Orga-nismen entstehen und funktionierennach schwer zu beeinflussenden Geset-zen, welche sie gegen geplante Verän-derungen nahezu immun machen.» [16]Sie entwickeln, erhalten und verändernsich nicht durch rationale Planung undBeschlüsse, sondern durch Evolution –jedes nach seiner eigenen Gesetzlich-keit, die es erst einmal zu verstehen gilt[17].

Es gibt unterschiedliche Theorien derSelbstorganisation, die aus verschiede-nen wissenschaftlichen Disziplinen her-aus entwickelt wurden [18]. Dabei las-sen sich grundsätzlich zwei Betrach-tungsweisen unterscheiden: einerseitsdiejenige, welche sich insbesondere mitden Bedingungen für die Strukturentste-hung auseinandersetzen. Hierzu gehörtdas Konzept der dissipativen Strukturen,welches sich mit dem Namen des belgi-schen Chemikers Ilya Prigogine verbin-det [19], sowie die von dem deutschenPhysiker Hermann Haken begründeteSynergetik [20], und andererseits jene,welche sich mit den Bedingungen fürdie Strukturerhaltung beschäftigen, zudenen das von dem chilenischen Biolo-gen und Erkenntnistheoretiker HumbertoMaturana entwickelte Konzept der Auto-poiesis gehört [21]. Alle diese Konzeptehaben mittlerweile in unterschiedlichemMasse Eingang in andere gesellschaft-lich relevante Bereiche gefunden. Ihnenallen ist gemein, dass sie Selbstorgani-sation als eine gebündelte Kraft begrei-fen, welche als geändertes – kollektives– Verhalten eine neue Ordnung, neueStrukturen bilden kann, ohne dass esdazu einer direkten Fremdeinwirkungbedarf. Die Selbstorganisation entfaltetihre treibende Kraft insbesondere inoffenen Systemen mit hohen individuel-len Freiheitsgraden, in denen vielepotentielle Ordnungsparameter als neueVariablen für den Wandel auftreten kön-nen.

Dissipative StrukturenDie Theorie der dissipativen Strukturen[22] führte in den 60er Jahren zur Be-schreibung eines neuen Ordnungsprin-

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Abb. 8: Fraktale: Stadtstrukturen europäi-scher Metropolen, entstanden durch gesteuer-tes und ungesteuertes Wachstum.aus: Hrsg. Senatsverwaltung für Stadtentwick-lung und Umweltschutz. Räumliche Entwick-lung in der Region Berlin. Planungsgrund-lagen, Berlin 1990, S. 32/33.

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zips für Systeme, in denen irreversibleProzesse eine Rolle spielen: zur «Ord-nung durch Fluktuation» [23]. Wie derBegriff des deterministischen Chaos, sobirgt auch jener der dissipativen Struktu-ren zwei sich zu widersprechen schei-nende Bestandteile; dies ist jedoch be-absichtigt, um gerade die enge, zu-nächst paradox erscheinende Verbin-dung zu betonen, die zwischen Strukturresp. Ordnung einerseits und Dissipa-tion resp. Unordnung andererseitsbestehen kann [24]: Dissipation heisst«Zerstreuung» und «Umwandlung», dieAbleitung von Energie in einem Systemoder den Verlust von Reibungsenergie.

Dissipative Strukturen treten zum Bei-spiel in bestimmten physikalisch-chemi-schen Reaktionssystemen auf, die Ener-gie- und Massedurchsatz im Austauschmit ihrer Umgebung ständig selbst inGang halten und über längere Zeiträu-me global stabile, häufig pulsierendeStrukturen bilden; ein Beispiel hierfürsind die sogenannten «chemischenUhren». Im Gegensatz zu den Gleich-gewichtsstrukturen der klassischen Dy-namik, wie sie etwa Kristalle darstellen,sind die dissipativen Strukturen einMerkmal evolvierender Systeme. Sie be-finden sich – im Gegensatz zu denstrukturbewahrenden Systemen – fernvom Gleichgewicht und durchlaufeneine offene Abfolge von Strukturen, einKennzeichen dynamischer Energiesyste-me, die sich in der laufenden Organisa-tion von materiellen Prozessen undStrukturen ausdrücken.

Die Organisation materieller Prozesseund Strukturen ist ein Bestandteil allermenschlichen Systeme, auch der bau-lich-räumlichen. Dissipative Strukturensind jene Teile im System, die der stärk-sten Aktivität, dem stärksten Energie-umsatz, ausgesetzt sind. Sie befindensich so lange im Ungleichgewicht,solange Veränderungsprozesse andau-ern. Für die Stabilität von Systemen istinsbesondere von Bedeutung, welchenAnteil die dissipativen Strukturen am ge-samten System ausmachen, wievielEnergie im Verhältnis zur vorhandenenStruktur umgesetzt wird. Ist ihr Anteil zuhoch, entsteht deterministisches Chaos;ist ihr Anteil zu gering, wird das Systemzu starr. Es geht bei der Steuerung

menschgemachter Systeme also darum,den Energieumsatz, das heisst denAnteil dissipativer Strukturen, in Gren-zen zu halten. Das sorgfältige Abwägenzwischen der Erhaltung vorhandenerstädtebaulicher Strukturen und einerdurchgreifenden Umstrukturierung, dieimmer mit einem vergleichsweise hohenEnergieaufwand verbunden ist (undzwar jede Form der Energie, auch dieder menschlichen Kapazitäten), kannaus diesen Überlegungen abgeleitetwerden.

SynergetikDie Lehre vom Zusammenwirken, diesogenannte «Synergetik», bildet dieGrundlage für die Übertragbarkeit vonGesetzmässigkeiten in der Natur aufökonomische und soziale Systeme. Hier-nach gibt es allgemein gültige Prinzipi-en für selbstorganisierte Erscheinungenin allen räumlichen, zeitlichen, raum-zeitlichen und funktionalen Strukturenund Verhaltensweisen.

In praktisch allen Gebieten der Wis-senschaft haben wir es mit Systemen zutun, die aus einigen oder vielen einzel-nen Teilen bestehen. Diese Teile stehenmiteinander in Wechselwirkungen, dieganz unterschiedlicher Natur sein kön-nen, und aufgrund dieser Wechsel-wirkungen entstehen makroskopischeStrukturen. In städtebaulichen Systemen,deren Entstehung aus den Entscheidun-gen bestimmter Personen oder Perso-nengruppen eines politischen Systemshervorgeht, bildet eine Gesamtheit vonQuartieren, welche die unterschiedlich-sten Wechselwirkungen miteinandereingehen, schliesslich eine makroskopi-sche Struktur, sei dies nun ein Dorf, eineStadt, eine Stadt-Landschaft, eine Ag-glomeration.

Das Bild vom gebündelten LichtAusgangspunkt der Synergetik für dieErforschung von Prozessen der Selbst-organisation bei der Bildung neuerStrukturen war der Laserstrahl als Licht-quelle, bei dem sich unter bestimmtenBedingungen eine neue Art von Lichtausbilden kann, das eine ganz andereQualität, das heisst einen völlig anderenOrdnungszustand aufweist als das Licht

normaler Lampen. Im Unterschied zumungeordneten Feld der Lichtwellen einernormalen Lampe bildet der Laser einenhochgeordneten Lichtstrahl aus unzähli-gen gleichgeschalteten Lichtwellen. Diespontane Emission von Lichtwellen sti-muliert die Emission weiterer Wellenund bewirkt eine Verstärkung, eineWellenlawine. In diesem Prozess setztein Wettbewerb unter den Wellen ein,aus dem schliesslich eine Welle als Ord-nungsparameter hervorgeht, die dieanderen Teile in ihre Wellenbewegungeinbindet, diese gewissermassen kon-sensualisiert. Aus Konkurrenz entstehtüber einen Zustand der Koexistenz letzt-lich Kooperation [25]. Dieselben Ge-setzmässigkeiten treten zum Beispielauch bei der Erhitzung von Flüssigkeitenauf.

Universalität der GesetzmässigkeitenDie allgemeine mathematische Formu-lierung dieser Zusammenhänge hat er-geben, dass es sich hier um ein all-gemeines Strukturgesetz handelt, demStrukturbildungen in allen Systemenunterworfen sind. So kann auch die Ent-stehung politischer, sozialer, ökonomi-scher, wissenschaftlicher oder städte-baulicher Strukturen als ein kollektiverProzess aufgefasst werden, in demdurch Selbstorganisation nach und nachein Konsens gewonnen wird. Dabei tre-ten – je nach den Beschaffenheiten desSystems – unterschiedliche «Ordner» inErscheinung, welche Einfluss nehmenauf die Entwicklung, die Sozialisationder einzelnen «Teile», zu ihrer Erhaltungaber darauf angewiesen sind, dass sievon den einzelnen Teilen getragen wer-den: Staatsform – Bürger, Betriebsklima– Mitarbeiter, Theorien – Wissenschaft,Mode – Individuen, Plan – Investoren,Paradigmen – Zeitgeist sind Beispielefür sogenannte Ordner und zugehörigeTeile, die in einem Wechselverhältniszueinander stehen, sich gegenseitigbedingen. Welche Staatsform, welcheTheorien, welche Moden oder Paradig-men letztlich konsensfähig werden,hängt – wie in dem Wechselspiel derBiologie zwischen Mutation und Selek-tion – von Zufallsereignissen ab, welchekaum steuerbar und nicht vorhersagbarsind [26].

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Selbstorganisation als EntwicklungsfaktorDas Konzept der Synergetik geht davonaus, dass Verhaltensweisen nicht direkt,sondern nur über die Änderung gewis-ser Rahmenbedingungen änderbarsind; dieser Grundsatz ist auch für dieräumliche Planung von Bedeutung. DerVersuch zur Beeinflussung sich selbstorganisierender Kräfte spielt in diesemZusammenhang für die Planung mensch-licher Systeme eine grosse Rolle. Wennwir unter Selbstorganisation alle nichtgesteuerten Formen des Marktesmenschlich produzierter Waren undIdeen verstehen, dann gibt es daruntersolche, die eine starke Lobby haben(z.B. wirtschaftliche Kräfte), und ande-re, die nicht über eine so starke Lobbyverfügen (z.B. Bürgerinitiativen, sozialeProjekte).

Veränderungen können planerisch in-duziert und ermöglicht werden, indemFlächen und Räume zur Verfügung ge-stellt werden oder nicht. Aber nur, wennauch Gesellschaft und Wirtschaft mit-machen, können auf diese Weise Kri-stallisationspunkte für Veränderungenentstehen, die sich in neue, allgemeine«Moden» um- und letztlich gesamtgesell-schaftlich durchsetzen lassen.

AutopoiesisMaturanas Konzept der Autopoiese(griech. autos = selbst; poiein = ma-chen) geht davon aus, dass die Ge-schichte des Lebens eine Geschichtevon unaufhörlichen Transformationendarstellt, in welcher Netzwerke von mo-lekularen Reaktionen gebildet werden.Diese erzeugen und integrieren wieder-um dieselben Klassen von Molekülen,aus denen sie selbst bestehen, wobei siesich im Prozess ihrer Verwirklichunggleichzeitig gegen den umliegendenRaum abgrenzen. Solche Netze undmolekularen Interaktionen, welche sichselbst erzeugen und ihre eigenen Gren-zen bestimmen, sind insbesonderedadurch charakterisiert, dass sie sichpermanent selbst erzeugen. Dieser un-aufhörliche Prozess der Selbsterzeu-gung ist die Grundlage für das Konzeptder Autopoiese, derzufolge sich biologi-sche Systeme (Organismen) durch Reak-tion auf interne Veränderungen, weit-

gehend abgeschottet von der Umweltentwickeln [27].

Niklas Luhmann hat die Idee des auto-poietischen Systems direkt auf sozial-wissenschaftliche Inhalte übertragen;hier sind es nicht die Subjekte selbst,sondern deren Operationen, die dassoziale System konstituieren. In seinerTheorie zur Selbstorganisation sozialerSysteme geht er davon aus, dass Syste-me keineswegs in unendlichem Aus-tausch und in immer neuer kurzfristigerAnpassung an die Vielfalt ihrer Umge-bung leben, sondern praktisch von derUmwelt abgeschlossen. Dies ist abereine nur operative Geschlossenheit beigleichzeitiger kognitiver Offenheit, inder die Grenze zwischen System undUmwelt, die Schnittstelle zwischenFremdreferenz und Selbstreferenz, vonbesonderer Bedeutung ist. Dabei gehtes nicht um die Frage, wie Systeme ope-rativ ihre Grenzen überschreiten undKontakt mit ihrer Umwelt aufnehmenkönnen, sondern wie sie mit internenBeobachtungsoperationen die Unter-scheidung von Selbst- und Fremdrefe-renz handhaben [28].

Selbst- und Fremdbezug in derräumlichen PlanungRegionale und kommunale Planungbewegen sich in der Regel auf unter-schiedlichen Ebenen der Wahrnehmungund damit auf unterschiedlichen Mass-stäben der Darstellung. Während dieregionale, überörtliche Planung sich imSinne einer kognitiven Offenheitzwangsläufig mit den vorhandenenGrenzen zwischen Gemeinden (einesPlanungsraumes) auseinandersetzenmuss, ist das für die einzelne Gemeindenicht zwingend notwendig. Sie kannsich dem Problem ihrer Weiterentwick-lung rein operativ geschlossen anneh-men, da ihr Zuständigkeitsbereich anden realen kommunalen Grenzen endet.Innerhalb der einzelnen Gemeinde sindes zum Beispiel die einzelnen Investo-ren/Grundeigentümer, welche mehroperative Geschlossenheit oder mehrkognitive Offenheit bei der Bebauungund Gestaltung ihrer Areale – seien dieseinzelne Grundstücke, seien es ganzeQuartiere – walten lassen können. Diezunehmenden funktionalen und räum-

lichen Verknüpfungen zwischen Stadt-quartieren und Gemeinden, nicht nurinnerhalb der grossen Agglomeratio-nen, führen jedoch dazu, dass eine Pla-nung, welche über den Tellerrand dereigenen (Stadt-) Grenzen hinausschaut,immer mehr an Bedeutung gewinnt.Kognitive Offenheit ist nicht unbedingtin der Lage, den Alleingang operativerGeschlossenheit zu verhindern; sie istallerdings eine Voraussetzung dafür,dass ein Austausch über Bedürfnisse,Anforderungen und Funktionen über dieeigenen Grenzen hinaus stattfindet.Dabei bildet sie gleichzeitig die Grund-lage für eine Auseinandersetzung überdie formale Gestaltung der baulich-räumlichen Peripherie, der Schnittstellezwischen Hier und Dort, zwischen Meinund Dein, zwischen privatem und öffent-lichem Raum.

