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Case Management für ältere Hausarztpatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen: Projekt Ambulantes Gerontologisches Team - PAGT

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Case Management für ältere Hausarztpatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen:

Projekt Ambulantes Gerontologisches Team - PAGT

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Case Management für ältere Hausarztpatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen: Projekt Ambulantes Gerontologisches Team - PAGT

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Die Deutsche Bibliothek – CIP – Einheitsaufnahme

Döhner, Hanneli:

Case Management für ältere Hausarztpatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen: Projekt Ambulantes Geronto-logisches Team – PAGT / Hanneli Döhner; Christiane Bleich; Chris-topher Kofahl. – Stuttgart; Kohlhammer, 2002

(Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Bd. 206) ISBN 3-17-017574-2

In der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden Forschungsergebnisse, Untersuchun-gen, Umfragen usw. als Diskussionsgrundlage veröffentlicht. Die Verantwortung für den Inhalt obliegt der jeweiligen Autorin bzw. dem jeweiligen Autor.

Alle Rechte vorbehalten. Auch fotomechanische Vervielfältigung des Werkes (Fotokopie/Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend.

Herausgeber: Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 11018 Berlin

Titelgestaltung: 4 D Design Agentur, 51427 Bergisch-Gladbach

Gesamtherstellung: DCM • Druckcenter Meckenheim, 53340 Meckenheim

Verlag: W. Kohlhammer GmbH 2002

Verlagsort: Stuttgart Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei holzfrei weiß Offset

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Inhaltsverzeichnis

Anhangsverzeichnis .................................................................. 10

Abbildungsverzeichnis.............................................................. 11

Tabellenverzeichnis ................................................................... 12

1 Einleitung ....................................................................... 13

2 Konzept und Implementation des Modells „Ambulantes Gerontologisches Team“ ...................... 17

2.1 Zur Studienlage............................................................... 17 2.2 Entstehungsgeschichte des Projektes ............................ 20 2.3 Zielsetzung des Modellvorhabens................................... 23 2.4 Modellorganisation und Aufgabenbeschreibung der

Teammitglieder ............................................................... 25 2.4.1 Hausärzte........................................................................ 28 2.4.2 Patientenbegleiterinnen................................................... 30 2.4.3 Koordinatorin................................................................... 32 2.5 Interventionsphasen........................................................ 34 2.5.1 Interventionsphase 1: Patientenauswahl......................... 34 2.5.2 Interventionsphase 2: Situationsanalyse durch die

Patientenbegleiterin......................................................... 35 2.5.3 Interventionsphase 3: Multidisziplinäre Planung ............. 36 2.5.4 Interventionsphase 4: Längerfristige Begleitung ............. 38 2.6 Implementation des Modells............................................ 39

3 Fragestellungen und Methoden der wissenschaftlichen Begleitforschung......................... 43

3.1 Patientenkarrieren........................................................... 43 3.1.1 Screening ........................................................................ 47 3.1.2 Assessment..................................................................... 51 3.1.3 Patienten-Dokumentation................................................ 54 3.1.4 Protokolle der AGT-Sitzungen......................................... 55 3.1.5 Zusatzbefragung der Patienten und ihrer Angehörigen

im Abschluss-Assessment .............................................. 56 3.1.6 Exemplarisch mit einigen Patienten und Angehörigen

geführte Interviews.......................................................... 57

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3.2 Ambulantes Gerontologisches Team (AGT)................... 58 3.2.1 Interviews mit Ärzten, Koordinatorin und

Patientenbegleiterinnen .................................................. 60 3.2.2 Interviews mit den Fachberatern .................................... 62 3.2.3 Protokolle der AGT-Sitzungen ........................................ 63 3.2.4 Abschluss-Gruppendiskussion mit allen PAGT-

Mitarbeiterinnen.............................................................. 63 3.3 Kooperation mit anderen Diensten ................................. 63 3.3.1 Gruppendiskussionen von PAGT-Mitarbeiterinnen mit

Mitarbeiterinnen von Gesundheits-, Pflege- und Sozialdiensten der Untersuchungsregion A.................... 64

3.3.2 Exemplarische Interviews mit Mitarbeiterinnen von Gesundheits-, Pflege- und Sozialdiensten der Untersuchungsregion A .................................................. 65

3.3.3 Tagebuch........................................................................ 65

4 Ergebnisse .................................................................... 66 4.1 Eine exemplarische Fallgeschichte: Frau Hansen.......... 68 4.2 Auswahl von Risikopatienten für die Begleitung

(Screening) ..................................................................... 69 4.2.1 Screening von Frau Hansen ........................................... 69 4.2.2 Screening der Patienten der Hausarzt-Praxen ............... 70 4.2.3 Kritische Betrachtung zum Screening............................. 90 4.2.4 Zusammenfassung ......................................................... 92 4.3 Erstkontakt und Situationsanalyse durch die

Patientenbegleiterin (Patienten-Datenblatt und Assessment) ................................................................... 94

4.3.1 Erst-Kontakt und Assessment bei Frau Hansen............. 95 4.3.2 Erst-Kontakt und Assessment bei den begleiteten

PAGT-Patienten.............................................................. 98 4.3.2.1 Durchführung des Assessments..................................... 99 4.3.2.2 Charakterisierung der begleiteten Patienten anhand

von Patienten-Datenblatt und Assessment zu Beginn der Begleitung................................................................. 100

4.3.3 Kritische Betrachtung zum Assessment ......................... 105 4.3.4 Zusammenfassung ......................................................... 108 4.4 Das Ambulante Gerontologische Team (AGT) ............... 110 4.4.1 Die AGT-Sitzungen in der Begleitung von Frau Hansen 110 4.4.2 Die AGT-Sitzungen im Überblick .................................... 120

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4.4.2.1 Anzahl und Dauer der AGT-Sitzungen............................ 120 4.4.2.2 Teamentwicklung im AGT ............................................... 121 4.4.3 Zusammenfassung.......................................................... 129 4.5 Die Hausärzte ................................................................. 131 4.6 Die Patientenbegleiterinnen ............................................ 133 4.6.1 Tätigkeiten der Patientenbegleiterin bei Frau Hansen .... 134 4.6.2 Tätigkeiten der Patientenbegleiterinnen bei den PAGT-

Patienten ......................................................................... 136 4.6.3 Zusammenfassung.......................................................... 153 4.7 Die Koordinatorin ............................................................ 156 4.7.1 AGT-externe Aufgaben ................................................... 156 4.7.2 AGT-interne Aufgaben .................................................... 158 4.7.3 Forschungsbedingte Aufgaben ....................................... 159 4.7.4 Zusammenfassung.......................................................... 160 4.8 Kooperation der AGTs mit anderen Diensten ................. 162 4.8.1 Kooperation mit anderen Diensten in der Begleitung

von Frau Hansen............................................................. 162 4.8.2 Kooperation mit anderen Diensten in der

Modellregion A ................................................................ 163 4.8.2.1 Ausgangssituation und Aufbau der Kooperation ............. 163 4.8.2.2 Kooperation aus der Perspektive der etablierten

Dienste ............................................................................ 169 4.8.2.3 Kooperation aus der Perspektive der PAGT-

Mitarbeiterinnen .............................................................. 174 4.8.3 Zusammenfassung.......................................................... 176 4.9 Abschließende Einschätzung der Auswirkungen von

Patientenbegleitung ........................................................ 179 4.9.1 Vorher-Nachher-Vergleich der begleiteten Patienten auf

der Basis der Assessments............................................. 179 4.9.2 Bewertung der PAGT-Interventionen aus der Sicht der

älteren Menschen und ihrer Angehörigen ....................... 183 4.9.2.1 Psychosoziale Beratung und Unterstützung ................... 184 4.9.2.2 Inanspruchnahme und Verzicht auf Patientenbegleitung 186 4.9.2.3 Verfügbare Zeit der Patientenbegleiterinnen................... 187 4.9.2.4 Beziehung zwischen Patientenbegleiterinnen und

Patienten sowie ihren Angehörigen................................. 188 4.9.3 Realisierung der Interventionsziele ................................. 189 4.9.4 Zusammenfassung.......................................................... 198

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5 Diskussion und Ausblick ............................................. 201 5.1 Projektentwicklung und -implementation ........................ 201 5.2 Identifizierung der Modell-Patienten ............................... 203 5.3 Multidimensionale Situationsanalyse bei den Modell-

Patienten......................................................................... 205 5.4 Kontinuierliche und Versorgungssektor übergreifende

Patientenbegleitung........................................................ 207 5.5 Kooperation mit den etablierten Diensten....................... 210 5.6 Weiterentwicklung des PAGT-Ansatzes ......................... 213

6 Literatur ......................................................................... 222

7 Anhang .......................................................................... 240

Anhangsverzeichnis

1 Mitglieder des projektbegleitenden Beirates

2 Merkblatt für Patienten mit Schweigepflichtentbindung

3 Patienten-Datenblatt

4 Patienten-Dokumentationsbogen

5 PAGT-Praxis-Ablauf-Schema

6 Kurzbefragung älterer Hausarztpatienten

7a Risikoliste

7b Risikoliste: Gewichtungen

8 Multidimensionaler Assessment-Fragebogen (OARS)

9 Wegweiser: Inhaltsverzeichnis

10 Wegweiser: Beispiel für Darstellung der Einrichtungen

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 2.1: Versorgungsbereiche...................................... 21 Abbildung 2.2: PAGT - Modellorganisation............................. 27 Abbildung 4.2.1: Verteilung der Screening-Gesamt-Werte........ 70 Abbildung 4.2.2: Häufigkeiten Screening (Arzteinschätzung

der Hilfsbedürftigkeit, N = 466) ....................... 75 Abbildung 4.2.3: Verlaufsübersicht der PAGT-Patienten........... 77 Abbildung 4.2.4: Anzahl der von den Hausärzten gestellten

Diagnosen unterschieden nach Risikopatienten und anderen Hausarztpatienten in % (N = 466)................... 80

Abbildung 4.2.5: Grade der Hilfsbedürftigkeit unterschieden nach Altersstufen (Angaben in %) .................. 89

Abbildung 4.3.1: Persönliches soziales Netz von Frau Hansen zu Beginn der Patientenbegleitung ................. 97

Abbildung 4.3.2: Dauer des Assessments, N = 84 .................... 100 Abbildung 4.3.3: Anzahl der im Assessment angegebenen

Medikamente (N = 79) .................................... 105 Abbildung 4.4.1: Persönliches soziales Netz von Frau Hansen

im Mai 1995 .................................................... 118 Abbildung 4.4.2: Teamentwicklung in den Ambulanten

Gerontologischen Teams................................ 128 Abbildung 4.6.1: Kontakte der Patientenbegleiterin zu Frau

Hansen und den Mitarbeiterinnen anderer Dienste............................................................ 135

Abbildung 4.6.2: Häufigkeiten der Arbeitsaktivitäten pro Quartal (Patientenbegleiterin in Region A) ..... 139

Abbildung 4.6.3: Anteile der Aktivitäten der Patientenbegleiterinnen in Region A............... 141

Abbildung 4.6.4: Kontaktherstellung in der Region A (Praxis 1) 146 Abbildung 4.6.6: Persönliche Kontakte zwischen der

Patientenbegleiterin der Region A und Einrichtungen des Netzwerkes ....................... 148

Abbildung 4.6.5: Weiterqualifizierung der Patientenbegleiterinnen in der Region A ........ 151

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Abbildung 4.8.1: „Verunsicherung” - ein psychologischer Faktor als Hemmnis für die Zusammenarbeit 165

Tabellenverzeichnis Tabelle 4.2.1: Gescreente Patienten der Arztpraxen ............ 71 Tabelle 4.2.2: Häufigkeiten Screening (Risikoliste und

Spontanvorschlag, N = 466)........................... 74 Tabelle 4.2.3: Häufigkeiten Screening (Kurzbefragung),

N = 466........................................................... 76 Tabelle 4.2.4: Häufigste Risikofaktoren der Risikopatienten

im Screening (Kurzbefragung und Risikoliste, N = 131) ......................................................... 79

Tabelle 4.2.5: Häufigkeiten der Variablen in der Kurzbefragung nach Altersstufen (%), N = 466........................................................... 81

Tabelle 4.2.6: Häufigkeiten der Risikofaktoren in der Risikoliste nach Altersstufen (N = 466, Angaben in %)................................................ 84

Tabelle 4.3.1: Rating der Patientenbegleiterin im Assessment von Frau Hansen: ...................... 98

Tabelle 4.3.2: Gesamt-Rating der Patienten durch die Patientenbegleiterinnen in % (N = 84)............ 102

Tabelle 4.4.1: AGT-Sitzungen und erweiterte Team-Sitzungen ....................................................... 121

Tabelle 4.9.1: Gesamt-Rating der Patienten im Erst-Assessment t0 und im Abschluss-Assessment t1 in % (N = 43) .......................... 180

Tabelle 4.9.2: Skalen und Dimensionen des OARS ............. 181

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1 Einleitung

Das Projekt Ambulantes Gerontologisches Team (PAGT) ist einModellvorhaben mit wissenschaftlicher Begleitforschung. Ziel desProjektes ist die Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschenund ihrer Angehörigen durch einen multidisziplinären Teamansatzunter Einbeziehung des Hausarztes. Die Projektlaufzeit umfassteinsgesamt vier Jahre (November 1992 bis November 1996), nach-dem eine Verlängerung um ein Jahr bewilligt worden war. Nach einerVorbereitungsphase von drei Monaten schloss sich eine dreijährigeModellerprobung an.

Aus einem ursprünglich umfangreicheren Projektkonzept musstenauf Grund des limitierten Finanzierungsrahmens Eingrenzungenvorgenommen werden. Eine wesentliche Konsequenz war, dass dasim Forschungsantrag geplante Kontrollgruppendesign deshalb nichtrealisiert werden konnte.

Für die Durchführung des Modellvorhabens wurden letztendlich eineKoordinatorin (30 Wochenstunden) und zwei Patientenbegleiterinnen(Vollzeit) sowie in geringfügigem Umfang Honorare für die beteiligtenHausärzte finanziert. Bei den Patientenbegleiterinnen hat es nachetwa einem Jahr einen Wechsel gegeben, da es zwischen ihnen, diean der Konzeptentwicklung nicht beteiligt gewesen waren, und denfür die Konzeptentwicklung verantwortlichen Mitgliedern einer Ar-beitsgruppe (Abschnitt 2.2) sowie den Mitarbeiterinnen des For-schungsinstitutes, nicht zu überwindende inhaltliche Differenzen inder praktischen Umsetzung des Case Managements gab. Eine derneuen Mitarbeiterinnen hatte einen längeren krankheitsbedingtenArbeitsausfall in der letzten Projektphase, was bei der Betrachtungder Ergebnisse (Kapitel 4) zu beachten ist. Dies ist auch mit einGrund dafür, dass insgesamt die Region A, der Aktionsraum deranderen Patientenbegleiterin in der Auswertung intensiver berück-sichtigt wird.

Der wissenschaftlichen Begleitforschung standen Projektmittel fürein/en wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in (Vollzeit), eine studentischeHilfskraft und eine Sekretärin (28 Wochenstunden) zur Verfügung.Die Projektleitung wurde aus Eigenmitteln der Universität finanziert.In der Forschung erfolgte ein Wechsel nach etwa zweieinhalb Jah-

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ren, da die wissenschaftliche Mitarbeiterin eine C1-Stelle an einemanderen Fachbereich erhalten hatte.

Für die Jahre 1993, 1994, 1995 wurden umfangreiche Zwischenbe-richte vorgelegt, aus denen der jeweils aktuelle Stand des Modell-vorhabens, die vorgenommenen Veränderungen und die Zwischen-ergebnisse der Forschung zu entnehmen sind (vgl. Döhner, Bleich,Lauterberg et al. 1994; Döhner, Bleich, Dien et al. 1995; Döhner,Kofahl, Dien et al. 1996). Nach Ende des Projektes wurde dem Mi-nisterium ein ausführlicher Abschlussbericht (Döhner, Bleich, Kofahl,Lauterberg 1997) mit einem umfangreichen Anhang erstellt. Die hiervorliegende Publikation der wissenschaftlichen Begleitforschung desProjektes ist eine stark gekürzte Fassung, die sich vor allem an dieZielgruppe der Praktiker richtet.

Nach dieser kurzen Einleitung in das Projekt werden in Kapitel 2 dasKonzept des Modellvorhabens und die Implementation beschrieben.Der ursprüngliche Abschnitt zum demografischen sowie gesund-heits- und sozialpolitischen Hintergrund mit detaillierten Literaturan-gaben wurde herausgenommen, da hierzu inzwischen zahlreicheVeröffentlichungen vorliegen (vgl. zum Überblick Schwartz, Badura,Leidl, Raspe & Siegrist 1998; Statistisches Bundesamt 1998). Dieumfangreiche Übersicht über die für das Projekt relevanten in- undausländischen wissenschaftlichen Studien wurden für diese Publika-tion auf eine Zusammenfassung verkürzt und als Abschnitt 2.1 integ-riert. Das in Kapitel 3 beschriebene methodische Vorgehen wurdeauf die für das Verständnis des Projektes wichtigsten Teile reduziert.Im Ergebnisteil (Kapitel 4) wurde auf die nach Stadtteilen und einzel-nen Praxen untergliederte Darstellung weitgehend verzichtet, daeinerseits Datenschutzprobleme dadurch ausgeschlossen werdenkonnten und andererseits Aspekte, die sich zu sehr auf die spezifi-sche Situation in den Untersuchungsregionen beziehen, für diemeisten Leser vermutlich eher uninteressant sind.

Um eine bessere Lesbarkeit zu erreichen, wurde durchgängig diemännliche Form gewählt, die immer auch für die weibliche Formsteht. Ausnahmen davon sind jeweils gekennzeichnet und darinbegründet, dass hier entweder Bezug auf reale Personen genommenwurde oder die angesprochene Gruppe weitgehend aus Frauenbesteht. In diesem Falle schließt die weibliche Form die männlicheein.

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Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen bedanken, die bei derDurchführung des Projektes direkt mitgewirkt oder uns beratend undunterstützend begleitet haben. Dies sind in erster Linie die Mitgliederder Praxis-Teams, die Patientenbegleiterinnen, die Koordinatorinsowie die Modellärzte und deren Mitarbeiterinnen. Während diePatientenbegleiterinnen und die Koordinatorin hauptberuflich imModell arbeiteten, haben die Hausarztpraxen die zusätzlichen zeitli-chen Belastungen bei nur geringfügigen Aufwandsentschädigungenauf sich genommen, um das Projekt zu realisieren und die Ideen mitzu befördern. Ihre engagierte Arbeit war eine wesentliche Voraus-setzung, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Aber ohne die guteZusammenarbeit auch mit den anderen Kooperationspartnern in denbeiden Untersuchungsregionen wäre die Projektidee nicht umzuset-zen gewesen.

Allen in das Projekt involvierten Praktikern gilt unser besondererDank auch für die Bereitschaft, sich an den für die komplexe Be-gleitforschung erforderlichen vielfältigen und zum Teil sehr zeitauf-wendigen Erhebungen (Interviews, Gruppendiskussionen) über dengesamten Projektverlauf zu beteiligen. Insgesamt zeichnete sich dieProjektarbeit durch eine ausgesprochen konstruktive Zusammenar-beit zwischen Praxis und Forschung aus, die über das Projekt-Endehinaus Bestand hat (Abschnitt 5.6).

Den Mitgliedern des projektbegleitenden Beirates (siehe Anhang 1)danken wir für ihre vielen hilfreichen Anregungen während der re-gelmäßig stattfindenden Beiratssitzungen und bei zusätzlichen An-fragen. Die multidisziplinäre Zusammensetzung garantierte eine kriti-sche und konstruktive Begleitung der Projektarbeit.

Nicht zuletzt danken wir unseren Förderern für die Finanzierung desModellvorhabens und der wissenschaftlichen Begleitforschung. DerPraxisteil, dessen Träger der Verein „Sozialwissenschaften undGesundheit e.V.“ war, wurde vom Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend und der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung finanziert. Die Forschung, durchgeführt von derUniversität Hamburg, Institut für Medizin-Soziologie, wurde aus-schließlich durch das Ministerium gefördert. Die hervorragende Zu-sammenarbeit mit den Förderern hat allen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Projektes, insbesondere aber der Projektleitung dietägliche Arbeit - inhaltlich und administrativ - erleichtert.

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Nach dreijähriger Modellerfahrung sind die beteiligten Praktiker undForscher davon überzeugt, dass die wesentlichen strukturellen Ele-mente des Modells – die Hausarztpraxis als Ausgangspunkt, dermultidisziplinäre Teamansatz mit regelmäßigen Sitzungen sowie dasprofessionelle Case Management – sich bewährt haben und zuüberzeugenden Erfolgen bei den begleiteten Patienten und ihrenAngehörigen geführt haben. Diese Erfolge haben die Beteiligtendazu motiviert, ihren Beitrag für die weitere Verbreitung der Ergeb-nisse zu leisten sowie eine auf Grund der Erfahrungen mit PAGTmodifizierte weitere Umsetzung zu unterstützen. Damit ist die Hoff-nung verbunden, dass in absehbarer Zeit veränderte Rahmenbedin-gungen geschaffen werden, die ein solches multidisziplinäres CaseManagement in der Regelversorgung ermöglichen. Die Notwendig-keit dafür wurde während der Anfang Februar 2000 bei der Fachta-gung „Case Management in der Altenhilfe: Internationale Erfahrun-gen, nationale Perspektiven“ des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (vgl. Engel & Engels 2000) auf Grundder Erfahrungen aus verschiedenen Ländern nochmals deutlichdokumentiert (Abschnitt 5.6).

