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Heiner Wilharm Weltbild und Ursprung. Für eine Wiederbelebung der Künste des öffentlichen Raums. Zu Heideggers Bildauffassung der 30er Jahre »Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild.« (HEIDEGGER 1972: 87) 1 Abstract › Bild und Moderne‹ is a notorious subject of talks and lectures Martin Heidegger gave in the 1930s. Mainly focussing on the writings › The Age of the World View‹ and › The Origin of the Work of Art‹ our contribution, in elev- en steps, aims at a deconstruction of Heidegger's concept and critical ap- praisal of the image. This analysis, however, is deepened by taking into ac- count the Heideggerian critique of aesthetics, developed in his confrontation with Nietzsche. By and large, Heidegger's critique allows for the insight that the contemporary privilege of the image, going hand in hand with a progres- sive aestheticization of art, is a consequence of modern thinking: a result of the modern ego’s self- empowerment, which, both metaphysically and histor- ically, constitutes a main feature of modernity. Pondered within this Heideggerian horizon, not only the attempts of a disciplinary founding in var- ious arts and the Art Sciences, but also the comparable intentions manifest in the interdisciplinary reshaping of Visual Studies and Visual Culture must be put into perspective. 1 d.i. auch Gesamtausgabe Band 5 (HEIDEGGER 1977), zit. im Folgenden: GA mit Bandnummer

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Heiner Wilharm

Weltbild und Ursprung. Für eine Wiederbelebung der Künste des öffentlichen Raums. Zu Heideggers Bildauffassung der 30er Jahre

»Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild.« (HEIDEGGER 1972: 87)1

Abstract

› Bild und Moderne‹ is a notorious subject of talks and lectures Martin Heidegger gave in the 1930s. Mainly focussing on the writings › The Age of the World View‹ and › The Origin of the Work of Art‹ our contribution, in elev-en steps, aims at a deconstruction of Heidegger's concept and critical ap-praisal of the image. This analysis, however, is deepened by taking into ac-count the Heideggerian critique of aesthetics, developed in his confrontation with Nietzsche. By and large, Heidegger's critique allows for the insight that the contemporary privilege of the image, going hand in hand with a progres-sive aestheticization of art, is a consequence of modern thinking: a result of the modern ego’s self- empowerment, which, both metaphysically and histor-ically, constitutes a main feature of modernity. Pondered within this Heideggerian horizon, not only the attempts of a disciplinary founding in var-ious arts and the Art Sciences, but also the comparable intentions manifest in the interdisciplinary reshaping of Visual Studies and Visual Culture must be put into perspective.

                                                                                                               1 d.i. auch Gesamtausgabe Band 5 (HEIDEGGER 1977), zit. im Folgenden: GA mit Bandnummer

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› Bild und Modern‹ ist ein notorisches Thema der Vorträge und Vorlesungen Martin Heideggers in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. In elf Schritten dekonstruiert der Beitrag Heideggers Bildbegriff und Bildkritik dieser Zeit. Im Mittelpunkt stehen die Schriften › Die Zeit des Weltbildes‹ und › Der Ursprung des Kunstwerks‹. Die Analyse wird vertieft durch Einbeziehung der Heideg-ger´schen Kritik der Ästhetik in der Auseinandersetzung mit Nietzsche. Insge-samt machen Heideggers Einlassungen einsichtig, dass die Bildauffassung der Gegenwart im Einklang mit der fortschreitenden Ästhetisierung der Kunst als Resultat der Selbstermächtigung des modernen Ichs zu begreifen ist, als eine metaphysisch wie historisch neuzeitliche Erfindung. Künstlerisch-einzeldisziplinäre Gründungsversuche von Kunst und Kunstwissenschaft, auch bildwissenschaftliche Integrationsversuche in dieser Absicht, relativie-ren sich vor diesem Hintergrund.

1. Weltbild, Zeitbild

Die Weltgeschichte ist eine Geschichte zunehmender Ausdehnung. Die anti-ke, die griechische und römische Welt, die mittelalterlichen Reiche des Wes-tens, Ostens und Südens, die großen Entdeckungsreisen der Renaissancezeit, sie alle haben Teil an diesem Effekt und verstärken ihn. Was in Neuzeit und Moderne sich anschickte, Raum zu greifen, gilt nicht mehr nur einem be-stimmten Territorium, sondern der ganzen Welt – und ihrer Unterwerfung.

Von der Sache her bietet HeideggerS Diagnose am Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, so scheints, zunächst nichts Neues. Auch die treiben-den Kräfte, die HeideggerS › Zeit des Weltbildes‹ anführt, sind allseits bekannt, allen voran Wissenschaft und Technik, letztere sich zunehmend transformie-rend zur › Maschinentechnik‹ – »selbst eine eigenständige Verwandlung der Praxis derart, dass diese erst die Verwendung der mathematischen Naturwis-senschaft fordert« (HEIDEGGER 1972: 69). Kaum dem großen Bogen einschlägig universalhistorischer Diagnose zu entnehmen ist, dass die Herausbildung der Kunst zum Gegenstand der Ästhetik zu diesem Prozess gezählt werden und es nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung geradezu zwangsläufig zu einer Identifikation von Welteroberung und Kultur kommen muss. Kultur, so Hei-degger, wird seitdem doppelt notiert, als Maßnahme des Raumgreifens selbst wie auch als Praxis ihrer Pflege, als eine Praktik der Politik. Schließlich, es handelt sich um das letzte Charakteristikum des Grundvorgangs, dem wir die Verhältnisse der Gegenwart verdanken, das Heidegger in › Zeit des Welt-bildes‹ anführt, ist die Eroberung der Welt gekennzeichnet durch einen dop-pelten Prozess der › Entgötterung‹. In seinem Verlauf kommt es zu einer › Ver-christlichung‹ des Weltbilds, während dessen das Christentum selbst die überkommenen, noch einzelnen religiösen Vorstellungen und Glaubenssätze umformt zur › Weltanschauung‹. Neuzeitgemäß daran ist, dass dieser Umbau der Bewegung der Welteroberung folgt. Das Christentum bescheidet sich nicht mehr mit einer Vielzahl von Erklärungen für die Mannigfaltigkeiten der

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Welt, sondern sucht sie im Ganzen zu begründen, folgerichtig im Unendli-chen, Unbedingten, Absoluten. (HEIDEGGER 1972: 69f)

Der geschilderte Prozess insgesamt ist keineswegs abgeschlossen, ist Hei-degger zufolge im Gegenteil ein Ingrediens der Moderne, deren »Subjekti-vismus« schon zu seiner Zeit den »planetarischen Imperialismus des tech-nisch organisierten Menschen erreicht« und damit seine »höchste Spitze«. Von dort herabgestiegen, hat er auch weiter reichende Prognosen HeideggerS mittlerweile erfüllt. Er hat sich »in die Ebene der organisierten Gleichförmig-keit nieder[ge]lassen und dort sich ein[ge]richte[t]«. Und auch die »Gleich-förmigkeit [...] der vollständigen, nämlich technischen Herrschaft über die Erde« hat große Fortschritte gemacht.2

Die von Heidegger angeführten bestimmenden Erscheinungen neuzeitlicher Entwicklung bedingen und verstärken sich gegenseitig und machen so ver-ständlich, dass es sich im Eingangszitat kaum um eine bloß historische Beur-teilung handeln wird. Die diagnostizierte › eigenständige Verwandlung der Praxis‹ im Sinne einer Potenzierung der technischen Kräfte hat nicht nur sie zum Effekt. Vielmehr provoziert sie die Bilderzeugung im Sinne einer die Ausdehnung begleitenden, sie sowohl fördernde als auch von ihr geförderten Hervorbringung von begründend begründeten Vorstellungen. Im Allgemei-nen als Wissenschaft rubriziert, werden sie im Besonderen, was die maßgeb-lichen theoretisch technischen Dispositive betrifft, unter Mathematik und Na-turwissenschaften gefasst. Wenn derart, was › Eroberung‹ bedeutet, sich nicht mehr nur auf Waffengänge, Stadtgründungen und Urbachmachung der Wildnis stützt, sondern ebenso, wie es im Titel der › Encyclopedie‹ heißt, auf die Entwicklung von Wissenschaften, Künsten und Metiers schaut, auf die kreativen Prozesse qua Methode und Theorie, Konzept und Entwurf, dann liegt es nicht fern, auch diese, auf den ersten Blick friedlich forschende Resi-duen im Kontext der expandierenden Eroberung zu betrachten. Und da beide, die friedlichen wie die unfriedlichen, offenbar als unverzichtbare Praktiken gelten, als wertvoll und intensiver Pflege bedürftig. Somit erweisen sich Kul-tur und Kulturgeschichte selbst als Konsequenz einer Bildproduktion, einer Vorstellung von der Eroberung als nichtsdestotrotz pfleglich verantwortli-chem und förderndem Umgang mit dem Wissen, seiner Handhabung und seinen Inhalten. Und, insofern dieses Wissen um die Kultur ebenso unter die Erfindungen, zunehmend erklärende Resultate methodischen Forschens, wie – aufgrund dieses Umstands nicht weniger als aufgrund seiner Effekte – auch unter die Eroberungen bisher unbekannter Räume zu zählen ist, nicht nur als

                                                                                                               2 MARTIN HEIDEGGER: Zeit des Weltbildes, Zusätze (9), (HEIDEGGER 1972: 102f.). Vgl. die schriftliche, mündlich nicht nachgewiesene Diagnose in der Einführung in die Metaphysik von 1935: »die Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und dem modernen Menschen« unter Bedingungen sich ausdehnender Herrschaft der Technik zeitgenössisch in zwei gleicherweise bedrohlichen Gestalten, »Marxismus« und »Amerikanismus«. Zu Kontext und Zitat siehe (LACOUE-LABARTHE 2003: 180), auch passim.

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Pflege des Wissen, sondern zugleich als sich zunehmend globalisierende Raumordnung.3

Ebenso versteht sich das von Heidegger zuletzt genannte Phänomen der Entwicklung zur Weltanschauung als Umdeutung, Veränderung und Ersatz der prägenden Bilder. Sie indizieren den Wandel des Götter- und Gottesbe-zugs, der sich einstellt, wenn die Kriterien fehlen (HEIDEGGER 1972: 70)4. Doch keineswegs mit einem Ende der Religiosität verbunden, wird im Gegenteil »von der historische(n) und psychologische(n) Erforschung des Mythos er-setzt« (HEIDEGGER 1972: 70). Solche Beschäftigung mit den Bildern der Ver-gangenheit ist offenbar kein Ersatz für die abgebrochene Verbindung zu den Göttern. Die Erforschung des Mythos koinzidiert mit dem Schaffen in und mit der Kultur, eines Schaffens, das zuletzt zum Geschäft verkommt. Der Zusam-menhang wird in Heideggers Nietzsche-Analysen der zweiten Hälfte der 30er Jahre entfaltet.5 Dass die Götter entflohen sind, belegt den Verlust eines Be-zugs zur übersinnlichen Welt. › Bilder‹ steht nicht allein für der Natur abge-schaute und Vorstellungsbilder, sondern ebenso für › Ideen‹. »Gott ist der Name für den Bereich der Ideen und Ideale«. »Gott ist tot«, heißt es später in Überlegungen, deren Niederschrift den Nietzsche-Vorlesungen entstammen, heißt: »die übersinnliche Welt ist ohne wirkende Kraft. Sie spendet kein Le-ben«. Da der Zugang zur wahren und wirklichen Welt – die Gedanken begeg-nen sich – aufgrund des Zustands der Entscheidungslosigkeit nicht möglich ist, bleibt das »Jammertal der sinnlichen und im weiteren Sinne physischen Welt«, wie Kant sie nennt und von Heidegger reklamiert wird. So geht mit der Eroberung der Welt als Bild die Bewegung des Nihilismus zusammen. Der Nihilismus nämlich ist »nach Art eines kaum erkannten Grundvorgangs im Geschick der abendländischen Völker« eine »geschichtliche Bewegung«, aber auch »seinem Wesen nach gedacht, [...] die Grundbewegung der Geschichte des Abendlandes‹. Sie folgt, was Wesen und das Ereignis des Nihilismus« angeht, der

»Metaphysik selbst, immer gesetzt, daß wir bei diesem Namen nicht eine Lehre oder eine Sonderdisziplin der Philosophie, sondern an das Grundgefüge des Sei-enden im Ganzen denken, sofern dieses in eine sinnliche und übersinnliche Welt unterschieden und jene von dieser getragen und bestimmt wird.« (HEIDEGGER 1972: 199-204)

Klammern wir die beiden Gedankenstränge der 30er Jahre zusammen, müs-sen wir die auf den ersten Blick historische Ableitung des Weltbildvortrages als Entfaltung des Grundvorgangs der neuzeitlichen Metaphysik verstehen, einer Analyse des »Grundgefüges des Seienden im Ganzen« in Hinsicht der Bestimmung des Verhältnisses zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt,

                                                                                                               3 Insofern lässt sich Heideggers Diagnose der gleichzeitigen Entfaltung von Kultur und Kulturpolitik erweitern, respektive der von ihm benutzte Ausdruck »Kulturpolitik« als Begriff für die verschiedensten »Politiken« verstehen. 4 Was der »Zustand der Entscheidungslosigkeit« bezeugt, den das Christentum am meisten zu verantworten hat. 5 Siehe zum Beispiel den Niederschlag in den Vorträgen Anfang der 40er Jahre, die unter dem Titel Nietzsches Wort »Gott ist tot« in die Holzwege Eingang gefunden haben (HEIDEGGER 1972: 203).

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in Hinsicht des Verhältnisses von Sein und Wahrheit. Dies nämlich bestimmt die Heidegger´sche Fragestellung, mit der er die mit den fünf wesentlichen Erscheinungen der Neuzeit verbundenen Positionen und Deutungen konfron-tiert: die Frage nach der Auffassung des Seienden und die nach der Ausle-gung der Wahrheit, die ihnen zugrunde liegen. (HEIDEGGER 1972: 70) Exempla-risch richtet Heidegger diese Frage nach dem metaphysischen Grund an die Wissenschaft, das erstgenannte der wesentlichen Phänomene.

Für die Frage nach dem Grundvorgang der Neuzeit, dass er sich als Erobe-rung der Welt durchs Bild erwiese, bedeutet die metaphysische Implikation, dass »(d)as Sein des Seienden [...] in der Vorgestelltheit des Seienden ge-sucht und gefunden« wird. Verantwortet wird sie von einem, solche Vorstel-lungsbilder produzierenden und sich dessen bewussten Subjekt. Mit seiner Bildproduktion bringt es zugleich die Gegenständlichkeit der Produktion wie des Bildes hervor. Die Gewissheit der kreativen Leistung seines Vorstellens verbürgt dem Subjekt die Wahrheit seiner Bilder. Wahrheit mit anderen Wor-ten ist hier »Gewißheit des Vorstellens«. Die folgende Implikation besagt, dass es »(ü)berall dort [...], wo das Seiende nicht in diesem Sinne ausgelegt wird, [...] auch die Welt nicht ins Bild rücken [...], kein Weltbild geben« kann – und folglich auch kein Subjekt im modernen Sinn. Ebenso logisch folgt, dass diese Negativdiagnose auch für andere Epochen, für › Griechentum‹ und › Mit-telalter‹ gilt, sofern sich dort weder die metaphysische Auffassung über die Gründung des Seins des Seienden in der Vorstellung noch die damit verbun-dene Subjektphilosophie aufspüren lassen. Die Ergebnisse diesbezüglicher, genau dies bestätigender Forschung resümiert Heidegger kurz (HEIDEGGER 1972: 80 - 83).

Bekanntlich ist es Descartes, der die neuzeitliche Metaphysik begründet. De-ren »Verwandlungen der Grundstellung« allerdings, darauf besteht Heideg-ger, wurden »seit Leibniz im deutschen Denken erreicht«. Und noch Nietz-sche, obwohl er die »Umwertung« versucht und die »Gegenbewegung« ge-gen die abendländische Metaphysik anführt, kommt nur zur »bloße[n] Um-stülpung« dieser »ausweglosen [...] Verstrickung in die Metaphysik«, die »ihr eigenes Wesen nie zu denken vermag. Darum bleibt für die Metaphysik und durch sie das verborgen, was in ihr und durch sie selbst eigentlich ge-schieht.«

Eine generelle Bestandsaufnahme, die mit der Charakterisierung des Grund-vorgangs der Neuzeit übereinstimmt (HEIDEGGER 1972: 200) – indes die damit verbundenen Epocheneinteilungen nicht unbefragt lassen kann. Zum einen gilt dies für die Möglichkeiten der Metaphysikkritik in Moderne und Gegen-wart hinein, sofern die Ausdehnung der sich selbst verschleiernden Metaphy-sik qua Analyse beinhaltet, dass sich die Verbergung totalisiert. Zum anderen wirft die Einschätzung auch gegenüber Mittelalter und Antike (› Griechen-tum‹) Fragen auf, hauptsächlich weil die neuzeitliche, Leibniz–Descartes´sche Neufassung der Metaphysik zugleich der Beginn ihrer › Vollendung‹ eines offensichtlich schon früheren Phänomens darstellt, sodann, konkreter auf diesem Frageweg, wegen der Verwicklungen des Platonismus in diese Ge-

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schichte der Metaphysik – womit die entscheidende Frage an Heidegger selbst gestellt ist. Wie wäre das wirklich Neue, das nicht Anknüpfung, Mime-sis, ist, möglich? Kaum jedenfalls dürfte es im Weltbild-Vortrag vom Juni 1938 nur

darum zu tun sein, wie es im Laufe einer historischen Bewegung zur Privile-gierung bestimmter nachahmender, ideeller oder Vorstellungsbilder kommt. Vielleicht handelt es sich um eine besondere Art des Bilderstreits. 6

Ebenso wie die Bilder produktiver Vorstellungskraft im Fortschreiten ihrer Expansion auszugestalten erlauben, was neuzeitlich unter Kultur und Politik zu verstehen ist, lässt sich aus ihnen entfalten, was im Prozess dieser Erobe-rung zu einem Bild der Welt als Ganzer werden kann. Insgesamt, lautet die Antwort, was dem als Exempel ausgezeichneten Werdegang der Wissen-schaften, insbesondere der Naturwissenschaften, was den mathematischen und technischen Disziplinen, ihren Erfindungen, Entwürfen und Anwendun-gen geschuldet ist. Diese erste Auskunft sollte uns nicht voreilige Schlüsse ziehen lassen, etwa über einen favorisierten Vorrang der nomothetischen Wissenschaften. Denn was die wissenschaftstheoretischen Paradigmen an-geht, die den Gang der Disziplinen seit ihren Anfängen bei den Alten im Mo-dell der Metaphysikgeschichte deuten, müsste dann sehr erstaunen, dass gerade die Dichtung herangezogen wird, die Idee des Fortschritts in der Ge-schichte von Wissenschaft und Theoriebildung zu relativieren. Niemand, so Heidegger, trete schließlich an, die Tragödien Shakespeares mit denen des Aischylos zu vergleichen, erstere für fortschrittlicher zu erachten als die spä-teren. »Noch unmöglicher« sei es anzunehmen, »die neuzeitliche Erfassung des Seienden sei richtiger als die griechische«.