Selbstorganisation in der RaumplanungIm gesellschaftlichen Zusammenhangkönnen wir unter den Begriff der Selbst-organisation die marktwirtschaftlichenKräfte subsumieren oder auch Entwick-lungen, die zum Beispiel in Form vonModen an der Basis der Bevölkerungentstehen. Die Bedeutung der Selbst-organisation und vor allem auch derenmögliche Bandbreite wird in der Pla-nung eher unterschätzt oder zumindestnicht ausreichend berücksichtigt. Es gin-ge darum, die vielfältigen Bewegungenin der Bevölkerung aufzugreifen und siein umfassende Konzeptionen und Pla-nungsverfahren zu integrieren.

4. Planen im und mit dem ChaosIn der Chaosforschung wird mindestenszwischen zwei Chaosbegriffen unter-schieden: das eine ist der Begriff desmikroskopischen, das andere derBegriff des makroskopischen Chaos.Das makroskopische (oder deterministi-sche) Chaos bezieht sich auf das Systemals Ganzes: Es tritt auf in Phasenüber-gängen, in Zeiten des Umbruchs, in derTurbulenzen und seltsame Attraktorendas System am Ende des Phasenüber-gangs auf eine neue Weise ordnen. Dasmikroskopische Chaos bezieht sich aufeinzelne Teile des Systems: Es handelt

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sich um einen Zustand, in dem die Teil-systeme völlig unabhängig voneinanderagieren, ohne Koordination und innereKohärenz, einen Zustand, der über län-gere Zeit anhalten kann. Mikroskopi-sches und makroskopisches Chaos kön-nen – je nach Abgrenzung des betroffe-nen Systems: zum Beispiel lokal oderglobal – an vielen Orten gleichzeitigund in unterschiedlichen Dimensionenauftreten. Deshalb ist es sinnvoll, einedritte Chaos-Dimension, die des ganz-heitlichen Chaos [29], einzuführen.

Chaos in der Stadt-LandschaftÜberträgt man diese drei «Dimensio-nen» des Chaos auf die baulich-räum-liche Situation, dann lassen sich folgen-de Erkenntnisse gewinnen:– Das mikroskopische Chaos entsprichtden einzelnen (städte-) baulichen Objek-ten, den architektonischen Elementen,aus denen sich das äussere Erschei-nungsbild der Stadt-Landschaft zusam-mensetzt. Chaos bedeutet hier das zu-sammenhanglose, unkoordinierte, nichtnachvollziehbare Nebeneinander vonTeilen und Teilsystemen. Es entsteht aufder lokalen Ebene durch eine Vielzahlnicht oder nur unzureichend koordinier-ter Eingriffe und Bewegungen neben-und übereinander. Diese Dimension desChaos ist heute in weiten Teilen derSiedlungslandschaft anzutreffen.– Das makroskopische Chaos tritt auf imZuge von durchgreifenden Umwälzun-gen, die das Gerüst, die Struktur betref-fen, das Netzwerk aus topographischenElementen, aus Strassen und Wegen,über das die gestalteten Objekte inihrer dreidimensionalen Erscheinung er-schlossen werden. Die Struktur als sol-che ist relativ dauerhaft, zumindest in

der Regel von längerer Lebensdauer alsdie einzelnen gestalteten Objekte.Chaos kann hier auftreten im Zuge vonPhasenübergängen, das heisst beidurchgreifenden Umwälzungen. Para-debeispiel aus der Stadtbaugeschichteist die Haussmannisierung der StadtParis im 19. Jahrhundert, die damals inwenigen Jahren eine neue Grundstruk-tur, eine völlig neue städtebauliche Ord-nung erhielt, welche eine umfassendeNeuorientierung der BewohnerInnenund NutzerInnen nach sich zog. Aktuel-le Beispiele für makroskopisches Chaos

finden wir im gegenwärtig sich vollzie-henden Umbruch in den osteuropäi-schen Gesellschaften oder im Fall derNeuinterpretation des Potsdamer Platzesin Berlin, wenn dieser nach jahrzehnte-langem Brachliegen in einer Weiseumstrukturiert wird, die die jüngsten Spu-ren der Geschichte weitgehend igno-riert. Ein anderer Fall ist die Neukon-zeption eines ganzen Stadtteils, wie sieam Beispiel des Industrieareals Oerlikon2011 in Zürich nachvollziehbar wird,der nach der Aufgabe der industriellenProduktion zu einem neuen, lebendigenStück Stadt entwickelt werden soll.– Das ganzheitliche Chaos schliesslichumfasst – je nach der gewählten Per-spektive – zum Beispiel das Systemeiner Stadtregion oder einer Agglome-ration, die eine ablesbare innere Struk-tur und Gestaltqualität aufweisen kön-nen (oder eben auch nicht). Der Begriffdes ganzheitlichen Chaos umfasst dieGesamtheit eines Systems mit allenseinen geordneten, ungeordneten undchaotischen Bestandteilen von mikrosko-

Abb. 9: Central Park New York. Besuchereines Freiluft-Rockkonzertes.aus: Stephan Wehowsky. Die unvernünftigeGesellschaft. In: Chaos und Kreativität. GeoWissen, Nr. 2, S. 156/157.

Abb. 10: Schützenplatz Hannover.Foto: Karl Joseph, Hannover. Luftbild 227/2.Erstmals publiziert in: «HannoverscheAllgemeine Zeitung» vom 6. Juli 1993, S. 11.Abgedruckt mit freundlicher Genehmigungdes Urhebers.

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Abb. 11: Makroskopisches Chaos: Paris1858. Umbau unter Georges-Eugène Hauss-mann.aus: Spiro Kostof. Das Gesicht der Stadt.Geschichte städtischer Vielfalt, Frankfurta.M./Zürich 1992, S. 83.

Abb. 12: Makroskopisches Chaos: BaulicheUmstrukturierung in Berlin-Kreuzberg.aus: Hrsg. Senatsverwaltung für Stadtentwick-lung und Umweltschutz. Stadtidee Stadtforum,Berlin 1992, S. 184.

Abb. 13: Städtische Übungsplätze für Selbst-organisation: Gauss-Stierli-Areal in Zürich-Seebach.aus: Hrsg. Bauamt II der Stadt Zürich/IrmaNoseda. Bauen an Zürich, Zürich 1992,S. 136.

Abb. 14: Städtische Übungsplätze für Selbst-organisation: Hamburg-Ottensen.aus: Martin Kirchner. Nutzung von Altgewer-be- und Industrieflächen für den innerstädti-schen Wohnungsbau. Das Beispiel Ottensen.In: Stadt 9/82, S. 35.

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pischem und makroskopischem Chaos,die sich im zeitlichen Verlauf von einemExtremzustand zum anderen bewegen(können).

Das Chaos als Ganzes ist aufgrundseines hohen Grades an Komplexitätkaum noch planbar (nicht umsonst istdie moderne Stadt aus den Konzeptender 20er bis 50er Jahre auch nie ent-standen), wohl aber dessen strukturelleund gestalterische Bestandteile, die sichim Idealfall einfügen in eine sinnfälligeund gut vernetzte Struktur.

«Dreifelderwirtschaft»in der RaumplanungRaumplanung – auf dem Hintergrundder chaostheoretischen Erkenntnissebetrachtet – hat demnach immer mehroder weniger direkt oder indirekt mitChaos zu tun:– Richtet sie sich auf eine bewahrendeStrategie ein, ist das (mikroskopische)Chaos immer schon da, denn es ist Be-standteil des offenen Systems «Stadt».– Arbeitet sie stärker mit Umstrukturie-rungen, entsteht im Zuge dessen – wennauch nur auf Zeit – immer (makroskopi-sches) Chaos, weil es Phasenübergängegrundsätzlich begleitet.– Besitzt sie die Stärke, ganze Bereichesich selbst zu überlassen, bevor sie pfle-gend und unterstützend eingreift, ent-steht Chaos durch die potentiellen Pro-zesse der Selbstorganisation ebenfallsvon selbst.

Es kann also nicht darum gehen,Chaos zu vermeiden, sondern mit demChaos zu leben, es möglichst optimal inPlanungs- und Entscheidungsprozesseeinzubeziehen. Dies kann zum Beispielim Sinne einer Planungsstrategie reali-siert werden, die ich mit dem Begriffder «Dreifelderwirtschaft» umschreibenmöchte, einer Strategie, die die Vielfaltder vorhandenen Bedürfnisse respek-tiert, indem sie gewisse Bereiche sichselbst überlässt, da diese so – wie siesind – den Anforderungen genügen,während sie in anderen Bereichen inhohem Masse planerisch tätig ist undSteuerungsfunktionen übernimmt und inwieder anderen Bereichen eine Zeitlang«Wildaufwuchs» zulässt, neue Entwick-lungen stimuliert, bevor sie pflegendeingreift.

Voraussetzung:eine neue PlanungskulturEine solche Planungsstrategie wäre inder Lage, das dynamische Gleichge-wicht des städtischen Systems zwischenStrukturwandel und Strukturerhalt auf-rechtzuerhalten. Dazu braucht es jedocheine im Gemeinwesen fest verankerteRaumplanung, die eine Planungskulturinszeniert, in der es nicht in erster Linieum den perfekten Plan geht, nicht um dieHerstellung der vollkommenen Stadt,sondern um einen offenen und partizi-pativen permanenten Diskurs über dieEntwicklung der Stadt, und zwar unterallen Planungsbeteiligten und -betroffe-nen mit dem Ziel einer möglichst voll-ständigen Berücksichtigung aller Anfor-derungen an die räumliche Umwelt.Eine solche Raumplanung würde nebeneinem flexiblen Planungskonzept als«hardware» sich vor allem dem Bereichder «software» zuwenden, indem sie:– die Koordination pflegt, und zwarnicht nur mit privaten (bauwilligen), son-dern vor allem auch mit öffentlichenPartnern, das heisst zum Beispiel auchmit Verwaltungen der verschiedenenEbenen und von benachbarten Städtenund Gemeinden,– Regelungen beschränkt, aber nicht imSinne einer falsch verstandenen Deregu-lierung, die keine Grenzen setzt, son-dern im Sinne einer Beschränkung aufdas Wesentliche; das bedeutet zum Bei-spiel eine Rücknahme von Massregelun-gen im Detail zugunsten der Struktur,dem Bereich, der die Verknüpfung dereinzelnen Siedlungsteile untereinanderbetrifft,– Selbstorganisation fördert, wo diesedazu beiträgt, unartikulierten oder ver-deckten Bedürfnissen Raum zu geben,das meint den Einbezug all jener sichselbst organisierender Bewegungen, diean der Basis der Bevölkerung entstehen,aber nicht über eine ökonomisch durch-setzungsfähige Lobby verfügen.

Auch eine so praktizierte Raumpla-nung wird zwar das Chaos nie beherr-schen, sie ist mit der gleichwertigenBerücksichtigung organisierter und sichselbst organisierender Impulse aber inder Lage, chaotische Bewegungen zuantizipieren oder zumindest angemes-sen zu begleiten.

Literaturhinweise

[1] Vgl. hierzu den ersten gedanklichen Auf-riss in DISP 101/1990: «Chaos als Ord-nungsprinzip im Städtebau?»; die Disserta-tion «Chaos als Ordnungsprinzip im Städte-bau. Ansätze zu einem neuen Planungsver-ständnis» (1994 abgeschlossen) liegt alsORL-Bericht 99/1995 vor.[2] Die beiden amerikanischen Wissenschaft-ler John Briggs und F. David Peat sehen inihrem Auftreten ein Zeichen für den unend-lich tiefen inneren Zusammenhang einesSystems, ein Zeichen seiner Ganzheit. Vgl.hierzu Briggs/Peat (1990): Die Entdeckungdes Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theo-rie, München/Wien, S. 73 (Orig. Ausg.: Tur-bulent Mirror. An Illustrated Guide to ChaosTheory and the Science of Wholeness, NewYork 1989).[3] Vgl. Yona Friedman (1989): Das Modell«Mechanismen einer Stadt». Eine Methodezum Messen von Selbstorganisation undWachstum in der Stadt. In: Systeme als Pro-gramm, arcus Architektur und WissenschaftHeft 8, Köln, S. 42–51.Der Frage nach der Ebene und den Möglich-keiten der menschlichen Wahrnehmung undin dem Zusammenhang auch nach der Plan-barkeit von Städten ist Yona Friedman imRahmen seiner Studie über das komplexeSystem «Grossstadt» nachgegangen. Er gehtdavon aus, dass es für den Menschen resp.für den Planer unmöglich ist, die Stadt ausder von ihm sogenannten «Auge-Gottes-»sowie aus der «Auge des Staates-Perspekti-ve», sondern allenfalls aus der «Buchhalter-Perspektive» zu erfassen. Dabei betrachtet erdie Summe der Bewegungen, die von derGesamtheit der Individuen vollzogen wer-den. Er sieht die Stadt als ein lebendesGanzes, wie den Ameisenhaufen, und weistnach, dass sich, vom makroskopischenStandpunkt, die Stadt wie ein Lebewesen ver-hält.[4] James Gleick (1988): Chaos – Die Ord-nung des Universums. Vorstoss in Grenzbe-reiche der modernen Physik, München, S. 73(Orig. Ausg.: Chaos – Making a NewScience, 1987).[5] Briggs/Peat (1990) a.a.O., S. 74 ff.[6] Hartmut Häussermann / Walter Siebel(1987): Neue Urbanität, Frankfurt a.M.,S. 92.[7] James P. Crutchfield / J. Doyne Farmeru.a. (1989): Chaos. In: Chaos und Fraktale.Spektrum der Wissenschaft, Bremen, S. 13.[8] Vgl. z.B. Pierre Frankhauser (1991):Fraktales Stadtwachstum. In: Arch+ Zeit-schrift für Architektur und Städtebau, Heft109/110, S. 84–89, oder Klaus Humpert /

