Greenpeace Switzerland Magazin 4/2013 DE

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GREENPEACE MEMBER 2013, NR. 4 David gegen Goliath — Kräftemessen in der Arktis S. 12 DOSSIER: Bevölkerungswachstum ab S. 18 Sand wird Mangelware S. 40 Greenpeace Photo Award: Land unter in Senegal S. 48

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Die Polgegend wird zum Zankapfel der Grossmächte. Die erste Greenpeace-Aktion in der Arktis war 1989. Was bisher geschah. Bevölkerungswachstum – Die Demographie als Sündenbock der Ökologie. Ven Teske, der Vater der Energy[R]evolution redet über die Knacknüsse der Energiewende.

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— David gegen Goliath — Kräftemessen in der Arktis S. 12

DoSSier: Bevölkerungswachstum ab S. 18Sand wird Mangelware S. 40Greenpeace Photo Award: Land unter in Senegal S. 48

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Editorial — Seit dem 19. September, als ein russisches Kommando in der Petschora-See unsere «Arctic Sunrise» gestürmt hat, führt Greenpeace den vielleicht grössten Kampf ihrer Geschichte. es geht um die Arktis, ein dünn besiedeltes, scheinbar lebensfeindliches Gebiet unserer erde, das dort beginnt, wo unsere Zivilisation aufhört. es mag also ironisch anmuten, dass wir in dieser his-torischen Phase unserer und ihrer Umweltorganisation ein Heft über das Bevölkerungswachstum vorlegen. Natürlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem besinnungslosen run auf die letzten fossilen ressourcen des Planeten und dem demografischen Stress, unter dem die Menschheit steht. Wie wir aber in unserem Dossier zu zeigen versuchen, stimmt die Gleichung «Mehr Menschen = mehr Umweltzer-störung» nur bedingt: Wir wagen zu behaupten, dass eine grünere, gesündere erde auch ohne polares Öl und Gas noch mehr Menschen beherbergen könnte. Die rezepte bleiben letztlich dieselben: eine energy[r]evolution (lesen Sie auf Seite 56), eine nachhaltige Landwirtschaft (S. 28), aber auch intelligente Städte (S. 32) und somit ein Systemwandel, der ressourcen vernichtendes Wachs-tum (S. 40) nicht mehr zum Motor unseres Daseins macht. es gibt auch Wachstum, das uns gefällt: rund um die Arctic30, die tapferen Arktisschützer, die nach ihrem fried-lichen Protest im September wochenlang im Gefängnis sassen, ist eine riesige, weltweite Bewegung gewachsen. Millionen nahmen Anteil, Millionen handelten. Die reihe der Kundge-bungen, Mahnwachen, Petitionen und natürlich gewaltlosen Aktionen riss nicht ab. Persönlichkeiten aus aller Welt soli-darisierten sich mit den Arctic30. Die Medien berichteten, die sozialen Netzwerke liefen heiss. es zeigte sich, dass freie Meinungsäusserung und gewaltloser Widerstand für unzählige Menschen unveräusser-bare Werte sind. Sich dahinter zu versammeln, gibt uns allen Mut, Power und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Wohl noch nie hat Greenpeace weltweit so viel Kraft bündeln können. Als die Arctic30 ende November das Untersuchungs-gefängnis auf Kaution verlassen konnten, herrschte für kurze Zeit eine verdiente euphorie des Sieges. Aber Kumi Naidoo riet zum Blick voraus und zitierte Winston Churchill: «Das ist nicht das ende. es ist nicht einmal der Anfang des endes. Aber es ist, vielleicht, das ende des Anfangs.»

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Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2013

Arktis Die Polgegend wird zum Zankapfel 12 der Grossmächte Arktis-Kampagne Die erste Greenpeace-Aktion 15 in der Arktis war 1989. Was bisher geschah.Schwerpunkt ab S. 18

Bevölkerungswachstum Die Demographie als Sündenbock der Ökologie

Interview Sven Teske, der Vater 56

der Energy[R]evolution redet über die Knacknüsse der Energiewende

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Greenpeace Photo Award: DiE GEWinnER in ZEiGT SEnEGAl in KlimAnoT 48

Die Karte FR AcKinG – SPiEl miT FEuER unD GiFT 58

testamente iST mAn miT 50 Zu junG, um SEin ER bE Zu R EGEln? 60

ÜberlebenskampfWEGEn WAlDZER STÖRunG GEhT DEn TiGER n AuF SumATR A DER lEbEnSR Aum VER loR En 62

In Aktion 2leserbriefe / Impressum 10Chefsache 11Kampagnen-news 64In Kürze 68Öko-Rätsel 72

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Barentssee, 18. September 2013 Machtgehabe Ein Offizier verhaftet mit vorgehaltener Waffe Green-peace-Aktivisten, die vor der Gazprom-Plattform Prirazlomnaya gegen Ölbohrungen in der Arktis demonstrieren. 28 Mitglieder und 2 freie Journalisten werden wegen angeblicher Piraterie ins Gefängnis von Murmansk geschafft.

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Barentssee, 19. September 2013 luftangriffAngehörige des russischen Sicherheitsdienstes werden von helikoptern aufs Deck des Greenpeace-Schiffs Arctic Sunrise geflogen und verhaften die Umweltaktivisten an Bord. Ein Besatzungsmitglied fotografiert den Einsatz mit dem handy.

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Basel, 1. Oktober 2013 Weltspektakel In der vierten Spielminute des Champions-league- Matchs von Schalke 04 und FC Basel seilen sich vom Dach des St.-Jakob-Parks vier Greenpeace-Aktivisten ab und hissen ein 28 Meter breites Protestbanner gegen die Ölvorhaben von Gazprom in der Arktis. Der russische Energiegigant ist Sponsor von Schalke 04 und der UEFA.

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© PaT r i c k s e e G e r ( k e y s T o n e / D Pa / PaT r i c k s e e G e r )

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Weltweit, 18. Oktober 2013

Internationale Solidarität

Am «Arctic 30 Global Day of Solidarity» haben Zehntausende von ArktisschützerInnen in 36 ländern für die Freilassung der in Russ-land inhaftierten Greenpeace AktivistInnen demonstriert. Menschenrechtler, Politiker und Journalisten haben sich dem Protest ange-schlossen. Über drei Millionen Menschen haben eine Online-Petition mit der Forderung «Free Arctic 30» unterschrieben.

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10Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2013

Seit jahren habe ich kein Green-peace-magazin mehr mit so viel interesse (beinahe) durchgelesen. Gratulation! Den Artikel über die Aussteiger fand ich höchst interes-sant und vielleicht erfahren wir in den nächsten heften, wie es in italien und Spanien aussieht. Diese beiden länder grenzen auch ans meer und haben eine bedeu-tende landwirtschaft. Als Thema kön nte ich mir die Einsteiger-winzer und der Agriturismo in italien vorstellen. Der Tourismus zerstört viele Gebiete unserer Erde.

M. T. in B.

ist ja schön und gut, die Aus-steigerei – manch eineR mehr soll-te das machen. Wenn aber, dann richtig! Als Dorfkind gehen mir zu diesem bericht einige Fragen durch den Kopf: Warum glauben alle immer, bauern seien natur-verbundene, tierliebe, sanfte Zeit-genossen? ich habe viele bauern anders erlebt, denn auch die landwirtschaft ist ein Geschäft, mit dem man Geld verdienen muss. und auch in der landwirt-schaft gibt es grossen Druck, den wir Konsumenten nicht gerade verringern: Alle wünschen sich tier-, umwelt- und artgerecht pro-duzierte lebensmittel, aber kaum jemand ist bereit, für gute Qua-lität auch gutes Geld zu bezahlen – ein Widerspruch, den wir Kon-sumenten ändern könnten.

Zudem frage ich mich: Warum ums himmels willen bestellt nicole mycelien in den uSA? Gibt es in Europa keine Pilze mehr? Wer wirklich nachhaltig anbauen will, sollte möglichst auf einhei-mische Sorten setzen – wer weiss, was mit Pflanzen aus anderen

Kontinenten eingeschleppt wird. Wie viele Pflanzen oder Tiere wurden von urlaubern schon mit-gebracht, die nun einheimische Arten verdrängen? muss man das auch noch bewusst fördern? Aus-serdem kann ein einheimischer Pilzzüchter vermutlich bessere Ware liefern als ein Webshop in den uSA. So ganz ausgestiegen ist nicole wohl noch nicht, es schwingt da noch ziemlich viel Grossstadt mit …

Klar, wer etwas neues beginnt, muss erst einmal einiges aus-probieren. Zudem ist die natur die natur: im einen jahr wächst das eine Gemüse oder die eine beere besser, im nächsten kann es eine andere sein. ich habe meinen klei-nen Gemüsegarten auf 1800 me-tern über meer. Da muss man sich einfach überraschen lassen!

Irene Scherrer, Graubünden

in regelmässigen Abständen er-kundige ich mich über die Green-peace-Aktivitäten. Als mitglied unterstütze ich die Anliegen von Greenpeace und erhalte auch das magazin – in Papierform. Green-peace setzt sich immer wieder gegen das Waldroden ein, um das Gleichgewicht der natur zu er-halten. meine Wohnung ist kom-plett papierlos und ich erhalte die Zeitschrift immer noch per Post statt digital. ich habe bereits nach-gefragt, wann es endlich eine digitale Variante gibt. mir wurde gesagt, eine App sei unterwegs und eine digitale Variante sei «bald erhältlich». Trotz rezyklier-tem Papier ist eine Zeitschrift heutzutage doch überflüssig für viele. leider kriegte ich auch die neuste Version auf Papier. Wann kehrt Greenpeace vor der eigenen Tür und macht Schluss mit dem Papier? in der hoffnung auf eine baldige umsetzung grüsst bestens

P. Peter

imPressumGreenPeace member 4/2013

Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweizheinrichstrasse 147 Postfach8031 ZürichTelefon 044 447 41 41 Fax 044 447 41 [email protected], www.greenpeace.ch

Adressänderungen unter: [email protected]

Redaktionsteam: Tanja Keller (leitung), matthias Wyssmann, hina Struever, Roland FalkAutoren: Verena Ahne, muriel bonnardin, judith brandner, christian hug, Andrea hösch, Philipp löpfe, Thomas niederberger, mathias Plüss, Samuel Schlaefli, judith Wyder, matthias WyssmannFotografen:Stephan bösch/Ex-Press, Flurina RothenbergerGestaltung: hubertus DesignDruck: Stämpfli Publikationen AG, bernPapier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 110 500, f 22 500Erscheinungsweise: viermal jährlich

Das magazin Greenpeace geht an alle mitglieder (jahresbeitrag ab Fr. 72.—). Es kann meinungen ent halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace- Positionen übereinstimmen.

Der lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt.

Spenden: Postkonto 80-6222-8

Online-Spenden:www.greenpeace.ch/spenden

SMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: «GP 10» an 488)

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Leserbriefe

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isT iDealismus sTrafbar?

marco, Denis, Sini, Peter, miguel, camila, colin, Ana Paula, Phil, Kieron, Falza, mannes, Anne mie, Francesco, cristian, Paul, jonathan, David, Tomasz, Roman, Dima, Gizem, Ruslan, Andrey, Ekaterina, Alexandra, Frank, Anthony, iain, Alexandre – die «Arctic 30» sassen zwei monate lang in russischen Gefängnissen bei murmansk. ihr Vergehen: Sie wollten die Weltöffent-lichkeit auf die gefährlichen bohrpläne des Ölkonzerns Gazprom in der Arktis auf-merksam machen.

Darf man das? Wochenlang beschäf-tigte diese Frage die medien, auch in der Schweiz. ob sie als idealistische Weltver-besserer, als naive opfer der russischen justiz, als mutwillige Gesetzesbrecher, als Schmarotzer, als bewundernswerte hel dinnen oder als «Gratisbrennstoff der PR-maschine Greenpeace» dargestellt wurden: Die mutige Aktion der «Arctic 30» liess niemanden kalt, ob befürworterin oder Gegner.

Was die Kraft und die Wirkung von Aktionen wie jener auf der Ölplattform Prirazlomnaya ausmacht, ist das persönli-che Statement jedes einzelnen menschen, der daran teilnimmt. Denis, marco, Sini und die anderen der «Arctic 30» haben sich aus eigenem Antrieb entschieden, dass ihnen die Zukunft der Erde wichtiger ist als ihre persönliche Sicherheit. in Greenpeace haben sie eine organisation gefunden, deren Ziele sie teilen und in deren Rahmen sie sich wirksamer für ihre Überzeugung einsetzen können als allein.

unverhältnismässig ist nicht das Risiko, das sie mit ihrer banner-Aktion auf einer Ölplattform eingegangen sind, son-dern vielmehr die härte, mit der sie danach bestraft wurden. in unserer Welt wächst der Druck, jede handlung rational abzuwä-gen, mögliche Risiken zu beziffern, zu vermeiden und abzuwälzen. Fundamentale menschenrechte wie das Recht auf freie

meinungsäusserung werden zwar aner-kannt, nur kosten dürfen sie nichts. und stören schon gar nicht. noch schlimmer: idealismus ist suspekt geworden. in einer vom ökonomischen nutzen geprägten Gesellschaft wird uneigennütziges handeln nicht verstanden.

Der russische Fotograf Denis Sinya-kov schrieb aus dem Gefängnis in mur-mansk: «mein ganzes berufsleben lang habe ich versucht, Zeuge von wichtigen Ereig-nissen zu sein. Eine wichtige Geschichte war die Arktis. ich habe sie bei meiner Arbeit mit Greenpeace während jahren verfolgt. jetzt ist diese Geschichte zu einem Wende-punkt in meinem leben geworden. ich danke euch für all eure unterstützung, für eure briefe und euren Protest. Seid nicht traurig. ich verspreche euch, auch nicht traurig zu sein.» Auch marco Weber, der Schweizer Aktivist, sandte uns tröstliche Worte aus seiner Zelle: «lasst uns die zer-brechliche Arktis bewahren und damit auch unsere chance auf eine Zukunft. Sol-che ideale, und damit auch das bewusst-sein, das Richtige getan zu haben, halten mich hier über Wasser.»

Die «Arctic 30» haben es mit ihrer Aktion geschafft, dass die Warnung vor einer Zerstörung des fragilen Ökosystems Arktis endlich gehört wird. und dass mil lionen menschen weltweit sich ermutigt fühlen, ihren Kampf für den Schutz der Arktis und für eine zukunftsfähige Welt wei-terzutragen. Das macht uns zuversichtlich.

Verena mühlberger und markus Allemann, co-Geschäftsleitung

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Bedrohliches Säbelrasseln zwischen den Staaten um die Bodenschätze der Arktis. Das Risiko einer Ölkatastrophe in diesem hochsensiblen Ökosystem bleibt.

Von Christian hug, www.polarnews.ch

Der grösste Teil der arktischen Erdöl- und Erd-gasvorkommen liegt zwar innerhalb der 200-meilen-Zone (370 Kilometer): So bezeich-net man die Distanz von der Küste aus, über die das jeweilige Anrainerland besitzansprüche stellen darf und damit über die alleinigen Fischerei- und Förderrechte verfügt. Das meer jenseits dieser Zone und damit auch die Eis-decke der Arktis gehören niemandem – bezie-hungsweise allen.

Doch weil sich einige Vorkommen ausser-halb dieser Zone befi nden und darüber hinaus noch weitere Vorkommen entdeckt werden könnten, erheben vor allem die fünf Anrainer-staaten der Arktis (uSA, Kanada, Russland, Grönland beziehungsweise Dänemark als «Pate» und norwegen) besitzansprüche über die 200-meilen-Zone hinaus, um sich so weitere Förderrechte zu sichern. Spätestens hier kommen auch andere Staaten wie china, Deutschland, italien und Frankreich ins Spiel, die sich ebenfalls ihr Stück vom Kuchen sichern wollen.

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S Gasförderung Ölförderung Mögliche Öl- und Gasvorkommen

200-Seemeilen-Wirtschaftszone neue Gebietsansprüche Polarkreis

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um diese begehrlichkeiten zu regeln, gründete die Seerechtskonvention der uno 1997 die sogenannte commission on the limits of the continental Shelf, die Festlandsockel-kommission. hier kann jedes land besitzan-sprüche über die 200-meilen-Zone hinaus gel-tend machen, sofern es beweisen kann, dass sich sein Kontinentalsockel auf dem meeresbo-den über die besagte Zone hinaus ausbreitet.

in der «beweisführung» der betreffenden länder hat sich vor allem der lomonossow-Rücken zum Zankapfel entwickelt. Dieser 60 bis 200 Kilometer breite und bis zu 3500 meter hohe Gebirgszug auf dem meeresgrund erstreckt sich zwischen Grönland und den russischen neusibirischen inseln – und genau da liegt das Problem: Die Russen betrachten den lomonossow-Rücken als Fortsetzung ihres landes, während Grönland das Gebirge als unterseeischen Fortsatz Grönlands definiert. Die Kanadier reklamieren den Rücken derweil als Fortsetzung ihrer Ellesmere-insel für sich. Alle drei länder haben geologische Gutachten erstellt, die ihre These beweisen. Dass übrigens unter dem lomonossow-Rücken Erdöl oder andere bodenschätze lagern, schliessen ameri-kanische Geologen praktisch aus (siehe heft 3/2010).

China macht Stunkbesorgnis erregt seit einigen jahren china.

Die Wirtschaft des bevölkerungsreichsten lan-des der Erde wächst in Riesenschritten und be-nötigt dringend «Treibstoff», um den motor am laufen zu halten. immer wieder erhebt Peking resolut besitzansprüche auf kleine inseln (und die zugehörigen 200-meilen-Zonen) und gerät so in Konflikt mit nachbarstaaten. natürlich ist der rote Riese auch scharf auf das Erdöl und das Erdgas in der Arktis.

Das veranschaulicht die Regierung auch mit militärischen mitteln: bereits fünf mal durchquerte der 167 meter lange Eisbrecher Xuelong (Schneedrache) die Arktis, zuletzt im vergangenen Sommer nahe am nordpol vorbei. Parallel dazu ist das 8,2 meter lange Tiefsee-u-boot jiaolong (meeresdrache) unsichtbar unter-wegs. beide seien, so versichert Peking gerne, nur zu Forschungszwecken unterwegs. Aber das ist diplomatisches Gerede: china geht es dar-um, den starken Staat zu markieren, und es drängt auf den beobachterstatus im Arktischen

Rat. Zudem fordert china von Russland den freien Zugang zur nordostpassage.

nächstes jahr soll der zweite chinesische Eisbrecher vom Stapel laufen. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri macht sich in einer kürzlich veröffentlichten Studie Sorgen um den Frieden in der Arktis wegen der Aggres-sivität chinas. Doch auch Russland setzt auf Taten mit klarer Signalwirkung: bereits im Früh-ling 2011 verkündigte der russische heerchef Alexander Postnikow die bildung einer Arktis-brigade mit Stützpunkt nahe murmansk. Russland werde, so hiess es ohne Schönfärberei, seine Ansprüche auf die bodenschätze im Eis-meer notfalls militärisch durchsetzen. 2015 sollen Kriegsschiffe und u-boote in der Arktis patrouillieren. Entsprechend verstärkten die uSA und Kanada umgehend ihre militärische Präsenz in den arktischen Gewässern.

Nichts als ProblemeViele Experten sind zuversichtlich, dass es

nie zu einem militärischen Konflikt in der Arktis kommen wird. niemand kann sich einen teuren Krieg leisten um Öl, bei dem immer noch nicht

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sicher ist, ob man es überhaupt je wird fördern können. und vor allem: in der Entwicklung not-wendiger neuer Fördertechniken sind die län-der auf gegenseitige hilfe, sprich den Austausch von Know-how, angewiesen.

Kommt hinzu: Eine Studie des norwegi-schen Zentrums für internationale Klima- und umweltforschung in oslo kam im herbst letzten jahres zum Ergebnis, dass die Arktis als Erdöl- und Erdgaslager stark überschätzt wird: Die Kosten, diese Reserven auszubeuten, seien schlicht und einfach zu hoch.

Die Ölförderung in der Arktis ist extrem teuer, weil das unberechenbare Wetter, die tiefen Temperaturen und das launische meer die Techniker vor schier unlösbare Probleme stel-len. Der norwegische Staatskonzern Statoil hat deshalb Anfang jahr angekündigt, seine boh-rungen in der Arktis vorerst für ein jahr buch-stäblich auf Eis zu legen. Auch Shell stornierte seine bohrversuche nach der Panne mit der «noble Discoverer» für ein jahr. bP gab die Suche nach Erdöl in der beaufortsee nach einer Wirtschaftlichkeitsanalyse bereits letzten Sommer auf. Ein paar monate später verschob auch der russische Staatskonzern Gazprom die Ausbeutung des riesigen Shtokman-Gasfel-des in der barentssee «auf bessere Zeiten».