2. Systemische Bildproduktion

Der erste Eindruck muss revidiert werden. Im Weltbildaufsatz wird keine uni-versalhistorische Fortschrittsgeschichte erzählt. Was interessiert ist die »Auf-fassung des Seienden und der Wahrheit«. In ihrem Kontext steht beispielhaft die Frage nach dem Wesen der neuzeitlichen Entwicklung. Was Wissenschaft ausmacht, so die erste Botschaft, ist die Tatsache, dass sie wesentlich › Aus-legung‹ betreibt, dass man es auf Grund dessen mit vielen unterschiedlichen Auslegungen zu tun habe und mit entsprechend verschiedenen Systemen der Deutung, dass alle Auslegung indes, das Wichtigste, zu verstehen sei – nicht nach dem Muster, sondern – nach dem Wesen von Sprache und Dichtung und ihre Art, die Wahrheit zu sagen (HEIDEGGER 1972: 70f.). Damit soll nicht gesagt sein, dass alle Wissenschaften auf dieselbe Weise Verständnis produ-

                                                                                                               6 Immerhin heißt es ja auch im Weltbildaufsatz, dass der griechische Mensch als »Vernehmer des Seienden« ist, und dies der Grund sei, »weshalb im Griechentum die Welt nicht zum Bild werden kann«. Gleich darauf heißt es aber: »Wohl dagegen ist dies, dass sich Platon die Seiendheit des Seienden als ειδος (Aussehen, Anblick) bestimmt, die weit voraus geschickte, lang im Verborgenen mittelbar waltende Voraussetzung dafür, dass die Welt zum Bild werden muss.« (HEIDEGGER 1972: 84), Hervorh. HW.

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zieren wie die Dichtung, sondern vielmehr, zumindest was die neuzeitlichen Wissenschaften angeht, und konsequent im Sinne der für diesen Aufbruch diagnostizierten Souveränität der Subjektivität und der von ihr erst zu leis-tenden Objektivität (HEIDEGGER 1972: 81), dass sich ihre Erkenntnismethoden, gleichviel ob auf Geschichte oder Natur gerichtet, »selbst in einem Bereich des Seienden [...] einrichte(n)«, der zu tun hat mit dem Sagen und Sprechen und denen, deren Fragen nach Sinn damit beantwortet werden. Das Verhält-nis von Natur- und historischen Wissenschaften scheint dabei eines von Gründung und Gestaltung. Die Distinktion würde ihren Paradigmen folgen: Natur, Physis – Heidegger sagt › Erde‹ –, liegt am Grunde, bedingt allerdings auch den Aufstieg der Technik. Kunst, Techne – hier würde man Heideggers › Welt‹ in Anschlag bringen –, bringt den Reichtum der gestalteten Artefakte bauend auf diesen Grund hervor. In solchem Tableau des Weltbildaufsatzes ist alle Wissenschaft dem Kulturschaffen zugehörig. Sie ist, sozusagen und zumindest in der Neuzeit, um deren Charakteristika ja es geht, rechnendes – teils voraus berechnendes, teils nachrechnendes – Kulturschaffen. Das erklä-rende Vorstellen »rechnet auf die Natur und rechnet mit der Geschichte.« Nur was auf diese Weise hervorgebracht wird, gehört zum Seienden, die natürli-chen und artifiziellen Gegenstände wie auch das Subjectum aller Produktion von Objekten und Objektivem (HEIDEGGER 1972: 80).

Für die Einrichtung, allerdings, kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Verfahren im Sinne von Methoden schon bereit stehen. Vor der Bestimmung der Methode steht der Entwurf, der dem Vorstellungsbild qua Idee folgt. Ent-wurf bedeutet »die Öffnung eines Bezirks« und »ist der Grundvorgang der Forschung«, aber nicht nur dort zuhause.

»Der Entwurf zeichnet vor, in welcher Weise das erkennende Vorgehen sich an den eröffneten Bezirk zu binden hat. Diese Bindung ist die Strenge der Forschung. Durch den Entwurf des Grundrisses und die Bestimmung der Strenge sichert sich das Vorgehen innerhalb des Seinsbereiches seinen Gegenstandsbezirk« (HEIDEG-GER 1972: 71).

Nun ermöglicht die Eröffnung eines Forschungsbereiches noch keine For-schung. Dazu braucht es den › Betrieb‹ der Verfahren, die, entgegen romanti-scher Vorstellungen von der Wissenschaft als Pflege der Gelehrsamkeit, den Entwurf eines Gegenstandsbereichs erst in das Seiende › einbaut‹. Erst derar-tige Installation sichert gemäß den Prinzipien der Bildproduktion den »Vor-rang des Verfahrens vor dem Seienden, das in der Forschung gegenständlich wird«, sei es Natur oder Geschichte. Erst in der Institutionalisierung kommen »die eigentlichen Wesenskräfte der neuzeitlichen Wissenschaft eindeutig un-mittelbar [...] zur Wirkung« und beglaubigen das »wirkliche System der Wis-senschaft«. Es arbeitet zunehmend effizienter im Zuge der fortschreitenden Welteroberung, wirkt als Motor aller medialen Verstärkung, es kennt immer weniger Vorbehalte und arbeitet jeden Tag unauffälliger (HEIDEGGER 1972: 77ff.).

Bei der Lektüre dieser Passagen lässt sich leicht assoziieren, dass es sich um eine Beschreibung des Globalisierungsprozesses handelt, einer auf das Gan-ze der Welt sich erstreckenden Ausbreitung der technologisch technischen

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Dispositive gemäß den maßgeblichen Bildern solcher Welteroberung. Insge-samt, so Heidegger vor rund 80 Jahren, demonstrieren die neuzeitlichen Wis-senschaften ein Weltbild, ein Bild der Welt als Ganzer, von Natur und Ge-schichte »in ihrer sich unterlaufenden und sich überhöhenden Wechsel-durchdringung« und deren »Weltgrund« (HEIDEGGER 1972: 80). In diesem Zu-sammenhang steht die Entfaltung des modernen Bild-Begriffs. Die nahe lie-gende Assoziation, dass es sich bei der Bildproduktion um Abbilder von et-was handele, wird nicht zurückgewiesen, sondern durchaus zum Ausgangs-punkt dann folgender Entfaltungen genommen. Tatsächlich kann man das moderne Weltbild als Gemälde verstehen, allerdings als ein »Gemälde vom Seienden als Ganzem«. Dies sei jedoch kein »Abklatsch«; vielmehr müsse man sich ein Gemälde vorstellen, welches das Seiende als Ganzes so zeigt, wie es für uns »maßgebend und verbindlich« ist. Zur Sache selbst, über die wir mittels dieses Gemäldes »im Bilde« wären, ließe sich keine wesentliche Unterscheidung geltend machen. Wie können wir dann im Bilde sein? Dadurch, dass es unser Bild von der Welt ist, woran das Wichtigste ist, dass wir im Bilde sind. › Bild‹ steht demnach für alle möglichen, in solchem Bilde vorstellbaren Erscheinungen, sich darin »unterlaufenden und sich überhö-henden Wechseldurchdringungen der Welt«, und darüber hinaus für die not-wendigen Operationen der Aktualisierung solcher Durchdringung, all dessen, was man »sieht«. Aus diesen Gründen besitzt dieses Weltbild als Bild »Sys-temcharakter«. Im Bilde zu sein, bedeutet, insofern man selbst darin vor-kommt, durchaus, sich darin auszukennen. Dies ist der Grund dafür, dass man Bescheid weiß, gerüstet und in der Lage ist, sich einzurichten; dies alles macht das Ganze dessen aus, was der Bildbetrachter, der zugleich »Bildner«, Bildproduzent ist, hier, in diesem Bild, vor sich hin gestellt sieht7, ein selbst verantwortetes, letzten Endes selbst erzeugtes Bild, das die Welt weniger spiegeln denn ausmachen soll, sofern wir in ihr anwesend sind. Doch wird auf diese Weise die Welt auch »als Bild begriffen« (HEIDEGGER 1972: 82).

Der eingeführte Systembegriff unterstreicht die Spezifik des von Heidegger entwickelten Bildbegriffs. Allerdings meint er nicht etwa ein topografisches System im Raum zueinander geordneter Gegenstände. Vielmehr begründet sich das System des Bildes, das Heidegger an dieser Stelle erläutert, im Pro-zess seiner Erfindung und Entfaltung, kurz aus dem › Entwurf‹ heraus, der die »Einheit des Gefüges im Vor-Gestellten« verantwortet – und zwar bis in die Realisierung der Bildvariationen hinein. Dabei die Einheit des › Gefüges‹ her-zustellen, ist offensichtlich erforderlich, indiziert aber auch, dass es zunächst kein Gefüge, mithin kein konsolidiertes Bild gibt, und daher auch nicht vo-rauszusetzen ist, dass sich in einem noch nicht zur Einheit gefügten Bild ir-gendetwas abbilden oder spiegeln könnte. Entsprechend erklärt sich, dass das System, das immer die Leitung übernimmt, »wo die Welt zum Bild wird‹, auch »abstrakt« geraten kann, »nur gemacht und zusammengestückt‹ er-scheint und es zu einer »Entartung in die Äußerlichkeit« kommt. Dies zeigte

                                                                                                               7 Genauer beschrieben ist der Vorgang dann »ein vor sich hin und zu sich her Stellen« (HEIDEGGER 1972: 85), Hervorh. – HW.

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an, dass die Kraft des Entwurfes keinen hinreichenden Eingang ins System gefunden hat.

Die Dynamik des Entwurfes, die es zu erhalten gilt, verantwortet einen ersten Wechsel des einzelmedialen Paradigmas für die bisherigen › Bild‹-Assoziationen. Das › Bild‹ ist kein stillgestelltes Werk auf der Leinwand, son-dern erobert sich den Raum. › Bild‹ bedeutet jetzt: »das Gebild des vorstellen-den Herstellens« (HEIDEGGER 1972: 87). Es scheint, dass mangelnde Kraftent-faltung aus dem Entwurf heraus etwas mit der eingeschränkten Kreativität des »Subjectum als ego und substantia finita« zu tun hat. Ihr ist offenbar eine erweiterte Entwurfskraft an die Seite zu stellen, die in dieser Hinsicht auf eine objektive Potenz setzt, die aus den Entwürfen, tendenziell also damit aus der hingestellten Sache selbst heraus, weniger durch den einzelnen Denker ent-faltet wird als sich mit seiner Hilfe entfaltet. Descartes dient zum Exempel des ersten Typs; die deutschen Systemdenker, Leibniz, Kant, Fichte, Hegel und Schelling, werden als Beispiel des zweiten Typs zitiert.8

3. Die Vergegenständlichung der Bedürfnisziele. Der Wert

Die Zusätze zum Weltbildaufsatz weisen darauf hin, dass gleich wesentlich für die neuzeitliche Auslegung des Seienden wie des Systemgedankens die Vor-stellung des Wertes ist9 – ein Brückenschlag zu den genannten Nietzsche-Vorlesungen. Ähnlich der Verankerung des Systemcharakters eines fertigen › Gemäldes‹ in der kreativen Kraft seines Entwurfs, dient der › Wert‹ ebenfalls als Versicherung eines Seienden, der Gegenstandswelt, im Sein. Der Wert kompensiert im Zweifelsfall einer Welt als Vorstellung den Verlust oder die nicht mehr realisierbare Existenz dieser Bindung. Der Wert des Seienden qua Auslegung ersetzt die in einem anderen medialen Register sich äußernde Selbstoffenbarung und Vernehmbarkeit des Seins des Seienden.10 Insofern der Auslegungs- und Bildproduktions-Prozess Gegenstandsschöpfung und Vergegenständlichung bedeutet, erscheinen die Werte im Kontext des Kultur-schaffens an diese Gegenstände gekoppelt und, für sich, als die eigentlichen Gegenstände, das eigentlich Objektive.

»Der Wert ist die Vergegenständlichung der Bedürfnisziele des vorstellenden Sicheinrichtens in der Welt als dem Bild. Der Wert scheint auszudrücken, dass man in der Bezugstellung zu ihm eben das Wertvollste selbst betreibt, und den-noch ist gerade der Wert die kraftlose und fadenscheinige Verhüllung der platt und hintergrundlos gewordenen Gegenständlichkeit des Seienden. Keiner stirbt für bloße Werte.« (HEIDEGGER 1972: 94)

                                                                                                               8 Hier ist es nicht das einfache Subjectum, sondern die Monade, die in der transzendentalen Einbildungskraft verwurzelte Vernunft, das unendliche Ich, der Geist als absolutes Wissen, schließlich die Freiheit als Notwendigkeit jeden Seienden, die die Kreativität des Systems repräsentieren (vgl. HEIDEGGER 1972: 93). 9 HEIDEGGER: Zusatz (6), (HEIDEGGER 1972: 95f.). 10 Weshalb der »griechische Mensch« als »Vernehmer des Seienden« gelten darf, und »im Griechentum die Welt nicht zum Bilde werden kann«. (HEIDEGGER 1972: 84).

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Bekanntlich ist Nietzsches Metaphysik eine Metaphysik der Werte und Hei-deggers Analyse eine Auseinandersetzung mit Nietzsche. Heidegger sieht in der Konjunktur des › Wertes‹ und des › Werthaften‹ insbesondere in der nach-hegelschen Philosophie und Weltanschauung einen »positivistischen Ersatz für das Metaphysische«. Obwohl, damit verbunden, die Wissenschaften, wel-che das Weltbild bedienen, selbst als wertfrei gelten und die »Wertungen auf die Seite der Weltanschauung« geschlagen werden (HEIDEGGER 1972: 210). Interessant ist der in der Auseinandersetzung mit Nietzsche entwickelte Zu-sammenhang von Wert und Bild, der auch im Weltbildaufsatz, obwohl nicht abgeleitet, durch die Erwähnung der System- und Wertqualitäten11 der Bild-produktion doch angesprochen wird.

Es leuchtet ein, dass die Beimessung von Wert, der in der systematischen Entfaltung eines Entwurfsprozesses gründet und zur komplexen Gestaltung eines der Vorstellung entsprechenden Seienden, eines Gegenstandes, führt, der Abgrenzung im Herausgreifen und Modellieren geschuldet ist. Die Be-sonderheit: der beigemessene Wert des Gegenstandes beruht auf dem »Ge-sichtspunkt«, der sich im entsprechenden Anblick des Vorsichhin-gestellten als Realität darbietet. In Kurzform: der Gesichtspunkt, der zum Bild führt, ist, was seinen Wert macht. Folglich liegt »das Wesen des Wertes [...] darin, Ge-sichtspunkt zu sein«. › Gesichtspunkt‹, genauer, meint, was ins Auge gefasst wird und auf das der Betrachter es in dieser Fokussierung abgesehen hat.

Der Prozess ist nicht stabil. Vielmehr bedarf es einer gewissen Anstrengung, die Fokussierung aufrecht zu erhalten. Insofern geht die Bilderzeugung mit Schätzungen und Einschätzungen einher, die der Beurteilung des bisherigen Sehens und seiner Resultate, dem bisher Herausgegriffenen, ebenso gelten wie auch den daraus abziehbaren Erwartungen. Der Wert selbst wird nicht gefunden oder ergriffen, sondern beigemessen im Sinne der Übereinstim-mung von Vorgestelltem und dem aus dem Ganzen des Gesichteten heraus-geschnittenen Bild (»vor-gestellt und so gesetzt«). Denn natürlich heißt Ge-staltung nicht Gestaltung aus Nichts. »Wert«, sagt Heidegger mit Hinweis auf Nietzsches › Willen zur Macht‹, »steht im inneren Bezug zu einem Soviel, zu Quantum und Zahl«.

Werte, demnach, liegen nicht in der Natur einer Sache, wenn › Sache‹ etwas › an sich‹ sein soll, so dass sie als solche bei Gelegenheit ins Feld geführt werden könnten, › als Gesichtspunkte‹ – wie wenn man ein traumhaftes Grundstück erworben hat, den skeptischen Freunden aber zur Begründung für den Kauf nicht von dem Garten erzählen möchte, in den man sich ver-guckt hat, und statt dessen vom ökonomischen Wert des Anwesens spricht, der mit dem gezahlten Preis nicht vergleichbar sei. Der Gesichtspunkt umge-kehrt setzt den Wert, der als solcher gilt. Vom Augenpunkt aus wird die maß-gebliche Hinsicht ausgebreitet.

Heidegger spricht an dieser Stelle nicht von › Übereinstimmung‹, um die Fra-ge der Angleichung der › Werte‹ auf den beiden Skalen der Vorstellung und

                                                                                                               11 Wenn sie auch erst in Zusatz (6) zum Weltbildaufsatz Erwähnung findet.

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der Sache zu thematisieren. Doch findet auch an dieser Stelle die griechische Herkunft des Zusammenhangs von Hinsicht, Gesichtskreis, Gesicht und Se-hen Erwähnung, indes auch hier mit der Pointe einer zur perceptio gewandel-ten Auffassung von idea und eidos, von Idee und Entwurf.12.

»Sehen ist solches Vorstellen, das seit Leibniz ausdrücklicher im Grundzug des Strebens (appetitus) gefaßt wird. Alles Seiende ist vorstellendes, insofern zum Sein des Seienden der nisus gehört, der Drang zum Auftreten, der etwas dem Aufkommen (Erscheinen) anbefiehlt und so sein Vorkommen bestimmt. Das der-gestalt nisus-hafte Wesen alles Seienden nimmt sich so und setzt sich so für einen Augenpunkt. Der Augenpunkt ist der Wert.« (HEIDEGGER 1972: 210f.)

