EMOTICON

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emoticon 1 emoticon Noémi Anna Ördög

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Studienarbeit von Noemi Anna Ördög aka. Caravaggio Bonetto Technische Unversität Wien Architekturtheorie 2009.08.31

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 42. Zerstörtes Gleichgewicht 83. Funktionalismus 104. Formalismus 125. Immaterielle Kunst 166. Kybernetik 187. Im Grenzbereich zwischen Skulptur und Architektur 20 7.1. Ein Segment der Skulptur 21 7.2. Architekturmerkmale 23 7.3.ReflexionvergangenerArchitektur 24 7.4. Funktion und Nützlichkeit 25 7.5. Veränderung der Architekturmerkmale 26 7.6. Maßstab und Proportionen 26 7.7. Überschneidungen mit Nachbargattungen 278. Inhaltliche Dimension architektonischer Skulptur 28 8.1. Interaktionen mit Architektur 28 8.2. Interaktion mit Öffentlichkeit 28 8.3. Interaktionen mit Landschaft 29 8.4. Die Entmaterialisierung 309. Die fünf Topologien 32 9.1. Zeit: Topologie des Rhytmus 32 9.2. Licht: Topologie des Lichts 34 9.3. Schall: Topologie des Hörens 37 9.4. Klima: Topologie der künstlichen und natürlichen Klimaströme 40 9.5. Raum: Topologie des Raumes 4110. Emotionspsychologie 44 10.1.BehavioristischeTheorien 46 10.2.Kognitiv-physiologischeTheorien 47 10.3. Attributionale Theorien 48 10.4.EvolutionäreEmotionstheorie 4811. Nikolas Schöffer: Spaziodynamisches Theater und Geschäftszentrum 51 11.1. Das Schauspiel 5112.AufbauvonEmoticon 52 12.1. Geometrische Struktur 52 12.2. Effektor Gruppe 53 12.3. Kontroller Gruppe 5513. Raumkritische Wende 5814. Diabolus Cybernetik Art Research Team (CARP) 6015.KünstlerischeAvantgarde 62EMOTICON Bilder 64Literaturverzeichnis 80

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1. Einleitung

Literatur und bildende Künste wurden bereits in der Anti-ke als differente Medien aufgefasst, die mit unterschied-lichen Mitteln die Wirklichkeit abbilden. Dennoch kann ge-zeigt werden, dass sie bis dem 16. Jahrhundert als sich ergänzende Teile einer Einheit, einem gesunden Ganzen betrachtet wurden. Die bei Plutarch überlieferte Bemer-kung des Simonides, die Malerei sei stumme Dichtung und die Dichtung redende Malerei, zeugt darüber, dass beideKünste als verwandt angesehenwurden.Obwolhldie vonHoraz in seinerArspoeticageäußerteSentenz,ut pictura poesis: erit quae … eine deutlich schwächere Gleichstellung der Malerei mit der Dichtkunst bezeichnet; inseinerverändertenFormwurdeerzumProgrammsatzinderut-pictura-poesis-DebattevonderRenaissancebiszur Aufklärung.

Im15.Jahrhundert,amWendepunktvonchristlicherzuhumanistischerIkonographiewardieAuffassungvorherr-schend, dass Bildgebung in der Lage ist Erkenntnis zu schaffen. Erkenntnisfortschritt erziele man nicht nur durch gelehrteTextkonstrukte,sondernauchdurchBildgebung.In diesem Sinne gab es keine scharfen Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst einerseits und wissenschaftliche und künstlerische Methoden andererseits. Die bildenden Künstler arbeiteten mit wissenschaftlichen Methoden: mit Zentralperspektive und optischen Geräten. Andererseitshat Leonardo wissenschaftliche Themen mit bildnerischen und künstlerischen Mittel betrachtet, wie es seine Ana-tomiestudien und technische Konstruktionszeichnungen zeigen.

Ab dem 16. Jahrhundert trennten sich die wissenschaftli-chen und künstlerischen Verfahren. Erst im 16. Jahrhun-derthatGalileoGalilei(1564-1642)dieGrundlagendermodernen, wissenschaftlichen Methoden abgelegt. Die AufklärungbrachteeifrigewissenschaftlicheAktivitätunddementsprechend rasanten Fortschritt mit sich. Die Ver-fahrenslogikenvonWisssenschaftenundKünstenschie-nenseitdemvölligunvereinbarzusein.

Erst zu Beginn der Komputer-Zeitalter gab es erstmals

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abb1.KenKnowltonKCGardnerComputergrafik

abb2.KenKnowltonAktComputergrafik

seit dem 15. Jahrhundert eine erneute Chance zu einer sinnvollenKooperationvonWissenschaftlernundKünst-lern, als sich beide Gruppen daran interressierten, die Gestaltungslogiken der elektronischen Zeichengebung zu erforschen. In den Forschungszentren begannen Küntler, Musiker,TechnikerundWissenschaftler verstärktmitein-anderzuarbeiten. In1967wurdedieExperiments inArtandTechnology(E.A.T.)GruppealsNon-profitOrganisa-tion und Verein gegründet, um die Kollaboration zwischen Ingenieuren und Künstlern zu fördern. Der Verein wurde von den Ingeneuren Billy Klüver und Fred Waldhauereinerseits und von denKünstlernRobert Rauschenbergund Robert Whitman anderseits gegründet, nachdem sie bereits inmehrerenProjekten, vor allembei demThea-terfestival9Evenings:TheaterandEngineeringdieKolla-borationvonKünstlern,IngenieurenundIndustrieerprobthatten.

Das MOMA in New York zeigte 1968 die Ausstellung The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age kura-tiertvonPontusHultén.InderparallelenAusstellungSomeMore Beginnings presentierte das Brooklyn Museum in NewYorkeinegroßeAnzahlvon technischen,elektroni-schen und anderen medialen Projekten. Im selben Jahr wurde die Ausstellung Cybernetic Serendipity in London vondemInstituteofContemporaryArtorganisiert,dielautdem Titel kibernetische Zufallsentdeckungen zeigte.

Die Ausstellung Cybernetik Serendipity zeigte unter an-deremeinigeArbeitenvondemausUngarnstammendenKünstler, Nikolaus Schöffer. Türme waren in der Architek-turgeschichte und sind meist immernoch Symbole des wirtschaftlichen Machtes. Sein für Paris geplante, nicht verwirklichte Turm kann demgegenüber als Symbol desintellektuellen Machtes betrachtet werden, und kennzeich-netdamitdieAtmosphereder60-erJahre.

In dem Buch mit dem Titel Die kybernetische Stadt be-schreibt Schöffer seine Zukunftsvisionen. Wir sind, lautseiner Auffassung, zeugen eines revolutionären Pro-zesses, das mit der Französischen Revolution 1789 inParis begonnen hat und in dem Moment, als er das Buch geschrieben hat, noch nicht abgeschlossen wurde. Er

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projiziert die begonnene Entwicklung in die Zukunft und bestimmtdiefolgendendreiPhasenderRevolution:

‚1.RevolutionderQuantitätfürdieQualitätIn der ersten Phase fordert die große Quantität einerGruppe eine immer größereQuantität von hauptsätzlichmateriellen Gütern.

2.RevolutionderQuantitätfürdieQualitätIn der zweiten Phase fordert die große Quantität einerGruppedieimmerstärkerausgeprägteQualitätderwirk-lichen kulturellen Güter, nachdem sie auf der materiellen und halbkulturellen Ebene mehr oder weniger gesättigt ist.

3.Revolution derQualität derQuantität für dieQuantitätderQualitätIn der dritten Phase und Dank der zunehmenden Versor-gung der Gruppe mit wirklichen kulturellen Gütern fordert eine immer größere Quantität dieser Gruppe, nachdemsieeinegewisseQualitätereichthat,eineimmergrößereQuantitätderQualität‘/NicolausSchöffer/

DieRevolution läuft auf allenBereichen des Lebens abund führt letzendlich zum Sieg des Intellektes. Schöffer sagteineZeitaltervoraus,wodieMassen freierZugangzu den Informatiosquellen genießen; wo immer breitere Schichten an kulturellen Güter von hohen Qualität Teilhaben können. Er nimmt an, dass sich die Kooperation an allenGebieten des intellektuellen Lebens verstärkt.DasfolgendeZitatvomBucherleuchtetseineAnsichten:

‚Es ist unleugbar, das die Qualität bei weitem über dieQuantitätdenSiegdavontragenwird.WenndieMenscheneinmal begreifen, oder dazu gebracht werden zu begrei-fen, dass die einzige brauchbare Lösung für die Bewohner desErdballs die konstruktiveKooperation ist, dannwirddiejenigeNation,oderdiejenigeGruppevonNationen,dieimstandeistMenschenartenvonhoherQualitätzuprodu-zieren, graue Hirnmasse und wohlorganisierte mensch-liche Energie zur Verfügung zu stellen, ganz natürlich eine Vorrangige Rolle in der Leitung der Angelegenheiten erhalten, welche die gesamtheit der menschlichen Grup-

abb 3 . Nicolas Schöffer

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pierungenbetreffen‘/NikolausSchöffer/

IndenvergangenenvierzigJahrenseitderAustellungCy-bernetic Serendipity haben wir eine rasante Entwicklung der Komputertechnologie erfahren. Das Internet hat neue Wege der Kooperation eröffnet. Verschiedene soziale Netzwerke wurden ins Leben gerufen. Virtuelle Realtät ist Teil unserer Realität geworden.

Eine Katze hat im anglo-amerikanischen Sprachbereichneun,imdeutschendagegensiebenLeben.EinInternet-Anwender kann in diesem Sinne Katzen weit überlegen seinundinverschiedenenNetzwerkenmehrereIdentitä-tenvortäuschen.DertechnischeFortschritthatsichviel-leichtschnellervollgezogen,alsessichSchöfferdamalsvorgestellt hat, aber es ist doch fraglich ob wir seinenTräumen näher gekommen sind.

SecondLifeisteinederbeliebtestenvirtuellenWelten.Esscheint zwar einUnterhaltungsmedium zu sein, ist abereinAbbildderWiklichkeit.DasKonsumregeltdievirtuelleWelt genauso, wie sie unser tägliches Leben durchdrängt. Es gibt doch kleine interdisziplinäre Gruppen, die dort die zweiteodersogardiedrittePhaseSchöffersRevolutions-theorievollziehenundsichstattvirtuell-materiellenGüterechtes intellektuelles Reichtum aus der virtuellen Weltschöpfen. Es gibt ein lebhaftes Kunstszenario in Second Life.

Diabolus Art Space ist eine der erfolgreichsten Gruppen. Musiker,Künstler,WissenschaftlerundTechnikervon je-dem Alter arbeiten zusammen und haben schon mehrere großangelegteProjekteverwirklicht. IcharbeiteseitzweiJahren mit der Gruppe zusammen.

Als ichSchöfersBuchgelesenhabe,hatseineIdeevoneinem Spaziodynamischen Theater meine Interesse fest-gehalten. Ich habe entschlossen, diese Gedanke weiter-zuführen.Eswarvorallemdeswegennaheliegend,weilwir schon bei den früheren Projekten die Tätigkeit Schöf-fers vorAuge gehalten hatten. DasKonzept des neuenProjektes hat sich ziemlich schnell in meinen Gedanken formuliert und ich habe angefangen die Idee in die Tat um-

zusetzen. Das Team hat wochenlang hart gearbeitet. Das Konzept wurde ins Detail besprochen, neue Musik wurde komponiert, eine neue Theaterbühne wurde geplant und gebaut, bis endlich das Projekt mit dem Titel Emoticon be-reit war, dem Publikum gezeigt zu werden.

Meine Absicht ist, in dieser Arbeit Schöffers Werke, näher zu betrachten. Bei der Analyse stütze ich mich weitge-hendandenGedanken,dievonMarkusStegmaninsei-nem Buch mit dem Titel Architektonische Skulptur im 20 Jahrhundertverfasstwurden.IchsucheAntwortansolcheFragen wie:

• Wie interagieren Schöffers kynetische Türme mit derLandschaft oder mit dem umgebenden Architektur?•WierhythmisierterdenRaummitLichtundSchall?•WelcheRollekönnenklimatischeErreignisseundZeitinder Kunst spielen?•WelcheInteraktionensindzwischendemWerkunddemBetrachter,oderzwischenverschiedenenBetrachtermög-lich?•WelcheBedeutunghatFormundFunktion?ect.

Ich beschreibe ebenfalls das Emoticon Projekt und suche die Unterschiede und die Ählichkeiten. Dank der Ent-wicklungdervergangenenvierzigJahrehatdieDiabolusGruppe wesentlich bessere techniche Möglichkeiten und damit eine breitere Skala der künstlerischen Ausdrucks-möglichkeiten. Was sind die wesentlichen Schritte dieser Entwicklung? Wo konnten wir diesen Vorteil nutzen? Wie hat die technische Entwicklung unser Raumkonzept geän-dert? Sind wir einer besseren Zukunft, wie es sich Schöf-fervorgestellthat,nähergekommenoderlösensichseineTräumeinsNichtsauf?EssindvieleFragen,dieichhoffewenigstens zum Teil zu beantworten können. Wo es nicht gelingen kann, formuliere ich einige Gedanken, die meine Meinung spiegeln.

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2. Zerstörtes Gleichgewicht

Eine geschickte, frappante Lösung eines mathematischen Problems wird in Fachkreisen als schön betrachtet, obwohl Schönheit keine wissenschaftliche, sondern ästhetische Qualitätist. Architekten und Künstler verwenden oft dengoldenen Schnitt. Sie bedienen sich also des mathematischen Instrumentariums, um dem Werk ästhetischeQualität zu geben.Es könnte nochmitzahlreichen weiteren Beispielen unterstützt werden, wie eng die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Kunst sind. Obwohl diese Beziehung während der Kulturgeschichte mehrmals hinterfragt wurde und Wissenschaftler und Künstler gegebenenfalls streng getrenne Wege gewählt haben, die erneute KooperationseitdemBeginndesKomputer-Zeitalterszeugt wieder darüber, dass Wissenschaft und Kunst organisch zusammenhängen.

Bei einem lebenden Organismus kann das Gleichgewicht der Organe nicht gestört werden, ohne Krankheitserscheinungen hervorzurufen. DiescharfeTrennungvonWissenschaftundKunstführtähnlicherweise zu einem schizophrenen Zustand. Wenn aber Künstler und Wissenschaftler die Arbeit diesem organischen Zusammenhang anpassen, dann kann die Kooperation auserordentlich fruchtbar sein.

Die Spaltung einer organischen Einheit und die Schizophrenie im Allgemeinen charakterisieren den 20. Jahrhundert. Die verschiedenen Ismen habenmeist einen einzigen Aspekt der künstlerischen QualitätbisindieExtremeübertrieben,undalleandereAspektevernachlässigt.DasgestörteGleichgewichtmag zu krankhaften Kunstformen führen. Die Kunst soll aber vielleicht notwendigerweise krankhaftsein, wenn sie Ausdrucksform einer krankhaften Gesellschaft ist. Die verhängnissvolle Geschichte

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Abb. 4. Mondlandung 1969

des zwanzigsten Jahrhunderts musste sich auch in der Kunst niederschlagen.