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Klaus Brenner (1992): Das Phänomen derStadt als fraktale Struktur. In: Das Phänomender Stadt. Berichte aus Forschung und Lehre,Arbeitsbericht 47, Städtebauliches InstitutUniversität Stuttgart, S. 223–269.[9] S. z.B. Rem Koolhaas (1993) in Ge-sprächen mit Nikolaus Kuhnert, PhilippOswalt und Alejandro Zaera Polo: Die Ent-faltung der Architektur. In: Arch+ 117,S. 22–33.[10] S. Heinz-Otto Peitgen / Hartmut Jür-gens / Dietmar Saupe (1992): Bausteine desChaos. Fraktale, Berlin/Heidelberg/NewYork/Stuttgart.[11] Vgl. hierzu Benoît B. Mandelbrot(1987): Die fraktale Geometrie der Natur,Basel/Boston (Orig. Ausg.: The Fractal Geo-metry of Nature, 1977).[12] Ausnahmen sind Translationen, die auf-grund denkmalpflegerischen Interesses inMuseumsdörfer vorgenommen werden (vgl.z.B. Ballenberg CH oder zahlreiche Freilicht-museen in Norwegen).[13] Leonard M. Sander (1989): FraktalesWachstum. In: Chaos und Fraktale. Spektrumder Wissenschaft, Bremen, S. 121.[14] Vgl. hierzu Klaus Humpert / Klaus Bren-ner / Hansjörg Bohm (1992): Grossstädti-sche Agglomerationen – ein globales Phäno-men. In: Das Phänomen der Stadt a.a.O.,S. 149–175.[15] Der Sonderforschungsbereich SFB 230«Natürliche Konstruktionen» ist an den Uni-versitäten Stuttgart und Tübingen eingerichtetund wird seit 1984 von der Deutschen For-schungsgemeinschaft DFG gefördert. Am SFB230 sind zahlreiche technische, naturwissen-schaftliche und philosophische Disziplinenbeteiligt. Von besonderem Interesse im vorlie-genden Zusammenhang ist u. a. das 1992neu eingerichtete Teilprojekt «Prinzipien derSelbstorganisation und Evolution»; auch inanderen Teilprojekten ist jedoch bereits überChaos, Ordnung und Selbstorganisationgeforscht worden.[16] Jürgen Habermas. Zit. nach: StephanWehowsky (1990): Die unvernünftige Gesell-schaft. In: Chaos und Kreativität, Geo Wis-sen, Nr. 2, S. 152.[17] Niklas Luhmann (1991): Soziale Syste-me. Grundriss einer allgemeinen Theorie, 4.Aufl. Frankfurt a.M., S. 152 f. (1. Aufl. 1984).[18] Vgl. Rainer Paslack (1991): Urgeschich-te der Selbstorganisation. Zur Archäologieeines wissenschaftlichen Paradigmas, Braun-schweig/Wiesbaden.[19] Vgl. Ilya Prigogine (1979): Vom Seinzum Werden, München.[20] Vgl. Hermann Haken (1981): Erfolgs-geheimnisse der Natur. Synergetik – Die Leh-re vom Zusammenwirken, Stuttgart.

[21] Vgl. Humberto Maturana / FranciscoVarela (1980): Autopoiesis and Cognition,Boston.[22] Vgl. Grégoire Nicolis / Ilya Prigogine(1987): Die Erforschung des Komplexen. Aufdem Weg zu einem neuen Verständnisder Naturwissenschaften, München/Zürich,S. 77.[23] Erich Jantsch (1992): Die Selbstorgani-sation des Universums. Vom Urknall zummenschlichen Geist, erw. Neuaufl. Mün-chen/Wien, S. 60.[24] Ilya Prigogine / Isabelle Stengers(1990): Dialog mit der Natur. Neue Wegenaturwissenschaftlichen Denkens, Neuausg.München, S. 152.[25] Haken (1981) a.a.O., S. 65 ff.[26] Ebda., S. 165 ff.[27] Humberto Maturana / Francisco Varela(1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biolo-gischen Wurzeln des menschlichen Erken-nens, Hamburg, S. 43 ff. (Orig. Ausg. Elàrbol del conocimiento, 1984).[28] Luhmann (1991) a.a.O., S. 13 f.[29] Vgl. hierzu Briggs/Peat (1990).

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DISP 124 35 1996B a r b a r a L e i c h t l e

Lust auf Planungsergebnisse mit Zukunft!

Zunehmend wird erkannt, dass Stadt-und Bauplanungen nur dann erfolgreichsein können, wenn frühzeitig und umfas-send Nutzer und andere Experten inden Planungsprozess einbezogen wer-den.

Kooperative Problemlösungsverfahrengewährleisten beispielsweise, dass ineinem wirkungsvollen Zusammenspielvon Laien und Fachleuten problem-adäquate Antworten entwickelt werden.Fragen der Umsetzung auch unter derEinbindung von Betroffenen und Fragender Akzeptanz kann so konstruktiv be-gegnet werden.

Verschiedene Autoren sehen auf demHintergrund einer Desintegration derGesellschaft einen Bedeutungsgewinndes Mitbestimmens in gesellschaftspoliti-scher Hinsicht und ziehen Vergleiche mitden frühen 70ern (z.B. Bischoff, Selle,Sinning 1995).

Dem Bedeutungszuwachs auf dereinen Seite steht jedoch nach wie voreine grosse Zurückhaltung gegenüber,wenn es konkret darum geht, Bürger ein-zubeziehen.

Bis heute fürchten Wohnbaugesell-schaften ein Chaos, Sozialplaner einDesinteresse und auch nur wenigeArchitekten sind bereit, ihre Rolle imRahmen einer Verstärkung der partizi-patorischen Komponente in der Planungneu zu definieren.

Problematisch scheint die verbreiteteEinstellung zu sein, dass Mitbestimmungautomatisch Interessenkonflikte nachsich zieht und den Nutzern nicht wirk-lich Vertrauen in ihre Kompetenzen ent-gegengebracht wird.

Gerade hier zeigt sich die Bedeutungeiner Verknüpfung der Erkenntnisse ver-schiedener Disziplinen.

Im Rahmen meiner Zusammenarbeitmit Architekten sowohl an der Fakultätfür Architektur als auch in der Bera-tungspraxis lag vor diesem Hintergrunddie Frage nahe, welches Wissen undwelche Methoden die Psychologiebereitstellen kann, um Mitbestimmungeffektiv und angenehm zu gestalten.

Als grundsätzliche Fragen stellen sich:• Wie muss der Planungsprozess struk-turiert werden, damit unter Mitwirkungaller Betroffenen und mit angemesse-

nem Aufwand Planungsentscheidungenherbeigeführt werden können?• Welche Voraussetzungen sind für dieEinbeziehung der Betroffenen im Pla-nungsprozess zu treffen?• Welche Hilfsmittel können eingesetztwerden, um eine umfassende Mitwir-kung zu ermöglichen?• Wie also kann der komplexe Pla-nungsprozess mit den vielschichtigensozialen Prozessen in Einklang gebrachtwerden?

Im folgenden werden zunächst dieErgebnisse einer Befragung von Betei-ligten zweier Mitbestimmungsmodell-projekte aus dem Wohnungsbaubereichzusammenfassend vorgestellt. Besonde-res Augenmerk liegt dabei auf relevan-ten Problembereichen und neuralgi-schen Punkten. Darauf aufbauend wer-den Vorschläge zum Planungsprozessund zur Prozessbegleitung formuliert.Abschliessend wird diskutiert, wie ko-operatives Arbeiten bei verschiedenstenPlanungsvorhaben wirksam realisiertwerden kann.

Ergebnisse aus den BefragungenZiel der Untersuchung war es, mit Hilfeder Aussagen der an einem partizipati-ven Planungsprozess beteiligten Bewoh-ner, Architekten und Sozialwissenschaft-ler (diese wurden über Forschungspro-jekte finanziert) ein differenziertes Bildder Vorgänge zu gewinnen, um daraufaufbauend Ansatzpunkte für eine Ver-besserung der Abläufe zu entwickeln.

Reflexion der WünscheFür die befragten Bewohner steht in derPlanungsphase die Auseinandersetzungmit dem zukünftigen, gemeinschaftli-chen Leben im Vordergrund: «Was wol-len wir eigentlich – wie wollen wir daleben?» Ebenso bedeutend ist das Re-flektieren der individuellen (tradierten)Wohnwünsche und das Formulieren die-ser gegenüber der Gruppe und den Pla-nern. Dabei darf, so die Aussagen, derGesamtzusammenhang nicht aus denAugen verloren werden. Für diese inten-siven Prozesse muss unbedingt ausrei-chend Zeit einkalkuliert sein. Die Ergeb-nisse zeigen, dass es ratsam ist, dassdie Gruppe gemeinsam einen Modera-tionskurs macht, um sich entsprechendeKompetenzen anzueignen und sich einebegleitende Supervision dazu holt. Beiallen anfallenden Aufgaben – auchoder gerade – den eher pragmatischen,wie Informationen einholen (rechtliche,über andere Projekte, über verschiede-ne Baufirmen u.a.m.), sich um Förder-mittel kümmern und Amtswege überneh-men, haben sich, so die Untersuchungs-ergebnisse, Arbeitskreise bewährt.

Kompetenzen festlegenRechtzeitig müssen – gemeinsam mitden Architekten – die Kompetenzen fest-gelegt werden, «es muss klar sein, wiegross das Mass an Partizipation seinsoll, und dann müssen klare verbindli-che Aufträge an alle Beteiligten gege-ben werden», d.h., es müssen zunächstdie strukturellen, dann die inhaltlichen

Frage Nr. 9:Welche Massnahmen oder Vorgehensweisen der Gruppewährend der Planungs- und Bauzeit haben Sie unter-stützend erlebt?

Gruppenzusammenhalt 70%

Arbeit in den Arbeitskreisen 55%

die Zusammentreffen 30%

gemeinsame Baustellenbegehungen 10%

dass viel selber geplant wurde 5%

die gemeinsamen Urlaube 5%

Abstimmungsmodus 5%

gegenseitige Finanzierungshilfe 5%

Kasten 1

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Fragen geklärt werden. Nur so, so hatsich gezeigt, können Missverständnissevermieden werden.

Enge Zusammenarbeit mitden ArchitektenDie Ergebnisse veranschaulichen weiter,dass sich diese Aufgaben in der Bau-phase fortsetzen. Auch hier, so machendie Antworten deutlich, muss der Beteili-gungsumfang geklärt werden. Partizipa-tives Planen und Bauen ist ein Prozess,der immer wieder überprüft werdenmuss.

Das Umsetzen einer begleitendenÖffentlichkeitsarbeit (für die Nachbar-schaft, aber auch für Nachfolgegrup-pen) wird angesprochen. Die Bauphasegibt auch Gelegenheit, das zu über-prüfen, was in der vorangegangenenZeit entwickelt wurde. «Es ist bald Ein-zug, was machen wir dann wirklich,wenn wir einziehen?» Dieser Phasekommt durch die Möglichkeit des Wahr-nehmens im Dreidimensionalen, so wirddeutlich gemacht, grosse Bedeutung zu.

Bildung von ArbeitskreisenAls unterstützende Erfahrung wird derZusammenhalt empfunden (bis hin zurFinanzierungshilfe sowie die Tatsachen,dass eine Gruppe gegenüber Dritten,z.B. Behörden, leichter auftritt), der Ab-stimmungsmodus, und die Arbeit der Ar-beitskreise (das Teambilden mit der ent-sprechenden Kompetenz- und Arbeits-verteilung). Dem gegenseitigen Kennen-lernen, den gemeinsamen Treffen, denWochenenden, den Urlauben wird einegrosse Bedeutung im Hinblick auf unter-stützende Effekte beigemessen. Aberauch die Tatsache, dass viel selbergeplant wurde (das Erlernen des Artiku-lierens von Wünschen) und gemeinsammit den Architekten dann zur Über-prüfung die Baustelle besucht wurde,wirkte, so die Resultate, entlastend.

BelastungenEmotionale Entscheidungen, in denenz.T. Machtstrukturen zum Tragen kamen(das Dominieren einzelner), Einwändeunter den Tisch fielen, es zu Auseinan-dersetzungen kam (z.B. nahm die Grup-pe Einfluss auf Planungsentscheidungeneinzelner), z.T. auch das basisdemokra-

tische Prinzip selbst (der hohe Zeit- undEnergieaufwand) wirkten als Belastungs-momente. Dass man sich nicht so kom-petent fühlte (die grosse Verantwor-tung), aber gleichzeitig auch ein gewis-ses Misstrauen gegenüber den Expertenformulierte und deshalb (fast) alles sel-ber machen wollte, zuwenig delegierte,zuviel Sitzungen mit zuviel Detail-The-men abhielt, wirkte, so die Befragungs-ergebnisse, belastend. Problematischsind auch verschiedene Entscheidun-gen, besonders die gestalterischen unddie ökonomischen. Angesprochen wirdauch die Belastung durch «Verstrickun-gen in gruppendynamische Schwierig-keiten» und eine gewisse Fremdheit derGruppenmitglieder untereinander undauch die Tatsache, dass übernommeneWohnvorstellungen und das gemein-schaftliche Leben nicht ausreichendreflektiert wurden. Ergebnis ist, dassProbleme benannt werden und dannu.U. eine Supervision hinzugezogenwerden muss. Belastungsfaktor war dar-über hinaus die Tatsache, dass Statutenund Ziele der Gemeinschaft parallel zurPlanung erarbeitet wurden.