Die analysierte Wertsetzung im Zusammenhang der vorstellenden Bildpro-duktion unterstützt ihrerseits das Gesagte in › Die Zeit des Weltbildes‹, sowohl was die Systemqualitäten, den Zuwachs an Komplexität betrifft, als, in selber Richtung, die Charakterisierung des Grundvorgangs der Welteroberung durchs Bildermachen. Nietzsche folgend nämlich weist Heidegger darauf hin, dass es genauerhin immer zwei Gesichtspunkte sind, die den Augenpunkt oder die Hinsicht der Wertstellung bestimmen, eine Konsequenz offenbar der formal quantitativen Bestimmung von › Wert‹ als Relation, Überein- bzw. Nichtübereinstimmung zwischen Werten auf zwei getrennten Skalen.

Es geht um den Vergleich von »Erhaltungs- und Steigerungsbedingungen«.13 Heidegger macht allerdings weniger den Schematismus des Vergleichs und der Beurteilung einer Übereinstimmung von Vorgestelltem und Vorstellung verantwortlich für die Wachstumsideologie des neuzeitlichen Subjektivismus. Er analysiert bei Nietzsche stattdessen eine lebensphilosophisch biologisti-sche Sicht, von der nicht ganz klar ist, wie weit er sie teilt. Das »vor-stellend-strebend Seiende« selbst ist darin seinem Wesen nach – als Lebendiges (zu verstehen als »komplexes Gebilde des Lebens« [Nietzsche]) – auf Wachstum angelegt, da bloße Erhaltung schon Niedergang bedeutet. »Raumerweite-rung« (HEIDEGGER 1972: 212) in dieser Perspektive ist darum kein Selbstzweck, sondern dient der einzig das Überleben sichernden »Lebenssteigerung« ver-mittels um sich greifender Bildproduktion.14 Verständlicherweise immer von einem Erhaltungsniveau aus gerechnet, das es zu überbieten gilt. Das Leitzitat unserer Überlegungen (»Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild«) erhält so eine neue Wendung.

Der Grundvorgang der modernen Zeit wäre demnach darin beschrieben, dass die für überlebensnotwendig erachtete Lebenssteigerung, die zu meistern eine bestimmte Sicht der Welt erfordert, die Verbreitung entsprechender Bil-der betrieben werden muss, um durch die so gewonnene Wertsteigerung quasi zwangsläufig in eine weitere Drehung der Eroberungs- oder Raumer-

                                                                                                               12 D.i. zur Erinnerung »die von Platon begründete Auffassung des Seienden hinsichtlich seines Aussehens« (HEIDEGGER 1961: 95). 13 Die von Heidegger an dieser Stelle (S. 210) interpretierte Nietzsche-Stelle gilt den Aufzeichnungen zum Willen zur Macht von 1887/88. Dort heißt es: »Der Gesichtspunkt des › Werts‹ ist der Gesichtspunkt von Erhaltungs- Steigerungsbedingungen in Hinsicht auf komplexe Gebilde von relativer Dauer des Lebens innerhalb des Werdens«. 14 »Die Sicherung des Lebensraums z.B. ist für das Lebendige niemals das Ziel, sondern nur ein Mittel zur Lebenssteigerung«.

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weiterungsspirale zu gelangen. Vielleicht gilt dies für jeden einzelnen, wenn denn die Individualkultur solche Ziele propagiert, sicher aber für die Zentren der Wertsetzung, die als »Herrschaftszentren« medialer Vermittlung gelten: »Kunst, Staat, Wissenschaft, Religion, Gesellschaft«.15

Parallel den geschilderten Erweiterungsbewegungen sehen wir den Bildbe-griff angereichert. Auch wenn er sich am › Gemälde‹ entzündet und beim › Gebild‹, einer Art plastischem Resultat von Idee und Vorstellung, innehält, hat er sich von einzelnen medialen Paradigmen künstlerischen Gestaltens schon gelöst. Umgekehrt soll der sich anreichernde Bildbegriff verstehen lassen, was › Kunst‹ in Neuzeit und › Moderne‹ überhaupt bedeutet oder, wie Heidegger sagt, ihrem Wesen nach ist.

4. Die Ästhetisierung der Kunst

Vielleicht ist es jetzt angezeigt, auf die bisher nicht weiter entfaltete, von Hei-degger an dritter Stelle genannte Erscheinung der neuzeitlichen Welterobe-rung als Bild einzugehen, eine Erscheinung, deren Relevanz in dieser Rang-folge zunächst wenig eingängig erscheint. Sie lautet, wir erinnern, dass im Laufe dieses Prozesses die Kunst in den Gesichtskreis der Ästhetik rücke. Das Gesagte über den Bildbegriff erhellt die Aussage, auch wenn Heideggers Dar-legungen im Weltbildaufsatz am Beispiel der Wissenschaften erfolgen. Dies macht indes sowohl von der Sache als auch von der Argumentationsstrategie her durchaus Sinn. Die der Befragung zugeführten (HEIDEGGER 1972: 69) we-sentlichen Erscheinungen der Neuzeit werden als »gleichwesentlich« ausge-zeichnet. Darum handelt es sich nicht um einzelne Charakteristika, deren ein-zelne Beschreibungen erst summiert einen hinreichend vollständigen Blick erlauben und ein entsprechendes Bild ergeben, sondern um Gesichtspunkte, die zwar gesondert fokussieren und beleuchten, aber dem eigenen Anspruch nach das Ganze oder das Wesentliche schon unter einem dieser Gesichts-punkte erblicken lassen. Angrenzende Aspekte oder Hinsichtlichkeiten bleiben darin eingeblendet, werden allerdings unter einem ergänzenden Wertaspekt und damit Geltungsanspruch erhellt.

Wenn, was zum natürlich oder künstlich Seienden gehört, durch die Wissen-schaften definiert wird, einer organisierten, methodisch angeleiteten Ent-wurfs-und Forschungs-, Gestaltungs- und Produktionstätigkeit, die insgesamt einer welterschließenden Bilderzeugung zugehört, resultiert daraus auch hier insgesamt durchaus ein Gemälde der Welt und darüber hinaus eine komple-xe, gesellschaftliche Plastik, ein gestaltetes und inszeniertes Ganzes – weni-

                                                                                                               15 In dieser Reihenfolge folgt Heidegger Nietzsche und zitiert aus den Anmerkungen zum Willen zur Macht: »› Wert‹ ist wesentlich der Gesichtspunkt für das Zunehmen oder Abnehmen dieser herrschaftlichen Zentren« und etwas später: ebenfalls aus den Anmerkungen: »Die Werte und deren Veränderung stehen im Verhältnis zu dem Machtwachstum des Wertsetzenden.« (Vgl. HEIDEGGER 1972: 213)

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ger eine › Installation‹.16 In diesem Sinne wäre die Welterzeugung auch auf dem Gebiet der Natur- und Geisteswissenschaften als › Kunstwerk‹, ein Werk der Kunst und der Künste zu betrachten; wir finden es demnach nicht nur in den Bereichen der sogenannten Schönen Künste. Dass es die Ästhetik ist, die dies an dieser Art kreativen Schaffens, mit anderen Worten › der Kunst‹, fest-stellt, ist dabei die Pointe neuzeitlich moderner Entwicklung. Die Kunst rückt nicht nur in den Gesichtskreis der Ästhetik, sondern in ihren Herrschaftsraum; sie gehört zu ihren Eroberungen, zu den Eroberungen der wissenschaftlichen Weltanschauung. In anderer Richtung gelesen heißt dies, dass die neuzeitli-chen Wissenschaften unter dem Regiment der Ästhetik stehen.

Wenn Heidegger den modernen Wissenschaftsprozess von der Inventio bis zur Manifestatio im einzelnen verfolgt, seine Bewegung von der Idee über den Entwurf hin zur methodischen Forschung, zur Strenge der Verfahren und zum organisierten Betrieb schildert und insgesamt einen komplexen Gestal-tungs- und Inszenierungsbetrieb beschreibt, der ausdrücklich bis hin zur me-dialen Verwertung und den damit intendierten Effekten reicht, illustriert diese Charakterisierung der modernen Wissenschaftsauffassungen, was gemeint ist. Zum Betrieb in den Wissenschaften, Heidegger gibt ein vor 80 Jahren aktuelles Beispiel, gehört die Veröffentlichung von Büchern und Schriften aller Art. Auf diese Weise wird die durch Forschung erhellte »Welt ins Bild der Öffentlichkeit gebracht und in ihr verfestigt«, so dass die damit verbundenen Bilder nicht mehr Bilder der Wissenschaften bleiben, sondern der öffentlichen Kultur selbst und ihrer medialen Präsenz angehören. In diesem Sinne ver-weist Heidegger, beispielhaft für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf die Inszenierungstätigkeit der Verlage im Dienste der Wissenschaften. Das popu-larisierende Engagement ist erfolgversprechend, da doch die Medienleute nicht nur › das bessere Ohr für die Bedürfnisse der Öffentlichkeit‹, ein besse-res als die Wissenschaftler selbst, besitzen, sondern darüber hinaus die Ex-pertise »eines planenden und sich einrichtenden Vorgehens«, mit deren Hilfe die Forschungsergebnisse »nicht nur leichter und schneller bekannt und be-achtet werden, sondern auch in einer breiteren Front sogleich zur gelenkten Wirkung kommen.« (HEIDEGGER 1972: 91)

Die Implikationen der Unterordnung der Kunst unter die Ästhetik als wesent-liche Erscheinungsform von Neuzeit und Moderne entfaltet Heidegger im Weltbildaufsatz im Detail nicht weiter. Seine Exempel hier beschränken sich auch in dieser Hinsicht auf die Wissenschaften. Einige Jahre zuvor hatte er in verschiedenen Vorträgen zu diesem Thema separate Überlegungen ange-stellt, die später ebenfalls in die › Holzwege‹ Eingang fanden (HEIDEGGER 1972) und auf die wir zurück kommen.

Allerdings gibt es in › Zeit des Weltbildes‹ eine Erläuterung zur These der Ver-einnahmung der Kunst durch die Ästhetik, die im Blick auf den erweiterten

                                                                                                               16 Denn diese Form des Gesamtkunstwerks würde wohl kaum der Kritik entgehen, die Heidegger mit Nietzsche an Wagners Version desselben übt. (s.a. HEIDEGGER: 1961: 102ff.). Dazu dann aber (JULIANE REBENTISCH: Ästhetik der Installation. Frankfurt/M. 2003, S. 235 – 262: Die Kunst und der Raum (Martin Heidegger)

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Bildbegriff zusätzliche Orientierung verspricht. Explizit wird sie im Zusam-menhang der Darlegung bestimmter Begleiterscheinungen der neuzeitlichen Wendung der Metaphysik, die allen weiteren wesentlichen Erscheinungen zugrunde liegt. »Das Kunstwerk«, heißt es relativ lapidar in diesem Kontext, »wird zum Gegenstand des Erlebens, und demzufolge gilt die Kunst als Aus-druck des Lebens des Menschen« (HEIDEGGER 1972: 69).

Die mit diesem Befund verbundene Begründung geht aus von den die Objek-tivität der Welt als Bild verbürgenden Konstitutionsleistungen des nach-descartesschen Subjekts. Da solche Selbstbestimmung des Subjekts zugleich den Ausgangspunkt der Weltschöpfung darstellt – nicht nur eines Einen, son-dern auch eines Vielen –, muss die Definition zunächst die Frage beantwor-ten, ob das mit der Konstitution ins Leben gerufene › Ich‹ als willkürlich und beliebig handelndes Einzelnes zu verstehen sei oder als ein › Wir, ein »Wir der Gesellschaft‹, [...] als Gemeinschaft«. Sodann, wenn Letzteres, was Heidegger grundsätzlich bejaht, ob »als Persönlichkeit in der Gemeinschaft oder als blo-ßes Gruppenglied in einer Körperschaft, [...] ob als Staat und Nation und als Volk oder als die allgemeine Menschheit des neuzeitlichen Menschen«.

In welchen Facetten auch immer das Wir unter diesen Möglichkeiten im ein-zelnen zu bestimmen ist, jede Art der Ablehnung eines kollektiven Subjektbe-griffs, seine Ausformung als »Individualismus«, muss nach Heidegger als ein »Ausgleiten in das Unwesen des Subjektivismus« verstanden werden (HEI-

DEGGER 1972: 85).17 Grund genug, dass sich die Beobachtung der Welt mehr und mehr auf Beobachtung und Analyse des › Subjekts‹ verlegt, um hier Klar-heit zu schaffen. Im Prozess der Welterschließung – »je umfassender [...] und durchgreifender die Welt als eroberte Welt zur Verfügung steht, je objektiver das Objekt erscheint« – richtet die Kultur ihr Interesse immer vordringlicher und unaufhaltsamer auf ihr eigenes kreatives und produktives Selbst. Das Weltbild wird nachdrücklich von einem Menschenbild her gedacht, jenes von diesem erschlossen. Eine entsprechende Konjunktur erlebt die Anthropologie (HEIDEGGER 1972: 86),18 die nun überhaupt für die › Weltanschauung‹ zuständig ist, sofern damit › Lebensanschauung‹ und die darin ausgezeichnete › Bild-produktion‹ gemeint ist.19 Sie geht aus vom Leben und kehrt dorthin zurück.

                                                                                                               17 Politisch ist die Frage nach den konkreten Formen der › Grundstellungen der Subjektivität‹, als Ich oder Wir, natürlich keineswegs irrelevant. Muss man dem Text der Vorträge wohl eine eher positive Gestimmtheit angesichts eines Kampfs gegen »das Unwesen des Subjektivismus« testieren, so finden sich in den späteren Zusätzen Formulierungen, die man durchaus als kritisch, zumindest aber problematisierend interpretieren könnte. Die Niederschlagung des subjektiven Egoismus und die »Einreihung des Ichhaften in das Wir« wird auch hier (Zusätze (9), a.a.O., S. 102) als Machtgewinn der Subjektivität insgesamt gewertet. Indes ließen sich die von HEIDEGGER erinnerten Grundstellungen im Einzelnen durchaus als zunehmend problematisch begreifen. Je nachdem, ob sich dieses Wir bei seiner Einreihung »als Nation begreift, als Volk will, als Rasse sich züchtet [...,] schließlich zum Eroberer des Erdkreises sich ermächtigt.« Wie auch immer, für Heidegger so oder so eine der »neuzeitlichen Freiheit der Subjektivität [...] gemäße Objektivität« (ebd. HEIDEGGER 1972: 103). 18 ... »jene philosophische Deutung des Menschen, die vom Menschen aus und auf den Menschen zu das Seiende im Ganzen erklärt und abschätzt.« (HEIDEGGER 1972: 86) 19 In historischer Wendung ist von hier aus ein alternatives Verständnis von Kultur(en) so gut wie ausgeschlossen. Als Beispiel nennt Heidegger die Spielart des Humanismus (»im engeren historischen Sinne« – ebd.), der es aufgrund der subjektzentrierten Weltsicht nicht möglich ist, eine außerhalb des Gesichtskreises des anthropologischen Zentrismus liegende Fragestellung zu

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Der Philosophie bedarf sie eigentlich nicht, benutzt indes alle »Philosophiege-lehrsamkeit« (HEIDEGGER 1972: 92). Letztlich besorgt sie gar die Abschaffung der Philosophie, zumindest jedenfalls die aller ersten. In HeideggerS Worten: das wirklich Zählende am Seienden, das was ihm als solches Geltung ver-schafft, tritt neuzeitlich hervor »sofern es und soweit es in dieses Leben ein- und zurückbezogen« ist, ist, was »er-lebt« und »Erlebnis« ist (HEIDEGGER 1972: 69). »[N]otwendig und rechtmäßig [muss] dem neuzeitlichen Menschen alles zum Erlebnis werden«. – Eine Diagnose, welche die Kunstwerkvorträge ge-nauer untersuchen. – Dass die Unterordnung der Kunst unter die Ästhetik mit der Auszeichnung des Lebens und des Erlebens verbunden ist, steht, wenn man dem Fokus des Weltbildaufsatzes folgt und dem Exempel der Wissen-schaftsentwicklung, offensichtlich im Zusammenhang von Betrieb, Geschäft und medialer Verbreitung. Noch ohne dass man diese Beurteilung an den einzelnen › gleichwesentlichen Erscheinungen‹ der Moderne erhärtet hätte, ließe sich von hier aus, umgekehrt, eine Schlussfolgerung für die Bildproduk-tion ziehen. Die › Eroberung‹, die Verwirklichung der Welt als Bild, ist abhän-gig von der Konzentration der Deutung auf das Erleben des Subjekts und der damit verbundenen › Gestaltung des Seienden‹, die sich indes als solche kei-neswegs in der Erzeugung von › Bildern‹ erschöpfen muss.

5. Kunst-Werke. Einzelmedien und Rahmung

Dies jedenfalls legt HeideggerS Analyse nahe, die ein alternatives Paradigma ventiliert20 und dennoch nicht ansteht, die philosophischen Konstitutionsleis-tungen des Subjekts zu würdigen. Entsprechend versteht sich die Frage nach dem »Sinn« als Frage nach der Gestaltung schon im »Entwurfsbereich« (HEI-

DEGGER 1972: 92). Lenkt man sie auf die Kunst und die Werke der Kunst, ist zu fragen, ob der › künstlerische‹ Entwurf nur sich selbst – und damit werkschaf-fenden › Künstler‹ – gilt, um sich auf diese Weise › ästhetisch‹, das heißt mi-metisch als Bild zu reproduzieren, oder ob der Entwurf ermöglicht, auch an-deres zum Sein gehöriges Seiendes aus dem Entwurfsbereich heraus in die Welt zu befördern. Es ist offensichtlich, dass Heidegger gegen die Beschrän-kung der Kunst auf Ästhetik, auf Bildproduktion vor allem im neuzeitlichen und modernen Verständnis, opponiert. Die verhandelte Begrifflichkeit folgt dabei einer Kreisfigur von Abhängigkeiten: Gilt die Kunst als Ausdruck des Lebens, gestaltet sich das Erleben ästhetisch, resultiert das Leben, auch die Kunst als sein Ausdruck (oder, im engeren Sinne, einer seiner Ausdrücke), als (ein) Bild, das als einziges, ursprünglich welterschließend und Objektivität

                                                                                                                                                                                                                                                                                         entwickeln, insbesondere eine solche »nach dem Sinn, d.h. nach dem Entwurfsbereich und somit nach der Wahrheit des Seins, welche Frage sich zugleich als die Frage nach dem Sein der Wahrheit enthüllt. « (Zusätze (4), a.a.O. S. 92) Dies bedeutet u.a. ein Verdikt für alle humanistischen Auslegungen des › Griechentums‹, will heißen der griechischen Philosophie. Für HEIDEGGER aber ist es undenkbar, dass die Griechen › Erlebnisse‹ hatten, wenn sie die olympischen Feste feierten (Vgl. HEIDEGGER 1972: 86f.). 20 Siehe den Vergleich der metaphysischen Grundpositionen Platons (gemäß Protagoras) und DESCARTES, Zusätze (8), a.a.O. S. 97.