Die Schizophrenie des letzten Jahrhunderts zeigt sich so sehr im Ganzen als auch im kleinsten Detail. ZumBeispiel,derübertriebeneOptimismusder60-er Jahre kann genauso wenig erklärt und begründet werden, wie der Pessimismus der Gegenwart. Währed der 60-er Jahre gelang es zwar derMenscheit die erste Schritte im Weltraum zu wagen, wir waren aber vielleich nie so nahe einer totalenVernichtung durch Atomwaffen. Die Menscheit hatte zwei völlig fremde Identitäten, der Optimisteinerseits und der Vernichter andererseits, die voneinanderanscheinendnichtswissenwollten.Ähnlichist die Lage heute mit umgekehrtem Vorzeichen. Jetzt müssen wir uns zwar mit allen vom Club ofRome vorhersagten Problemen konfrontieren undsie lösen, aber die Probleme wurden schon erkannt und das Internet hat neue Wege der internazionalen Kooperation eröffnet. Das Selbsbewustsein der MassengibtneueHoffnungen.Esgabinden60-erJahren und es gibt auch heute genauso viel oderwenig Grund für Optimismus als für Pessimismus. Man darf einfach nie das Ganze auf Grund nur ausgewählterspezifischerAspektebeurteilen.

Sogar der Mensch selbst spiegelt den zerstörten Gleichgewicht wieder. Das griechische Ideal eines vollkommenen Menschen, der seinen Körper undGeist gleichermaßen entwickelt, wurde vergessen.Experten spezialisieren sich auf ein engesFachgebiet. Fachidiotismus ist weit verbreitet. Aufeinem breiten Spektrum gebildeten Menschen sind inzwischen auch in Kulturkreisen selten.

Die übertriebene Betonung einiger ausgewählten Aspekten schlägt sich auch in der Beziehung zwischen Form und Funktion nieder. Vitruviuswar der Meinung, dass ein gut gelungenes Werk

der Architektur die Qualitäten firmitas, utilitas und venustas gleichermaßen aufweisen soll. Form und Funktion waren für ihm gleich wichtige gestalterische Aspekte. Während der zwanzigsten Jahrhundert hat sich die Waage mal zu Gunsten der Form, mal zu Gunsten der Funktion ausgeschlagen.

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3. Funktionalismus

InArchitekturundDesignverstehtmanunterFunk-tionalismus ein Gestaltungsprinzip bei dem rein äs-thetische Überlegungen hinter den die Form bestim-menden Verwendungszweck des Gebäudes oder des Geräts zurücktreten. Die Anfänge dieser Auffassung reichen zu den ästhetischen Theoretikern des 19. Jahrhunderts zurück. (zum Beispeil Semper, Gree-nough) Die Auffassung, dass sich eine zeitgemäße Schönheit in Architektur und Design bereits aus de-renFunktionalitätergebewurdevonLuisSullivaninseinem1896mitdemTitelThetallofficebuildingar-tisticallyconsideredveröffentlichtenBuchimklarstenForm erklärt.

„Es ist das Gesetz aller organischen und anorgani-schen,aller physischen und metaphysischen, aller menschlichen und übermenschlichen Dinge,aller echten Manifestationen des Kopfes, des Her-zens und der Seele,dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form immer der Funktion folgt.“ „Itisthepervadinglawofallthingsorganicandinor-ganic,Of all things physical and metaphysical,Ofallthingshumanandallthingssuper-human,Of all true manifestations of the head,Of the heart, of the soul,Thatthelifeisrecognizableinitsexpression,Thatformeverfollowsfunction.Thisisthelaw.”

Der Gestaltungsleitsatz, laut dem die Form aus der Funktion folgt, erscheint zwar im Buch zweimal in ähnlicherForm,stammtaberursprünglichvonDank-marAdler,demPartnerSullivans.AdlerhatdieGe-dankeseinerseitsvonHenriLabroustübernommen.

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Abb. 5. Sale Labrouste

Labrouste zeigt in seinen beiden Pariser Bibliotheks-bautenunverhüllte,geradezuinszinierteEisenarchi-tekturen und ist damit ein Vorreiter der Funktiona-lismus. Architekten seiner Zeit, wie auch Gottfried Semper, haben die sichtbare Verwendung des neuen Werkstoffes Eisen, außer in Industriegebäuden oder Bahnhofshallen, weitgehend abgelehnt.

FeuergefahrmussbeimBauvonBibliothekenimmerbeachtet werden. Dieser Aspekt legte die Verwen-dungdesneuenBaustoffesEisennahe.Ungewöh-lichwar aber die Betonung undÄsthetisierung derEisenkonstruktion.Der Funktionalismus als gestalterisches Prinzip hat in Deutschland mit der Gründung des Deutschen Werkbundes unter den Schlagworten Sachlichkeit und Zweckform Verbreitung gefunden. Der Funk-tionalismus hat später unter den Begriffen Neues Bauen, Bauhausstil oder Neue Sachlichkeit größere Beachtung bekommen und hat auf diese Weise nach dem zweiten Weltkrieg die Architektursprache des Wiederaufbaus weitestgehend geprägt.Oftmals wurde dieses gestalterische Prinzip als Auf-ruf zum Verzicht auf jedes Ornament interpretiert. Vergessen wurde dabei, dass auch die ÄsthetikselbsteineFunktionhat.DieformaleArmutundUn-wirtlichkeit der funktionalistischen Planungen wurde seit Beginn der 1970er zunehmend Zielscheibe der öffentlichenKritik.DieseKritikhatsichinden80-erJahren als eine Gegenbewegung manifestiert. Die neuen gestalterischen Prinzipien wurden unter dem Begriff Postmoderne zusammengefasst. Das Auf-kommen der Postmoderne zeugt darüber, dass rein funktionale Überlegungen bei dem Planungsprozess nicht ausreichen können.

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4. Formalismus

Als Gegenpol zum Funktionalismus betont die for-malistische Kunstauffassung Qualitäten wie z. B.Komposition, Farbe, Linien und Textur. Angestrebtwird eine von persönlicher Wertung freie verglei-chende Stilanalyse. Der Wert des Werkes liegt dabei in der Autonomie der Form und inhaltliche Aspekte wie Thema und Idee, Entstehungsgeschichte des Werkes,historischerKontextundPersönlichkeitdesKünstlerswerdenbeiderAnalysevernachlässigt.

DieUrsprüngedesFormalismussindbereits inderAntike zu finden.DieÜberzeugung, dass dasUni-versum von göttlichen numerischen Beziehungenbeherrscht wird, führte in der Kunst zu formalen Überlegungen, indemmanversuchtediesenumeri-sche Verhältnisse in dem Kunstwerk wiederzugeben. Konstruktionen in der Architektur wurden nach stren-genRegelnvoneinemGrundmaß,demInterkolum-nium abgeleitet.

Platongehtdavonaus,dassdieWeltnuraufgeisti-gem Weg erkannt werden kann. Die Idee ist für ihm das wahre Seiende. Die Wahrnehmbare Form ist ein Abbild des wirklich Seienden. Den sinnlich wahr-nehmbaren Gegenständen kommt nur ein bedingtes unddamitunvollkommenesSeinzu.UmdaswahreWesenderDingezubegreifen,sollmanvondenun-wesentlichen Besonderheiten des einzelnen Phäno-mens abstrahieren und die Aufmerksamkeit auf das Allgemeine richten, das den Einzeldingen zugrunde liegt. Der Künstler soll durch Abstraktion mit der FormgebungdaswahreWesenderDingevermitteln.Platons Schüler, Aristoteles begriff die Kunst als ein Prozess der Formgestaltung.Die Erfahrung eines Kunstwerkes kann weder rein sinnlich noch rein rational sein. Während der Aufklä-rung entstand die Annahme, dass sich eine ästhe-tischeErfahrung von anderenErfahrungsarten klar

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unterscheidenmuss. LautKant findetman „inallerschönen Kunst das Wesentliche in der Form“, wobei die Form als Abstraktion einer Idee entsteht und als Symbol der Idee aufgenommen werden kann. Zum Beispiel wird Schönheit als Symbol des Guten wahr-genommen. Ästhetische Erfahrung führt zu einermoralischen Resonanz.

FriedrichSchillersahdieÄsthetikalseinInstrumentder sozialen und politischen Reformen. Er hob den geistig therapeutischen Charakter der ästhetischen ErfahrungderFormhervor.

John Ruskin führte 1851 mit The Stones Of Venice diedeskriptiveFormanalysezu ihremerstenHöhe-punkt.Anhand venezianischer Kapitelle leitete Ru-skin abstrahierte Grundformen ab. Daraus folgerte er soziale Bedingungen der jeweiligen Zeit.Der französische Maler Maurice Denis schrieb 1890 in seinemArtikel Definition Neo-Traditionism, dasseinGemälde imWesentlicheneineOberflächesei,bedecktvonFarbenineinerbestimmtenOrdnung.Während des 18. Jahrhunderts, als sich die Geis-teswissenschaften gegen die Konkurrenz der Na-turwissenschaften behaupten wollten, brauchten dieKunsthistorikerobjektiveKriterienfürdieKunst-betrachtung. HeinrichWölfflin strebte eine verglei-chende Formanalyse und Stilgeschichte an. Er selbst bezeichnete seinen Ansatz als Kunstgeschichte ohneNamen. Er verwendetewährend seinerVor-lesungen zwei Diaprojektoren, die es ihm erlaubten, zweiKunstwerkedirektmiteinanderzuvergleichen.ErverglichhauptsächlichWerkenderRenaissancemit Werken des Barock. Der einzelne Künstler war bei seinen Betrachtungen nicht wichtig. Im Zentrum seinerAnalysestandvielmehrdieEntwicklungeinerStilgeschichte. Er versuchte Gemeinsamkeiten derKunst bestimmter Epochen oder Länder aufdecken. Er stützte sich bei seinen Überlegungen auf die Ergebnisse der Sinnesphysiologie und Wahrneh-

Abb. 6. Hyperformalismus in Second Life Art

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mungspsychologie.Er entwickelte in seinem Hauptwerk Kunstgeschicht-liche Grundbegriffe (1915) fünf begriffliche Gegen-satzpaare, mit denen er versuchte formale Unter-schiede zwischen Kunstwerken der Renaissance und des Barock zu beschrieben:

Linear MalerischFläche TiefeGeschlossen OffenEinheit VielheitKlarheit UnklarheitundBewegtheit

Wölfflin unterscheidet verschiedene Ebenen derStile.AlsIndividuellerStilwirddassubjektiveSehenund Malweise eines Künstlers bezeichnet. Grup-pen-Stil ist die gemeinsame Formensprache einerSchule, eines Landes oder Kulturkreises. Der Begriff Zeit-Stil fasstdieübergeordnete,umfassendeFor-mensprache einer Epoche zusammen.

Ein anderer wichtiger Vertreter des Formalismus war Alois Riegl. Seine Theorie wird von ähnlichen for-malistischenAnnahmenundZielenwiedieWölfflinsgestützt:•EntwicklungderFormaussichselbstheraus(Un-abhängigkeitvonKünstlergenies)•VerknüpfungderFormentwicklung(Stilgeschichte)mit Wahrnehmungsgeschichte•DerEhrgeizKunstgeschichtealsakademischeDis-ziplin zu etablieren•AblehnungeinerMetaphysikz.B.nachHegel

Laut Riegls Theorie entwickeln sich Stile nicht nur nebeneinander, sondern durchdringen sich gegen-seitig und so kann es zu zufälligen Momenten kom-men.DamitkannerimgegensatztzuWölflinWerkeerklären, die sich in der Stilgeschichte nicht einfach einfügen lassen und in dem Zeitpunkt, in dem sie ent-standen sind, anakronistisch erscheinen.

Abb. 7. Hyperformalismus Calimera Lane

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Das moderne Funktionalismus entsand in Ame-rika. Clement Greenberg, wurde ab den späten 1930er Jahren einer der einflussreichsten US-amerikanischen Kunstkritiker des 20. Jahrhundert. ErstrebtestetseineBeurteilungvonKunstan,dienur auf unmittelbar Wahrnehmbares beruhen solle. Er teilt somit die formalistische Grundannahme. Er konzentrierte sich im Wesentlichen auf Materialien und Techniken, die bei der Entstehung eines Kunst-werkesverwendetwurden.ErprägtedenabstraktenExpressionismus mit den Begriffen American-TypePainting undColourfield Painting.GreenbergsAuf-fassung, Kunstwerke strickt nach ihrer Form zu beur-teilen, führt letztendlich zum Ausschluss der Geistig-keit, dem intellektuellen Inhalt in der Kunst, dennoch lassen sich die Auswirkungen seiner Tätigkeit im-mernoch spüren.

Abb. 8. Hyperformalismus Juria Yoshikawa

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5. Immaterielle Kunst

Die Strebungen, die Geisteswissenschaften auf das selbe theoretische undmethodischeNiveau zu er-heben, welche Höhen die Naturwissenschaften seit dem 18. Jahrhundert erreichen konnten, haben ein unübersehbaresGeflecht zumTeil ineinander grei-fender, zum Teil gegenseitiger Kunsttheorien erge-ben. Diese Komplexität der verschiedenen Kunst-theorienmusste sich noch verstärken, als sich dieZielsetzungen des Künstlers erweitert haben und während des künstlerischen Schaffungsprozesses materienlose Medien ebenfalls einbezogen wurden.

Die meisten kunsttheoretischen und ästhetischen Überlegungen haben bis dem 20. Jahrhundert das Kunstwerk als eine materielle Verkörperung der künstlerischen Idee betrachtet. Im Zentrum der Ana-lyse waren im Wesentlichen Erscheinungsformen der Materie. Zielsetzung der Kunsthistoriker war, solche Fragen zu beantworten, wie und mit welchen Techniken der Künstler die Eigenschaften des Ma-terials genutzt hat, um seine künstlerische Idee zu verwirklichen.

Natürlich mussten Künstler während des Schaffungs-prozessesimmerdieAuswirkungenvonLicht,Schall,Klima, Zeit und Raum in Betracht ziehen, aber es kanndochalseinQuantensprungbetrachtetwerden,als diese theoretisiert und auf den Rang eines mate-rienloses künstlerisches Mediums erhoben wurden. DieAuswirkungen sind vielfältig. Es kann ein Pro-zess der Entmaterialisierung in der Kunst beobachtet werden. Immaterielle Materie kann demnach als Ge-genstand der Kunst funktionieren. Es ist zum Beispiel möglich, dass sich der Künstler ausschliesßlich des Mediums Licht bedient um seiner künstlerischen Idee Ausdruck zu geben. Andereseits, die erhöhte Freiheit bei der Wahl der Medien lässt neue Kunstgattungen entstehen, wie zum Beispiel Architektonische und

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Abb. 9. Nicolas Schöffer Lichtmobil

Kybernetische Skulptur oder Klanginstallation.

Die Geschichte der mitteleuropäischen Künste bis zum Anfang unseres Jahrhunderts ist die einer kontinuierlich zunehmenden Trennung der Wahrneh-mungsbereiche. Die Wirkung in jeweils nur einem Wahrnehmungsbereich hob die Künste vomAlltagab, wo Sehen, Hören, Fühlen fast immer durchein-ander wirken. Als Licht, Schall, Klima, Zeit und Raum auf den Rang eines eigenständigen künstlerischen Mediums erhoben wurden öffneten sich neue Wege. Die Wirkung des Kunstwerkes konnte sich auch weiterhin nur auf einem Wahrnehmungsbereich beschränken, wobei aber der Künstler im Gegen-satzt zu früheren Praktiken weitgehend materienlos arbeiten konnte. Andererseits entstanden neue Kunstgattungen, bei denen die Trennung der Wahr-nehmungsbereiche aufgehoben wurde. Zunehmend versuchendieKünstleralleWahrnehmungsbereicheeinzuschließen, um sich in dem Wettkampf für die immer knapper werdende Ressource, für die Auferk-

samkeit erfolgreich durchzusetzen.