Rückblickend würde auf die Behe-bung dieser Faktoren deutlich mehrgeachtet werden, so die Erfahrungen.

Als weiterer Belastungsfaktor wirktedie begrenzte Kapazität des Architektur-büros, die damit verbundene auftreten-de Arbeitsüberlastung und der Zeit-druck, unter dem die Entscheidungen zutreffen waren und gleichzeitig das Feh-len fester Fristen. Z.T. werden auchunklare Absprachen zwischen Architek-ten und Bewohnern und die teilweiseÜberforderung – auch durch den hohenAbstraktionsgrad von Planung – derBewohner angeführt. Eigene Vorstellun-gen der Architekten, die sich von denen

der Bewohner unterschieden, wirktenebenfalls belastend. Die Enttäuschung,dass nicht alles so wie vielleicht erwar-tet umgesetzt werden konnte, eben dochnicht «alles möglich ist», wird genannt.Belastend wird auch das Fehlen grup-pendynamischer Kenntnisse der Archi-tekten und der Verzicht auf Supervisionempfunden.

Auf die Effizienz achtenDie Beteiligten würden in Zukunft mehrauf die Effizienz achten. Hilfreich wäreauch eine Weiterbegleitung der Projek-te, eine Überprüfung in der «Lebens-phase», um Rückschlüsse in neue Auf-gaben einfliessen zu lassen. Die Aus-einandersetzung mit Konfliktforschungund dem Ablauf von Entscheidungs-prozessen wird angesprochen. Ein ge-naues Hinschauen – «mit wem lasse ichmich auf diesen langen Prozess ein» –ist eine ebenfalls genannte Prozess-erfahrung.

Kommunikations- und Konfliktmanage-ment durch den SozialwissenschaftlerAuch die von den begleitenden Sozial-wissenschaftlern erwarteten Aktivitätensind, so die Untersuchungsergebnisse,sehr vielfältig. Sie sollen gruppendyna-mische Unterstützung leisten; gemeint istdamit das Geben von Impulsen zumBearbeiten von Konflikten und zur Ent-scheidungsfindung, das Übernehmender Diskussionsleitung, das Vornehmeneiner Gruppensupervision und einesKommunikations- oder Konfliktmanage-ments, die Anregung zur Auseinander-setzung mit den individuellen und denGruppenzielen. Alternativ zu dieser Rol-le wird die des Forschers, des neutralenInterviewers genannt, der die Prozessefür Nachfolgegruppen dokumentiert und

DISP 124 36 1996

Frage Nr. 10:Welche Massnahmen waren belastend?

emotionale Entscheidungsprozesse 40%

gruppendynamische Verstrickungen 35%

grosse Verantwortung 10%

Fremdheit in der Gruppe 10%

Auseinandersetzungen 5%

Kasten 2

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ggf. die Ergebnisse an die Gruppezurückmeldet. Die Entscheidung für einedieser Vorgehensweisen muss, so dasErgebnis, zu Beginn getroffen werden.Angesprochen wird noch das Gebenvon Fachinformationen und der Auf-gabenbereich Öffentlichkeitsarbeit (vgl.auch unten).

MotivationIn der Bauphase könnte zusätzlich einMotivieren zum Weitermachen, dasAnregen stressmindernder Massnah-men, eine Vorbereitung auf das gemein-same Wohnen, Interventionen bei Arti-kulationsproblemen und bei der Domi-nanz einzelner erfolgen.

Unterstützend erlebt wurde das Be-wusstmachen von Prozessen, das Bera-ten und Geben von Impulsen bei derGestaltung der Wohnung und der Ge-meinschaftsbereiche, die Mitarbeit anden Arbeitskreisen, das Erstellen einerDokumentation, das Ernstnehmen deseinzelnen (auch die Einzelgespräche,das «Verbessern der Mündigkeit»), dievorgenommene Protokollierung und dieUnterstützung beim Kennenlernen.

Gemeinschaftsbereiche drückendie Ziele ausGemeinsam geplante und finanzierteGemeinschaftsbereiche auf der einen,die sehr individuellen Wohnungen aufder anderen Seite, drücken die Ge-meinschaftsziele aus. Kommunikations-freundlichkeit (z.B. des Treppenhauses),Kindergerechtheit (der Anlage), ein ge-meinsamer Garten, die Flexibilität desGebäudes korrespondieren ebenfalls,so die Antworten mit den Gemein-schaftszielen.

Grosse Identifikation und ZufriedenheitPositiven Einfluss auf das Gemein-schaftsleben haben in den Projekten dieverschiedenen Gemeinschaftsräume.Hier kann man Feste feiern, Sitzungenabhalten, die Kinder spielen lassenu. v.a.m. Aber auch das Wohlfühlen inder eigenen Wohnung, die Vielfalt be-wirkt Positives (z.B. Identifikation, hoheWohnzufriedenheit). Weitere genannteAspekte sind die flexible Planung, dieimmer wieder neue Möglichkeiten bie-tet, und eine hohe Schalldichte.

Situationsbezogenes VorgehenerforderlichDie Gruppen haben mit der Zeit gelernt,dass unterschiedliche Entscheidungenunterschiedliche Strategien verlangen.Zu beobachten war darüber hinaus einZustimmen aus Müdigkeit (insbesonderenach der intensiven Planungszeit), einVertrauensgewinn durch das allmähli-che Kennenlernen. Vor allem aufgrundvon Arbeitsüberlastung wurde Delega-tion notwendig.

Protokolle, die Entscheidungen fest-halten, Abstimmungen (wer ist dage-gen?) haben sich als sinnvoll erwiesen.Die Entscheidungskompetenzen derAGs müssen sehr gut geklärt und Kon-flikte ausdiskutiert werden, so die be-schriebenen Erfahrungen. Die Entschei-dungen waren z.T. auch zu belastend,man hätte sich mehr ums «Soziale» küm-mern sollen.

Die Untersuchung zeigt weiter, dassbei aktuellen Entscheidungen meist diegleichen Vorgehensweisen eingesetztwerden (Teambilden, Absprachen imHaus, Ideen einbringen – diskutieren –abstimmen, die Aktiven übernehmen dieVerantwortung usw.). Es gibt auch immernoch «emotional überfrachtete» Entschei-dungen und «Einzelentscheidungen».

Verschiedenste Konflikte sindaufgetretenDie Untersuchungsergebnisse zur Artund zum Umgang mit Konflikten weisengrosse Parallelen zum Vorgehen bei Ent-scheidungen auf. Es zeigt sich, dass ver-schiedenste Konflikte im Verlauf der Pla-

nungs- und Bauzeit aufgetreten sind:Konflikte aufgrund von Unsicherheit undÜberforderung der Bewohner, der Zeit-intensität mancher Entscheidungen, ver-schiedener Interessen (Individuum-Ge-meinschaft), verschiedener Bedürfnisse(Erwachsene–Kinder, Familien–Allein-stehende usw.) insbesondere hinsicht-lich der Ruhe, Konflikte in bezug aufdie Bauweise, die Wohnungslage,-grösse, und -standard, und sogenannte«ideologische» Konflikte (Bio- versus Be-tonbauer, verschiedene Erziehungsstileusw.). Grosse Schwierigkeiten machtenmehrheitlich zu entscheidende ästheti-sche Fragen (was ist schön?), aber auchpersönliche Konflikte und Fragen desRollenverhaltens Männer–Frauen stelltensich als Konfliktherde dar. AufgetreteneAusländerfeindlichkeit, Machtkonflikte,Neid, unterschiedliches Engagementund auch «unausgesprochene» Konfliktesind in diesen Phasen, so die Ergebnis-se, zu beobachten gewesen.

Die Befragten nennen als möglicheLösung im Umgang mit diesen Konflik-ten die Suche nach Kompromissen imGespräch, die Anregung von Aktivitä-ten, die Delegation der Lösung an dieGruppenleitung oder sog. «Konflikt-schlichter», oder – bei baulichen Fragen– das Abgeben der Entscheidung andie Architekten. Teilweise wurden dieKonflikte gemieden und sind bis heuteungelöst, oder ein Konfliktpartner ist ausder Gruppe ausgeschieden. Man hataber auch gelernt, so die Antworten,dass nicht alles an- und ausgesprochenwerden muss.

DISP 124 37 1996

Frage Nr.16:Wenn Sie die Erfahrungen, die Sie bisher im Verlauf desProjektes gemacht haben, bereits zu Beginn des Projektesgehabt hätten, was würden Sie dann heute andersmachen? – in bezug auf die Gruppe/Gemeinschaft

kompetentere Teams einrichten 10%

kleinere Entscheidungsgremien 10%

intensivere Auseinandersetzungmit dem Gemeinschaftlichen 10%

intensivere Auseinandersetzungmit sich und den anderen 10%

mehr delegieren 10%

Konflikte besser regeln 5%

sich besser abgrenzen 5%

kritischer bei der Auswahl der Mitglieder sein 5%

kürzere Sitzungen 5%

Supervision dazu holen 5%

Kommunikationsprozesse moderieren lassen 5%

Kasten 3

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Aufmerksam wurde man auf die vor-handenen Konflikte z.T. durch die So-zialwissenschaftler, die die Konflikteerfasst und rückgemeldet haben. Dasübliche Vorgehen bestand in einem Ein-halten der Regeln (Sitzung – besprechen– abstimmen), da meist die Entscheidun-gen schnell getroffen werden mussten.

Die Befragung der an einem extremintensiven und langen Mitbestimmungs-prozess Beteiligten verdeutlicht die Qua-litäten, aber auch die Probleme diesesVorgehens. Identifikation, Akzeptanz,Zufriedenheit, Gemeinschaft und nut-zungsgerechte Planungsergebnissen ste-hen zeitintensive Diskussionen, Proble-me aufgrund unklarer Absprachen, Ver-antwortungsdiffusion, uneffektive Orga-nisation und problematisches Vorgehenbei Entscheidungen gegenüber.

Wie könnte eine sinnvolleProzessbegleitung aussehen?Ausgehend von den benannten Pro-blembereichen sollen nun Ideen zu einermöglichen Prozessbegleitung beschrie-ben werden.

Keineswegs als Lösungskatalog, son-dern vielmehr als ein beispielhaftesVorgehen – neben vielen weiteren Me-thoden – sollen nachstehende Vorschlä-ge in erster Linie einer Veranschauli-chung möglicher Vorgehensweisen die-nen (vgl. Abb. 1).

Die Psychologie als Disziplin, die sichmit dem menschlichen Erleben und Ver-halten befasst, kann sowohl theoretischeKonstrukte, z.B. aus dem Arbeits- undOrganisationsbereich (vgl. Rosenstiel,L. v. et al. 1987, Gester, P.-W. et al.1993), oder der Umweltpsychologie(vgl. z. B. Kaminski 1976, 1985; Kruse1974, 1990), als auch praktische Hand-lungshilfen (z.B. aus der Kommunika-

tionspsychologie vgl. Watzlawick, P.,Antons, K. 1992) bereitstellen. Kenntnis-se aus empirischen Untersuchungen vonGruppenprozessen in unterschiedlich-stem Kontext und daraus entwickelteMethoden, die diese Prozesse erleich-tern sollen, haben sich bisher in derArbeit mit Gruppen (oft aus der Arbeits-welt) bewährt. Eine erste Auseinander-setzung mit den sozialen Dimensionenvon Arbeitsprozessen fand beispielswei-se 1938 im Rahmen der Hawthorne-Stu-dien statt, aus denen dann erste psycho-logische und ingenieurwissenschaftlicheUmsetzungsideen entwickelt wurden.Popitz et al. (1957) beschäftigten sichspäter mit kooperativen Dimensionenbetrieblicher Arbeitsprozesse, um nurzwei klassische Beispiele zu nennen.

Um den in der Untersuchung identifi-zierten Problembereichen angemessenbegegnen zu können, werden nachste-hend Modelle zur Gruppenbildung,Zielfindung, Kompetenzklärung, zumUmgang mit Entscheidungen und Kon-flikten sowie zum kooperativen Lösenvon Problemen skizziert.

Wie sieht ein konstruktiver Beitrag derPsychologie für die Planungsarbeit aus?

GruppenbildungDer Prozess beginnt mit der Gruppenbil-dung (Gruppenbildungen erfolgen auchim weiteren Verlauf immer wieder z.B.bei der Bildung von Arbeitskreisen). Be-reits beim Vorstellen und dem darauffol-genden ersten Kennenlernen werdenMuster des einzelnen in bezug auf Ein-stellung, Verhalten und des Handelns inder Gruppe geprägt. Oft bilden die sichin dieser Phase herauskristallisierendenVerhaltensstrukturen das Leitthema fürkünftiges Verhalten. Gerade hier könnteein begleitender Fachmann ansetzen,um nicht nur den Gruppenprozess in

Gang zu setzen, sondern den einzelnendazu zu veranlasssen, seine Erwartun-gen, Befürchtungen und Vorstellungenz.B. in bezug auf ein gemeinschaftlichesProjekt zu reflektieren und zu kommuni-zieren.

Phase des Problematisierensund der ZielfindungWenn sich die Gruppe(ngrösse) stabili-siert, tritt die eigentliche Phase des Pro-blematisierens ein. Das Vorhaben wirdimmer konkreter, die Frage nach denZielen im engeren Sinn rückt in den Vor-dergrund.

In dieser Phase (die zeitliche Reihen-folge ist nicht so streng, wie sie vielleichtaufgrund der Darstellung erscheint, viel-mehr laufen die Prozesse meist parallelab) könnten durch Angebote wie z.B.die Moderation eines «visualisiertenBrainstormings» zu bestimmten Fra-gestellungen gewährleisten, dass• alle Beteiligten aufgrund der schriftli-chen Form der Abfragen zu Wort kom-men und nicht – was häufig zu Konflik-ten führt – besonders redegewandte,einflussreiche Personen mit ihrer geäus-serten Meinung die Richtung der Ent-wicklung festlegen• keine Ideen verlorengehen, weilalles schriftlich festgehalten ist, u.a.m.

Ein Moderator hilft der Gruppe, ihreZiele und Wünsche zu formulieren,Lösungen zu erarbeiten und die Umset-zung sicherzustellen.