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2 Konzept und Implementation des Modells„Ambulantes Gerontologisches Team“

In diesem Kapitel wird zuerst ein kurzer Überblick über die für dieProjektentwicklung relevante Studienlage (Abschnitt 2.1) gegebenund daran anschließend die praktische Entstehungsgeschichte desProjektes (Abschnitt 2.2) geschildert. Darauf aufbauend wird dasKonzept des Modells erläutert, wie es sich vor Realisierung desProjektes darstellte. Demzufolge wird hier auch nur der damals vor-liegende Stand der Fachdiskussion und -literatur berücksichtigt. DieVeränderungen, die sich während des Modellverlaufs ergeben ha-ben, werden im Ergebnisteil (Kapitel 4) dargestellt und in der ab-schließenden Diskussion (Kapitel 5) reflektiert.

In Abschnitt 2.3 wird die allgemeine Zielsetzung des Modells be-schrieben, die grundlegenden Annahmen ausgeführt, wie sie sichaus der Sicht der beteiligten Praktiker und Forscher zu Projektbeginndarstellten, und die Prinzipien benannt, an denen sich die Arbeitorientierte. Als lernendes Modell konzipiert, konnten im Projektver-lauf die Einzelziele - sofern auf Grund der gemachten Erfahrungenerforderlich - modifiziert und auch die Schwerpunkte in den geplan-ten Aktivitäten verschoben werden. In welcher Weise dies erforder-lich war und umgesetzt wurde, wird im Ergebnisteil (Kapitel 4) darge-stellt.

Der Abschnitt 2.4 schildert die geplante Modellorganisation underläutert die Aufgaben der einzelnen Mitglieder des AmbulantenGerontologischen Teams (AGT): Hausarzt, Patientenbegleiterin undKoordinatorin. Im Abschnitt 2.5 wird das Vorgehen des Teams be-schrieben, das durch vier idealtypisch aufeinander folgende Inter-ventionsphasen gekennzeichnet ist: Patientenauswahl, Situations-analyse, multidisziplinäre Planung und längerfristige Begleitung. ImAbschnitt 2.6. wird schließlich die Implementation des Modells be-schrieben, wobei im Zentrum das Vorgehen bei der Gewinnung derHausärzte zur Mitarbeit am Modellvorhaben steht.

2.1 Zur Studienlage

Gerontologisch-geriatrische Interventionsstudien, die eine möglichstlange währende selbständige Lebensführung älterer Menschen imhäuslichen Bereich erreichen wollen, sind bezüglich ihrer Methodikund Durchführung sehr heterogen. Dies erschwert ihre Systematisie-

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rung und vergleichende Betrachtung (Cohen 1991). Differenzierenlassen sich die Studien und Modelle u. a. nach

• der speziellen Zielgruppe unter den älteren Menschen,

• dem zeitlichen Ansatzpunkt der Intervention im Versorgungsver-lauf,

• der Evaluationsmethodik und den Outcome-Kriterien,

• der Zusammensetzung und Qualifikation des eingesetzten Perso-nals und dessen Aufgaben- und Kompetenzverteilungen,

• der Art, Dauer und Intensität der Interventionsmaßnahmen,

• den Rahmenbedingungen der jeweiligen nationalen Gesundheits-und Versorgungssysteme,

• dem gewählten Stadt- oder Land-Schwerpunkt,

• der Implementation der Maßnahmen in die Regelversorgungälterer Menschen und

• der Effektivität und Effizienz der Maßnahmen.

Die für den zu berichtenden Projektkontext relevanten Maßnahmenmit einer variierenden Kombination von präventiven, rehabilitativen,psychosozialen und pflegerischen Programm-Elementen strebendurch kooperative und koordinierte Aktivitäten von Mitarbeitern ver-schiedener Gesundheits- und Sozialdienste eine qualitativ gute,effiziente, kontinuierliche und möglichst lange zu erhaltende ambu-lante Versorgung älterer Menschen außerhalb von Institutionen an.

Zusammenfassende Betrachtungen zu (geriatrisch/gerontologi-schen) Case Management-Projekten, die hier nicht erfolgen, um denRahmen dieses Forschungsberichtes nicht zu sprengen, finden sichmit entweder mehr beschreibendem (Übersichten) oder bewerten-dem Charakter (Meta-Analysen) von Art, Effektivität und Nutzen derMaßnahmen in der einschlägigen Literatur (z. B. Hedrick, Koepsell &Inui 1989, Stuck, Siu, Wieland et al. 1993, Stamm 1994, Hendriksen1995, Schick 1996, Netting & Williams 1999).

Für das Projekt „Ambulantes Gerontologisches Team“ ergaben sichwichtige Hinweise aus den qualitativen und quantitativen Ergebnis-

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sen verschiedener Projekte und Studien. In einer kondensiertenZusammenschau betrachtet sind dies Hinweise zunächst auf

• die überwiegend berichtete Effektivität und den Nutzen von geriat-risch-gerontologischen Case und Care Management-Maßnahmenin kontrollierten Studien, wiewohl sich dies auf verschiedeneAnsätze, Zielgruppen und Outcome-Kriterien bezieht (Tulloch &Moore 1979; Hendriksen, Lund & Strømgård 1984; Vetter, Jones& Victor 1984; Kerski, Drinka, Carnes et al. 1987; Williams, Willi-ams, Zimmer et al. 1987; Yeo, Ingram, Sturnick et al. 1987;Sørensen & Sivertsen 1988; Carpenter & Demopoulos 1990;Epstein, Hall, Fretwell et al. 1990; McEwan, Davison, Forster et al.1990; Clarke, Clarke & Jagger 1992; Hall, de Beck, Johnson et al.1992; Hansen, Spedtberg & Schroll 1992; Melin & Bygren 1992;Pathy, Bayer, Harding et al. 1992; Rubin, Sizemore, Loftis et al.1992; Vetter, Lewis & Ford 1992; Burns, Nichols, Grancy et al.1995; Coolen & de Klerk 1993; Koedoot & Hommel 1993; Lin-schoten & Ruissen 1993; van Rossum, Frederiks, Philipsen et al.1993; Boult, Boult, Murphy et al. 1994; Fabacher, Josephson,Pietruszka et al. 1994; Silverman, Musa, Martin et al. 1995; Stuck,Harriet, Aronow et al. 1995; Engelhardt, Toseland, O´Donnell etal. 1996; Bernabei, Landi, Gambassi et al. 1998, Stuck, Minder etal. 1999).

und weiter auf

• die große Rolle des „Zeitfaktors“ bei der Vertrauensbildung zwi-schen älteren Klienten und Patientenbegleiterinnen bzw. CaseManagern (Hendriksen et al. 1984)

• die große Bedeutung von „Personeneffekten“ für den Erfolg derInterventionen (Vetter et al. 1984, Stuck et al. 1999)

• die Relevanz von Intensität, Dauer und Kontinuität der Interventi-onen für deren Erfolg (McEwan et al. 1990, Hendriksen 1995)

• die Beobachtung eines angeleiteten „Hineinwachsen-Müssens“ indie anspruchsvolle und unkonventionelle Tätigkeit des Case Ma-nagements bzw. der Patientenbegleitung für „ungelernte“ CaseManager (Koedoot & Hommel 1993)

• die Möglichkeit eines Nebeneinanders von positiven und negati-ven Konsequenzen einer größeren Aktivierung und Mobilisierungder betreuten Klienten (Vetter et al. 1992)

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• die Ebenbürtigkeit von ambulanten, hausärztlich koordinierten mitstationären geriatrischen Rehabilitationsmaßnahmen (Ostermann1990)

• die Dauer und den erforderlichen hohen Einsatz beim Aufbauguter professioneller Kooperationsbeziehungen (Ostermann 1990)

• die Bedeutung ehrenamtlicher Helfer bei der Kontinuitätswahrungin der ambulanten Betreuung älterer Risikopatienten (Wißmann1993)

• die positiven Effekte, aber auch das im Sinne einer kontinuierli-chen Betreuung „Zu-kurz-Greifen“ von reiner stationär-ambulanterÜberleitung (Stracke-Mertes 1990, Liedtke & Schulz-Gödker1994, 1995) und befristeten Übergangsbetreuungen in der geriat-rischen Rehabilitation (Oster, Nikolaus, Schlierf et al. 1995)

• die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Teilnahmeverweigerung beiScreening-Methoden zur Fall-Auswahl und aufsuchenden Hilfe-konzepten, z. B. im Gegensatz zur „Komm-Struktur“ bei Bera-tungsstellenmodellen (Reuben, Hirsch, Chernoff et al. 1993)

• die sinnvolle Erweiterung von ambulanten, präventiven Bera-tungsangeboten für ältere Menschen (Hausarztpatienten) über einRisikoklientel hinaus (Karl & Nittel 1988)

In unterschiedlicher Ausprägung korrespondieren diese Erfahrungenund Ergebnisse aus anderen Modellansätzen auch mit den im Kapi-tel 4 beschriebenen Resultaten des Projektes Ambulantes Geronto-logisches Team.

2.2 Entstehungsgeschichte des Projektes

Im Rahmen des durch die Weltgesundheitsorganisation initiiertenProjektes „Gesündere Städte“ hatte sich 1989 in Hamburg ein Ar-beitskreis „Selbstbestimmtes Altern“ gebildet, aus dem sich eine Ar-beitsgruppe zum Thema „Selbstbestimmung auch bei Krankheit,Pflegebedürftigkeit und Sterben“ entwickelte. Die Arbeitsgruppe, diehinsichtlich ihrer Altersstruktur und des beruflichen Hintergrundesder Teilnehmer sehr heterogen zusammengesetzt war, wollte mitdieser Themenwahl signalisieren, dass das Konzept der „Gesund-heitsförderung“ sich nicht allein an noch Gesunde richtet, sondernauch für gesundheitlich beeinträchtigte, hilfebedürftige alte Men-schen wichtig ist.

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Gerade bei dieser Zielgruppe gibt es im Verlauf ihrer „Patientenkar-rieren“ fließende Übergänge zwischen den organisatorisch und fi-nanziell abgegrenzten Versorgungsbereichen (vgl. Abbildung 2.1). Die aus unserem fragmentierten Sozial- und Gesundheitssystem resultierenden Schnittstellenprobleme (vgl. Döhner 1999) behindern eine sektorübergreifende umfassende Patientenbetreuung. Dabei zeigt sich ein besonderes Defizit in der Finanzierung von psychoso-zialen Leistungen zur begleitenden Unterstützung der Versorgungs-kontinuität.

Abbildung 2.1: Versorgungsbereiche

& &Pflege

Gesundheitsförderungund Prävention

Akut-behand-

lung

Rehabilitation

Beratung

Begleitung

Die Idee des vorliegenden Interventionsprojektes wurde in der ge-nannten Arbeitsgruppe entwickelt. Durch die Orientierung an konkre-ten eigenen Alltagserfahrungen in der Arbeit mit älteren Menschen, mit denen die Teilnehmer zum Teil täglich aus unterschiedlicher Sicht konfrontiert waren, war die Praxisrelevanz des Projektansatzes gesichert. Wesentliches Leitmotiv für die weitere Modellentwicklung war das Wissen um die in der Versorgung älterer Menschen mangel-hafte Selbstbestimmung bei der Inanspruchnahme von medizini-schen, psychosozialen und pflegerischen Hilfeangeboten.

Wichtige Voraussetzung für die mit Unterstützung des Institutes für Medizin-Soziologie erfolgte Konkretisierung des Projektes war die in-tensive gemeinsame Diskussion einer „Patientenkarriere“, wie sie

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sich damals aus der Sicht der Krankenschwester einer Sozialstationdarstellte, die Mitglied der Arbeitsgruppe war. Diskutiert wurde einAusschnitt der Patientenkarriere von „Frau Sorge“ (Name geändert),der bei ihrer Einweisung durch den Hausarzt in ein Krankenhausseinen Ausgangspunkt hat. Dieser Einstieg zur Präzisierung der Pro-jektidee wurde gewählt, weil eine Krankenhauseinweisung bei altenMenschen häufig den Beginn einer einschneidenden Lebensverän-derung bedeutet. Im Beispiel von Frau Sorge werden die unter demStichwort des Schnittstellenmanagements diskutierten Problemeunseres Sozial- und Gesundheitssystems (vgl. z. B. Schulz-Nieswandt 1997) sehr deutlich. Bittere Konsequenz war in diesemFall eine von Frau Sorge nicht gewünschte und bei guter Zusam-menarbeit zwischen ambulantem und stationärem Versorgungsbe-reich vermeidbare Aufgabe ihrer Wohnung und ihr Umzug in einPflegeheim direkt im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt.

Da sich dieses Patientenbeispiel schnell als wichtige Diskussions-grundlage für die Versorgungsprobleme älterer Menschen bewährthat und wesentliche Grundlage für die Entwicklung des ProjektesAmbulantes Gerontologisches Team war, wurde sie als Broschüre„Die Geschichte der Frau Sorge“ (Arbeitsschwerpunkt Sozialgeron-tologie der Universität Hamburg und Sozialwissenschaften und Ge-sundheit e.V. 1994) aufbereitet. Sie fand starke Verbreitung in Pra-xis, Forschung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungenund wird auch heute noch nachgefragt.

Die Arbeitsgruppe betrachtete in einem ersten Schritt diesen Aus-schnitt des „Versorgungsverlaufs“ von Frau Sorge, also ihre Versor-gungsrealität. In einem zweiten Schritt wurde dieser Verlauf unterdem Aspekt möglicher „falscher“ oder nicht stattgefundener Interven-tionen beleuchtet, also ein Versorgungs-Szenario entwickelt. Fol-gende Versorgungsansätze hätten nach Meinung der Arbeitsgruppeden Versorgungsverlauf von Frau Sorge „positiv“ beeinflussen kön-nen:

• Allgemeine Information des Patienten und der Angehörigen durcheine entsprechende Informations-Broschüre des Krankenhausesoder durch einen Krankenhausfunk, eventuell Video-Filme undpersönliche Beratung

• Aufrechterhaltung des Kontaktes vom stationären zum ambulan-ten Versorgungsbereich, insbesondere zum Hausarzt

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• frühzeitige Einbeziehung des Sozialdienstes im Krankenhaus inden Versorgungsablauf

• Beachtung und Einhaltung bestimmter Therapiestandards, wie z.B. der Dekubitusprophylaxe bei bettlägerigen Patienten

• Gespräch über zukünftige Versorgungsmöglichkeiten der Patien-ten bei Absehbarkeit des Entlassungstermins aus dem Kranken-haus unter frühzeitiger Einbindung der Patienten und ihrer Ange-hörigen

• externe Beratung, z. B. durch eine Beratungsstelle für ältere Men-schen (unter Vermeidung einer Überforderung der Patientendurch zu viele Kontakte)

• Beachtung der Möglichkeiten von Frau Sorge, auf die verschiede-nen sie betreuenden Bereiche (medizinisch, pflegerisch, psycho-sozial) im Sinne von mehr Selbstbestimmung hinsichtlich ihrerVersorgung einzuwirken

Um ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen zu können, hätteFrau Sorge nach Einschätzung der Arbeitsgruppenmitglieder in allenPhasen ausreichend informiert sein und ihre Wünsche so weit wiemöglich berücksichtigt werden müssen. In dem geschilderten Bei-spiel ist der wohl offensichtlichste Verstoß gegen dieses Gebot, dassFrau Sorge - trotz ihres erklärten Willens, zu Hause bleiben zu wol-len - in ein Pflegeheim „überwiesen“ wurde. Die Arbeitsgruppe teiltdie Einschätzung der betreuenden Sozialstation, dass diese für FrauSorge einschneidende Lebensveränderung bei Berücksichtigung deroben genannten potenziellen Versorgungsansätze zu vermeiden ge-wesen wäre.

2.3 Zielsetzung des Modellvorhabens

Aufbauend auf den Ergebnissen sowohl deutscher als auch auslän-discher wissenschaftlicher Studien (Abschnitt 2.1) und den prakti-schen Erfahrungen der in der Altenarbeit Tätigen (Abschnitt 2.2) istdas Ziel des Projektes Ambulantes Gerontologisches Team die Ge-sundheitsförderung und die Verbesserung der Lebensqualität älte-rer Menschen und ihrer Angehörigen. Dabei soll die Verstärkungund Förderung ihrer Selbstbestimmung bei den Entscheidungenüber die Inanspruchnahme von Hilfen mit dem Ziel der Erhaltung

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größtmöglicher Selbständigkeit besondere Beachtung finden. Dasbedeutet meistens, den Wunsch alter Menschen zu unterstützen, solange wie möglich in der vertrauten häuslichen Umgebung bleiben zukönnen.

Die grundlegenden Annahmen sind, dass mit Hilfe des vorliegendenModells die folgenden Effekte zur Verbesserung der Lebensqualitätälterer Menschen erzielt werden können:

• Vermeidung/Verzögerung der Chronifizierung von Krankheiten

• Vermeidung/Verzögerung von Pflegebedürftigkeit

• Reduzierung der Mortalitätsrate

• Reduzierung/Vermeidung medizinisch unnötiger Krankenhausein-weisungen

• Verkürzung von Liegezeiten im Krankenhaus

• Vermeidung von nicht gewünschtem Umzug in ein Pflegeheim

• Reversibilität von Pflegeheimeinweisungen

Mit dem Modell soll im Interesse der älteren Menschen ein Beitragzur Realisierung von zwei zentralen gesetzlich verankerten gesund-heits- und sozialpolitischen Zielsetzungen geleistet werden: ambu-lante vor teilstationärer vor stationärer Versorgung sowie Rehabilita-tion vor Pflege. Die Nichtbeachtung des Vorranges des ambulan-ten Bereiches wird in vielen neueren Studien kritisiert, insbesondereim Zusammenhang mit den Untersuchungen zur sogenannten „Fehl-belegung im Krankenhaus“ (vgl. Infratest Gesundheitsforschung &Klar 1989; Klar, Müller & Schulte Mönting 1989; BMFSFJ 1996). Esbesteht in der zitierten Literatur Konsens darüber, dass bei quantita-tiver und qualitativer Weiterentwicklung teilstationärer (Kurzzeitpfle-ge, Tagespflege, tagesklinische Behandlung) und ambulanter Ange-bote eine erhebliche Entlastung der Krankenhäuser und eine ange-messenere Versorgung älterer Menschen erreichbar wäre. Das Ziel„Rehabilitation vor Pflege“ sollte nicht nur im Krankenhaus mehrBeachtung finden, sondern müsste auch in der hausärztlichen Praxisstärker ins Blickfeld gerückt werden (vgl. Lehr 1991; Bundesregie-

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rung der BRD 1993; Deutscher Bundestag 1994). Die im Gesund-heitsreformgesetz (GRG) (vgl. Sozialgesetzbuch 1990; Klie 1991;Bundesregierung der BRD 1993) festgeschriebenen Ansätze werdenin der Folge durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) (vgl. Sozi-algesetzbuch 1993; Rathgeber 1993) weitergeführt.

Wesentlicher Ausgangspunkt bei der Projektentwicklung war dieAnnahme, dass eine Orientierung an den folgenden Prinzipien zurVerbesserung der Lebensqualität älterer hilfebedürftiger Menschenbeiträgt:

• Kontinuität bei der Versorgung alter Menschen, insbesondereVerzahnung von ambulantem, teilstationärem und stationäremBereich,

• Kooperation der an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen undder sogenannten „Laien“,

• Koordination der durch professionelle und nicht-professionelleHelfer geleisteten Versorgung im medizinischen, pflegerischenund psychosozialen Bereich (Vernetzung) sowie

• Hilfe zur Selbsthilfe des alten Menschen.

Zur Realisierung der genannten Ziele bedurfte es neuer Organisati-onsstrukturen. Während bei der stationären Versorgung die Notwen-digkeit von professionsübergreifender Teamarbeit (vgl. Bundesregie-rung der BRD 1993) zumindest in vielen geriatrischen Kliniken Be-standteil des Versorgungskonzeptes ist (vgl. Meier-Baumgartner1985; Rustemeyer 1988), ist dieser Gedanke im ambulanten Bereichvorwiegend von Seiten der Berufe des Sozialwesens, weniger vonSeiten des Gesundheitswesens thematisiert worden, insbesondereauch nicht von den niedergelassenen Ärzten.

2.4 Modellorganisation und Aufgabenbeschreibung derTeammitglieder

Aus der Erkenntnis, dass ein großer Teil der hilfebedürftigen älterenMenschen nicht oder nicht rechtzeitig selbst Hilfeangebote aufsucht,resultiert ein hoher Bedarf an zugehender Altenarbeit. Allerdings gibtes bei den vorhandenen Konzepten auch immer wieder das Problem

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der Erreichbarkeit dieser Zielgruppe und der Akzeptanz des Vorge-hens. Da der Hausarzt für viele ältere Menschen die wichtigste undnicht selten auch die einzige Kontakt- und Vertrauensperson ist,muss es erstaunen, dass es bisher so wenige strukturelle Ansätzegibt, die diese Chance zum frühzeitigen Erkennen von Hilfebedarfenund zur Einleitung von Interventionen aufgreifen.