Die französische Total-Gruppe hat das Projekt liberty, die Erdölsuche im arktischen meer, ebenfalls eingestellt – ihr cEo christophe de margerie liess selbstkritisch verlauten: «Eine Ölverschmutzung um Grönland wäre eine Katastrophe. Ein leck würde dem Ansehen des unternehmens zu stark schaden.» Geht diese Einsicht auf die Ölkatastrophe 2010 im Golf von mexiko durch die bP-Plattform «Deepwater horizon» zurück?

Das klingt alles nach guten nachrichten – vor allem aus der Sicht von mweltschutzorgani-sationen wie Greenpeace, die sich vehement für ein generelles Förderverbot in der Arktis einsetzen. Dazu besetzten sie unter anderem im letzten August die russische bohrinsel Priras-lomnaja oder legten im vergangenen januar in Davos eine Shell-Tankstelle lahm.

Aber in der Arktis liegt zu viel schwarzes und flüssiges Gold, als dass die Konzerne so einfach aufgeben würden: beflissen signalisier-ten sie deshalb gleichzeitig mit der Einstellung ihrer Projekte, dass sie weiterhin nach Erdöl und Erdgas in der Arktis suchen werden.

total sucht gemeinsam mit den Regulie-rungsbehörden nach einem Weg, das Projekt liberty wiederzubeleben.

Gleichzeitig verhandelt total mit dem russi-schen Staatsunternehmen Rosneft über eine gemeinsame Fördertaktik auf russischem arktischem Festland.

total, der staatliche russische Erdgaskon-zern Gazprom und die norwegische Statoil arbeiten weiterhin gemeinsam an der Ausbeu-tung des Shtokman-Gasfelds.

Rosneft verhandelt mit dem amerikani-schen Konzern ExxonMobil über ein gemeinsa-mes Vorgehen in der Karasee: 2014 wollen sie dort mit bohrungen beginnen.

ConocoPhillipps, der drittgrösste amerika-nische Ölkonzern, hat gemeinsam mit der japanischen Mitsubishi Corporation im Frühling 2012 erfolgreich Testbohrungen nach Erdgas vor Alaska durchgeführt und will nun in Kalifornien eine entsprechende infrastruktur aufbauen.

Die britisch-holländische Shell hat in der beaufortsee letzten herbst sogenannte Top holes gebohrt: bohrlöcher, die senkrecht in die Öl oder Gas führende Schicht gebort und an-schliessend wider versiegelt werden.

ExxonMobil, Statoil und der italienische Konzern Eni haben Verträge unterzeichnet, die Testbohrungen auf russischem Festland erlauben.

ConocoPhillipps hat bei den Russen eben-falls lizenzen gekauft: 2014 sollen die bohrun-gen in der Tschuktschensee beginnen.

Statoil hat lizenzen von Russland gekauft, um in der barentssee das Snohvit-Gasfeld auszubeuten.

Diese Aufzählung ist nicht vollständig, aber sie zeigt: Das grosse Spiel geht weiter. immerhin: Die intensive Zusammenarbeit unter den Kon-zernen schweisst die mitspielenden länder enger zusammen. Die hoffnung, dass die Kon-flikte um Erdöl und Erdgas in der Arktis friedlich gelöst werden, steigt. Es bleibt jedoch die akute Sorge um den lebensraum Arktis. Denn wie es aussieht, ist die erste grosse Ölkatastrophe in diesem hochsensiblen Ökosystem nur eine Fra-ge der Zeit.

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Januar 2012 Wissenschaftler

fordern Einbezug der Forschung

Rund 600 anerkannte Wissen-schaftler aus aller Welt rufen uS-Präsident obama und uS- innenminister Salazar auf, die Empfehlungen des u.S. Geologi-cal Survey Report zu erfüllen, bevor neue Öl- und Gasprojekte im Arktischen meer genehmigt werden.

februar 2012uS-bericht:

Shell beherrscht umweltrisiken nicht

Der uS-Rechnungshof erklärt, Shells Engagement reiche nicht aus, um umweltrisiken und logistische herausforderungen einer möglichen Ölkatastrophe komplett zu entschärfen.

februar/märz 2012Greenpeace-Protest gegen

Shell-PläneGreenpeace protestiert weltweit gegen Shells Ölbohrpläne im Sommer 2012 in der Arktis. mehr als 70 Stunden harren Aktivis-ten auf dem bohrturm der noble Discoverer in einem neusee -län dischen hafen aus. Eine halbe million menschen schicken Protestmails an Shell-Geschäfts-führer Peter Voser und andere Shell-manager.

märz 2012Einstweilige Verfügung wird

eingeschränktEin bundesrichter in Alaska weist einen Antrag von Shell auf eine umfassende einstweilige Verfügung gegen Greenpeace uSA als weder notwendig noch berechtigt zurück. Der Richter begrenzt die Ver-fügung auf das bohrschiff noble Discoverer und die bohrplattform Kulluk von Shell.

GreenPeace seTzT sicH seiT 1989 inTensiv für Den scHuTz Der arkTis ein.

arkTis: Die cHronik einer

kamPaGneAufgrund der rauen klimatischen bedingungen sind Ölbohrungen in der Arktis extrem riskant und gefährlich. Eine Ölkatastrophe wäre nur eine Frage der Zeit und würde das sensible Ökosystem, die heimat zahlreicher Arten wie Eisbären, narwalen und Polarfüchsen, für lange Zeit zerstören. um die Arktis dauerhaft vor der gefährlichen Ausbeutung zu schützen, fordern wir die Errichtung eines internationalen Schutzgebiets.

in seinem Weltklimabericht warnt der zwischen-staatliche Ausschuss für Klimaveränderung (iPcc) der Vereinten nationen zudem vor Konsequenzen, die in der Arktis bereits sichtbar sind. Die Analyse der Wissenschaft ist eindeutig: Die Klimaerwärmung schreitet voran. Das meereis in Arktis, Antarktis und Grönland sowie die Gletscher in der Schweiz schmelzen immer schneller und nur eine sofortige Energiewende weltweit kann die Entwicklung stoppen.

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mai 2012

Shell-Schiff nordica gestoppt

Greenpeace-Aktivisten fangen das von Shell gecharterte Spezialschiff nordica vor Rügen auf dem Weg in die Arktis ab. Die umweltschützer protestieren gegen die Weiterfahrt des Schiffes, das Shell zur unter-stützung der Ölbohrungen in die Arktis entsandt hat.

mai 2012Ölsuche verschiebt

sich Die schwierigen bedingungen vor der Küste Alaskas erfordern eine Aufschiebung der Ölsuche von Shell in der Arktis.

Juli 2012bP stoppt

liberty-ProjektDer britische Ölkonzern bP kün-digt wegen explodierender Kosten einen Stopp des Projekts liberty in Alaska an. Das Öl-reservoir (rund 100 mio. barrel) hätte mit einer künstlich vor der Küste aufgeschütteten insel durch eine 13 Kilometer lange horizontalbohrung erschlossen werden sollen.

Juli 2012Ölbohrschiff strandet bei

Dutch harbor bei Windstärken von 6 bis 7 hat sich das Shell-bohrschiff noble Discoverer vom Ankerplatz gelöst und ist in der nähe von Dutch harbor gestrandet. Shell bestrei-tet dies.

auGusT 2012

Protest auf Gazprom-Plattform

Greenpeace-Aktivisten – darunter auch Kumi naidoo, der Geschäfts-führer von Greenpeace inter-national – klettern auf die Gaz-prom-Plattform Prirazlomnaya in der russischen Petschorasee, um gegen die Ölförderung des russischen Staatskonzern zu pro-testieren. Als die Aktivisten mit Wasserkanonen und metallteilen beschossen werden, wird die Aktion abgebrochen.

sePTember 2012bohrschiff

muss Arbeit einstellenKurz nach bohrbeginn muss das bohrschiff noble Discoverer die Arbeit in der Tschuktschensee einstellen, weil sich eine 50 x 12 Kilometer grosse Eisfläche auf die bohrstelle zu bewegt.

sePTember 2012Greenpeace-Aktivisten

blockieren Shell-TanksäulenGreenpeace-Aktivisten in den niederlanden befestigen Schlös-ser an Zapfhähnen und blockieren so über 70 Shell-Tankstellen. Shell beantragt eine einstweilige Verfügung gegen Greenpeace niederlande und fordert eine hohe Geldstrafe. Das Gericht urteilt zugunsten von Greenpeace.

sePTember 2012Total warnt vor Ölbohrungen in

der ArktisDer französische Energiekonzern Total warnt vor Ölbohrungen in

der Arktis: die Risiken und der zu erwartende imageschaden seien zu gross. Das unternehmen kämpft nach einem schweren Ölunfall in der nordsee finanziell ums Überleben.

Dezember 2012bohrinsel läuft auf Grund

Zum jahreswechsel reisst die Ver-bindungsleine zwischen der bohr-insel Kulluk und einem Schlepper, der die Plattform ins Winter-quartier nach Seattle schleppen sollte. mehrere Abschleppversu-che schlagen fehl und die Platt-form strandet mit 550 000 liter Treib- und Schmierstoffen an bord. mit der Verlegung der Platt-form trotz ungünstigem Wetter wollte Shell vermutlich eine milli-onen-Steuerzahlung vermeiden.

Januar 2013Shell verletzt umweltauflagen

Die uS-bundesumweltbehörde moniert die Verletzung des luftreinhaltungsgesetzes durch das bohrschiff noble Discoverer und die bohrplattform Kulluk bei Shell.

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7. februar 2013

Gerichtsurteil gegen Greenpeace-Aktivisten

Die neuseeländische Schau spie ler-in lucy lawless wird mit sieben weiteren Greenpeace-Aktivisten zu jeweils 120 Stunden Sozialar-beit und zu einer Geldstrafe von insgesamt rund 5200 neuseeländi-schen Dollar verurteilt. Das Ge-richt lehnt die von Shell geforder-te Schadenersatzzahlung in höhe von 650 000 Dollar jedoch ab.

7. februar 2013Shell unterbricht Arktis-Projekt

2013Shell kündigt eine unterbrechung seines Arktis-Projekts an und will 2013 weder in der beaufort- noch in der Tschuktschensee nach Öl bohren. Damit zieht der Konzern die Konsequenzen aus der Pannenserie 2012.

aPril 2013 Shell dealt mit Gazprom

Shell und Gazprom unterzeichnen ein Übereinkommen, um gemeinsam in der russischen Ark-tis Ölfelder zu erschliessen.

aPril 2013

Greenpeace-Expedition zum nordpol

Greenpeace-Aktivisten versenken die namen von fast drei millionen Arktisschützern, welche die Petition zum Schutz der Arktis unterschrieben haben, in einer Glaskapsel am nordpol.

Juli 2013Kletteraktion auf höchstes

bürogebäude in londonnach 15 Stunden erreichen sechs Greenpeace-Kletterer die Spitze des «Shard» in london. Das hochhaus ist mit 310 metern das höchste Gebäude in Westeuropa und liegt in Sichtweite mehrerer Shell-büros. Auf der Spitze hissen die Aktivisten eine Flagge mit der Aufschrift «Save The Arctic».

auGusT 2013Protest beim Formel-1-Rennen

von belgienbeim Grand Prix in Spa protestie-ren Greenpeace-Aktivisten gegen das Arktis-Projekt von Shell, ei-nem der hauptsponsoren. Auf der haupttribüne wird ein 20 meter langes banner mit der Aufschrift: «Arctic oil? Shell no!» entrollt.

Am 18. September protestierten Greenpeace-Aktivisten friedlich an der Gazprom-Bohrinsel Priraz-lomnaya gegen Ölbohrungen in der Arktis. Darauf wird das Green-peace-Schiff Arctic Sunrise von den russischen Behörden in inter-nationalen Gewässern unter Waffengewalt geentert, beschlag-nahmt und mit der Crew in die nähe des hafens von Murmansk geschleppt.

Zwei Monate sassen die 28 Umweltschützerinnen und zwei Journalisten wegen Piraterie und Rowdytums in Murmanks in Untersuchungshaft. Ende novem-ber wurden sie gegen Kaution freigelassen.

Updates zur Kampagne und den «Arctic 30» finden Sie auf unserer Website www.greenpeace.ch.

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Schwerpunkt Bevölkerungswachstum

Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

«Die Bevölkerung muss schrumpfen bei

einem Fussabdruck null.»

RADiKAlE ÖKoloGiE: Was ist ihre meinung

zur radikalen Ökologie?greenpeace.ch/debatten

GEbuRTEnKonTRollE: Programme, die Fertilität zu kontrollieren,

sind meist gescheitert. S. 20

«Wir sind zu viele, wenn wir unseren Wohlstand

wahren wollen.»

POSItIOn 1

POSItIOn 2

Sind wir zu viele Menschen?

Das ist die meistumschiffte Frage der Ökologie. Und der meistgehörte Vorbehalt lautet: Jeder Umweltschutz ist sinnlos, solange die Weltbevölkerung so wächst.

Wenn 2,5 milliarden chinesen und inder an Kaufkraft zulegen, wirkt sich ihr rasant zunehmender Konsum katastrophal auf die natur aus – diese Vermutung liegt nahe. immigration und bevölkerungswachstum in der Dritten Welt führen zu Dichtestress in der Schweiz – so wird argumentiert angesichts von wachsenden Siedlungen und schwindendem Wiesenland.

All diese Behauptungen sind berechtigt – aber sind sie auch richtig?Dass die Debatte über die Zusammen-

hänge zwischen bevölkerungswachstum und umwelt nicht in Gang kommt, mag damit zusammenhängen, dass wir an ein Tabu rühren: Es gibt kein Recht, die Freiheit einzuschränken, dass die menschen sich fortpflanzen – zumindest nicht in einer Gesellschaft, in der wir noch leben möchten.

Vor allem aber scheitert die Debatte an einem grundlegenden missverständnis: Wir verlagern das Problem gerne in den globalen Süden und machen die Armen der Welt zu einer ökologischen bedrohung, die sie nicht sind. Dafür müssten sie zuerst reich werden – wie wir.

Der Magazin-Schwerpunkt gibt keine Antworten. Er will vielmehr die Problematik einordnen zwischen vier Grundpositionen im Spannungsfeld von radikaler Ökologie und blindem Wachstumsglauben.

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Page 21: Greenpeace Switzerland Magazin 4/2013 DE

Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

«Die Weltbevölkerung darf wachsen, wenn wir radikal

umdenken.»

SySTEmWAnDEl: Vor allem ökologische Städte könnten

eine lösung sein. S. 32

POSItIOn 3

POSItIOn 4

SAnD: Ein Dokumentarfilm über die schwindende

Ressource zeigt, wie Wachstums- und bauwut in den Abgrund führen.

S. 40

jAPAn: Eine schwindende bevölkerung kann den

Wohlstand bald nicht mehr tragen. Seite 25

«Unsere Wirtschaft muss wachsen und deshalb muss unsere

Bevölkerung wachsen.»

Sind wir zu viele Menschen?

ESSAy:Der hunger von zehn

milliardenS. 28

GloSSAR: Wichtige begriffe zum Thema.

S. 38

«trotz aller Bemühungen wird die Weltbevölkerung laut

der UnO wachsen — auf 10,9 Milliarden Menschen im

Jahr 2100.»

inTERESSAnTE FAKTEn:

bevölkerungswachstumS. 46

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20Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

Bildung statt Bevölkerungspolitik

Überfülltes Schulzimmer in Indien: Millionenschwere Regierungsprogrammezur Geburtenkontrolle haben nur geringen Einfluss auf die Geburtenrate.

Im namen von Fortschritt und Armuts-bekämpfung versuchen Staaten die Geburtenzahl mit Zwangssterilisationen und Verhütungsmitteln zu senken. Mit wenig Erfolg, wie die ethnologische Forschung in Asien und Afrika zeigt.

BevölkerungspolitikVon Samuel Schlaefli

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21Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

Bildung statt Bevölkerungspolitik

migration und die Angst vor umweltzer-störung. Gerade die noch junge Kopplung von Überbe völkerung und umwelt findet Randeria höchst problematisch: «niemand stellt in Frage, dass Kleinfamilien in Europa einen Zweitwagen brauchen. Dass eine Frau in Afrika ein drittes Kind gebären will, wird hingegen als belastung für unsere umwelt angesehen.» Eine Debatte zur Überbevöl-kerung, ohne gleichzeitig über Ressourcen-verbrauch und -verteilung zu diskutieren, sei nicht nur heuchlerisch, sondern auch sinnlos, ist Randeria überzeugt. Dass in den industrieländern niemand an der Ressour-cenverteilung schrauben will, ist nicht weiter erstaunlich. Fängt man jedoch damit an, eröffnen sich neue Perspektiven: «Wäre nicht auch eine andere Philosophie des Gemeinwohls denkbar? Eine, in der diejenigen mehr Ressourcen verbrauchen dürfen, die mehr Kinder haben?»

Zwangssterilisierungen und «Cafeteria Approach»Randerias Vorschlag scheint illusorisch,

denn das Gedankengut von malthus ist bis heute in entwicklungspolitischen Debatten zur Überbevölkerung zu finden. Die Tatsache, dass verarmte menschen in Asien und Afrika verhungern oder nach Europa fliehen, wird darauf zurückgeführt, dass sie zu viele sind. logische Folgerung: Die Geburtenzahl pro Frau (Fertilität) muss sinken. Entwicklungsprogramme, die genau dies erreichen wollen, haben eine lange Geschichte: indien war 1951 der erste Staat, der sich die Geburtenreduzierung explizit auf die Fahne schrieb. Die Theorie der «Überbevölkerung» war zu dieser Zeit in der indischen mittelschicht bereits Allge meinwissen. Schliesslich hatte malthus den ersten lehrstuhl für Politische Ökonomie am East india college in haileybury inne, wo britische Kolonialbeamte ausgebil-det wurden. Abgesehen von drastischen und gewaltsamen interventionen mitte der siebziger jahre, darunter der Zwangsste-rilisierung von über fünf millionen männern, setzte die indische Regierung auf «Freiwilligkeit» – dies im Gegensatz zu chinas mit Zwang verordneter Ein-Kind-Politik ab 1979. Frauen in indien wurden mit kleinen Geschenken zu Sterilisierungen

Shalini Randeria fühlt sich manchmal wie im falschen Film: in den siebziger jahren, als sie in neu Delhi zur Schule ging, propagierten grosse Regierungsplakate: «Eine kleine Familie ist eine glückliche Familie.» Zehn jahre später, während ihres Doktorats in heidelberg, stand auf ebenso grossen Plakaten: «Kinder bringen mehr Freude ins leben.» notabene waren alle Plakate von einer Regierung aufge-hängt worden, die sich in Entwicklungslän-dern gleichzeitig für die Reduzierung der Geburtenrate bei Frauen starkmachte. «Wenn die Welt sowohl als überbevölkert wie auch als unterbevölkert wahrgenommen wird, sind es – je nachdem, welches land und welche ethnische Gruppe oder Klasse im mittelpunkt der betrachtung steht – immer ‹die anderen›, die zu viel sind», schrieb Randeria später in einem Artikel über bevölkerungspolitik.

heute ist Shalini Randeria Professorin für Sozialanthropologie und Soziologie am «institut de hautes études internationales et du développement» in Genf. Seit über zwanzig jahren kritisiert sie polemische Überbevölkerungsdebatten, die in regelmäs-sigen Abständen sowohl von links wie von rechts lanciert werden. «Überbevölke-rung ist zum common Sense geworden. Sie hat eine Faktizität erhalten, welche die ursprüngliche politische natur hinter dieser Art des Denkens verschleiert», reklamiert sie. Die politische natur ist bei Thomas malthus und seinem «Essay on the Principle of Population» von 1798 zu suchen. Die ursachen der hungersnöte im 18. jahrhundert fand malthus bei den überzähligen Armen und nicht in einer ungleichen Verteilung oder einer fehlenden Solidarität. Seine Ablehnung gegenüber staatlicher Armenfürsorge bedeutete in letzter Konsequenz: lasst die Armen verhungern, damit die Privilegierten ihren Status quo halten können. heute befür-worten zwar die meisten vor der Überbevöl-kerung warnenden Stimmen eine staatliche intervention. Der Diskurs umfasst aber nach wie vor zwei zentrale Aspekte von malthus’ Denken: die Angst vor zu wenig Ressourcen und die Angst vor den Armen, die dafür verantwortlich seien. neu hinzugekommen sind die Angst vor

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motiviert, zugleich setzte man mit unterstützung der uSA auf den «cafeteria Approach». Dabei machten Staatsbeamte indischen Paaren bei hausbesuchen Pillen, Kondome und Spiralen schmackhaft. All dies mit dem einzigen Ziel, die Geburten-zahlen auf ein von der Zentralregierung vorgegebenes Soll zu reduzieren.