Abb. 8. Lichtkunst Kunstlicht

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6. Kybernetik

Die Künstler beschäftigen sich immer mehr mit der Verwendung von künstlichemLicht undKlang, vonkünstlichem Klima und von immateriellem RaumundauchmitderModellierungvonZeit.MitHilfederKomputertechnologie werden mikrozeitlichen Ein-heiten, immer differenzierter programmiert. Die Pro-grammierung ermöglicht diesen mikrozeitlichen Ein-heiten einen substanziellen Inhalt zu geben, indem Licht-undKlangsignaleverwendetwerden.Wirwoh-nen einer Entwicklung bei, deren Wurzeln bis in die anfänglichen Phase der Kybernetik zuruckreichen.

‚Kybernetik wird von ihrem Begründer NorbertWiener definiert als die Wissenschaft der Kom-munikation, Kontrolle und Regelung von lebendenOrganismen und Maschinen und wird auch als die Kunst des Steuerns bezeichnet. Die Kybernetik er-forscht die grundlegenden Konzepte zur Steuerung undRegulationvonSystemen,unabhängigvonihrerHerkunft. Dadurch werden so unterschiedliche Berei-che wie Maschinen, Menschen oder Organisationen vergleichbar. Sie wurde in den 1940er Jahren vonWissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen entwickelt und inspirierte verschiedenste neueAn-wendungsfelder‘/Wikipedia/

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Abb.10.CyberneticArchitectur(CaravaggioBonetto)

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7. Zwischen Skulptur und Architektur

Nikolas Schöffer beschreibt in seinem Buch mit dem TitelDieKybernetischeStadtseineZukunftsvisionen.VieleseinerIdeensindinzwischenverwirklichtwor-den,invielerHinsichtistaberdieGegenwartandersgestaltet, als er es in den 60-er Jahren vorgestellthat. Er hat auf jeden Fall erahnt, welche zentrale Rol-ledieinteraktiveFunktionsweiseindemkommendenZeitalter spielen wird. Sowohl seine Türme, als auch sein spatiodynamisches Theater weisen Merkmahle der Interaktivität auf. Schöffers zahlreiche kleinereTürme, die in Innenräumen aufgestellt wurden, kön-nen als skulpturale Kunstwerke betrachtet werden. Die wenigen verwirklichten, großdimensioniertenTürme, die in städtischen Umgebung stehen undvorallemdienichtverwirklichtekybernetischeTurmfür Paris weisen eine andere Gattungszugehörigkeit auf.SiesindineinemGrenzbereichvonBildhauereiund Architektur zu lokalisieren. Die allgemein akzep-tierteundverbreiteteGattungsbegriffheißtarchitek-tonische Skulptur, obwohl hier das Wort Skulptur ein bisschenverwirrendist.

Die Bildhauerei ist eine der ältesten bildenden Küns-te der Kulturgeschichte. Der Unterschied von bild-hauerischen Arbeiten zur Malerei besteht in der Drei-dimensionalität der Kunstwerke. In der Bildhauerei werdenFormenundGestaltunterVerwendungver-schiedener Materialien und durch unterschiedliche Bearbeitungstechniken räumlich erfahrbar gemacht. Die Bandbreite der verwendeten Materialien reichtvonklassischenStoffen,wieStein,Holz,Elfenbein,Metall,TonundGips,überGlasdiverseKunststoffebishinzuTextilien.DieBezeichnungSkulpturstehtfür eine bestimmte Gattung der Bildhauerkunst, das sich durch sein festes Material und die Fertigungs-weise im subtraktiven Verfahren, das heißt durchdas Abtragen, Ausstechen oder Aushöhlen dieses Materials auszeichnet. Im Gegensatz zu einer Skulp-

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turentstehteinePlastikimadditivenVerfahren,dasheißtdurchdasHinzufügenvonMaterial./wikipedia/Vielleicht wäre deswegen der Begriff architektonische PlastikinvielenFällentreffender.TatsächlichhandeltessichindemFallvonSchöffersTürmekeineswegsumsubstraktivenVerfahren.DieTürmewurdenausStahl, Lichtquellen und aus zahlreichen Spiegeln mit einemadditivenVerfahrenaufgebaut.

7.1. Ein Segment der Skulptur

Es überwiegen bei den Türmen skulpturale Merk-male, so dass sich eine Gattungszugehörigkeit zur Skulptur ergibt. Architektonische Skulptur kann als ein Segment der Skulptur betrachtet werden, ver-gleichbar dem Environment oder der Installation.Sie stellt keine Stilrichtung dar. Vorherrschende Elemente bei der Gestaltung sind Licht, Klang, Raum und Zeit und damit wird die Entmaterialisierung des Kustwerkes angestrebt. Die enge Verknüpfung mit der Elektronik und Kybernetik leitet die Erneuerung der Monumentalkunst ein. Der Turm für Paris wurde als ein ‚luftiges Gerüst aus viereckigen,zweiMeterdickenStahlrohren‘geplant,wie es Schöffer selbst in seinem Buch beschreibt. DasAdjektiv luftigklingtungeegnetodersogarwit-zig, wenn es sich um eine Konstruktion aus zwei Meter dicken Stahlrohren handelt, aber wenn man die Dimensionen und die planerische Pfiffigkeitenbedenkt, die eingesetzt wurden, um die Konstruktion aufzulösen und den Eindruck zu erwecken, dass sich derTurminderLuftschwebt,dannistesvorstellbar,dassSchöffersTurmdemAdjektivwenigstensnahekommen können hätte, sollte es wirklich gebaut wer-den.

BeieinemdurchschnittlichenUmfangvon59MetererreichtdergeplanteTurmeineHöhevon307Me-ter. Zum Vergleich ist der 10.000 Tonnen schwere

Abb. 11. Nicolas Schöffer Der Turm für Paris

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Turm von Eiffel in Paris 300 Meter, einschließlichder Fernsehantenne sogar 324 Meter hoch. Schöf-fer hat eine assymetrische Form mit spezifischenRhytmus geplant. Alle Teile dieses Gerüsts sollten mit rostfreien Stahlfolien belegt werden. Im Innern sollteninverschiedenenHöhen,vondergedachtenMittelachse des Turms mehr oder minder weit ent-fernt, 14 Holhlspiegel angebracht werden. Darüber hinaus wurden zwischen den 200 paralellen Armen, die in vier zueinander rechtwinkligen Richtungenherausragen sollten, 144 senkrechte drehbare Ach-sen geplant, auf denen 363 Spiegel montiert werden sollten. Jede der 144 Achsen wird nach den Plänen von Elektromotoren mit variabler Geschwindigkeitangetrieben. Die Antriebsmechanik aller Motoren soll mit einem Zentralhirn verbunden werden, dasden wesentlichen Teil des kybernetischen Systems ausmacht.Sowohldiekonkavealsauchdiekonve-xeSeitederHohlspiegelreflektiertdieStrahlen.DieHohlspiegel und die drehbaren Planspiegel erzeugen sowohlinRuhealsauchinBewegungeinevielzahlreflektierterStrahlen,welche ringsumdenTurm inalle Richtungen ausgesandt werden. Am Turm soll-ten 2085 Elektronenblitze und 2250 zum Teil farbige Scheinwerfer angebracht werden, welche jeweils auf die an den drehbaren Achsen befestigten Planspie-gel gerichtet sein sollten. 15 Lichtkanonen sollten auf der Turmspitze montiert werden, um zwei Kilometer lange Lichtbündel nach oben auszustrahlen und so beiNachtdieHöhedesTurmsoptischzuverlängern.DasEin-undAusschaltendieserScheinwerferundBlitzgeräte sollte ebenfalls vom Zentralhirn aus er-folgen.

DieangebrachtenSpiegelreflektierendieUmgebungund die Strahlen der Lichtquellen und lösen damit die Konstruktion auf. Die wahre und die optische Dimensionen der architektonischen Skulptur unter-scheiden sich wesentlich, weil die Lichtkanonen den umgebenden Raum rythmisieren und dieser Raum in Abb. 12. Nicolas Schöffer Chronos

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das Kunstwerk einbezogen wird. Damit wird die opti-sche Dimension des Kunstwerkes der Dimension der Stahlkonstruktion um ein Größenordnung überlegen. Die Konstruktion ragt in der Höhe wesentlich mehr aus als bei der Basis, um den Eindruck zu erwecken, dass der Turm schwebt.

Schöffer hat die kybernetische Steuerung, die stän-dige, durch Motoren angetriebene Bewegung und dasLichtspielalsSymbolederZukunftverstanden.In diesem Sinne hat er aber die tatsächliche Ent-wicklungsrichtung weit verfehlt. Aus heutiger Sichtsteht das Konzept der Nachhaltigkeit im Mittelpunkt der Entwicklung einer zukunftsfähigen Architektur. In städtischen Strukturen ebenso wie in Entwurf und Ausführung ist der werterhaltende, ressourcen-schonende Umgang mit Materialien und Konstruk-tionen gefordert. Das bedeutet in der Konsequenz den Einsatz intelligenter Technologien, innovativerBauweisen, ökologisch verträglicher Baustoffe undumweltbezogener Energiebewirtschaftung. Die En-ergieverbrauchdesvonihmgeplantenTurmeslässtsichmitdemKonzeptderNachhaltigkeitkaumver-einbaren.

7.2. Architekturmerkmale

Architektonische Skulptur charakterisiert sich durch eindeutig identifizierbare Architekturmerkmale. Eshandelt sich nicht um einfache formale Nachahmung architektonischer Einzelelemente oder zusammen-hängender architektonischen Systeme. Vielmehr ent-scheidend ist das Sinngehalt, also die Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten, indem das Vokabular des Künstlers mit Elementen der Architektursprache erweitert wird. Zum Beispiel, die Verwendung der Turmform impliziert, dass alle abstrakte Konzepte, die sich während Jahrhundeten mit diesem archi-tektonischen Typus verbunden haben, automatischin den Sinngehalt des Werkes einbezogen werden. Abb. 13. Nicolas Schöffer Chronos

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Einzelelemente wie Säule, Pfeiler, Dach, Giebel, Tür, Fenster oder Fensteröffnung, Mauer oder Wand sol-len nicht als geometrische Gebilde, sonder als Wör-ter einer international wohlbekannten Sprache be-trachtetwerden.AusderZugehörigkeitvonGattungSkulpturergibtsich-trotzarchitektonischerKennzei-chen-eineklareUnabhängigkeitvonjeglicherFunk-tion im Sinne zweckmäßiger Nützlichkeit. In diesem Sinne kristallisiert sich das abstrakte Sinngehalt der architektonischen Merkmale, weil ihnen die nützliche Funktion entzogen wird. In sehr seltenen Ausnahme-fällenkommteinebedingteNutzungvor.Derarchi-tektonische Skulptur muss auf jeden Fall mindestens ein Architekturmerkmal aufweisen.

7.3. Reflexion vergangener Architektur

DasgedanklicheBewegenvonprähistorischenoderhistorischenArchitekturformenundhäufigauchderentsprechenden Kunstepoche in der Vorstellung des Betrachters, ist ein Thema, welches besonders häu-fig vorkommt und für die architektonische Skulptureine zentrale Bedeutung besitzt.

DerTurmalsarchitektonischesTypushatverschie-dene Erscheinungsformen und Funktionen während der Architekturgeschichte gehabt, aber er ist und war immer eng mit den abstrakten Konzepten Macht und Überwachungverbunden.DieGeschlechtertürmeinSan Gimignano verkündigen die finanzielle Machtder Eigentümer-Familien. Die neuesten Wolken-kratzer, deren Höhe einem Kilometer immer näher kommt, verkündigen die finazielle Kraft und dieekonomische führende Rolle der eigenen Metropole. Schöffers Turm kann als Symbol der intellektuellen MachtderWissenschaftler-undKünstler-Avantgardebetrachtet werden. Er war darüber überzeugt, dass die Zukunft eine intellektuelle Revolution mit sichbringt. Als Folge werden immer breitere Schichten denZugangzumWissenderimmerhöherenQualität Abb. 14. Die Geschlechtertürme in San Gimignano

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genießen. In diesem Sinne ist der Turm auch Symbol der intellektuellen Macht der Massen und des geisti-gen Fortschrittes.

DerKirchenturmverkündigtdieAllmachtGottes,hatabernochweitereFunktionen.ÄhnlichzuLichtürmenist er auch eine Orientierungshilfe. Der Kirchenturm ragt über die umgebenden Hausdächer und Bäume und ist aus weiter Ferne sichtbar. Damit kennzeichnet er dem Reisenden auf der Lande, wo sich das nächs-teDorfoderdienächstliegendeStadtbefindet.DerKirchenturm bietet auch Überblick durch die Gegend. Ein Aussichtswarte hat ebenfalls die Funktion, eine möglichst weite Fernsicht und eine 360° Rundsicht zu ermöglichen. Die Aussicht dient als Vergnügungs-quelle, indem man die Schönheit der Stadt und der Gegend genießt. Der Überblick ermöglicht ebenfalls die Überwachung. Im Gegensatz zu Aussichtstürme dienen Observatorium und Flughafen-Tower derKontrolle.

7.4. Funktion und Nützlichkeit

Obwohl die meisten architektonischen Skulpturen zwar Architekturmerkmale aufweisen, dienen diese Merkmale nicht der gewöhnlichen nützlichen Funk-tion. In dem Fall des Turmes für Paris hat Schöffer ausnahmsweise doch sieben verschiedenen Be-sucherplattformen vorgesehen, die über Aufzügeund Treppen zu erreichen sind. Auf den Plattformen gibt es Restaurants, Signalanlagen, Einrichtungen fürs Fernsehen, eine dem Publikum zugängliche Betriebsüberwachung mit einem automatischen Ma-gnetophon-Führer, Konzertsäle, ein Postamt, eineOrgel, einen Drugstore, sowie einen Laden. Von den Zwischenplattfomen aus kann man ein zweifa-ches Schauspiel genießen: den Blick über die ganze StadtregionParisundaufdenTurminvollerAktivität.Damit dient der Turm dem Vergnügen und ermöglicht auch eine Kontrolle über die Stadt. Abb. 15. Kölner Dom

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Der Turm hat noch weitere Funktionen. Er trägt der Flugnavigation bei und dient als Informations-,Quantifikations- und Aktionssystem. Thermometer,Hygrometer und Windmesser sind auf dem Turm angebracht. Das Zentralgehirn bewertet die Messda-ten und damit funktionert der Turm zum Teil als ein Wetteramt. Ferkehrsinformationen werden in Form vonLicht-undFunksignalenausgesendet.