Die Hausärzte sind neben den Krankenhäusern „wichtige Stellen imHilfeverbund, an denen häufig die Weichen für den weiteren Verlaufder ‘Versorgungskarriere‘ eines chronisch kranken, pflegebedürftigenMenschen gestellt werden“ (Stiefel 1987, S. 113). Dabei ist die Auf-gabe des Hausarztes, die Versorgung und Betreuung der Patientenzu koordinieren, bereits im § 73 Sozialgesetzbuch V gesetzlich ver-ankert:

„ ... Die hausärztliche Versorgung beinhaltet insbesondere

1. die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Pati-enten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichenund familiären Umfeldes,

2. die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegeri-scher Maßnahmen,

3. die Dokumentation, insbesondere Zusammenführung, Bewertungund Aufbewahrung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befundeund Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung,

4. die Einleitung oder Durchführung präventiver und rehabilitativerMaßnahmen sowie die Integration nichtärztlicher Hilfen und flan-kierender Dienste in die Behandlungsmaßnahmen.“ (Sozialge-setzbuch 1993, 150)

Die Hausarztpraxis bietet bisher nicht ausreichend genutzte Mög-lichkeiten, die umfassenden Betreuungserfordernisse durch ver-schiedene Berufsgruppen und Institutionen in einem Team-Ansatzpatientengerecht zu steuern. Das Projekt Ambulantes Gerontologi-sches Team setzt an der Hausarztpraxis mit einer neuen Form derZusammenarbeit an, die in den Gesundheitssystemen andererStaaten zum Teil schon erheblich weiter entwickelt ist.

Das hier dargestellte Projekt geht davon aus, dass der Hausarztdiesem Anspruch durch Zusammenarbeit in einem Team gerecht

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werden kann (Abschnitt 2.4.1). Dieser Teamansatz wird im vorlie-genden Modell durch das Ambulante Gerontologische Team(AGT) realisiert, das sich aus dem Hausarzt und zwei noch zu be-schreibenden neuen Tätigkeitsfeldern, dem der Patientenbegleiterin(Abschnitt 2.4.2) und dem der Koordinatorin (Abschnitt 2.4.3), zu-sammensetzt (Abbildung 2.2).

Abbildung 2.2: PAGT - Modellorganisation

Arztpraxis IIArztpraxis II

KoordinatorinKoordinatorin

Patienten-begleiterin

II

Patienten-begleiterin

II

Patienten-begleiterin

I

Patienten-begleiterin

I

Arztpraxis IArztpraxis I

PatientenPatienten

Familien Familien

Gesundheits- und Sozialdienstein Region A

Gesundheits- und Sozialdienstein Region B

Das Modell geht davon aus, dass das Ambulante GerontologischeTeam die folgenden Aufgaben sichert:

• regelmäßiger Austausch unter den beteiligten Professionellenüber die Versorgung eines gemeinsam betreuten Patienten,

• kontinuierliche Information und Aufklärung der Patienten über dengeplanten Behandlungsablauf (Anwendung des vorhandenen

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professionellen Wissens verschiedener Berufsgruppen, Berück-sichtigung der Ergebnisse des multidimensionalen Assessments),

• Planung der Therapie- und Pflegeziele, Realisierung der erforder-lichen Maßnahmen und kontinuierliche Verlaufskontrolle, eventu-ell Modifikation der Planung,

• gemeinsames Abwägen der Einbeziehung anderer Hilfeangeboteauf der Grundlage detaillierter, aktueller Kenntnisse der Dienstedurch kontinuierliche Kontaktpflege (Hilfenetz).

Die konkrete Zusammenarbeit im Team ist nicht mit den Arbeitsfor-men in einer stationären Einrichtung vergleichbar, da die Heteroge-nität der ambulanten Versorgungslandschaft eine flexiblere Strukturerfordert. Der gemeinsame Arbeitsaufwand der Team-Mitgliederbezogen auf den einzelnen Patienten wird insbesondere zu Beginneiner Betreuung und in eventuellen Krisensituationen hoch sein.Nach Abschluss der Planung und Einleitung der erforderlichen Maß-nahmen wird der Zeitaufwand für den Austausch sich vermutlichreduzieren.

Bei dem Modell wird davon ausgegangen, dass zur Erreichung dergenannten Zielsetzungen ein Konzept zur Verknüpfung von Caseund Care Management erforderlich ist. Die in der Literatur zu finden-den Definitionen dieser Begriffe sind zu vielfältig, um an dieser Stellenäher darauf eingehen zu können (siehe z. B. Wendt 1997; Wendt1998; Wissert 1998; Langehennig & Wißmann 1998). In diesemProjekt bezeichnet das Case Management den auf den einzelnenPatienten ausgerichteten Ansatz zur Koordinierung von Hilfen durchdie Patientenbegleiterin, während Care Management die gemeinwe-senorientierte Zusammenarbeit der Dienste und Einrichtungen unter-stützt durch die Koordinatorin meint. Der Sprachgebrauch von Caseund Care Management mit der beschriebenen inhaltlichen Abgren-zung scheint sich in Deutschland in der letzten Zeit durchzusetzen.

2.4.1 Hausärzte

Auf Grund der meist über Jahre oder Jahrzehnte gewachsenenVertrauensbeziehung zwischen den älteren Patienten bzw. ihrenFamilien und dem Hausarzt ist dieser prädestiniert, eine zentraleRolle in der Versorgung alter Menschen zu übernehmen (vgl. Garms-Homolová & Schaeffer 1994). Allerdings ist der Hausarzt weder in

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seiner Ausbildung noch durch Fort- oder Weiterbildung ausreichendfür die speziellen Anforderungen der geriatrischen Versorgung vor-bereitet worden (vgl. BMFSFJ 1996). Darüber hinaus fehlt ein Hono-rierungs- und Anreizsystem für die häufig zeitaufwendigen Arbeits-schritte zur Realisierung einer koordinierten Begleitung eines Pati-enten. Um diese Rolle angemessen ausfüllen zu können, bedarf esunter den heutigen Bedingungen der Unterstützung des Hausarztesdurch andere Berufsgruppen in einem Teamansatz.

Bei den Diskussionen um Vernetzung der differenzierten Hilfeange-bote im Stadtteil wird immer wieder festgestellt und kritisiert, dassder medizinische Bereich, insbesondere der Bereich der niederge-lassenen Ärzte nur schwer integrierbar sei. Dies ist u. a. dadurch zuerklären, dass viele Ärzte erst „lernen müssen, sich von dem alleini-gen Einsatz einer überwiegend auf Erkennen, Behandeln und Heilenausgerichteten kurativen Medizin abzuwenden und vielmehr das ge-samte familiäre und soziale Umfeld des Patienten, seine biografischeAnamnese und psychosozialen Bezugssysteme mit in ihre diagnosti-schen und therapeutischen Überlegungen einzubeziehen.“ (Bundes-regierung der Bundesrepublik Deutschland 1993, S. 285)

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund-heitswesen (1990, S. 95) empfiehlt; „Spezielle Teams für die häusli-che Versorgung von geriatrischen Patienten ... sind aufzubauen,deren Arbeit durch den Hausarzt koordiniert wird.“ Allerdings wirddort nicht ausgeführt, wie dies zu realisieren sei. Wegen der derzeiti-gen Situation in den Arztpraxen ist sicherlich vielfältig begründeteSkepsis gegenüber einer angemessenen Realisierung der Koordina-tionsfunktion geboten, wenn man nicht weitgehende strukturelleVeränderungen, insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit,ins Auge fasst, die dem Arzt hierbei eine klar definierte Teilaufgabezuordnet.

Die Hausärzte im AGT mussten bereit sein, sich über die üblicheVersorgung ihrer Patienten hinaus an der Auswahl und Motivierunggeeigneter Patienten für die Interventionen sowie der kontinuierli-chen Teamarbeit zu beteiligen. Dies bedeutete einerseits eine zu-sätzliche Belastung für die Hausärzte, andererseits wurde davonausgegangen, dass später eine Entlastung durch die Patienten-begleiterin folgt, unterstützt durch die Koordinatorin bei der Betreu-ung besonders hilfebedürftiger älterer Patienten.

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Die Vorbereitung für mögliche Interventionen durch das AGT begin-nen beim Kontakt eines älteren Patienten im Gespräch mit demHausarzt. Der Arzt klärt durch ein Screening-Verfahren, ob die nöti-gen Hilfen gesichert sind oder ob ein Betreuungsdefizit besteht (zurPräzisierung des Vorgehens und zur Auswahl der PAGT-Patientensiehe Abschnitt 3.1.1). Auf der Basis des Screening-Ergebnissesund/oder der subjektiven Einschätzung des Arztes macht er demPatienten das Angebot für ein Gespräch mit der Patientenbegleiterin.Der konkrete Betreuungs- und Versorgungsbedarf wird dann durchsie detaillierter im Rahmen eines multidisziplinären Assessments(Abschnitt 3.1.2) eingeschätzt und in den regelmäßig in den Haus-arztpraxen stattfindenden Teamsitzungen besprochen.

2.4.2 Patientenbegleiterinnen

Für viele ältere Menschen ist eine verlässliche Bezugsperson vonhoher Bedeutung, zumal zu viele Kontaktpersonen verwirrend wirkenkönnen (Bruder 1991). Insbesondere zur Vermeidung des bisher beiÜberweisung zu anderen Versorgungs- oder Beratungseinrichtungenhäufig unumgänglichen Wechsels von Bezugspersonen für denälteren hilfebedürftigen Menschen wird die Patientenbegleiterin alsMitglied des Ambulanten Gerontologischen Teams zur kontinuierli-chen Vertrauensperson mit anwaltschaftlicher Funktion für die Pati-enteninteressen. Sie arbeitet im Sinne des „Case Management“(vgl. Challis & Davies 1986; Wendt 1988), also orientiert am konkre-ten Einzelfall des älteren hilfebedürftigen Patienten. Durch die Pati-entenbegleiterin wird vor allem die Kontinuität der psychosozialenBetreuung gesichert. Erste Grundlage ihrer weiteren Arbeit ist dasdurch sie durchzuführende multidimensionale Assessment. Sie mussauf der Grundlage der so ermittelten konkreten Patientensituationund der darauf aufbauenden Besprechung im Team das richtige Maßfür den Betreuungsumfang finden, um sowohl Unterversorgung alsauch Überversorgung vermeiden zu helfen, denn beides kann nichtim langfristigen Interesse der Patienten sowie der Versicherten undVersicherungen liegen.

Die Patientenbegleiterin soll auf Anregung der Patienten selbst oderihrer Angehörigen sowie eventuell auch bei Hinweisen von Nach-barn, der Hausärzte oder anderer betreuender Dienste - orientiert anden Bedürfnissen der einzelnen Patienten und deren spezifischerSituation - den Patienten und ihrem näheren Umfeld Informationenüber bestehende Versorgungsangebote, finanzielle Möglichkeitenund Rechte vermitteln. Auf Wunsch soll sie Kontakte zwischen den

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nichtprofessionellen Helfern und den versorgenden Institutionenherstellen und – immer das Einverständnis der Patienten vorausge-setzt - die erforderlichen Informationen weiterleiten. Bei allen beson-ders eingreifenden Entscheidungen soll sie versuchen, die älterenMenschen zu einer gemeinsamen Beratung mit den wichtigstenAngehörigen zu motivieren. Ziel ist es, mögliche Hilfen mit allenBeteiligten zu erörtern und die so entstandenen Vorstellungen füreine Problemlösung gemeinsam zu realisieren. Die Patientenbeglei-terin beobachtet und unterstützt den Verlauf, um ggf. auch im Inte-resse des Patientenwunsches für Modifikationen in der Zielsetzungund bei den konkreten Maßnahmen zu sorgen.

Im Allgemeinen bestehen zwischen den an der Betreuung einesPatienten Beteiligten überwiegend informelle, mit der Zeit gewach-sene Kontakte, die nicht institutionalisiert sind und von dem Enga-gement jedes Einzelnen abhängen. Dies beinhaltet die Gefahr, dassbei einer plötzlichen Veränderung der Situation des Patienten oderbezogen auf sein Umfeld (wie z. B. Urlaub des Hausarztes, Tätig-werden des sozialpsychiatrischen Dienstes auf Grund von Klagender Nachbarn über verwirrte Patienten, ein Unfall oder eine Einliefe-rung ins Krankenhaus) die Kontinuität in der ambulanten Betreuungunterbrochen wird und andere, häufig stationäre Dienste einbezogenwerden, die zunächst nicht ausreichend über die Situation und dieVorgeschichte der Betroffenen informiert sind. Aus solchen nichtvorhersehbaren Veränderungen können folgenschwere Fehlent-scheidungen resultieren, wie z. B. medizinisch nicht erforderlicheKrankenhauseinweisungen oder der Umzug in ein Pflegeheim ohnevorherige Überprüfung des vorhandenen Rehabilitationspotenzials.Es wird davon ausgegangen, dass solche ungewünschten Konse-quenzen sich durch eine gute und kontinuierliche Bündelung allerrelevanten Informationen über die Patienten und ihr Umfeld sowiedie Weitergabe dieses Wissens an die jeweils mit dem Patientenbefassten Personen und Dienste durch die Patientenbegleiterinvermeiden lassen. Die Person, der diese Aufgaben anvertraut wer-den, sollte von allen oben erwähnten Institutionen organisatorischund finanziell unabhängig sein, um möglichen Interessenskollisionenvorzubeugen. Zur Zeit ist die Realität eher dadurch geprägt, dass dieBeteiligten aus den unterschiedlichen ambulanten und stationärenEinrichtungen nicht selten in einem Konkurrenzverhältnis zueinanderstehen und daher an dem Gelingen der Bemühungen Anderer nurbedingt interessiert sind.

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2.4.3 Koordinatorin

Das dritte Team-Mitglied, die Koordinatorin, hat zwei Arbeitsschwer-punkte: die teaminterne Koordinierung und die Verbindung zuden anderen Gesundheits- und Sozialdiensten im Stadtteil sowiezu Spezialeinrichtungen in anderen Stadtgebieten, wie z. B. geriatri-sche Kliniken oder Abteilungen. Während sich die Patientenbegleite-rin mit den älteren Patienten selbst befasst, bezieht sich die Arbeitder Koordinatorin vorwiegend auf das Team und die strukturellenBedingungen (gesetzliche Grundlagen, Finanzierung, Versorgungs-struktur). Sie arbeitet in erster Linie mit den professionellen, ggf.aber auch mit den nicht-professionellen Helfern zusammen. Sieorganisiert die Teamsitzungen und protokolliert deren Ergebnisse.Durch die Teilnahme an den AGT-Sitzungen sowie den Patienten-und Familienkonferenzen (Abschnitt 2.5.3) kann die Koordinatorinihren Informationsbedarf für ihre Aktivitäten in der Region aus denspezifischen Situationen ableiten. Sie stellt die Kontakte zu den fürdie Kontinuität der Versorgung wichtigen Personen und Institutionenher und schafft Voraussetzungen für eine beständige und vertrau-ensvolle Zusammenarbeit. Die mangelnde Transparenz der Dienstefür ältere Menschen im Stadtteil wird insbesondere von Ärzten immerwieder als Hindernis für eine gute Kooperation und Versorgung ge-nannt (vgl. Menz 1989). Auf Grund dieser Unüberschaubarkeit sindvon der Koordinatorin zu Beginn des Projektes vor Ort die entspre-chenden Informationen zu erarbeiten. Anschließend kann sie dieInformationen zu Angeboten und gesetzlichen Möglichkeiten, diebestimmte Interventionen möglich machen, für mitarbeitende Profes-sionelle sowie für die älteren Menschen und ihre Familien bereitstel-len.

Die gesammelten Materialien werden von ihr systematisiert, um imLaufe der Zeit die Versorgungsstruktur der Stadtteile und die überre-gional ergänzend tätigen Spezialeinrichtungen überschaubar zumachen. Die Koordinatorin erarbeitet sich ihr Wissen über die Ange-bote teilweise anhand der vorliegenden schriftlichen Materialien dereinzelnen Einrichtungen und übergreifender Berichte von Behörden(z. B. Krankenhausbedarfsplan, Altenheimplan, Ratgeber für ältereBürger etc.) und Verbänden. Punktuell wird fehlende Informationdurch Gespräche oder Befragungen ergänzt. Die Materialien werdendurch Einsatz entsprechender Software so verarbeitet und gespei-chert, dass systematisch und gezielt Informationen abgerufen undlaufend aktualisiert werden können. Da eine wohnortnahe Versor-gung für ältere Menschen von ganz besonderer Bedeutung ist, soll

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das regionale Angebotsspektrum aufgezeigt werden und im Zusam-menhang mit den u. a. aus den Bedürfnissen der AGT-Patientenabgeleiteten Angebotsdefiziten Hinweise auf Unter- oder Überver-sorgung des Stadtteils erarbeitet werden (vgl. Kutz & Moschner1993). Das Wissen über vorhandene Möglichkeiten einer optimalenVersorgung soll im Laufe der Zeit mehr und mehr auch anderenInstitutionen als Datenbank und / oder Wegweiser zur Verfügunggestellt werden.

Das Aufgabenspektrum der Koordinatorin umfasst durch die spezifi-sche Situation eines Modellvorhabens Bereiche, die voraussichtlichbei der Überführung der Modellinhalte in die Regelversorgung weg-fallen könnten. Dazu gehören vor allem:

• die interne und externe Koordination der Modell-Erprobung, d. h.innerhalb des AGTs und in Bezug auf vorhandene Mitarbeiter vonGesundheits- und Sozialdiensten,

• einzelfallbezogene Beratung von Hausärzten und Patienten-begleiterinnen hinsichtlich verfügbarer Versorgungsangebote undgesetzlicher Rahmenbedingungen zu ihrer Inanspruchnahme,

• Teilnahme an Sitzungen und Protokollführung,

• die für ein Modell wichtige Öffentlichkeitsarbeit sowie

• die Verbindung zur Forschungsgruppe.

Die Koordinatorin soll ihren Aufgabenbereich - im Sinne des „CareManagement“ (vgl. King 1990; Wright 1990) - längerfristig, d. h.nach Ablauf des Modells, in einem überschaubaren Bereich zu einerstadtteilbezogenen Koordinationsstelle für die Information und Ver-knüpfung verschiedener Dienste weiterentwickeln (vgl. Döhner 1990;Ebel 1990; Kutz & Moschner 1993). Für dieses Arbeitsgebiet sollenim zweiten Jahr der Modellerprobung Vorstellungen entwickelt wer-den, die berücksichtigen, dass die stadtteilbezogenen Koordinati-onsaufgaben auch nach Beendigung des Modells so unabhängig wiemöglich von Anbietern und Kostenträgern bleiben, um der Patienten-orientierung gegenüber Institutionsinteressen Vorrang zu geben.

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2.5 Interventionsphasen

Die praktische Arbeit des AGTs orientiert sich an den Bedürfnissender Patienten und ist idealtypisch als ein Phasen-Modell (zum Pha-sen-Modell im Case Management vgl. z. B. Wendt 1991) zu verste-hen, bei dem die einzelnen Modellelemente in unterschiedlicherWeise einbezogen werden.

2.5.1 Interventionsphase 1: Patientenauswahl

Als Voraussetzungen für die Einbeziehung der Patienten in die Stu-die und die Interventionen durch das Ambulante GerontologischeTeam wurden festgelegt:

• die Patienten müssen mindestens 65 Jahre alt sein und

• sie müssen auf Grund des Ergebnisses des systematisch in denHausarztpraxen durchgeführten Screenings (siehe Abschnitt3.1.1) zur „Risikopopulation“ gehören.

Durch die Screening-Ergebnisse wird zu Modell-Beginn eine Aus-gangsgruppe potenzieller AGT-Patienten ermittelt. Wegen der häufi-gen Besuche von älteren Patienten können die Ärzte die Zielgruppein einem relativ kurzen Zeitraum identifizieren. Im weiteren Verlauf -entsprechend den Patientenbesuchen bei den Ärzten - vergrößertsich die Gruppe einerseits kontinuierlich. Andererseits wird davonausgegangen, dass die Begleitung vieler Patienten nicht über diegesamte Projektlaufzeit erfolgt, da entweder der Bedarf durch dieerfolgten Maßnahmen befriedigt oder durch Wohnortwechsel, Umzugin ein Heim oder durch Versterben der Patienten die Betreuungbeendet wurde.

Die Ärzte schlagen dann den durch das Screening ermittelten hilfe-bedürftigen Patienten, bei denen über die laufende Versorgungdurch die niedergelassenen Ärzte hinaus möglicherweise weitereHilfen (medizinisch, pflegerisch, psychosozial) erforderlich werden,vor, zunächst ein Gespräch mit der Patientenbegleiterin zu führen.Durch die meistens kontinuierliche und vertrauensvolle Beziehung zuihren Patienten haben die Hausärzte die Chance, früher zu interve-nieren als die meisten anderen Dienste und eventuell auch sehrisolierte ältere Menschen zu erreichen und in die Patientenbeglei-tung einzubeziehen (präventiver Ansatz).