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verbürgend, Leben, Bild(er) und dazu, diesen Zusammenhang legitimierend, Recht schaffend ist. Wenn das Weltbild vom Menschenbild her erfunden wird, ist, was den Entwurf der Welt ausmacht, der Mensch. Doch finden wir die Nachahmung in dieser Figur am ehesten als die einer Übertragung als Spiegelung – oder Spiegelung als Übertragung. Wohlgemerkt Übertragung, nicht Speicherung, was die unabdingbare, nichtsdestotrotz mediengerechte Auflösung in Betrieb, Geschäft und Kommunikation verständlich macht, da sie die Reproduktion wie die Reproduzierbarkeit der Übertragung sichert. Freilich gerät die Formatierung angesichts der Performanz der Übertragung in Vergessenheit. Der mehr oder weniger als hinreichend ausgezeichneten Transparenz des Bildes, so oder so als › Welt‹ und derart durchaus auch als › Natur‹ in Anspruch genommen21, steht die unsichtbare Opazität des Rah-mens, die Nichtdurchsichtigkeit der Formatierung gegenüber.

Es leuchtet ein, dass die Frage nach dem Effekt der Metapher an die Beurtei-lung des gesamten Dispositivs gekoppelt ist. Es reicht nicht, die › Bilder‹ aus-zuwechseln, wenn die Konzeptualität der › Rahmung‹ beibehalten bleibt. Die Rahmung erscheint platonisch bis hegelsch und für weite Kreise der Kunst-wissenschaften auch zeitgenössisch akzeptabel. Insbesondere angesichts der neurobiologischen › Rätsel‹ der Bildproduktion ließe sich sicher kein einheitli-cher Bildbegriff finden, so wenig wie einer von Kunst, hört man, doch tauge wohl eine Anleihe bei Hegel, der doch die Kunst als › sinnliches, visuelles Scheinen von Idee‹ begriffen habe, was schließlich »im Sinne einer Kunst- als Bildwissenschaft für übertragbar« erachtet werden könne (HUBER / KER-

SCHER 1998).22 Interessanterweise und in Übereinstimmung mit Heideggers Diagnose der Vereinnahmung der Kunst durch die Ästhetik verkehrt auch der Kunstwissenschaftler die Abhängigkeiten. Statt eine bestimmte Art der Bild-produktion für ein besonderes, nämlich ästhetisches Verständnis von Kunst verantwortlich zu machen, überträgt er die Hegelsche Definition von › Kunst‹ auf die seine von › Bild‹, um derart › pragmatisch‹ – und durchaus nachvoll-ziehbar – die Kunstwissenschaften als Bildwissenschaften auszuzeichnen. Warum ein »Sinnangebot der gestalteten Form« sich notwendig als »visuelle Konstitution, die sich mit einem Sinn verbindet«, erweisen muss und auf die-se Weise als »ein Bild«, bleibt unerklärt.23

Heideggers Argumentation legt demgegenüber einen konzeptuellen, wenn nicht platonisch-hegelschen, dann zumindest antik griechisch-neuzeitlichen Hiat nahe.24 Denn die Griechen, so machen die Nietzsche-Untersuchungen,

                                                                                                               21 Und derart der Spiegel, wie Slavko Kacunko argumentieren würde, »als naturanaloges Medium der Lichtübertragung – und damit Metamedium des Sehens, bedeutend vor allem auch für die Bildkunst« vgl. KACUNKO 2010: 275. 22 Vgl. KACUNKO 2010: 279 und Anmerkung 41. 23 Bredekamp: »Ich verstehe › Idee‹ natürlich nicht hegelianisch als Teil des absoluten Weltgeistes, sondern, pragmatisch, als Sinnangebot der gestalteten Form. In diesem Sinn halte ich Hegels Diktum für eine tragfähige Definition auch für ein Bild. Eine visuelle Konstitution, die sich mit einem Sinn verbindet, und sei dieser sinnlos, ist für mich ein Bild.« 24 Womit, je nach Grenzziehung, die Antwort auf die Frage nach der Dominanz der Ästhetik variieren dürfte. »Die Ästhetik beginnt bei den Griechen erst in dem Augenblick, da die große Kunst, aber auch die große Philosophie zu ihrem Ende gehen [...], dem Zeitalter Platons und des Aristoteles«, in dem »im Zusammenhang der Ausgestaltung der Philosophie diejenigen

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die dem »Willen zur Macht als Kunst« gewidmet sind (HEIDEGGER 1961), deut-lich, »hatten zum Glück keine Erlebnisse, dagegen ein so ursprünglich ge-wachsenes, helles Wissen und eine solche Leidenschaft zum Wissen, dass sie in der Helligkeit des Wissens keiner › Ästhetik‹ bedurften.« Die große griechi-sche Kunst, mithin, blieb, folgen wir Heidegger, nicht deshalb uninfiziert von einer ästhetischen Inanspruchnahme, weil sie sich einer alternativen »denke-risch-begrifflichen Besinnung« ausgesetzt sah, sondern weil sie ohne sie aus-kam und trotzdem nicht zum puren Erlebnis verkam (HEIDEGGER 1961). Dieser wiederum nur vordergründig historische Befund macht die Aufgabe, eine begriffliche, kriterial abgesicherte Bestimmung von › Kunst ohne Ästhetik‹ und damit außerhalb der Konstitution durch Bild und Mimesis zu finden, nicht leichter. Schließlich verbinden wir mit der Rede von der › Helligkeit des Wissens‹ gewöhnlich durchaus eine › denkerisch-begriffliche Besinnung‹, die solches Wissen überhaupt erstrahlen lässt. – Doch gibt es auch »ein Wissen, das kein Licht ist.« (Thomas von Aquin)

Nun ist kaum eine Differenzierung zu erwarten, welche die aufgrund ihrer medial spezifischen › Ansicht‹ auf der Projektionsoberfläche zu konstatierende Variabilität der Bilder als paradigmatisch differente Repräsentationstypen, gleichsam aus unterschiedlichen Entwurfsschulen stammend, ausweisen könnte. (Weil und insofern es sich beispielsweise um »eine synästhetische Erweiterung des katoptrischen Feldes« handelte (KACUNKO 2010:276). Dies betrifft zunächst die oszillierenden eher traditionellen medialen Paradigmen des Heidegger´schen Bildbegriffs (Gemälde, Plastik, Architektur), genauso aber die Variationen, die wir aus heutiger, medientechnisch avancierter Per-spektive beisteuern könnten.

Die Bildproduktion im Sinne ästhetischer Integration reist nicht deshalb ab, weil das Bild auf der Oberfläche des Spiegels nicht als klassisch formatiertes › Bild‹, als › Gemälde‹ (oder › Fotografie‹), sondern als › Plastik‹, › Installation‹ oder › Performance‹ erscheint. Dasselbe gilt für die › echtzeitperformative‹ Bildgegenwart digitaler Aufnahme- und Präsentationsmedien. Mögliche Ver-lagerungen betreffen vielmehr die Formatierung durch Rahmung, die (wir werden sehen, dass Heidegger in dieser Hinsicht die relevanten technischen Mechanismen durchaus im Blick hatte) keineswegs von alternativer Begriffs- oder Bewusstseinstätigkeit abhängen, sondern von alternativen technischen Artefakten und Medien und neuen, auf deren Funktionalität gegründeten Me-taphern und Supermetaphern.

Der Gründung des gewohnten Scheins zu entkommen, ist unter Bedingungen fortgeschrittener Technologie vielleicht noch schwieriger als vordem, doch grundsätzlich gab es auch unter technisch schlichteren Bedingungen keine medienspezifische Entsprechung zwischen dem medialen bzw. materiell phy-sischen und/oder technischen Exempel (› Schatten‹, › Bild‹, › Spiegel‹ – › Schat-tenbild‹, › Spiegelung‹, › Spiegelbild‹ etc.), einer daran sich festbeißenden in-tellektuellen Anstrengung des Begriffs, welche die ursprüngliche Metaphern-

                                                                                                                                                                                                                                                                                         Grundbegriffe geprägt [scil. – wurden], die künftig alles Fragen nach der Kunst abstecken.« (HEIDEGGER 1961: 95)

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bildung besorgt (der › denkerisch begrifflichen Besinnung‹), den daraus sich speisenden, wie wohl sich verselbstständigen Metaphern (› Bild‹, › Blick‹, › An-sicht‹, › Spiegel‹, › Schein‹, › Darstellung‹ etc.), schließlich den diversen media-len, künstlerisch gestalterischen Repräsentationen – dem › Artefakt‹, › dem Werk‹, der › Produktion‹, dem › Kunstwerk‹, der › Kunst‹ (› Gemälde‹, › Plastik‹, › Architektur‹, › Theater‹, › Performance‹, › Virtual Reality‹). Selbst für solche Unterscheidungen sensible zeitgenössische Diagnosen können am Ende, wie Heidegger, nichts als eine sich beschleunigende technische Integration der medialen Artefakte und ihrer Interaktionen feststellen. Dies, obwohl die De-tektierung von › Ähnlichkeiten‹25 gar nicht mehr auf ihrem Programm steht, insofern auch nicht scheitern kann. Der universellen Maschine sind Ähnlich-keiten egal. Die Dialekte der ursprünglich in Eigengestalt sich darbietenden (Ent-)Äußerungen verschleifen in der universalen Sprache der › Weltanschau-ung‹ und ihrem medialen Reflex, verrauschen im › Betrieb‹ des durch sie ver-stärkten und sie verstärkenden weltumgreifenden Spektakels und des damit verbundenen Geschäfts.

Dass die › Differenzproduktion‹ derart mittlerweile zu den leichteren Übungen des schaffenden Spiegels gehört, versteht sich. Sie hat den selbsttätigen elektronischen, auch programmierbaren Rahmengenerator hervorgebracht, aber offenbar keine differentia specifica zur Eroberung der Welt als Bild ent-deckt.

»Die konzeptuelle Einrahmung des gespeicherten Bildes erscheint mittlerweile immer schwieriger außerhalb des optisch-akustischen oder aber optisch-haptischen Erklärungsmusters. Das physisch oder psychisch eingefaßte und for-matierte Bild fungiert zunehmend entweder als erstarrte Performation oder als verstummte Synästhesie. Der Spiegel dagegen übernimmt den Status des media-len Dispositivs oder Metamediums der visuellen Übertragung, das nur in ange-bundenen analogen und digitalen Speichermedien seine medialen und performa-tiven Einschränkungen erfahren kann [...]. Schon das analoge audiovisuelle Medi-um Video/Fernsehen als Mirror Machine demonstrierte mit seiner innewohnenden Eigenschaft, selbstgenerierende visuelle Rahmen rückkopplungstechnisch zu er-zeugen, wie die nun oszillierenden und sich verschiebenden Variablen des traditi-onellen S(ubjekt/Künstler)-O(bjekt/Werk)-S(ubjekt/Betrachter)-Schemas in der künstlerischen und auch kunstwissenschaftlichen Praxis eine verstärkte Zuwen-dung zu den perzeptiven, emotionalen, mentalen und anderen Rezeptionsprozes-sen bewirken können. Vor diesem Hintergrund gewannen audiovisuelle Beobach-tungs- und auch Selbstbeobachtungstechniken immer mehr an Bedeutung. Das Phänomen der gleichzeitigen Aufnahme und Wiedergabe von Bildern, Tönen und Bewegungsabläufen, wie es bereits dem Medium Video eigen war, stellte in die-ser Hinsicht also eine synästhetische Erweiterung des katoptrischen Feldes dar. Die auf dieser Gleichzeitigkeit basierende Möglichkeit der Tele-Vision leitete sich medial und (kat)opt(r)isch von der Telepräsenz des im Spiegel reflektierten Kör-pers ab. Die genannte optische Verstärker-Funktion des Spiegels wird mit elektro-nischer Verstärkung des Signals ersetzt, so daß der Reichweite des aktuellen Bil-des und Tons praktisch keine physischen Grenzen gesetzt werden können. Die in-trusive Verstärker-Funktion des Mediums Video, die zugleich sein orbitales Poten-tial darstellt, kann deshalb als seine differentia specifica innerhalb der audiovisu-ellen Medien angesehen werden. Videofeedback ist die technische Bezeichnung für diesen selbsttätigen elektronischen, auch programmierbaren Rahmengenera-tor.« (KACUNKO 2010: 275f.) 26

                                                                                                               25 Im Sinne semiotischer › Objekt‹-Differenzierung à la Peirce. 26 Slavko Kacunko erläutert hier ausdrücklich die Auswirkungen auf die › Bildkunst‹, die indes anders ausfallen, als man kurzschlüssig glauben könnte.

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Dass »das performative Programm › Kunst‹ [...] nach wie vor auf dieser wie auch auf einer anderen Hard-. bzw. Wetware« (KACUNKO 2010: 275) läuft, be-stätigt nur die universellen Ansprüche der Ästhetik in der Moderne und mag für die, die von der so gepamperten Kunst leben müssen, durchaus beruhi-gend sein.

6. Sprung zum Ursprung

Der Weltbildaufsatz liefert zunächst nicht viel Handfestes, um die Evidenz eines möglicherweise alternativen Paradigmas zu erhellen. Auf einem beson-deren Feld der Kunst scheint in den Zusätzen der griechische Begriff der Phantasia (vordergründig auch ein Bild- und Vorstellungsbegriff, wenn auch der Physis näher als der Einbildung) dem des Bildes qua imaginatio und sei-ner Abkömmlinge entgegengesetzt. Phantasia wird mit dem »zum Erschei-nen-Kommen des Anwesenden als eines solchen für den zum Erscheinenden hin anwesenden Menschen« zum Ereignis. Die Phantasia phantasiert nicht wie die subjektive Vorstellung, sondern ist der Wahrheit des Seins selbst ein-geschrieben. Als vorstellendes Subjekt bewegt sich der Mensch hingegen »in der imaginatio, insofern sein Vorstellen das Seiende als das Gegenständliche in die Welt als Bild einbildet«. Auf diese Weise gilt solche Gegenstandswelt als jederzeit errechenbar, grundsätzlich technisch manifestierbar und univer-sal verfügbar (HEIDEGGER 1972: 98). Einem Phantasia-Ereignen, einem zum Erscheinen-Kommen beizuwohnen und davon erfasst zu werden oder sich auf den Pfaden der eigenen Imagination zu bewegen und dies zu › erleben‹, unterscheidet sich entsprechend – und müsste sich in vergleichbar unter-schiedlichen Ausprägungen der › Kunst‹ wie des › Kunstwerks‹ niederschla-gen.

Das moderne Paradigma folgt der Bewegung der Inangriffnahme der Verge-genständlichung; sie stellt die einen »Angriff« auf die Möglichkeiten des Sei-enden, anwesend zu sein, dar. Dessen, dem Sein verbundenen, Hervortreten, › Erscheinen‹ oder › Walten‹, wird den in der Angriffsbewegung Befangenen indes kaum ins Bewusstsein dringen, da sie auf das von Ihnen selbst Vor (sich hin) gestellte konzentriert sind, um es in einer Verallgemeinerung von Gegenständlichem zusammenzutreiben (HEIDEGGER 1972: 100). Ein erschei-nendes Anwesendes wiederum, dessen Bewegungsform sich in der Ruhe des eigenen Erscheinens erschöpft,27 ließe sich wohl nur spüren von jemandem, der darauf › hin‹ anwesend wäre, abwartete, nicht aber, seinen Bildern nach-jagend, ästhetischen Konstruktionen folgte – nicht nur, was die Kunst angeht. Die Andeutungen Heideggers gewinnen um so mehr an Argumentationskraft, als er die Möglichkeiten der historischen Angriffsbewegung der Subjekt- und Bildwerdung durchaus an ihre Chancen bindet, › das Anwesende‹ zumindest in den Erscheinungen seiner vordergründigen Gegenständlichkeit und Ding-

                                                                                                               27 Und insofern die Verbform › an-wesen‹, begründet, die Bewegung des Seins in Erscheinung zu treten und zu › walten‹.

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charakteristik in Beschlag zu nehmen. Die griechische ousia28, die, wie die › Einführung in die Metaphysik‹ belegt, der deutschen Übersetzung dieses Wortes für › Sein‹ als › Anwesenheit‹ Bedeutung verleiht, bezieht nämlich ihre Verwendung als › Sein‹ im Griechischen selbst aus einer Orientierung am Hergestelltsein eines Artefakts und einer auf solches Herstellen gerichteten Sicht. 29

Die › Naivität‹ der Verbindung von Sein und Seiendem, in griechischen Begrif-fen von ousia und techne und/oder poiesis, kritisiert Heidegger, soweit darin eine nur vordergründige › Anwesenheit‹ mitgedacht ist. Dass die Begrifflich-keit von ousia nicht zurückgeführt worden sei auf die im Wort ursprünglich gefassten, hintergründigen Präsenzen des Physisch-Erdhaften, sondern sich naiv der Vordergründigkeit erscheinender Dinge zugewendet habe, charakte-risiere den Entwicklungsprozess der griechischen Metaphysik, heißt es in der › Einführung‹. Entsprechend sei die Exponierung des Bildbegriffs als eidos (und morphe), › Bild‹ (bzw. › Form‹), in der griechischen Ontologie zu beurtei-len wie auch seine weiteren Transformationen durch › Übersetzung‹.30