7.5. Veränderung der Architekturmerkmale

Obwohl die erwähnten Architekturmerkmale in diesem Fall, im Gegensatz zu den meisten archi-tektonischen Skulpturen, funkzionsfähig sind gibt, es zahlreiche skulpturale Merkmale um die Gat-tungszugehörigkeit zu architektonischen Skulptur zu unterstüzen. Die Architekturmerkmale beim ar-chitektonischen Skulptur treten gegenüber realen Architekturmerkmalen in der Regel in mehr oder we-niger ausgeprägter künstlerischer Verwandlung auf. EinenaturalistischeNachbildungwird- bis auf sehrselteneAusnahmen-vermieden.DieArtundWeiseder Veränderung ist ganz unterschiedlich. Der Turm für Paris steht auf einer einzigen Stütze, als würde er schweben und Symbolisert damit die technische Ent-wicklung. Der Turm kragt in der Höhe weit aus. Damit ist die Masse im Gegensatz zu anderen Türmen nicht unten, sondern im Spitzenbereich konzentriert. Die Form wird durch Spiegel und Lichteffekte aufgelöst und entmaterialisert.

7.6. Maßstab und Proportionen

HäufigzeichnetsicharchitektonischeSkulpturdurcheinen,imVerhältniszuvergleichbarerrealerArchiet-ktur,deutlichverändertenMaßstabaus.Dabeifindetsich eine ausgedehnte Spannbreite aller denkbaren Maßstäbe. Es kann ein modellartiger Eindruck ent-stehen,häufigwirdabereinevergleichsweiseüber-

Abb. 16. Cybernetic Sculpty Tower Art Space Diabolus

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dimensionale Proportion gewählt, wie es der Fall bei Schöffers Turm ist.Der Turm von Liége wurde ebenfalls in beträchtli-chen Dimensonen ausgeführt und im Aussenraum platziert. Hier spielen allerdings die Intentionen der kinetischen bzw. kybernetischen Kunst eine zentrale Rolle.

7.7. Überschneidungen mit Nachbargattungen

Oftmals treten Überschneidungen mit benachbarten GattungenundUntergattungenauf,wasbesondersdie Bereiche Environment, Istallation undArchitek-turmodell betrifft. Architektonische Skulptur kann simultanmehreren(Unter-)Gattungenangehören.SchöffersTurmkannalsAussichts-,Kunst-,Informa-tions-, Show-,Medien- oder Kulturturm angesehenwerden. Es hat aber ebenfalls Verwandschaft mit denGattungenKlang-oderLichtinstallation.

Abb. 17. Cybernetic Sculpty Tower Art Space Diabolus

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8. Inhaltliche Dimension architektonischer Skulptur

8.1. Interaktionen mit Architektur

Die Wechselbezüge eines Kunstwerks mit benachbarter Architektur, sei dies mit GebäudekomplexenoderFassaden imFreienodermit der Struktur von Innenräumen. Auch wenngrundzätzlich jedes in unmittelbarer Nähe vonArchitektur platzierte Kunstwerk irgendeinen Bezug zu ihr aufnimmt, geht es hier erneut um die durch das Kunstwerk thematisierte Architekturbeziehung. Wiederum stellt die Skulptur auf einer zweiten Ebene ein Verhältnis des Betrachters zur Architektur her. Im unterschied zur Kommunikation mit der Landschaft kommt der Begehbarkeit der Arbeiten keine ausschlaggebende Rolle zu. Eine weitere Verbindungslinie wird über die architektonischen Motivebzw.Merkmaleerrichtet.

8.2. Interaktion mit Öffentlichkeit

Der Begriff Öffentlichkeit bezieht sich in unserem Zusammenhang auf andere Betrachter, welche die häufig im Öffentlichen Raum platziertearchitektonische Skulptur zur selben Zeit wahrnehmen bzw. Auf Passanten, die an ihr zufällig vorübergehen.InteraktionenmitdieserÖffentlichkeitvollziehensichgrundzätzlichaufzweiverschiedenenEbenen:

1.DasverhältnisdesKunstwerksmitderÖffentlichkeit.DieSkulpturrichtetaktivandenBetrachterwieauchzufälligvorbeikommendenPassantendasAngebot,ihre Benutzungsmöglichkeiten zu erschließen.

2. Das Verhältnis der Betrachter untereinander bzw. von Betrachter und Passanten. Es wirdebenfalls maßgeblich durch die Skulptur in Gang

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Abb. 18. Nicolas Schöffer Lichtmobil (Bonn)

gezetzt. Von entscheidender Bedeutung ist die Räumliche Organisatzion der Skulptur. Sie fordert zum Nähertreten, Begehen, Besteigen etc. Raumorganisatzion bewirkt Kommunikation.

8.3. Interaktionen mit Landschaft

EineVielzahlvonarchitektonischenSkulpturenwirdfür den Außenraum und für die Platzierung in einer Landschaft geschaffen. Jedes in der Landschaft platzierte Kunstwerk nimmt selbstverständlichirgendeinen Kontakt zu ihr auf. Eine aktive Bezugsnahme eines Kunstwerks zum umgebenden Landschaft wird als Interaktion mit der Landschaft bezeihnet. Eine Interaktion kann nicht nur zwischen Kunstwerk und Landschaft, sondern auch zwischen Betrachter und Kunstwerk bzw. Betrachter und Landschaftstattfinden.EshandeltsichalsoumeineInteraktion mit drei Teilnehmern. Das Kunstwerk eröffnet eine Auseinandersetzung des Betrachters mit der Landschaft, die ohne das Kunswerk nicht möglich wäre. Erst die Rezeption der Skulptur ermöglicht ihm einen ganz spezifischen Modusder Landschaftswahrnehmung. Häufig stellendie verwendeten Materialien die aus der Naturentstammen, wie zum Beispiel Holz, Stein oder Erde, eine Verbindungslinie zur Landschaft her.

Schöffer hat seine Türme für festen, städtischen Standorte geplant. Sie sollten nach seinen Vorstellungen als Erkennungszeichen im Brennpunkt der Städte stehen. Die Bewegungen ihrer beweglichen Teile, ihre Lichter sowie die AussendungvonakustischenZeichenreagierenaufdieVeränderungenihrerUmgebung.DieInteraktionwirdvomzentralenkybernetischenGehirngesteuert.Das Zentralgehirn empfängt die Messdaten der Sensoren und Messgeräten und mit Hilfe vonAlgorhytmen entscheidet über die entsprechenden Reaktionen.

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Dank den Spiegeln stellt der Turm aus der Ferne gesehen bei Tag, je nach Intensität der Sonnenstrahlen, eine riesige lebende Flamme dar. DasLichtspielentfaltetsichabervorallembeiNacht,als sich das Erscheinungsbild Dank den Lichtkanonen jenachdenvondemkybernetischenSteuersystemausgelösten Rhytmen ständig wandelt. Der Turm betont die zeitlichen Veränderungen der natürlichen LichtverhältnisseundandererklimatischenFaktorenund ermöglicht damit eine modifizierte, intensivereWahrnehmungderUmgebung.EinsonnigerTagwirdals goldenen Heiligenschein, der Sonnenuntergang als wilder Feuertanz erlebt.

ChromstahlundSpiegel reflektierendieUmgebungund stellen damit eine Verbindungslinie zur städtischen Landschaft dar. Anscheinend formt sich derTurmausdemselbenMaterialwiedieUmgebungund fügt sich organisch hinein. Er löst sich auf und wird fast unsichtbar.

SchöfferverwendetabernichtnurMaterialien,diedieNatur widerspiegeln, sondern in bestimmter Sinne verwendeterdieNaturselbst.ErverwendetdiefünfTopologien Zeit, Licht, Schall, Klima und Raum und strebt auf ein materienloses Kustwerk. Er rhytmisiert den Raum mit Licht und Klang. Klimaänderungen, Gerüche und Wind werden in den Schaffensprozess einbezogen. Er kommt seiner Zielsetzung nahe und leistet einen großen Schritt Richtung der Entmaterialisierung eines Kunstwerkes.

8.4. Die Entmaterialisierung

Die Folgenden Zitate spiegeln Schöffers Ansichten wider:Wir wohnen tatsächlich einem Prozess bei, der unsere Umgebung ständig entmaterialisiert. Wir vereinfachen die Form und verringern das Volumen

Abb. 19. Entmaterialisierte Particle SculptureArt space diabolus Velazquez Bonetto

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und das Gewicht der Materialien, die wir zum Beispiel bei der Gestaltung unserer städtischen Umgebung verwenden. Im gegenwertigen Stadium kommen wir in zunehmender Maße zur Transparenz. Nie hat man beim bauen soviel Glas verwendet wie heute. Aber mehr und mehr werden die festen Materialien durch immaterielle Materialien ersezt werden, wie etwa durch die Trilogie Raum, Licht und Zeit./Schöffer/

Eines Tages wird man in die innere Struktur des Raumes eingreifen, und man wird in die innere Struktur der Komponenten und sogar der Mikrokomponenten des Raumes eingreifen, und man wird in diesem Raum unsichtbare Trennwände schaffen, die aus Strukturen atomarer Größe bestehen /Schöffer/

Abb. 20. Entmaterialisierte Particle SculptureArt space diabolus Velazquez Bonetto

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9. Die fünf Topologien

9.1. Zeit: Topologie des Rhytmus

Die Zeit ist die Immaterielle Substanz, in der das ganze Leben abläuft. Das Element Zeit ist ebenfalls ein Material, das man strukturieren, modulieren und in seinem Ablauf programmieren kann. Die Weise, in derdieZeitinihremAblaufeineinnovativeundinsbe-sondere ästhetische Bedeutung annimt, ermöglicht es,siealsspezifischimmateriellenStoffzubegreifen.Die Gestaltung der Zeit nennt man Programmierung. ZeitfüreinÄsthetischesZielprogrammierenunddiezur Verfügung stehende Zeit umfunktionieren und damitInformationästhetisieren./?/

DieZeitisteinGestaltungselement,dasvonKünstlerundArchitektenseitJarhtausendenaufverschiede-ne Weisen in Betracht gezogen wurde. Ein Kunst-werk interagiert mit Zeit, indem die Wahrnehmung desKunstwerksmit der Zeitwandelt.Die Lichtver-hältnisse ändern sich rhytmisch. Die Zyklen dieser RhytmushabenverschiedeneLängen.Essindnichtnur das Licht oder die klimatische Verhältnisse, die sich ständig ändern, sondern auch das Kunstwerk selbst unterliegt einem stätigen Wandel, indem die Verfallsprozesse schnell oder langsam, aber unauf-haltsam fortschreiten.

Kunstwerk und Architektur kann zeitlos oder tem-porär wirken, entsprechend den künstlerischen Zielsetzungen und Gestaltungskonzepte. Je länger der Zyklus des Schauspiels in demUniversum ist,welcher in dem künstlerischen Konzept einbezo-gen wird, desto zeitloser wirkt das Kunstwerk. Zum Beispiel, entfaltet sich die vollkommene SchönheitunddaswahreWesenvonStonhenge jährlichein-mal gleichzeitig mit der Sommersonnenwende. Die Energieaufwand, die zum Bau benötigt wurde, muss mit diesen außergewöhnlichen, seltenen Momenten

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Abb. 21. Nicolas Schöffer Der Turm für Paris

ausgewogen werden. Aus dieser Überlegung wird klar, das die Erbauer dieses Bauwerkes für die Ewig-keit gebaut haben.

Zeitlos wirkende Architektur entsteht auch wenn die ZyklendesUniversumsausgeschlossenwerden,wiees bei den aktuellen minimalistischen Tendenzen, zumBeispiel bei Peter Zumtors Bauten vorkommt.Voraussetzung der Zeitlosigkeit ist auf jeden Fall die VerwendungvonedlenMaterialien,diedenVerfalls-prozessen mit menschlichen Maßstäben praktisch unendlich widerstehen können.

Zeit bekommt in der Kunst größere Bedeutung seit-dem Programmierung mit Komputern möglich ist. In dem Komputer laufen die Prozesse in mikorozeitli-chen Einheiten ab. Dementsprechend sind auch die Zyklenlängen in dem Mikrobereich. Daraus folgt, dass kybernetische und digitale Kunst eine Tendenz hat,einetemporäreQualitätaufzuweisen.

Schöffers Türme reagieren auf jeglichen Änderungder Umgebung. Sie thematisieren im Gegesatz zuZeitlosigkeit den ständigen Wandel. Nichts hat einen Fixpunkt,nichteinmaldieKonstruktionselbstscheinteinen zu haben, weil alle mögliche Pfiffigkeiteneingesetztwerden,umdenAblaufderKräftezuve-schleiern.DieTürmeschaffenverschiedeneZonenzeitlicher Dichte in der Stadt. In der Nähe der Türme gibt es eine große Dichte möglicher Ereignisse.

Obwohl rostfreier Stahl eine der edelsten Materialien ist,konnteeinegewissetemporäreQualitätauchindie Materialwahl einschleichen. Die Spiegel können den freienatmospherischenVerhältnissenvielleichteinige Jahre lang widerstehen, aber verblendensich langsam. Die durchbrennten Lichtquellen müs-sen ständig ausgetauscht werden. Das Gefühl der SchnellebigkeitwirdunverweigerlichmitdemKunst-werkverbunden.

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9.2. Licht: Topologie des Lichts

Ohne Licht wäre Leben und Wahrnehmen mit dem Sinnesorgan Auge nicht möglich, unsere Umweltwäre für uns unsichtbar. Licht und Schatten beto-nen das materielle Charakter der Gegenstände in unsererUmweltundbieteneineVielfaltvonFarben,SchattierungenundTexturenfürdieSinne.Anderer-seits könnten wir ohne die materiellen Strukturen unsererUmweltdaselektromagnetischePhänomenLicht nicht erkennen. Wir können die elektomagneti-sche Welle selbst nicht wahrnehmen. Im Weltraum sehen wir die Sterne und die Planeten; das interstel-lare Material erscheint wie ein leuchtendes Nebel, aber im leeren Raum finden unsereAugen nichts,um dem Gehirn darüber ein Signal weitergeben zu können.DasLicht erkennenwir alsReflexionoderTransparenz, es verkörpert sich für demSinnesor-gan Auge an den Gegenständen. Gestaltung heißt also in bestimmter Sinne, dem Licht Körper zu geben oder anders ausgedrückt, das Licht aus dem Nichts hervorzurufen.

Licht ist ein unentbehrliches künstlerisches Medium, ein Gestaltungselement, ohne dem kein Künstler arbeiten kann. Obwohl Licht das gewönlichste Me-diumderkreativenArbeitist,bedientensichKünstlerdes Lichtes währed der Kunstgeschichte immer, um dem Werk die Qualität von Ungewöhnlichkeit undAußerordentlichkeit zu geben. Das gewöhnlichste Mediumistgleichzeitigdaseffektivste.Lichtwirdoftals göttlich bezeichnet, ist Symbol der Heiligkeit und des Geistes; die Aufklärung gibt dem Wort ein neues SinngehaltundwirsprechenseitdemauchvondemLicht des Intellektes.

SchonvormehrereTausendJahrenhabenArchitek-turen das Licht thematisiert. Wie schon erwähnt, ist dieGrundessenzvonStonhengedasjährlichzurük-

Abb. 22. Lichtkunst Kunstlicht Karlsruhe

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kehrende Schauspiel des Lichtes.

DieGriechengingenbeiihrenEntwürfendavonaus,dasseinKunstwerkvonallenSeitenbetrachtetwird.Das Spiel von Licht und Schatten um den Säulenrhytmisiert den Raum. Architektur und Licht bildet eine Einheit. Neue Höhen der Architektur wurden mitdemBauvonHagiaSofiaerreicht,wodasLichtim Zentrum des gestalterischen Konzeptes steht. In der gotischen Architektur wird das Licht zum wesent-lichen Konstruktionsprinzip der ganzen Kathedrale. Baukörper undGlasmalerei-Fenster sind diemate-rialenTrägereinerästhetisch-theologischenGestal-tungvonLicht.LichtwirdalsHeiligenschein,alsdasundarstellbare Gott selbst aufgefasst.