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2.5.2 Interventionsphase 2: Situationsanalyse durch diePatientenbegleiterin

Mit der Vermittlung der Patienten an die Patientenbegleiterin beginntdas multidisziplinäre Vorgehen. Das Erstgespräch der Patienten-begleiterin soll während eines von ihr durchgeführten Hausbesuchesstattfinden, um gleich zu Anfang auch eine Einschätzung des Wohn-umfeldes mit einzubeziehen.

So ist die erste Aufgabe der Patientenbegleiterin die Analyse derindividuellen Ausgangslage mit Hilfe des multidisziplinärenAssessments (siehe Abschnitt 3.1.2). Hierbei stehen folgende Be-reiche im Vordergrund:

• körperliche Gesundheit

• geistig-seelische Gesundheit

• funktionelle Beeinträchtigung

• ökonomische Ressourcen

• soziale Ressourcen

• Wohnsituation

• vorhandene und benötigte Hilfen

Eine umfassende Situationsanalyse wird voraussichtlich durch eineinziges Gespräch i. d. R. nicht zu leisten sein, weil zu viele Aspektezu berücksichtigen sind und die begrenzte Belastbarkeit der Patien-ten beachtet werden muss. Außerdem müssen die Gesprächsthe-men von den Betroffenen verarbeitet werden. Durch Gespräche mitAngehörigen oder Freunden und die eigenen Überlegungen zu dengemachten Vorschlägen werden neue Fragen entstehen, die diePatientenbegleiterin aufnehmen und in ihre Beratung einbeziehenmuss.

Aufbauend auf der Analyse und der im Team erfolgten Bedarfsein-schätzung findet eine konkrete Beratung statt, die sowohl die aktu-

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elle Situation betrifft, aber auch präventive Aspekte berücksichtigt.Dabei stehen die folgenden Themen und Vorgehensweisen im Vor-dergrund, wobei die Biografie des Patienten und der Anspruch aufSelbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen sind:

• detaillierte Informationen über derzeitige Möglichkeiten zur Ver-besserung der körperlichen und geistig-seelischen Gesundheit,

• detaillierte vorausschauende Information über Möglichkeiten beiveränderter Situation (Prävention), d. h. Gespräche über möglicheProbleme z. B. im Krankheitsrückfall oder bei Verschlimmerungeiner Krankheit,

• Wissensvermittlung in laienverständlicher Sprache über die ge-setzlichen Grundlagen, die für die konkrete Situation des Patien-ten unter Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Res-sourcen relevant sind.

Die Patientenbegleiterin soll sich im Bedarfsfall vorher mit der Koor-dinatorin beraten, die die strukturellen Rahmenbedingungen und dielokalen Gegebenheiten im Detail überschaut oder gegebenenfallserkundet. Insbesondere soll durch das AGT überprüft werden, ob dieintensive Begleitung, wie sie das Projekt vorsieht, im konkreten Fallauch aus der Sicht der Koordinatorin für erforderlich gehalten wird,oder ob weitere Beratung und Unterstützung von anderen im Stadt-teil vorhandenen Einrichtungen übernommen werden kann (Vernet-zung).

Anschließend soll von dem Patienten, ggf. unter Hinzuziehung vonAngehörigen, und der Patientenbegleiterin gemeinsam entschiedenwerden, ob eine intensive Begleitung im Sinne von PAGT notwendigund vom Patienten gewünscht ist. Die ausführliche Information übermögliche Hilfen und daraus resultierende Veränderungen ist einewesentliche Voraussetzung für die Entscheidungsfreiheit der Pati-enten und die Chance, ihr Recht auf Wahlfreiheit bei der Inan-spruchnahme von Sozial- und Gesundheitsdiensten realisieren zukönnen.

2.5.3 Interventionsphase 3: Multidisziplinäre Planung

Bei Zustimmung der Patienten zu der weiteren multidisziplinärenBegleitung durch das AGT, insbesondere durch die Patienten-

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begleiterin, erfolgt eine umfassende Planung für die weitere Be-handlung, Rehabilitation und Pflege sowie andere Hilfeangebote. Jenach Verlauf soll das weitere Vorgehen im AGT vorbesprochen undentschieden werden, ob noch zusätzlich andere Ärzte, ein Pflege-dienst oder sonstige Helfer einbezogen werden sollen, die dann daserweiterte Ambulante Gerontologische Team bilden. Insbesonde-re bei gleichzeitigem Auftreten von mehreren physischen und/oderpsychischen Beeinträchtigungen (zur Multimorbidität vgl. Fischer1990) dient dies der Einschätzung für den auf den hilfebedürftigenälteren Menschen abgestimmten Bedarf für ein differenziertes Hilfe-angebot. Die Befunddokumente der Hausärzte, Fachärzte, Patien-tenbegleiterin, Sozialdienste etc. sollen im AGT gemeinsam im Ge-spräch zu dem multidisziplinären Assessment zusammengeführtwerden, das eine detaillierte Behandlungs- bzw. Rehabilitations- undPflegeplanung möglich macht. Auf dieser Grundlage sollen die kon-kreten Interventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Verschlechte-rungen, Komplikationen bis zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeitgeplant werden.

Wenn die Mitglieder des AGTs es für sinnvoll halten und der Patientes wünscht, sollte eine Patientenkonferenz oder Familienkonfe-renz einberufen werden. Bei diesen gemeinsamen Sitzungen tretenProfessionelle und Laien (jeweilige Patienten, Angehörige) in einengemeinsamen Diskussions- und Entscheidungsprozess ein. An derPatientenkonferenz sollen der Patient und die Mitglieder des ent-sprechenden AGTs teilnehmen. Bei der Familienkonferenz wird dieGruppe - je nach Wunsch des Patienten - um ein oder mehrereFamilienmitglieder erweitert. Sowohl bei Patienten- als auch beiFamilienkonferenzen können auf Vorschlag oder mit Zustimmung derPatienten zusätzlich andere wichtige und im Einzelfall beteiligteDienste mit einbezogen werden. Eventuell kann auch die Patienten-begleiterin aus dem zweiten Team einbezogen werden, um nochzusätzliches Fachwissen und eine distanziertere Sichtweise zu be-rücksichtigen.

Als Ergebnis des gemeinsamen Gesprächs im AGT, im erweitertenAGT oder in der Patienten- bzw. Familienkonferenz werden, ent-sprechend den weiteren Hilfebedarfen der Patienten, Kontakte zuanderen Personen/Institutionen hergestellt (Netzwerkhilfe). Die Pati-entenbegleiterin nimmt gegenüber den an der Betreuung des einzel-nen Patienten beteiligten Institutionen - falls erforderlich und ge-wünscht - ihre anwaltschaftliche Tätigkeit in allen Phasen der Ver-sorgung (ambulant, teilstationär, stationär) wahr. Zu ihren Aufgaben

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gehört weiterhin die Überwachung der Einhaltung des im Team ge-planten Vorgehens, bezogen auf den einzelnen Patienten, und dieRückmeldung über den Verlauf an das AGT.

2.5.4 Interventionsphase 4: Längerfristige Begleitung

In dieser Phase der Begleitung kann sich die gemeinsame Arbeit desAGTs reduzieren. Die weitere Begleitung liegt dann schwer-punktmäßig bei der Patientenbegleiterin, solange nicht „Krisensitua-tionen“ auftreten, die erneut das gemeinsame Handeln des AGTserforderlich machen. Weiterer Besprechungsbedarf in den Sitzungendes Ambulanten Gerontologischen Teams wird also nur entwederauf Wunsch einer beteiligten Person erforderlich oder auf Grundeiner durch ein Mitglied des AGTs festgestellten, objektiv ver-änderten Situation, z. B. bei der Notwendigkeit stationärer Behand-lung oder einer Überforderung der pflegenden Angehörigen.

Die Aufgaben der Patientenbegleiterin sind nun vor allem:

• konkrete praktische Unterstützung des Patienten, z. B. bei derDurchsetzung finanzieller Ansprüche oder bei notwendiger Um-gestaltung der Wohnung,

• Motivationshilfen und praktische Begleitung bei der Aufrechter-haltung vorhandener und Erschließung neuer sozialer Kontakte,

• Begleitung bei angstbesetzten medizinischen Maßnahmen, z. B.Chemotherapie,

• Einbeziehung des sozialen Umfeldes, d. h. aller beteiligten Be-rufsgruppen sowie auch der Familie, Nachbarn und Freunde zur(Wieder-)Eingliederung,

• Organisation ambulanter, ggf. mobiler Maßnahmen, z. B. Kran-kengymnastik, Essen auf Rädern, ambulante Pflege, Haushalts-hilfe usw.

• Hilfe zur Selbsthilfe

Die Patientenbegleiterin sollte dafür Sorge tragen, dass ihre Aufga-ben längerfristig ganz oder weitgehend von Personen aus dem sozi-

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alen Umfeld des Patienten übernommen werden. Es wird davonausgegangen, dass es häufig mit Schwierigkeiten verbunden seinwird, diese Personen rechtzeitig einzubeziehen sowie die Patientenzum „Loslassen“ von der vertrauten Beziehung zur Patientenbeglei-terin zu befähigen. Es wird wichtig sein, bereits beim Aufbau derBeziehung zum Patienten oder zu einem möglichst frühen geeigne-ten Zeitpunkt sensibel auf die Grenzen der Begleitung hinzuweisen.Bei Engpässen im Versorgungsangebot - im professionellen undLaienbereich - kann die Patientenbegleiterin auf die Unterstützungdurch die Koordinatorin zurückgreifen, die auch bei aktuellen Notsi-tuationen auf Grund des Überblicks über die Versorgungsstrukturund der guten Kontakte zu den Diensten schnell Alternativen organi-sieren kann. Dies wird als eine wichtige Aufgabe gesehen, da geradein unvorhergesehenen Situationen häufig von Personen, die denPatienten bisher nicht betreut haben, Weichen in eine Richtunggestellt werden, die vom Patienten selbst nicht gewünscht und auchvom AGT nicht für sinnvoll erachtet werden.

Abweichend von dem idealtypischen Verlauf können für die Patien-ten in jeder Betreuungsphase besonders kritische Situationenentstehen, z. B. wenn die Frage nach einem Umzug in ein Pflege-heim oder die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung bestehtoder eine umfassende Betreuung im Sinne des Betreuungsgesetzes(vgl. Wegemer 1990) in Erwägung gezogen werden muss. Gerade indiesen Fällen ist verlässliche Hilfe durch eine den Patienten vertrautePerson wichtig, von der sie wissen, dass sie sie bei erforderlichenEntscheidungen in ihrem Interesse unterstützt.

2.6 Implementation des Modells

Der erste Schritt zum Aufbau des Modells war die personelle Zu-sammensetzung der Ambulanten Gerontologischen Teams. DieKoordinatorin konnte bereits zu Beginn des Projektes im November1992 für die Vorlaufphase zur Präzisierung des Modellablaufs einge-stellt werden. Die beiden ersten Patientenbegleiterinnen begannenihre Arbeit im Januar 1993.

Mangels Vorerfahrungen über die Anzahl der zu begleitenden Pati-enten pro Patientenbegleiterin wurde beschlossen, mit zwei Haus-arztpraxen in zwei unterschiedlich strukturierten Regionen -Einzugsbereiche von Sozialstationen - mit dem Modell zu beginnen,d. h. jeweils eine Patientenbegleiterin war für die auszuwählendenPatienten einer Praxis zuständig. Nach einem Jahr Erfahrung zeigte

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sich in der Praxis in Region A, dass erheblich weniger Patienten fürdie Begleitung in Frage kamen als erwartet wurde. Da die Patienten-begleiterin dadurch freie Kapazitäten hatte, wurde eine dritte Praxisin das Modellvorhaben integriert. Der Arbeitsbereich der Koordinato-rin bezog sich in der ersten Phase auf zwei Praxen bzw. Modellregi-onen, anschließend auf alle drei Praxen, zwei in der Region A undeine in Region B.

Die folgenden Kriterien bildeten die Grundlage für die Auswahl zwei-er innerstädtischer Untersuchungsregionen:

• Bevölkerungsstruktur (z. B. hoher Anteil älterer Menschen ab 65Jahre oder hoher Anteil von Ein-Personen-Haushalten)

• bereits durch andere Projekte aufgebaute persönliche Kontaktevor Ort zur Erhöhung der Akzeptanz und Verkürzung der Anlauf-phase des Projektes

• weder eine Über- noch Unterversorgung in der Struktur der Ver-sorgungsangebote

• Ausschluss von Einzugsbereichen bereits vorhandener speziellerBeratungseinrichtungen für ältere Menschen, um mögliche Kon-kurrenzen zwischen den Projektmitarbeiterinnen und den bereitsetablierten Einrichtungen zu vermeiden,

• Ausschluss von Regionen laufender bzw. abgeschlossener Pro-jekte, um eine „Überforschung“ einzelner Stadtteile auszuschlie-ßen

• Erreichbarkeit für die beiden Patientenbegleiterinnen, um zu ho-hen Aufwand an Fahrtzeiten zu den Patienten zu vermeiden

Für die beiden ausgewählten Bereiche wurde dann mit Hilfe desHandbuches für das Gesundheitswesen (Ärztekammer Hamburg &Hanseatisches Werbekontor Heuser & Co. 1992) eine Übersichtüber die hier niedergelassenen Allgemeinärzte und praktischen Ärzteerstellt. Bereits bei der Konzeption des Projektes wurde zur Vermei-dung zu großer Heterogenität entschieden, nur entweder praktischeÄrzte oder Ärzte für Allgemeinmedizin einzubeziehen, d. h. hausärzt-lich tätige Internisten wurden ausgeschlossen. Da für jede Regionvorerst nur eine Modellpraxis gesucht wurde, schien ein Anschreibenan alle in Frage kommenden Ärzte nicht angemessen. Grundlage fürdie definitive Auswahl der Ärzte waren einerseits objektive Kriterien,

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wie die Entscheidung für eine Einzelpraxis, da diese damals noch diefür diesen Bereich typische Praxisform darstellte, sowie eine Praxisohne explizite Spezialisierungen, beispielsweise mit SchwerpunktPsychotherapie. Andererseits sind persönliche Empfehlungen vonSozialstationsmitarbeitern oder Vertretern der KassenärztlichenVereinigung einbezogen worden. Es wurden also nur ausgewählteÄrzte gezielt über PAGT informiert, bei denen ein Interesse an inno-vativen Projekten vermutet werden konnte.

In dem Begleitbrief an die ausgewählten Ärzte wurde ein Telefonan-ruf angekündigt, um bei Interesse an der Mitarbeit einen persönli-chen Termin zu vereinbaren. Mit dem Anschreiben erhielten dieÄrzte:

• ein Projekt-Faltblatt,

• einen kurzen Praxis-Erhebungsbogen mit Fragen zu einigenStrukturdaten über die Praxis, die Ärzte und die Patienten,

• eine Übersicht über die bisherigen gerontologischen Arbeiten desmit der Begleitforschung beauftragten Institutes sowie

• eine das Projekt unterstützende Stellungnahme der Kassenärztli-chen Vereinigung Hamburg.

In jeder Region wurde zuerst nur ein Arzt, bei einer Absage dann einnächster auf Grund der Vorinformationen über die in Frage kom-menden Ärzte angeschrieben. Dieses Verfahren war mit erheblichemZeitaufwand bis zur endgültigen Einbeziehung der Praxen in dasModell verbunden. Ein paralleles Ansprechen verschiedener Ärzteerschien jedoch nicht angemessen, da bei mehreren gleichzeitigenZusagen eine bestehende Kooperationsbereitschaft von Hausärztennicht enttäuscht werden sollte. Nach telefonischen Vorklärungenwurden persönliche Gespräche mit den Ärzten zur detaillierterenInformation über das Projekt geführt, an denen die Projektleiterin, diejeweilige Patientenbegleiterin und die Koordinatorin teilnahmen.Dabei sind auch die Erwartungen an die Modell-Praxen deutlichgemacht worden, um den Ärzten eine ausreichende Entscheidungs-grundlage für eine Mitarbeit zu geben.

Zur fachlichen Begleitung wurden für das Modellvorhaben zwei„Fachberater“ gewonnen: die Leiterin eines ambulanten Sozial- undPflegedienstes sowie ein Gerontopsychiater. Vor allem die Patien-tenbegleiterinnen und die Koordinatorin sollten sie bei der Konkreti-

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sierung ihrer Arbeitsbereiche sowie bei schwierigen Entscheidungenoder in Konfliktsituationen unterstützen. Darüber hinaus konnten siebei einer in der Altenarbeit erfahrenen Supervisorin Probleme be-sprechen, die aus der Arbeit mit den Patienten oder der Zusammen-arbeit mit Kollegen resultierten (Abschnitt 4.4.2.2).

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3 Fragestellungen und Methoden derwissenschaftlichen Begleitforschung

Die Fragestellungen, welche im Rahmen der Begleitforschung imSinne einer Prozess- und Zielevaluation bearbeitet wurden, könnengrob in zwei Bereiche untergliedert werden: Auf der einen Seite gingdie Begleitforschung der Lebenssituation der Patienten während derPatientenbegleitung nach, auf der anderen Seite wurde untersucht,wie sich die Zusammenarbeit innerhalb der Ambulanten Geronto-logischen Teams (AGT) sowie zwischen den AGTs und anderenDiensten in der jeweiligen Region gestaltete.

Auf Grund der sich im Verlauf des Projektes ändernden Rahmenbe-dingungen - insbesondere der Personalwechsel bei den Patienten-begleiterinnen, die Hinzunahme einer dritten Praxis und die Verlän-gerung der Laufzeit des Modellvorhabens um ein Jahr - musstenVeränderungen im ursprünglich geplanten Forschungsdesign vor-genommen werden. An dieser Stelle soll nur das tatsächlich reali-sierte Vorgehen dargestellt werden. Die ursprüngliche Planung unddie Veränderungen sind in den vorliegenden Zwischenberichten(Döhner, Bleich, Lauterberg et al. 1993, 1994) näher ausgeführt.

Im folgenden Abschnitt soll analog der Einteilung der Fragestellun-gen durch eine getrennte Darstellung der Methodik (Fragestellungensowie Auswahl bzw. Entwicklung der Erhebungsinstrumente) imHinblick auf die beiden Bereiche „Patientenkarrieren“ (Abschnitt 3.1)und die Arbeit der „AGTs“ (Abschnitt 3.2) Rechnung getragen wer-den. Zusätzlich werden die Fragestellungen und Instrumente zurEvaluation der Kooperation mit anderen Diensten, zur Akzeptanzdes Modellvorhabens und zur Vernetzung beschrieben. Im Hinblickauf die Patienten-Dokumentation und die Protokolle der AGT-Sitzungen ist festzuhalten, dass es sich hierbei nicht um For-schungsinstrumente im engeren Sinne handelt, sondern um Ar-beitsmaterialien der Praxis, welche später durch die Forschung aus-gewertet wurden.

3.1 Patientenkarrieren

Bezogen auf die begleiteten Patienten stand die Fragestellung imVordergrund, welche Effekte die Interventionen der AGTs (sieheAbschnitt 4.9) auf verschiedene Aspekte der Lebensqualität derbegleiteten Patienten haben würden. Vor dem Hintergrund der unter-schiedlichsten Verwendungen des Begriffes „Lebensqualität“ war esnotwendig, diesen Begriff für das Forschungsvorhaben einzugrenzen

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und eine Auswahl zu treffen, welche Dimensionen von „Lebensqua-lität“ in dieser Studie zu untersuchen waren.

Die Breite und Tiefe des Begriffes „Lebensqualität“ wird deutlich inden verschiedensten Definitionen von Lebensqualität (vgl. Calman1987; Joyce 1991). Der Ausgangspunkt vieler Konzepte wird durchdie Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1948 mit der Definition vonGesundheit gesetzt: „Gesundheit ist der Zustand vollständigen kör-perlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur dasFreisein von Krankheit und Gebrechen.“ (Franzkowiak 1996) Le-bensqualität muss demnach multidimensional begriffen werden. Fürden Bereich Gesundheit lassen sich nach Aaronson (1990, 62) zu-mindest vier Komponenten identifizieren, über die relative Einigkeitbestehe, dass diese Lebensqualität ausmachen: „... physischerfunktionaler Status, Krankheitssymptome und Nebenwirkungen vonBehandlungen, psychologischer Status, soziale Indikatoren ...“ (Ü-bers. v. d. Verf.). Andere Autoren gehen davon aus, dass „... die inder Literatur übereinstimmend als wichtigste Dimensionen der Le-bensqualität ...“ anzusehenden Bereiche die somatische, die psychi-sche und die soziale Dimension seien (Schwarz 1991, 146; Bullinger1995).

Im Rahmen von PAGT sollten die in der Literatur empfohlenen Di-mensionen weitestgehend berücksichtigt werden. Dabei wurde einerEmpfehlung der WHO (1986) im Hinblick auf geriatrische Assess-ments gefolgt. Diese legt die Berücksichtigung folgender Aspektevon gesundheitsbezogener Lebensqualität nahe:

• Körperliche Gesundheit

• Geistig-seelische Gesundheit

• Soziale Ressourcen

• Ökonomische Ressourcen

• Aktivitäten des täglichen Lebens

• Bedarf und Inanspruchnahme von Hilfen und Diensten

• Physische und soziale Umwelt

• Belastung der Pflegenden

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Im Hinblick auf die vom AGT begleiteten Patienten sollte evaluiertwerden,

• ob und wie sich die Patienten der einbezogenen Praxen hinsicht-lich der o.g. Dimensionen von Lebensqualität unterscheiden,

• welchen Verlauf die Entwicklung der Patienten unter den Inter-ventionen des AGTs bezogen auf die o.a. Dimensionen nimmtund

• wie groß bei welchen Patienten der Begleitungsbedarf ist.