Übernahmen von Aufgaben undVerantwortung durch ArbeitsgruppenDie Bildung von Arbeitsgruppen, diesich mit bestimmten Fragestellungenweitergehend beschäftigen, wird immerwieder als sehr sinnvolles Vorgehenbeschrieben. Es erfolgt in der Regel eineAufteilung der Gesamtgruppe in

DISP 124 38 1996

Abb. 1: Schematischer Ablauf einesPlanungsprozesses – mögliche Umsetzungs-phasen.

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a) WohngruppierungenFamilien oder Einzelpersonen usw. –Menschen, die in einer Wohnung zu-sammenlebenb) ArbeitsgruppenGremien, die sich mit den verschiede-nen relevanten Fragestellungen wie z.B.den Baustoffen, der Finanzierung, derBauphysik, den rechtlichen Fragen, derÖffentlichkeitsarbeit, den Fragen desgemeinschaftlichen Lebens usw. befas-sen.

Bei der Bildung von Arbeitsgruppenkönnte eine Begleitung organisatorischeVorschläge entwickeln. Zum Beispiel:• Wie oft berichten die verschiedenenArbeitskreise dem Plenum und in wel-cher Form (Struktur der Sitzungen, derVorbereitung der Sitzungen, der ver-ständlichen Vermittlung erarbeiteterInhalte, Kommunikationsregeln)?• Wie kann man bestimmte Fragestel-lungen methodisch angehen, wie be-kommt man die notwendigen Informa-tionen?• Wie könnte eine innere Organisa-tion eines Arbeitskreises aussehen?• Welche Entscheidungen können oh-ne, welche nur mit Rücksprache mit demPlenum getroffen werden?

KompetenzklärungDie Kompetenzfestlegung, nicht nurzwischen Arbeitskreisen und Plenum,sondern auch zwischen Bewohnern undArchitekten, ist über den gesamten Pla-nungs- und Bauprozess hinweg einpotentieller Konfliktherd. Immer wiedersind Absprachen und Klärungen hin-sichtlich der Entscheidungskompetenzennotwendig. Sie stellen gleichzeitig denKern partizipativen Vorgehens dar,nämlich das Herstellen und Aufrecht-erhalten des Gleichgewichtes an Ein-fluss der am Prozess beteiligten Partner.Dieses Aushandeln könnte durch einenSozialwissenschaftler qualifiziert vorbe-reitet und moderiert werden.

KommunikationstrainingUm günstige Voraussetzungen (Inter-aktion und Informationsaustausch aufGrundlage einer gelungenen Kommuni-kation) zu schaffen, könnte der Sozial-

wissenschaftler ein Training der Kommu-nikationsfähigkeit aller Beteiligten (alsoauch der Architekten) anbieten. Diemenschliche Kommunikation ist extremleicht störbar (vgl. z.B. Watzlawick, T.,Beavin, J.H., Jackson, D.D. 1969). Dasschnelle Hin und Her, Sender/Empfän-ger, ist in der Realität ständig in Gefahr,Fehlwahrnehmungen, Ängsten, Stereo-typen usw. zum Opfer zu fallen. Einmögliches Herangehen besteht nun dar-in, den Kommunikationsprozess zu zer-legen und nach einer Analyse einTraining der Kommunikationsfähigkeitdurchzuführen. Zahlreiche gruppen-dynamische Übungen sind hierbei denk-bar (vgl. Antons 1992).

Überhaupt hält die Psychologie zahl-reiche Methoden bereit (vgl. z.B.Antons, K. 1992; Vopel, K. 1983; Kir-sten, R.E. et al. 1990 usw.) mit Hilfederer der Gruppenzusammenhalt ge-stärkt werden kann und soziale Kompe-tenzen, wie z.B. das Geben und Emp-fangen von Feedback, das kooperativeZusammenarbeiten, der kritische Um-gang mit Normen und Vorurteilen, dieEntwicklung von Vertrauen und Offen-heit, der Umgang mit Macht, Einflussund Konkurrenz u. v.a.m. weiterent-wickelt werden können.

Umgang mit EntscheidungenSowohl in der Planungs, als auch in derBau- und Lebensphase eines Wohn-projektes sind unzählige Entscheidun-gen zu treffen.

Entscheidungen werden im Verlaufdes Prozesses jedoch nicht immer aufdieselbe Art und Weise gefällt. Ein typi-scher Verlauf (vgl. Antons, K. 1992) bishin zu einem konstruktiven Umgang mitEntscheidungsproblemen könnte wiefolgt aussehen:1. Hau-Ruck-Entscheidungen durch do-minante Mitglieder2. Rückzug auf formaldemokratischeLösungen3. Entscheidungsunfähigkeit der Grup-pe vor lauter Problematisieren4. ein wachsender Konsenszwang, derunvermeidlich zu Minoritätsproblemenführt5. ein freies und kreativeres Umgehenmit Regeln

6. und schliesslich situations- und pro-blementsprechende Entscheidungsme-chanismen (1.–5.)

Die Art und Weise, in der Entschei-dungen getroffen werden, kann also alsein Indikator für das «Reifeniveau» derGruppe betrachtet werden. Hilfreichsind hierbei Methoden, die die Faktorenidentifizieren, die Beschlüsse durch dieganze Gruppe erleichtern, Faktoren wiez.B. eine günstige Gruppengrösse odereine genaue Problemdefinition.

KonfliktmanagementIm Extremfall formulieren die verschie-denen Wohngruppen und die verschie-denen Arbeitskreise verschiedene Ent-scheidungsvarianten. Häufig entstehendabei (scheinbare) Ziel- bzw. Interessen-konflikte (z.B. ökonomische Gesichts-punkte vs. Bauökologie; Interessen derGemeinschaft vs. Interessen einzelnerusw.). Prinzipiell sind zwei Konflikt-ebenen denkbar: erstens innerhalb derArbeitskreise und zweitens zwischenden Arbeitskreisen.

Ein Begleiter kann hier durch methodi-sche Unterstützung (vgl. z.B. Vopel, K.1983) helfen, bei• der Anerkennung der Tatsache, dassKonflikte oft unvermeidlich sind und häu-fig positive Aufgaben erfüllen• der Erkenntnis, dass die Widerstän-de unserer Konfliktpartner dann kleinerwerden, wenn wir ihren Standpunkt ver-stehen und selbst bereit sind, unser Ver-halten zu ändern• der Einsicht, dass viele Konfliktenicht durch unüberwindbare Interessen-gegensätze entstehen, sondern weil wirim Verlauf unserer Sozialisation gelernthaben, dass es eine Wahrheit gibt,einen Sieger, einen Schuldigen, wasu.a. dazu führt, dass wir schon mit derArt und Weise, wie wir kommunizieren,unseren Opponenten herabsetzen undattackieren• der Verknüpfung der eigenen Interes-sen und einem respektvollen Reagierenauf die Interessen des/der anderen.

Hilfreich könnte auch immer wiederdas Anbieten von Strukturierungshilfenwie z.B. von S. Bachmaier et al. 1985(S. 34 f.) unter dem Stichwort «Koopera-tives Problemlösen» beschrieben sein:

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1. Problemdefinition / Probleme wahr-nehmen und beschreibenDie verschiedenen Interaktionspartnerbeschreiben aus jeweils ihrer Sicht dasProblem.

2. Bedingungsanalyse / Problem inZusammenhänge stellen und analysie-renEs muss geklärt werden, welche Bedin-gungen zum Problem geführt haben undwelche das Problem aufrechterhalten

3. Zielanalyse und Lösungsauswahl /mögliche Ziele aufstellen und Lösungensammeln, danach auswählenZiele möglicher Veränderungen (soferngewünscht) werden formuliert. Entspre-chende Lösungen werden zunächstohne Wertung gesammelt, dieses Vorge-hen lässt auch aussergewöhnlichen Vor-schlägen Raum. Daran anschliessendwerden die Lösungs- und Fehlmöglich-keiten theoretisch auf ihre Brauchbarkeithin bewertet und ausgewählt. Die Fra-gen, ob die Lösungen durchführbar sindund ob die Ziele somit angestrebt wer-den können, werden untersucht.

4. Lösungsrealisation / LösungendurchführenDie zur Durchführung der Lösung not-wendigen Bedingungen werden geplant

und organisiert und alles Nötig in dieWege geleitet.

5. Lösungskontrolle / die Lösung wirdvon allen bewertetDas Ziel und die realisierte Lösung wer-den verglichen. Sofern das Ziel nichterreicht werden konnte, wird überprüft,bei welchen Schritten mögliche Fehlergemacht wurden.

Phase des ZusammenlebensIn der Phase des Zusammenlebens fin-den viele Prozesse ihre Fortsetzung. Ent-scheidungen hinsichtlich z.B. von Nut-zungsänderungen der Gemeinschafts-räume, Anschaffungen usw. fallen an,Konflikte aufgrund der grossen räumli-chen Nähe oder der Arbeitsverteilungusw. treten auf.

Eine begleitende Supervision im Sin-ne einer professionellen Beratung derGruppe durch den Sozialwissenschaft-ler, der Interaktionsprozesse einleitetund bei deren Aufarbeitung hilft, wäreeine grosse Unterstützung. Die Präsenzauch in der Phase des Zusammenlebensböte darüber hinaus die Möglichkeit,getroffene Entscheidungen zu überprü-fen, so dass Beteiligte zukünftiger Pro-jekte davon profitieren könnten.

Transfer zu Planungsprojektenjeder ArtFür welche Art von Projekten ist ein par-tizipatives Vorgehen generell denkbar?

Für jedes Projekt, unter der Vorausset-zung, dass der Ansatz je nach Situationmodifiziert wird, wie unsere Erfahrun-gen zeigen. Sicherlich wird der Mit-bestimmungsumfang von Fall zu Fall mitden Vorstellungen und Wünschen derBeteiligten variieren.

Kooperatives Arbeiten im Wohnungs-bau kann bei Projekten ganz unter-schiedlicher Grösse – bei Einfamilien-häusern ebenso wie bei Mehrfamilien-häusern – erfolgen. Auch im Mietwoh-nungsbau ist das Einbeziehen der Nut-zer möglich. Das Kriterium der Verän-derbarkeit ist hierbei besonders wichtig,und zwar sowohl im Hinblick auf Verän-derung der Bedürfnisse im Verlauf deseigenen Lebens als auch im Hinblick aufNachfolge-Nutzer.

Partizipation ist ebenso bei Siedlungs-projekten realisierbar. Voraussetzunghierfür ist, dass künftige Nutzer in Grup-pen kommunikationsfähiger Grösse auf-geteilt werden, oder – und dies gilt auchfür die weiteren Beispiele, sofern dieNutzer noch nicht bekannt sind – durchSimulation ihrer Bedürfnisse (heute undzukünftig) mit Hilfe verschiedener Exper-ten (Sozial-/Pädagogen, Psychologen,Soziologen usw.) und Interessenvertreter(Kinderschutzbund, Jugendverbände,Frauenbeauftragte usw.).

Auch im Bereich der Arbeitswelt (Ver-waltungs-, Labor-, Produktionsbau, tech-nische Gebäude wie z.B. vollautomati-sche Lager; Vertriebsgebäude) undbeim Bau öffentlicher Gebäude (Schu-len, Krankenhäuser, Behörden usw.) ist,wie die Erfahrung zeigt, das beschrie-bene Vorgehen möglich.

Einschränkungen hinsichtlich einerRealisierbarkeit sind nur dann gegeben,wenn künftige Nutzer aus z.B. Zeitgrün-den oder mangelndem Interesse nichtbeteiligt sein wollen.

Aus ökonomischer Sicht wird immerwieder der Vorwurf formuliert, das Ver-hältnis vom Aufwand zum Ergebnis beiMitbestimmungsprojekten sei schlecht,das Vorgehen zu teuer. DerartigeBetrachtungen lassen den sozialen, poli-tischen und ökonomischen Gewinn aus-

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Abb. 2: Kooperatives Problemlösen(aus Bachmeier, S. et al. 1985, S.35).

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ser acht. Bisher liegen leider zuwenigrealisierte und vor allem empirischuntersuchte Projekte vor. Gute Ergebnis-se im Sinn von erreichter Zufriedenheit,Identifikation, Gemeinschaft und eineszügigen Planungsverlaufes setzen einenpartnerschaftlichen Planungsprozessvoraus. Bei entsprechender Vorberei-tung und Begleitung der Prozesse wirdder zeitliche Aufwand nicht grössersein. Im Gegenteil, Streitfälle aufgrundvon fehlender Akzeptanz und unbear-beitete Konflikte können die Planungs-zeit und damit auch die Kosten rasant indie Höhe treiben.

Dem häufig angeführten Vorwurf,dass sich nur bestimmte gesellschaftli-che Gruppen auf Mitbestimmungspro-zesse einlassen, kann mit praktischenBeispielen begegnet werden.

Änderungen im rechtlichen Bereichkönnten sich entlastend auf die Umset-zung von Mitbestimmungsprojekten aus-wirken. Genannt werden soll hier nurbeispielhaft eine Stärkung der Nutzer-position und eine Empfehlung (z.B.LBO), Planungsprozessbegleiter (wiez.B. Psychologen) frühzeitig einzubezie-hen. Aber auch in diesem Kontext ist derhandelnde Mensch das entscheidendeKriterium: Die Mitarbeiter in den Behör-den, die Regelungen mit Vorschlags-charakter fortschrittlich auslegen, oderGruppen, wie z.B. künftige Nachbarneines gemeinschaftlichen Wohnprojek-tes, die davon absehen, einen Bau-beginn durch Widerspruch zu verzö-gern, oder zu verhindern u. v.a.m. Einefrühe Auseinandersetzung z.B. in denSchulen mit den Vorgängen um dasPlanen, Bauen und Wohnen würde zueiner grösseren Aufgeschlossenheit allerdenkbar Beteiligten führen. Mehr Kennt-nis impliziert mehr Verständnis, wenigerBefürchtungen und damit mehr Mut.