Im 10. Jahrhundert hatte man die Technik erfunden, Glasteile in Bleistege zu fassen. Das gotische Fens-ter ersetzt das romanische Fenster. Die Strahlen der Sonne durchdringen die bunte Glasstücke während sie ihre tägliche Wanderung durch das Himmelsge-wölbe vollzieht und das durchscheinende Licht dy-namisiert den Raum mit dem Bild der Glasmalerei. Es gibt ebenfalls zahlreiche Beispiele der letzten JahrhundertfüreineArchitektur,inderesvorallemauf die Regie des natürlichen Lichtes ankommt. Le Corbusiers Notre Dame du Haut in Ronchamp oder Tadao Andos Kirche des Lichts können als spätere Nachkommen des selben Konzeptes betrachtet wer-den.

Es stehen uns zwei Lichtquellen zur Verfügung: das natürliche Licht und das künstliche Licht.Als künstliches Licht konnte in der Vergangenheit nurdasFeuer(Kerze,Fackel,Gaslampe)verwendetwerden. Die Elektrizität hat Ende der 19. Jahrhundert dieGestaltungmitLichtrevoluzioniert.DievonEdi-son entwickelten Glühlampen waren die ersten elek-trischen Produkte, die Anfang der 1880er Jahre eine verbreiteteAnwendungfanden.Gleichzeitigmussten

Abb. 23. Lichtkunst Kunstlicht Karlsruhe

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elektrische Energieversorgungsnetze für ihren Ein-satz aufgebaut werden. Die Leistung markiert den Beginn der umfassenden Elektrifizierung der kultu-rellen Entwicklung.

Das elektrische Licht steht jeder Zeit zur Verfügung und kann programmiert werden. Die Verwendung des elektrischen Lichtes lässt große Flexibilität beider Gestaltung zu. Eindrucksvolle Effekte könnenmit relativ wenig Aufwand erreicht werden. KeinWunder, dass elektrisches Licht sehr schnell für Manipulationszwecke eingesetzt wurde. Beim letz-ten NSDAP-Parteitag im Jahr 1938 in Nürnbergauf dem Zeppelinfeld sorgten über 150 besonders starke Scheinwerfer, die senkrecht in den Himmel strahlten und einen Lichtdom hervorzauberten, fürspektakuläre Effekte. Ähnliches Schauspiel bietendieEröffnungs-undAbsclußfestevonOlympienundFußball Weltmeisterschafte. Bei Stadionbau sind die pfiffigstenLichteffekteeingesetzumdieEmotionenin die Höhe zu peitschen. Das Alianz Stadion wurde vondenArchitektenHerzogunddeMeuronselbstals Emotionsfabrik bezeichnet.

Kinematografische Techniken haben einen neuenkünstlerischenRevolutionausgelöst.DerFilmkannseit dem 20. Jahrhundert als eines der wichtigsten Massenmedien angesehen werden, sowohl in Form des Kinos als auch in Form des Fernsehens. Er ist damit zugleich eines der wichtigsten Elemente der modernen Kultur geworden. Die Möglichkeiten des Lichtspieltheaters haben sich noch erweitert mit dem Siegeszug des Internets.

Licht is das wichtigste Gestaltungselement bei Schöf-fers Werken. Bei ihm ist das Licht Informationsträger, mit dem er den Raum dynamisiert. Er bezeichnet die Methode,wieerLichteffektehervorruft,alsLumino-dynamismus.DerRaumwirdvomLichtverwandeltund rhytmisert, so dass es semantsich decodiert

Abb. 24. Das elektrische Licht

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werden kann. Durch Lichtinstallationen übermittelt er Information. Das Licht wird in einen Fluß vonDaten transformiert. Die von demTurm ausgesen-deteLichtsignalevermittelnInformationenüberdasWetter, die Verkehrssituation, die Aktienkurse etc. Es entsteht eine enorme, pulsierende Informationsdich-te, die dem städtischen Charakter beiträgt und sie betontundhervorhebt.Diese Informationsdichte istauch als Symbol der Zukunft zu betrachten. Schöffer, derVisionär,hatschoninden60-erJahrenvorher-sagen können, dass sich die kommende Jahrzehnte als Informationszeitalter in die Geschichte eingehen werden.

9.3. Schall: Topologie des Hörens

Schöffers Strebungen, das künstlerische Konzept mitmöglichstmaterienlosenAusducksmittelnzuver-wirklichen und ein entmaterialisiertes Kunstwerk zu schaffen legen, neben der Verwendung des Lichtes, auch die Verwendung des Klanges als künstlerisches Medium nahe. In der Vergangenheit war nur der durch Musikinstrumente erzeugte künstliche Schall im Fokus künstlerischer Interesse. Das Reich der Klänge ist aber wesentlich größer. Schöffer leistete einePionierarbeit,indemereinbreitesSpektrumvonnatürlichen und künstlichen Klangerreignissen in das Schaffensprozess einbezogen und auf dem Rang der Kunst erhoben hat. In dieser Periode ist das Geburt einer neuen Kunstgattung, der Klangkunst zu lokalisieren. Schöffer hat zu dieser Entwicklung einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Die Klangkunst ist eine Form der Installationskunst, beidervisuelleund räumlicheAspekteeinbezogenwerden, aber die Klangerreignisse im Fokus stehen. Das Spektrum unfasst alle Geräusche der Natur, des Menschen und der Technik und die Stille selbst. Akustische und elektronische Apparaturen werden eingesetzt um künstliche Klangeffekte hervorzuru-

Abb. 25. Nicolas Schöffer Lichtmobil (Kalocsa)

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fen, aber einfache Alltagsgeräusche und deren Man-gel sind auch Teil des Repertoires. Die Klangkunst liegt im Grenzbereich zwischen Bildender Kunst und Musik.

Die Wurzeln der Klangkunst liegen am Anfang des 20. Jahrhunderts, als vermehrt Kooperationen zwi-schen Künstlern, Techniker und Wissenschaftler entstanden. Zu dieser Zeit sind die ersten Beispiele von Künstlern und Künstlergruppen zu finden, diezwischen den traditionellen Künsten agierten und das traditionelle Feld der Kunst erweiterten. Die his-torischenQuellenderKlangkunsthängeneinerseitsmit der Öffnung der Musik zum Geräusch, mit der EinbeziehungvonZufallsprozessenundRaumideenin die musikalische Komposition und mit der Integra-tionvonKlängenundGeräuschenindieGestaltungkinetischer Plastiken und Installationen zusammen. Ein weiterer Schritt ist die Einführung der Interakti-vität.

In der Klangkunst wird die traditionelle Form und nar-rativeQualitätmusikalischerVermittlung zugunsteneiner neuen Klang-Raum-Erfahrung aufgegeben.Klanginstallationen haben keinen vorgegebenenZeitrahmen, sie werden von dem Prinzip, der Ei-genzeit des Rezipienten geleitet. Wie bei einem Ausstellungsbesuch kann der Rezipient die zeitliche und räumliche Organisation seiner Wahrnehmung selbst gestalten. Klangkunst hat im Allgemeinen ei-nen starken Ortsbezug und ephemeren Charakter. Die Klangkunst ist ein ideales Medium um Orte at-mosphärisch aufzuladen und zu einem besonderen Erlebnisort werden zu lassen. Der Besucher erhält Aktions-undInterpretationsfreiräumezurGestaltungdes eigenen sinnlichen Erlebens. Klanginstallationen und Klangskulpturen erlauben ein ständiges Verlas-sen und Wiederkehren.

Zur Gattung Klangkunst können einige Installationen

Abb. 26. ROLAND Sampler

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gezählt werden, die eigentlich vor dem Zeitpunktgeboren sind, als der Begriff selbst geprägt wurde. Solche sind zum Beispiel Mauricio Kagels 1953 in Buenos Aires realisierte Música para la torre, das PoèmeélectroniquevonEdgardVaresefürdenPhi-lips-Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel imJahre 1958, John Cages Variation VII bei den schon erwänten „9evenings“ inNewYork,oderdiespati-odynamischenKonstruktionenvonNicolasSchöffer.Der Begriff Klanginstallation taucht erstmals 1971 bei dembedeutendenUS-amerikanischenKünstlerMaxNeuhaus auf.

Mit »Drive-In Music« verwirklichte Max Neuhaus1967-68alseinerdererstendie Ideeeiner ›Musik‹fürdenöffentlichenRaum,dieklanglichkomplexist,sich den Passanten aber nicht aufdrängt. Entlang einer breiten Allee, dem Lincoln Parkway in Buffalo, New York, installierte Neuhaus auf einer Strecke von knapp 600 Metern in den Bäumen 20 leis-tungsschwache Radiosender mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Klängen, so dass sieben über-lappende Zonen verschiedener Klangkomponentenentstanden. Die Klänge wurden in selbstgebauten Generatoren vor Ort synthetisiert und verändertensich inAbhängigkeit vonUmwelteinflüssen.Da dieSender alle auf der selben Frequenz zu empfangen waren, hörten durchfahrende Autofahrer je nach Ge-schwindigkeit, Fahrtrichtung, Tageszeit und Wetterla-ge unterschiedliche Klangentwicklungen. Tatsächlich arbeitet Neuhaus bei seinen Installationen im öffentli-chen Raum nicht nur mit den synthetischen Klängen, die seine Geräte herstellten, sondern er benutzt die-se auch als Kontrapunkt zu den Geräuschen, die sich amjeweiligenOrtfindenundbringtsie ineinenäs-thetischenKontext, indemer ihnentonhafteKlängezuSeitestellt. (Quelle:GoloFöllmer,»Töne fürdieStraße«,in:AkademiederKünste(Hg.),Klangkunst,München1996,S.216-218)

Abb. 27. Mauricio Kagel

Abb. 28. MaxNeuhaus:»Drive-InMusic«

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Bei Schöffers kybernetisch-kinetischen SkulpturensindesvorallemdieGeräuschederMechanikundder beweglichen Teilen, die gemischt mit natürlichen Geräuschen und der Lärm der Stadt die Sinnliche Er-fahrung liefern. Auch in diesem Fall dient der Hinter-grundgeäuschalsKontrapunktdervondemSkulpturselbst stammenden Geräuschen.

9.4. Klima: Topologie der künstlichen und natür-lichen Klimaströme

EswurdensogarklimatischePhenomänevonSchöf-fer thematisiert. In seinem Buch Der kybernetische Stadt spricht er über die klimatische organisation der WohneinheitenundderenUmgebung.Das kontrol-lierte Klima der Stadt der Zukunft wird nach seiner VorstellungenvoneinerkybernetischenZentraleausgesteuert. Schlechte Gerüchen werden unterbindet, guteGerücheverbreitetumeinesinnlicheErfahrungderStadtauchaufdieserEbenekontrolliertzuver-stärken.

Die Gesaltung mit dem Medium Geruch ist keine neue Gedanke, es ist demgegenüber neu sie kyber-netischzukontrollieren.DieKircheverwendetGerü-che seit Jahrhunderten um eine heilige Atmosphäre zu schaffen. Die Gestaltung einer Raumerlebniss mit Hilfe vonGerüche istTeil derGartenkunst.AndereKunstgattungen hingegen haben diese künstlerische Ausdrucksmöglichkeit währed der früheren Jahrhun-dertenvernachlässigt.Erst im20.JahrhundertsindGerüche ins Fokus der künstlerischen Interesse Geraten.

Das Geruch muss nicht unbedingt als konkrete sinnli-che Erfahrung Teil des Kunstwerkes sein, manchmal werden nur versteckteAnspielungen vom Künstlereingesetzt.DieElephantExkremente,dieChrisOfilibei seinen Bildern verwendet, sind präpariert wor-den, sodasssie keinGeruchmehr verbreiten,nur Abb. 29b. ChrisOfili

Abb. 29a. Nebel Kunst Nakaya

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die Form und Gestalt schwört in der Erninnerung des Besuchers die entsprechenden sinnlichen Erfahrun-gen auf. Es war anders 1987 bei Hellweins Kunst-spektakel mit Geruch und Geräuschen in der Bremer Kunsthalle. Unter dem Motto Der Untermenschführte Helnwein ein multimediales Spektakel auf; ein bildendes Theater, wo er neben Musik und Video auchDuft eingesetzt hat.KüheundExkremente indenheiligenRäumenderBremerKunsthalle-Eine“Ausstellungsoper“-initiiertvonKunst-SchockerGott-friedHelnwein-mitdiesenWortenwurdedasEventangekündigt,nachdemdieReaktionenvondemVor-wurf der Scharlatanerie bis zur hellen Begeisterung reichten.

Die Grundidee, Klimaerreignisse in das Kunstwerk zu integrieren wurde schon von Schöffer verfasst,aberhatsicherstspäterbeiderNachfolgerKünstler-undArchitektengenerationentfaltet.ÄhnlichwiederGeruch stets ausgeprägter Teil der künstlerischen Ausducksmitteln wurde, hat auch Nebel, Wind und Sonnenschein immer größeres Terrain im Reich der Künste erobert. Seien hier nur einige Beispiele er-wähnt:WeltweiteBeachtung fandderPavillonBlurBuildingvondenArchitektenDillerundScofidioaufder Schweizer Landesausstellung im Jahr 2002. Die GebäudehüllewurdebeidiesemPavillonalleindurchfeinversprühtenWassernebelerzeugt.FujikoNaka-yahatebenfallsdasNebelalsMediumverwendetbeiseiner anlässlich der Singapur Biennale 2008 reali-siertem Werk. Renzo Pianos Kulturzentrum Jean-Marie Tjibaou in New Caledonia thematisiert mit den charkteristischen Holzkonstruktionen den Wind. Seit 1990 entwickelt Theo Jansen kinetische Skulpturen, die er Strandbiester nennt. Die für ihre Bewegung notwendige Energie beziehen sie aus dem Wind. Der Künstler entwickelt die skelettartigen Gebilde in Richtung eigenständig lebender Wesen. Die Strand-biesterkönnensichgrobanihrerUmweltorientieren.SieverankernsichbeieinemaufkommendenSturm

Abb. 30. Theo Jansen 3 Strandbeast

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selbstständig im Sand, erkennen mit ihren Fühlern Hindernisse und ändern die Laufrichtung, wenn sie ins Wasser geraten. Es könnte noch mit zahlreichen Beispielen illustriert werden, wie sich die klimatische Phenomäne als künstlerisches Medium etabliert ha-ben. Es ist ein Prozess der Erweiterung und Befrei-ung der Künste, deren Anfänge schon bei Schöffer zufindensind.

9.5. Raum: Topologie des Raumes

Gonzales,Gabo,Pevsner,warendieerstenBildhau-er, die bewusst in ihren Skulpturen Zwischenräume einführten,wodurchmitderGegenüberstellungvonVollem und Leerem der immaterielle Raum offenbar wird. Für diese Künstler war der Raum noch nicht die absolute Materie, sondern eine von den MaterienzumHervorhebeneinesGegenstandes.