Eine weitere, an die Lebensqualität anknüpfende Frage lautete, obim Konzept formulierte und in vergleichbaren Studien benannteInterventionsziele (siehe Abschnitt 3.1 und Kapitel 2) wie beispiels-weise Vermeidung medizinisch unnötiger Krankenhauseinweisun-gen, Vermeidung von nicht gewünschtem Umzug in ein Pflegeheimsowie Erhaltung oder Wiedergewinnung einer selbständigen Le-bensführung im Rahmen der Patientenbegleitung erreicht werdenkönnen.

Das Ziel der wissenschaftlichen Begleitforschung des Projektes lagin dem Nachweis der Effektivität der Arbeit des AGTs und der Pati-entenbegleitung, d. h. es wurde davon ausgegangen, dass bei denbegleiteten Patienten im Vergleich von Beginn zum Ende der Inter-vention eine verbesserte bzw. stabile Lebenssituation festzustellensei. Aus diesem Grunde wurden im Forschungsdesign Erhebungenvon „Lebensqualität“ zu zwei Zeitpunkten vorgenommen: je einmalzu Beginn und zum Abschluss der Intervention, mit anderen Worteneine „Vorher-Nachher-Messung“ (vgl. Schnell, Hill & Esser 1989).

Ein erster Schritt der Untersuchung bestand darin, die hier als Inter-ventionsgruppe bezeichneten Patienten zu definieren, welche poten-ziell für eine Patientenbegleitung in Frage kamen. Es handelte sichhierbei um Hausarztpatienten ab 65 Jahre, welche eine hohe Hilfs-bedürftigkeit bzw. einen besonders hohen ungedeckten Hilfsbedarfund ein erhöhtes Dekompensationsrisiko aufwiesen („Risikopatien-ten“). Als Risikofaktoren im Sinne eines Dekompensationsrisikoswurden soziale, psychologische und medizinische (allgemeinmedizi-nische und psychiatrische) Faktoren verstanden, welche mit einererhöhten Wahrscheinlichkeit verbunden sind, z. B. eine psychiatri-sche Störung oder eine Krankheit zu entwickeln sowie vermehrthilfsbedürftig zu werden (vgl. WHO 1986). Risikofaktoren sollten imSinne der Projektziele auch mit einem höheren Risiko beispielsweise

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eines längeren Krankenhausaufenthaltes, dem Eintritt von Pflegebe-dürftigkeit oder dem nicht gewünschten Umzug in ein Pflegeheimverbunden sein (zur Auswahl der Risikofaktoren vgl. Döhner, Bleich,Lauterberg et al. 1993).

Die „Risikopatienten“ wurden im Sinne einer Strategie zur Auswahlvon älteren hilfsbedürftigen Patienten, welche am Wahrscheinlich-sten von der Intervention des AGTs profitieren (vgl. Hutner Winograd1991), mittels eines Screening-Verfahrens in den einbezogenenHausarztpraxen identifiziert. Das Vorgehen wurde den Ärzten inpersönlichen Gesprächen in der Praxis erläutert. Darüber hinauswurde ihnen ein Informationsblatt ausgehändigt, in dem die wich-tigsten Punkte schriftlich festgehalten waren. Dadurch sollte unter-strichen werden, dass ein systematisches und einheitliches Vorge-hen in den beteiligten Praxen nötig war, um eine vergleichbare Da-tengrundlage für die Auswertung zu haben.

Von denjenigen Hausarztpatienten, welche in dem Zeitraum, in demin der jeweiligen Praxis gescreent wurde, nicht ihren Hausarzt kon-sultierten bzw. von diesem nicht besucht wurden, wurde a prioriangenommen, dass diese nicht als „Risikopatienten“ angesehenwerden müssen (vgl. z. B. Williams 1984; Ebrahim, Hedley & Shel-don 1984; Williams & Barley 1985).

Die durch das Screening als „Risikopatienten“ identifizierten Patien-ten erhielten von ihren Hausärzten im Rahmen eines Gesprächsüber die Möglichkeit der Begleitung ein kurzes Informationsblatt zumProjekt, in dem ihnen die Patientenbegleiterin namentlich bekanntgemacht wurde (Anhang 2). Dieser Information war eine Schweige-pflichtentbindung für alle Projektmitarbeiter beigefügt, die vom Pati-enten unterschrieben werden sollte. Diese Schweigepflichtentbin-dung war eine Voraussetzung, um einen Austausch über die Situati-on der Patienten und eine gemeinsame Hilfeplanung zu ermöglichen.Bereits in den ersten Kontakten der Patientenbegleiterin mit denPatienten wurde eine eingehende Situationsanalyse vorgenommen,welche die für die Begleitung grundlegenden Informationen bein-haltete. Neben persönlichen Gesprächen mit den Patienten fand alserster Schritt dieser Situationsanalyse ein multidimensionalesgeriatrisches Assessment zur Erhebung der genannten verschie-denen Aspekte von Lebensqualität statt (Vorher-Messung zu Zeit-punkt t0). Diese Erhebung wurde zum Abschluss der Patientenbe-gleitung in einer Nachher-Messung (Zeitpunkt t1) in leicht modifizier-ter Form noch einmal wiederholt und um eine Zusatzbefragung derPatienten und Angehörigen ergänzt. So konnten individuelle

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Wahrnehmungen und Gesamt-Bewertungen der Begleitung erfasstwerden.

Während der Patientenbegleitung dokumentierte die Patienten-begleiterin fortlaufend ihre Erkenntnisse zur jeweiligen Patientensitu-ation und zum Begleitungsbedarf, ihre Tätigkeit und den Verlauf derweiteren vom AGT durchgeführten Maßnahmen (Patientendoku-mentation, siehe Anhang 3 und 4). Die in der Dokumentation ent-haltenen Informationen können aus der Sicht der Forschung als inkürzeren Abständen erhobene Daten zum Effekt der AGT-Arbeit aufdie Patienten verstanden werden. Außerdem fanden kontinuierlichSitzungen des AGTs (Hausarzt, Patientenbegleiterin und Koordinato-rin, z. T. erweitert um Mitarbeiter anderer Dienste) zur Besprechungder Patienten-Situation sowie der geplanten und durchgeführtenInterventionen und Kontakte mit an der Versorgung beteiligten An-gehörigen und anderen Gesundheits- und Sozialdiensten statt, wel-che ebenso in Protokollen dokumentiert wurden.

Weiterhin wurden die Effekte der Arbeit des AGTs aus der Sicht derPatienten untersucht. Diese Überprüfung konnte auf Grund knapperpersoneller Ressourcen jedoch lediglich exemplarisch mit fünf Pati-enten als Teil des Assessments zu t1 (Dezember 1995 bis April1996) in qualitativen Patienten-Interviews (siehe Abschnitt 4.9.2)realisiert werden.

Im Folgenden werden die Instrumente, die zur Auswahl und Cha-rakterisierung der Patienten und für die Bewertung der Patienten-verläufe verwendet wurden, eingehender beschrieben. Es handeltsich hierbei um das Screening, das Assessment, die Patienten-Dokumentation, die Protokolle der AGT-Sitzungen, Interviews mitausgewählten Patienten und ihren Angehörigen sowie eine Zusatz-befragung von Patienten und ihren Angehörigen im Rahmen deszweiten Assessments am Ende des Projektes. Die wichtigsten In-strumente sind im Anhang enthalten.

3.1.1 Screening

Unter Screening kann im Allgemeinen Folgendes verstanden wer-den: „die mutmaßliche Identifikation bisher unerkannter Erkrankun-gen oder Schwächen durch die Anwendung von Tests, Untersu-chungen oder anderer Prozeduren, welche zeitsparend angewendetwerden können. ... Ein Screening-Test ist keine Diagnostik ...“ (Ho-garth 1975, nach WHO 1986, S. 14; Übers. v. d. Verf.). Dieses Ver-fahren sollte im Rahmen der vorliegenden Untersuchung denjenigen

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Kreis älterer Menschen definieren, die als „Risikopatienten“ bezeich-net werden können (siehe Abschnitt 4.2) und somit von der Patien-tenbegleiterin betreut werden sollten. Das Screening wurde hier alsoim Sinne einer Auswahl-Methode eingesetzt.

Da die Ermittlung der Risikopatienten in den Arztpraxen stattfandund das Verfahren somit in den alltäglichen Praxis-Ablauf integrier-bar sein musste (siehe Anhang 5), waren neben der Gültigkeit, d. h.,dass das Instrument auch das misst, was es messen soll, allgemei-nere Anforderungen an das Instrument zu stellen: Es sollte sehr kurzund für die Patienten leicht verständlich sein sowie für den Arzt unddie Arzthelferinnen einen geringen Arbeitsaufwand bedeuten.

Da zum Zeitpunkt der Projektkonzeption keine deutschsprachigenbzw. übersetzten standardisierten geriatrischen Screening-Verfahrenzur Verfügung standen, die diese Kriterien erfüllten, wurde ein eige-nes Screening-Instrument entwickelt. Um möglichen Verzerrungenund Verfälschungstendenzen durch die alleinige Berücksichtigungder Sichtweise der Ärzte oder der Patienten zu begegnen, wurdedieses Screening-Instrument so gestaltet, dass einerseits die sub-jektive Sicht der Patienten und andererseits die Perspektive derÄrzte berücksichtigt wurden. Das Verfahren besteht aus drei Teilenanhand derer die hilfsbedürftigen Risikopatienten identifiziert wurden(zu „Risikofaktoren“ siehe Abschnitt 4.2.2):

1. schriftliche Kurzbefragung der älteren Patienten zur Erfassung dersubjektiven Hilfsbedürftigkeit (Anhang 6)

2. vom Arzt auszufüllende Risikoliste (Anhang 7a)

3. vom Arzt abzugebende klinische Gesamteinschätzung hinsichtlichdes Ausmaßes der Hilfsbedürftigkeit (Ergänzung der Risikoliste,Anhang 7a)

Die schriftliche Kurzbefragung der Patienten lehnt sich an das vonBarber und Wallis (1976, 1978, 1981, 1982; Barber, Wallis &McKeating 1980) entwickelte geriatrische Screening-Brief-Verfahrenan. Die Kurzbefragungsliste beinhaltet die Risikofaktoren „Vereinsa-mung“, „alleinlebend“, „nicht gedeckter Hilfsbedarf“, „geringe Bewäl-tigungsmöglichkeiten schwieriger Lebenssituationen“, „niedrigerADL-Status“ und „kürzliche Entlassung aus dem Krankenhaus“ so-wie darüber hinaus Aspekte der Kommunikation (Sehen, Hören) undden „subjektiven Leidensdruck unter gesundheitlichen Beschwer-den“.

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Die vom Arzt auszufüllende „Risikoliste“ umfasst die folgendenRisikofaktoren:

• Risikofaktoren im sozialen Bereich: „Überlastung des informellenHilfenetzes“, „familiäre Belastungen“

• psychologische Risikofaktoren: „eingeschränkte oder nicht vor-handene Medikamenten-Compliance von deutlicher Relevanz“

• psychiatrische Risikofaktoren: „Demenz und alltagsrelevanteOrientierungs- und Gedächtnisprobleme“, „Erkrankungen aus demmanisch-depressiven oder schizophrenen Formenkreis“, „Depres-sion“, „Suizidgefährdung“, „Alkoholismus und Medikamentenab-hängigkeit“

• allgemeinmedizinische Risikofaktoren: „Sturzneigung bzw. rezi-divierende Stürze“, „Anzeichen eines bevorstehenden Schlagan-falls“, „chronische Erkrankungen mit wiederholt akuten Ver-schlechterungen“, „hochgradige Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlä-gerigkeit“, „Inkontinenz“

• allgemeine Risikofaktoren: „hohes Alter“ (> 80 Jahre), „kürzlicheEntlassung aus stationärer Behandlung“, „Warten auf ein Kran-kenhausbett bzw. einen OP-Termin“

Der Hausarzt gibt anhand der Liste durch Ankreuzen an, ob ausseiner Sicht der jeweilige Risikofaktor auf den Patienten zutrifft.Weitere Angaben, welche im Rahmen der Risikoliste vom Arzt erbe-ten werden, sind die den Patienten betreffenden „Hauptdiagnosen“zur Einschätzung der gesundheitlichen Situation. Falls dem Hausarztdie Patientenbegleitung in dringenden Fällen sofort notwendig er-scheint, kann er im Rahmen der Risikoliste auch Patienten dafürvorschlagen („Spontanvorschlag“) und die Interventionen einleiten,ohne die systematische Auswertung durch die Forschung abzuwar-ten.

Die ärztliche Gesamteinschätzung der Hilfsbedürftigkeit der Pati-enten erfolgt schriftlich im Rahmen der Risikoliste auf einer Skalavon 1 („nicht hilfsbedürftig“) bis 5 („sehr hilfsbedürftig“), deren nume-rische und verbale Abstufungen anhand psychometrischer und psy-cholinguistischer Überlegungen und diesbezüglicher empirischerErgebnisse von Rohrmann (1978) vorgenommen wurden.

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Da die einzelnen Risikofaktoren der Risikoliste nicht in gleichemAusmaß zu einer erhöhten Hilfsbedürftigkeit bzw. zu einem erhöhtenDekompensationsrisiko beitragen, wurden in einer Vorstudie Exper-ten (N = 30 Geriater, Gerontopsychiater im stationären Bereich undniedergelassene Allgemeinmediziner) um eine gewichtende Ein-schätzung gebeten, unter der Maßgabe, dass die Faktoren in einer„durchschnittlichen“ Ausprägung vorliegen. Dazu wurden 3-stufigeSkalen vorgegeben mit den Antwortmöglichkeiten „geringes Gewicht“(1), „mittleres Gewicht“ (2) und „hohes Gewicht“ (3).

Bei der Entscheidung über die letztendliche Gewichtung der Fakto-ren wurde sich der mehrheitlichen Einschätzung der Experten ange-schlossen. Die einzelnen Gewichtungen sind im Anhang 7b wieder-gegeben.

Bei der abschließenden Auswertung des durchgeführten Screeningswurden die Werte der Kurzbefragung, Risikoliste und Ge-samteinschätzung für die einzelnen Patienten zusammengefasst undein „Risiko-Index“ als Summe aller Werte gebildet. Dieser Screening-Gesamtwert bildete die Grundlage zur Auswahl der „PAGT-Patienten“, die aber auch als Direktvorschlag der Ärzte in die be-gleitete Patientengruppe kommen konnten.

Das gesamte Screening-Verfahren wurde einem Pretest unterzogen,welcher in einer ländlichen Hausarztpraxis mit Patienten = 65 Jahredurchgeführt wurde (N = 20). Dieser Pretest gab sowohl wertvolleHinweise zur Durchführung des Screenings im Praxisablauf als auchAnhaltspunkte, welcher Wert des Screenings als Einschlusskriteriumanzusehen ist. Anregungen, die in der späteren Hauptuntersuchungberücksichtigt wurden, betrafen die Länge bzw. die Anzahl der Items,die Verständlichkeit der Formulierung und die Lesbarkeit bzw.Schriftgröße. Weiterhin wurden von Seiten der „pretestenden“ ÄrzteVorschläge zur Verfahrensweise unterbreitet, denen beim weiterenVorgehen Rechnung getragen wurde.

In der Konzeptionsphase des Projektes wurde von der Annahmeausgegangen, dass in einer Praxis je eine Patientenbegleiterin tätigist und diese ca. 25 - 30 Patienten würde begleiten können. Vor demHintergrund erster Screening-Ergebnisse aus den PAGT-Praxensowie damaliger Daten hinsichtlich der durchschnittlichen Anzahl von700 - 750 Patienten je Praxis in Hamburg (Kassenärztliche Vereini-gung Hamburg, mündliche Mitteilung), von denen ca. 30 % 60 Jahreund älter waren (vgl. Hamm 1991), wurde der Kriteriumswert für die

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Auswahl für eine potenzielle Begleitung schließlich mit ≥ 17 vonmaximal 52 möglichen Punkten festgelegt.

Insgesamt wurden letztlich als Kriterien zur Aufnahme als „PAGT-Patient“ und mithin einer möglichen Patientenbegleitung festgelegt,dass mindestens eine der folgenden Bedingungen zutreffen musste:

• Risikofaktor „Hochgradige Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlägerig-keit“,

• durch den Hausarzt als „Notfall“ spontan zur Patientenbegleitungvorgeschlagen,

• Screening-Gesamtwert ≥ 17 oder

• eine Gesamteinschätzung der Hilfsbedürftigkeit durch den Arztvon ≥ 4 („ziemlich hilfsbedürftig“ [4] oder „sehr hilfsbedürftig“ [5]).

In Abschnitt 4.2.2 werden Ergebnisse zum Screening sowie diemöglichen Überschneidungen zwischen den einzelnen Aufnahme-kriterien dargestellt und geprüft, ob alle vier Kriterien in Ergänzungerforderlich sind oder eventuell weniger zu demselben Ergebnisführen.

3.1.2 Assessment

Zur Verdeutlichung des Begriffs „multidimensionales geriatrischesAssessment“ soll ein Zitat von Nikolaus (1992, S. 133) herangezo-gen werden: „Das geriatrische Assessment besteht aus einer Reihevon Funktionsuntersuchungen und Befragungen. Es dient der mög-lichst umfassenden Befunderhebung zur Diagnostik von physischen,psychischen und sozialen Beeinträchtigungen beim alten, gebrechli-chen Menschen und ermöglicht eine Erfassung klinisch relevanterFunktionseinbußen, eine Abschätzung der Rehabilitationsfähigkeitsowie eine sinnvolle Therapieplanung“.

Im Rahmen der hier vorliegenden Studie sollte ein multidimensiona-les geriatrisches Assessment der Einschätzung der Bedarfe undInanspruchnahme von Hilfen und Diensten sowie der Beantwortungder Frage nach Veränderungen der Lebenssituation der Patientenunter der Begleitung durch die Patientenbegleiterin dienen. EineAnforderung an ein entsprechendes Instrument war, dass es alsDimensionen der Lebensqualität physische und psychische Ge-sundheit, Aktivitäten des täglichen Lebens, den Bereich der sozialen

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und ökonomischen Ressourcen erfasst sowie den Bedarf und dieInanspruchnahme von Hilfen z. B. durch Gesundheits- und Sozial-dienste aufzeigt. Da Aspekte der Lebensqualität zu zwei Erhebungs-zeitpunkten erhoben werden sollten, musste das mehrdimensionaleInstrument weiterhin eine Längsschnittuntersuchung gestatten undhinreichend veränderungssensitiv sein.

Zwei weitere Bedingungen betreffen die Durchführbarkeit der Be-fragung: (1) Sie sollte die Patienten nicht überfordern, d. h. nicht zulang sein. (2) Um die Patienten nicht mit zu vielen Kontaktpersonenzu überfordern, wurde die Befragung durch die Patientenbegleiterin-nen durchgeführt. Hierdurch wurde es erforderlich, dass die Befra-gung außerdem durch Angehörige unterschiedlicher Sozial- undGesundheitsberufe wie z. B. Sozialarbeiterinnen oder Altenpflegerin-nen möglich sein sollte. Dies setzte u. a. eine Bewährung in derPraxis voraus. Da damit gerechnet werden musste, dass eine Viel-zahl der besonders hilfsbedürftigen Patienten keine zuverlässigenAngaben machen könnten, lag eine zusätzlich besonders wichtigeAnforderung in der Möglichkeit, nahe Bezugspersonen ergänzendzur Situation befragen zu können. Neben diesen Voraussetzungensollte das Instrument den gängigen testtheoretischen Anforderungenan Objektivität, Zuverlässigkeit und Gültigkeit (vgl. z. B. Lienert 1969;Klapprott 1975) genügen.

In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Instrumente disku-tiert, die sich jedoch entweder in der Anwendung und der Intervie-wer-Schulung als wesentlich zu zeitaufwendig erwiesen wie z. B. dasNürnberger Altersinventar (Oswald & Fleischmann 1986) oder dasvon Gurland und Mitarbeitern entwickelte „comprehensive assess-ment and referrral evaluation“ (vgl. Gurland, Kuriansky, Sharpe,Simon, Stiller & Birkett 1977-78; Gurland, Copeland, Kelleher, Kuri-ansky, Sharpe & Dean 1983) oder bestimmte Bereiche in der Erfas-sung vernachlässigen, wie z. B. das „multilevel assessment instru-ment“ von Lawton (1972; Lawton, Moss, Fulcomer & Kleban 1982).

Auf Grund der oben genannten Kriterien und Erfahrungen wurde derin englischer Sprache vorliegende „Older Americans Resourcesand Services Multidimensional Functional Assessment Questi-onnaire“ (Duke University Center for the Study of Aging and HumanDevelopment 1988) ausgewählt, welcher zur standardisierten münd-lichen Befragung zu mehreren Zeitpunkten eingesetzt werden kann.Dieser Fragebogen gehört zu den von Nikolaus & Specht-Leible(1992) angeführten internationalen multidimensionalen Instrumenten,die insbesondere wegen der Orientierung auf Lebensqualität und

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Selbsteinschätzung genannt werden. Dieses Instrument umfasst 120Items und erhebt neben den demografischen Angaben Einzelheitenzu Bereichen, die im Folgenden ausgeführt werden.