Es geht also um den Charakter der Poiesis, des Hergestelltseins, in der Kunst wie im Leben. Die vordergründige Anwesenheit hat wenig mit der sich offen-barenden Wahrheit des Seins im erscheinenden Seienden und seiner Art › an-zuwesen‹ zu tun, sondern lediglich mit der Vergegenständlichung im techni-schen Produktionsprozess, in dem ein leitenden Eidos, die maßgebliche Hin-sicht, zur einheitlichen Form(ier)ung des Stoffs führen soll. Der Gedanke wird in den Zusätzen des Weltbildaufsatzes aufgenommen. Zu verstehen ist er allerdings dort erst, wenn man der – freilich nahe liegenden – Unterscheidung von vordergründiger und hintergründiger Anwesenheit Aufmerksamkeit schenkt. Hier nämlich beschreibt Heidegger, dass die Moderne den Menschen im Sog der Subjekt-Objekt-Konstitution (die Erklärung gilt Descartes) aus der »Mäßigung des Vernehmens auf den jeweiligen Umkreis der Unverborgen-heit des Anwesenden, zu dem jeder Mensch jeweils anwest«, herausgerissen habe. Auf diese Weise sei er nicht mehr als der Erde verbundenes metron bestimmt (als › Maß‹ mithin im Sinne des › Protagoras‹31), sondern als diejeni-ge dynamische Gewalt, die auf den angemessenen › jeweiligen Umkreis‹ kei-nerlei Rücksicht mehr nimmt, stattdessen unmäßig in der subjektiven Bild-

                                                                                                               28 Zitate mit im Original griechischer Typografie werden in lateinischer Umschrift kursiv und klein geschrieben wiedergegeben. Als Fremdworte werden sie ggfls. als Nomen großgeschrieben, wenn dort kursiv, sind sie hervorgehoben. 29 Ein Vortrag, bekanntlich, ebenfalls aus den 30er Jahren, 1935, zur Zeit des Kunstwerkvorträge und 3 Jahre vor dem Weltbild-Vortrag. Siehe MARTIN HEIDEGGER: Einführung in die Metaphysik, in: GA Bd. 40, S. 65. Diese Charakterisierung geht zurück auf die 1920er Jahre: »Sein besagt Hergestelltsein.« (MARTIN HEIDEGGER: Anzeige der hermeneutischen Situation, in: GA 62, S. 373. Zitiert in PANTOULIAS 2011: 149, Hervorh. im Original. 30 Ins Lateinische usw. Siehe HEIDEGGER: Einführung in die Metaphysik, ebd. S. 65/66. Vgl. PANTOULIAS: Heideggers Ontologie des Kunstwerks, a.a.O.,: Kap 2: Neubestimmung des Seienden, S. 148ff 31 Die Erläuterungen dazu gibt HEIDEGGER in der Protagoras-Exegese des Zusatzes (8), im Wesentlichen durch Hinweis auf den Gleichtakt von Maß und Mäßigung. Wer metron sein will, muss der Mäßigung auf ein menschliches Maß Genüge tun, auf den überblickbaren, verantwortbaren Umkreis. HEIDEGGER: Zusätze (8), Zeit des Weltbildes, a.a.O. S. 94 – 97. Zur Übersetzung schon ins Lateinische siehe HEIDEGGER: Ursprung des Kunstwerkes, a.a.O., S. 13f und unten.

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produktion fortschreitet, so dass »alles Anwesende« daraus »Sinn und Art seiner Anwesenheit [scil. empfängt], nämlich den der Praesenz [!] in der re-praesentatio« (HEIDEGGER 1972: 101f.). Dies, wie gesagt, offenbart schon Pla-tons Polemik gegen die Sophisten.

Die Ästhetik, in deren Gesichtskreis die Kunst, wie der 38er Vortrag pointiert, erst neuzeitlich gerät, beginnt nichtsdestotrotz schon bei den Griechen! Dies entspricht den parallelen Ableitungen der wesentlichen Erscheinungen der modernen Welt, die der Weltbildvortrag anführt. Sie alle gehen auf die Wei-chenstellungen der griechischen Philosophie und Metaphysik, auf die Verwer-fungen am Ende der Großen Philosophie und Kunst zurück.

7. Techne und Physis

Womit beschäftigt sich die Ästhetik, wenn nicht mit der Kunst? Sie beschäf-tigt sich durchaus mit der Kunst und dem Kunstwerk, ist die verwirrende Antwort. Man könnte sogar sagen, sie erfindet die Kunst als solche neu – und am Ende sehen wir sie so, wie wir sie kennen. Dies beglaubigt der Sprung an den Anfang. »Die philosophische Besinnung auf das Wesen der Kunst und des Schönen beginnt schon als Ästhetik« (HEIDEGGER 1961: 94). Heidegger unterstreicht den Beginn als Ästhetik; wir müssen die Charakterisierung als Kunst unterstreichen. Es ist nicht mehr die Große Kunst, sondern die Schöne Kunst von der hier die Rede ist. Das heißt, dass sich die philosophische Be-sinnung auf die Kunst deshalb als Ästhetik etabliert, weil sie eine bestimmte Sicht auf die Kunst einführt, die mit einer Konzentration auf das Schöne und eine für das Schöne zuständige Sinnes- und Affektausstattung einhergeht, die wiederum Voraussetzung der ästhetischen Herrschaft über die Kunst als Kennzeichen neuzeitlicher Territorialverschiebungen sein muss. Es kommt nicht von ungefähr, dass mit der Begriffsbildung der Ästhetik zu Zeiten Pla-tons und Aristoteles´ der › Gesichtskreis‹ künftigen Fragens nach der Kunst abgesteckt ist, die Unterscheidung von Stoff und Form (hyle und morphe) als die »Umgrenzung und das Gefüge des Seienden als äußere und innere Be-grenzung in den Blick« gerät. Platons eidos und idea nämlich unterscheiden nach Aussehen. Beurteil wird, so Heideggers Interpretation, was in den Ge-sichtskreis tritt hinsichtlich der begrenzenden Form und des derart begrenz-ten Stoffs. Kunst ist offenbar erfahrbar als Artefakt, als Kunstwerk, das sich im Gesichtskreis zeigt und »nach seinem eidos erfahren wird‹. Das daran › sich eigentlich Zeigende und Scheinendste von allem« wiederum, idealiter die in ihr hervortretende idea, ist das Schöne (HEIDEGGER 1961: 95). Von hier aus verbindet sich die Hyle-Morphe-Auffächerung mit der schon angedeute-ten des Techne-Begriffs, auf den der Weltbildvortrag gleich als zweite wesent-liche Erscheinung neuzeitlicher Eroberung durch das Bild zu sprechen kommt, verbunden mit dem ersten Charakteristikum, dem Siegeszug der Wissenschaften!

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Der eigentliche »Gegenbegriff« zu techne ist Heideggers Analyse zufolge physis. Für ihn ist darunter nicht einfach › Natur‹ zu verstehen. Vielmehr ist physis der »Name für das Seiende selbst und im Ganzen«, dessen Daseins-form als die eines › Anwesenden‹ – des Seins selbst mithin – als eine Art pul-sierendes Walten vorzustellen ist. Die gewöhnlich von Heidegger verwendete Übersetzung ist › Erde‹, womit er etliche Verwirrungen des Ausdrucks › Natur‹ hinter sich lassen möchte, um auf andere Merkmale umso eher aufmerksam zu machen.32

› Physis‹ wie › Erde‹ beinhalten gleicherweise bestimmte Eigenheiten der her-vorbringenden und schaffenden Natur, die sich gegenseitig ergänzen. › Phy-sis‹ steht für die sich aus der Erde heraus entwickelnde, dann frei › abgehobe-ne‹ Gestalt, die auf diese Weise offenbart, was sie für sich ist – und so über-haupt für die Prozesse des Hervorkommens und Aufgehens. › Erde‹ dagegen bewahrt die Bedeutung des Ursprungs dieses Herkommens, meint den Schoß, worin, was zur selbständigen Gestalt erst werden soll, noch verbor-gen ist. Erde ist das, worauf gegründet ist, was sich über der Erde, abgeho-ben im Licht, aus sich heraus zeigt, der Physis die Kraft dazu verleiht. Zu-gleich ist »[d]ie Erde [...] das, wohin das Aufgehen alles Aufgehende und zwar als ein solches zurückbirgt. Im Aufgehenden west die Erde als das Bergende« (HEIDEGGER 1961: 31). Dies gilt gleicherweise für die Dinglichkeit der Naturdin-ge wie die Artefakte der Techne, die Sache der Welt sind. Da die Erde in der Physis selbst aus dem Verborgenen hervortritt, stößt sie gewisserweise auch selbst in die Welt hervor, um, was hervorkommt, zugleich zu bergen. Sie ist »das Hervorkommen-Bergende«, der moderne Ausdruck dafür ist Nachhaltig-keit (HEIDEGGER 1961: 35). Auf diese Weise ist die Dinghaftigkeit der Welt an die der Erde gebunden. Überhaupt ist was dinghaft ist erdhaft; was ein Ding ausmacht, gründet in der Erde, da das Hervorkommen und Hervorbringen keiner spirituellen Potenz, keiner bloßen Idee, geschuldet ist, sondern wirklich treibenden Wurzeln. (Die Unterscheide zwischen organischer und anorgani-scher Natur spielen trotz des Bildes keine Rolle.) Die pulsierende Bewegung der Physis versteht sich von daher nicht nur als die zwischen den schenken-den und bergenden Momenten der Physis-Erde selbst, sondern, vor allem, auch gegenüber der Welt. So gibt es eine Spannung zwischen Welt und Erde (HEIDEGGER sagt »Streit«), wobei der Austausch zwischen Verschließen und Öffnen auf beiden Seiten wie im Verhältnis zueinander den jeweiligen Span-nungszustand bestimmt. Bei aller Offenheit des Entwurfsbereichs, den die Welt aufschließt, »die Welt [...] kann der Erde nicht entschweben, soll sie sich [...] auf ein Entscheidendes gründen«. So wie die »Erde [...] das Offene der Welt nicht missen [kann], soll sie selbst als Erde im befreiten Andrang ihres Sichverschließens erscheinen« (HEIDEGGER 1961: 38).

Dies alles ist einerseits selbst einem Fragen am Ursprung abgerungen, ande-rerseits eine Erklärung dafür, warum auf den Ursprung zurückgegangen wer-den muss. Denn das Verborgene des Ursprungs erscheint durchaus in der geöffneten Welt, mit der sich die › Zeit des Weltbildes‹ befasst. So schließt die

                                                                                                               32 Siehe MARTIN HEIDEGGER: Vom Wesen und Begriff der Φυσις, in: GA 9, S. 239-301.

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Geschichte der Zeit des Weltbildes an die des Ursprungs des Kunstwerkes an, keine ist ohne die andere zu verstehen. Die ontologische Deutung, die dem › Natur‹-Begriff widerfährt, präzisiert nicht weniger seinen Gegenpart – die › Kunst‹ –, in beiden Partien.

Zwar nennt der 1938er Vortrag als zweites Charakteristikum der neuzeitlichen Eroberung der Welt als Bild ausdrücklich die Entwicklung der Technik (und aus ihr hervorgehend die der zunehmend sich selbst reproduzierenden › Ma-schinentechnik‹), doch wird deren Werdegang schon in der Formulierung der Thesen auf den ersten Seiten des Beitrags mit dem der neuzeitlichen Meta-physik enggeführt. Das Wesen der einen ist »identisch« mit dem Wesen der anderen, das der Technik mit dem der Metaphysik. Dieser zunächst vielleicht überraschende Anschluss geschieht, was die Ursprünge betrifft, nicht unmit-telbar über den Techne-Begriff, sondern über die schaffende Natur, über das Hervorbringen (poiesis) der Erde (physis). Nun ist aber auch Poiesis so wenig wie Techne mit › Technik‹, insbesondere nicht mit der im Weltbildaufsatz cha-rakterisierten modernen Technik gleichzusetzen (HEIDEGGER 1972: 12ff.). Zwar könnte man meinen, dass es angesichts der technischen und technologischen Revolutionen der letzten zweihundert Jahre mehr denn je gerechtfertigt sei, davon zu sprechen, dass die › Maschinentechnik‹ mittlerweile weder Hand-werker noch Künstler, bestenfalls Manager und Hilfsarbeiter braucht, um tat-sächlich eine Art automatisierter Mimesis dessen zu betreiben, was ansons-ten, wenn auch mit weniger Effektivität, nur noch diejenigen Produktivkräfte vermögen, die mit einigem Recht › natürlich‹ heißen dürfen. Doch liegen die Produktionsverhältnisse unter den Bedingungen moderner Technologie und Medialität komplizierter. Richtig ist, dass sich die Spezifik schöpferischer Pro-zesse vom Hervorbringen aufs »Herausfordern« verschoben hat (HEIDEGGER 1972: 15). Der Technik fehlt die › Erdung‹. Der Vergleich mit der schaffenden Kraft des Natürlichen – was auch immer es sei im Detail – gerät grundsätzlich schief, da es nicht zu den wesentlichen Merkmalen der Technik gehört, die Reproduktion ihrer diversen Ressourcen zu schonen. Im Gegenteil macht sie alles gleicherweise zur Energiequelle. Alle Hervorbringen von Physis und Techne disqualifiziert sie zur Nahrung, um sie der humanen Spezies (die Verwerfungen beiseitegelassen) bei ihrem global raumgreifenden › Projekt Lebenssteigerung‹ zur Verfügung zu stellen. Dafür überführt sie alles Eigen-ständige in »das Gegenstandslose des Bestandes«, wie Heidegger das Er-gebnis dieses Prozesses totaler Instrumentalisierung kennzeichnet. Der Pro-zess erreicht nicht nur die Ressourcen der Natur, sondern alle Arten des Din-ghaften in Natur und Kunst (HEIDEGGER 1972: 17ff.). »Das Ge-Stell ist seinem Wesen nach universell.«33

Ein Exkurs zur Gründung der Ästhetik in der griechischen Philosophie, wie er in den Nietzsche-Vorlesungen zu finden ist, macht Heideggers Argumentati-onskontext sowohl im Weltbildvortrag als auch in den Vorträgen zum Ur-sprung des Kunstwerks weiter transparent. Auch hier geht Heidegger an den

                                                                                                               33 HEIDEGGER: Das Ge-Stell. In: GA 7, S. 44, zit. In: DIANA AURENQUE: Die Kunst und die Technik. In: Heideggers Ursprung des Kunstwerks, a.a.O., S. 40.

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Ursprung, ventiliert die grundlegenden Begriffe griechischer Metaphysik am Ausgang der › großen Philosophie‹, um Tiefgang zu gewinnen für seine Zeit-geistdiagnose. Die Besonderheiten der Bild- und Medienproduktion der Mo-derne stehen im Zusammenhang der ontologischen Grundentscheidungen der modernen Gesellschaften in der Vergangenheit, welche die damit ver-bundenen Techniken nicht nur anwenden, sondern, auf eben diese Weise, auch die Richtung und den Sinn der Bildproduktion zur Gänze festlegen. Hei-degger macht diejenige Zeitalter und Gegenwart bestimmende Auslegung des Seienden zum philosophischen Gegenstand, die vermittels einer be-stimmten Wahrheitsauffassung, einer entsprechenden Methode auch, den Grund für die wesentlichen Züge ihrer Ausgestaltung anzugeben vermag. Im konkreten Fall lässt sie denjenigen grundlegenden Entwurf auffalten, mit Hilfe dessen sich die Epoche als gegenwärtig, die erste Philosophie als subjekt-ermächtigend darstellen, erklären und begründen lässt.

Perspektivisch, mit Blick auf die fokussierte › Zeit des Weltbildes‹ wie bezogen auf den › Ursprung‹ (der titelgebend ist für den Aufsatz zum Ursprung des Kunstwerkes, auf den wir im zweiten Teil unseres Essays genauer noch ein-gehen), führt uns die Entfaltung des Entwurfs im Weltbildaufsatz also die Ausgestaltung dessen vor Augen, was hier wie dort, in der Differenz, als Phy-sis, › Natur‹, zu gelten hat, als Begriff des Seins des Seienden selbst und als Ganzes, wie als Techne, › Kunst‹, als Vielfalt des Seienden dieses Seins (1). Dies wird in Aussicht gestellt und bildet den Auftakt. Doch ist dieser Entwurf (1) erst wirklich erfüllt, wenn alle dazu notwendigen Schritte, im Ganzen fünf, ebenfalls getan sind.34 Es handelt sich um die Demonstration eines herme-neutischen Zirkels. Mit dem Entwurf auf den Weg gebracht, folgen wir der Analyse im Weltbildaufsatz unter dem Begriff der Techne, im Kontext, zu-nächst, von › Wissenschaft‹ und › Technik‹ (2) (wobei dies den gegebenen Exkurs zum Zusammenhang von Technik und Physis nötig macht) wie, so-dann, von › Kunst‹ (3). Mit Hilfe der griechischen Kategorien lassen sich nun die Verwicklungen zwischen den verschiedenen Aspekten kreativer Tätigkeit (poiesis) und ihrer Beziehung zur Produktivität der Natur/Erde genauer dar-stellen; allerdings damit auch eher auf den › Ursprung‹ bezogen als auf die Gegenwart. Die Verallgemeinerungen daraus erfolgen sodann aber, durchaus in Zeitgenossenschaft, einmal für den Bereich der › Kultur‹ (und deren Einrich-tung unter dem Stichwort › Politik‹) (4), wie auch, gleichweise auf den Anfang hinstrebend wie auf ihn zurückkommend, hinsichtlich einer generell anthro-pologischen, metaphysikkritischen Grundstellung und der damit verbunde-nen Wissensformen (5). So angekommen, können die Schlussfolgerungen zur Beantwortung der Leitfrage des Weltbildaufsatzes gezogen werden, die me-taphysischen Konsequenzen aus der Frage, wie es bestellt ist in der Gegen-wart um › das Sein‹ (1*).

Mit hinreichendem Abstand lässt sich demnach begründen, warum es auch in › Zeit des Weltbildes‹ um das Verhältnis von Natur und Kunst zu tun ist. Konzentrieren wir uns angesichts des aufgeklappten Tableaus auf die Beson-

                                                                                                               34 (1) – (5) bzw. (1*)

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derheiten der Bildproduktion, finden wir dort die vergleichsweisen modernen Affären von Ästhetik und Kunst skizziert, die Wege der Ausdifferenzierung von Künsten und Werken seit dem 17. Jahrhundert, und, soweit die Darstel-lung den Gestalten der Moderne genügend Platz einräumt, eine Bestimmung des kreativen Produzenten im Verhältnis zu seinem Werk. Dieser Zusammen-hang freilich ist nicht mehr spezifischer Gegenstand des Weltbildaufsatzes, wird gründlicher in den Vorträgen über › den Ursprung des Kunstwerks‹ aus den Jahren 1935/36 behandelt.