Randeria betrieb 1999 und 2001 selber Feldforschung in Gujarat (Westindien) und uttar Pradesh (nordindien). Sie wollte verstehen, wie Soll-Geburtszahlen zwischen den Frauen auf dem land, beamten in den Dörfern, dem ministerium in neu Delhi, der amerikanischen Entwicklungsbehörde uSAiD und der Weltbank zustande kamen. «Dabei wurde mir klar, dass Familienpla-nung in indien (wie auch in china) nicht die Planung der gewünschten Kinderzahl durch die Ehepaare, sondern die Planung der Geburten durch bürokratische massnahmen bedeutet», schrieb sie später in einem Artikel. Randeria erkannte auch, dass die millionenschweren Program-me sowie der insbesondere auf die verarmte ländliche bevölkerung ausgeübte Zwang mit Soll-Kontingenten bis hin zu menschenrechtsverletzungen am Ende nur einen geringen Einfluss auf die tatsächli-chen Geburtenraten hatten. Sie verglich die offiziellen Zahlen der verbrauchten Verhütungsmittel in einzelnen indischen bundesstaaten mit denjenigen der entsprechenden Gesamtfertilitäts-Raten, aber sie konnte keinen direkten Zusammen-hang feststellen. Der bundesstaat Kerala zum beispiel hatte die geringste Fruchtbar-keitsrate indiens (1,8 Kinder pro Frau), obwohl lediglich 40,5 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter (15 bis 45) moderne Verhütungsmittel benutzten. Der Punjab

hingegen zeigte mit 2,7 Kindern pro Frau eine wesentlich höhere Fertilität, obschon laut Statistik über 66 Prozent der Paare Familienplanung betrieben. Randeria erklärt diese Diskrepanz unter anderem damit, dass sich die meisten Frauen in indien im Alter zwischen 30 und 35 jahren sterilisieren lassen, also nachdem sie bereits die gewünschte Anzahl Kinder geboren haben. Ähnliches haben Ethnolo-gen auch in Afrika beobachtet: Die amerika-nische Anthropologin caroline bledsoe hat gezeigt, dass moderne Verhütungsmittel in vielen ländern Afrikas nicht primär zur Verringerung der Anzahl Kinder dienen, sondern vielmehr zur strategischen Planung des Zeitpunkts und der Geburts-umstände. Kinder gelten oft als chance zur Verbesserung der ökonomischen Situation und des Status der Familie. Kleinfamilien nach europäischem Zuschnitt erscheinen deshalb wenig attraktiv. Den in Kenia, Simbabwe und botswana beobachteten Geburtenrückgang führte die Anthropologin in erster linie auf den wirtschaftlichen Aufschwung und die politische Stabilität zurück und nicht auf die Verbreitung von Verhütungsmitteln. Aus Feldforschungen im ländlichen Asien weiss man zudem, dass Pillen und Kondome zwar oft dankbar angenommen werden, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie auch zweckgemäss eingesetzt werden. Kondome können auch als Dekoration für Kindergeburtstage dienen oder wegen der hohen Qualität des Kautschuks zum Reparieren von Veloreifen genutzt werden, wie in bangladesh beobachtet.

Der Wunsch nach einer GrossfamilieZwar gibt es Studien, die die Variation der

Fertilitätsrate zwischen unterschiedlichen ländern zu 90 Prozent auf unterschiede in der nutzung von Verhütungsmitteln zurückführen. Steige deren Verwendung um 15 Prozent, so verhindere dies durchschnitt-lich ein Kind pro Frau, heisst es in einem Artikel des «Scientific American» von 1993. Als beweis dafür wird bangladesch angeführt, wo der massive Anstieg von Verhütungsmitteln zwischen 1970 und 1990 die Geburtenrate von 7 Kindern auf 5,5 gedrückt haben soll. mit der investition von

Kinder gelten oft als chance zur

Statusverbesserung der Familie.

Bevölkerungspolitik

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Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

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ist laut Randeria das Resultat der positiven Wechselwirkung mehrerer Faktoren, darunter eines traditionell hohen gesell-schaftlichen Status der Frauen, eines matrilinearen Erbrechts, einer hohen Alpha- betisierungs rate, längerer Ausbildungs-zeiten, eines späten heiratsalters und einer niedrigen mutter- und Kindersterblichkeit dank guter staatlicher Gesundheitsver-sorgung. hinzu kamen die Einführung von konsequenten Agrarreformen und Pensio-nen. Am Ende war die geringe Fertilitätsrate Keralas eine ungeplante Folge von fortschrittlicher staatlicher Sozialpolitik, die in erster linie das Wohl der bevölke-rung anvisierte und weniger die demografi-sche Entwicklung.

Frauenbildung als Schlüssel Ethnologen und historiker haben

gezeigt: Es gibt bis heute gibt kontextunab-hängigen Allerweltslösungen, um einen Geburtenrückgang zu initiieren. Ein Faktor existiert jedoch, der seine globale Gültigkeit bewiesen hat: «Alle verfügbaren Studien zeigen, dass eine höhere Frauen bildung die Geburtenraten senkt.» So evident die Korrelation auch ist, Randeria findet sie problematisch: «Selbst wenn die Forschung zeigen würde, dass Frauen mit höherer bildung mehr Kinder kriegen, müsste man trotzdem darin investieren. bildung ist ein Wert für sich. Sie ist ein Recht und eine staatliche Pflicht, kein Verhütungs mittel.»

Dem hätte sicherlich auch der französi-sche Philosoph marquis de condorcet zugestimmt. Seine aufklärerische Sicht auf das zunehmende ungleichgewicht zwischen nahrungsmitteln und bevölkerung stand Ende 18. jahrhundert in krassem Kontrast zu malthus’ Sozialdarwinismus. condorcet setzte auf die menschliche Vernunft und eine bewusste, freiwillige Änderung des reproduktiven Verhaltens. Der Frauenbildung kam für ihn eine Schlüssel-rolle zu. hätte sich damals nicht malthus’, sondern condorcets Gedankengut durchgesetzt, und wäre seine aufklärerische losung von «Freiheit, Gleichheit und brüderlichkeit» in den demografischen Dis - kurs eingegangen – die aktuellen De batten zur «Überbevölkerung» würden uns heute wohl als mittelalterlich erscheinen.

einigen milliarden Dollar in Kontra zeptiva wäre somit das bevölkerungsproblem zu lösen, folgerten die Autoren. Diese nachricht fand bei vielen Planern von Antinatalitäts- und Entwicklungshilfeprogrammen Gehör. Kurz darauf kam eine Studie des Welt bank-Ökonomen lant Pritchett jedoch zu genau gegenteiligen befunden. Er verglich Daten des «World Fertility Survey» zur durchschnittlich erwünschten Kinder-zahl in unterschiedlichen ländern mit den tatsächlichen Fruchtbarkeitsrate und kam zum Schluss, dass 90 Prozent der hohen Fruchtbarkeitsraten in Entwicklungsländern in erster linie auf den Wunsch nach Kinderreichtum und nicht auf das Fehlen von Kontrazeptiva oder mangelndes Wissen über Verhütung zurückzuführen seien. Das heisst: Will man das bevölkerung swachstum tatsächlich bremsen, muss man – ganz im ökonomischem jargon – die hohe nachfrage nach Kindern reduzieren und nicht das Angebot an Verhütungs mitteln vergrössern.

Randeria hält auch nichts von einfachen Kausalitäten zwischen Verhütungsmitteln und Geburtenraten: das sei «zu reduk-tionistisch und nicht generalisierbar». im südindischen bundesstaat Kerala mit über 30 millionen bewohnern sank die Fertilitätsrate zwischen 1979 und 1991 von durchschnittlich 3 Kindern pro Frau auf 1,8. heute liegt sie noch etwas tiefer und damit etwa auf mitteleuropäischem niveau. Die Erfolgsgeschichte Keralas

Shalini Randeria, Professorin für Sozialanthro-pologie und Soziologie, hält nichts von einfachen Kausalitäten zwischen Verhütungsmitteln und Geburtenraten.

Bevölkerungspolitik

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Japan wird altmassives Gegensteuern wird die japanische bevölkerung von heute 127 millionen in den kommenden jahrzehnten jährlich um eine million zurückgehen, so die Prognosen. 2060 wird japan nach Schätzungen des Gesundheits- und Wohlfahrtsministeriums nur mehr 87 millionen Einwohnerinnen haben. bis dahin werden 40 Prozent der bevölkerung über 65 jahre alt sein. Die herausforderung für die Gesellschaft ist die grosse Zahl pflegebedürftiger menschen (derzeit rund sechs millionen) und der mangel an Pflegepersonal. Pflege wurde in japan traditionell als Aufgabe der Frauen betrachtet, vor allem als Pflicht der Ehefrau des ältesten Sohnes, der im Elternhaus lebt. und auch wenn die Traditionen aufbrechen, liegt der Prozentsatz alter menschen, die von ihren Kindern gepflegt werden, immer noch um ein Vielfaches höher als im Westen.

in der japanischen Präfektur nagano gibt es einen berg namens obasuteyama – der berg, auf dem die Alten ausgesetzt werden. Dazu gibt es eine legende. Eine Version besagt, dass die über 60-jähri-gen in früheren Zeiten freiwillig auf den berg gingen, um den nachkommen nicht zur last zur fallen. Eine andere Variante geht so, dass der Sohn die alte mutter zum Sterben hinaufbringt. Als er bemerkt, dass sie unterwegs die Äste von den bäumen knickt, damit er den Rückweg wieder findet, ist er von ihrer liebe zu Tränen gerührt und nimmt sie wieder mit hinunter.

Der japanischen Realität entspricht diese legende natürlich nicht. Wahr ist, dass japan vor einigen jahren ins Zeitalter der Entvölkerung eingetreten ist. Dieser befund mag angesichts der massen in den ballungszentren verwundern, aber ohne

Die Bevölkerung in Japan nimmt seit Jahren ab. Die zunehmend hohe lebenserwartung der Senioren fordert der jungen Generation viel unbezahlte leistung ab.

BevölkerungsrückgangVon Judith Brandner

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26Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2013

Die Politik reagiert hilflosEin besuch bei junko yoshida in Kioto

beleuchtet die Problematik. Die ehemalige lehrerin an einer Kunstschule ist 70 jahre alt, ihr Ehemann ist 74. Seit mehr als zwei jahren pflegt sie ihre 94-jährige mutter, die im gemeinsamen haushalt lebt. nach einem hitzschlag hatte sich der Zustand der alten Dame verschlechtert und sie musste mehrmals ins Spital. mit 84 brach sie sich den Fuss, seither kann sie nur noch schlecht gehen. Schliesslich bat die mutter die Tochter, sie bei sich aufzuneh-men. in ein Altersheim habe sie nie gehen wollen, denn für ihre Generation sei es selbstverständlich, dass sich die Kinder um sie kümmerten, sagt junko yoshida. heimplätze sind zudem rar. Einen bis zwei Tage die Woche verbringt die mutter in einem Tagespflegeheim, das entlastet die yoshidas ein wenig. Einmal pro monat kommt eine Angestellte der Stadt Kioto auf besuch, die den Pflegenden zur Seite steht. Trotz dieser hilfe fühlen sich die yoshidas oft erschöpft und überfordert.

Die demografische Entwicklung verläuft so rasant, dass die staatlichen institutionen mit ihren massnahmen hinter ihr her hinken. und die Frauen von japan, das längst ein globalisiertes industrieland ist wie etwa Österreich oder die Schweiz, zeigen immer weniger lust, den Weg ihrer mütter und Grossmütter zu gehen. Das hat Auswirkungen in der Gesellschaft: Wie können die Pensionen gesichert und wie kann für ausreichend Pflegepersonal gesorgt, wie der Überalterung auf dem Arbeitsmarkt und dem drohende Arbeits-kräftemangel gegengesteuert werden? Auf diese Fragen reagiert die Politik hilflos. 2007 erreichte die erste Generation der babyboomer das Pensionsalter – um die lücke zu schliessen, wurde das Pensions-alter auf 65 jahre angehoben. Weitere Erhö hungen sind angekündigt.

Die Lage ist dramatischDas Fehlen von Zuwanderung ist einer

der Gründe, weshalb die bevölkerung in japan zurückgeht, die niedrige Fruchtbar-keitsrate , die mit 1,3 Kindern pro Frau unter dem bestandserhalt liegt, sowie die welt - weit höchste lebenserwartung sind weitere.

Das Zusammentreffen dieser Phänomene ist ein Zufall, macht aber die lage enorm dramatisch. Ein Grund für die Entwicklung liegt in der rapiden Veränderung der Gesellschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. japans junge Frauen sind heute sehr gut ausgebildet, emanzipiert und berufstätig. in dem mass, wie der Anteil der erwerbstätigen Frauen steigt, geht die Geburtenrate zurück, konstatiert Florian coulmas, Direktor des Deutschen instituts für japanstudien in Tokio und leiter eines grossen Forschungsprojekts zum be völ-kerungswandel. Viele Frauen arbeiteten aus ökonomischen Gründen, unter anderem um die hohen materiellen Ansprüche in der kapitalistischen Gesellschaft befriedigen zu können, sagt coulmas.

Die meisten Jungen leben bei den Elternimmer weniger junge Frauen ent-

scheiden sich für eine Ehe. Das wirkt sich massiv auf die Fruchtbarkeitsrate aus, denn traditionellerweise bekommen nur verheiratete Frauen Kinder. Rund ein Drittel der jungen Frauen zwischen mitte zwanzig und dreissig gibt in umfragen an, nicht die Absicht zu haben, je zu heiraten. Die Soziologin Sawako Shirahase von der universität Tokio erklärt: «Sobald sie heiraten, müssen sie sich um die Kinder kümmern, den Arbeitsmarkt verlassen und können ihre Karriere nicht mehr weiter - verfolgen.» Work-life-balance ist zwar ein Schlagwort, das Regierung und unter-nehmen gleichermassen propagieren, doch in der Praxis ist die Vereinbarkeit von beruf, Familie und Kindern überaus schwierig. 80 Prozent aller unverheirateten jungen leute in ihren Zwanzigern und Dreissigern leben noch bei ihren Eltern, auch dies oft aus ökonomischen Gründen. Aus der eher düsteren Situation entstehen aber auch neue ideen. Der sogenannte «Silver market» etwa ist ein wichtiger Geschäfts-zweig geworden – vom mobiltelefon-hersteller bis zur Sport- und Reisebranche hat die Wirtschaft die kaufkräftige und rüstige Zielgruppe der 60- bis 70-jährigen entdeckt und bietet massgeschneiderte Produkte an. Die Entwicklung von Robotern für Pflege und Rehabilitation ist

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27Magazin GreenpeaceNr. 4 — 2013

ein zukunftsträchtiges Forschungsgebiet. Es gibt etwa die Kuschelrobbe Paro, die zu streicheln sich auf das Verhalten Demenz-kranker positiv auswirkt. Geforscht wird zudem am Ri-man, einem Roboter, der nach einem befehl an taktile Sensoren einen Patienten hochheben, halten und tragen kann. Für die Entwicklung künftiger Robotergenerationen werden die neuroin-formationstechnologien eine grosse Rolle spielen. Dabei geht es unter anderem um das sogenannte brain Robot interface bRi, eine Schnitt stelle zwischen Gehirn und Roboter, die es ermöglicht, bewegungen des Roboters mit Gedanken zu steuern. Das spezifische Gehirnmuster des Gedankens «Geh vorwärts» oder «Geh zurück» wird an das interface gesendet und von dort weiter zum Roboter, der das muster in die Tat umsetzt. Diese Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und Roboter ist für menschen gedacht, die Schwierigkeiten mit dem Sprechen haben.

Geforscht wird auch am Design von Pflegerobotern: Sie müssen sicher und einfach zu bedienen sein. Dieses Ziel ist wohl realistischer als eine Zuwanderung aus dem Ausland, welche die demografische

Fehlentwicklung korrigieren könnte: japan war nie ein Einwanderungsland und wird bei der heutigen Politik auch nicht dazu werden. Ausnahmen sind Frauen aus asiatischen nachbarländern, die als Ehefrauen für bauern in ländlichen Gebieten angeworben werben. in den vergangenen jahren wurden auch einige tausend asiatische Pflegerinnen aufgenommen, die allerdings schwierige Sprachprüfungen und Ausbildungen absolvieren mussten, was nur wenige schafften. langfristig wird wohl ein kleineres japan übrigbleiben. Die demografische Entwicklung scheint derzeit in den hintergrund zu treten, weil die Anstrengungen, die lage um das havarierte AKW Fukushima in den Griff zu be-kommen, sämtliche Kräfte beanspruchen.

Bevölkerungsrückgang

Der Nachwuchs in Japan ist mit einer immer älter werdenden und vor allem rüstigen Bevölkerung konfrontiert.

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Wer im Silicon Valley Rang und namen hat, beteiligt sich an einem Raumschiff. Elon musk feiert nicht nur mit dem Elektroauto Tesla Erfolge, er ist auch die treibende Kraft hinter Space X, einem privaten Raumschiffunternehmen. Zusammen mit der nasa hat es im mai 2012 seine erste Rakete ins All geschossen. Ebenfalls ins Raketengeschäft eingestiegen sind Paul Allen, mitbegründer von microsoft, Amazon-Gründer jeff bezos, larry Page von Google und hollywood-Regisseur james cameron. Weder kommerzielle interessen noch der Wunsch nach Glamour stehen hinter dem Raketenspleen. Die iT-milliardäre verhalten sich wie die Gentleman-Wissenschaftler der Aufklärung, die dank ihrer privaten Forschertätigkeit im 18. und 19. jahrhundert die Grundlagen der modernen naturwis-senschaften gelegt haben. Elon musk & co. werden aber noch von einem zweiten motiv getrieben – der Angst, dass der Planet Erde bald zu klein wird für die menschheit. Schon heute leben wir über unsere Verhältnisse – und die Zukunft sieht düster aus. Gegen zehn milliarden menschen werden bis mitte dieses jahrhunderts die Erde bevölkern. Sie werden mehr nahrungsmit-tel brauchen, viel mehr sogar. Der deutsche Agroökonom joachim von braun schätzt, dass sich unser bedarf an lebens-mitteln in den kommenden 40 jahren nochmals verdoppeln wird. ist das ohne Gentech und industrielle landwirtschaft überhaupt machbar?

Um eine nahrungs katastrophe zu vermeiden, braucht die Welt bald doppelt so viele lebens-mittel wie heute. Fünf Visionen könnten zu einer lösung dieses Problems beitragen.

EssayVon Philipp löpfe

Der Hunger von zehn Milliarden

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29Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

70 Prozent des Getreides ist heute Tierfutter1971 veröffentlichte eine junge hippiefrau namens

Frances moore lappé ein Kochbuch mit dem Titel «Diet for a Small Planet». Es fusste auf einer einfachen Überlegung: «Was wir essen, können wir kontrollieren. Aber dieser Akt verbindet uns mit der wirtschaftlichen, politischen und ökologischen ordnung des ganzen Planeten.» lappés Kochbuch wurde ein bestseller, genauso wie «Diet for a new America», ein buch von john Robbins aus dem jahr 1987. lappé und Robbins sind typische Vertreter einer bewegung, die Essen, Gesundheit und Politik als Gesamtpaket betrachten. Als Amerikaner haben sie früh erlebt, welch verheerende Folgen die Steak- und hamburger-Esskultur hat, und räumen gründlich auf mit dem mythos, hunger sei eine Folge von Überbevölkerung oder mangel. hunger ist vielmehr die Folge einer einseitigen Ernährung und einer falschen Verteilung der lebensmittel. hauptschuld am hunger trägt ein übermässiger Fleischkonsum der menschen im Westen. Rund 70 Prozent des Getreides werden heute nicht für die Produktion von brot oder Teigwaren verwendet, sondern als Tierfutter. noch krasser sieht es beim Wasser aus. Wer ein Pfund Rindfleisch verzehrt, verbraucht dabei etwa gleich viel Wasser wie wenn er ein halbes jahr lang duscht. oder um es in einem anderen, überraschenden Vergleich auszudrücken: Wer sich vorwiegend von Fleisch ernährt und einen umweltfreundlichen Toyota Prius fährt, hinterlässt einen grösseren ökologischen Fussabdruck als ein Vegetarier in einem hummer.