In einem ersten Teil (Teil A: „Funktionale Einschätzung“) werdenDaten zu sozialen und ökonomischen Ressourcen, geistig-seelischerund körperlicher Gesundheit sowie Aktivitäten des täglichen Lebenserhoben. Diese Informationen können - falls auf Grund eines zudiesem Zweck eingesetzten einleitenden Fragebogens (Demenztest,9 Items) die Angaben der Patienten unzuverlässig erscheinen - auchvon nahen Bezugspersonen eingeholt werden (besonders markierteItems in Teil A und gesonderter „Informanten“-Abschnitt). Die Pati-entenbegleiterinnen fassen ihre Einschätzungen zu den fünf ge-nannten Bereichen in einem Rating zusammen. In einem zweitenTeil (Teil B: „Einschätzung der Hilfen“) werden sowohl die subjek-tiven Bedarfe, als auch die Inanspruchnahme verschiedener Hilfenerhoben und weiterhin danach gefragt, wer diese Hilfen ausführt undob bestimmte Leistungen von professionellen Diensten oder ehervom Laiensystem geleistet werden. Abschließend werden die Ein-drücke der Interviewer zu den Patienten und deren Situation fest-gehalten (Interviewer-Abschnitt). Als Dauer des Interviews werdenvon den Autoren ca. 45-60 Minuten angegeben. Angaben zu Gültig-keit und Zuverlässigkeit des Instrumentes finden sich im zugehörigenHandbuch (Duke University Center for the Study of Aging and Hu-man Development 1988) sowie bei Fillenbaum und Smyer (1981).

Im Anschluss an eine eigene Übersetzung wurde dieses Instrumenteinem kurzen Pretest unterzogen und auf Grund der gewonnenenErfahrungen und Erkenntnisse modifiziert. Die Modifikationen be-trafen insbesondere die Länge des Interviews bzw. die zur Durchfüh-rung notwendige Zeit von weitaus mehr als einer Stunde. Auf Grundder Befürchtung, durch ein so extensives Interview ältere Menschenzu überfordern, wurden Kürzungen vorgenommen und teilweise dieItems inhaltlich und sprachlich an deutsche Verhältnisse angepasst.Um die Verständlichkeit und die Sinnhaftigkeit des Aufbaus bzw. desThemenablaufs zu erhöhen, wurden die Items des ADL-Bereiches inden zweiten Teil (Teil B) integriert. Diese Veränderung ergab sichaus der Erfahrung, dass sich erst aus der Antwort, ob ein Patienteine bestimmte Tätigkeit noch allein ausführen kann, die Frage for-mulieren lässt, wobei der Patient der Hilfe bedarf und wer ihn inverschiedenen Bereichen unterstützt. Zusätzlich wurde bei einigenwenigen Items, welche den Anforderungen an Antwortskalierungenin den Sozialwissenschaften nicht genügten (siehe hierzu Rohrmann1978), die Antwortskalierung verändert. Eine andere Modifikation

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betraf die Befragung der Informanten: Die Erfahrung, dass esschwierig war, nahe Bezugspersonen allein, ohne den Patienten, zubefragen, machte die Entwicklung einer schriftlichen Fassung diesesInterview-Abschnittes notwendig. Weiterhin wurde auf Grund dergeringen Belastbarkeit älterer Menschen die Möglichkeit vorgesehen,das Interview im Verlauf der ersten drei Kontakte mit den Patientendurchzuführen und somit anfangs größeren Wert auf den Aufbau derBeziehung zwischen Patientenbegleiterin und Patienten legen zukönnen.

Zum Einsatz des übersetzten und modifizierten Fragebogens imRahmen teilstrukturierter Patienten-Interviews lag uns die freundlicheGenehmigung des Duke University Medical Centers vor. Der einge-setzte Fragebogen mit Angaben zu Antworthäufigkeiten auf die ein-zelnen Fragen findet sich im Anhang 8, die ausgewählten Einzel-Ergebnisse in den Abschnitten 4.3 und 4.9.

3.1.3 Patienten-Dokumentation

Sowohl die Patienten-Dokumentation als auch die Protokolle derAGT-Sitzungen sind keine Forschungsinstrumente im engeren Sin-ne, sondern es handelt sich um „Arbeitsmaterial“ der Praxis, welchesspäter durch die Forschung ausgewertet wurde. Es soll jedoch andieser Stelle auf die in der Praxis entwickelte Struktur dieser Doku-mentationen eingegangen werden, da in Absprachen mit der Begleit-forschung ein Rahmen vorgegeben wurde, innerhalb dessen Infor-mationen für die Begleitforschung auswertbar waren.

Da die Patienten-Dokumentation eine wichtige Arbeitsgrundlage derPatientenbegleiterinnen darstellte, war die Entwicklung der Doku-mentationsbögen weitgehend den Patientenbegleiterinnen entspre-chend den Vorerfahrungen und professionellen Prioritäten über-lassen. Anregungen und Empfehlungen aus der Forschung solltenjedoch berücksichtigt werden. Bei den von der Begleitforschungzusätzlich wünschenswerten Informationen handelte es sich insbe-sondere um Angaben zu den Bereichen „Gesundheit“, „Lebenssitua-tion“ (z. B. Tagesablauf, Familienverhältnisse oder kritische Lebens-ereignisse) sowie „materielle Situation“ und „soziale Situation“, zudenen die Patientenbegleiterinnen ein „Merkblatt“ erhielten.

Die Dokumentation gliedert sich grundsätzlich in zwei Teile: einPatienten-Datenblatt (siehe Anhang 3) - auf dem auch für den Falleiner Vertretung durch die jeweils andere Patientenbegleiterin alle fürdie Praxis wichtigen Informationen zusammengefasst wurden - sowieein Patienten-Dokumentationsbogen (siehe Anhang 4).

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Auf dem Patienten-Datenblatt befinden sich außer demografischen Angaben Daten zur Wohnsituation (Anzahl der Zimmer, zur Verfü-gung stehende Wohnfläche, Heizung, Sanitärbereich, Lage der Wohnung, Besonderheiten der Wohnung wie Fahrstuhl oder Sprechanlage etc.) sowie Angaben zur Krankenkasse und zu Haupt-erkrankungen, Beschwerden und Behinderungen. Weiterhin sind auf einen Blick die wesentlichen Kontaktpersonen der Patienten ersicht-lich, versehen mit einer zusätzlichen Beschreibung der Hilfen, die die Patienten durch diese Personen erhalten.

Im Rahmen des Patienten-Dokumentationsbogen wurden Details zu den einzelnen Kontakten im Hinblick auf die Patienten festgehal-ten. Betont werden muss in diesem Zusammenhang, dass die Do-kumentation nicht ausschließlich Kontakte mit den Patienten bein-haltet, sondern ebenso die Gespräche und den Schriftverkehr mit anderen an der Versorgung beteiligten Angehörigen oder Gesund-heits- und Sozialdiensten dokumentiert wurden. Informationen, die an dieser Stelle festgehalten wurden, beinhalten z. B. Name der Kontaktperson, Anlass, Dauer und Form des Kontaktes (persön-lich/schriftlich/telefonisch), stichwortartige Darstellung des Ge-sprächsinhaltes, Vereinbarungen sowie Bemerkungen, welche Hin-weise auf die Akzeptanz des AGTs durch die Gesprächspartner geben. Bemerkungen der Patienten und Angehörigen hinsichtlich der Akzeptanz des Teams bzw. der Teamarbeit bildeten eine Grundlage für die Entwicklung des später eingesetzten Leitfadens für Gruppen-diskussionen der Mitglieder der AGTs mit Vertretern anderer Diens- te.

Im Falle eines längeren und ausführlicheren Gesprächs zwischen Patientenbegleiterin und Patienten wurde gegebenenfalls eine ein-gehende Darstellung des Gesprächsverlaufs gegeben. Hier wurden Details insbesondere zu den Bereichen „Gesundheit“, „Lebenssitua-tion“, „materielle Situation“ und „sozialer Bereich“ dokumentiert.

3.1.4 Protokolle der AGT-Sitzungen

Bei den Protokollen der AGT-Sitzungen handelt es sich ebenfalls um ein in der Praxis entwickeltes Formular, welches kein Forschungsin-strument im engeren Sinne darstellt. Im Rahmen dieses Protokolls, welches von der Koordinatorin angefertigt wurde, war neben An-gaben zu Datum, Ort, Teilnehmern, Dauer, initiierende Person, An-lass, Fallzahl sowie „Tops“ die Aufnahme von patientenbezogenen Informationen zu folgenden Themen vorgesehen: aktueller Stand hinsichtlich der Patientensituation (Verbesserungen/Verschlechterun-gen), für die Patienten vorhandene Hilfen, Bedarf an Hilfen durch den

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Arzt, die Patientenbegleiterin oder die Koordinatorin, kurz- und lang-fristige Begleitungsziele, abgeschlossene und geplante Interventio-nen mit Angabe des für die entsprechenden Maßnahmen ver-antwortlichen Teammitgliedes sowie Interventionsvorschläge mit dem Vermerk „Vorschlagende(r)“ und eventuelle „Gründe für die Ableh-nung des Vorschlages“.

3.1.5 Zusatzbefragung der Patienten und ihrer Angehörigen im Abschluss-Assessment

Das zweite Assessment zum Ende des Projektes wurde um eine Kurzbefragung ergänzt, um die individuelle Wahrnehmung und Be-wertung durch die Patienten und ihrer Angehörigen erfassen zu können. Um zu erfahren, welches konkrete Vorgehen oder welche Maßnahmen der Patientenbegleiterinnen von den Patienten als be-deutsam und positiv eingeschätzt wurden und was diese bei den Patienten bewirkt haben könnten, wurde nach einer Einleitung ge-fragt: „Woran merken Sie, dass Frau (Name der jeweiligen Patien-tenbegleiterin) hilfreich oder nicht hilfreich für Sie gewesen ist?“ Die Patienten und Angehörigen wurden in diesem Zusammenhang um konkrete Beispiele gebeten.

Weitere Fragen in diesem Zusatz zum Assessment sollten in freier Formulierung die individuelle Einschätzung zu möglichen Verände-rungen in bestimmten Lebensbereichen erfragen. Dabei waren die Themen an den Bereichen des Assessments orientiert (familiäre Situation, soziale Ressourcen, physische und psychische Befindlich-keit, Versorgung durch Gesundheits- und Sozialdienste, finanzielle Ressourcen, häusliche Situation). Im Unterschied zur Struktur des Assessment-Fragebogens können hier allerdings individuelle Be- wertungen und Begründungszusammenhänge einfließen. Weitere angesprochene Punkte betrafen die Erreichbarkeit der Patienten-begleiterinnen, die den Patienten gewidmete Zeit und die Bewertung des Wechsels der Patientenbegleiterinnen. Abschließend wurde über bestehende Defizite aus subjektiver Patientensicht und die persönliche Zukunftsperspektive ohne Patientenbegleitung gespro-chen. Da die Interviews sich vorwiegend auf die Arbeit der Patien-tenbegleiterinnen bezogen, wurde die Befragung nicht wie beim ersten Assessment von ihnen selbst durchgeführt, sondern von einer externen Interviewerin, die selbst langjährige Erfahrungen in der Altenarbeit hat.

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3.1.6 Exemplarisch mit einigen Patienten und Angehörigengeführte Interviews

Zur Erfassung der Erfahrungen und der Sichtweisen der begleitetenalten Menschen wurden am Projekt-Ende von der Forschung exem-plarisch mit einigen Patienten und Angehörigen vertiefende Inter-views durchgeführt. Die dafür ausgewählten Patienten sollten einenannähernd repräsentativen Überblick über die gesamte PAGT-Klientel in den elementarsten soziodemografischen Kategorien ge-ben. Deshalb wurden die Patienten nach folgenden Kriterien ausge-wählt:

• mindestens ein Patient aus jeder der drei Arztpraxen

• Mann; Frau

• alleinstehend; in Partnerschaft lebend

• intensive, d. h. umfangreiche und zeitaufwendige Begleitung;kurze und eher sporadische Begleitung

Es handelt sich bei den ausgewählten Patienten nicht um eine re-präsentative Stichprobe im statistischen Sinne.

Im Rahmen der Interviews interessierte nicht nur die Frage nachmöglichen Veränderungen, die die Patienten bei sich verzeichnenkonnten, sondern vor allem auch, wie diese Veränderungen aus ihrerSicht bewirkt bzw. wodurch sie ausgelöst wurden. Hieraus solltensich zusätzliche Erkenntnisse für ein „Arbeitskonzept Patientenbe-gleitung“ und für erfolgversprechende Interventionen ergeben.Grundsätzlich erscheint es jedoch nicht selbstverständlich, davonauszugehen, dass das gesamte Projekt aus Sicht der Patientenüberhaupt als solches wahrgenommen worden ist. Vielmehr kannsich die Aufmerksamkeit durchaus ausschließlich auf die Patienten-begleiterin und den „Doktor“ konzentriert haben. Aus diesem Grundewurden die Interviews offen und narrativ geführt und im weiterenInterview-Verlauf durch ein gezieltes Nachfragen ergänzt. Themen-bereiche, welche innerhalb des Interviews angesprochen wurden,betrafen eingangs das Erleben und die Bewertung möglicher Ände-rungen in Lebens- und Alltagssituation der Patienten. Hierbei wurdeninsbesondere die physische und psychische Befindlichkeit sowiesoziale Aspekte angeschnitten. Weiterhin wurde erhoben, inwieweitaus der Sicht der Befragten andere Personen im Umfeld der Patien-ten Veränderungen während der Projektlaufzeit wahrgenommen

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haben. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt bestand in dem Ge-winn, den die Patienten durch die Zusammenarbeit von Hausarztund Patientenbegleiterin für sich selbst sahen. Abschließend wurdeüber mögliche Verbesserungen in der Versorgungssituation gespro-chen.

3.2 Ambulantes Gerontologisches Team (AGT)

Unter der Annahme, dass die genannten Interventionsziele bei denPatienten nur durch Beachtung von Kontinuität in der Versorgung,Kooperation der an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen, Koor-dination der Hilfen sowie Hilfe zur Selbsthilfe erreicht werden kön-nen, lautete die auf den Bereich der AGTs bezogene Grundfrage,wie gut diese Prinzipien durch die Orientierung und die Arbeitsweiseder Teammitglieder verwirklicht werden konnten. Im zweiten For-schungsstrang „Ambulantes Gerontologisches Team“ wurde alsoden Fragestellungen nach der Güte der Kooperation innerhalb desAGTs (siehe Abschnitt 4.4.2.2) und der Zusammenarbeit des AGTsmit anderen an der Versorgung der Patienten beteiligten Diensten(siehe Abschnitt 4.8) nachgegangen. Hierbei standen insbesonderedie Faktoren, welche eine effektive Kooperation und Koordinationbegünstigen oder behindern, im Vordergrund des Interesses.

Zur Überprüfung der Zusammenarbeit innerhalb des AGTs und derZusammenarbeit mit anderen Diensten wurden die KonstrukteNetzwerke und Vernetzung zugrundegelegt (vgl. Döhner & Lüders1990; Dewe & Wohlfahrt 1991): Der hilfsbedürftige vom AGT beglei-tete Patient steht hierbei als „Knoten“ im Mittelpunkt eines ihn umge-benden Netzwerkes von ihn versorgenden Diensten (formelle Hilfen)und nicht-professionellen Helfern (informelle Hilfen), wie vor allemAngehörige, aber auch Nachbarn oder Freunde, welche miteinanderinteragieren und koordiniert werden (Vernetzung, Verknüpfung oder„Ziehen neuer Linien“). Folgende Fragestellungen sollten grund-sätzlich beantwortet werden:

• Welchen Beitrag kann das AGT zur Vernetzung der an der Ver-sorgung beteiligten Dienste leisten?

• Wo liegen Überschneidungen der Aufgaben des AGTs mit ande-ren Diensten, und welche Probleme resultieren daraus?

• Welche Angebote fehlen in der Region? Wo können diesbezüg-lich Veränderungen initiiert werden?

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• Wie sehen die Tätigkeitsbeschreibungen der Patientenbegleite-rinnen und der Koordinatorin aus?

• Welchen Fortbildungs- und Informationsbedarf haben die AGT-Mitglieder?

• Wie viele Patienten kann die Patientenbegleiterin betreuen?

Zur Überprüfung der Kooperation und Koordination wurden Informa-tionen zu folgenden Dimensionen zur Beschreibung des Netzes ge-sammelt (siehe Abschnitte 4.4 bis 4.8) (vgl. Döhner & Lüders 1990;Marsella & Snyder 1981; Hall & Wellmann 1985; Clausen 1988):Qualität der Beziehungen, Effektivität der Zusammenarbeit, Häufig-keit der Kontakte, Zufriedenheit der an der Versorgung Beteiligtenmit der Häufigkeit der Kontakte und Informationsfluss zwischen denBeteiligten. Dies geschah einerseits mit Hilfe der Dokumentation derArbeit der AGTs (AGT-Protokolle der Teamsitzungen) sowie ande-rerseits mit verschiedensten im Verlauf erhobenen Informationen(Interviews mit Arzt, Koordinatorin und Patientenbegleiterin; Inter-views mit den Fachberatern, Gruppendiskussionen der AGTs).

Jeweils zu Beginn und am Ende des Projektes wurden die AGT-Mitglieder, d. h. der Arzt, die Koordinatorin und die Patienten-begleiterinnen, zur Arbeit innerhalb des Teams sowie zwischen demTeam und anderen Diensten befragt. Das Thema „Kooperation“wurde im Rahmen leitfadengestützter qualitativer Interviews themati-siert (Abschnitte 4.4, 4.5, 4.6 und 4.7).

Die Eingangs-Interviews mit den Ärzten fanden im Juni 1993 bzw.mit dem später kooperierenden Arzt im Juli 1994 statt. Abschließen-de Interviews wurden im Mai und im August 1995 geführt. Die Koor-dinatorin wurde ebenfalls im Juli 1993 (Eingangs-Interview, t0) sowieim Februar 1995 (t1) befragt. Auf Grund des Wechsels der Patien-tenbegleiterinnen wurden neben den Eingangs-Interviews (t0, Juli1993) im Dezember 1993 Abschluss-Interviews (t1) mit den vorheri-gen Patientenbegleiterinnen und im Februar 1994 weitere Eingangs-Interviews (t0) mit den beiden ab Januar 1994 tätigen Patienten-begleiterinnen geführt, welche im Februar 1995 (t1) durch eine er-neute Befragung abgeschlossen wurden. Ergänzt wurden die Anga-ben von Ärzten, Koordinatorin und Patientenbegleiterinnen durchzwei Interviews mit den Fachberatern, welche im Mai 1995 durch-geführt wurden.

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Die Entwicklung der Zusammenarbeit innerhalb des Teams und mitanderen Diensten in den jeweiligen Regionen wurde weiterhin amEnde der Praxisphase des Projektes (Februar 1996) im Rahmeneiner Gruppendiskussion aller Mitglieder der AGTs überprüft. ZurBeantwortung der Frage, ob langfristig für die beiden Aufgabenberei-che der Patientenbegleiterin und der Koordinatorin neue Organisati-onsformen erforderlich sind oder sich diese in vorhandene Struktu-ren integrieren lassen, sollten durch die Koordinatorin in persönli-chen Gesprächen Einschätzungen von Praktikern in den Regioneneingeholt werden. Diese Einschätzungen und Stellungnahmen wur-den anschließend im Rahmen der Gruppendiskussion aufgearbeitet.Hierdurch sollten die notwendigen Voraussetzungen für die Über-nahme der Aufgaben des AGT-Modells in die Regelversorgung älte-rer Menschen präzisiert und Möglichkeiten der Realisierung themati-siert werden.

Im Folgenden werden die Instrumente dargestellt, die die Daten-grundlage für die Evaluation der Arbeit und der Entwicklung derAmbulanten Gerontologischen Teams lieferten. Hierbei handelt essich um die Leitfäden für die Interviews mit Arzt, Koordinatorin undPatientenbegleiterin sowie Fachberatern, die Protokollbögen derAGT-Sitzungen sowie eine grobe Darstellung der Bereiche, welchein den Gruppendiskussionen angesprochen wurden.

3.2.1 Interviews mit Ärzten, Koordinatorin undPatientenbegleiterinnen

Die durch die Begleitforschung durchgeführten Interviews mit Arzt,Koordinatorin und Patientenbegleiterin zu Projektbeginn und in derMitte des Projektverlaufes sind im Sinne einer Prozessevaluation zuzwei Erhebungszeitpunkten zu verstehen (siehe Abschnitte 4.4 bis4.7). Der erste Zeitpunkt diente der Erhebung der Ausgangssituationfür die Mitglieder des AGTs, während durch den zweiten Erhebungs-zeitpunkt vergleichend die Entwicklung der Zusammenarbeit aufge-zeigt wurde. Da für diesen Zweck für Ärzte und Koordinatorin/ Pati-entenbegleiterin unterschiedliche Interview-Leitfäden erarbeitet wur-den, sollen diese im Folgenden getrennt dargestellt werden. Anzu-merken bleibt, dass sowohl die Leitfäden für die Ärzte- als auchKoordinatorin und Patientenbegleiterin zur Befragung zum zweitenZeitpunkt einer Überarbeitung bedurften, die die bis zum zweitenErhebungszeitpunkt gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungenberücksichtigte sowie stärker auf die Kooperation innerhalb desTeams bzw. zwischen dem Team und anderen Diensten fokussierte,

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zu denen bis zum ersten Erhebungszeitpunkt naturgemäß erst sehrwenige Erfahrungen vorlagen.