Von psychologischer Seite bestehenmöglicherweise gewisse Probleme dar-in, dass Experten beim Einbeziehen derNutzer ihre bisherige Rolle aufgeben,Entscheidungskompetenzen und damitMacht abgeben müssen. Oft werdenhier Sorgen in bezug auf das ästheti-sche Ergebnis («Chaos») formuliert.Denkbare individuelle Schwierigkeiten,die der Tatsache entspringen, dasskooperative Arbeitsformen in einer

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Abb. 3: Städtebauliche Entwicklungsmass-nahme: Integration von Ideen, Zielen undMassnahmen.

Abb. 4: Räumliche Zuordnung von Zielen imRahmen einer städtebaulichen Entwicklungs-massnahme.

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durch Konkurrenz geprägten Zeit zuwenig trainiert werden konnten, sinddenkbar.

Partizipation setzt sich aus den Varia-blen «Einfluss», «Interaktion» und «In-formationsaustausch» zusammen. Erstdurch Interaktion können die vielschich-tigen Aspekte im ganzheitlichen Sinneinfliessen. Im Zusammenwirken allerBeteiligten und Betroffenen mit all ihrendifferierenden Standpunkten könnenLösungen entwickelt werden, die derKomplexität der Aufgaben gerecht wer-den. Wie bedeutend hierfür eine gelun-gene Kommunikation ist, haben auchdie Untersuchungsergebnisse sehr deut-lich gezeigt. Kommunikation ist gleich-zeitig jedoch auch ausserordentlichstöranfällig, Missverständnisse und Kon-flikte sind vorprogrammiert nichts solltealso unversucht bleiben, den Austauschzu erleichtern. Die Sozialwissenschaf-ten, insbesondere die Psychologie, hal-ten hierfür zahlreiche Theorien und vorallem Methoden bereit.

Es gibt keinen Grund, vor neuen For-men der Zusammenarbeit zurückzu-schrecken, denn die Praxis zeigt: Mitentsprechendem methodischen Know-how können in klar strukturierten Einhei-ten gemeinsame Ziele entwickelt undrealisiert werden.

Das macht Lust auf Planungsergebnis-se mit Zukunft!

Literatur:

Antons, K.: Praxis der Gruppendynamik,Göttingen 1982.Bachmaier, S. J., J. Faber, C. Henning,R. Kolb, W. Willig: Beraten will gelernt sein,Weinheim 1985.Bischoff, A., K. Selle, H. Sinnig: Informieren,Beteiligen, Kooperieren, Dortmund 1995.Dienes, Thomas: Das Bild des Miteinander-arbeitens. In: Lehrstuhl für Bauplanung undEntwerfen (Hg.): Symposium Interdisziplina-rität in der Stadt-Bau-Planung, Karlsruhe1994.Dienes, Thomas; Barbara Leichtle: Kooperati-ve Planungsmethoden im Planungsprozess fürStandorte und Gebäude. In: Sommer, Degen-hard (Hg.): Industriebau – Radikale Umstruk-turierung – Praxisreport, Basel 1995.Gerster, P.-W., B. Heitger, Ch. Schmitz (Hg):Mangerie. Systemisches Denken und Han-deln im Management, Heidelberg 1993.

Grunwald, W., H.G. Lilge (Hg): PartizipativeFührung, Stuttgart 1980.Kaminski, G. (Hg.): UmweltpsychologischePerspektiven, Probleme, Praxis, Stuttgart1976.Kirsten, R.E., J. Müller-Schwarz: Gruppentrai-ning, Hamburg 1990.Kruse, L.: Räumliche Umwelt, Berlin 1974.Leichtle, Barbara: Partizipatives Bau-Planen.Möglichkeiten kooperativen Handelns im Pla-nungsprozess am Beispiel zweier Wohnpro-jekte, Dissertation an der Universität Karls-ruhe, 1994.Leichtle, Barbara: Arbeitshilfen für Wohn-und Arbeitsgruppen, in: Wohnbundinforma-tionen, 1/95 Wien/Frankfurt 1995.Popitz, H., H.P. Bahrdt, E. Jüres, H. Kesting:Technik und Industriearbeit. SoziologischeUntersuchungen in der Hüttenindustrie, Tübin-gen 1957.Roethlisberger, F. J., W. J. Dickson: Manage-ment an the worker. An Account of a Re-search Program Conducted by the WesternElektric Company, Hawthorne Works Chica-go, Cambridge (Mass.) 1939.Rosenstiel, L. von, H.E. Einsiedler, R.K.Streich, S. Rau: Motivation durch Mitwir-kung, Stuttgart 1987.Schäfers, B.: Gesellschaftlicher Wandel inDeutschland, 5. Auflage Stuttgart 1990.Uhl, O.: Kooperatives Planungshandeln, par-tizipatorisches Bauen in einer prozessualenArchitektur, in: Bauforum 90, 15. Jhg. 1982.Vopel, K.: Umgang mit Konflikten, Salzhau-sen 1983.Watzlawick, P., J.H. Beavin, D.D. Jackson:Menschliche Kommunikation, Stuttgart 1972.

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DISP 124 43 1996S e i f S . H a s s a n

Entity-Identity Modules and the Rationale for IntermediateSettlements in the Sudan

IntroductionWhen the Sudan gained its indepen-dence in 1956, it inherited a settlementsystem which can be described as sta-ble, regionally interdependent andnationally oriented. A brief look at set-tlement history in nineteenth centurySudan reveals that the country, with avast area (of 2.5 million square kilome-ters and current population of 25 millionpeople) extending over desert, tropical,and equatorial regions, and penetratedby the river Nile and its tributaries, waspredominantly a land of nomadic, semi-nomadic and nascent rural agriculturalsettlements. The river plains and the richgrazing regions of the central belt ofSudan constituted the initial homelandof camel-, cattle-, and sheep-owningtribal populations providing them withpasture and water for their animals andan extensive and unencumbered terrainfor seasonal movement and transientsettlement. Urban settlement has a rela-tively recent history and has been prop-agated mainly by colonial interventionof the Turco-Egyptian rule of the nine-teenth century and the subsequent An-glo-Egyptian condominium establish-ment of the major regional and provin-cial administrative centers.

In this paper an attempt is made totrace some of the elements of develop-ment policies, in Sudan, and theirunderlying strategies in as far as theyhave influenced the processes of nega-tive urbanization by creating a uniqueurban agglomeration in the capital cityof Khartoum, ruralization of urban cen-ters and destabilization of rural set-tlement. The paper suggests the precon-ditions for a reversal strategy whereby arural-urban continuum can be effectedthrough the notion of an Entity-IdentityModule in the context of intermediatesettlement strategies. An attempt is alsomade to offer a definition of the conceptof intermediate settlements in the contextof Sudan’s developmental perspectivesas well as in the context of the country’srelevant experiences. The paper adoptsa non-statistical approach where con-ceptual and phenomenological refer-ences are utilized to thematize theissues involved.

Fig. 1: Regional Location: Sudan is centrallylocated within the Arab Middle East as wellas within the African continent.

Fig. 2: Situation: Sudan has a considerablecoast line along the Red Sea and eight neigh-bours. It is also the meetig grounds of thetributaries of the river Nile.

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Models and StrategiesThe transition from colonial dominationto national government for Sudan andmany a developing country was amoment in history pregnant with expec-tation and visualisation in a post-warworld of welfare idealism, social equityand political pluralism. The outgoingcolonial powers offered the idealizedmodel, propagated it and offered theinstruments and inducements for its re-alization. The magic phrases of “eco-nomic development”, “industrial devel-opment”, and “social progress” weredazzling political slogans, a concretejustification of national governance,and an irrefutable claim for internation-al status. For the Sudan this translatedinto “industrialization” as a desirabledevelopmental strategy and sectoralobjectives in the economic sphere andmore government in the political sphere;this will be designated as Model A. Itfavoured the capital city, as the seat ofnational government and its symbol,with infrastructure and industrial invest-ment as well as relatively higher quanti-tative and qualitative levels of social ser-vices.

The first decade of post-independenceexperience came with a lot of new real-izations. The objective of industrialdevelopment was still a cherished hopefor a “new and a better” social condi-tion and therefore it has to be equitablyapplied throughout the national territoryand not only to the capital city. With iso-lated interventions, a few factories wereflung around over the national territoryin an attempt to balance the develop-mental opportunities of other urban cen-ters across the national territory. Thisphase will be designated as Model B.

It took about two decades and aseries of rural and urban dislocations forthe country’s policy makers to recognizethat the urban orientation of develop-ment efforts is eroding the populationbase of non-urban Sudan. Both tradi-tional agricultural and nomadic commu-nities were showing signs of destabiliza-tion as the power of attraction of the ca-pital city and the urban centers was onthe rise. The images of “better opportu-nities” in the city set forth political andsocial aspirations amongst rural popula-

tions constituting a constant wave move-ment away from their traditional basetowards the lure of the distant city. Thisphenomenon, diagnosed as a negativeoutcome of national developmentefforts, was to be reacted to by thewidely publicized objective-slogan“opening up towards the countryside”,with programs and projects aimed atimproving the social and economic con-dition of the rural populations. Thisrepresents Model C of the country’sdevelopmental strategies. It acquired itsstrongest manifestations in the 1970s.

A fourth model of development, whichhas its generic origins in the colonialexploits of pre-independence Sudan, isbased on an autonomous productivesubregion. In this model the agriculturalpotential of a specific subregion istapped through an extensive and inte-grated system of economic, technicaland managerial functions to plan, fi-nance and market the eventual produc-tion. Production itself is undertakenthrough a system of tenancies on thebasis of crop sharing, under the super-vision of technical and managerial staff.The system envisaged a comprehensiveresponsibility for the infrastructures,social services and settlement develop-ment and organization within the pre-scribed subregion. This model will bereferred to as Model D.

The above delineated models repre-sent a wealth of development experi-ence with its full array of negative andpositive outcomes. Although the modelsdo not represent a strict time sequence,

they can be conceived as a progressiveevolution of application and evaluationof contingent plans and strategies withspatial and temporal overlaps acrossthe national territory. Local politics, sub-cultural constraints, dependence on theinternational aid “market” as well as thefragmentation and centalization of de-cision and management mechanismshave lead to discontinuities, regressionsand eventually serious doubt-cum-de-spair over the very notion of develop-ment. Human settlements, in their urbanand rural components, representing theaction and actualization ground of thedevelopment task, have demonstratedtheir parallel scenarios in response tothe various models. In the process thequestion “development strategy or asettlement strategy?” came to the fore-ground of the developmental debate.

Models and SettlementsThe four Models stated above spear-headed a developmental notion thatcan be described as “economy-speci-fic”. They do not only emphasize thenotion of “production”, desirable as itmay be, but they also nurture the impli-cit conviction that a categorical better-ment and improvement of the humancondition should invariably ensue there-of. The painful result of the decades-long experimentation can only illucidatethe converse: “Production” as the goalof the economy-specific models is, apriori, determined by the very humancondition it purported to change and

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Fig. 3: Topological Transformation: In abstractterms, Sudan can be depicted by the Nile, theRed Sea and the centrality of its capital cityKhartoum.

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able in terms of urban management andsound forward thinking. The MasterPlan, however, came at a time whenKhartoum was already being estab-lished as the unique political andeconomic urban center of the country.The Master Plan served to consolidatethis role through its official and legalinstitutionalization and has, therefore,helped to accelerate the growth and ur-ban development processes in an unpre-cedented scale. The quantitative targetprojections of population and landusewere reached only in half the predictedtime scale of the Plan. By the early 1960sthe peripheries of Khartoum were receiv-ing substantial populations gravitatingaround the newly planned industrialareas in what came to be the gravesturban problem of the capital city: illegalland aquisition and squatting. This mo-dality of urban growth continuedunabated and continuously nourishedby the expanding industrial and com-mercial base of Khartoum’s urbaneconomy. The process of populationgrowth and urban expansion was fur-ther fueled by political factors wherebyrural supporters of certain politicalgroups were brought into urban settle-ment at specific locations to augment aparty’s political weight at particular con-stituencies. By the end of the first post-independence decade capital city Khar-toum was beginning to show the un-mistakable signs of an urban agglom-eration in diminishing urbanistic char-acter and more of rural characteristics.Nonetheless, capital city Khartoum con-tinued to dominate the national settle-ment scene by its unrelenting populationgrowth, economic attractiveness anduncomparable social and service infra-structures. The dominance of capital cityKhartoum was irreversible.

Model B and the Dispersalof UrbanizationThe awareness that the growth of capi-tal city Khartoum is reaching problem-atic dimensions coupled with the re-gional aspirations for equitable devel-opment opportunity prompted a neworientation towards other areas and re-gions of the country. The focal point ofthis orientation was, in a large measure,

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the evidence is that regression prevailsin both. Human settlements across thenational territory bear witness to thisphenomenon of mutual regression.While it is not the intention here to ana-lyse the failures or successes of econo-mically based, industrially oriented andculturally deficient development strate-gies and models, it will be important tostate the fact that after four decades ofostensibly developmental efforts a coun-try like Sudan, one of the richest coun-tries in terms of its natural resources, isreduced to a “search-for-basics” situa-tion. However, Sudan is not unique inthis situation but it is a good example ofThird World developmental dilemmaand its apparent unpass. The manifesta-tions of this dilemma cannot be moreglaring than in the depletion of ruralsettlement systems, ruralization of urbansettlement and the degradation of bothsettlement and natural environments.The various development models andstrategies have singularly and concomi-tantly impacted the demise of the humansettlement system in as much as it fal-tered on its promise of betterment of thehuman condition. In the following para-graphs this theme is further developedin focusing on the global effects of thedifferent models on human settlementsystems.