Das Potenzial der KleinbauernRoger Thurow war 30 jahre lang Reporter beim «Wall

Street journal». Dann hatte er genug von der Finanzwelt und wandte sich etwas ganz anderem zu. Anstatt zu analysieren, wie banker und hedgefonds-manager ihr Geld an computer-terminals verdienen, beobachtete er ein jahr lang, wie Kleinbau-ernfamilien in einem Weiler in Westkenia ihren kargen lebensunterhalt erwirtschaften. Seine Erfahrungen schildert er im buch «The last hunger Season». Die landschaft, in der die kenianischen Kleinbauern leben, ist so, wie wir sie aus Filmen wie «out of Africa» kennen. Das leben der menschen ist jedoch beinhart: «Das romantische ideal von afrikanischen Kleinbauern – einer landbevölkerung, die in Einklang mit der natur lebt und blühende Felder pflegt – hat sich verwandelt in eine horrorszene mit unterernährten Kindern, Knochen brechender Arbeit und tiefster hoffnungslosigkeit», stellt Thurow fest. «niemand sollte es wagen, die Romantik mit der Realität zu verwechseln. Afrika ist eine Albtraumlandschaft der Vernachlässigung.»

Diese Albtraumlandschaft ist nicht gottgewollt. in Kenia beispielsweise gibt es genügend fruchtbares land und mehr als genügend Personal, um es zu bewirtschaften – vier von fünf Kenianern sind heute noch Kleinbauern. Trotzdem ist der hunger allgegenwärtig, vor allem in den monaten vor der mais- ernte im juni. in diesen langen Wochen des «Wanjala» ist es

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nach wie vor üblich, dass eine Tasse Tee, ein bisschen mais oder gar nichts auf den Tisch kommt, dass unterernährte Schüler in den Schulen dem unterricht nicht folgen können, weil sie zu schwach sind oder heimgeschickt werden, weil ihre Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können.

Die Kleinbauern arbeiten hart, aber dennoch können sie nicht einmal genügend nahrung für sich selbst produzieren. Die Rettung liegt nicht bei grösseren Traktoren und Gentech. Das hauptübel ist die Wirtschaftsordnung: Alles hat sich gegen die Kleinbauern verschworen. Sie verfügen über keinerlei Reserven, müssen ihren mais verkaufen, wenn die Preise am boden sind, und zukaufen, wenn sie am höchstpunkt sind. Wird ein Kind krank oder bricht sich jemand ein bein, muss die einzige Kuh verkauft werden, um den Arzt zu bezahlen. Ein Sack mais mehr kann darüber entscheiden, ob eine Familie hungert oder nicht. «Es ist eine perverse Wirtschaftsordnung und eine, die Kleinbauern in ihrer Armut gefangen hält», stellt Thurow fest. Schon kleinste Änderungen dieser Wirtschafts-ordnung zeigen deshalb spektakuläre Erfolge. unter der leitung des nGo one Acre schliessen sich Kleinbauern – genauer Kleinbäuerinnen, denn es sind meist Frauen – zu Genossenschaf-ten zusammen. Sie erhalten besseres Saatgut zu vernünftigen Preisen, Dünger und unterricht in der Anbaumethode. Auf dem gleichen boden kann nun bis zu zehn mal mehr geerntet werden.

Die modernste Landwirtschaft ist ökologisch — und autarkKuba hat heute die vielleicht modernste landwirtschaft

der Welt. Die bauern haben gelernt, die natürlichen Ressourcen optimal zu nutzen und weitgehend auf Kunstdünger und die chemiekeule zu verzichten. Auch urban Farming, in westlichen Städten bisher ein belächelter Trend der Alternativ-szene, ist in Kuba selbstverständlich geworden. Was lebensmittel betrifft, ist havanna eine beinahe selbstversorgende Stadt geworden. «Seit 1989 setzt die kubanische Regierung auf eine Politik, die auf einer neuen wissenschaftlichen basis beruht, die besser auf knappe Ressourcen und auf die notwendigkeit der Selbstversorgung abgestimmt ist», schreibt miguel Altieri in seinem buch «Agroecology». «Kubas neue Forschung betont stark das Verständnis und das Ausnützen der subtilen, jedoch mächtigen möglichkeiten der biologischen organismen. biologisch bestimmte Dünge- und unkrautvertilgungsmittel bilden deshalb das herzstück eines nach biologischen Grundsätzen gemanagten Agroökosystems.» Altieri ist Agronomieprofessor an der berkeley university in Kalifornien und gilt als einer der führenden Agroexperten der Welt.

Kuba hat diesen Wandel nicht aus freien Stücken voll zogen. nach dem Fall der berliner mauer wurde die Karibik-insel schlagartig vom nachschub aus der Sowjetunion abge-schnitten. im jahr 1990 ging deshalb der import der unkrautver-tilgungsmittel um 60 Prozent zurück, der import von Dünger um 77 Prozent und derjenige von Öl für die landwirtschaft um

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50 Prozent. bis dahin waren Fidel castros bauern alles andere als ökologische musterknaben gewesen. Der Grad der industrialisierung der kubanischen landwirtschaft war fast so hoch wie derjenige in Kalifornien. ohne hilfe aus moskau konnte dieses System jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden. Schlimmer noch: Weil die Kubaner auch keine lebensmittel mehr erhielten, musste ihre bisher auf Kunstdünger und Erdöl basierende landwirtschaft nicht nur vollkommen auf den Kopf gestellt werden – um eine hungerkatastrophe zu vermei-den, musste sie auch ihren output verdoppeln.

Vernünftige politische Unterstützung könnte die Profite der Kleinbauern steigernDie kenianischen Kleinbauern und das beispiel Kuba

zeigen, dass industrielle landwirtschaft das lebensmittel-problem der menschheit nicht lösen wird. im Verbund mit der nahrungsmittelindustrie führt dies im Gegenteil dazu, dass die viel zu billigen Kalorien verschwendet werden. Damit wird eine exzessive Fleischproduktion gefördert, die ethisch fragwürdig und ökologisch unsinnig ist. Der mit Salz, Zucker und Fett aufgemotzte convenience Food macht die menschen krank und dick. Die industrielle landwirtschaft ist zudem keines - wegs so dominierend, wie oft vermutet wird. nach wie vor produzieren Kleinbauern rund die hälfte aller lebensmittel und biobauern erwirtschaften Erträge, die nur leicht unter denjeni-gen der Grossbetriebe liegen. Sie schonen dabei nicht nur die umwelt, sie sind auch profitabler. «neue ökonomische bewertun-gen legen den Schluss nahe, dass die Profite der organischen Farmen diejenigen der konventionellen betriebe übersteigen», stellt Altieri fest.

mit einer vernünftigeren politischen unterstüt-zung könnten es aber deutlich mehr sein. Anstatt die industrielle landschaft mit unsinnigen Anreizen zu fördern, noch mehr billige Kalorien zu produzieren, die fast zur hälfte weggeworfen werden, sollte eine biologische Kleinbauernlandwirtschaft genügend unterstützung erhalten, um eine nachhaltige lebens - mittelproduktion zu sichern. Es ist auch legitim, Zölle zum Schutz einer solchen landwirtschaft einzusetzen. Es gibt weder ein ökonomisches noch sonst ein Gesetz, das den import von unter fragwürdigen umständen hergestellten lebensmitteln (vor allem von Fleisch) rechtfertigen würde.

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Können immer mehr Menschen nachhaltiger leben? nicht, wenn jeder vom Einfamilienhaus im Grünen träumt. Die ökologische Zukunft sind neue Städte.

geschickt werden dürfen, den die industrie-nationen gegangen sind», heisst es in einem Diskussionspapier des berlin-instituts für bevölkerung und Entwicklung. in den ländern des Südens brauche es darum vor allem bildung, Armutsbekämpfung und Rechte für die Frauen, um das bevölke-rungswachstum zu bremsen. Die länder des nordens hingegen seien gefordert, ihren Verbrauch zu reduzieren. mit anderen Worten: Es braucht globale Gerechtigkeit. So weit die Ausgangslage. Fragt sich nur, wo anfangen?

Zum beispiel in masdar city, einer Stadt in Abu Dhabi, die frisch aus der Wüste gestampft wird. Das Geld dafür riecht stark nach Erdöl. Es gehört einer Fürstenfamilie, die weiss, dass es nicht ewig sprudelt. masdar ist ihr Versuch, sich für die post-fossile Gesellschaft zu positionieren, «geplant, um die höchste lebensqualität mit dem tiefsten ökologischen Fussabdruck zu ermöglichen – auf eine kommerziell machbare Weise», verspricht die Website. mit dabei sind weltweit führende Konzerne in den bereichen bautechnologie,

Wenn alle sieben milliarden menschen dieser Erde eines schönen Tages beschliessen würden, sich zu versammeln, könnten sie das zum beispiel in den Kantonen bern und Aargau tun. Dann hätten immer noch alle einen Quadratmeter Standfläche. Wenn alle so viel konsumieren, wie sie es heute tun, brauchen sie anderthalb Planeten. Würden sie sich dem Konsum-niveau des Durch-schnittsschweizers anpassen, sogar knapp drei Planeten.

Gemäss aktuellen Studien soll die Weltbevölkerung bis 2050 auf gegen 10 milliarden wachsen. Gleichzeitig wächst die Wirtschaft – und damit Konsum und Energieverbrauch vor allem in aufstreben-den ländern wie china, brasilien und indien. Damit steigen die Treibhausgas-emissionen und die Klimaveränderung bedroht Siedlungsräume und landwirt-schaft. «Es ist offensichtlich, dass die armen länder eine Entwicklungschance brauchen, unter anderem um ihr bevölkerungs-wachstum zu bremsen. Aber es ist ebenso klar, dass sie dafür nicht auf den gleichen klimaschädlichen Entwicklungsweg

BevölkerungswachstumVon thomas niederberger

Strategien für eine dichtere Welt

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Transport- und Energiesysteme. hier betreiben sie Forschung und erproben neue Technologien im 1:1-massstab. Es geht um den vielleicht wichtigsten markt der Zukunft: bereits jetzt leben mehr menschen in Städten als auf dem land, bis 2050 soll ihr Anteil auf zwei Drittel wachsen. Die Konkurrenz ist hart. Auch china setzt auf «grüne» Technologien. Seit 2007 wurde die Produktion von Solarzellen dank strategischer Förderung jährlich verdoppelt und mit yixing ist ebenfalls eine Ökostadt am Enstehen, in Kooperation mit dem World business council for Sustainable Development.

Es braucht die Einsicht und die Beteiligung aller BetroffenenSo wertvoll solche initiativen für den

technologischen Fortschritt sein mögen, sie haben ein Problem: Von autoritären Regierungen angestossen, riskieren sie, an einer bevölkerung vorbei geplant zu werden, die nichts zu sagen hat. und mit vereinzelten leuchtturmprojekten allein lässt sich die grösste herausforderung – der ökologische umbau bestehender Städte und infrastrukturen – nicht bewerk-stelligen. Dafür braucht es die Einsicht und die beteiligung aller betroffenen.

ortstermin in Dübendorf. Genauer gesagt, irgendwo im Wachstumsgebiet der «Glatttalstadt» zwischen Überlandstrasse, S-bahn, Autobahn, einer Tankstelle und einem Autohändler neben Resten von Kuhweiden. Dazwischen steht das null- Energie-bürogebäude der Eawag wie ein

bläulich schimmernder Kristall. Der direkte Weg von der neuen haltestelle der Glattalbahn zur caféteria der Eawag geht über einen Trampelpfad und durch ein Gebüsch. Einige nutzen ihn also schon.

Dr. Dominic notter ist Forscher an der Empa, die ihre büros gleich nebenan hat, und mitautor einer Studie mit dem Titel «Der westliche lebensstil – ein weiter Weg zur nachhaltigkeit». Die Empa erforscht neue Technologien und ihre umweltver-träglichkeit, die Studie sei eine Art nebenpro-dukt davon, erklärt notter. «Speziell daran ist, dass wir mit Daten aus einer repräsentativen umfrage zum lebensstil der Schweizerinnen arbeiten – und dieser Querschnitt, gemessen am co2- Ausstoss, entspricht ziemlich genau dem westlichen lebensstil.» Erfasst wurde das private Konsumverhalten, Wohnen, mobilität, Ernährung und Recycling. Dabei haben notter und seine Kollegen eine Entdeckung gemacht: die «Sub-Population n». Das sind 107 individuen von 3369 befragten, die mit einem global nachhalti-gen Energieverbrauch von rund 2000 Watt auskommen (siehe Kasten «2000-Watt-Gesellschaft» S. 37). Die Sub-Population n ist zu zwei Dritteln weiblich, im Durchschnitt 50 jahre alt und verdient 34 600 Franken pro jahr. Sie isst dreimal wöchentlich Fleisch, fährt drei Stunden Zug und verbraucht im haushalt jährlich 6000 kWh Strom – kaum weniger als der allgemeine Durchschnitt. hingegen besteigt sie nur alle sechs jahre ein Flugzeug statt jährlich. Angenommen, die menschen hinter der Statistik würden

Ein Wertewandel ist feststellbar, aber er verläuft noch viel zu träge. und über allem hängt die Frage, wer über die Verwendung knapper Ressourcen entscheiden kann.

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Arbeit pendelt (Rebound-Effekt). Von den 216 eher gut verdienenden individuen, die in einem minergiehaus leben, schaffen es gerade einmal 16, mit 2000 Watt auszukommen. Anderseits verdienen die Sparsamen im Durchschnitt zwar 10 000 Franken weniger als der Schnitt, aber es gibt darunter auch einzelne mit 80 000 Franken jahreseinkommen. «bei ihnen kann man davon ausgehen, dass die Sparsamkeit kein ökonomischer Zwang, sondern ein bewusster Entscheid zur Genügsamkeit ist», schliesst notter und folgert: «in naher Zukunft ist eine 2000- Watt-Gesellschaft nur realistisch, wenn technologische Effizienzsteigerung mit einer intelligenten Suffizienz strategie kombiniert wird.»

Gebaut wird seit Jahren vor allem für Singles und Doppelverdienernennen wir sie also die «Suffizienten»

– eine kleine minderheit zwar, aber sie beweist, dass es durchaus möglich ist, mit zwei Dritteln weniger Energiekonsum als der Schweizer Durchschnitt zu leben, und sich damit auf einem niveau bewegt, das global nachhaltig wäre. notter vermutet, dass die meisten von ihnen im städtischen Raum leben, allerdings hat er keine Daten dazu. Wieso die Stadt und nicht das häuschen auf dem land mit eigenem Garten, das für viele immer noch der inbegriff des «natur nahen» lebens ist? Die Stadt ermöglicht einen ökologischen lebensstil bei hoher Qualität, weil Wohnen, Arbeit, beziehungen und Freizeit in Fuss- und Velodistanz liegen. Eine tiefe Pro-Kopf-Wohnfläche gehört für viele dazu – nur schon wegen der hohen mieten muss eine typische 110-Quadratmeter-Wohnung für eine Kleinfamilie oder eine 3er-WG reichen.

Allerdings zieht der immobilienmarkt in eine andere Richtung: Gebaut und saniert wird seit einigen jahren vor allem für Single haus halte und Doppelverdiener, die gross zügige Wohnflächen belegen. in neubauten in der Stadt Zürich nutzt eine Person im Schnitt fast 70 Quadratmeter. «Technologien und lenkungsinstrumente für den ökologischen umbau stehen eigent- lich bereit», schliesst der Empa-Forscher

zu Trendsettern für den nachhaltigen lebensstil der Zukunft, dann würden wir unseren Abfall weiterhin rezyklieren (auch wenn das für den Verbrauch kaum ins Gewicht fällt) und die Ernährung würde lokal produziert, mit wenig Fleisch und tierischen Produkten (nicht unbedeutend). Die massivsten Änderungen beträfen mobilität und Wohnen: Frau n legt jährlich nur 1700 Kilometer mit dem Auto zurück, weniger als 20 Prozent des Schweizer Durch schnitts, und braucht nur halb so viel heizenergie, weil sie mit 35 Quadratmetern beheizter Wohnfläche auskommt.

So weit die Statistik. nur, was sind das für menschen? Die perfekten Öko asketen? Prekäre Stubenhocker, die sich weder Auto noch Ferien in Übersee leisten? Student-innen in Wohngemeinschaften? Anhaltspunkte dazu geben die Daten zum Einkommen. Allgemein nimmt der Verbrauch mit grösserem Einkommen linear zu. Wer mehr verdient, konsumiert auch mehr – selbst wenn jemand sich ein minergie-Einfamilienhaus und ein hybridauto leistet, aber dafür viel Fläche braucht und täglich mit dem Auto zur

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Es ist durchaus möglich, mit

zwei Dritteln weniger Energiekonsum als

der Schweizer Durchschnitt zu

leben.

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hardware. Von herumstehenden Autos über schlecht ausgenutzte Wohnungen und büroräume bis zu Staub ansetzenden bohrmaschinen und Rasenmähern – teilen kann man fast alles, das ökonomische Poten-zial ist gewaltig und mit seiner Vermittlung kann Geld verdient werden. Dass Teilen effizient und ressourcenschonend ist, wird auf den entsprechenden Websites oft als angenehmer nebeneffekt erwähnt. Für die nutzer wird der vordergründige nachteil, nicht jederzeit uneingeschränkt über ein eigenes Ding verfügen zu können, durch die emotionalen Vorteile wettgemacht: sozialer Austausch und ein unverkrampftes Gefühl der Zugehörigkeit. Werte, die der Vereinzelung entgegenwirken.

Beziehungen pflegen ist wertvoller als noch mehr BesitzDas Prinzip der Share Economy

geht in Richtung dessen, was der Ethnologe marshall Sahlins als «ursprüngliche Überfluss gesellschaft» bei jäger-und-Sammler-Gesellschaften beschrieben hat: maximiert wird nicht der persönliche besitz (der eh nur ballast ist), sondern die Anpassungsfähigkeit an eine gegebene Ressourcenbasis mit dem Ziel, möglichst viel Zeit für die schönen Seiten des lebens zu haben: beziehungen pflegen, Feste feiern, Geschichten erzählen, faulenzen. Anders gesagt: An die Stelle der linearen Konsumsteigerung (Abb. 1, Kurve b) tritt die abflachende Kurve der «Glücks-Ökonomie» (Kurve A). mehr besitz und Konsum macht nicht immer noch glücklicher, der Grenznutzen nimmt ab. jeremy Williams, Autor des blogs «make Wealth history», erklärt es so: «Einen Kaffee auf Kosten des hauses geschenkt zu bekommen, ist super, der zweite ist willkommen, aber niemand will zehn haben.» man könnte anfügen: «niemand ausser ein Kaffeesüchtiger.» Die heraus-forderung, die sich uns im kon sum-gesättigten Westen stellt, ist vergleichbar mit einem Entzug: lernen, mit weniger glücklich zu sein. Qualität statt Quantität.

Fassen wir die Stränge zusammen. bevölkerungswachstum reduzieren braucht globale Verteilungsgerechtigkeit. Wir sind nicht zu viele, wir brauchen aber zu viel.

notter. Eine ökologische Steuerreform würde helfen. Das benzin müsste teurer werden. Das Problem liege bei der politi-schen Akzeptanz «und am Ende regiert halt schon das Geld». Seinen beitrag sieht er darin, «das Thema präsent zu halten, um ein langsames um denken zu bewirken». Dass in der Stadt Zürich mit 76 Prozent ja-Stimmen das Ziel einer 2000-Watt-Gesell-schaft in die Gemeindeordnung auf ge-nommen wurde, gibt ihm hoffnung. «Das zeigt, dass ein Wertewandel stattfindet.»

Ein Wertewandel kann auch ins Geld gehen. jungen Erwachsenen scheint es immer weniger wichtig, den Führerausweis zu machen und ein eigenes Auto zu be- sitzen. Wie das magazin «Spiegel» meldet, liegt das Durchschnittsalter von neuwagen-käufern in Deutschland bereits bei 52 jahren. in Trendsetter-Städten wie berlin und new york besitzt die hälfte der bewohnerinnen kein Auto und die andere lässt es meist in der Garage stehen. Den Autokonzernen macht diese Entwicklung zunehmend Sorgen, einige gehen in die offensive: mercedes, bmW und citroën haben car-Sharing-Angebote entwickelt, um die junge, urbane Klientel, die sich ums Statussymbol Auto foutiert, bei der Stange zu halten. Trendforscher sehen dies als bestätigung, dass auch die Grosskonzerne die Entwicklung zur «Share Economy» nicht mehr ignorieren können.

Die lösung heisst Teilen. Was mit dem Do-it-yourself des Punk und mit esoterisch angehauchten Tauschkreisen begann, etablierte sich über die open-Source-informatik, Wikipedia und Filesharing und drängt nun mit Wucht in die Welt der

in Städten wie berlin und new york

besitzt die hälfte der menschen kein

Auto.

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Technologische und organisatorische lösungen für ein gutes leben mit weniger materiellen Dingen sind nicht nur bekannt, sie werden auch bereits angewandt. Ein Wertewandel ist nötig und feststellbar, aber er verläuft noch viel zu träge. und über allem hängt die omnipräsente, aber meist verdrängte Frage, wer über die Verwendung knapper Ressourcen entscheiden kann.