Ein radikaler Schritt wurde von Schöffer geleistet,als er in den 60-er Jahren das Modellieren vonFestkörpern aufgab, um sie ausschliesslich für die Gewinnung von abgegrenzten Raumbruchteilen zuverwenden und um diese Raumteile rhytmisch zugestalten. Mit zunehmendem Fortlassen des Ge-genstandes war für ihm der eingeschlossene Raum und nicht die tastbare Struktur wichtig. Er wollte das immaterielle Materie Raum als Grundmaterial in ein strukturiertes Werk dynamisch integrieren, und eine Bewegung auf harmonischen Linien erzeugen.

Manche Schöffers Strukturen könnte man als Fal-len bezeichnen, die er dem Raum stellte. Er strebte danach, dem Raum mit einfachen und möglichst wenig dichten Strukturen eine Falle zu stellen, einen Bruchteil des Raums einzufangen und ihn zu dyna-misieren, indemmandieStrukturen inspezifischenRhytmenverwendetunddemRaumeinenenergeti-schenInhaltverleiht,derzugleichimInnerendieser

Abb. 31. Pevsner,Arp

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Strukturen und um sie herum wirkt. Der Entwurf wird nicht als isoliertes Objekt behandelt, sondern als strukturiertes Element in einem strukturierten Raum.

Scöffers Turm schafft, gestaltet und gliedert den Raum, Innen- und Außenraum fliesst zusammen.Diese architektonischer Raum ist durch vertikaleoderhorizontaleElementedefiniert

Ein spezieller Raum in der kybernetischen Stadt ist das spaziodynamisches Theater und Geschäftszen-trum, eine der bevorzugten Stätten der Freizeitge-staltung. Dieses Gebäudetypus wird im Buch Der kybernetische Stadt detailiert beschrieben.

Viele Aspekte der Grundidee sind in den heutigen Shopping-Zentren verwirklicht worden, wo Restau-rant, Kino, Theater und Geschäfte für die Unte-haltung der Besucher auf verschiedenen Ebenensorgen. Es ist nicht selten das auch Mitarbeiter der Televisionpresentsind,unddieVorbeigehenden inLive-Sendungeneinbezogenwerden.

DasGrundkonzeptvonSecondLifeistinbestimmterSinne ganz ähnlich. Hier werden für die Anwender ebenfallsdieobengenanntenUnterhaltungsmöglich-keiten angeboten. Zahlreiche Geschäfte stehen zur Verfügung.DerAnwenderkannvoneinerFüllevonverschiedenen Kunstereignisse, Shows und Partyswählen, die er mit Hilfe der Teleport Funktion besu-chen kann.

Die Diabolus Cybernetic Art Research Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, Schöffers spatiodynamisches TheaterinSecondLifezuverwirklichen.ZumThemaderVorführungwurdeRobertPlutschiksevolutions-psychologische Emotionstheorie gewählt. Auf Grund vonPlutschiksSystemvonprimärEmotionenwurdeeininteraktivesTheaterrealisiert,wodieZuschauerdenAblaufderVorführungbeeinflussenkönnen.Um

das Projekt erklären zu können, ist es hilfrech, zuerst einen kurzen Überblick der verschiedenen emothi-onspsychologieschen Theorien anzubieten.

Abb. 32. Einkaufzentrum Stuttgart

Abb. 33. Virtual Art Space Diabolus SL

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10. Emotionspsychologie

Emotionen sind Forschungsgegenstand der Emo-tionspsychologie, aber nichteinmal die Frage, was Emotionen sind, wurde bis heute zufriedenstellend beantwortet.

Geht man vom Alltagsverständnis von Emotionenaus, werden bestimmte psychische Zustände mit Wörter wie Freude, Überraschung, Trauer etc. bezeichnet. Wir setzen dabei voraus, dass unserGesprächspartner weiß, was mit diesen Wörtern gemeint ist,weilervorher irgendwannähnlicheZu-ständeerlebthat.UnsereErfahrungenunterstützen,dass diese Annahme aller Wahrscheinlichkeit nach stimmt.JederscheintdieWörterzuverstehen.JederMensch gibt ab und zu Anzeichen solchen psychi-schen Zuständen. Emotionen sind Erlebnisse, die bei allen Menschen gemeinsam sind. Es gibt tat-sächlich keine Sprache, die keine Wörter für solche Vorkommnisse kennt. Als Wissenschaft, braucht aberdieEmotionspsychologieeineDefinition,dassfür jeder verständlich ist, unabhängig davon, ob erEmotionen früher erlebt hat oder nicht.

Es sind zahlreiche Definitionen in der emotions-psychologischen Fachliteratur aufzufindenden. Esgibt sogar zumTeil unversöhnlicheKategorien vonDefinitionen, da eine Emotionsdefinition meist Teileiner umfassenderen Emotionstheorie ist. Behavi-oristische-, Kognitiv-physiologische-,Attributionale-,Evolutionspsychologische Emotionstheorien neh-menverschiedeneAnsatzpunkteundbehandelndasThematik aus diversen Gesichtspunkten, dement-sprechend bestimmen sie auch den Begriff Emotion anders.

HierfolgeneingigeDefinitionen,derenSynthesewe-nigsten einen Eindruck darüber gibt, was Emotionen sein mögen.

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„Eine Emotion ist ein intersubjektiv beobachtbaresReaktionsmuster, das durch bestimmte Umweltge-gebenheitenverläßlichausgelöstwird.Diegrundle-genden Reaktionsmuster sind angeboren.“„Eine Emotion ist ein erbliches Reaktionsmuster, das tiefgreifende Veränderungen des körperlichen Mechanismus als Ganzem beinhaltet, insbesondere der viszeralenundderDrüsensysteme.MitReakti-onsmuster meinen wir, daß die einzelnen Details der Reaktion immer dann mit einiger Konstanz (...) auf-treten, wenn der auslösende Reiz dargeboten wird.“/JohnB.WATSON(1878-1958)/

„Eine Emotion ist ein Erlebenszustand, und zwar ein Erleben körperlicher Reaktionen, die auf die Wahr-nehmung eines erregenden Reizes erfolgen.“/WilliamJAMES(1842-1910)/

„Eine Emotion ist ein Erlebenszustand, der aus der IntegrationvonkörperlichenErregunsempfindungenundbestimmtenKognitionenhervorgeht.“/StanleySCHACHTER(1922-1997)/

„ Eine Emotion ist ein Erlebenszustand, der aus be-stimmten Bewertungen resultiert und dem bestimmte Handlungen nachfolgen.“/BernardWEINER/

„Ich sehe eine Emotion als ein Syndrom aus ver-schiedenen Komponenten:Nicht nur der Erlebenszustand gehört zur Emotion dazu, nicht nur Kognitionen gehören dazu, sondern auch physiologische Reaktionen, Handlungsimpulse und beobachtbares Verhalten.Außerdem gibt es keinen Zweifel, daß Emotionen einegenetischeGrundlagehaben;siesind-imSin-neDarwins-grundlegendeFormenderevolutionä-ren Anpassung.“/RobertPLUTCHIK/

„Emotionen sind nichts anderes als bestimmte neuro-physiologischeReaktionen.Sieexistierenalssolchealso nur in unserem Gehirn. Sie laufen automatisch ab;wirkönnensienichtbeeinflussen,könnenihnennur im Nachhinein Sinn geben.“/JosephE.LeDOUX/

„Emotionen werden sozial ausgehandelt, sie sind soziale Konstruktionen. Es gibt eine Emotion nicht als „Ding an sich“, das man „objektiv“ erforschenkönnte.Welches Gefühl jemand in einer bestimmten Situ-ation hat, hängt nicht von biologischen Reaktions-programmen ab, sondern davon, welches Gefühler glaubt, haben zu sollen. Nur so sind die starken kulturellenundhistorischenUnterschiedebezüglichEmotionen zu erklären.“/KennethJ.GERGEN/

UmdieverschiedenenTheorienintegrienzukönnen,ist eine einheitliche Emotionsdefinition notwendig.ManakzeptierteinesogenannteArbeitsdefinitionzurPhänomenbeschreibung und groben Abgrenzung des Forschungsgebietes. Man erwartet, dass sich eine exakte Definition dann als Resultat wissen-schaftlicher Analyse ergibt.

Das folgende Beispiel für eine ArbeitsdefinitionstammtausdemLehrbuch vonMeyer,Schützwohlund Reisenzein:

1.EmotionensindVorkommnissevonz.B.Freude,Traurigkeit,Ärger,Angst,Mitleid,Enttäuschung,Er-leichterung, Stolz, Scham, Schuld, Neid sowie vonweiterenArten von Zuständen, die den genanntengenügend ähnlich sind.

2. Diese Phänomene haben folgende Merkmale ge-meinsam:(a)SiesindaktuelleZuständevonPerso-

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nen;(b)sieunterscheidensichnachArtoderQualitätund Intensität (...); (c) sie sind in der Regel objek-tigerichtet (...); (d) Personen, die sich in einem der genanntenZuständebefinden,habennormalerweiseeincharakteristischesErleben (Erlebensaspekt vonEmotionen),undhäufigtretenauchbestimmtephy-siologische Veränderungen (physiologischer Aspekt vonEmotionen)undVerhaltensweisen(Verhaltensa-spektvonEmotionen)auf.

EmotionensollenvonemotionalenDispositionenab-gegrenzt werden. Während man Angst als Emotion bezeichnet, wäre die zugehörige emotionale Dispo-sitionÄngstlichkeit.EmotionisteinaktuellerZustandder Person, demgegenüber ist emotionale Dispositi-on die Eigenschaft der Person.

SowohldieQualitätalsauchdieIntensitätkannalsUnterscheidungsmerkmal zwischen verschiedenenemotionalenEpisodenverwendetwerden.DieInten-sitätkönnenwirvergleichen,nichtaberalsabsoluteMaß angeben.

Emotionen kennzeichnen den Zustand der betroffe-nen Person durch:-eincharakteristischesErleben-bestimmtephysiologischeVeränderungen-bestimmteVerhaltensweisen

Emotionen haben eine biologische Funktion. Sie stehen mit Verhalten in direkter Verbindung. Viele Forscher, wie zum Beispiel Plutschik, betrachten Emotionen sogar als evolutionäre Anpassungsme-chanismen. Auf jeden Fall ermöglichen Emotionen bedürfnis-undsituationsgerechteAuswahlvonVer-haltensweisen. Sie regulieren Intensität und Ausdau-er der verschiedenenVerhaltensweisen und bewir-ken das Erlernen solcher Verhaltensweisen.

Genauso schwierig, wie die Definitionsgebung, ist

die Klassifikation von Emotionen. Anhand welcherMerkmale lassen sich Emotionen unterscheiden? Welche Emotionen sind einander ähnlich, welche unähnlich? Gibt es Emotionen, die grundlegender sind als andere, die als Basisemotion funktionieren? AufdieseFragengebendiegenanntenTheorienver-schiedene Antworte.

10.1. Behavioristische Theorien

BehaviorismusnenntmaneineStrömunginderPsy-chologie,diezwischen1920und1960vorallem indenUSAverbreitetwar.WichtigeVertreterderStrö-mungwarJohnB.Watson(1878-1958).

Zentraler Forschungsgegenstand dieser Bewegung ist das Verhalten, also derjenige Gegenstandsteilbe-reich der Psychologie, der intersubjektiv beobacht-barundverschiedenenBeobachterngleichermaßenzugänglich ist. Das Erleben, welches nur der jeweils betroffenen Person zugänglich ist, kann nach Ansicht derBehavioristennichtGegenstandderPsychologiesein. Sie möchten ihren Forschungsgegenstand in objektivenMaßenbeschreibenkönnen.EsistinVor-haben, welches bei Erleben sicherlich nicht gelingen kann.DasVerhalten istabervisuellund akustischwahrnehmbar und messbar. Forschungsgegenstand der behavioristischenPsychologie sind ausschließ-lich intersubjektivbeobachtbaresVerhaltenundbe-obachtbare Umweltgegebenheiten, wie Reize undStimuli.BehavioristenschließendieIntrospektionalsForschungsmethodeaus,weilsieunzuverlässig ist,lediglichsubjektiveDatenproduziert.

DerBehavioristWatsonnimmtan,dassEmotionenangeboren sind. Daher liegt es nahe, Emotionen vorallembeiSäuglingenzubeobachten,umdieseThesezuüberprüfen.EineReihevonExperimentenwurde durchgeführt um zu erfahren, welche extre-men Reize zu welchen Reaktionen beim Säugling

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führen. Er konnte drei grundlegend verschiedeneReaktionsmuster feststellen Furcht, Wut und Liebe. Watson nimmt weiters an, dass alle anderen, sekun-dären Emotionen durch klassiches Konditionieren entstehen.

Kritikpunkte zur Watsonstheorie: •WatsonkannEmotionennichtvonanderenReakti-onsmustern abgrenzen •WenigAussageüberdieEmotioneneinesErwach-senen. •Watsonkannnichterklären,wiedieanderenEmoti-onenausdenGrundemotionenhervorgehen.•WatsonsTheoriedesErwerbsvonEmotionenwur-de nur bei Furcht nachgewiesen.

10.2. Kognitiv-physiologische TheorienJames - Schachter - Mandler

Kognitiv-physiologische Theorien sind der Auffas-sung, dass ein Emotion ein Erlebenszustand sei. Außerdem nehmen sie an, daß das Entstehen bestimmter Emotionen von bestimmten Prozessenabhängig ist. Diese Prozesse können physiologische undkognitiveNaturhaben.

Emotionenzwarprivate,anderennichtzugänglicheEreignisse sind, sie lassen sich über körperliche Symptome nach außen hin mitteilen. Emotionserle-ben bewirkt bestimmte körperliche Veränderungen. Umgekehrt, können körperliche VeränderungenEmotionen auslösen. Normalerweise gehen wir da-vonaus,daßdasEmotionserlebendasAusschlag-gebende ist, nicht die körperlichen Veränderungen. Im Gegensatz dazu meint der Psychologe William James, dass die körperlichen Veränderungen den EmotionenvorangehenunddassEmotionennichtsanderes als die Empfindungen dieser Veränderun-gen sind. James betrachtet viszerale Reaktionen(Herz, Lunge, Magen) als entscheidend. Carl Lange

vertretet ähnlicheAnsichten, aber geht davon aus,dass vasomotorischeReaktionen für dieEmotions-entstehungverantwortlichsind.

Die Vielfalt der körperlichen Veränderungen ist also nach James die Grundlage für unser reiches emo-tionales Erleben. Dabei sind nicht die willkürliche motorische Handlungen, wie Mimik und gestik, son-dern die unwillkürliche Reaktionen der Eingeweide als weitaus wichtiger. Die emotionale Reaktion wird nicht durch die bloße Wahrnehmung eines Objektes auslöst, sondern durch die Bewertung der Gesamt-situation. Damit es zu einer Furchtreaktion kommen kann, muß also also die Bewertung erfolgen.Kritiker der Theorie weisen darauf hin, dass diesel-ben viszeralen Veränderungen bei verschiedenenemotionalenodernicht-emotionalenZuständenauf-treten können,weiters viszeraleVeränderungen zulangsamsind,umalsUrsachedesGefühlserlebnisinFragezukommen.WenndieTheorievonJamesstimmt,müßteauchdiekünstlicheHerbeiführungvis-zeralerÄnderungen (z.B.durch InjektionvonAdre-nalin) zu Emotionen führen, was aber nicht unbedingt der Fall ist.