Der erste Teil der Ärzte-Interviews war der Erhebung grundlegen-der Informationen zur Arztpraxis, der Person des Arztes und seinerPatienten vorbehalten. Im Hinblick auf die Patienten wurde an dieserStelle die Struktur der Gesamtheit der Patienten des Hausarztesthematisiert und die Sicht der Ärzte ermittelt, inwieweit die Zusam-mensetzung der vom PAGT-Arzt betreuten Patienten von in anderenHausarztpraxen betreuten Patienten abwich. Dies sollte Hinweisedarauf liefern, inwieweit die im Projekt gesammelten Erfahrungenübertragbar seien. Des Weiteren war hinsichtlich des Informations-und Fortbildungsbedarfes des Arztes festzustellen, wie weit der Arztan gerontologischen/geriatrischen Fort- und Weiterbildungen teilge-nommen hatte.

Anschließend wurde der Bereich der „Kooperation mit anderenDiensten“ beleuchtet. Es wurde davon ausgegangen, dass sich alsein Effekt des Projektes ein sukzessiver Wissenserwerb der AGT-Mitglieder bezüglich der Versorgung älterer Menschen ergebenwürde. Um diese Wissenserweiterung abschätzen zu können, wur-den die Ärzte im Rahmen des ersten Interviews auch nach Kenntnis-sen von und bestehender Zusammenarbeit mit an der Versorgungbeteiligten Diensten befragt.

Ein weiterer Bereich, in dem ein Wissenszuwachs angenommen undder hier überprüft wurde, stellte der Bereich der Informiertheit überLeistungen und Vorschriften sowie juristische Fragen dar. Im weite-ren Verlauf des Interviews kamen Kooperationsbarrieren, Idealvor-stellungen von Kooperation sowie Möglichkeiten der Verbesserungder Zusammenarbeit aus der Arztperspektive zur Sprache. Auch indiesem Bereich sollten sich Veränderungen bzw. Effekte des Mo-dells nachweisen lassen. Zuletzt wurde der Arzt nach seinem „Al-ternsbild“ und wahrgenommenen Problembereichen befragt. Anga-ben zu den jeweiligen Praxismerkmalen, der Patientencharakteristikund der ärztlichen Ausbildung wurden im zweiten Interview nichterneut erhoben. Jedoch wurde abschließend nach einem zusam-menfassenden Fazit der Arbeit im Team gefragt.

Analog zu den Ärzte-Interviews wurden mit der Koordinatorin undden Patientenbegleiterinnen Interviews durchgeführt. Da hierdurch die Vorbereitungsphase und durch erste Kontakte mit Diens-ten in der Region bereits erste Erfahrungen mit der Teamarbeit undder Kooperation mit anderen vorlagen, wurden hier in Abweichung

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zu den Ärzte-Interviews diese Erfahrungen auch im Interview zu t0thematisiert sowie nach weitergehenden Erwartungen und Wün-schen gefragt.

Innerhalb der angesprochenen Themenkreise war von besonderemInteresse, wie von den Beteiligten mögliche Kooperationsbarrierenund Kooperationsförderliches sowie Akzeptanz und Widerstände derArbeit der AGTs wahrgenommen wurden. Weiterhin wurde danachgefragt, wie sich die Tätigkeiten relativiert an den Erfordernissen derPraxis gestalteten, d. h. die Frage nach der Praxisnähe und demSpektrum der Tätigkeiten von Koordinatorin und Patientenbegleiterin.Dieser Bereich schloss Fragen zu bisherigem Hilfebedarf der Pati-enten und Kapazitäten der AGT-Mitglieder ein. Zusätzlich wurdenAngaben zu Akzeptanz und Widerständen gegen Patientenbegleite-rinnen bei begleiteten Patienten und deren Angehörigen erbeten.Auch die Koordinatorin und die Patientenbegleiterin wurden nachihrem Informations- und Fortbildungsbedarf, Idealvorstellungen vonKooperation sowie Verbesserungsmöglichkeiten und ihrem „Alterns-bild“ befragt. Wie auch im Ärzte-Interview wurde zu t2 abschließendein zusammenfassendes Fazit zu den bis dahin gewonnenen Erfah-rungen und Erkenntnisse gezogen.

3.2.2 Interviews mit den Fachberatern

Die beiden Fachberater (vgl. Abschnitt 4.4.2.2) haben die AGTs überdie gesamte Projektlaufzeit begleitet und konnten demzufolge dieEntwicklung der Zusammenarbeit in den jeweiligen Teams aus einerdistanzierteren Perspektive miterleben und mitgestalten. Diese Er-fahrungen zu erheben, war ein Ziel der im letzten Drittel der Projekt-laufzeit durchgeführten Interviews mit den Fachberatern. Die einzel-nen Themenkreise des Interviewleitfadens umfassten neben dersubjektiv wahrgenommenen Rolle und Aufgabe der Beratung dieArbeit der AGTs aus der Perspektive der Fachberatung (Stärken undSchwächen, Atmosphäre, Qualität der Kooperation und Einfluss derFachberatung auf die Entwicklung der AGTs). Weiterhin wurde dieBedeutung der AGTs im Netzwerk aus der Perspektive der Fachbe-ratung thematisiert (Einbettung der AGTs in das Netzwerk, Akzep-tanz und Konkurrenz zwischen AGTs und anderen Diensten, Vor-und Nachteile anderer Dienste durch die Arbeit der AGTs). Weitereinhaltliche Schwerpunkte lagen einerseits in Kenntnissen und Infor-mations- und Fortbildungsbedarf der AGT-Mitarbeiterinnen aus derSicht der Fachberatung („typische“ Fragestellungen der AGT-Mitglieder, Möglichkeiten und Grenzen der Fachberatung), ander-seits in einer Beschreibung der Berufsbilder von Patientenbegleiterin

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und Koordinatorin sowie Veränderungen in der Rolle des Hausarztesdurch die Arbeit der AGTs. Nach der Thematisierung von Zielen derFachberatung wurde abschließend ein Fazit zur bisherigen Arbeit derFachberatung gezogen.

3.2.3 Protokolle der AGT-Sitzungen

In den Diskussionen im Rahmen der AGT-Sitzungen wurden dieverschiedenen Sichtweisen zusammengebracht und gemeinsamPlanungsziele und -schritte definiert und Maßnahmen besprochen,die zur Verbesserung der Patientensituation getroffen werden soll-ten. An dieser Stelle sollten Informationsdefizite bzw. einzuholendeInformationen im Hinblick auf vorhandene Dienste, gesetzliche Re-gelungen, Voraussetzungen für bestimmte Leistungen etc. deutlichwerden. Hieran sollte auch der Informations- und Fortbildungsbedarfder Patientenbegleiterinnen und der Koordinatorin abschätzbar sein.Ebenso wurde auf diesen Sitzungen die Zusammenarbeit mit ande-ren in der jeweiligen Region tätigen Diensten thematisiert, so dasssich in den Protokollen Hinweise wiederfinden lassen sollten, wel-chen Beitrag das AGT zur Vernetzung innerhalb der Region leistete,welche Kooperationsbarrieren bestanden und wie Kooperation ge-fördert werden konnte, wo Konkurrenzen/Überschneidungen mitanderen Diensten festgestellt werden konnten und welche Wider-stände unter Umständen bei Patienten, Angehörigen und anderenDiensten existierten.

3.2.4 Abschluss-Gruppendiskussion mit allen PAGT-Mitarbeiterinnen

Die gesammelten Erfahrungen und persönlichen Erkenntnisse allerAGT-Mitarbeiterinnen aus der zurückliegenden Arbeit mit und in demProjekt wurden in akkumulierter Form im Rahmen einer ausführli-chen Gruppendiskussion mit explorativem Charakter (vgl. Friedrichs1980; Mangold 1960, 1973) reflektiert. Diese Diskussion sollte so-wohl die Gemeinsamkeiten in den Erfahrungen und Bewertungenherausarbeiten als auch die Unterschiede kontrastieren. Die direkteBezugnahme aufeinander, Zustimmungen und Abgrenzungen kön-nen die Vielfalt der Erfahrungen unter Umständen deutlicher wieder-geben, als es in der Gegenüberstellung einzelner Interviewaussagenmöglich wäre.

3.3 Kooperation mit anderen Diensten

Case und Care Management der AGTs erfordern die Zusammenar-beit mit den weiteren an der Versorgung beteiligten Diensten. Von

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der Bewertung der anderen Dienste hängt es in erheblichem Maßeab, ob sich ein Konzept für Patientenbegleitung im Sinne des Caseund Care Managements erfolgreich umsetzen lässt. Fragestellun-gen, denen die Begleitforschung in diesem Zusammenhang nach-ging, betrafen die Qualität der Vernetzung und der Kooperation derAGTs mit anderen Diensten. Aus diesem Grunde wurde das For-schungsdesign um Interviews mit Mitarbeiterinnen andererDienste und Gruppendiskussionen von PAGT-Mitarbeiterinnenmit Vertretern anderer Dienste in einer der Modellregionen erwei-tert. Die begrenzten Kapazitäten ließen eine Durchführung in beidenModellregionen nicht zu. In der Region B gab es bereits einen gutfunktionierenden Arbeitskreis, während ein ähnliches Vorhaben inder Region A noch in der Entwicklung begriffen war. Aus diesemGrunde wurde entschieden, die Region A zu fokussieren (siehe auchAbschnitt 3.3.1). Die Begleitforschung konnte mit der Durchführungvon zwei Gruppendiskussionen in dieser Region einen zusätzlichenInput in das Vernetzungsgeschehen bringen. An diesen Gruppendis-kussionen, welche im April 1995 und im März 1996 stattfanden,nahmen jeweils die Mitglieder der AGTs sowie andere an der Ver-sorgung beteiligte Sozial- und Gesundheitsdienste teil. Weiterhinwurden vier vertiefende Interviews mit Vertretern der an der Ver-sorgung beteiligten Dienste (Februar 1996) geführt.

Zusätzlich wurde die Arbeit zwischen dem Team und anderenDiensten fortlaufend in einem „Tagebuch“ der Koordinatorin und derPatientenbegleiterinnen festgehalten (siehe auch Abschnitte 4.6 und4.7). Diese Angaben sollten es ermöglichen, auf quantitativ-struktureller und qualitativ-inhaltlicher Ebene Auskunft über dasModell zu geben.

3.3.1 Gruppendiskussionen von PAGT-Mitarbeiterinnen mitMitarbeiterinnen von Gesundheits-, Pflege- undSozialdiensten der Untersuchungsregion A

Die beiden Gruppendiskussionen mit den PAGT-Mitarbeiterinnensowie Mitarbeiterinnen anderer Dienste in der Modellregion A warenexplorativ und narrativ angelegt. Die Entwicklung des Diskussions-verlaufes war also grundsätzlich offen. Die Diskussionen standenthematisch unter zwei Schwerpunktfragestellungen. Auf der einenSeite handelt es sich um die Frage nach den Erfahrungen, welchemit der Arbeit der AGTs gemacht wurden. Auf der anderen Seitewurden mögliche Zukunftsvorstellungen hinsichtlich der Zusammen-arbeit mit den AGTs entwickelt. Das Vorgehen der Begleitforschungzielte auf Beispiele oder Erzählungen von Erlebnissen und Erfahrun-

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gen der Anwesenden mit der Patientenbegleitung sowie deren Be-wertung ab. Die Gespräche wurden auf Tonband aufgenommen undfür die Auswertung vollständig transkribiert.

3.3.2 Exemplarische Interviews mit Mitarbeiterinnen vonGesundheits-, Pflege- und Sozialdiensten derUntersuchungsregion A

Zur Vertiefung einzelner in den Gruppendiskussionen angesproche-ner Aspekte der Zusammenarbeit der anderen Dienste mit den AGTswurden Interviews mit ausgewählten Mitarbeiterinnen der Dienstedurchgeführt, die mit dem Projekt Kontakt hatten. Insgesamt wurdenvier vertiefende Interviews mit Mitarbeiterinnen der Region geführt.Es handelt sich hierbei um zwei Leiterinnen von Pflegediensten, dieEinsatzleiterin eines Pflegedienstes sowie die Leiterin eines Alten-treffs. Inhalte der Befragung umfassten einerseits eine Selbstdefiniti-on, also die Aufgaben des jeweiligen Dienstes und die Rolle derMitarbeiterin, andererseits die Bedeutung von PAGT aus der Sichtder Befragten. Zum letzten Punkt wurden subjektiv erlebte Stärkenund Schwächen der Arbeit der AGTs sowie mögliche Vor- undNachteile für die Patienten erhoben und nach der Rolle von PAGT imNetzwerk (Akzeptanz, Konkurrenzen, Vorteile und Einschränkungenfür andere an der Versorgung beteiligte Dienste, Veränderungen inder Region während der Projektlaufzeit) gefragt. Thematisiert wurdeweiterhin eine mögliche Anlaufstelle in der Region und der Bedarfsowie wünschenswerte Charakteristika bzw. Elemente angespro-chen. Den Abschluss bildeten Vorstellungen zu den Berufsbildernvon Patientenbegleiterin und Koordinatorin sowie möglichen Verän-derungen in der Rolle des Hausarztes. Auch diese Interviews wurdenmitgeschnitten und vollständig transkribiert.

3.3.3 Tagebuch

Im Rahmen des sogenannten Tagebuches wurden von den Patien-tenbegleiterinnen und der Koordinatorin ihre täglichen Aktivitäten wiePatienten- und Angehörigenkontakte oder Fortbildungen, aber ins-besondere auch die Kontakte mit anderen Diensten festgehalten. DieAuswertung des Praxis-Tagebuches gibt Hinweise auf Veränderun-gen der Aktivitäten der einzelnen Mitarbeiterinnen im Projektverlaufsowie auf die Kooperation und Vernetzung in der Region.

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4 Ergebnisse Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse der wissenschaftli-chen Begleitforschung beziehen sich einerseits auf die Modellorga- nisation: die Arbeit der AGTs (drei Hausarztpraxen, zwei Patienten-begleiterinnen, eine Koordinatorin), ihre Tätigkeiten, insbesondere auch ihre Zusammenarbeit mit den anderen Diensten in den jeweili-gen Regionen) (Abschnitte 4.4 bis 4.8.). Andererseits werden die Ausgangssituation und die Veränderungen bei den Patienten be-schrieben (Abschnitte 4.2, 4.3 und 4.9).

Die Auswertungen basieren auf einem Methodenmix aus quantitati-ven und qualitativen Verfahren, der entsprechend der Mehrdimensio-nalität der hier berücksichtigten Ergebnisaspekte für die Evaluation gewählt wurde.

Die Grundlage der quantitativen Datenanalyse sind vor allem die Er-hebungen zum Screening (Abschnitt 4.2) und Assessment (Abschnitt 4.3 und 4.9). Zur Auswertung der Interviews und der Gruppendiskus-sionen wurden zwei Auswertungsstrategien der qualitativen Daten-analyse verwendet. Zum einen erfolgte die Bearbeitung nach den Vorschlägen Strauss' (1991), denen die Grounded Theory (Glaser & Strauss 1967) zugrunde liegt. Zum anderen wurde eine der quali-tativen Inhaltsanalyse (Mayring 1990) angelehnte Auswertung durchgeführt.

Die Ergebnisse beider Verfahren greifen in ihrer Darstellung ineinan-der über, um die hohe Komplexität der Versorgungs- und Unterstüt-zungsaspekte besser darstellen zu können. Um eine auf die Praxis bezogene Vorstellung von den Tätigkeiten der PAGT-Mitarbeiterinnen zu ermöglichen, wurde den jeweiligen Ergebnisdar-stellungen exemplarisch eine Darstellung der Patientenbegleitung von „Frau Hansen“ (Name geändert) vorangestellt (Abschnitte 4.2.1, 4.3.1, 4.4.1, 4.6.1). Die Abfolge ist weitgehend chronologisch. Dies bietet den Vorteil, Veränderungen und Entwicklungen im Projektver-lauf alltags- und praxisnah beschreiben zu können und den Gedan-ken der Prozessevaluation in diesem Sinne sehr wörtlich zu nehmen. Um die Abgrenzung zu den allgemeinen Ergebnissen zu erleichtern, ist die Fallgeschichte kursiv gesetzt.

Nach den einzelfallspezifischen Ergebnissen der Falldarstellung fol-gen jeweils die entsprechenden allgemeinen Ergebnisse: Unter-schiede und Gemeinsamkeiten zu anderen Patientenbeispielen und andere Formen der teaminternen wie -externen Kooperation. Zur

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Einhaltung des Datenschutzes wurden die Regionen und alle betei-ligten Personen anonymisiert und für die Darstellung mit Pseudony-men versehen.

Aussagen der Beteiligten, die den Interviews und Gruppendiskussio-nen entstammen, sind prinzipiell kursiv und in Anführungszeichengesetzt. Die Zitate sind wortwörtlich und unverändert wiedergege-ben, auf die Darstellung von Stockungen und Zwischenlauten wurdeaus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet. Kürzungen von Zita-ten sind durch […] gekennzeichnet. Kurze Zitate sind häufig „direkt inden Text” integriert. Längere Zitate sind als eingerückte Absätzekenntlich gemacht. In Klammern gesetzt ist hinter jedem Zitat der/dieZitierte angegeben: Hausarzt (HA), Patientenbegleiterin (PB), Ko-ordinatorin (KO), Fachberater (FB). Diese Abkürzungen werden auchin den Abbildungen und Tabellen wiederholt verwendet.

Der Ergebnisteil beginnt - nach einer kurzen Einführung zum Fallbei-spiel „Frau Hansen” (Abschnitt 4.1) - mit der Darstellung des Scree-ning-Verfahrens und dessen Ergebnissen (Abschnitt 4.2). Es folgtdie Schilderung der Kontaktaufnahme zu den Patienten und dieDurchführung des Assessments (Abschnitt 4.3). Hier werden auchdie begleiteten Patienten auf der Grundlage von Patienten-Datenblattund Assessment beschrieben. Dem Begleitungsverlauf des Beispiels„Frau Hansen” folgend, wird schließlich die Arbeit des AGTs darge-stellt sowie die Teamentwicklung im Projektverlauf (Abschnitt 4.4). Inden drei folgenden Abschnitten wird die Rolle der Hausärzte alsTeam-Mitglieder beschrieben (Abschnitt 4.5), dann die Tätigkeitender Patientenbegleiterinnen (Abschnitt 4.6) und die Tätigkeiten derKoordinatorin (Abschnitt 4.7). Die Aufgaben der Koordinatorin wer-den allerdings nur sehr kurz dargestellt, da ihre Rolle zwar wichtigeErfahrungen für notwendige Rahmenbedingungen gebracht hat, aberso nicht zur Übertragung in die Regelversorgung empfohlen wird.Darauf folgen die Ergebnisse zur Kooperation des AGTs – insbe-sondere der Patientenbegleiterinnen - mit weiteren Diensten derVersorgungsregionen, die auch beispielhaft die Entwicklung derZusammenarbeit in einer der Modellregionen berücksichtigen (Ab-schnitt 4.8). Anhand der Ergebnisse aus dem Abschluss-Assessment und den Befragungen von Patienten und Angehörigenwerden schließlich Effekte des Modellvorhabens auf der Patienten-verlaufsebene evaluiert (Abschnitt 4.9).

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4.1 Eine exemplarische Fallgeschichte: Frau Hansen

Die exemplarische Patientengeschichte dient dazu, einen erstenÜberblick über den Ablauf von Patientenbegleitung zu geben, der inden folgenden Abschnitten unter verschiedenen Fragestellungengenauer beschrieben wird. In dem ausgewählten Beispiel kommenVernetzungs- und Kooperationsaspekte im Rahmen der Entwicklungeines Hilfenetzes und einer von mehreren Versorgerinnen gemein-sam erarbeiteten Hilfeplanung zum Tragen. Der beschriebene Zeit-raum beträgt elf Monate vom Beginn der Patientenbegleitung biszum Tode von Frau Hansen.

In der Falldarstellung werden Schwierigkeiten und Lösungswege fürdie Vermittlung von Hilfen aufgezeigt. Der hohe Einsatz formeller Hil-fen und die Intensität der Patientenbegleitung in diesem Beispiel istnicht repräsentativ für alle begleiteten Patienten. Wir haben es den-noch gewählt, weil es ein breites Spektrum der Möglichkeiten einesCase Management-Ansatzes in der ambulanten Versorgung alterMenschen zeigt. Bei Frau Hansen wurden sehr eindrucksvoll die mitdem Projekt angestrebten Ziele der Unterstützung der Selbstbe-stimmung der älteren Menschen, der Vermeidung von unnötigenKrankenhausaufenthalten und eines Umzugs ins Pflegeheim reali-siert. Diese Erfolge konnten nur in enger Kooperation verschiedenerDienste und mit intensiver Unterstützung durch die Patientenbeglei-terin erreicht werden.