Diese Frage der machtverteilung und der Demokratisierung der Wirtschaft lässt sich immer weniger ignorieren, denn sie zielt mitten in die Zentren der metropolen – von Tahrir, Syntagma und Plaza del Sol über occupy Wall Street bis zum Gezi-Park und nach brasilien. Der Autor David Graeber versteht diese «transformativen Ausbrüche der imagination», so unter-schiedlich die Auslöser und Forderungen auch sein mögen, als Versuche, «gemeinsame Probleme der menschheit auf gleichbe-rechtigte, demokratische Weise zu lösen». Die tiefgreifenden Veränderungen, welche die beteiligten dabei durchleben, schaffen gleichzeitig neue modelle, Werte und Denk weisen, die auf die ganze bevölkerung ausstrahlten – und zwar im Fast-Forward-modus.

Gut möglich, dass man unter den Akteuren einige unserer «Suffizienten» antreffen würde, denke ich auf dem heimweg durch den Siedlungsbrei der Glatttalstadt. imagination – sich eine andere lebensweise überhaupt vorstellen zu können – ist vielleicht die beste Übung für die Zukunft in einer dichten Welt.

2000-Watt-Gesellschaft:Das Konzept für eine 2000-Watt-Gesellschaft stammt ursprünglich von der Eth. Der name bezieht sich auf den Energieverbrauch, der pro Kopf weltweit nachhaltig produziert werden kann. Der Standard kann auf Gebäude, Areale, Gemeinden, Städte und Regionen angewandt werden wie auch auf den persönlichen Ver-brauch. Zu den ursprünglichen Partnerstädten Basel, Zürich und Genf sind weitere dazu gekommen, darunter zehn Städte in der Bodenseeregion, die im herbst eine eigene 2000-Watt-Kampagne lanciert haben. www.wirleben2000watt.comwww.2000watt.ch

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Abb. 1 Frappante Kurve: Zufriedenheit hängt nicht für ewig von materiellem Besitz ab — irgendwann ist der Mensch saturiert oder vieler Dinge gar überdrüssig.

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Antinatalitäts­programmStaatliches massnahmenpaket zur Verringerung der Geburtenzahl, bestehend etwa aus Verhütungsförderung, Vorschrif-ten und Anreizen für weniger Kinder. länder wie iran, indien und china haben damit erfolgreich die Fertilität ihrer Frauen gesenkt. Die chinesische Regierung behauptet, durch die restriktive Ein-Kind-Politik seit 1979 rund vierhundert millionen Geburten verhindert zu haben. Ein grosses Problem ist aber der zunehmende männerüberschuss infolge der häufigen Abtreibung von mädchen.

BevölkerungsdichteDie durchschnittliche Einwohnerzahl pro Quadratkilometer, also die bevölkerung geteilt durch die Fläche eines landes.

BevölkerungspeakDas jahr, in dem die bevölkerung eines Gebiets ihren höchsten Stand erreicht. Gemäss uno könnte das global bereits 2050 der Fall sein – allerdings nur, wenn die Fertilität kontinuierlich von heute 2,5 auf 1,5 Kinder pro Frau sinkt. Verharrt sie langfristig bei 2 Kindern weltweit, so beginnt die Weltbevölkerung erst mitte des 22. jahrhunderts langsam zu sinken.

Condorcet, Marquis de (1743 – 1794) Französischer Aufklärer, der als Erster das Problem der Ernährung einer stetig wachsenden bevölkerung formulierte. Als Gegenmassnahme propagierte er den landwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs, insbesondere aber forderte er bildung für alle, also auch für Frauen. mit der idee, die Frauen auf diese Weise zu einer freiwilligen Reduktion der Kinderzahl zu bewegen, war condorcet seiner Zeit weit voraus.

Demografische Entwicklunglangfristiger Wandel der bevölkerungszahl und -struktur eines landes. Die zuneh-mende lebenserwartung und die sinkende Fertilität führen vielerorts zu einer Überalterung, die aber – etwa in der Schweiz – durch Einwanderung gebremst wird. bis zum Ende des jahrhunderts wird sich aber auch in den Entwicklungs-ländern der Anteil der über 59-jährigen verdreifachen, von heute 9 auf 27 Prozent der bevölkerung.

DepopulationRückgang der bevölkerung eines Gebiets. Früher hauptsächlich verursacht durch Seuchen, Kriege und hungersnöte, heute durch sinkende Geburtenraten und Auswanderung. Von den grossen ländern verzeichnen derzeit japan, Russland und Deutschland einen bevölkerungsrückgang. Der Flächenstaat mit der grössten Entvölkerungsrate ist derzeit moldawien.

Glossar Zusammengestellt von Mathias Plüss

Begriffe und Persönlichkeiten rund um die Bevölkerungs­debatte

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FertilitätAuch Fruchtbarkeitsrate genannt. Gemeint ist die Gesamtzahl der Kinder, die eine Frau durchschnittlich im lauf ihres lebens haben wird (unter der Annahme, dass die heutigen Geburten-zahlen etwa gleich bleiben). Damit die bevölkerung stabil bleibt, muss die Fertilität bei etwa 2,1 Kindern pro Frau liegen – in Entwicklungsländern wegen der höheren Kindersterblichkeit bei etwa 2,3. in der Schweiz liegt sie derzeit bei 1,5.

GeburtenrateAnzahl Kinder pro 1000 Einwohner, die in einem land in einem jahr geboren werden. in Krisenzeiten geht die Geburtenrate typischerweise zurück — in Griechenland sank sie seit 2008 um 15 Prozent. oft ist der Kinderwunsch in solchen Situationen aber nicht aufgeho-ben, sondern nur aufgeschoben.

Generation Babyboomerjene menschen, die in den jahren steigender Geburtenraten nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Die Phase geburtenstarker jahrgänge endete in den sechziger jahren mit dem Pillenknick.

Ökologischer FussabdruckFläche in hektaren, die benötigt wird, um die Ressourcen zu erzeugen, die ein mensch verbraucht. Der ökologische Fussabdruck ist ein mass für die umwelt-verträglichkeit des individuellen lebensstils. Pro Person stehen etwa 1,8 hektaren land zur Verfügung – der durchschnittliche Fussabdruck beträgt aber global derzeit 2,7 und in der Schweiz gar 5 hektaren. Wir leben über unsere Verhältnisse.

malthus, Thomas Robert (1766 – 1834)Einflussreicher britischer Geistlicher und Gelehrter, der 1798 durch seinen Essay «Das bevölkerungsgesetz» berühmt wurde. Darin stellte er die These der ungehemmten Vermehrung der menschheit auf: Die bevölkerung wachse stets viel rascher als die landwirtschaftli-che Produktion. Anders als marquis de condorcet war malthus pessimistisch: Die natur müsse notwendigerweise von Zeit zu Zeit mit naturkatastrophen und hungersnöten korrigierend eingreifen, um das bevölkerungswachs-tum zu stoppen. Später plädierte malthus allerdings auch für eine bildungs-offensive für die Armen.

Sahlins, Marshall (geb. 1930)Amerikanischer Ethnologe. Er wurde bekannt mit der These, dass die jäger und Sammler nicht permanent um ihr Überleben kämpfen mussten, sondern vielmehr in einer Art urzeitlicher Überflussgesellschaft lebten. Vielerorts sei mehr als genug nahrung vorhanden gewesen und die jäger und Sammler hätten stets nur so viel Essen besorgt, wie sie gerade benötigten. Da sie darüber hinaus keinen materiellen besitz anstrebten, hatten sie sehr viel Freizeit. Sie lebten im Überfluss – wenn auch in einem ganz anderen als wir heute.

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meer weggefressen. Ganze Ökosysteme werden zerstört. Die Folgen sind schwerwie-gender, als man glauben könnte. Der französische Regisseur Denis Delestrac hat von Asien bis Amerika die schleichende umweltkatastrophe dokumentiert und ihre ursachen verständlich und berührend in einen Film gepackt. Seine «untersuchung eines Verschwindens» ist ein Aha- Erlebnis, das sich auf weit mehr als auf Sandstrände bezieht: auf den wichtigsten baustoff unserer Gesellschaft.

So weit ist es also gekommen: jetzt geht der menschheit selbst der Sand aus. «Wie Sand am meer» lautete bis vor Kurzem die Redensart für unermessliche Verfügbarkeit. Die Wendung gehört nun der Vergangen-heit an. Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt, dass uns bald Erdöl und uran aus- gehen werden. Aber der Sand?

und doch ist es nicht mehr zu überse-hen, weder in miami beach noch an fernöst-lichen Stränden: Rund um den Globus schrumpfen die Strände. Zuweilen werden ganze häuserzeilen unterspült und vom

Am letzten 28. Mai zur hauptsendezeit hatten viele Fernsehzuschauer ein Schock-erlebnis: Auf Arte wurde der Dokumentarfilm «Sand — die neue Umweltzeitbombe» 1 ausgestrahlt: Der Welt geht der Sand aus. Strände schwinden, Flüsse leiden, Meeres-böden werden geplündert. hauptver-antwortlich ist unökologisches Bauen im Angesicht von Migration und Bevölkerungs-wachstum. Greenpeace hat mit Regisseur Denis Delestrac ein Gespräch geführt.

Jedes Sandkorn zählt

Ressource SandVon Matthias Wyssmann

1 «le sable — enquête sur une disparition»

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Neuland aus dem Schlauch: Vor Dubai wurden 2005 künstliche Inseln in Form von Palmen aufgeschüttet.

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GP: Wie reagiert es?DD: ohne zu übertreiben: zu 100 Prozent positiv. Die menschen sind beeindruckt. Viele sagen mir: «jetzt verstehe ich, warum mein Strand immer schmaler wird.» oder: «Als ich jünger war, ging ich oft an einen breiten Strand. jetzt ist er nicht mehr da.» Viele leute, auch Kinder, bedanken sich bei mir und sagen: «ich sehe den Strand jetzt mit anderen Augen.» Das ist fantastisch!GP: Formiert sich so etwas wie eine bewe- gung zum Schutz der Strände?DD: leider nein. Es gibt – je nach land oder Region – Gruppierungen, die sich für den Sand einsetzen, Aktivisten, die für ihre Strände kämpfen, ob in der bretagne oder in den uSA. Doch das ist alles sehr fragmentiert. Global gesehen fehlt das bewusstsein. Es gibt keine leader, die sich dieses Anliegen auf die Fahne schreiben, um es zu bekämpfen.GP: Wie haben umweltorganisationen auf ihren Film reagiert?DD: Da passiert noch wenig. Es gibt coastal care, eine organisation in Kalifornien (www.coastalcare.org). Das sind wirklich Pioniere beim Schutz der Küsten, der Vertei-digung der Strände und im Kampf gegen das Sand mining. nur müssen wir jetzt einen Gang höherschalten, um die nötige Dringlichkeit zu erzielen.GP: Aber die Politik ist wohl weit davon entfernt, etwas zu unternehmen …DD: nicht unbedingt. Zumindest in Frankreich benutzen Politiker den Film, um in ihren Regionen vom Verschwinden der Strände zu reden. nun haben sie ein Werk- zeug, um auch anderen zu erklären, was passiert. Vorher wussten sie nicht, wie sie die Probleme verständlich machen sollten. Es ist ein sehr wissenschaftliches Thema, bei dem es um die Dynamik der Küsten, um Strömungslehre und so weiter geht. ich glaube, wir haben das Ganze verdaulich dargestellt.

Ein komplexes Thema spannend wie einen Krimi darzustellen, das haben Denis Delestrac und seine crew wirklich geschafft. Die bilder sind nicht nur für alle verständlich, sie sind auch intensiv, aufrüttelnd und doch sachlich und unaufgeregt.

Greenpeace: Denis Delestrac, ihr Film hat wie eine bombe eingeschlagen … Denis Delestrac: Die erste Reaktion erfolgte noch vor der Ausstrahlung im TV, als wir den Film an die Presse schickten. in Frankreich griffen die medien das Thema sofort auf. jedermann sprach davon, weil niemand bisher von der Sache gewusst hatte. Als der Film dann ausgestrahlt wurde, schlugen wir den Zuschauerrekord. Seither reise ich an viele Festivals und kriege mit, wie das Publikum reagiert.

Ressource Sand

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Greenpeace: im umweltschutz wird das bevölkerungswachstum oft ausgeblendet, als wäre es ein Tabu.Denis Delestrac: Das ist seltsam. ich glaube, es ist die Quelle aller unserer Probleme auf dem Planeten: Wir sind zu viele … Aber da ist nicht nur das bevölkerungswachstum, sondern auch jenes der Wirtschaft. Die sandhungrigen Golfstaaten zum beispiel sind demografisch recht stabil.GP: im binnenland Schweiz wollen immer mehr menschen immer mehr Wohnfläche, oft im Grünen.DD: und weltweit verdichten sich die Küstensiedlungen – ein echtes Problem. Vor 50 oder 60 jahren wohnten dort vor allem Fischer. Die Strände interessierten wenig. Dann entwickelte sich der Touris-mus. heute wird dort ein Drittel der Ferien verbracht. und viele möchten am liebsten am meer leben. Deshalb werden die Küsten zugebaut. Was man leider nicht weiss: indem man nah an die Strände baut, hindert man sie daran zu «atmen», sich vor- und zurückzubewegen, wie jeder Strand es täte, wäre er nicht von beton blockiert.

Delestracs Film zeigt die Absurdität sehr anschaulich: Es zieht uns an die Küsten und Strände. ironischerweise werden diese aufgebraucht, um hotels und Städte zu bauen. Weil wir so nah ans Wasser bauen, können sich die Strände nicht regenerieren. in miami beach und anderswo werden unsummen investiert, um die Strände mit neuem, vom meeresgrund gepumptem Sand zu erhalten – der das Problem nur ver- schlimmert und ohnehin rasch wieder abgetragen wird.

um den Sand, der einmal gratis war, ist ein gigantisches Geschäft entstanden. Sand wird rund um den Planeten verschoben – oft illegal. in Singapur dominiert der Sandschmuggel. in indien ist die Sandmafia die mächtigste kriminelle organisation des landes, die vor nichts zurückschreckt

Ein Kunststück, wenn man bedenkt, wie verzwickt sich die Sache mit dem Sand verhält.

Sand ist der am meisten unterschätzte Rohstoff. Aus ihm wird Glas gemacht. ohne Sand gäbe es keine mikroprozessoren in unserer Elektronikgeräten. Sand steckt in Flugzeugen, Waschmitteln und im Wein – vor allem aber im beton. heute bestehen zwei Drittel der Gebäude weltweit aus Stahlbeton, und der enthält zu zwei Dritteln Sand. Ein durchschnittliches haus verschlingt 200, ein Kilometer Autobahn 30 000, ein AKW 12 millionen Tonnen. jedes jahr verbraucht die menschheit 15 milliarden Tonnen Sand. und zwar keinen Wüstensand, der zum bauen unbrauchbar ist, sondern meersand und Strandsand. Auf der Erde sind schätzungsweise 75 bis 90 Prozent der Strände auf dem Rückzug. Für die bauwirtschaft wird vor den Küsten mit gigantischen Schiffen Sand aus dem meer gepumpt. Die löcher, die so entstehen, füllen sich in kurzer Zeit wieder mit Sand, der von den Stränden ins meer wandert.

Singapur. Die «asiatische Schweiz» wächst seit jahrzehnten. Die Wirtschaft, die bevölkerung, die Skyline – aber auch das Territorium: Das land ist zum Wachs-tum verdammt. in den letzten 40 jahren sind nicht nur die häuser in die höhe geschossen, sondern es wurden auch 20 Prozent neue landflächen aufgeschüttet, mit unermesslichen mengen Sand.

in Dubai – dem «Sandkasten für grössenwahnsinnige baulöwen» – steht der burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt, ein gigantischer Turm aus beton und Glas. Vor allem aber entstehen im Emirat die Projekte «The Palm» und «The World», künstliche Sandinseln vor der Küste, damit Reiche und Superreiche ihre eigene insel, ihren eigenen Strand besitzen können.

Die menschheit drängt an die Küsten. bis 2025 sollen 75 Prozent in Küsten-nähe wohnen, und das bei ungebremstem bevölkerungswachstum.

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bis 2025 sollen 75 Prozent der menschen in Küstennähe wohnen.

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sein, sondern auch jene menschen erreichen, die wirklich den lauf der Dinge politisch verändern können.

Dass wir in 20 oder 30 jahren keine Strand- ferien mehr machen können, mag uns vielleicht nicht den Schlaf rauben. Doch es gibt wenig, das uns mehr betrifft als die Art, wie wir leben und wohnen – wie wir bauen, für wen und wie viel. Das be-völkerungswachstum mag zur grenzenlo-sen bauwut beigetragen haben. Die migration hat ihren Anteil daran. Vor allem aber ist es der absurde Wachstumszwang einer Wirtschaft, in der viel Geld für Prunkbauten, aber keins für die Schaffung von menschenwürdigen lebensbedin-gungen zur Verfügung steht.

Das Drama um den Sand zerstört un- widerruflich einen prachtvollen Teil unserer Welt. Wenn wir jetzt nicht handeln, zerrinnt uns die Zeit wie Sand zwischen den Fingern.

und immer mehr auch die immobilien-spekulation dominiert. in mumbai leben die hälfte der menschen in Slums, aber 50 Prozent der gebauten Wohnungen stehen leer. Auch in china stehen 65 millionen Wohnungen leer, in Spanien sind es 30 Pro - zent der seit 1996 gebauten Wohnungen. im burj Khalifa sind gerade einmal 10 Pro - zent der Apartments belegt.

Aber es kommt noch schlimmer: meer- sand entsteht im landesinneren, in den bergen, und wird von Flüssen ins meer getragen. nur kommt der grösste Teil gar nicht mehr an, denn die Flüsse werden ausgebaggert und Staudämme versperren dem Sand den Weg. Allein in den uSA wurde seit 1776 an jedem Tag ein Staudamm gebaut. in china wird demnächst kein Wasserlauf mehr ungestaut sein. Weltweit gibt es 845 000 Stauwehre. Für die Gewinnung von sauberem Strom mag das gut sein. Für die Küsten ist es verheerend.

Wirklich schlimm wird es, wenn wir zu alledem den Klimawandel und den steigenden meeresspiegel dazunehmen – dann ist die umweltzeitbombe perfekt. «Die Strände sind unsere barrikaden», sagt ein Geologe im Film. 100 millionen menschen leben auf weniger als einem meter über dem meeresspiegel, der bis 2100 um 1 bis 1,5 meter steigen wird. in indonesien sind bereits über 20 inseln von der landkarte gestrichen worden.

GP: Gibt es auch eine gute nachricht?DD: ja. Es gibt tausend möglichkeiten zu handeln – auch lokal.GP: Zum beispiel bei der Art, wie wir bauen?DD: ja. Wir könnten zum beispiel aus Glas wieder Sand herstellen. Wir könnten bauschutt zu Granulat rezyklieren. Aus Altmetall liessen sich sogar hochhäuser bauen. Wir könnten mit Stroh bauen. Es ist sehr solide und brennt nicht – entgegen der vorherrschenden meinung. oder wir bauen aus bambus. Es gibt sehr viel, was wir unternehmen könnten … GP: Was muss geschehen?DD: Wesentlich wäre ein neues bewusstsein in der Politik, aber auch in der breiten Öffentlichkeit. Deshalb habe ich meinen Film gemacht. Das Thema soll nicht mehr nur Wissenschaftlern vorbehalten

Denis DelestracDer 45-jährige Franzose war Jurist und Fotograf. heute gehört er zu den renommier-testen Dokumentarfilmern. Sein Film «Pax Americana» über die Aufrüstung im Welt-raum brachte ihm 2010 den Durchbruch. Seine Projekte haben ihn intensiv in Afrika und Asien reisen lassen. Auch die beiden nächsten Film-projekte werden sich mit öko-logischen Fragen beschäftigen. Er will sich aber kein grünes Etikett verpassen lassen. «Ich will das Unsichtbare zeigen, das uns umgibt», sagt er. «Aber ich will mich nicht speziali-sieren. Ich filme, was mich lei-denschaftlich interessiert. Denn ich verbringe Jahre mit einem thema.» Denis Delestrac lebt in Barcelona.

Den Film sehenDenis Delestracs Doku-mentarfilm «Sand — die neue Umweltzeitbombe» ist auf DVD noch nicht erhältlich. Sobald er erschienen ist, informieren wir Sie in diesem Magazin. Schon jetzt können Sie den Film im Internet schauen (ohne Gewähr): www.greenpeace.ch/sand.

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trotz aller Bemühungen wird die Weltbevölkerung laut der UnO noch lange wachsen: Von 7,2 Milliarden (heute) über 9,6 Milliarden (2050) auf 10,9 Milliarden Menschen im Jahr 2100.