Bevor wir genauer auf diesen Zusammenhang eingehen, ist es sinnvoll, der Anknüpfung Heideggers an die ursprüngliche, die griechische Diskussion auch um die Ästhetik noch ein Stück weiter zu folgen, vor allem den Anleihen bei der Begrifflichkeit der Alten.

8. Kunst und Wissen

Techne im Griechischen meint Handwerk und Künste, › Kunst‹ aber durchaus auch im Sinne der Schönen Kunst, wenn auch in keinem Fall der Akzent auf der handwerklichen Ausübung, der praktischen Produktion liegt. Erst die Ab-grenzung zu physis – oder vielmehr das Wissen des technites, des Künstlers oder Handwerkers, gleichviel, um das, was dieses »aufgehende und in sich zurückgehende Walten«, physis eben, beinhaltet – lässt die eigentliche Be-deutung von techne erkennen. Es handelt sich nicht um ein Machen, sondern um ein Wissen, ein Wissen um die Natur der Dinge und die Dinge der Natur, die beide wesentlich geerdet sind.

»Wenn nun der Mensch inmitten des Seienden (physis), in das er ausgesetzt ist, einen Stand zu gewinnen und sich einzurichten versucht, wenn er in der Bewälti-gung so und so vorgeht, dann ist sein Vorgehen gegen das Seiende von einem Wissen um das Seiende getragen und geleitet. Dieses Wissen heißt techne [...]. Im besondern gilt dann jenes Wissen als techne, das diejenige Auseinandersetzung und Bewältigung des Seienden leitet und begründet, in der eigens zu dem schon gewachsenen Seienden (physis) hinzu und auf dessen Grund neues und anderes Seiende hergestellt und erzeugt wird, das Gebrauchszeug und die Werke der Kunst« (HEIDEGGER 1961: 97).

Gewachsene Dinge, Gebrauchsdinge, Kunstdinge, das ist die Trias, auf die das Wissen der Techne rekurriert. Sie selbst ist dabei »nie ein Machen und das handwerkliche Tun als solches, sondern immer das Aufschließen des Seienden als solchen, in der Art der wissenden Leitung eines Hervorbrin-gens« (HEIDEGGER 1961: 97). Diese Stelle aus dem Kapitel › Der Wille zur Macht als Kunst‹, nahe an der von Aristoteles gegebenen Bestimmung von Techne35, lässt sich anschließen an den Weltbildaufsatz, in dem (in Zusatz (4)) die Frage nach Sinn und Wahrheit an den › Entwurfsbereich‹ im Weltlichen adressiert wird.

                                                                                                               35 Vgl. ARISTOTELES: Physik 199a,15.

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Offensichtlich ist es techne, › wissende Leitung‹, was den Entwurf hervortreibt und mit ihm eine besonderes Band zwischen Natur und Kunst, Erde und Welt knotet, diese so auf den Weg zum Werk bringt und jene damit aufschließt. »Inmitten [...] auf dem Grunde der physis« ließe sich möglicherweise gar so lesen, dass, was das Zugleich von Aufschluss und Hervorbringung, Wissen und Vorgehen im Entwurf ausmacht, dem spezifischen Zweck unterworfen sei, einen › Aufbruch‹ zu wagen, der nicht › Angriff‹ sondern › Ankommen-lassen‹ bedeutet: die › Kunst‹, sich mit dem schon Anwesenden in Physis und Erde in der Zeit zu verbinden (HEIDEGGER 1961: 92 – 97)36. In solch weitem Sinn ist techne nie › Technik‹, sondern immer › Kunst‹, wissende Kunst. Es scheint, dass das ursprünglich Griechische, das Heidegger der Sprache ent-lockt, selbst einem Bild entspricht, imaginiert und gezeichnet nach einem aus dieser Sprache Vernommenem. Der Mythos muss seine Szenen konfigurie-ren. Der Weg auf dem Weg der Kunst (im engeren Sinne) zu den Ursprüngen führt von hier aus unmittelbar zur Tragödie der Alten, der für Heidegger we-sentlichen Wendemarke in der Geschichte der Affären von Kunst und Leben, deren vergangene, offenbar immer schon dunkle Kehrseite seither nicht mehr recht ans Licht geraten ist. Dies wiederum liegt nicht am besonderen media-len Format der Kunst im engeren Sinne, dem Theater, dem Drama oder der Tragödie, sondern darin, dass die Tragödie, des Sophokles vor allem, zum Beispiel taugt, um – mit Hölderlins Hilfe – das Wesen der Dichtung als »lich-tendes Entwerfen von Wahrheit« zu erzählen (HEIDEGGER 1972: 60).

Die Kunst, wie wir sie kennen, und mit ihr die Technik, kommen, soweit es mit der ästhetischen Besinnung auf die Kunst zu tun hat, »auf dem Wege über das Schöne«, ins Spiel. Hier werden Blick und Bild privilegiert. Jeden-falls wenn als Schönes gilt, was sich der Betrachtung als besonders einprä-gend darbietet, als › das Scheinendste‹ dessen, was sich zeigt, hervorstrahlt. Selbst wenn das Schöne eine auf der Oberfläche des Stoffs festsitzende, qua-si sekundäre Materialiserung, eine Art glänzenden Überzugs sein sollte, wäre dies einem Zustand des Fühlens beim Betrachter geschuldet, das zusammen mit dem Bild, das ihm erscheint, eintritt. Eine Projektion des optischen Bildes in die Befindlichkeit des Leibes und der Sinne, die darauf antwortet. Dieses »fühlende Verhältnis« zum Schönen gemäß der Attraktion eines gewissen Scheins (ekphanéstaton) gilt als der vorzügliche Gegenstand der Ästhetik – das Wort ist längst nicht da, die Sache schon – , des Fragens nach der Beson-derheit derartiger Wahrnehmung (aisthesis) unter Bedingungen der Privile-gierung der Sicht. Und zwar durchaus auch veranlasst von der platonischen und aristotelischen lehre.

Sofern der Gefühlszustand von den Resultaten künstl(er)ischer Kreativität provoziert erscheint, (»dem Werk als Träger und Erreger des Schönen mit Bezug auf den Gefühlszustand«), kann die emotionale Reaktion dem Erzeu-gen gelten oder auch dem Effekt solcher Zeugung, der die Empfindungen auf das Empfangen der Eindrücke lenkt und ihr Genießen. Offenbar differenziert

                                                                                                               36 »Das griechisch zu denkende › Vorgehen‹ ist jedoch nicht Angriff, sondern Ankommenlassen: das schon Anwesende.«

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sich der ästhetische Sinn genau an dieser Stelle der Abgrenzung sinnlicher Anteilnahme. Wobei zunächst erstaunlich sein mag, wenn vergleichbare Empfindungen, erregt durch Naturschönes, dennoch nur in diesem ästheti-schen Zusammenhang, quasi abgeleitet Erklärung finden.

Wie auch immer: es angesichts des schönen Scheins beim aufnehmenden Genießen zu belassen oder eher aufs Erlebnis und die von ihm ausgehenden Reize zu setzen, um sich von der Dominanz der Natur ab- und der Kunst zu-zuwenden, scheint die Alternative im Umgang mit dem Schönen. Erst die Kunst (techne), die ihr Gesicht dem Erleben zuwendet, erlaubt, dem Schönen mehr abzugewinnen als bloße Hinnahme, mehr als nur ruhigen Genuss. Erst der Appell an die Virilität, die Herausforderung zur Lebenssteigerung durchs den Reiz des Erlebnisses, der von der Sicht angestachelt ist, ist offenbar in der Lage, den Zusammenhang des Werks in den Fokus der Aufmerksamkeit treten zu lassen. Die Nietzsche-Vorlesungen unterstreichen wie der Weltbild-vortrag, dass eine derartige ästhetische Behandlung des Schönen und damit der Kunst, die schon am Ursprung aufzuspüren ist, zu den Grundzügen der neuzeitlichen Metaphysik und Metaphysikkritik gehört. Die Entdeckung des Selbstbewusstseins lenkt die Aufmerksamkeit vollends auf das Ich und seine Zustände. Sie sind »das erste und eigentlich Seiende« und »der Geschmack« – eine weitere Quelle sinnlicher Empfindung – reüssiert zum »Gerichtshof« darüber. Die Kunst verliert in diesem Prozess zunehmend den Bezug zu ihrer »Grundaufgabe, das Absolute darzustellen«. Die große Kunst ist zu Ende in dem Augenblick, da die philosophische Ästhetik auf ihrem Höhepunkt dieses Ende erkennt und festhält, was Heidegger zufolge mit den Hegel´schen › Vorle-sungen über Ästhetik‹ am Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall ist (HEIDEGGER 1961: 99 - 101). Die Ästhetik, die in der Zeit nach Hegel das Feld bestellt, ist in der Hauptsache nur noch »naturwissenschaftlich arbeitende Psychologie« (HEI-

DEGGER 1961: 107).

9. Werk, Zeug, Ding – Chancen der Erdung

Nun ist Hervorgebrachtes (poiesis) – wie angezeigt – nicht per se schon Werk oder Kunstwerk. Im Artefakt erscheint das Resultat der Arbeit häufiger denn als Kunstwerk als Ding zum Gebrauch als › Zeug‹. Überhaupt durchzieht das Dinghafte aufgrund seiner Gründung in der Erde jede Art Effekt von Poiesis. Soweit es Natur und Erde angeht, gerät das von ihr Hervorgebrachte dem instrumentalisierenden Bewusstsein gewöhnlich ohnehin nur als »bloßes Ding« – ein »Stein, die Erdscholle, ein Stück Holz«.

In Werk und Kunstwerk jedoch findet sich ebenfalls »dieses selbstverständli-che Dinghafte«, ist sogar wesentlich dafür, dass ein Kunstwerk als Garant wahrer Kunst besteht. Denn nur in der Vermittlung von beidem, erdbezogen Dinghaftem mit künstlich Geschaffenem, kann es eine »Bestimmung der Dingheit der Dinge« geben, die es vermag, dass sich das Andere der Gestal-tung, die Kunst im Kunstwerk offenbart, oder, wie Heidegger sagt, »seine

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unmittelbare Wirklichkeit verbürg[t]«. Die Vermittlung muss, soll sie gelingen, möglichst selbst eine › natürliche‹ sein. Denn lediglich imaginiert, läuft sie Gefahr, dass wir »das Werk nicht ein Werk sein lassen, sondern es als Gegen-stand vorstellen, der in uns irgendwelche Zustände bewirken soll« und das Dinghafte an ihm folglich »im Sinne der geläufigen Dingbegriffe« herabset-zen. »Vom Werk her erfahren« – auch ein Bild? – soll sich das Bild des Ge-genstandes dagegen verflüchtigen. Und was im einen Fall »so aussieht« wie ein für uns Gemachtes, ein uns Dienliches, erscheint im anderen Fall als das »Erdhafte des Werks«, sein Maß, vor dem die Leistung des Schöpfers ver-blassen muss und stattdessen das › Dass‹ seines Geschehens als solches her-vortreten lässt (HEIDEGGER 1972: 56, sowie 53f.). Es ist nicht nur nicht wesent-lich für die Wirklichkeit des Kunstwerks, dass es von einem Künstler geschaf-fen ist, sondern es verstellt darüber hinaus das Verständnis des Werks als Inbegriff der Kunst. So lässt der Rekurs auf die Art und Weise des Hervor-bringens der Erde verstehen, dass der damit verbundene »Stoß« in die Frei-heit der Gestalt derjenige Stoß ist, der das Faktum des Geschaffenen macht. So ist »das Geschaffensein selbst eigens in das Werk eingeschaffen und steht als der Stoß jenes › Daß‹ ins Offene«. Das ist zwar noch nicht die ganze Wirk-lichkeit des Geschaffenseins des Werks, lässt nun aber »den Schritt vollzie-hen, auf den alles bisher Gesagte [im Ursprung des Kunstwerks] zustrebt« (HEIDEGGER 1972: 54). Offenbar eine Lösung, die das Szenario der Bildproduk-tion, das in seinen Konsequenzen im Weltbildvortrag von 1938 skizziert wird, nicht als unausweichlich erscheinen lässt, jedenfalls erhellt, um möglicher-weise dem Zwangsläufigen ihrer Einseitigkeit zu entkommen. Die geschieht schrittweise.

Das Werk ein Werk sein lassen und nicht zum Gegenstand zu machen, heißt, ein Werk zu »bewahren«. Die Bewahrenden treten neben und vor die Schaf-fenden, denn die Bewahrenden sind diejenigen, die »der im Werk gesche-henden Wahrheit entsprechen«. Auch ohne dass diese Aufgabe tatsächlich erfüllt wird, ist das Werk auf seine Bewahrung verwiesen, gründet sie doch in seiner eigenen »geschehenden Wahrheit«. Sofern Wahrheit bedeutet, »sich in das Seiende einzurichten«, zudem, aufs Werk bezogen, gehört, sich ins Werk zu richten und zu setzen, kann › Wahrheit‹ nicht Aufhebung der gegensätzli-chen Bewegungen – hin zum Erdhaften einerseits, hin zum Welthaften ande-rerseits – meinen, sondern nur den Streit von Welt und Erde, »zwischen Lich-tung und Verbergung in der Gegenwendigkeit« beider zueinander (HEIDEGGER 1972: 50f.). Der in das Werk eingebrachte Streit (»Streit von Maß und Unmaß durch den schaffenden Entwurf ins Offene«, heißt es später) muss dort anwe-send sein, und ist es, seiner Natur gemäß, als »Riss«; freilich, weil im Werk in seiner Gestalt festgestellt, »in die Erde zurückgestellt«, ins Maß, das das Maß des Humanen definiert.

Alle große Kunst ist maßvoll. So gibt es beim »Feststellen der Wahrheit in der Gestalt« immer ein »Brauchen der Erde«. (Das ist es auch, im Übrigen, was leicht den Anschein erwecken kann, dass, ein Werk zu schaffen, auch hand-

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werkliche Tätigkeit bedeute.) »In die Erde zurückgestellt« erzählt von der Ver-ankerung der Gestalt in der Physis,37 so dass der Riss, der in die Gestalt ein-gebracht ist, »sich fügt«, in ihr als Gefüge erscheint, ohne dass dieses Gefüge doch vornehmlich als kreative Leistung eines fügenden Könners das Wesent-liche wäre. Vielmehr gilt der gefügte Riss als »die Fuge des Scheinens der Wahrheit. Was hier als Gestalt erscheint, ist stets aus jenem Stellen und Ge-stell zu denken, als welches das Werk west, insofern es sich auf- und her-stellt« (HEIDEGGER 1972: 52)38 – Der Ansatz, die Selbstgesetzlichkeit der techni-schen Produktion zu denken, sofern das Stellen von einem stellenden Subjekt befreit gedacht wird (was freilich zur Bildproduktion des Subjekts gehört), bedeutet, das Gestell »in seinem Stellen universal« zu realisieren, die Erobe-rung der Welt als Technik.39

Bewahrung mithin impliziert, die Autonomie des Werks zu respektieren, die von seiner Wahrheit lebt. Wenn Bewahrung »Innestehen in der im Werk ge-schehenden Offenheit des Seienden« bedeutet, gilt sie als solche, als »In-ständigkeit« des Seienden im Werk, als Wissen. Dieses Wissen darf nun aber nicht mit dem eines sich selbst versichernden Ich verwechselt werden und in den Verdacht geraten, sich seinerseits der daraus rührenden Bildproduktion zu verdanken, obwohl auch diese Wissen sich letztlich, so wie die neuzeitlich moderne Bildmetaphysik ebenfalls, als Wille qualifiziert. So muss es für Ur-sprung und Gegenwart nicht nur eine Unterscheidung des Wissens geben, sondern ebenso eine des Wollens. Doch müssen sich nicht beide Unterschie-de als Unterscheidungen von Hinsichten erweisen? Heidegger allerdings un-terlässt es im Kontext des diskutierten Vortrags, die Hinsichtlichkeit, die er unterscheidend empfiehlt, zu problematisieren – zu Gunsten der Unterschei-dung, die er herausarbeitet.

»Wissen besteht [...] nicht im bloßen Kennen und Vorstellen von etwas. Wer wahrhaft das Seiende weiß, weiß, was er inmitten des Seienden will.« Und einige Sätze weiter: »Das Wissen, das ein Wollen und das Wollen, das ein Wissen bleibt, ist das ekstatische Sicheinlassen des existierenden Menschen in die Unverbor-genheit des Seins. [...] Weder in dem zuvor genannten Schaffen, noch in dem jetzt genannten Wollen ist an die Aktion eines sich selbst als Zweck setzenden und an-strebenden Subjekts gedacht.« (HEIDEGGER 1972: 55)

Heidegger blendet diese Möglichkeit ab. Nun ist es nicht leicht, diese Behaup-tung tatsächlich plausibel zu machen, viel schwieriger als die damit intendier-ten Negationen nachzuvollziehen. Insbesondere, dass das Werk, das in sich steht, solche Inständigkeit nicht seiner Tauglichkeit als »Erlebniserreger« ver-dankt und dass wissendes Bewahren sich nicht als Kuratorenschaft gegen-über einem Werk, das ins Erleben gezogen werden muss, um seine Wahrheit zu erweisen, missverstehen kann. Wie im Zeitbildaufsatz werden schon in den Vorträgen zum Ursprung des Kunstwerks die Wissenschaft, der ihr not-wendig zugehörige Betrieb und das Geschäft thematisiert und kritisiert; spezi-fisch, mit Blick auf die Kunstwissenschaften, deren Wissen ein ganz anderes

                                                                                                               37 Die Erde nimmt den Riss in sich zurück, siehe HEIDEGGER 1972: 52. 38 Hervorh. – HW. 39 Siehe MARTIN HEIDEGGER: Das Ge-stell. In: GA 79, S. 44.