Maron hat die Theorie weiterentwickelt und ergänzt. Bei ihm besteht eine Emotion aus einer körperlichen Komponente und einer psychischen Komponente, die bestimmte Kognitionen beinhaltet. Nach seiner Meinung ist die Empfindung körperlicher Verände-rungen notwendig für das Erleben von Emotionen,jedoch nicht hinreichend. Eine Kognition muß über die erregungsauslösende Situation hinzutreten, damit eine Emotion entstehen kann. Es muß eine Verknüpfung zwischen Erregungsempfindung undSituationseinschätzungvorhandensien,dieerKau-salattribution nennt.

Valins stellte die physiologische Komponente gänz-lich in Frage.Weil wir häufig körperliche Erregung

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gar nicht oder fehlerhaft wahrnehmen, ist es nicht diese, die entscheidend bzw. notwendig ist für die Emotionsentstehung, sondern die kognitive Reprä-sentation darüber, daß man erregt ist.

10.3. Attributionale Theorien

Stolz Scham oder Schuld sind gute Beispiele für Emotionen, die von komplexen Denkvorgängen,von Ursachenzuschreibungen, sogennanten Kau-salattributionen abhängen. Solange bei Schachters kognitiv-physiologischeTheorie kommenKausalatt-ributionen lediglich als Verknüpfung zwischen Situ-ationseinschätzung und physiologischer Erregung vor, indemderphysiologischenErregungUrsachenzugeschrieben werden, geht es bei Weiners Theo-rie darum, daß ganz allgemein Ereignissen in der Umwelt Ursachen zugeschrieben werden. Er siehtphysiologische Erregung als nicht notwendig für die Emotionsentstehung an. Seine attributionale Theorie befasst sich mit denAuswirkungen von Ursachen-zuschreibungen auf das menschliche Erleben und Verhalten sowie speziell auf Motivation und Emo-tion. Der attributionale Ansatz erscheint primär für komplexeEmotionensinnvoll.KennzeichensolcherkomplexerEmotionenistauch,daßsie,soglaubenwir zumindest, nicht von kleinen Kindern oder vonTieren empfunden werden können, weil diese nicht über die Fähigkeit zu den notwendigen Kognitionen verfügen.

Nach Weiners Theorie enstehen Emotionen in drei Schritten:Im ersten Schritt schätzt die Person ein, ob das Ziel, dassieverfolgte,mitdemwahrgenommenenEreig-nis erreicht worden ist. Im zweiten Schritt führt die PersondasEreignisaufeinenbestimmtenUrsachen-faktor zurück, wie zum Beispiel eigene Anstrengung, eigene Fähigkeit, die Schwierigkeit der Aufgabe oder der Zufall. Der dritte Schritt besteht darin, daß der

gefundeneUrsachenfaktorbewertetwird,indemsichdie Person folgende Fragen stellt und beantwortet: •LiegtdieUrsachebeimirselbstoderbeianderen?• Ist die Ursache über die Zeit hinweg stabil odervariabel?•IstdieUrsachefürmichkontrollierbarodernicht?

Als Kritikpunkt kann erwähnt werden, dass Weiners Theorie auf keiner empirischen Basis beruht und kann nicht befriedigend empirisch getestet werden

10.4. Evolutionäre Emotionstheorie

Der Psychologe Robert Plutchik entwickelte in den 1960erbis80erJahrenseineevolutionspsychologi-schen Emotionstheorie. Seine Schwerpunkte waren die Erforschung von Emotionen, Suiziden, Gewaltund der Psychotherapie.

Plutchik versuchte seine Theorie systematisch inFormvonzehnPostulatenzusammenzufassen.Diewichtigsten Punkte dieser Theorie sind die folgen-den:

•EmotionenhabeneinegenetischeGrundlage•EmotionensindgrundlegendeFormenderAnpas-sungvonReaktionenmitstabilisierendenRückmel-deschleifen,dieeinegewisseArtvonSelbstregulati-on des Verhaltens herstellen. •EmotionenkönnenaufallenStufenderphylogene-tischenLeiteridentifiziertwerden•EmotionensindkomplexeKettenvonReaktionen•EsgibtachtgrundlegendeoderprimäreEmotionen•DieÄhnlichkeitsbeziehungenzwischendenprimä-ren Emotionen können in einem dreidimensionalen strukturellen Modell dargestellt werden.•AlleanderenEmotionensindMischungoderKombi-nationen der primären Emotionen

Plutschik vertretetdieMeinung,dassEmotionen in

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der Phylogenese durch natürliche Selektion entstan-den sind und somit genetische Grundlagen haben. EmotionensindeinekomplexeAbfolgevonReakti-onen auf einen Reiz. Der Reiz wird durch die Kogni-tiveEinschätzungbewertet.DarausentstehenunterEinfluss des Zentralen Nerven Systems bestimmteGefühle, die zu den entsprechenden Handlungen führen. Diese Handlungen wirken auf die Situation zürück.Plutscik vertretetdieMeinung,dassdiesesVerhaltensmuster uns einen evolutionären Vorteilverschafft.

Die acht primären Emotionen beruhen auf physiologi-schenMechanismen,dieimLaufederEvolutionzurBewältigungvongrundlegendenAnpassungsproble-men entstanden sind. Die acht Primären Emotionen sind: Furcht, Ärger, Freude, Traurigkeit, Vertrauen,Ekel, Antizipazion und Überraschung. Diese acht Primärfunktionen lassen sich analog des zweidimen-sionalen Farbenkreises in einer radialen Anordnung auf einem Diagramm anordnen. Zu diesem zweidi-mensionalen Modell fügt Plutchik als dritte Dimensi-ondieIntensitätvonEmotionendazu.Emotionenmitabnehmender Intensität unterscheiden sich weniger voneinander. Plutschik hat das selbe Sinngehaltmanchmal räumlich, manchmal auch zweidimensi-onal dargestellt.

Sekundäre Emotionen ergeben sich aus der Mi-schungoderKombinationvonPrimäremotionen.Ausder Mischung zweier oder dreier primärer Emotionen entstehen sogenannte Dyaden oder Triaden. Primä-re Dyaden Dyaden entstehen aus der Vermischung zweier direkt benachbarter Emotionen Sich gegenü-berstehendeEmotionenbildeneinenKonflikt,derzueiner Handlungshemmung führen kann.

VieleForschervertretendieAuffassung,daßesei-nigewenigeBasis-Emotionen gibt, von denen sich

alle anderen ableiten lassen. UnglücklicherweiseherrschtUneinigkeit darüber,wasdasKriterium füreine Basis-Emotion sein soll. Daraus resultierendunterscheidensichdievonverschiedenenForscherals Primär Emotion ausgewählten Emotionen. Für PlutchikistdasKriteriumdergroßeevolutionäreAn-passungwert. Da es keinerlei empirische Befunde für Basis-EmotionenirgendeinerArtgibt,mußdasKon-zeptderBasis-Emotionenalsgescheitertangesehenwerden. Plutschiks Theorie lässt wenig Raum für das kognitiveElementderEmotionen.TrotzdieserKritik-punkte lassen sich die Auswirkungen dieser Theorie immer noch als bedeutsam bewerten.

DiePlutschik-TheoriedientalsAnsatzpunktbeidemvon derDiabolusArtResearchGruppe realisiertenProjektinSecondLife.DasProjektkannalseinEx-periment betrachtet werden, welches darauf gerich-tet ist, Schöffers spaziodynamisches Theater in dem Metaversumzuverwirklichen.DasResultat isteineAbbildungvonSchöffersVorstellungenineinevirtu-elle Welt. Dabei hat die Gruppe ein bißchen Raum der künstlerischen Freiheit gelassen. Die meisten Aspekte wurden aber in Auge behalten und den ori-ginalen Vorstellungen entsprechend realisiert. Umden Vergleich zu ermöglichen wird im Folgenden das zugehörigeAbschnitt vonSchöffersBuchwortwört-lich zitiert:

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11. Nikolas Schöffer: Spaziodynamisches Thea-ter und Geschäftszentrum

EinederbevorzugtenStättenderFreizeitgestaltungwird das spatiodynamische Theater sein. Ein fester Ort mit einer bestimmten Architektur, aber in seinem Innern wird ständig ein dynamisches und totales Schauspiel abrollen.

Dieses Theater besteht aus einer eiförmigen Hülle mitakustischemProfilvon100bis250MeterDurch-messer.DasPublikumbefindetsichinderMitteundim Innern der Schale, auf einer hyperbolischen Vor-richtung, die sich rund um eine zylindrische Spindel dreht. Diese Spindel enthält ein Geschäftszentrum, vondembereitsdieRedewar.DasPublikumkannsich leicht zwischen dem Geschäftszentrum und den Zuschauerlogen hin- und herbewegen, obwohl diehyperbolische Vorrichtung, welche die Logen enthält, sich langsam, mit unterschiedlicher Geschwindigket in beiden Richtungen dreht.

11.1. Das Schauspiel

‚Den Zuschauern gegenüber läuft ein Steg an der Wand der Schale entlang rundherum. Auf dieser ringförmigen Bühne spielt sich ein Teil des Schau-spiels ab, nähmlich elektronische Ballette, die vonkybernetischen Skulpturen ausgeführt werden, und auch Ballette mit Tänzern. Auf bestimmten Ab-schnitten der Ringbühne deklamieren Chöre mobile Gedichte, Solisten werden deklamieren und singen; Theaterstücke werden gespielt, die eigens für die-se Vorrichtung konzipiert sind; Vorträge werden gehalten und alle möglichen Informationen geben. Die ganze Innenwand der Schale entlang läuft ein Cyclorama-Hintergrund,derabwechselndausver-schiedenenBildschrirmenbesteht.Einerdavonistinsich selbst belebt durch die Bewegungen der poly-chromen Elemente, aus denen er zusammengesezt

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Abb. 34. Emoticon

ist, andere erhalten luminodynamische Projektionen mitveränderlichenPartiturenodersiebestehenausübereinandergelagerten Reliefgittern. Wieder andere dienenalsLeinwändefürKinovorführungen.

Der Ton ist stereophon und wird in der Rotationsbe-wegung des Publikums entgegengesezten Richtung ausgesandt. Das Publikum kann die Projektionen in allen Teilen des Gesichtsfeldes überblicken. Das gesamteSchauspielwirdvoneinemelektronischenKontrollturm aus gesteuert, der sich auf die Spitze deszentralen,zylindrischenGehäusesbefindet.DasProgramm des Schauspiels wird ständig neu zusam-mengestellt, um mit Hilfe des zur Verfügung stehen-den Repertoires jedes Gefühl der Wiederholung zu vermeiden. Um der Übersättigung entgegenzuwir-ken, wird auch die unterschiedliche Rotation des Publikums eine wichtige Rolle spielen. Am Ablauf dieses Schauspiels ohne Anfang und ohne Ende wirken verschiedene Visionen, sich bewegendeTöne, ständig abgewandelte Rhytmen und projizierte GerücheundKlimataaktivmit.WennderZuschauerseineLogebetritt,nimmtereinenganzenKomplexrhytmischer Sensationen wahr, deren Ablauf sich nicht völlig ohne sein Zutun vollzieht. Vor jedemZuschauerbefindetsichnähmlicheinSchaltpult,mitdem er dem Kontrollturm seine Eindrücke oder seine Befehleübermittelt,diesständigquantifiziertwerdenunddenAblaufdesProgrammsbeeinflussen.Infrei-enRaumvordenZuschauerlogenkönnenfliegendeSkulpturen auftauchen und bewegliche Zwischen-Bildschirme werden herabgelassen, um Projektio-nen abzubilden. Auf den Kinoleinwänden wird man Wochenschauen, abstrakte Filme, Kurzfilme undKunstfilmezeigen.DieseSäle eignen sich für audiovisuelleKonzerteund Austellungen von beweglichen Kunstwerken(Plastiken) der Avantgarde, ferner für historische,wissenschaftlicheundKunst-VorträgesowiefürDe-batten, künstlerische Wettbewerbe und so weiter.

DiesesspatiodynamischeTheater,vondemeinTeilfür die funktionale Freizeitgestaltung (shopping) und der andere für ästhetische Freizeitgestaltung be-stimmt ist, gibt in konzentrierter Form ein Beispiel für das Gleichgewicht, das für die harmonische Gestal-tungdesLebenserforderlichist.‘/NikolasSchöffer/

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12. Aufbau von Emoticon

AusgehendvonPlutschiksDarstellungentstanddieIdee,seineEmotionstheoriezuvisualisierenunddieTheorie aus ihrer Buchform in ein audiovisuellesShow zu transformieren.Während der Theatervor-führung werden die verschiedenen Qualitäten undIntensitätenvonEmotionenmitHilfevonMusik,TanzundvisuelleEffektevermittelt.DieZuschauerwerdenin regelmäßigen Abständen gefragt, ob sie die Dar-stellungderentsprechendenQualitätund IntensitätderEmotionüberzeugendfindenodernicht.Abhän-gigvondenausgewertetenStimmabgabenwirddienächste Emotion für Darstellung ausgewählt.

12.1. Geometrische Struktur

Das Grundstruktur der Emoticon Theater basiert auf dieGrundideevonNicolasSchöffersSpatiodinami-sches Theater. Die Aufbau wurde aber, auf Grund vonderneuenkollaborativenMetaversInsfrastukturangebotenen wesentlich erweiterten Möglichkeiten, starkmodifiziert.

In der Metaverse Environment ist es möglich, diegeometrische Teile anzuordnen, ohne die statische Gesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen. Außerdem bietetdieseUmbebungdieMöglichkeit,diegeome-trischeTeile imRaumfreizuverformen,kolorieren,texturieren, translatieren und rotieren. Um dieseFunktionalitätenzuverwirklichenstehteineobjekto-rientierte script Sprache (LSL) zur Verfügung.

Das Emioticon Theater besteht aus 24 Teile:

12.2. Effektor GruppeDieEffektorElementesorgenfürdievisuelleEffektein dem Emoticon System.

1./SpherischeTexture-Projektionsoberflächen

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Abb. 35. Ken Knowlton computer Graphics

Diese Komponente bilden den immersiven Hinter-grund in zwei Ebenen.• Drei Projektionsflächenmit Texture-, Farbe-undRotationsSkript,vondenenzweisindViertelku-geln und eine ein Halbkugel, mit einem Durchmesser vonD=256Meter(1a.)• Sechs Projektionsflächen mit Texture-, Far-be-,undRotationsSkript,vondenenzweisindVier-telkugelnundvierAchtelSegnentevonKugeln,miteinemDurchmesservonD=128Meter(1b)• Eine Auditorium-Ebene von den Dimensio-nen 128 x 128Meter (1c). Hier befinden sich dieZuschauersitze. • ZweiGarniturenvon24+4Texturen.(1d)DieTexturenentsprechendenverschiedenenQualitätenundIntensitätenvonEmotionen,bzw.denvierPaa-renvonEmotionsgegensetzen.EsgibtachtEmoti-onsqualitäten von je drei Intensitäten (8x3=24). Jeeine Garnitur wurde von Caravaggio Bonetto undMillamilla Noël gestaltet. Millamilla Noëls Garnitur siehtauchweitereachtTexturenentsprechenddenDiadenalsErgänzungvor.