Die durchschnittliche Grösse der 100 grössten Städte der Welt hat sich innert 100 Jahren fast verzehnfacht.

Dabei verschieben sich die Gewichte nach Süden: Indien wird China 2028 als bevölkerungsreichstes land der Erde ablösen. Und in der tabelle für das Jahr 2050 stehen nicht mehr die USA auf dem dritten Platz, sondern nigeria.

Die grösste Bevölkerungsdichte weltweit herrscht in Monaco (18 000 Einwohner/km2), die kleinste in der Mongolei (2 Einwohner/km2). Gleich menschenver-lassen wie die Mongolei ist übrigens das am dünnsten besie delte Gebiet der Schweiz, der Kreis Avers (Juf) im Kanton Graubünden.

libanon hat mehr als 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen — bei einer Einwohnerzahl von weniger als 5 Millionen.

China will 9 Grossstädte im Gebiet des Perflussdeltas zur grössten Stadt der Welt verschmelzen. Geplante Einwohnerzahl: 42 Millionen.

Die Fruchtbarkeitsrate liegt heute global bei etwa 2,5 Kindern pro Frau — das ist ein wenig mehr, als es zur Aufrechterhaltung der Bevölkerung braucht. Doch die Rate sinkt ständig — sie hat sich innert 50 Jahren halbiert.Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013

Zahlen und Fakten zur bevölkerungs entwicklung

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Zusammengestellt von Mathias Plüss

Besonders hohe Fruchtbarkeitsraten haben heute niger (7,0 Kinder pro Frau), Mali (6,3), Somalia (6,2) und Afghanistan (5,5). Besonders tiefe Raten haben etwa tschechien (1,3), hongkong (1,1) oder Singapur (0,8).

Die Abtreibung weiblicher Föten hat in China zu einem Männerüber schuss geführt. Im Jahr 2020 dürfte es im land gegen 40 Millionen mehr junge Männer als junge Frauen geben. Eine starke Bevorzugung von Buben gibt es auch in Aserbaidschan, Indien, Viet-nam, Armenien und Georgien, aber auch in Albanien, Mazedonien und im Kosovo.

Umgekehrt sterben in den ländern der ehemaligen Sowjetunion die alten Männer weg. hauptgrund: Al-koholismus. In Russland sind 70 Prozent der über 65-Jährigen Frauen.

Weltweit gibt es gemäss der UnO etwa 230 Millionen Migranten — davon sind 16 Millionen Flüchtlinge. Die höchsten Ausländeranteile haben die Vereinigten Arabischen Emirate (84 Prozent der Bevölkerung), Ka-tar (74 Prozent), Monaco (64 Prozent), Kuwait (60 Pro-zent) und Andorra (57 Prozent).

Die weltweit grösste Migrantengruppe sind die Mexi-kaner in den USA (rund 13 Millionen). Weitere grosse Gruppen sind die Russen in der Ukraine (3,5 Millionen), die Bangladeschi in Indien (3,2 Millionen), die Inder in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie die Ukrai-ner in Russland (je 2,9 Millionen).

Die russische Bevölkerung schrumpft, jene von Je-men wächst stark. Demografen schätzen, dass die beiden länder 2050 etwa gleich viele Einwohner haben könnten, obwohl Russland mehr als 30 Mal so gross ist.Magazin Greenpeacenr. 4 — 2013 47

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Wolkenbruch in Diacksao, einem dicht besie-delten Vorort der westafrikanischen hauptstadt Dakar. innert minuten ver wandeln sich die naturstrassen in Flüsse. Papis Keïta, 30, schüttet eimerweise Wasser aus seinem haus. Acht monate lang bleibe die gelblichbraune brühe im Parterre stehen, sagt er. Trotz der übel riechen-den brutstätte für Krankheiten – vor allem malaria – harrt der junge mann mit seinen brü-dern, ihren Ehefrauen und Kindern hier aus. Doch wenn das Wasser im haus stark ansteigt, gehen die Kinder nicht zur Schule und Keïta schafft es oft auch nicht in die Flipflop-Fabrik, wo er als Taglöhner arbeitet.

nichts ist wasserdicht in der Stadt. Das Quartier versinkt in Regenfluten, jeder hausbe-sitzer ist damit beschäftigt, sein haus vor unheil zu bewahren. manche Pfützen in den banlieues sind so gross wie Schwimmbecken und verwandeln sich nach dem Dauerregen in pechschwarze Schlammtümpel.

Als Keïtas Vater das haus vor rund 50 jah-ren baute, kannte Diacksao noch kein hoch-wasser. in den Siebziger- und Achtzigerjahren herrschte in der Sahelzone grosse Dürre. Seit den neunzigerjahren aber nehmen verheerende niederschläge jährlich zu. Dennoch wird über-all in den banlieues wild gesiedelt – sogar neben verlassenen häusern, die in den weichen Sandboden eingesunken sind und als illegale Abfalldeponien benutzt werden. ingenieur claude moïse Dembele, 65, weiss, dass diesem unkontrollierten Siedlungsboom ein sozialer Druck zugrunde liegt: «in der senegalesischen

Gesellschaft muss ein mann als ‹chef de famille› ein haus bauen. Diese Pflicht wiegt so schwer, dass viele bereit sind, ein haus irgend-wo hinzustellen.» Sogar auf trocken gelegten Seen wird in Dakar gesiedelt.

in der Gürtelzone um Dakar ist die bevölke-rung in den vergangenen 20 jahren explodiert: Ein Viertel mehr menschen zogen vom land in die banlieues, nach Pikine, Thiaroye, Guedi-awaye. Gemäss Angaben der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) beträgt der Anteil illegaler Spontansiedlungen rund 50 Pro-zent. Die landpreise haben sich in den vergan-genen zehn jahren verfünffacht. Es kommt auch häufig vor, dass Parzellen mehrfach verkauft werden. Die Ver käufer wissen, dass den Käufern das Geld fehlt, um zu prozessieren.

in der senegalesischen metropole kollidie-ren viele missstände: landflucht, Siedlungs-chaos, Armut, ungenügende Sensibilisierung der bevölkerung, schlechte Entwässerungssysteme, verbaute natur läufe oder fehlende urbanisie-rungskonzepte der Regierung. Die politisch Veran twortlichen betreiben eine «Pflästerli-politik» und scheuen radikale lösungen wie etwa umsiedlungen. Papa malick hane, 65, bür-germeister von Pikine ouest, gehört zu den Wenigen, die Rohbauten in der illegalen Zone ab reissen liessen. «Wir müssen die leute davon abhalten, ihr haus aus Platzmangel in der Über-schwemmungszone zu bauen. in solch missli-chen umständen zu leben, ist unmenschlich. Wenn wir das Problem nicht in den Griff bekom-men, wächst es uns allen über den Kopf.»

lanD unTer in Den banlieues von Dakar

jedes jahr kommt es während der Regen zeit in der senegalesischen hauptstadt Dakar zu schweren

Überschwemmungen. Der Klimawandel, die landflucht sowie die illegalen Siedlungen als Folge davon führen

zu immer mehr Elend und chaos.Bilder: Flurina Rothenberger,

Gewinnerin des Greenpeace Photo Award 2013, text: Judith Wyder

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1 «Ein Haus zu bauen, ist in Senegal für einen ‹Chef de famille› Pflicht. Ohne Haus hat er im Leben versagt.»: Claude Moïse Dembele, 64, Ingenieur, über das Siedlungschaos in Dakar. 2 Fanta, 16, harrt in Thiaroye aus: Heute leben ein Viertel mehr Menschen in Dakar als noch vor 20 Jahren. Sie kommen auf der Suche nach Arbeit in die Stadt und siedeln wild in Zonen, die während der Regenzeit regelmässig überschwemmt werden. 3 Ausnahmezustand in Thiaroye: In der Banlieue werden vor allem die Nebeneffekte bekämpft und nicht die Ursachen. Die Unternehmen, die zum Abpumpen der Quartiere aufgeboten werden, profitieren finanziell von dieser Situation.4 Private Vorsorge in Diacksao: Rückt die Regen-zeit näher, kaufen die Hausbe sitzer Berge von Sand. Mit diesem schütten sie das Haus auf, wenn es sich mit Wasser füllt. Ignoriert wird dabei, dass die Zimm-erdecke dadurch Jahr für Jahr immer näher kommt.5 Familiendrama in Thiaroye: Aida und ihre Familie mussten während der Regenzeit aufs Dach flüchten. Als die alleinerziehende Mutter die Rechnung für das Abpumpen des Wassers nicht begleichen konnte, verlor sie das Haus.6 Eine Senegalesin beim Gerben am Lac de Thiourour: Durch den Klimawandel haben sich die

Bedingungen verändert. Zonen, die während der Trockenzeit kein Hochwasser kannten, werden heute wieder überschwemmt.

Die Schweizer Fotografin Flurian Rothenberger gewann 2012 beim Greenpeace Photo Award den Publikumspreis. Der Wettbewerb wurde in Zusammenarbeit mit dem Kulturmagazin «Du» lanciert mit der Absicht, umweltthemen innovativ ins bild zu setzen.

Die Arbeiten von Flurina können in Forum für Dokumentarfotografie der coAlminE in Winterthur besichtigt werden.

Vernissage: 16. jan. 2014 um 18.30 uhr Öffentliche Führung mit der Künstlerin: Sa 18. jan. 2014 um 11.30 uhrDauer der Ausstellung: 17. jan. bis 28. märz 2014

Gleichzeitig wird die Fotodokumentation im «Du» vorgestellt.

— das Kulturmagazin offeriert Greenpeace-mitgliedern ein jahresabo für 120 statt 160 Franken. Das Abo kann unter [email protected] mit Vermerk «Du» und der mitgliedernummer bestellt werden.

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sTreiTer für sonniGe

zeiTenSven teske wirbt seit Jahren weltweit für erneuerbare Energien und ist vom globalen Siegeszug der Sonnenkraft überzeugt. Er ist Co-Autor des Green-peace-Energieszenarios für die Schweiz, das jüngst publiziert wurde und sich konsequent an den welt-weiten Vorgaben des Klimaschutzes orientiert: die kritische Grenze von durchschnittlich zwei Grad Erwärmung einzuhalten.

Von Andrea hösch

nistkästen aufhängen, das ist nicht seine Welt. Sven Teske braucht globale Dimensionen und mächtige Gegner, um zur bestform aufzulaufen. mehr als die hälfte seines lebens hat er sich mit industriebossen, Politikern, aber auch mit Gleichgesinnten angelegt und dabei nie sein Ziel aus den Augen verloren: den erneuerbaren Energien zum Durchbruch zu verhelfen. und zwar weltweit. Seit 1994 arbeitet er im deutschen Greenpeace-büro, vor einigen jahren wechselte er zu Greenpeace international. 2004 arbeitete er massgeblich am ersten globalen Greenpeace-Energieszenario mit. Seither hat er vier weitere globale Editionen sowie 40 länderszenarien realisiert. Das macht mit allen Aktualisierungen stolze 100 Ausgaben. «Die Wirklichkeit hat alle meine Prognosen für erneuerbare Energien weit übertroffen», freut sich der 47-jährige Diplom-

ingenieur aus dem niedersächsischen oldenburg. im interview spricht er über Deutschlands Er-fahrungen mit Sonnenenergie und über Schwei-zer Voraussetzungen für die Energiewende.

Greenpeace: Sie haben nicht nur zahlreiche Greenpeace-Energieszenarien zu verantwor-ten. Sie haben dem Kind auch einst seinen Namen gegeben: Energy[R]evolution. Geht es nun um Entwicklung oder um Revolution?Sven Teske: Eben beides. Technisch gesehen geht es um Entwicklung. Energiepolitisch hingegen brauchen wir eine Revolution.Sprechen wir über einen wichtigen Pfeiler der Energiewende: die Solarenergie. In Deutschland entspricht die installierte Foto-voltaikleistung bei voller Auslastung der Stromproduktion von 30 Atomkraftwerken. Dennoch steckt die deutsche Solarbranche in der Krise.

Die Krise ist nichts weiter als eine Flaute. in vielen ländern wie etwa japan, brasilien, den uSA und einigen afrikanischen ländern entwi-ckelt sich gerade ein markt für Fotovoltaik, ganz einfach weil sich die menschen die viel billiger gewordenen module jetzt auch leisten können. Vom bevorstehenden weltweiten boom werden auch die deutschen hersteller profitieren. Aber bis dahin müssen sie noch eine Durststrecke überwinden, denn noch immer gibt es Überka-pazitäten, da in china in den vergangenen jah-ren sehr viele Solarfabriken gebaut wurden. Der markt kam mit der Produktion nicht mit.Was hat die deutsche Solarindustrie falsch gemacht, woraus andere lernen können?

Die Fotovoltaik ist jetzt marktreif geworden. in unserem globalen Wirtschaftssystem pas-siert es dann leider fast immer, dass sich das Geschäft auf einige wenige hersteller konzent-riert. So manche Pioniere mussten insolvenz anmelden oder wurden von anderen übernom-men. Das kann man der branche nicht vorwer-fen. Dagegen müssen sich die erfolgsverwöhn-ten Sonnenkönige vorhalten lassen, dass sie viel zu spät darüber nachgedacht haben, was pas-siert, wenn die Politik die staatlich garantierte Einspeisevergütung eindampft. Dass dies eines Tages kommen würde, war klar. Keinen Plan b in der Schublade zu haben, war ein grober managementfehler.Welche Zukunft hat das Geschäft mit der Sonne in Deutschland?

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Die deutsche Solarindustrie ist gefordert, weiterzudenken. Sie muss in Zukunft qualitativ hochwertige Spezialanfertigungen entwickeln, effizientere Solarzellen, intelligente Energiesteu-erungen und vor allem neue Speichertechniken.Inzwischen versorgen sich immer mehr Leute mit ihrem eigenen Strom. Welche Fol-gen hat der Trend zur Eigennutzung?

Der eigene Strom kostet inzwischen nur noch halb so viel wie der Strom vom Energiever-sorger. Das war früher genau umgekehrt. Wer heute über eine Fotovoltaikanlage verfügt, macht also Gewinn – auch ohne jede Förderung. Des-halb breitet sich die Solartechnologie auf ungezählten Dächern aus und ist nicht mehr zu stoppen. Selbst ohne jede Förderung wird sie ihren Siegeszug fortsetzen. Wind und Sonne werden den Ton angeben und die gesamte Ener-gieversorgung auf den Kopf stellen. Strom-versorger, die 2020 die Anlagen ihrer Kunden nicht integrieren können, werden vom markt verschwinden.Der Umbau des Energiesystems kommt auch in der Schweiz in Gang. Wie stehen die Chancen hierzulande?

Die Schweiz hat es im globalen Vergleich deutlich einfacher, eine Energierevolution umzusetzen, da Energieeffizienz bereits eine grosse Rolle spielt. Ausserdem verfügt die Schweiz über eine sehr grosse Kapazität an Pumpspeicher-Wasserkraftwerken, die für den Ausgleich bei einem hohen Anteil an Solar-strom gebraucht werden.Laut Studien könnte die Schweiz ihren Strombedarf zu einem Viertel mit Solarstrom decken. De facto steht sie aber noch ganz am Anfang.

Das liegt vor allem daran, dass das Vorur-teil, Solarstrom sei besonders teuer, leider noch immer weit verbreitet ist. Aber längst gilt in der Schweiz dasselbe wie in Deutschland: Der betrieb von Fotovoltaikanlagen ist heute schon günsti-ger als Strom vom Energieversorger. noch dazu wurden die Entwicklungskosten vor allem von Deutschland getragen, die Schweiz kann jetzt direkt davon profitieren.Was kann die Schweiz sonst noch vom nördlichen Nachbarn lernen?

in Deutschland sind viele bürger mitglied in Energiegenossenschaften – die Energie-wende kommt von unten und befindet sich vor allem «in bürgerhand». Die Wertschöpfung

bleibt dadurch hauptsächlich in den Städten und Gemeinden – dieses modell könnte auch für die Schweiz interessant sein.Was entgegnen Sie jemandem, der sagt, die Energiewende koste zu viel und sei etwas für Visionäre?

Die Energiewende nicht zu machen, würde uns aufgrund des Klimawandels deut-lich mehr kosten. ich bin optimistisch, dass der umbau gelingt, denn mit jeder investition in erneuerbare Energien sparen wir in Zukunft, da Sonne und Wind billiger sind als fossile und atomare Energien. De facto fusst schon heute jedes zweite Kraftwerk, das irgendwo auf der Welt neu gebaut wird, auf erneuer baren Energien.

Das brandneue Greenpeace Energieszenario «Energy[R]evolution», erstellt von unabhängigen Experten, ist das einzige Schweizer Energie-szenario, welches das Klima wirklich schützt und einen schnellen Atomausstieg ermöglicht. Die Energy[R]evolution zeigt wissenschaftlich fundiert den Weg zu einer umweltfreundlichen, sicheren Energieversorgung:

Einhaltung des 2°C Klimaziels bei einer global gerechten Verteilung der CO2- Emissionen.

Schneller Ausstieg aus der Atomkraft: Begrenzung der laufzeit auf 40 Jahre — das letzte AKW geht 2024 vom netz.

Ausstieg aus fossilen Energien (Gas, Öl usw.) und damit grosse Auslandunabhängigkeit.

Versorgungssicherheit, rund um die Uhr, im Sommer und im Winter.

Wirtschaftlicher nutzen und die Schaffung von inländischen Arbeitsplätzen.

Greenpeace fordert Politik und Wirtschaft auf, die Energy[R]evolution als Messlatte für ihre Zielset-zungen, Rahmenbedingungen und Massnahmen in der neuen Energiestrategie zu nehmen.

Mehr: www.greenpeace.ch/energyrevolution

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frackinGRohstoff förderung mit

Brachialgewalt

Wo das Gas im Boden schlummert — vermutete Schiefergasvorkommen weltweit

bereits gefördert förderbare konventionelle Reserven konventionelle Ressourcen, womöglich künftig förderbar unkonventionelle Ressourcen wie Schiefergas

Unverhoffte Reserven — Gasvorkommen in den Weltregionen (in Billionen Kubikmetern)

nordamerika 150

Südamerika 67

Europa 37

Afrika 89

GUS-Staaten 257

naher Osten 135

China, Südasien, 138 Ozeanien

Die technik boomt, vor allem in den USA: Durch «hyd-raulisches Aufbrechen» (Fracking) tiefer Gesteins-schichten werden im grossen Stil neue Gas- und Ölvor-kommen nutzbar. Rohstoffe wurden dadurch billiger, Gas verdrängt die noch klimaschädlichere Kohle aus dem US-Strommix und das land könnte bald unabhängig von Energieimporten werden. Doch die Methode birgt Risi-ken. Über zahlreiche Bohrlöcher wird unter hohem Druck Wasser in grossen Mengen in die tiefe gepresst.

So entstehen Risse im Gestein, durch die Gas oder Öl ausströmt. Die Frac-Flüssigkeit ist ein Cocktail aus Bioziden, Schmier- und Rostschutzmitteln, darunter krebserregenden Substanzen. In den USA häufen sich Klagen über verseuchtes Grund- und trinkwasser. Enorme Schiefergasressourcen schlummern auch in Europa, doch die Skepsis ist gross. Frankreich hat Fracking verboten, Polen dagegen hofft, damit unab-hängig von russischen Importen zu werden. In Deutschland wird bereits sogenanntes tight Gas, das in höher liegenden Schichten gebunden ist, sowie Kohleflözgas mittels Fracking gefördert. Das schiefer-gas in deutschem Boden könnte den deutschen Gas-bedarf rund zwölf Jahre lang decken. Die Politik ringt noch um mögliche Verbote oder Umweltauflagen.