Model A and the Dominanceof the Capital CityThe advent of independence has giventhe capital city Khartoum an addedprominence and prestige as it became

the seat of the national government. Thehighly centralized system of governmentand the relative advantage of capitalcity Khartoum in terms of administrativeand service infrastructures rendered itthe uncontestable recipient of propor-tionately large governmental and pri-vate investment. At the initial phases ofthe post-independence developmentendeavour this was understandable asa consolidatory and expeditious policywith regard to the new and nationalfunction of a capital city. The very taskof consolidating the infrastructures ofthe capital became, in subsequentyears, its major attraction of further in-vestments in the newly emerging butrapidly growing industrial and commer-cial function. Local and foreign investorsopted for the capital as a business loca-tion where the logistics of decisionmaking, commercial transaction, inter-national communication, transport linksand energy and water infrastructuresmade it a sound choice as a businesslocation. An accumulative process ofaugmentation of relative and absoluteadvantages of locational attraction con-tinued and flourished with the publica-tion of the new Master Plan of Khartoumby Doxiadis Associates, Planning Con-sultants based in Athens. The MasterPlan enunciated specific infrastructuralinterventions, industrial area develop-ments and residential expansion in theyear 1958, only two years after inde-pendence, for a 20-year time span. Theidea of having a plan for the develop-ment of the capital city was commend-

Fig. 4: Physical Features: Sudan is mostly aflat country with a few mountainous outcropsand transversed by the Nile and its tributaries.

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the provincial and major urban centersacross the country. Although it is noteasy to depict a clear program or totrace this orientation spatially or chrono-logically, yet it is clearly identifiable thata variety of infrastructural and industrialprojects were planned and implementedin a good number of urban centersacross the national territory within thesecond and third post-independencedecades. Such projects came in the con-texts of developing certain componentsof the industrial sector, service infra-structures and higher education. Indus-trially, the new orientation envisaged anagricultural base for transforming cer-tain agricultural and animal products ormanufacturing products for final con-sumption. A series of spinning andweaving factories was planned andexecuted in various regions benefitingfrom raw materials locations but, in cer-tain instances, ignoring critical factorssuch as transport and energy infrastruc-tures. Another agriculturally based in-dustrial program was dedicated to theproduction of sugar. This program wasfar reaching in its settlement impact witheffects ranging from rural settlement andurban settlement to a whole subregion.Edible food oil factories, benefiting fromextensive production of ground nuts,sesame and sunflower cultivation,sprang up in a number of urban centers,being a relatively flexible and lessdemanding production process. Further,a good part of provincial capitals andurban centers saw their water and ener-gy infrastructures started, partially com-pleted or fully developed together withina factory project or independent of it. Anational highway linking the country’smain port at the Red Sea with the capi-tal and major productive areas in cen-tral and eastern Sudan was completedat the early seventies boosting mobilityand accessibility of goods and peopleand dispersing further the urbanizationprocess. Two regional universities wereopened around the same period in twomajor urban centers in central andsouthern Sudan.

The developmental activities of thesecond and third post-independencedecades depict the most important ur-banization phase in contemporary Su-

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Fig. 5: Climatic Regions: From the north to thesouth, the climates of the Sudan graduallychange from desert to equatorial hot humidclimate.

Fig. 6: Natural vegetation: Natural vegeta-tions follow the climatic pattern except alongthe riverine regions, coastal regions andmountain areas.

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dan. In the process, however, tremen-dous dislocations have resulted. Theprovincial capitals and urban centerswith their envisaged or realized waterand electrical supplies, in-town or near-by factory and their transport linkage tothe national capital and other urbancenters precipitated an image of growthand opportunity in the rural hinterlandpopulations bringing about a cycle ofimpulsive growth and diminishingopportunities. These urban centers wereunable to sustain their developmentmomentum under the pressure of in-creasing population growth, heightenedexpectations and dwindling financial,technical and managerial resources.The net impact of this developmentalmodel on provincial capitals and urbancenters is similar to that of Model A onKhartoum in terms of settlement andurban environmental degradation.

Model C and the Stabilization ofRural SettlementThe dominance of the national capitalKhartoum and the attempts at the disper-sal of urbanization as seen through Mo-del A and Model B respectively haveoperated not only in the direction ofurban settlement but they also had theirgravest impacts on rural settlement. Thetwo models have clearly enhanced therelative advantage of urban existenceand opportunity in comparison to ruralmodes of living. In Sudan the ruralmode of living comprised both agricul-tural and nomadic grazing populations.The agricultural populations practicedsubsistance agriculture in the vicinity oftheir village settlement as well as someanimal grazing activity of only a domes-tic scale. Agricultural rural settlementsare mostly distributed in the more humidregions of national territory as well asalong the banks of the Nile and its trib-utaries. Their spatial distribution, how-ever, is relatively denser around provin-cial and other administrative urban cen-ters. It was this particular spatial featurethat prompted the gravest rural disloca-tions in the operation of Model A andModel B. The Classical rural-urban sym-biosis became increasingly disturbed asthe levels of investment in urban infra-structures and services continued to rise

and as the economic and industrialbase of the relevant urban center ex-panded. In the case of Model A thisdisturbance reached catastrophic di-mensions as the physical expansion ofthe metropolitan built-up area began toswallow up agricultural land and, lateron, whole agricultural settlements in itshinterland. For Model B the effects wereeven more drastic since the provincialcapitals and urban centers have hadeven higher levels of symbiosis withtheir rural hinterland. The disturbance ofthis symbiotic relationship worked intwo directions. On the one hand, ruralpopulation structures were changeddepriving the rural economy of essentialproductive manpower, disrupting thesocial role of its male population anddislocating whole household systems.On the other hand, urban settlementswelled with populations that in mostcases were beyond its economic needand even further beyond its capacity ofaccomodation in housing and socialinfrastructures. Economically, the sym-biotic relationship was again disturbedin two directions: the urban centers con-tinued to lose an important source oftheir nourishment supplies due to thediminutive production condition of therural areas while new forms and pat-terns of demand developed in favour ofmore consumption and greater depen-dence on imports. A striking example of

this new demand-consumption distur-bance is the increasing dependence ofboth urban and rural households onpowdered milk and wheat imports.

The signs of the disturbance of the ru-ral-urban symbiosis were easier to seethan to predict, and by the beginning ofthe 1970s, the phenomenon merited notonly national but also internationalattention. This attention was translatedinto special programs and projectsaimed at reversing the rural-to-urbaninflux. The objective was the stabiliza-tion and development of rural areasthrough social and economic programsranging from child and mother health toprimary health programs, primary edu-cational facilities, the promotion of cot-tage industries, water supply projectsand rural electrification programs. Theitinerary of the rural stabilization strat-egy was very impressive and far reach-ing, and perhaps because of this, iron-ically, it was too thin to make the de-sired impact and too wide-ranging tosustain itself. But perhaps the greatestcriticism of Model C lies in the fact thatit was endogenously fragmented andexogenously oblivious of the naturalurban-rural symbiosis. Rural settlementscontinued to be depleted with the con-viction that a health facility, an educa-tional facility, accessible clean watersupply and economic opportunity, atlarge and still, are things urban and that

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Fig. 7: Agriculture: Sudan has over200 000000 (two hundred million) acres ofagricultural soil of very high quality for foodproduction and agricultural raw materials.

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the home village can at best be a homebut will continue to be a village.

Nomadic populations were touchedby the spin-offs of all three models invarious degrees, being owners of animportant economic resource (livestock)and settling only in transient or imper-manent camps. Model A and Model B,essentially urban oriented, helped tocreate internal demands for livestockowned by the nomads and to pioneerexport through the active commercialenterprises based in the capital and theprovincial urban centers. This particulardevelopment was very significant for thesustainability of the nomadic life pat-tern. In spite of this positive develop-ment there were proposals within theframework of Model C for settling thenomads in order to avail them of theopportunity of various services offeredby the government. The flaws of suchproposals were so obvious but theyserved to illustrate the dichotomousthinking behind many of the programsof Model C. The nomads, however,were not completely immune from theinterventions of Model C and a multi-mil-lion dollars project for routing and ser-vicing livestock to urban markets andexport collection centers was embarkedupon. The outcomes from this programhave still to be evaluated, but the man-agement and operational costs of thisservice and routing enterprise arebound to affect the competitiveness oftheir users. The prediction is that thenomads and livestock owners may wellopt for their centuries-old proven ways.While rural agricultural settlementbegan to be depleted under Model Aand Model B and failed to be stabilizedby Model C, nomadic populations havelargely con-tinued in their transient set-tlement pattern sustained by the inadver-tent economic spin-offs of Models A andB and largely unaffected by Model C.

Model D and Settlement IntegrationIn this Model a production enterprise isundertaken at a subregional scale. Theeconomic objectives of the enterprisemake it essential that the social aspectsof the communities within its boundariesbe addressed and accommodated in thestrategies of the enterprise. This philoso-

phy did not only secure the necessarymanpower for the production task, butalso provided for its stability and conti-nuity. Within this framework settlements,comprising already existing rural com-munities or newly forming ones, werefocused upon as a strategic componentin the evolution and development of theenterprise. Three such enterprises inSudan exemplify this developmentalModel which integrates the settlementsystem of a whole subregion in the pro-duction strategies and policies for thesubregion. The Gezira Scheme, estab-lished 1926, the Rahad project, estab-lished in the early 1970s, and the Ken-ana sugar project, established in themid 1970s, have all been conceived

and executed along the lines of inte-grating settlement system and economicactivity. The first two are basically agri-cultural schemes producing mainly cot-ton but are increasingly diversifying intoground nuts and wheat. The third, Ken-ana, is an integrated agro-industrialenterprise with extensive sugar caneplantations supplying the sugar produc-tion factory with its raw material for theannual production of 300 000 (threehundred thousands) tons of sugar. Thethree enterprises are located in sub-regions within central Sudan. The gen-eral concept in all three enterprises isthe creation of an autonomous produc-tion entity to operate at an economicallyviable scale and fully undertaking the

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Fig. 8: Resources: The vast economic resour-ces of Sudan comprise agriculture, live-stock,petroleum, natural gas, minerals and forestry.

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development of the required engineer-ing and production infrastructures aswell as providing the necessary socialand community services for its em-ployees and the communities of its ten-ant population. The clear definitions ofthe functional and spatial scope of theenterprises, their autonomous structuresin managerial and financial terms, inaddition to the substantial initial capitalfunds that were afforded to themthrough international investment andloans, have been instrumental in initiat-ing, establishing and developing theseenterprises and sustaining them asviable economic and social enterprisesfocusing not only on their economic tar-gets but also on the communities in theirsettlements as an integral element of thewhole system.

As a result of such conciously appliedintegrative developmental concept, asystem of human settlements emergedexhibiting a number of interesting func-tional features. The stability of thehousehold livelihood through employ-ment in the production process andthrough the allocation of land plots fordomestic farming was an instrumentalfactor in stabilizing the population intheir settlements within the region spe-

cially at the initial stages of the projects.Such initial stabilization was also animportant growth factor in the later evo-lution of the settlement system as theeconomic activities in the subregionsbegan to attract more manpower andnew households and communities. Theinstitution and introduction of social andinfrastructural services in the form ofhealth and educational facilities andwater supply as well as the emergenceof commercial activity were further con-solidation factors in the settlementsystem. Moreover the inroduction ofsocial and infrastructural services, thegrowth of a significant commercial sec-tor and, later, the emergence of anappreciable industrial activity, were fun-damental re-structuring forces in thehuman settlement systems of these sub-regions. As a result, a clearly definedsettlement hierarchy and functionalgrading of the settlements was possibleto be established and a set of planningnorms to be introduced. This processwas pioneered by the Gezira project. Inits steady evolution, the settlementsystem has developed functional inter-dependencies of specific quantitativeand qualitative levels of rural-urban sym-biosis avoiding many of the degenera-

tive consequences of the three otherModels A, B and C. This, however, isnot to say that Model D presented littleor no problems. In fact, its problems aresomehow parallel to its scale in that ittended to create a new level of imbal-ances resulting from a subregional con-centration of development when com-pared with the rest of the national ter-ritory. The fact, however, that the threeenterprises lie within the geographiccenter of Sudan has rendered this re-gion the most developed region in thecountry and its settlement system themost stable and better serviced. Thissituation is in sharp contrast to the otherregions and settlement systems of therest of the country, increasing, thereby,the central region’s attractivity to furtherinvestment and, subsequently, the dan-gers of new cycles of accumulativegrowth. Further problems emanate fromthe constant need of such enterprises forcasual and seasonal labour. Suchlabour categories tend to gravitate semi-permanently in the vicinities of theiremployment and, through time, to formresident communities within or at theedges of the projects areas forming theso-called seasonal labour settlements.Such settlements remain largely outside

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Fig. 9: Transport: Sudan has two internation-al airports, four regional airports, asphaltednational road system, a railway system and ariver line from Khartoum to Juba in the south.

Fig. 10: Settlement Pattern: Urban settlementis mostly along the rivers and at traditionaltrade route lines. Rural settlement representsthe bulk of the hinterland of urban settlement.Nomads prevail along the central belt of thenational territory.

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the scope of the provisions of the enter-prise in terms of social and infrastruc-tural services, thus creating a source ofgreat disparity and discontent.

Unitary, Multiple, or anAlternative StrategyThe above presentation touches on themost basic ramifications of a range ofdevelopmental actions over a consider-able length of time in the pre- and post-independence period of Sudan with theaim of illucidating the significance ofsuch developmental action on the hu-man settlement system across the nation-al territory. The developmental Modelsor strategies prevailed with the greatestand most direct impacts on individualsettlement and settlement systems. Awhole series of arguments can be putforward to justify any or all of thesestrategies, criticize them, or to questiontheir wisdom in the first place. This hasbeen the area of growing concern indisciplines concerned with spatial phe-nomena and particularly amongst hu-man settlements specialists and develop-ment planners. It is our view, in the con-text of the Sudanese experience andwithin the framework of the incumbentsocio-political ramifications in whichthese developmental Models were con-ceived and implemented, that no singleModel can be isolated for its detrimentaleffects or positive influences on the evo-lution of human settlements and settle-ment systems across the national terri-tory. Indeed the emergence of any oneparticular developmental Model was ei-ther an act of innovation (Model D andthe Gezira as a settlement integrationinto a basically economic enterprise) ora reactive process to a previous inter-vention in the continuous application ofthe development act (Models B and C).The four Models and their consequenceson the human settlement system can,therefore, be viewed as a learning pro-cess which was gradually unfolding intothe economic and socio-political space.