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als das des Bewahrens beinhaltet – »Kennerschaft des Formalen am Werk, seiner Qualitäten und Reize an sich« nämlich – und auf den Kunstbetrieb und seine Geschäfte – wo »jener Stoß ins Ungeheure im Geläufigen und Kenneri-schen abgefangen« und bestenfalls eine Erinnerung ans Werksein ermöglicht wird (HEIDEGGER 1961: 103). Wissenschaften, Betrieb und Geschäft, die im Weltbildaufsatz auf die Naturwissenschaften und ihre revolutionäre Bedeu-tung für die technische Entwicklung hin fokussiert werden, müssen auch in diesem Kontext der Kunst der Gegenwart in ihrer engen Verflechtung mit den technischen Dispositiven ihrer Anwendungen zusammengedacht werden. Es erscheinen so die Umrisse einer zugehörigen Unterhaltungs- und Medienin-dustrie der Künste. Sie sind dabei, wenn es darum geht, für die Erregung des »Gefühlsrauschs« bei den Massen, die »Entfesselung der › Affekte‹« zu sor-gen, alles als »eine Rettung des › Lebens‹«, wie Heidegger schon mit Blick auf die › ästhetische Grundstellung zur Kunst im Ganzen‹ zu Wagners und Nietz-sches Zeiten feststellt. »Das Werk ist nur noch Erlebniserreger. Alles Darzu-stellende soll nur wirken als Vordergrund und Vorderfläche, abzielend auf den Eindruck, das Gefühl, den Effekt, das Wirken- und Aufwühlenwollen: › Theater‹. Theater und Orchester bestimmen die Kunst«, die Inszenierungen, die der Gesellschaft des Spektakels dienlich sein sollen (HEIDEGGER 1961: 105 und 103). Die Wirklichkeit des Werks dagegen geht hervor aus dem an ihm zur Gestalt kommenden »wesenhaft Zusammengehörige[n]«: dem »was die Schaffenden in ihrem Wesen ermöglichen« und dem, was »aus seinem Wesen die Bewah-renden braucht«. Kurz gesagt, sie geht hervor aus der Kunst, die derart »der Ursprung des Werkes« ist, ohne ihre Gründung in der Erde zu vergessen. Im › Kunstwerk‹ – wobei fraglich ist, ob diese Begrifflichkeit denselben einge-grenzten Umfang hat wie in gewöhnlicher Verwendung des Ausdrucks heut-zutage –, im Kunstwerk ist die Wahrheit »nach der Weise einer Werkes am Werk«. Doch erscheint sie auch ins Werk »gesetzt«. Wahrheit deshalb ge-schieht nicht allein als Einrichtung in die Gestalt qua Entwurf, sondern zu-gleich als damit verbundenes »in Gang und ins Geschehen-Bringen des Werkseins«. »Also ist die Kunst: die schaffende Bewahrung der Wahrheit als Werk«. Diese Zusammenführung von Schaffen und Bewahren erlaubt nun die Auflösung des bis hierhin noch geschürzten Knotens. Wir erinnern, dass Be-wahrung als »Innestehen in der im Werk geschehenden Offenheit des Seien-den« und diese »Inständigkeit« als Wissen ausgezeichnet wurden. Ein prakti-sches Wissen sozusagen. Dies wird nun dadurch qualifiziert, dass es im Sinne schaffender Bewahrung der Wahrheit als Werk beschrieben wird. Offenbar geht es nicht um die Hervorbringung eines noch zu schaffenden Werks, die Rolle des Künstlers und Könners eventuell, vielmehr um eine Bewahrung der Wahrheit als Werk, einer Wahrheit, die schon am Werk ist, »geschehende Wahrheit«. An ihr gilt es, Anteil zu nehmen.

Es geht um Kunst und nicht um Philosophie, könnte man pointieren, aber wohl eine philosophische und eine poetische Kunst. Fragt man nämlich, wel-cher Art die Kunst sein kann, so dass die Wahrheit der Kunst im Werk nicht einfach erscheint, sich in ihm abbildet, sondern an ihrem Geschehen abgele-

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sen werden kann, dann ist die Antwort: nach Art der Dichtung. »Wahrheit als die Lichtung oder Verbergung des Seienden geschieht, indem sie gedichtet wird« (HEIDEGGER 1972: 59) – Die große Kunst der Griechen am Anfang, die Tragödie, ist mithin wesentlich »Dichtung«. Nicht weil sie nicht › Theater‹, Drama, ist; es sollen keine Gattungsgrenzen aufgehoben oder verschoben werden. Die griechische Tragödie vielmehr ist Beispiel großer Kunst, weil und insofern sie zu zeigen vermag (vorzüglich in der Hölderlin´schen Übersetzung und der ihr verbundenen Deutung der › Antigone‹ und des › Ödipus‹) was Hei-degger als Inbegriff des Dichtens versteht, ein »lichtendes Entwerfen von Wahrheit« (HEIDEGGER 1972: 60).

10. › Bildung‹ vs. › Erdung‹

Obwohl es kaum möglich erscheint – Heidegger gesteht ein, dass die These weiterhin durchaus fragwürdig und weiter zu bedenken sei (HEIDEGGER 1972: 60) – berühren sich Natur und Kunst, Physis und Techne, Erde und Welt, in der Sprache. Denn »wir kommen nicht durch, wenn wir einfach sprachlose Natur und sprechende Menschen nur nebeneinander setzen als verschieden geartete Dinge«. Wo doch »nichts eindringlicher zu uns › sprechen‹ kann als das Walten der Natur im Großen und im Kleinen«.40 So schweigt die Natur nicht; vielmehr geben Allegorie und Symbol »die Rahmenvorstellung her, in deren Blickbahn sich seit langem die Kennzeichnung des Kunstwerks be-wegt«. Zwar spricht die Sprache, doch kann sie nicht umhin, Bilder zu moti-vieren, in Figuren zu inszenieren. Das Dinghafte, das am Werk haftet, qualifi-ziert und dynamisiert dabei den Charakter des Medialen, welches das Kunst-werk, auf diese Weise ermittelt, darstellt (HEIDEGGER 1972: 9f.)41. Es leuchtet ein, dass sich entsprechend den unterschiedlichen Arten, den Stoff zu for-men, › Künste‹ unterscheiden ließen. Die › Kunst der Natur‹ zunächst außen vor (die indes auch nur »durch das Werk offenbar wird, weil sie ursprünglich im Werk steckt« (HEIDEGGER 1972: 58)), blieben auf der Produzentenseite die-jenigen Künste, die das Schöne zum Scheinen bringen (die › Schöne Kunst‹). Zu unterscheiden sind die › technischen Künste‹, deren Produkte dem Ge-brauch dienen. So oder so wird die Bearbeitungsperspektive des Künstler-Handwerkers (technites) auf sein Material üblicherweise als prinzipielle, der künstl(er)ischen Produktion innewohnende Gegenstandsbeziehung einge-führt und als solche als ausschlaggebend nicht nur für das Verhältnis des Künstler-Handwerkers zum Werk, sondern auch für das Verhältnis von Arte-fakt und Betrachter. Insofern auch der Betrachter gegenüber den produzierten

                                                                                                               40 MARTIN HEIDEGGER: Hölderlins Hymnen – › Germanien‹ und der › Rhein‹. In: GA Bd. 39, Frankfurt/M. 1980: 75f. 41 Das Ding ist »nicht nur die Ansammlung der Merkmale, auch nicht die Anhäufung der Eigenschaften, wodurch erst das Zusammen entsteht«, es macht auch den Kern des »Dingbaus« aus. Das Maß seines Entwurfs liegt am Grund der Dingheit der Dinge (der Erfahrbarkeit des Seins des Seienden), nicht in irgendeinem »Satzbau«, in »Auffassung und Aussage«, die solchen Entwurf »abspiegeln« könnte. Der geläufige Dingbegriff fasst dem entgegen »das wesende Ding« nicht, »sondern überfällt es«, siehe ebd. S.13 – 15; Hervorh. – HW.

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Gegenständen als Subjekt ins Spiel gerät – »[d]as Werk wird Gegenstand in seiner dem Erleben zugekehrten Seite« auch und insbesondere für ihn – , verwickelt er sich in den Prozess der Werk- und Gebrauchsdingproduktion als eine Art Aktivator, der dort das Schöne, hier das Nützliche dazu bringt, ans Licht zu treten. Damit aber besorgt auch er die Reproduktion des gesamten Verhältnisses, zunächst im individuellen Erleben, sodann als selbst Tätiger – und durchaus auf Nachahmung des Produktionsvorgangs bedacht.

Die Idee der Selbsttätigkeit geht paradoxerweise aus von einer Lage der Be-troffenheit, von der Vorstellung von Sinneseindrücken und durch sie provo-zierten Empfindungen. Demnach aber sind es zuerst die Dinge, die uns »ganz wörtlich genommen, auf den Leib« rücken, und wir diejenigen, die ihr Anwe-sen empfangen, im Fall schöner Gefühle genießen (HEIDEGGER 1972: 15). Da-bei kann das Ding, das aistethon, Wahrnehmbares, ist – ein »in den Sinnen der Sinnlichkeit durch die Empfindungen Vernehmbare[s]« –, als Resultat produktiver Synthesis von Mannigfaltigem zur Einheit eines Gegenstandes konsolidiert erscheinen. Insgesamt ein Übersetzungsvorgang, wie Heidegger zeigt, der nichtsdestotrotz einem »Überfall« auf die Dinge gleichkommt (HEI-

DEGGER 1961: 93). Die Idee der Selbsttätigkeit steht im Dienst des Erlebens und seiner raumgreifenden Dynamik, obwohl, die gleichzeitig angebotene Auslegung, das Erleben als fühlendes Verhältnis, das dem Vernehmen er-wächst, durchaus den Dingen zugewandt gedacht werden könnte, und nicht als Überfall. Doch finden wir auch hierin nicht unbedingt eine Alternative. Die Universalität des Gründungsaktes aller Freiheit des Subjekts macht, dass die erdgegründeten Dinge auch auf sanfte Weise verschwinden können, wenn auch weniger durch Überfall als durch Umarmung, Vereinnahmung. Denn auch so ist Vergegenständlichung des Dings, diese Mal, indem ihm »das empfindungsmäßig Vernommene als sein Dinghaftes« zugewiesen wird.

So geht das sinnliche Erleben als Spontaneität und Intentionalität des ästheti-schen Sinns ein in den Prozess lebenserhaltender und lebenssteigernder Raumerweiterung, wie er im Weltbildaufsatz – und auch in den Nietzsche-Vorlesungen – thematisiert wird. Selbst derjenige, der nur betrachtet, kann nicht per se als unbeeindruckt vom Erleben gelten. Wenn er auf »das Werk in seiner dem Erleben zugekehrten Fläche« reagiert, sich nicht für die Askese des bloßen Aufnehmens und Ankommenlassens dessen, was die Erde bereit hält, entscheidet, was seiner Natur nach kaum möglich erscheint, macht er das Werk notgedrungen zum Gegenstand. Denn unter den Maximen des Machbaren gilt das Schöne grundsätzlich als › herstellungsbedürftig‹. Die schon alte Vorstellung ist, dass dem Stoff der passende Schein als Form ge-mäß Entwurf (eidos) erst abgewonnen werden muss.42 Gemäß einem Bild (eidos), nicht unmittelbar kraft praktischer Realisierung, denn techne, gleich-

                                                                                                               42 In: MARTIN HEIDEGGER: Grundprobleme der Phänomenologie (In: GA 24, S. 166) thematisiert Heidegger den Stoff (hyle) in diesem Sinne als »Herstellungsbedürftiges«. Der Stoff ist herstellungsbedürftig im Blick auf seine Form (morphe,) einem jeweiligen Bild, einer jeweiligen Hin-Sicht (eidos) entsprechend. Vgl. PANTOULIAS: Heideggers Ontologie, a.a.O., S. 155. In Der Ursprung des Kunstwerks findet sich die Diskussion der Hyle-Morphe-Unterscheidung als eine der drei Arten, das Wesen der Dinge zu bestimmen (HEIDEGGER 1972: 17 - 20).

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viel ob › Kunst‹ oder › Technik‹ (in der weitesten Spannung des Begriffs, in der das ihm Entgegengesetzte berührt wird, › Physis‹ oder › Erde‹ als das, was tatsächlich aus sich selbst heraus schöpferisch hervorzubringen vermag43) ist ja allererst ein Wissen. › Entwurf‹ heißt aber auch, eine bestimmte › Sicht‹ (eidos) auf die Sache zu privilegieren, der die Gestaltung bereit ist zu folgen. Dem Wissen folgt der Wille – allerdings nicht der Wille, den Heidegger im Kunstwerkvortrag als »ekstatisches Sicheinlassen des existierenden Men-schen in die Unverborgenheit des Seins« apostrophiert. Doch geht dem Ent-wurf auch eine › Sicht‹, ein Bild, voraus; die am Ursprung kenne es auch und sprechen von der Idee (idea).

Die Eigenart des Entwurfs, des gesamten Entwurfsbereichs, zwischen Idee und Wissen scheint offenbar über die Strenge des Regiments der Bilder zu entscheiden. Je nachdem, wie stark der Wille zur Formgebung den Entwurf im Sinne seiner eigenen › Sicht der Dinge‹ beherrscht und sich der Idee ge-genüber entpflichtet fühlt, gibt es Grund, an seine, an die Autonomie des Willens zu glauben.

Andernfalls würde das Wollen dem Walten eines Vorauszusetzenden trauen, das zu denken die Trennung von Form und Stoff, die dem Willen als Ich Chancen verspricht, schon angesichts der platonischen Idee wenig Sinn machte. Die Idee, die auf ganz andere Weise jenem › Anwesenden‹ zugehört als bei Heidegger, würde schließlich dort, bei Platon als › ewig‹ konzipiert, was heißt, keiner Veränderung ausgesetzt. Der Wille zur Gestaltung dagegen hängt wie auch immer ab vom Glauben an die Gestaltbarkeit, an den Sinn von › Gestaltbarkeit‹. Dass grundsätzlich alles bildbar sei, formbar zu anderer und neuer Gestalt, wird sich auf die Erfahrung von Veränderung berufen, vorzüglich den Wandel des Anblicks anführen, dem die Sterblichen ausge-setzt sind. Doch ist, wenn nicht zu fürchten, dann doch zumindest, zu konsta-tieren, dass solche Erfahrung, soll sie die Arbeit des ästhetischen Sinns be-zeugen, kaum anderes wird vorweisen können als › Bilder‹ je gegenwärtig versammelter memorialer Akte. Die darin vermeintlich repräsentierten Emp-findungen – Reaktionen auf eine selbst veranlasste, zumindest gebilligte Be-vorzugung besonders hervor scheinender Oberflächen des Sichtbaren –, werden sich in der Nachahmung des ästhetischen Gestus erneut einstellen. Eine Wiederholung, mittels derer Bilder die Gefühle des › Schönen‹ und mit ihr › die Kunst‹ erneut erleben lassen, und eine Kausalität, die nur in eine Richtung wirkt. Der Hiat braucht indes nicht die Ewigkeit der Ideen Platons

                                                                                                               43 Was die Technik betrifft, zieht Der Ursprung des Kunstwerks noch nicht die Konsequenzen des rund 20 Jahre späteren Vortrags über Die Frage nach der Technik (in GA 7), sieht aber doch schon die Verbindung des Schaffens, das zum Kunstwerk führt und für das »Festgestelltsein der Wahrheit in die Gestalt« verantwortlich ist, mit der »Gestalt«, in der »Stellen und Ge-stell« gedacht (!) werden müssen, als das, was gemeinsam »als Werk west, insofern es sich auf- und her-stellt« (HEIDEGGER 1972: 52). Dass »Gestell‹ zur Grundkategorie der modernen Technik werden kann, liegt an der Universalisierung der Freiheitsmetaphysik, die in ihrem Objektivitätswahn ihre eigenen Produktionsbedingungen vergisst und auf diese Weise der Technik die vollständige Übernahme der Rolle der Physis zuzugestehen vermag. Ein gigantisches mimetisches Unterfangen zwischen Techne und Physis.

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sondern kann durchaus mit den realistischen Anteilen der Ontologie Heideg-gers arbeiten.

Denn auch das erdhaft anwesende des Seins, ist dasjenige, was im Vor-sprung seiner selbst nicht in die Differenz des Erlebens gezogen ist.

Von der Kunst dennoch auf die Natur, die Physis zu schließen, liegt demnach, wie dargestellt, nicht so fern, wie man glauben mag. Allerdings findet sich die Beziehung von techne und physis in solchem Schluss leicht auf den Kopf gestellt, jedenfalls auf den ersten Blick. Der (durchaus auch griechische) Ge-danke wäre, in Veränderungen der Gestalt eine formspezifische Veränderung der Dinge selbst oder an sich zu sehen, und › Dinge‹ als das, was die Natur in ihrem Reichtum hervorbringt und › über der Erde‹ erscheint. Gestaltwandel gehörte für uns zu derartiger poiesis notwendig dazu – was indes keinen Schluss darauf zuließe, dass das Schaffen der natura naturans auch für sie im Sinne der Veränderung eines › Form-Stoff-Gefüges‹ der natura naturata not-wendig sei.44 Trotzdem ließe sich weiter argumentieren, dass Veränderungen der Form auf eine Kraft (dynamis) zurückzuführen seien, die den Dingen zwar selbst innewohne (unter der Erde‹, wo alles Stoff ist), wenn auch eher als bloße Möglichkeit denn als laufendes Programm. (Ein emergierendes Pro-gramm vorzustellen, wie HEIDEGGER es tut, wäre eher kontraproduktiv, um die Fähigkeiten der modernen techne ins Spiel zu bringen.) Dies unterstellt, und die Hyle-Morphe-Unterscheidung, die die Fremd-Eigen-Differenz bei der Ge-staltbildung beglaubigt, vorausgesetzt, ließe sich nun auf eine Gestaltbarkeit durch › fremden‹ Eingriff schließen, auf Bildbarkeit aufgrund über die Zeit immer wieder bereit gestellter Gestaltungskraft. Doch offenbar ist das gesam-te ontologische Konstrukt wie schon gesehen abhängig von einem Begriff der Zeit, in dem die Vorstellung eines Zeit- und ihm adäquaten Bewusstseins-stroms dominiert. Dächte man stattdessen eine einzige Zeit der Anwesenheit (wobei zunächst gleichgültig ist, ob idealistisch oder realistisch, ideen- oder erdgebunden, machte die Erwartung künftiger Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund jetzt gesetzter Machbarkeit, in Gang gesetzt vom Willen zur Macht, wenig Sinn. In diesem Modell wäre die Veränderbarkeit, die Variabilität der Formen schlicht da, idealiter oder realiter anwesend, müsste nicht in die Zeit eines Subjekts verlegt, in der Zukunft seines Schaffens allererst herbeigeführt werden. Viel eher ließe sich verstehen, die Heidegger Lesart, wenn »der maß- und gewichtgebende Vorblick für die Auslegung des Dinghaften der Dinge [...] auf die Zugehörigkeit des Dings zur Erde« ginge und ebenso wie sie »zu nichts gedrängt« wäre (HEIDEGGER 1972: 57).