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Tight Gas konventionelles Gas

Grundwasser

undurchlässige Geeins-schicht

Tran�ort und Entsorgung

Altbohrung

natürliche Störung

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Schiefergas

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mehrere 1000 Meter

gashaltiges Geein

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Abbaumethode mit Risiken — Wie Fracking funktioniert und welche Folgen für die Umwelt drohen

Fracking in der Schweiz

Die Erschliessung von Bodenschät-zen, also auch von Erdgas, ist in der Schweiz Sache der Kantone. Drei bisher — Waadt, Freiburg und Genf — haben Fracking bis auf Weiteres verboten, im Kanton Bern will die Grüne Partei eine Initiative gegen die Förderung von nicht konventionellen fossilen Ressourcen lancieren. Auch auf Bundesebene hat der nationalrat den Bundesrat dazu aufgefordert, die rechtlichen Grundlagen für ein Verbot zu prüfen. Konzessionen für die Suche nach Erdgas haben zur-zeit sechs Firmen/Konsortien; sie decken fast das gesamte Mittelland und den Jura ab. Probebohrungen gab es bisher allerdings erst in no-ville (Waadt). Gefrackt wurde noch nie, konventionell gefördert erst einmal: In den Jahren 1985—1994 holte man in Finsterwald lU 73 Milli-onen Kubikmeter Gas aus dem Bo-den. Der Verbrauch des landes liegt bei jährlich rund 3500 Millionen Ku-bikmeter. Wie viel förderbares Erd-gas in Schweizer tiefen liegt, ist völlig unklar; die höchsten Schät-zungen liegen bei 200 Milliarden Kubikmeter, was für 60 Jahre reichen würde. Zwei Firmen/Konsortien pla-nen in nächster Zeit Probebohrun-gen. Celtique Energie will in neuen-burg zu vermuteten konventionellen Vorkommen in 2300 Meter tiefe gelangen, stösst aber auf den Wider-stand des Collectif Citoyens, wel-ches mit der Greenpeace-Regional-gruppe neuenburg mehr als 10 000 Protestunterschriften gesammelt und im September dem Grossrat übergeben hat. Fracking als Option sieht die SEAG/PEOS, die in der Zürcher Gemeinde humlikon Gas in einer tiefe von 3500 Metern ab-bauen will. Der Standort ist proble-matisch, weil er nahe bei einem von der nagra in Betracht gezogenen Endlager für radioaktive Abfälle liegt. SEAG/PEOS zieht auch fünf weitere, noch nicht öffentlich ge-nannte Bohrstellen in Betracht.

Mögliche Risiken

A Frac-Flüssigkeit dringt durch lecks in der Zementeinfassung des Bohrlochs ins Grundwasser.B Frac-Flüssigkeit fliesst über Altbohrungen für frühere Erkun-dungen und nutzungen ins Grund-wasser.C Schadstoffe werden bei trans-port und lagerung von Frac-Flüs-sigkeiten oder der Entsorgung des «Flowback» frei.D Schadstoffe steigen durchnatürliche geologische Störungen empor und gelangen ins Grund-wasser.

1 Unter hohem Druck wird Wasser, angereichert mit einem Chemie cocktail und Quarzsand, ins gashaltige Gestein gepresst. Es bilden sich Risse.2 nach dem Abpumpen halten die Sandkörner die Risse offen. Gas strömt in die leitung.

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JunG im lebenSie stehen mitten im Leben

und haben bereits testamentarisch vorgesorgt.

Greenpeace: Sie sind jung. Was war Ihre Motivation jetzt schon vorzusorgen?

Barbara Martens (BM): ich hatte bereits mit 24 jahren mein erstes Testament geschrieben. mein mann und ich waren damals beide noch im Studium, wollten uns aber gegenseitig finan-ziell absichern und bedenken. ich stamme aus einer Familie, in der Vorsorge und Geldein-teilung wichtig waren. heute bin ich Single und habe ein neues Testament. ich habe im privaten wie im geschäftlichen Kontext oft erlebt, wie schnell das Schicksal zuschlagen kann. Deshalb ist es mir wichtig, nebst einem Testament auch eine Patientenverfügung und einen Vorsorge-auftrag* zu haben. Damit kann ich sicherstellen, dass meine Wünsche – unter anderem, was mit mir, aber auch was mit meinen beiden Katzen passieren soll – umgesetzt werden.

Gabriele Feigl (GF): ich bin zwar noch jung, aber auch nicht mehr ganz jung. Zudem bin ich beruflich (und zunehmend auch privat) damit konfrontiert, dass leben und Sterben weniger berechenbar sind, als sich das viele menschen wünschen. So habe ich meinen nach-lass bereits jetzt geregelt, um den hinterblie-benen allzu viel Admini s tra tion nach meinem Ableben zu ersparen.

Eugen Liengme (EL): jung ist vorbei, aber danke. Das Schreiben eines letzten Willens ist der Wunsch, anderen nach dem Tod etwas auf bestimmte Art weitergeben zu wollen. Für mich war das schon sehr lange klar. Endlich habe ich mich hingesetzt. jetzt muss ich das nicht mehr vor mir her schieben und kann mich auf diesseitige Ziele konzentrieren.Welches Erlebnis im Leben, welches Motiv hat dazu geführt, dass Sie entschieden haben, auch Greenpeace zu bedenken?

BM: mir sind die Themen Tier- und naturschutz und das Wohl der Kinder sowie von benach teiligten grundsätzlich wichtig. Für Greenpeace habe ich mich entschieden, weil mich die Zivilcourage und der zivile ungehorsam beeindrucken, weil das zu meinem Wesen passt.

EL: Greenpeace (und andere nGos) haben ein umweltbewusstsein manifestiert und dabei sichtbar gemacht, wie der mensch mit seiner umgebung verbunden ist bzw. wie er sich von seiner natürlichen umgebung entkoppelt hat. Greenpeace (und anderen) gelingt es immer wieder, missstände zu korrigieren, ungleichge-wichte aufzuheben und als David gegen Goli-ath Tier, mensch und natur zu schützen. Viel wichtiger noch ist die Tatsache, dass so eine Art greifbare zeitgenössische naturmythologie oder ein mensch-natur-bezug entsteht, den so viele von uns vermissen. Greenpeace hat mich ein leben lang begleitet und ist für mich eines der wichtigsten Ereignisse der letzten 50 jahre.Was wünschen Sie sich von Greenpeace, wenn Ihr Testament eines Tages vollstreckt wird?

BM: ich weiss nicht, welche umweltpro-bleme uns in den nächsten jahrzehnten erwarten. ich überlasse es Greenpeace und den Verant wortlichen zu diesem Zeitpunkt, mein legat nach Aktualität und Priorität einzusetzen.

GF: Von Greenpeace wünsche ich mir, dass die Energie aller dort beschäftigten noch lange, lange anhält für die umweltschutzstrategien,

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GBarbara Martens, 56 Jahre,

Chemikerin und Arbeitshygienikerin, Beratung für KatzenhalterInnen (www.katzensofa.ch)

«Mir sind die Themen Tier- und Naturschutz und das Wohl der Kinder sowie von Benachteiligten

grundsätzlich wichtig.»

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welche die organisation erarbeitet. und ich hoffe, dass ich mit meiner Zuwendung einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass sich dieses Enga-gement weiter entfalten kann.

EL: ich wünsche mir nichts Konkretes. ich hoffe nur, dass sich der Spirit von Greenpeace erhält und dass er auch weiterhin viele men-schen erreicht, sie inspiriert.Haben Sie sich für das Schreiben des Testaments Unterstützung geholt?

BM: Die unterstützung und die Anleitung stammen von meiner Patientenverfügung. Dort stand genau, wie ich mein Testament formul-ieren und wo ich es hinterlegen soll. Der Anwalt einer der bedachten organisationen, die auch eine Pflicht in bezug auf meine Katzen über-nimmt, hat im Anschluss mein Testament über-prüft. Am Anfang hatte ich mein Testament bei einer Grossbank hinterlegt, jetzt ist es gut und sicher auf der Gemeinde aufgehoben.

GF: meinen nachlass habe ich allein geregelt – meiner meinung nach sollte in diesen letzten Dingen allein entschieden werden, denn mit der bilanz meines lebens werde ich irgendwann auch ganz für mich allein Abschied nehmen müssen.

EL: Das Schreiben eines letzten Willens ist eine private Angelegenheit. Für den professi-onellen Rahmen des Testaments gibt es bei muriel bonnardin von Greenpeace Zürich die beste beratung.

Für die Bestellung des kostenlosen Greenpeace-testament-Ratgebers oder für eine Erstberatung wenden Sie sich bitte an [email protected] (Vermerk: Jung im leben), direkte telefon-nummer 044 447 41 79.

* Der Vorsorgeauftrag ermöglicht einer hand-lungsfähigen Person die Gestaltung der eigenen Angelegenheiten für den Fall der zukünftigen urteilsunfähigkeit. Der Vorsorgeauftrag wird wie das Testament von hand geschrieben und hinterlegt.

Eugen Liengme, 52, Künstler, liengmekunst.ch

«Ich hoffe, dass sich der Spirit von Greenpeace erhält und dass er weiterhin viele

Menschen inspiriert.»

Gabriele Feigl, 52, Ärztin für Psychiatrie undTeilzeitälplerin mit einem Faible für Hornvieh,

setzt sich für den Kuhgnadenhof in Nidwalden ein.

«Ich hoffe, dass ich mit meiner Zuwendung an Greenpeace in einem erweiterten Rahmen zum

Schutz unserer Umwelt beitragen kann.»

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noch streifen tiger durch die Urwälder Indonesiens. Doch diese werden in atemberaubendem tempo zerstört. Soll der Sumatra- tiger überleben, muss der Raubbau sofort gestoppt werden.

Von Verena Ahne

indonesien ist die traurige nummer eins. Schnel-ler als jeder andere Staat der Erde vernichtet das land seine Wälder. bereits die hälfte der co2-Speicher, der dichten Dschungel und der seltenen Torfmoorwälder, hat der inselstaat am Äquator binnen weniger jahre umgehackt oder, noch schlimmer, abgefackelt. Vom Weltraum aus sind alljährlich zur Trockenzeit gigantische Rauch-schwaden zu sehen, die über Südostasien ziehen: beissender Qualm, der Anrainerstaaten wie Singapur protestieren lässt und indonesien neben den uSA und china zum drittgrössten co2- Produzenten gemacht hat. Das hat vor allem einen Zweck: Platz zu schaffen für immer noch mehr Palmölplantagen.

Die rabiate Vernichtung ist nicht nur eine Klimakatastrophe. mit jeder Ölpalme geht auch lebensraum verloren, endgültig und unwieder-bringlich. Wald, in dem Elefanten leben und nas-hörner, orang-utans und Tausende anderer Arten, die vielleicht weniger bekannt, aber des-halb nicht weniger schützenswert sind. Wald, der das Reich ist von Raja harimau macan*, dem Tiger und König des Dschungels.

Der Sumatra-Tiger hat sich in den besonders dichten Wäldern der insel über die jahrtausende

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zur kleinsten aller Tigerarten entwickelt. Die letzte Grosskatze indonesiens ist nur etwa halb so gross wie die Tiere auf dem Festland. ihre brüder und Schwestern auf bali und java wurden im letzten jahrhundert ausgerottet: der bali-Tiger 1937, der java-Tiger erst vor Kurzem, Anfang der 1980er jahre.

König harimau droht das gleiche Schicksal. Zwar gibt es inzwischen 231 Tigerschutzgebiete auf Sumatra. Doch was nach viel klingt, gibt oft nicht viel her für einen echten Artenschutz. Denn drei Viertel dieser Zonen sind kleiner als 300 Quadratkilometer. Wer weiss, dass die einzelgängerischen Tiere Reviere zwischen 70 und 116 Quadratkilometern durchstreifen, kann sich leicht ausrechnen, dass in derart kleinen Zonen ein Überleben nicht möglich ist.

Aber auch in den wenigen grossen Gebie-ten ist die Art in bedrängnis. Zwar hat indo-nesiens Präsident Susilo bambang yudhoyono im mai ein Rodungsmoratorium erneuert. Doch davon sind bereits erteilte lizenzen aus-genommen – das muntere bäumefällen geht also weiter. Zudem ist die hauptnahrung der Raubkatzen – hirsche, Tapire oder Wildschwei-ne – heillos überjagt. Eingezwängt und vom hunger getrieben, greifen die Sumatra-Tiger deshalb immer öfter menschen an, die wieder-um den Abschuss verlangen.

hinzu kommt die illegale jagd auf die be-drohten Tiere. Auf dem Schwarzmarkt bringt das breit gestreifte Fell des Sumatra-Tigers Rie-sensummen – und einige Körperteile noch mehr, die für «medizinische» Zwecke verwendet werden: Zähne und Klauen, Knochen und Au-gen, sein Fett gegen Rheuma, das feine nasenle-der als Wundauflage, der Penis als Aphrodisia-kum … Seit 1998, vermeldeten die indonesischen behörden 2009, wurden mindestens 60 Gross-katzen getötet – eine Katastrophe bei rund 400 Tieren, die noch übrig sind. manche schät-zen, dass gar nur noch 250 Sumatra-Tiger in freier Wildbahn leben und weitere 360 in Zoos.Schlimmer bestellt ist es nur noch um das Su-matra-nashorn, dessen weit verstreuter bestand – optimistisch geschätzt – bei 200 liegt.

um sie zu retten, zählt also jede minute. Die Rodungen müssen unverzüglich vollständig gestoppt, die verbliebenen Waldgebiete streng geschützt werden. illegalen holzeinschlag und Wilderei gilt es zu unterbinden. Vor allem aber sind wir gefragt, die wir die hauptschuld tragen

an all der not: Kein Palmöl mehr für unsere Tanks! nur nachhaltig produziertes, streng kontrolliertes Palmöl für Kosmetika und nah-rungsmittel! Kein Papier aus tropischen Regionen! Sonst, und bis dahin fehlt wirklich nicht mehr viel, könnte Raja harimau macan bald der letzte Dschungelkönig auf Sumatra gewesen sein.

* «Raja» ist in indonesien und in indien die traditionelle bezeichnung für «König». Die Wörter «harimau» und «macan» bedeuten auf indonesisch «Tiger».

tiger-lebensraum Bewaldeter tiger-lebensraum 2011 Entwaldung 2009—2011 Konzessionen für Zellstoff, Palmöl,

Bergbauindustrie, holzeinschlag

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Schweizer Solarbox gehört zum festen Inventar auf

der Rainbow Warrior Als die neue Rainbow Warrior III im herbst 2012 (unser Frühling) der Küste von Brasilien entlang segelte, war auch Retze Koen von Jugendsolar mit an Bord. Die KollegInnen von Greenpeace Brasil hatten mit Unterstützung aus der Schweiz eine Solarküche eingerichtet, die in jeder hafenstadt beim Schiff aufgestellt wurde und BesucherIn-nen die Wartezeit vor der Schiffsbesichtigung versüsste. Die Bevölkerung und die Presse rea-gierten begeistert auf die Solarküche. Popcorn, gebackene Eier, Kaffee — alles war in Sekunden weg. Danach kam die Idee auf, permanent eine Solarbox mit einer Küche an Bord der Rainbow Warrior III mitzuführen: Immer wenn das Schiff ein land besucht, in dem eine relevante Kampagne stattfindet, kommt die Solarküche zum Einsatz. Das Potenzial für die nutzung von Sonnenenergie in Brasilien ist riesig. nachdem das Greenpeace-Büro in São Paulo im vergangenen Juni einen Be-richt dazu veröffentlicht hat, wollen wir erreichen, dass die Sonnenenergie zum festen Bestandteil einer nachhaltigen Energieversorgung wird.

Public Eye: Der scharfe Blick auf Umweltsünder unter den

Grossunternehmen

Machen Sie mit bei der Public-Eye-Abstimmung, welches Unternehmen in diesem Jahr das frag-würdigste Verhalten an den tag legte. Gemeldet wurden dieses Jahr folgende Firmen: Bayer, Syn-genta und BASF (Einsatz gefährlicher Pestizide); Eskom holdings Südafrika (Umweltbelastung durch fossile Brennstoffe); FIFA (Korruptionsvor-würfe); Gap Inc. (Behinderung von Massnahmen zur Arbeitssicherheit); Glencore Xstrata (Umwelt-zerstörung); hSBC (Investitionen, die Menschen-rechtsverletzungen mit sich ziehen); Marine har-vest (Arbeitsrechtsverletzungen) und Gazprom (geplante Bohrungen in der Arktis). www.publi-ceye.ch.

neue Website / Who is WhoDie neue Public-Eye-Website soll helfen, Verlet-zungen von Menschenrechten und Umweltzer-störung durch Firmen zu verdeutlichen. Bekannt gemacht werden sollen Fälle, in denen Firmen ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben, aber auch Erfolge, die gegen fragwürdige Firmen erzielt wurden. Public Eye soll für Bürgerrechtsorganisa-tionen zur wichtigsten Plattform werden, auf der internationale Unterstützung für Kampagnen mo-bilisiert werden kann. Zudem sollen Firmenverant-wortliche abgebildet werden, denn jedes schmut-zige Geschäft wird von jemandem autorisiert. Auch engagierte Menschen und Organisationen sollen auf der neuen Website ein Gesicht erhalten.

neue Mitglieder in der JuryMit Yoke ling Chee aus Malaysia und Vandana Shiva aus Indien sind zwei ausgewiesene Aktivis-tinnen in die Jury von Public Eye gekommen. Diese emanzipiert sich zunehmends von den trägeror-ganisationen. Die wirtschafts-ethischen Ausei-nandersetzungen werden durch die Akademiker Ulrich thielemann (Berlin), Klaus Peter Rippe (Uni-versität Karlsruhe) und Guido Palazzo (Universität lausanne) geführt.Yoke ling Chee ist Direktorin des third World net-work. Als Expertin in Umwelt- und Entwicklungs-fragen spezialisiert sie sich auf negative Konse-quenzen des Welthandels, speziell für länder des Südens, deren Situation sie in Regierungs- und nichtregierungsgremien vertritt.

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Die Physikerin Vandana Shiva setzt sich für Biodi-versität und gegen «Biopiraterie» (Patentieren von indigenem Wissen) und die Ausbeutung geneti-scher Vielfalt durch multinationale Konzerne ein. Sie zählt zu den einflussreichsten Sprecherinnen über Ernährungssicherheit und -zugang.

teilnehmer der Public-Eye-Award-Presse-konferenz 2014 in Davos:

tomáš SedláčekMit tomas Sedlacek kommt im Januar 2014 ein kri-tischer Ökonom nach Davos. Der Chefökonom der grössten tschechischen Bank, ein Mitglied des nationalen Wirtschaftsrats in Prag, war Berater unter Präsident Vàcláv havel. In seinem Buch «Die Ökonomie von Gut und Böse» zeigt er Dogmen auf, die sich als fatal erwiesen haben. Dennoch denken die WEF-teilnehmer nicht um. So obliegt es Initiativen wie Public Eye, die Ökonomisierung des Bösen aufzuzeigen.

Subventionsverbot: historische niederlage für die

AtomlobbyGreenpeace begrüsst die Entscheidung der Eu-ropäischen Kommission, ihre Pläne zur Erleichte-rung von nationalen Subventionen für die Atom-kraft fallen zu lassen. «Das ist eine historische niederlage für die Atomlobby und eine Bankrott-erklärung der Atomenergie in Europa. Ohne Sub-ventionen durch die Steuerzahler ist die Atomkraft nicht wettbewerbs- und nicht überlebensfähig. Die Entscheidung der EU-Kommission ist ein erster Schritt in Richtung eines atomstromfreien Europa», ist ist Central East Europe (CEE) Green-peace Geschäftsführer Alexander Egit überzeugt. laut EU-Verträgen gilt nun ein Subventionsverbot. nur bei gemeinsamem Interesse der Union darf wie bisher über Ausnahmen entschieden werden. Die Anti-Atom-Allianz, angeführt von Dänemark, Deutschland und Österreich, soll das Prinzip der technologieneutralität in der EU-Energiestrategie für das Jahr 2030 verhindern. Greenpeace hat ei-nen wichtigen Etappensieg erzielt, doch jetzt ver-sucht die Atomlobby, für die angeblich CO2-arme Atomtechnologie Chancengleichheit mit erneu-erbaren Energien herzustellen.

Wo FSC draufsteht,soll künftig wieder FSC

drin seinDer Forest Stewardship Council (FSC) ist ein Zerti-fizierungssystem, das eine sozial verträgliche und umweltgerechte Waldbewirtschaftung gewähr-leisten soll. Das FSC-label hilft Konsumenten, holzprodukte aus gut bewirtschafteten Wäldern zu erkennen. Greenpeace war bei der Gründung des labels vor 20 Jahren dabei und ist heute noch Mitglied. Allerdings sind wir besorgt über die wachsende Zahl von FSC-Zertifikaten, die trotz fragwürdiger Geschäftspraktiken sowie schwa-cher Richtlinien und Standards vergeben werden — gerade in den grossen Expansionsländern wie Kanada und Russland, aber auch in tropenregi-onen wie dem Kongobecken oder im Amazonas-gebiet. Besonders das FSC-System «Controlled Wood», das auf Produkten mit «FSC Mix» gekenn-zeichnet wird, bereitet Sorge, weil unzertifiziertes holz vermischt oder verbunden mit zertifizier-tem holz als FSC bezeichnet wird. Greenpeace versucht die internationale FSC-Gemeinschaft zum handeln zu bewegen — unter anderem mit FSC-Klagen, nachforschungen und Fallstudien aus Regionen, wo Urwälder mit dem Segen des FSC-labels abgeholzt werden. Wir fordern trans-parenz sowie eine konsequente Umsetzung und Kontrolle des FSC-Standards. Zertifizierungsfir-men müssen zum Einhalten der FSC-Standards gezwungen werden. Unter dem FSC-label dürfen keine Rechte von indigenen und lokalen Wald-völkern verletzt werden, deren lebensgrundlage von der Waldbewirtschaftung beeinträchtigt wird. Schweizer Konsumenten raten wir, Produkte aus lokalem holz zu wählen.