The historical perspective of this de-velopmental experience and its impactson human settlements indicate a unitaryprogression of individual models. But, itis also discernible that extensive over-

laps in time and space prevailed in theopertion of these models. Such over-laps, when studied closely, reveal someof the worst aspects in the succesion ofdevelopment strategies: contradictions,discontinuities, and mutual regressions.This realization, however, raises a num-ber of theoretical and implementationquestions. One of the most importantquestions in this context, and within therelationship of human settlement anddevelopment, is: Is it at all desirable,and if so, feasible, to combine one ormore Models in time and space and,thereby, effect favourable development-al performance and human settlementconditions? We can hardly attempt toanswer this question without settingforth two observations on the formula-tions and the applications of the fourModels. These are:1. The prevailing absence of a clearorientation, in the various Models,towards human settlements as the act-space of living and work of people inhistorically and traditionally stable andsymbiotic settlement communities andsocio-economic spatial systems. Thisobervation can be further extended tothe general lack of the Models of a spa-tial rationale, whereby human settle-ment and natural environment coalesceas a habitat of definitive preconditionsof sustainability. The community andsettlement systems within a specific en-vironmental context constitute a substan-tive convergence medium of develop-mental endeavour which, over theyears, became the subject of divergenceof concept and conflict of objectives.2. The prevailing directionality of theModels as vectors of the conventionalpowers of government and capital inconceiving, planning, and implement-ing developmental strategy across natio-nal territory render the Models as“alien” to the application space. This isperhaps one of the most detrimental fea-tures of the Models as they came to beintroduced at the target situations. A re-versal of such directionality remains,and will continue to be, a necessarycondition for a developmental strategyin which, with such reversal, the conceptand the application are more localized,relativized and, therefore, more attuned

to the community’s identity and its spa-tial entity. Of necessity, such a reversalin favour of a communal identity and aspatial entity of development action, willcenter on the human settlement as therelevant entity-identity module of thedevelopmental act.

In the light of these two observations,it can be ascertained that the four devel-opmental Models exhibit both concep-tual and methodological inconsistenciesas to their application space: Humansettlements. These inconsistencies havebeen apparent in the Models as unitarystrategies as they have been applied sofar. They are evidenced by the perva-sive phenomenon of mutual regressionin which neither the economic objec-tives of development have been reachednor betterment in the human conditionhas been realized. The human settle-ments in Sudan and, for that matter, inalmost all African countries, are produc-ing more poverty and becoming evenless humaine. The inconsistencies arenot likely to be ameliorated in favour ofthe communities and settlements systemsif a multiple Model incorporating theseModels is formulated and applied, nor ifthe Models are applied concomitantly intime and space. Communities and set-tlement systems have to be addresseddirectly in the development endeavour:indeed communities and settlementsshould address and initiate the develop-ment endeavour as the only viable spa-tial entity of the development act and asthe only relevant manifestation of peo-ple’s and groups’ identity. The need is,therefore, clear for a settlement-basedmodel characterizing the particularitiesof groups and places.

The Entity-Identity ModuleThe dominance of the capital city Khar-toum, the attempts towards dispersal ofurbanization into provincial urban cen-ters, programs to stabilize rural popula-tions and the subregional settlementintegration schemes represent a set ofvaluable experiences in the process oflearning from real life applications ofhow development strategies consistentlydeviated from their most basic and fun-damental targets and created further

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problematic scenarios. To propose yetanother model should take not only a lotof courage, but also exasperation.However, the betterment of the humancondition is a process-objective bond (todistinguish it from a process-solutionbond where an answer to the specificproblem is reached through a given setof procedures). As such it is a configura-tion of a socio-technical problem wherethe process and the objective remainconstant in an environment which theyboth helped to create and seek furtherto change. Whether this serves as ajustification for new propositions in thedevelopment-settlement dimension of thehuman condition is verifiable by the sim-ple fact that in any given situation “peo-ple will act individually and collective-ly”: the process, “to respond to their per-ceived need for change”: the objective.The nature and scale of such process-objective bond is defined by the cha-racterization of “identity”, in a socio-cul-tural sense, of a particular group in aspecific spatial “entity”. In the develop-ment-settlement experience of Sudan,the notion of a “group identity” is in-creasingly taking roots in uban situa-tions in as much as it has been the casefor grazing and agricultural communi-ties in rural situations. This is yet a mani-festation of the persistence power and afurther unfolding of the socio-culturalmosaic of the national territory in whichethnicity, language, religious beliefs,tradition, life modalities, endemic dis-eases, environment and settlement pat-tern change every 50 to 100 kilometers.With such a cultural and environmentalmosaic, only partly mitigated by avague sense of nationhood and inten-sified by developmental disparities andpolitical rivalries, the sense of a groupidentity, defined along the lines of anyof the afore-mentioned elements, be-comes a collective force of great poten-tials. Such identity, and as a part of thewhole tradition-culture act, is land-orien-ted: as part of the group sense of itsown identity is also its act-space ofgrazing, farming, residence and settle-ment. In fact the group identity largelycoincides with a spatial entity which isso engrained to the extent of transplant-ing itself into the urban milieu. It is there-

fore possible to establish a develop-ment-settlement rationale based on theexistential minimum of a spatial-socio-cultural module or, conveniently stated:Entity-Identity Module. The Entity-IdentityModule can be fully characterized anddescribed across the national territory. Itis capable of constituting a continuum ofprocess-objective structures with the fullpotentials of group/s identity as coin-cident with its spatial entity. In this con-text a development-settlement rationalecan be elaborated on the basis of newactors and a new act-space which mayprove to be more durable and less alienthan has so far been the experience ofthe four developmental Models. Withinthe framework of the Entity-IdentityModule, people are not only directlyinvolved in the definition of their pro-blem areas and have a clear notion ofwhat needs to be done for their allevia-tion, but they also undertake the task ofdoing – a process and a practice whichare part and parcel of the traditions ofmost groups across the national terri-tory. The evidence of such potentials isto be seen in various traditional “plan-ning practices”, such as settlement sitelocation, property delineation, balanceof settlement and grazing land, andalso in their urban manifestations inbuilding, planning and communal sup-port in the self-established popular andinstantaneous settlements. Clearly thereare various degrees of sophisticationand freedoms in the application of thepotentials of the Entity-Identity Module,but its pervasiveness in the rural-urbancontinuum of national territory is a verypositive sign of its viability and vitality.

The Entity-Identity Module can beadopted as the common denominator ofany given set of communities across thenational territory. As such, it can serveas a viable structuring unit for a humansettlement or for a settlement system. It isapplicable at the level of a nomadictransient camp in as much as in an agri-cultural settlement, a rural center, a pro-vincial urban settlement, or at the levelof the capital city. Moreover, its appli-cability can be extended to combina-tions and constellations of settlementsand settlement systems in regional andsub-regional configurations. Whatever

the level or scale of application, theModule could remain intact and unique-ly invested with the capacities to visu-alize, set and implement change. TheEntity-Identity Modules, however, can bemost effective in situations where capitaland power have not produced perma-nent dislocations of community life.Provincial and regional population cen-ters, which can be envisaged as inter-mediate settlements in the rural-urbanconstellation, bear the necessary char-acteristics and preconditions for theoperation of the Entity-Identity Modules.

In its unique potential to visualize, setand implement change the Entity-IdentityModule draws from a positive socio-cul-tural bond in as much as from a directand immediate experiencing and inter-pretation of needs. Its traditional ruralroots and their urban transplants arebrought into play in increasing mani-festations and in direct proportions withthe constant failures of official develop-ment efforts and policies. In manyinstances it is resorted to by official au-thority. Naturally, the potentials andcapacities of the Entity-Identity Modulecan not and should not be idealized noroverestimated. The interactive aspectsof the socio-economic, socio-technicaland socio-political factors in a settle-ment, or in a settlement system, in addi-tion to the cultural and environmentalramifications of the given situation, allpresent themselves as elements of differ-entiation and ramification within whichthe appropriate delineations of theModule are to be characterized. In thissense. however, the Entity-IdentityModule presents dynamic qualitieswhich distinguish it from the conven-tional administrative classification sys-tems and provides fully for the changesin communal structures that a settlementor a system of settlements undergo overtime. In a development-settlement per-spective, the monitoring and incorpora-tion of such changes proved to be of aparamount importance as an input informulating sensible strategies of afford-able and sustainable output.

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The Entity-Identity Module and theIntermediate Settlement PerspectiveThe dichotomy between settlement de-velopment and economic developmentstrategies in Sudan, as has been un-ravelled through the previously dis-cussed Models, has created a settlementsituation which can be characterized asthe depletion of rural settlement systemsand the ruralization of the urban settle-ments. In this perspective of displace-ment and destabilization, the socio-poli-tical systems of the country, the ultimatemeasure of developmental perfor-mance, exhibited signs and incidents oftension, civil unrest and culmination intoarmed conflict. By current observationof the wider African scene, this lookslike a familiar scenario which, unfortun-ately, is by no means the worst-casescenario yet. In geo-political terms it isglaringly manifest that dislocations anddestabilization prevailed in the peri-pheries of the national territory andsteadily spread towards its central re-gions in evident congruency with thedevelopmental gradient. The clear pola-rity of the central and the peripheral tou-ches the base levels of the social fabric,i. e. the very levels where Entity-IdentityModules can be characterized. The re-versal of this scenario is yet invested inthese Entity-Identity Modules to becomethe vehicles of social peace and societaldevelopment in the form of settlement-based, settlement-initiated and settle-ment-implemented development stra-tegy.

The geo-political and developmentaldivide manifest in the center-peripherydisparities and discontinuities acrossSudan’s national territory offer the con-ceptual and practical logic for institutingan intermediate settlements strategy inthe Sudan and the basis for applicationof the Entity-Identity Modules as an oper-ative modality of such a strategy. Therural and provincial population centersand the rural settlement systems retainmuch of the preconditions required forthe operation of the Entity-IdentityModule. The communities are relativelycoherent and still identify with theirareas, and a sense of the need for self-effected change has already been pre-cipitated through the negative expe-

riences with official efforts. The Modulesin such communities and settlement sys-tems are, therefore, easy to delineateand initiate into a process-objectivesituation with three clear limiting axes:their own specific settlement, their per-ceived projections of change and theirown identified and declared resourcesand direct involvement. Of immediaterelevance in the context of the ruraloperation of the Entiy-Identity Moduleare the areas of social infrastructuresand food self-sufficiency.

The Entity-Identity Module, operatingin one specific settlement situation, canoffer the minimum conditions for stabi-lization, but its sustainability can onlybe effected through the operation of,and association with, further Modules.This aggregation of Modules is a veryimportant instrument in disseminatingsettlement-based bond of the process-objective and points more clearly towider spatial operation of the Entity-Identiy Modules. In as much as theModules are initiating the process-objective mechanisms and setting forthpotentials through their spatial aggrega-tions, a dynamic process is released oncompletely localized and settlement-based involvement and responsibility.

For a settlement system that has devel-oped a wider net of interactions andinterdependencies, such as it exists inthe various regions of today’s Sudan,the delineation and characterization ofEntity-Identity Modules may seem to berather opaque and resistant to sharpdefinitions. This, however, is not thecase. The interdependencies whichhave developed over the past few de-cades as a result of the dislocations andthe destabilization processes, havepractically decanted fixed sets of ruralsocial behaviour and modalities into theurban milieu. As a result, a new systemof settlement constellations has evolvedinto “urban centers”, and extensiveparts around and within older urbancenters, including the capital Khartoum,developed into ethnically and culturallydefined residents groupings. Kinshiprelationships, tribal bonds and ethnicityare at the very heart of the urbanizationprocess and population accumulationsthat have expanded the older urban

centers and created new ones. In thissense it will be false to speak about theexistence of an urban process in a con-text of unifying citizenship or the even-ing out of cultural differentiation, at leastnot to the level of conceiving of homo-geneity in the urban milieu. While it isnot totally correct to project a villageimage and structure of most of theSudanese urban settlements, yet, and asa result of the previously discusseddevelopment strategies, policy makers,planners and designers should re-oriente themselves in visualising a pre-vailing social and spatial structure withstrong rural overtones for handling thedevelopment-settlement issues in Su-dan’s urban settlements. For this veryreason, the notion of Entity-Identity Mod-ules is of equal validity at the urbanlevel systems. The transformations whicha given category of population under-goes in its new orientation in the urbansituation can hardly transcend the deep-lying need for solidarity, mutual supportand spatial congregation of the groupin the urban milieu. These are the ingre-dients of the Entity-Identity Module and,as such, the rationale for their operationin the urban settlement situation. Thenotion of intermediate settlement strate-gies for the Sudan is a logical extensionof this phenomenon.

ConclusionThe foregoing analysis attempted tothrow some light on the failures of thevarious development strategies with aview to their human settlement orienta-tion. It is evident, thereof, that a devel-opment-settlement strategy based on thenotions of intermediate settlements is anecessary ameliorative and generativetask for Sudan. The necessary pre-con-ditions for such strategy are fully set outin the feasibility of characterization anddelineation of the Entity-Identity Mod-ules which obtain in the rural as well asthe urban settlement systems, wherebypeople have clear perceptions of theirneeds for change and a strong identifi-cation with their space. The center-pe-riphery conflicts, the regional disconti-nuities and the sub-regional disparitiesconstitute an important set of situational

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ramifications of an intermediate settle-ment strategy. The dissipation of centraland governmental dependence and theaugmentation of spatial aggregationswithin the operations of the Entity-Identi-ty Modules will lead to a natural anddemocratic realization of a balancedand coherent development-settlementsystem in which rural potential andurban opportunity are not necessarily inconflict.

Remark

Presented at the International Symposium onENVIRONMENT AND INTERMEDIATE CIT-IES.The Swiss National Science Foundation –Environment Priority Program – Module 7.Organization: The graduate Institute forDevelopment Studies, The Architecture Insti-tute of Geneva University, at Geneva –November 20 to 24, 1995.

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