Es liegt auf der Hand, dass sich die Subjekt-Objekt-Opposition, was die Kunst betrifft, unmittelbar am Augenpunkt der ersteren der beiden unterschiedli-chen Perspektiven des Entwurfs festsetzt. Sieht sich der Entwurf allein in die Differenz zur fertigen Gestaltung gesetzt, vergisst er allzu leicht das Sein der (seiner) Ideen- und / oder Erdgründung, gerät das zu schaffende Artefakt kraft subjektiven Zutuns, Sicht und Leistung des Könners, zum ästhetisch notierba-

                                                                                                               44 Oder im Sinn einer der beiden anderen vom Subjekt ausgehenden Bestimmungen der Dingheit des Dings (s.o).

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ren Gegenstand. Von hier ist es nur noch ein Schritt, den Gedanken der Her-stellungsbedürftigkeit der Materie, einen Gedanke, der ebenso wie mit der Vorstellung grundsätzlicher Gestaltbarkeit mit dem Glauben an die Fähigkei-ten eines zunächst nur imaginierenden, nur › reaktiv kreativen‹ Betrachters zusammengebracht wird, auf ein Wissen um die praktisch technische Herstel-lung und so auf die produktivsten Verfahren der Formung und Bildung von Gebrauchsdingen, schließlich sich gleichenden Gegenständen auszudehnen.

Die Folge ist, dass sich Stoff und Form gemäß solcher Vorstellung nicht nur überhaupt zur Erscheinung, sondern insbesondere zu wirklichen Gegenstän-den zusammenfügen lassen (unbeschadet ihrer physisch-physikalischen Be-schaffenheit). Dass, was Kunst (techne) hier bedeutet, insofern das mit ihr verbundene Hervorbringen als Formung von Stoff gilt, der »Anfertigung des Zeugs (der Gebrauchsdinge)« abgesehen ist, wie HEIDEGGER vorbringt, kaum dem »Werkschaffen« des Künstlers, leuchtet ein. »Fertigsein des Zeuges« ist tatsächlich

»Geformtsein eines Stoffes und zwar als Bereitstellung für den Gebrauch. Fertig-sein des Zeuges heißt, daß dieses über sich selbst hinaus dahin entlassen ist, in der Dienlichkeit aufzugehen. Nicht so das Geschaffensein des Werkes.« (HEIDEGGER 1961: 98; 1972: 52)45

Dies aber verschwindet in den universalen Dimensionen allgemeiner techni-scher Einrichtung im › Bestand‹, die auch die Maßstäbe des Gebrauchs hinter sich lässt.

Versagt sich der erläuterte Schluss, von der Kunst auf die Natur, auf die Idee der Gestaltungsbedürftigkeit des Stoffs zu setzen, um die Expansion durch Bildproduktion zu legitimieren, wird nicht unbedingt der umgekehrte Schluss von der Natur auf die Kunst deren Wahrheit enthüllen können. »[W]ahrhaftig steckt die Kunst in der Natur« zitiert Heidegger Dürer, »wer sie heraus reißen kann, der hat sie« (HEIDEGGER 1972: 58). Doch fragt Heidegger,46 wie denn das Herausreißen des Risses zustande gebracht werden soll, wenn er nicht wirk-lich als »Riß« »und d.h., wenn er nicht zuvor als Streit von Maß und Unmaß durch den schaffenden Entwurf ins Offene gebracht wird«.

Heidegger bestreitet nicht, dass der Riss, der die Bedingung des Gefüges ist, wie man hörte, in der Natur steckt, ebenso wie »Maß und Grenze und ein daran gebundenes Hervorbringen-können«, also der Ursprung der Kunst. Doch verschweigt Heidegger auch nicht, dass die ontologische Prämisse sich nur aus ihren Folgen erschließen lässt, »daß diese Kunst in der Natur erst durch das Werk offenbar wird, weil sie ursprünglich im Werk steckt«. Von daher relativiert sich das scheinbar Alternative der Konstruktion. Zwar liegen die › Erklärungen‹ anders, je nachdem, ob die Idee eine Potenz als Vermögen unterstellt oder ein an die Erde gebundenes reales Ingrediens mit einer Reihe phantastischer physikalischer Eigenschaften imaginiert. Den Test auf die Ewigkeit des schon immer Angekommenen können wir im im Erleben aber so

                                                                                                               45 › Fertigsein‹ lässt › Gefertigtsein‹ mithören, indes ein abschließendes Gefertigtsein. 46 Die folgenden Heidegger-Zitate stammen alle aus: Der Ursprung des Kunstwerkes, S. 59 – 63.

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oder so nicht bestehen. Insofern ist die Bildproduktion eine auf Zeit geltende conditio humana. › Teilhabe‹ (methexis) ist dennoch möglich, so oder so, be-sagt sie doch selbst, dass es nicht um mehr geht als um einen Teil. Man wird erleben, ob die Differenz technologisch – und technisch – überwunden wer-den kann und wirkliche › Alternativen‹ entstehen. Teilnahme und Aufnehmen als Variante eingeübter Verhaltensweisen, Alternativen zu Angriff und Erobe-rung, verbieten sich aber sicher nicht deshalb, weil dieser Angriff noch aus-steht. Sollte er tatsächlich Erfolg haben, gehörte das Nachdenken über Alter-nativen ohnehin in den Bereich der Metaphysik, eventuell der Metaphysik der Maschinen.

11. Die Wahrheit des Mythos

Wenn der Zeitbildvortrag auf den ersten Blick so beginnt, als wären seine Bestimmungen zu den Grundzügen der Neuzeit universalhistorischer Natur, einem weiten Blick aus der Höhe geschuldet, so mögen die Vorträge zum Ursprung des Kunstwerks anfangs den Anschein erwecken, als ginge es um den Ursprung der Künste und um eine Zurückführung der vielen auf eine ursprüngliche Kunst. Was dort dann in der Entfaltung eines mächtigen Bild-begriffs eingeholt und relativiert wird, wird in dieser Einlassung jedoch eher › von unten‹ entwickelt, ausgehend von einzelnen Künsten und dem, was in ihrem Rahmen ein Werk bedeutet und von hier erst, verallgemeinernd, inte-ressiert am Wesen des Kunstwerks und damit der Kunst. Die Schlussfolge-rung für die Kunst, die im Weltbildvortrag der Interpolation dem Grundvor-gang der Neuzeit und insbesondere der Zuspitzung auf die These der Unter-werfung der Kunst unter die Philosophie wie die Technologie der Ästhetik als Charakteristikum der Moderne entnommen werden kann, entspricht im Kunstwerkvortrag die Schlussfolgerung aus der Erörterung einzelner Künste im Blick auf die Werke und ihre Wahrheit. Die Globalisierung der Bildproduk-tion hat nichts zu tun mit der Auszeichnung einer › Bildkunst‹ als einzelmedia-lem Paradigma, obwohl es um die Privilegierung der › Sichtbarkeit‹ eines ge-wissen Scheins geht. Die Auszeichnung der › Dichtung‹ wiederum hat nicht zu tun mit der Rückführung eines jeden wahren Kunstwerks auf Sprachkunst oder Poesie, obwohl dem »Sprachwerk« eine › ausgezeichnete Stellung‹ im Ensemble der Künste testiert wird. Weder müssen, wenn alle Kunst im Wesen Dichtung ist, »Baukunst, Bildkunst, Tonkunst« und alle anderen Künste auf die Poesie zurückgeführt werden noch sind, wenn alle Kunst unter dem Re-giment des Erlebens und des Erlebnisses der Bildproduktion steht, dafür vor-nehmlich die visuelle Medien – Malerei, Fotografie, Film, Video ... – oder mul-timediale Installationen aus allen möglichen Beiträgen solcher Einzelkünste verantwortlich. Alle diese Sortierungen sind »reine Willkür« (HEIDEGGER 1972: 60).

Von daher ist es kaum als Pointe zu werten, wenn der vermeintlichen Auswei-tung der Kunstwissenschaft als Bildwissenschaft nicht nur, zurecht zu einer

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gewissen Zeit, die »Verkleinerung der einschlägigen Räume« vorgeworfen, sondern im Gegenzug »die Erweiterung des Bildbegriffs« anempfohlen wird, die man ausgerechnet dann gewährleistet sähe, wenn »in den Bereich der bildenden Kunst alles das, was in einem Installationsraum präsentiert werden kann«, hinein gezogen wäre (GROYS 2003: 27f.).47 Wie man sieht, teilt die Kunstwissenschaft das von Heidegger beschriebene Los der modernen Wis-senschaften, sich notwendig mit Betrieb, Geschäft und Unterhaltungskultur, mit allen Arten der jeweils maßgeblichen technologischen und technisch me-dialen Überformungen gemein machen zu müssen. Dass es gerade die Instal-lation sein soll, die heutzutage das Gesamtkunstwerk WAGNERs ersetzt, ist dabei allerdings in der Hinsicht symptomatisch, dass › Installation‹ schon im Begriff die Reduktion des › Werks‹ auf eine kalkulierende › Hinstellung‹ mit-macht, eine Figur, die in Heideggers › Gestell‹ als Inbegriff aller möglichen Einrichtung in den Bestand und als Wesen der Technik vorgeprägt ist. Dass es dann auch noch eine Empfehlung an die Bildwissenschaften ist, sich der Installation zu bemächtigen, wiederum zeigt, dass man Ahnung davon hat, dass der geforderte › Installationsraum‹ der erweiterten Bildproduktion als Ersatz für einen authentischen Entwurfsbereich zur Verfügung gestellt wer-den soll, um am wissenschaftlichen Exorzismus der magischen Praktiken der Vorstellungserzeugung teilhaben zu können. Wie sonst sollte man ansonsten darauf kommen, eine › Wissenschaft der Bilder‹ zu erfinden, wenn nicht, um sie samt dem, zu dem man auf dieselbe Weise kommt, zu bannen.

So oder so, den unterschiedlichen Argumentationssträngen der Heidegger

Einlassungen der 30er Jahre, die vorgestellt wurden, gemeinsam ist ein bild-skeptischer, ja bildkritischer Grundzug, der philosophisch als in jeder Weise repräsentationskritisch zu werten ist. Der Entwurf, den Heidegger favorisiert, setzt statt auf das Erlebnis verheißende Eidos einer in seinem Spiegel sich ankündigenden »geniale[n] Leistung des selbstherrlichen Subjekts«, auf das »entwerfende Sagen« der Dichtung48, die an der Idee nicht das Bild festhalten möchte, sondern die im sinnstiftenden Mythos gegründete, von ihr gesagte Wahrheit und ihre szenische Aufführung. Es ist die Wahrheit dieses Grün-dungsmythos selbst, die der Gemeinschaft und Gesellschaft, deren › Selbst-bewusstsein‹ sie ausdrückt. Der Gestus des Stiftens beinhaltet dabei ein Schenken, ein Gründen und ein Anfangen. Sollte der Mythos derart im Eidos als Stifterin der Wahrheit aktuell gehalten werden können, müsste der ent-sprechende Entwurf, so ist die Hoffnung, nicht immer nur den attraktiven Schein der Bereitschaft zu künftiger Expansion ausdrücken. Denn in jeder der drei Arten ist »Stiftung [...] nur in der Bewahrung wirklich«. Dies wäre die wahre Kunst, hat allerdings wenig zu tun mit dem, was wir unter diesem Be-griff verstehen. Soweit solche Kunst ein echter Anfang ist, teilt sie die in ihm enthaltende »unerschlossene Fülle des Ungeheuren und d.h. des Streites mit

                                                                                                               47 Siehe dazu auch: SLAVKO KACUNKO: Prophetenstück. Die Geburt der Bildwissenschaft aus dem Zeitgeist der Biopolitik. Ein dialektisches Aufklärungsstück gewidmet einem außergewöhnlich guten Jahrgang zu seinem 60. Geburtstag (Als Online-PDF erreichbar auf: http://www.slavkokacunko.de/fileadmin/pdf/kacunko_rz.pdf, Zugriff HW 8/2010), S. 26.  48 Dieses und die folgenden Zitate vgl. HEIDEGGER 1972: 60 - 64.

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dem Geheuren. [...] Kunst als Dichtung ist Stiftung in dem dritten Sinne der Anstiftung des Streits der Wahrheit, ist Stiftung als Anfang«. Auf diese Weise verklammern sich die geschichtlichen, die zeitbezogenen Konsequenzen einer Diagnose der Zeit des Weltbildes und des Ursprungs des Kunstwerkes – durchaus die Verknüpfung eines (vorläufigen) Endes mit seinem (vorläufigen) Anfang – mit der metaphysischen Bestimmung der Kunst als eines schenken-den und gründenden Anfangs, worin »alles Kommende schon übersprungen ist«. In diesem »wesentlichen Sinne« ist die Kunst selbst Geschichte.

Vita brevis, ars longa.

Heiner Wilharm (Dr. rer.pol.) ist Professor für Gestaltungswissenschaften, Medien und Kommunikation im Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund.

Literatur

ARISTOTELES: Physik. Vorlesung über Natur, 1. / 2. Halbband, Bücher I – IV und V – VIII. Hamburg 2011, 1988

AURENQUE, DIANA: Die Kunst und die Technik. In: ESPINET, DAVID; TOBIAS KEILING: Heideggers Ursprung des Kunstwerks. Frankfurt/M. 2011

GROYS, BORIS: Topologie der Kunst. München / Wien 2003 HEIDEGGER, MARTIN: Nietzsche. Erster Band. 3. Aufl. Pfullingen 1961, GA 6.1 HEIDEGGER, MARTIN: Nietzsches Wort »Gott ist tot«. In: Ders.: Holzwege. 5. Aufl.

Frankfurt/M. 1972, S. 199-204 (d.i. Gesamtausgabe (GA) Band 5, hrsg. von FRIEDRICH-WILHELM VON HERRMANN, Frankfurt/M. 1977)

HEIDEGGER, MARTIN: Der Ursprung des Kunstwerks. In: Ders.: Holzwege. 5. Aufl. Frankfurt/M. 1972, S. 7-68

HEIDEGGER, MARTIN: Zeit des Weltbildes. In: GA 5. Frankfurt/M. 1977 HEIDEGGER, MARTIN: Die Frage nach der Technik (1953). In: GA 7, Vorträge und

Aufsätze (1936 – 1953). Hrsg. von FRIEDRICH-WILHELM VON HERRMANN. Frankfurt/M. 2000

HEIDEGGER, MARTIN: Vom Wesen und Begriff der Φυσις (1939). In: GA 9, Weg-marken (1919 – 1961). Hrsg. von FRIEDRICH-WILHELM VON HERRMANN. 2. Auflage. Frankfurt/M. 1996

HEIDEGGER, MARTIN: Grundprobleme der Phänomenologie. In: GA 24. Marbur-ger Vorlesungen (1923 – 1928). Hrsg. von FRIEDRICH-WILHELM VON HERR-

MANN. 3. Auflage. Frankfurt/M. 1997 HEIDEGGER, MARTIN: Hölderlins Hymnen – › Germanien‹ und der › Rhein‹

(1934/15).In: GA 39, Freiburger Vorlesungen (1928 – 1944). Hrsg. von S. ZIEGLER. 3. Auflage. Frankfurt/M. 1999

HEIDEGGER, MARTIN: Einführung in die Metaphysik (1935). In: GA 40, Freiburger Vorlesungen (1928 – 1944). Hrsg. von PETRA JAEGER. Frankfurt/M. 1983

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HEIDEGGER, MARTIN: Anzeige der hermeneutischen Situation (1922).In: GA 62, Frühe Freiburger Vorlesungen (1919 – 1923): Phänomenologische Inter-pretation zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation). Hrsg. von GÜNTHER NEUMANN. Frankfurt/M. 2005

HEIDEGGER, MARTIN: Das Ge-stell. In: GA 79, 1. Einblick in das was ist. Bremer Vorträge (1949). Hrsg. von PETRA JAEGER

HUBER, HANS DIETER; GOTTFRIED KERSCHER: Kunstgeschichte im › Iconic Turn‹. Ein Interview mit Horst Bredekamp. In: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Sonderheft Netzkunst, Jg. 26, 1998, Heft 1, S. 85-93. online auf: http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/huber/aufsaetze/bredekamp.html

KACUNKO, SLAVKO: Der Spiegel, der Rahmen und der Wille zur Macht der Bil-der. In: KÖRNER, HANS; KARL MÖSENEDER (Hrsg.): Rahmen. Zwischen In-nen und Außen: Beiträge zur Theorie und Geschichte. Berlin 2010, S. 259-280

KACUNKO, SLAVKO: Prophetenstück. Die Geburt der Bildwissenschaft aus dem Zeitgeist der Biopolitik. Ein dialektisches Aufklärungsstück gewidmet einem außergewöhnlich guten Jahrgang zu seinem 60. Geburtstag. (Als Online-PDF erreichbar auf: http://www.slavkokacunko.de/fileadmin /pdf/kacunko_rz.pdf. Zugriff HW 8/2010)

LACOUE-LABARTHE, PHILIPPE: Poetik und Politik. In: Ders.: Die Nachahmung der Modernen. Typographien II. Basel / Weil am Rhein / Wien 2003

PANTOULIAS, MICHAIL: Heideggers Ontologie des Kunstwerks und die antike Philosophie. Heraklit und Aristoteles. In: ESPINET, DAVID; TOBIAS KEILING: Heideggers Ursprung des Kunstwerks. Frankfurt/M. 2011

REBENTISCH, JULIANE: Ästhetik der Installation. Frankfurt/M. 2003, S. 139-159