12.2. Particle Emitter, Flexi Prim und Shapetor-ture Prim

DieseKomponentegenerierendievisuelleEffekte• DreiParticleEmitter,Targetermittranslation-und rotation script. Diese Emitter senden die Partikel Richtung eines Zielpunktes aus. (2a)• Ein Particle Emitter Target mit translation-und rotation script. Die Partikel werden Richtung dieses Zielpunktes ausgesendet. (2b)• ZweiMultiemittermittranslationundrotationscript. Die Multiemitter senden immer den Emotionen entsprechenden Partikel aus. Die Partikel sind die TexturenderobengenanntenTexturgarnituren.(2c)• DreiShapetorturePrimemitTexture-,Farbe-,translation-undrotationscript (2d).Essindgroßdi-mensioniertegeometrischePrimitive, die ihreForm

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undTexturdenEmotionenentsprechendändern.• ZweiScheinwerfermit translation-und rota-tion script (2e). Die Farbe der Scheinwerfer ändert sich entsprechend den Emotionen.• EineFlexigrouppemittranslation-undrotati-on script (2f). Es sind rohränliche Gebilde, die in den Raum schlängeln.

3./ Bühne mit Zuschauer Sitze

• KameraEffektor:ÜbernimmtdieKontrollederZuschauer-Kameras. Normalerweise wird die Zu-schauer-Kamera von derAnwender selbst kontrol-liert. In diesem Fall wurde ein skript in die Sitze ein-gebaut, welches diese kontroll Funktion übernimmt und wärend der Vorführung die Kamera Daten dem Kamera-Kontrollersendet.(3a)• AuditoriumSpeaker:DiesesElementepfängtdieinstantmessageTextevondemMaster-Kontrolerund übermittelt sie den Zuschauern. Dieses Infor-mationübermittlung-System ermöglicht, dass denZuschauern werden wärend der Vorführung Fragen gestellt werden können. (3b)• Absimmungssystem: Mit Hilfe dieses Sys-tems können die Zuschauer auf die Fragen mit Ja oder Nein antworten. Sie können entscheiden ob sie die audiovisuelleEffekte, dieMusik und dieTänzeausdrucksvollgenugfinden,umdieEmotio-nen autentisch darzustellen. Alle Sitze enthalten ein Abstimmungs-Menü.NachderAbgabederStimmenwird von jedemSitz ein entsprechendesSignal ander Auswerteeinrichtung gesendet. (3c)

4./ Tänzer Gruppe

• Gesteuertes outfit attachment: Fünf AvatarFiguren bilden eine Animationsgruppe. Zum Körper

Abb. 36. Emoticon Komponente

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jeder Figur wurden spezielle Geometrien angehängt, dieebenfalsvondemEffektorKod-Sendergesteuertwerden. Diese Geometrien bekommen die selben Befehlsignale, wie die Projektionsflächen und diePartikelemitter Systeme und ändern dementspre-chenddieForm,FarbeundTextur.DiesegesteuerteAnhängsel folgendenTanzbewegungenderAvatarFiguren. (4a)• Animation Kontroll: Die Tanzbewegung derAvatar Figuren wird mit Hillfe eines sogenanntenHUD-lesAnimatorscriptkontrolliert(4b)[Bemerkung:HUDistdieAbkürzungvonHead-Up-Display]

12.3. Kontroller Gruppe

Die Kontroller Komponente haben die Aufgabe, die Effektor Elemente zeitabhängig zu steuern. 5./MasterKontrollerDer Master Kontroller ist für den zeitlichen Ablauf derEreignisseverantwortlich.DerMasterKontrollerbeinhaltet mehrere Skripte, die alle audiovisuelleElemente nach einem zeitabhängigen Programm steuern. Der Master Kontroller bekommt, interpretiert und vermittelt die Daten, die für jeden belibiegenZeitpunkt die System-Zustände und die zu begin-nende oder zu beendende Aktionen bestimmen. Diese Daten haben der folgende Aufbau: Zeitpunkt in Sekunden angegeben, Nummer des Kommunika-tionskanals, Befehl. Der Master Kontroller besteht aus mehreren Teilen, die verschiedene Aufgabenerfüllen:• EventRekorder:DerEventRekorderfragtaufBefehl bei jedem Effektor Element jene Daten ab, die die entsprechenden Effektor Zustände beschreiben, und lässt die bekommenen Informationen in dem In-stant Messenger Fenster erscheinen. (5a)• EventPlayer:DerEventPlayersynkronisiert

Abb. 37. Emoticon Kontroll Bereich

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die Zusammenarbeit der verschiedenen Teile desMaster Kontrollers mit dem sound track. (5b)• Effekt Kod-Sender: ist ein Menüpaneel mitBedienelementen. Je ein Bedienelement entspricht den 3x8=24 Emotion Qualität und Intensität Kom-binationen, weiters den 8 Diaden und den 4 emoti-onalenGegesatzpaaren.Bei derAktivierungdieserBedienknöpfe werden alle zu der aktuellen Emotion QualitätundIntensitätKombinationentsprechendenZustand-undAktionsbefehleandenEffektorenaus-gesendet. Es gibt zwei zusetzliche Bedienknopfgrup-pen.EineGruppeistfürdieIntensitätssteuerungver-antwortlich, die andere ermöglicht die Ausschaltung von Funktionsgruppen. Alle Bedienknöpfe könnenentwedervondemEventPlayeraktiviertodermanu-ell betätigt werden. (5c)

• VenueVotingEvaluator undEventProgramModifikator: speichert und auswertet die Antworte,die nach jeder gestellten Frage von den Zuschau-ersitzendurchdasVoting-Systemvermitteltwerden.Die Zuschauer werden jede dritte Minute gefragt, ob dasaudiovisuelleErlebnisnach ihrerMeinungdemangekündigten Gefühl und der Gefühlintensität ent-spricht. DerAblauf der Vorführung hängt von denausgewerteten Ergebnissen der Stimmungsabgabe ab.DieVorführungdauert24Minuten.Ursprünglichwerden nach einer vorgegebenen Reihenfolge alle24 Emotion Qualität und Intensität Kombinationenabgespielt, undzwar jede Kombination drei Minuten lang.DieabgegebenenStimmenbeeinflußendieseReienfolge. Ist die Zahl der Nein Antworte kleiner als 5, dann geht das Program, wie geplant weiter. Ist die Zahl größer als 5 aber kleiner als 10, wird random eine der benahbarten Dyaden gewählt und abge-spielt. Ist die Zahl der nein Antworten größer als 10, dann wird das Gegensatzpaar abgespielt. (5d)• SceneEventKontroller:kontrolliertdieTrans-lations-undRotationsbewegungenderEffektorEle-mente (5e)

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• VenueKameraKontroller:sendetzeitabhän-gigdieKamera-DatenfürdieSitze(5f)• VenueMessageSender:sendetindemrich-tigen Zeitpunkt die Fragen an den Zuschauern. (5g)6.SoundtrackServer

• Parcellmediaswitch:schaltetdemProgramentsprechend die notwendigen Soundtracks. (6a)• Soundtrack storage server: ist ein externalSever, wo die einzelnen Soundtracks mit URL fürinland Nutzung erreichbar sind. (6b)

Abb. 38. Emoticon Kontroll Bereich

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13. Raumkritische Wende

Mit dem Internet werden neue kulturelle Räume ge-schaffen, die nicht mehr mit den Kategorien eines physischen Raumes einzufangen sind. Der Raum erscheint nicht mehr als ein abgegrenzter physischer Ort, sondern als Ergebnis sozialer Beziehungen. Raumverdichtungen werden auf medialer Ebeneherbeigeführt.

SeiteinigerZeitscheintnaheliegend,dasseinvoll-kommenneuerRaumbegriff,einanderesRaumver-ständniss vonnöten ist. Diese Frage rückt seit den80-er Jahren ins Vorfeld der kultur- und sozialwis-senschaftlichen Debatte. Manche Wissenschaftler betrachen die neue Überlegungen als Paradigmen-wechsel, weil nicht mehr allein die Zeit im Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen steht, wiedies in der Moderne der Fall war, sondern nun auch der Raum ins Zentrum der Interesse gestellt wird. Der Raum wird als kulturelle Größe wahrgenommen.

NachfrüheremVerständnisswarRaumvorallemalsTerritoriumbegriffen,derunabhängigvonMenschenexistierte, den historischen Prozessen als Hinter-grund diente und diese in bestimmter Sinne determi-nierte. Demgegenüber beschreiben Raumsoziologen den Raum heute als Produkt menschlicher Handlung und Wahrnehmung. Hans-Dietrich Schultz drücktdiesen neuen Ansatz mit dem prägnanten Satz aus: „Räume sind nicht, Räume werden gemacht!“ Dieser Paradigmenwechsel wird als spatial turn oder Raum-kitische Wende bezeichnet.

Heute denken Raumsoziologen darüber nach, wie der Mensch räumliche Ordnungen schafft und wel-che Bedeutung diese für soziale Prozesse entfalten. Die Orte unserer Welt werden als medialisierte Orte betrachtet. Der Raum wird zu einer neuen Analyse-kategorie, indem der Wissenschaftler dem Gegen-

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Abb. 39. Metropolis Theater

stand vom Anfang an mit räumlichen Kategoriennähert und darüber räumlicht nachdenkt.

Das Internet lässt die geographische Distanz ver-schwinden und ermöglicht Kooperation und Zusam-menarbeit auf einer bisher nicht gesehenen Ebene. Die Künstler und Wissenschaftler, die an dem Diabo-lus Cybernetik Art Research Projekt zusammenwir-ken leben nicht nur voneinanderTausende vonKi-lometernentfernt,sondernsogaraufverschiedenenKontinenten. Sie treffen sich wöchentlich mehrmals ineinervirtuellenWelt.

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14. Diabolus Cybernetik Art Research Team (CARP) Concept and art direction:CaravaggioBonetto(A)Soundtrack creator:JuniversStockholm(S)Visual set and scripting: Velazquez Bonetto (D)Costume Design: Josina Burgess (NL)

Textures: CaravaggioBonetto(A),Millamlilla Noel (I), Josina Burgess (NL)

Performers: Erfantirise Morane (I), MedoraChavalier(UK),Josina Burgess (NL)Millamilla Noel (I)Any1Ginoid(USA)

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Abb.40.Performers:MillamillaNoel,MedoraChevalier,JosinaBurgessinAktionFotos:MillamillaNoel

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15. Künstlerische Avantgarde

Wie es die Namensgebung der Gruppe erraten lässt, nehmen die Mitglieder der Diabolus Cybernetik Art ResearchGruppedieAvantgardKünstlergenerationder 50-er und 60-er Jahre als Vorbild. Zu beginndes kybernetischen Zeitalters hat die neue Technologie eineRevolution der Künste ausgelöst.Die Geschwindigkeit der Entwicklung hat inzwischen enorm zugenommen. Dem Entdeckungslust der heutigen Künstlergeneration wird von demtechnischen Fortschritt ebenfalls von Zeit zu Zeitimmer wieder neues Terrain angeboten. Die Projekte der Diabolus Gruppe haben einen experimentellenCharakter. Nur die Zeit wird zeigen wie sie sich einordnen lassen.

Die avantgardistische Kunst tritt im Allgemeinenals bewusst provokante, betont innovative sowiestark selbstreflexiv orientierte Kunst auf. Dieavantgardistische Kunst strebt darauf, etwasOriginelles, Unerhörtes zu tun. BaudelairesGedichtsammlung Die Blumen des Bösen hat erstes Mal die Schattenseiten des großstädtischen Leben zum Thema der Lyrik gemacht und damit die Bürger provoziert. Schockieren scheint seitdem eine derwichtigsten Zielsetzungen der Künstler zu sein. Es mag sogar eine ernste Notwendigkeit zu sein in dem Kampf für die Aufmerksamkeit, die eine knappe Ressource ist.

Das Problem dabei ist, das keine Sensation dauert lange. Was heute ein Skandal auslöst wird morgen langweilig erscheinen. Es ist sehr schwierig den ausgelösten Aufruhr immer zu überbieten. Die Dadaisten konnten noch mit Nonsense-Gedichtenirritieren, heute niemand regt sich auf, wenn ein Kunstwerk keinen Sinn zu haben scheint. Wir haben schon leere Leinwände gesehen, wer wundert sich noch, wenn Karin Sander 770 Haare auf je

Picture:Millamilla Noel

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Abb. 41. Kunst als Skandal

einem 28x21 cm großen Papierblatt rahmen lässtund ausstellt? Vergebens versucht Orlan mit denchirurgischen Eingriffen zu schockieren. Die Wiener AktionistenhabenjamehrereEimervollmitBlutgefüllt.Der Künstlerehepaar Christo und Jeanne-ClaudekönnennochmiteinerenormenKapitalinvestitiondieAufmerksamkeit aufrechterhalten. Im Central Park inNewYorkCitywurden vor einigen Jahren7.503Tore aufgestellt. Nach dem Erfolg des Projektes planen sie die Überspannung des Arkansas Riverin Colorado. Das Projekt könnte aufgrund der nötigen Vorbereitungszeit frühestens im Jahre 2012 realisiert werden. Frage ist, ob es noch mehr als ein Turistenattraktion sein kann.

Je extremer und extravaganter avantgardistischeKunstwerke auftreten, desto notwendiger wird ihre außerästhetische, theoretische Kommentierung. Sie tendieren dazu immer weniger aus sich selbst heraus verständlichzusein.DamitgehtderKontaktmitdemPubblikumimmermehrverloren.

Es mag sein, dass Schöffers Türme nicht bei jedem Bürger Gefallen gefunden haben. Sie mussten fremdartig und neu wirken. Sie waren aber bestimmt nicht in dem Sinne schockierend, wie zum Beispiel Hagens Body Welten. Seine Gedanken waren ungewöhnlich und original in dem positiven Sinne,ohne dass er besondere Anstrengungen gemacht hätte, um original zu sein. Das Diabolus Team will ebenfalls nicht schockieren, ausgenommen wenn die Absicht, etwas zu sagen, heutzutage schockiered zu sein scheint. Die antreibende Kärfte sindWissens-undEntdeckungslust,dasBedürfnisder Kommunikation und die Freude an menschlichen Kontakte. Ob dabei Kunst entsteht, und wenn die Antwortpositiv,wiesiesich indieKunstgeschichteeinordnen lässt, muss von späteren Genarationenentschieden werden.

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Literaturverzeichnis

[1]NikolasSchöfferDieKybernetischeStadt,HeinzMoos Verlag München, 1970[2]MarkusStegmann,ArchitektonischeSkulpturim20.Jahrhundert, Ernst Wasmuth Verlag Tübingen, Berlin, 1995[3]Wikipedia[4]GoloFöllmer,»TönefürdieStraße«, Akademie der Künste (Hg.), Klangkunst, München 1996,S.216-218[5]HartmutBöhme,DasLichtalsMediumderKunst, Über Erfahrungsarmut und ästhetisches Gegenlicht in dertechnischenZivilisationAntrittsvorlesung,2.November1994Humboldt-UniversitätzuBerlin,PhilosophischeFakul-tät III, Institut für Kulturwissenschaft[6]LehrveranstaltungimSS2002vonA.Univ.-Prof.Dr.Michael TrimmelID1105ProseminarAllgemeinePsychologie:Motiva-tion und Emotion IIKurztitel:EmotionstheorievonRobertPlutchik[7]http://www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/allg/lehre/wct/e/index.htm[8]Austellungskatalog:CybernetikSerendipity1968,London

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