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lehrplan 21: Schulbesuch.ch stellt sich

herausforderungen der Zukunft

Weniger Abfall, weniger CO2, weniger Fleisch und Fisch, weniger Ölverbrauch, weniger neue han-dys und Finger weg von der Arktis! Mehr Klima-schutz, mehr nachhaltigkeit, mehr Urwald stehen lassen und Freiheit für unsere Aktivisten! Wo sol-len welche Akzente gesetzt werden und wie? Wel-ches ist die bessere Massnahme auf dem Weg zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung BnE. Und was ist das? BnE soll die Entwicklung nach-haltig gestalten, die Zukunft sichern, unseren Kin-dern beibringen, dass sie nicht mehr nehmen, als nachwächst, dass sie die Erde im Auge behalten und sich nicht so verhalten, als gäbe es noch viele davon im Multipack.Was mit dem lehrplan 21 in die Schulstuben kom-men wird, etabliert sich auch bei Schulbesuch.ch. Die BnE kommt bestimmt — wie viel sie verändern kann, ist ungewiss. Bildung für nachhaltige Ent-wicklung soll in den bestehenden Fächerkanon integriert werden. Fachübergreifende themen wie Demokratie, Menschenrechte, Gleichstellung, Gesundheit, Frieden, kulturelle Identität, Umwelt und Ressourcen werden angesprochen. lehrper-sonen sollen Bezüge zu globalen Fragen herstel-len und nach handlungsspielräumen für die Klas-se und sich selber suchen. Der neue lehrplan ist ein schriftliches Dokument. Er muss mit herzblut und Engagement gefüllt werden, sonst schmilzt das Eis weiterhin!Gemäss der neuen Studie des Marktforschungs-institutes Gfk im Auftrag der Bildungskoalition nGO, wollen Jugendliche ein Mitspracherecht in Bildungsfragen. Auch wollen sie mehr Wissen über Energie- und Umweltthemen, sowie Men-schenrechts- Konsum- und Gesundheitsfragen. nGO s wie Greenpeace können hier aktiv mithel-fen. Schulbesuch.ch berät Sie gerne. www.schul-besuch.ch, www.education21.chwww.bildungskoalition.ch

Japanische Regierung gaukelt Menschen

um Fukushima Sicherheit vor

Eine internationale Strahlenschutzgrup-pe von Greenpeace hat während 5 tagen Messungen in verstrahlten Gegenden rund um Fukuhima durchgeführt. Sie haben festgestellt, dass noch lange keine norma-lität einkehren wird und eine Rückkehr der Menschen bleibt trotz einiger Dekontaminie-rungen des Staates gefährlich.

Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz war bei den Messungen dabei und berichtet:

«Die Region tamura liegt rund 20 Kilometer west-lich des havarierten AKWs Fukushima, eingebettet in eine anmutig wirkende landschaft. Die Ruhe und Schönheit der natur sind aber nur vordergründig. hier sollte man lieber nicht halt machen: Die Ge-gend ist belastet mit dem radioaktiven Isotop Cäsi-um 137 aus dem Atom-Super-GAU. Im Umkreis von 20 Kilometern um das AKW wurde die Bevölkerungevakuiert.Wir, das sind 15 Mitarbeitende von Greenpeace messen mit unseren Geräten die Radioaktivi-tät in der Region. Als «Strahlenschutzgruppe» wurden wir geschult, uns in einem verstrahlten Umfeld bewegen und die Risiken dokumentieren zu können. In tamura machen wir keinen Schritt ohne Messgeräte, Geigerzähler und Dosimeter. Ohne diese Geräte wäre die Radioaktivität nicht nachweisbar.Die Region gehört zu den ersten, die ein umfang-reiches Dekontaminationsprogramm erlebten. Die Menschen, die nach der Katastrophe evaku-iert wurden, werden jetzt behördlich zur Rück-kehr und zur Wiederaufnahme eines normalen

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lebens aufgefordert. Mit unserem Einsatz wollen wir feststellen, ob die Bevölkerung gefahrlos zu-rückkehren kann.Die Dekontamination einer Region wie tamura ist schwierig. Cäsium kann nicht vernichtet werden, also kommt nur die Verlagerung des Isotops an einen Ort in Frage, wo es die Bevölkerung nicht direkt belastet. Die obere Erdschicht wird abgetra-gen, Gras und Äste werden geschnitten, betonierte Flächen mit einem hochdruckwasserstrahl behan-delt: eine gigantische Aufgabe. Zehntausende Sä-cke mit verstrahltem Material füllen lagerungs-stellen in der Gegend. Irgendwann sollen sie in ein lager für radioaktive Abfälle überführt werden. Die möglichen Zielgemeinden für den Bau solcher la-ger wehren sich vehement gegen die Absichten der Regierung.Es ist unmöglich, eine ganze Region wie tamu-ra zu dekontaminieren — das bestätigen unsere Messungen. Es wurden vor allem Zonen rund um Wohngebiete und öffentliche Gebäude gereinigt. In einigem Abstand davon zeigen unsere Geräte eine steigende Strahlenbelastung an. Die Behörden for-dern von der Bevölkerung eine harte Entscheidung:Entweder auf ein paar dekontaminierte Inseln in ei-

nem radioaktiv verseuchten Umfeld zurückkehrenoder Abschied nehmen von hab und Gut und sich woanders ohne jegliche hilfe eine neue Existenz aufbauen. Die Regierung hat angekündigt, dass die finanzielle hilfe für Evakuierte gestoppt wird, wenn ihre Grundstücke dekontaminiert wurden. Greenpeace findet, sie schaffe dadurch eine inak-zeptable Zwangslage.Japans Regierung hat handfeste politische Gründefür ihre haltung. Premierminister Shinzo Abe ist auch nach dem Super-GAU noch ein nukleokrat. Er setzt alles daran, eine erfolgreiche Bewältigungder atomaren Katastrophe vorzutäuschen. In Wahr-heit sickert auf dem Gelände des AKWs hochradio-aktives Wasser in den Ozean und ins Grundwasser. Die normalität liegt in weiter Ferne.»

Die japanische Regierung arbeitet derzeit mit hochdruck daran, Gebiete zu reinigen: in schwarzen Säcken verpackt liegt radioaktiv belastetes Material am Strassenrand — eine Entsorgungsmöglichkeit gibt es bisher nicht.

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Früher

heute

Update

bündner verhindern beteiligung

an KohlekraftwerkProjekt in Saline Joniche (I) wird

nicht weiterverfolgt

Das bündner Volk will die Ener-giewende. Das zeigte die Annah-me der kantonalen Volksinitiative «ja zu sauberem Strom ohne Koh-lekraft» am 22. September 2013 klar. Die initiative wurde von be-sorgten bündnerinnen und bünd-nern lanciert. Sie verlangt, was eigentlich selbstverständlich ist:– unternehmen mit beteiligung des Kantons investieren nicht in Kohlekraftwerke. Der Kanton setzt sich dafür ein, dass Repower das Projekt für ein Kohlekraftwerk im italienischen Saline joniche nicht weiterverfolgt.– Der Kanton und seine betriebe sollen in saubere und sichere Energien und damit in den Werk-platz Graubünden investieren.– Die Annahme der initiative ist ein starkes Zeichen für die Ener-giewende und den Klimaschutz.

Die bündner Regierung und der Grosse Rat sind nun in der Pflicht, alle politischen und juristi-schen möglichkeiten zu nutzen, damit keine Kantonsgelder in Koh-lekraftwerke fliessen. Die Regie-rung muss dem Grossen Rat innert jahresfrist einen Verfas-sungsartikel zur initiative vorlegen. Das Volk wird dann erneut über die Kohle-Frage entscheiden, vor-aussichtlich im jahr 2015. Die initianten werden darauf achten, dass der Volkswille in der Gesetz-gebung umgesetzt wird. Repower muss zudem das Kohlekraftpro-jekt in Saline joniche aufgeben und sofort einen geordneten Aus-stieg einleiten.

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Klima

ozonscHilD wirD wieDer DicHTer

«Das montreal-Protokoll zeigt Wirkung», sagt der chemiker mario molina, der mit dem Deutschen Paul crutzen 1995 den nobelpreis für chemie erhielt. Die beiden hatten die Wirkung fluorierter chlor kohlenwasserstoffe (cFc) auf die Atmosphäre erforscht. Seit den späten neunzigern werden keine cFc mehr produziert, die heutigen Sprays sind keine Gefahr mehr für die umwelt. jetzt nimmt die Konzentration der ozonkiller in der Atmosphäre allmählich ab. «Dies ist das erste globale umweltpro-blem, das die Weltgemeinschaft gelöst hat», so molina. Es wird aber bis 2050 dauern, ehe der ozon-schild wieder so dicht ist wie früher.Quelle: national Geographicwww.nationalgeographic.de/aktuelles/meldungen/ das-ozonloch-schrumpft

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Protestaktion

lärmschutz für Wale, Delphine und co.

Vor der Küste in Kroatien werden Druckluftkanonen für die Suche nach Öl und Gas eingesetzt. Der extreme lärm der Kanonen bringt Wale und Delphine in lebensge-fahr. oceancare und nRDc (natu-ral Resources Defense council) lancieren jetzt eine Protestaktion. oceancare kämpft seit 1989 für die bedrohten Tiere und erhielt 2011 von der uno den un-Sonderbera-terstatus. unter der Führung der organisation begann 2013 die welt-weite online-Kampagne «Silent oceans» zum Schutz der meeres-tiere vor unterwasserlärm (www.oceancare.org, www.silentoceans.org). Der nRDc ist eine grosse amerikanische naturschutzorgani-sation, deren Wissenschaftler, juristen und umweltexperten sich dem Schutz der Volksgesundheit und der umwelt verschrieben haben. Sie hat 1,3 millionen mit-glieder und netzaktivisten, die an Themen wie Energie, dem Schutz wilder Tiere und dem Schutz der ozeane arbeiten. Seit zwei jahr-zehnten bemüht sich der nDRc an vorderster Front in internationalen Foren wie der international mari-time organization und der bonner Konvention um die Erhaltung wild lebender Tierarten durch eine Reduktion der lärmbelastung in den ozeanen. www.nrdc.orgProtestmails an die kroatische Regierung können unter www.silentoceans.org abgeschickt werden.

Solarenergie

ikea investiert in Solaranlagen

ikea-Solaranlagen für ein briti-sches Pilotprojekt sollen von der chinesischen hanergy-Gruppe hergestellt werden und für umge-rechnet rund 8300 Schweizer Franken zu haben sein. Zum Anla-gepaket gehören beratung, Aufbau und Wartungsarbeiten. laut ikea soll sich die investition in eine Anlage für einen britischen Durch-schnittshaushalt nach sieben jah-ren auszahlen. Die Aktion wird damit begründet, dass ikea-Kun-den künftig nachhaltiger leben möchten und der Konzern darauf reagieren wolle. Der möbelriese will zudem bis 2020 nur noch Strom verbrauchen, den er selbst aus erneuerbaren Energien produ-ziert. Das unternehmen erwarb bereits einen Windpark in irland und investiert milliarden in Wind- und Solarenergie-Programme. Verkaufen sich die Solaranlagen im britischen Pilotprojekt, könnten sie vielleicht auch bald in Schwei-zer ikea-läden zu haben sein.

Forschung

hocheffizientenanodraht-Solar-

zellenForscher der ETh lausanne bün-deln Sonnenlicht mit hauch-dünnem nanodraht. Ein einziger Draht kann das Sonnenlicht wie eine winzige lupe bündeln und so die nutzbare Sonnenenergie ver-vielfachen. Damit könnten höchst effiziente nanodraht-Solarzellen bald Realität werden.

nanodrähte sind metall- oder halbleiterkristalle mit dem Durch-messer eines Zehntausendstels eines menschlichen haars. Dem

internationalen Team um Anna Fontcuberta i morral von der ETh lausanne ist es gelungen, mit einem nanodraht aus Galliumar-senid das Sonnenlicht auf seine 15-fache intensität zu bündeln.bislang gingen Physiker davon aus, dass die Effizienz von Solar-zellen wegen physikalischer Gesetze nicht über die sogenannte Shockley-Queisser-Grenze* steigen könne. «Wir setzen diese Grenze jetzt hinauf, und sei es auch nur um ein paar Prozente», meldet die Westschweizer ETh. Dies öffne neue Wege zur Ent-wicklung von nanodraht-Solarzel-len, die potenziell sehr effizient und flexibel sein könnten.* Die Schockley-Queisser-Grenze beschreibt die begrenzungdes Wirkungsgrads von Solarzellen.

Buchtipp

mit der natur redenMichael Roads

über das verborgene Wissen der Schöpfung

michael Roads eröffnet seinen leserinnen eine neue Erlebnisdi-mension: in Form eines Tagebuchs erzählt er aus eigener Erfahrung, wie es möglich ist, mit der inners-ten Essenz von bäumen, Tieren, Flüssen und Steinen zu kommuni-zieren und Einblicke in die Weisheit der natur zu gewinnen.Aus dem Amerikanischen von Waltraud Ferrari. heyne Verlag, taschenbuch, Broschur, 208 Seiten, ChF 10.50 ISBn: 978-3-453-70048-2

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Forschung

Fliegenlarven für Zuchtfische

FiBL und Coop suchen nach Alternativen

für die Bioaquakultur

Damit Aquakultur nachhaltig ist, darf die Fütterung der Zuchtfische weder zur Überfischung noch zur minderung menschlicher nah-rungsmittel beitragen. Das For-schungsinstitut für biologischen landbau Fibl und coop haben in einem Projekt eine Alternative entwickelt und erfolgreich getestet: eiweissreiches mehl aus den larven einer Fliegenart. Die euro-paweite Zulassung des insekten-mehls ist auf gutem Weg, unter-stützt wird die Arbeit durch coop. untersuchungsobjekt war die larve der Soldatenfliege (hermetia illucens). Deren letztes larvenstadium scheint geeignet für die Fischfütterung. Die Verfüt-terung von lebensmittelresten an die Fliegenlarven hilft überdies, wertvolle inhaltsstoffe sinnvoll zu nutzen. in einem umfangrei-chen Versuch wurden massenpro-duktion, Verarbeitungstechniken, Produkteigenschaften und Wirt-schaftlichkeit des insektenmehls untersucht. Die Resultate sind gut. Das vom industriepartner hofmann nutrition in bützberg hergestellte hochleistungsfischfut-ter mit hermetiamehl erwies sich in einem achtwöchigen Versuch in der biofischzucht new Valfish im Wallis als ebenbürtig mit herköm-mlichem Fischfutter. Der Fibl- Projektleiter Andreas Stamer rechnet 2014 mit einer Eu-weiten Zulassung.

Buchtipp

Die natur als einfallsreiche Künstlerin

Autoren Ernst Haeckel und Olaf Breidbach

Ein genauer beobachter war er, der deutsche Zoologe, Philosoph und Freidenker Ernst haeckel (1834–1919). in seinem ersten buch, «Atlas der Radiolarien», beschrieb er 1862 unbekannte einzellige lebewesen der Tiefsee und sein zweites Werk, «Kunstformen der natur» (1904), zeigte, wie form-schön die Details unserer umwelt sein können. Der neu gestaltete band «Kunstformen der natur – Kunstformen aus dem meer» vereinigt jetzt vieles aus diesen beiden Titeln und ist ein Schmökerwerk für kulturell und an der umwelt interessierte.Prestel Verlag, gebunden, ca. 336 Seiten, ChF 35.50 ISBn: 978-3-7913-4660-1

lebensmittel

coop überzeugt mit makelhaftemcoop führt in seinem Sortiment unter dem neuen label «Ünique» Früchte und Gemüse, die optisch nicht den gewohnten Standards entsprechen, für Konsu-menten aber bekömmlich sind. Angeboten werden etwa Früchte mit hagelschäden oder Gemüse, denen launen der natur eigenwillige Formen zukommen liessen. Die Reaktion der Kundschaft ist positiv und verhindert, dass mit unwesentlichen makeln behaftete nahrungsmittel weggeworfen werden.

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Buchtipp

Der mensch und das meer

Callum Roberts über den grössten Lebensraum der Erde und warum

dieser in Gefahr ist

Die unermessliche Vielfalt des Ökosystems von ozeanen begin-nen wir erst jetzt vollends zu begreifen. im letzten jahrhundert hat jedoch die herrschaft des menschen über die natur auch die ozeane erreicht: Wir fischen sie leer und füllen sie stattdessen mit umweltgift. Tiefseebergbau droht den lebensraum unzähliger Pflanzen und Tiere zu verändern. Die Klimaerwärmung liess bereits ein Viertel aller Korallen zugrunde gehen. in seinem aufrüttelnden buch beschreibt der meeresbiologe und -schützer callum Roberts den Reichtum der ozeane und ihren Wandel, und er ruft dazu auf, der Zerstörung der meere Einhalt zu gebieten.DVA Sachbuch, gebunden, 592 Seiten, ChF 35.50ISBn: 978-3-421-04496-9

Buchtipp

Der Wald – ein nachruf

Der Förster Peter Wohlleben erklärt wie der Wald funktioniert,

warum wir ihn brauchen und wie wir ihn retten können

unberührten Wald gibt es schon lange nicht mehr.

Wohlleben berichtet von Schä-den, die holzindustrie und jäger anrichten, und darüber, dass bio-energie aus holz falsch verstande-ner Klimaschutz ist. Wohllebens jahrzehntelange Erfahrung hat ihn gelehrt, dass Wälder am bes-ten ohne mensch liche Eingriffe gedeihen. Die Freizeitindustrie und die jäger lobby, eine am Profit orientierte holz- und Forstwirt-schaft und die boomende bio-energiebranche schaden ihm nicht weniger als der saure Regen in den achtziger jahren. Wohlleben zeigt, wie es anders gehen könnte: Er bewirtschaftet in der kleinen Eifel- Gemeinde hümmel einen ökologischen Vorzeigewald, in dem er auf heimische buchen setzt, auf Pflanzenschutzmittel verzichtet und besucher für die belange der bäume sensibilisiert. Anschaulich vermittelt er Wissenswertes über das leben und Zusammen leben der bäume.ludwig Verlag, gebunden, 256 Seiten, ChF 28.50ISBn: 978-3-453-28041-0

Buchtipp

Der Atlantik biografie eines ozeans

Simon Winchesters Erzählung über ein Stück ungezähmte Natur

Der Atlantik ist Thema verblüffen-der Geschichten und Anekdoten und das eigentliche Zentrum unserer westlichen Kultur. Simon Winchesters Kultur- und natur-geschichte macht die Faszination für diesen «wildesten aller ozeane» erlebbar.

immer wieder führten Reisen den Autor kreuz und quer über den Atlantik. in seinem neuen buch breitet er seine gesammelten Schätze vor dem leser aus. Spannend und kenntnisreich er-zählt er, wie der Atlantik vor über 190 millionen jahren entstand und wie seit urzeiten die men-schen sich mit diesem meer mes-sen. Fast scheint es, als hätten sie in jüngster Zeit den Kampf ge-wonnen – doch Simon Winchester mahnt zu respektvollem umgang mit dem weiterhin unberechen-baren Riesen.Aus dem Englischen von Michael Müller. Deutsche Erstausgabe, Knaus Verlag, gebunden, mit Schutzumschlag, 528 Seiten, ChF 40.90ISBn: 978-3-8135-0431-6

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Zu gewinnen: 3 Wildbienen-nisthilfen Die bioterra-nisthilfe für ihre hauswand, balkon oder Garten, wurde in Zusammenarbeit mit Wildbee.ch optimiert und bietet optimale nistmöglichkeiten für hohlraumbewohnende Wildbienen. Senden Sie das lösungswort bis am 31. januar 2014 per E-mail an [email protected] oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. des E-mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

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Page 75: Greenpeace Switzerland Magazin 4/2013 DE

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Page 76: Greenpeace Switzerland Magazin 4/2013 DE

AZB8031 Zürich

JA zuFABI *

Abstimmung vom 9. Februar 2014Greenpeace empfiehlt:

* Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur

Motorfahrzeuge verursachen 40 Prozent unseres CO2-Ausstos ses. Die Bahn ist die umweltverträglichste Alternative. Das Schienennetz ist aber bis ins Letzte ausgereizt.Deshalb kämpft der VCS Verkehrs-Club der Schweiz mit Partnern wie Greenpeace dafür, dass der Umstieg von der Strasse auf die Schiene auf Jahre hinaus sichergestellt wird.

Stimmen Sie deshalb am 9. Februar JA zu FABI und damit JA für einen aktiven Klimaschutz.