Neben den Mitgliedern des Ambulanten Gerontologischen Teams istnach und nach eine große Anzahl verschiedener Institutionen desregionalen Gesundheits- und Versorgungssystems in die Betreuungvon Frau Hansen involviert. Das Zusammenspiel zwischen demAGT, dem Pflegedienst, einer privaten Haushaltshilfe, Essen aufRädern und einem Neurologen als den wesentlichen weiteren Ak-teuren ist gekennzeichnet von dichter Kommunikation und gleich-wertig erlebter und sich ergänzender Arbeit.

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4.2 Auswahl von Risikopatienten für die Begleitung(Screening)

Das Screening diente der Identifizierung der Risikopatienten aus derGruppe der über 65-jährigen Hausarztpatienten, die in die Begleitungeinbezogen werden sollten. Zunächst werden die Ergebnisse desScreenings von Frau Hansen (Abschnitt 4.2.1) und anschließend dieScreening-Ergebnisse aller Patienten (Abschnitt 4.2.2) dargestellt.Eine kritische Betrachtung zum Screening findet sich in Abschnitt4.2.3.

4.2.1 Screening von Frau Hansen

Frau Hansen wurde durch das Screening-Verfahren als sogenannteRisikopatientin identifiziert und für die Begleitung vorgeschlagen. IhreLebenssituation zu Beginn der Begleitung lässt sich auf Grund derScreening-Ergebnisse wie folgt skizzieren:

Der Hausarzt gab in der Risikoliste folgende Risikofaktoren an:

• älter als 80 Jahre

• eingeschränkte / nicht vorhandene Medikamenten-Compliance

• Überlastung des informellen Hilfenetzes

• Demenz und alltagsrelevante Orientierungs- und Gedächtnis-probleme

• Erkrankungen aus dem manisch-depressiven oder schizophre-nen Bereich

• Inkontinenz (ist im Erhebungsbogen mit einem Fragezeichenversehen und ging deshalb nicht in den Gesamtscore ein)

Frau Hansens Hausarzt beurteilte die Patientin in der Gesamtein-schätzung der Hilfsbedürftigkeit als „ziemlich hilfsbedürftig“.

Frau Hansen selbst gab in der Kurzbefragung an:

• alleinlebend

• kann Hausarbeit nicht allein erledigen

• kann Einkäufe nicht allein erledigen

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• hat niemand, der über längere Zeit Hilfe leisten könnte

• geht es manchmal so schlecht, dass sie sich selbst nicht ein-mal eine warme Mahlzeit zubereiten kann

Zu dem Screening-Gesamtwert von 20 Punkten kam der Spontan-vorschlag des Hausarztes. Frau Hansen wäre dadurch in jedem Fallals Risikopatientin identifiziert worden.

4.2.2 Screening der Patienten der Hausarzt-Praxen

Ziel des Screenings war die systematische Erfassung der Risikopati-enten aus allen über 65-jährigen Patienten der Modell-Arztpraxen.Insgesamt wurden in allen drei Hausarztpraxen 466 Patienten über65 Jahre gescreent, 338 (72 %) Frauen und 128 (28 %) Männer. DasVerhältnis deckt sich mit dem der Grundgesamtheit der über 65-jährigen in der Bundesrepublik. Der Altersdurchschnitt der gesc-reenten Patienten beträgt 77 Jahre (mit einer Standardabweichungvon 7,4 Jahren). In der Abbildung 4.2.1 sind die Screening-Gesamt-Werte aller 466 gescreenten Patienten der drei Hausarztpraxenabgebildet.

Abbildung 4.2.1: Verteilung der Screening-Gesamt-Werte

Gesamt-Screening (∑ Kurzbefragung + ∑ Risikoliste + ∑ Arzteinschätzung)

3533312927252321191715131197531

60

50

40

30

20

10

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17-Punkte

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nten

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Der Mittelwert beträgt 9 Punkte mit einer Standardabweichung von7,9 Punkten. Der niedrigste Wert beträgt 1 der höchste Wert 35Punkte. Der größte Teil der Patienten befindet sich unter dem kriti-schen Wert von 17 Punkten, der neben den anderen genanntenKriterien die Patienten als Risikopatienten definiert.

Die strikte Einhaltung der Auswahlsystematik ist nur in der Praxis 2gelungen. In der Praxis 1 wurden etwa die Hälfte, in der Praxis 3 un-gefähr ein Drittel aller über 65-jährigen Patienten der jeweiligenPraxis gescreent. Als Gründe für diese Einschränkung gaben dieÄrzte zum einen die hohe Arbeitsbelastung in den Praxen an, zumanderen eine Wechselwirkung mit der begrenzten Arbeitskapazitätder Patientenbegleiterinnen. Die Ärzte in der Region A mochten derPatientenbegleiterin nicht noch mehr Patienten für die Begleitungvorschlagen. Denn insbesondere hier wurde die Patientenbegleiterindurch die Hinzunahme der Praxis 3 mit einer hohen Zahl von be-gleiteten Risikopatienten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt.Ein weiterer Grund, der sich besonders in der Praxis 3 zeigte, be-stand in einer Modifikation des Verfahrens durch den Hausarzt.Dieser hatte auf der Basis seiner Kenntnis der Patienten eine Vor-auswahl getroffen und die Patienten gescreent, die er bereits intuitivals Risikopatienten eingeschätzt hatte. Demzufolge bestehen zwi-schen den Praxen gravierende Unterschiede a) in der absoluten An-zahl der gescreenten Patienten und b) im prozentualen Anteil deridentifizierten Risikopatienten zu allen gescreenten Patienten derjeweiligen Praxis (siehe Tabelle 4.2.1).

Tabelle 4.2.1: Gescreente Patienten der Arztpraxen

Modell-Region A B APraxis Praxis 1 Praxis 2 Praxis 3 gesamtgescreente Patienten n = 93 n = 262 n = 111 n = 466identifizierte Risikopatienten n = 33 n = 46 n = 52 n = 131Anteil der Risiko-Patienten angescreenten Patienten in % 35 % 18 % 47 % 28 %

Zwischen den Patienten der beiden Regionen gibt es hochsignifi-kante Unterschiede sowohl im Gesamt-Screening-Wert als im „Ge-samtwert der Kurzbefragung”, im „Gesamtwert der Risikoliste” und inder „Arzteinschätzung der Hilfsbedürftigkeit” (Mann-Whitney U-Test).Dieser Effekt ist auf das oben beschriebene unterschiedliche Vorge-hen in der Screening-Prozedur zurückzuführen, denn die Unter-

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schiede zwischen den Patienten der verschiedenen Modellregionenlassen sich nicht auf unterschiedliche Grundgesamtheiten in denRegionen zurückführen. Tatsächlich sind alle Patienten-Stichprobender drei Praxen im Vergleich hinsichtlich Alter und Geschlecht ohnesignifikanten Unterschied.

Darüber hinaus wurden in ungeklärtem Ausmaß die Kurzbefra-gungen der Patienten von den Ärzten der Praxen 1 und 3 selbstausgefüllt, da die Ärzte den Wunsch verspürten, das Vorgehen zeit-lich zu straffen, um ihren Arbeitsablauf nicht zu stören. In einigenFällen äußerten sie zudem Zweifel, ob ihre Patienten den Fragebo-gen korrekt ausfüllen könnten. Ein Arzt beschrieb im Interview: „DieSchwierigkeit ist natürlich: Die Patienten, die diesen Screening-Bogen ausfüllen, sind faktisch nicht mehr im Stande, den auszufül-len, die sind wahrscheinlich oft nicht mehr im Stande, einen Scheckzu unterschreiben oder eine einfache Frage zu stellen. Das heißt,diese Screening-Bögen habe ich immer ausgefüllt, denn ich habegesehen, - die haben zum Teil, wenn ich sie gefragt habe - die sindblind - und wenn man fragt, „können Sie gut sehen?”, dann guckensie einen strahlend an und sagen, „ja, ich kann noch hell und dunkelunterscheiden”. Also, da kommen zum Teil ganz irrationale Antwor-ten oder Antworten, die für einen normal Denkenden völlig fremdsind.”

Die Begleitforschung hat von dieser Abweichung vom ursprünglichverabredeten Verfahren erst im fortgeschrittenen Projektverlauferfahren und konnte daher keinen Einfluss mehr auf die Einhaltungeines systematischen Vorgehens nehmen.

Insgesamt ist die Akzeptanz des Screening-Verfahrens auf Seitender Hausärzte mit Ausnahme des Hausarztes der Praxis 2 ehergering gewesen. Sie haben das Screening nach ihren eigenen Aus-sagen zum Teil als „Eintrittskarte” verstanden, als eine Notwendig-keit, die zu einem von einem Bundesministerium geförderten Modell-vorhaben gehört und das für die wissenschaftliche Begleitung wichtigsei. Sie sagen allerdings auch übereinstimmend, dass das Screeningihnen dabei behilflich war, den Blick auf bestimmte Aspekte wie diefamiliäre und soziale Situation zu erweitern. Heute würden sie aberweitgehend auf das Screening verzichten können, da sie „diesenScreening-Gedanken im Hintergrund mitlaufen” lassen und in ihre„Anamnesetätigkeit aufgenommen” (HA) haben. „Wissen Sie, wennman das so gewöhnt ist, wie ich das jetzt weiß, dann denke ich,würde es nicht notwendig sein, jeden einzelnen Patienten da einzu-teilen. Das war ja wohl auch für die Statistik wichtig.” (HA)

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Die kooperierenden Hausärzte stellen durch das Screening eine Ver-änderung ihrer Wahrnehmung in Richtung ganzheitlicher Versorgungfür sich fest. In der Praxis 2 wird diese Wahrnehmungs-Veränderungbeispielsweise an einem signifikanten Zusammenhang zwischenScreening-Ergebnissen und der formalen, fortlaufend vergebenenIdentifikations-Nummer der Patienten sichtbar. Die Screening-Wertegehen in der zeitlichen Abfolge leicht zurück. Der Bewertungsmaß-stab des Hausarztes im Rahmen der Team-Arbeit und der darausresultierenden Erfahrungen hat sich verändert, obgleich in dieserPraxis das Screening konsequent systematisch durchgeführt wurde.Dies kann als Hinweis auf eine inhaltliche, d. h. an den praktischenErfahrungen geleiteten Selbst-Validierung ärztlicher Einschätzunggewertet werden.

Für eine zukünftige Nutzung und Handhabung von Screening-Instru-menten ist eine Schulung zu empfehlen, die auch die individuellenBedarfe und Sichtweisen der Anwender reflektiert.

Korrektive der Einschätzungen durch den Hausarzt bzw. der Ergeb-nisse des Screenings bestanden einerseits in der detaillierten Analy-se der Patientensituation durch das Assessment und andererseits inden Informationen der Patientenbegleiterinnen im Rahmen ihresPatientenkontaktes. In mehreren Fällen stellte die Patientenbegleite-rin bei ihren Hausbesuchen fest, dass der Hilfebedarf gedeckt waroder dass ein Hilfebedarf nur kurzfristig bestand und entsprechendschnell gelöst wurde.

Im Folgenden sind die Häufigkeiten der Antworten in den Screening-Items wiedergegeben. Die Tabelle 4.2.2 und die Abbildung 4.2.2 zei-gen die Ergebnisse der Arzteinschätzungen zu den jeweiligen in derRisikoliste angegebenen Risikofaktoren und des Gesamteindruckesder Hilfsbedürftigkeit.

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Tabelle 4.2.2: Häufigkeiten Screening (Risikoliste und Spontanvor-schlag, N = 466)

Risikofaktoren der Risikoliste in Prozent %Alter > 80 Jahre 39Depression 19Überlastung des informellen Hilfenetzes, d. h. der pflegenden Angehöri-gen, Nachbarn etc. 17

Chronische Erkrankungen mit wiederholt akuten Verschlechterungen (z.B. Asthma), die zur Krankenhausaufnahme führen 16

Sturzneigung bzw. rezidivierende Stürze 15Eingeschränkte oder nicht vorhandene Medikamenten-Compliance vondeutlicher Relevanz 12

Kürzliche Entlassung aus stationärer Behandlung 12Demenz und alltagsrelevante Orientierungs- und Gedächtnisprobleme 11Schwerwiegende Belastungen im familiären Bereich 10Hochgradige Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlägerigkeit 9Anzeichen eines bevorstehenden Schlaganfalls (TIA, PRIND**) 6Inkontinenz 6Alkoholismus/Medikamentenabhängigkeit 5Erkrankungen aus dem manisch-depressiven oder schizophrenen For-menkreis 3

Warten auf ein Krankenhausbett bzw. OP-Termin 0Suizidgefährdung 0Patient(in) wird spontan für Patientenbegleitung vorgeschlagen 19%** Davon 6 % nachträglich** TIA = transitorische ischämische Attacke ; PRIND = durch Ischämie bedingter,fortschreitender, reversibler neurologischer Defekt

Die Hausärzte wurden gebeten, auf einer Fünfer-Skala von „nichthilfsbedürftig“ bis „sehr hilfsbedürftig“ eine Einschätzung ihres klini-schen Gesamteindruckes hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit – unab-hängig von der Inanspruchnahme von Hilfen – und des Dekompen-sationsrisikos zu geben. Die Häufigkeitsverteilung ihrer Einschätzun-gen ist in Abbildung 4.2.2 dargestellt.

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Abbildung 4.2.2: Häufigkeiten Screening (Arzteinschätzung der Hilfsbe-dürftigkeit, N = 466)

50

22

12 115

0%

10%

20%

30%

40%

50%

nich

t

wen

ig

mitt

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äßig

ziem

lich

sehr

Grad derHilfsbedürftigkeit

Die Hausärzte schätzen die Hälfte ihrer Patienten insgesamt alsnicht hilfsbedürftig und etwas weniger als ein Viertel als wenig hilfs-bedürftig ein. Bei etwas mehr als einem Viertel wird ein deutlicherHilfebedarf gesehen.

In der Tabelle 4.2.3 sind die Ergebnisse der Patienten-Selbstein-schätzung aus der Kurzbefragung wiedergegeben. Dargestellt sinddie Häufigkeiten der jeweiligen Risikofaktoren in Prozent.

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Tabelle 4.2.3: Häufigkeiten Screening (Kurzbefragung), N = 466

Risikofaktoren der Kurzbefragung in Prozent %Leben Sie allein? ja 57Gibt es jemanden, der für Sie da ist, wenn Sie für längere Zeit Hilfebenötigen? nein 39

Leiden Sie stark unter gesundheitlichen Beschwerden? ja 37Können Sie das Einkaufen allein erledigen? nein 30Können Sie Ihre Hausarbeit allein erledigen? nein 26Haben Sie das Gefühl, mit vielen Dingen nicht mehr zurecht zukommen? ja 26

Können Sie ohne Pause ein Stockwerk die Treppe hinaufgehen? nein 25Haben Sie größere Probleme mit dem Sehen? ja 20Viele ältere Menschen fühlen sich oft einsam. Geht es Ihnen auchso? ja 20

Waren Sie in den letzten 12 Monaten im Krankenhaus? ja 20Geht es Ihnen manchmal so schlecht, dass Sie sich nicht einmalselbst eine warme Mahlzeit zubereiten können? ja 19

Haben Sie größere Probleme mit dem Hören? ja 16

Die Abbildung 4.2.3 gibt die Zahl aller gescreenten, vorgeschlagenenund begleiteten Patienten der drei Modellpraxen im gesamten Pro-jektverlauf wieder.

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Abbildung 4.2.3: Verlaufsübersicht der PAGT-Patienten

PatientenPraxis 1n = 93

PatientenPraxis 2n = 262

PatientenPraxis 3n = 111

N = 466

PatientenPraxis 1n = 33

PatientenPraxis 2n = 46

PatientenPraxis 3n = 52

N = 131

AssessmentPraxis 1n = 16

AssessmentPraxis 2n = 30

AssessmentPraxis 3n = 38

∑ Assessments n = 84+ 5 Patienten ohne Assessment

PatientenPraxis 1

n = 7

PatientenPraxis 2n = 15

PatientenPraxis 3n = 21

N = 43

Screening der Patienten ≥≥≥≥ 65 Jahre

identifizierte "Risikopatienten"

Assessment & Begleitung

Abschluss-Assessment

Für dieBegleitung

vorgeschlagen

Begleitung abgelehnt

vor Begleitunggestorben

nur kurzfristigerHilfebedarf

vor Begleitungumgezogen, Statusoffen oder unbekannt

während derBegleitung gestorben

Begleitung ruht

während derBegleitungumgezogen

"Nicht-Risikopatienten"

N = 335

(n = 12)

(n = 6)

(n = 6)

(n = 18)

N = 42

"Risikopatienten" ohneBegleitung & Assessment

begleitete Patienten N = 89

(n = 29)

(n = 10)

(n = 7)

begleitete Patientenohne

Abschluss-Assessment

N = 46

Nach der systematischen Selektion aus 466 anfänglich gescreentenälteren Hausarztpatienten reduzierte sich die Zahl der insgesamt 89begleiteten Patienten durch Umzüge oder das Versterben von Pati-

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enten bis zum Projekt-Ende auf 43 Patienten, die zuletzt noch in diekonkrete Patientenbegleitung eingeschlossen waren. Die Zahl istauch deshalb so klein, weil angesichts des bevorstehenden Projekt-Endes keine weiteren Patienten in die Begleitung aufgenommen wur-den, da die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Betreuung nichtmehr gegeben waren. Die identifizierten Risikopatienten der dreiHausarztpraxen sind in ihren Screening-Ergebnissen ohne Unter-schied und damit vergleichbar. Von den übrigen über 65-jährigenHausarztpatienten unterscheiden sie sich in fast allen Items desScreenings hochsignifikant. Dies ist allerdings bereits in der Metho-dik begründet. Nur die nicht trennscharfen Items, also die, die sehrselten oder fast gar nicht angekreuzt wurden, bilden keine Unter-schiede ab. Es sind die Fragen zur „Inkontinenz”, „Sucht”, „Psy-chose”, „Krankenhaus/OP-Termin” und „Suizidalität”.

Für die Auswahl der Risikopatienten kamen vier Kriterien in Betracht,die nicht voneinander unabhängig waren: a) ein Screening-Gesamt-Wert von 17 oder mehr Punkten; b) die Einschätzung des Hausarz-tes der allgemeinen Hilfsbedürftigkeit als „ziemlich“ oder „sehr“ sowiec) eine bestehende Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlägerigkeit und d)der Spontanvorschlag durch den Hausarzt. Insgesamt erfüllten 22der 131 Risikopatienten (17 %) alle vier Auswahlkriterien. 40 Pati-enten (31 %) erfüllten drei Kriterien und 17 Patienten (13 %) zweiKriterien. Für die restlichen 52 Patienten (40 %) galt nur ein Kriteri-um, das zur Auswahl führte. Davon war die größte Gruppe die der 31Patienten mit einem Spontanvorschlag als alleinigem Auswahlkriteri-um.

Der Screening-Gesamt-Wert und der Spontanvorschlag waren diehäufigsten der vier Auswahlkriterien. Jeweils 89 Patienten (68 %)wären allein durch dieses Kriterium ausgewählt worden, wobei dieSpontanvorschläge wohl häufig gemacht wurden, um das zuvoridentifizierte Risikopotenzial zu bestätigen. 75 Patienten (57 %)erfüllten das Kriterium „ziemlich bis sehr hilfsbedürftig” und 41 Pati-enten (31 %) das Kriterium „Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlägerig-keit”. Bei einer Auswahl allein mittels des Screening-Gesamt-Werteswären 42 Patienten (32 %) der mit dieser Methode identifiziertenRisikopatienten nicht erfasst worden. Von diesen 42 Patienten wur-den dann allerdings 31 durch den Spontanvorschlag ermittelt. DieKriterien Hilfsbedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit zusammen ge-nommen haben mit neun Patienten nur noch einen Anteil von weite-ren sieben Prozent.

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Die Tabelle 4.2.4 enthält die Häufigkeiten der Risikofaktoren bei denRisikopatienten sowohl in der Kurzbefragung (KB) als auch in der Ri-sikoliste (RIS).

Tabelle 4.2.4: Häufigste Risikofaktoren der Risikopatienten im Scree-ning (Kurzbefragung und Risikoliste, N = 131)

Risikofaktoren der Kurzbefragung und Risikoliste %Mit dem Einkaufen nicht zurechtkommen 73 KBLeiden unter gesundheitlichen Beschwerden 72 KBAlleinlebend 68 KBMit der Hausarbeit nicht zurechtkommen 68 KBAlter > 80 Jahre 64 RISMit vielen Dingen nicht zurechtkommen 64 KBKeine Treppe ohne Pause steigen können 59 KBWegen Krankheit manchmal Kochen unmöglich 55 KBÜberlastung des informellen Hilfenetzes 52 RISKeine dauerhafte Hilfe verfügbar 51 KBProbleme mit dem Sehen 39 KBSturzneigung 39 RISKrankenhausaufenthalt in letzten 12 Mon. (Patient) 36 KBEinsamkeit 35 KBChronische Erkrankungen, die zur Krankenhausaufnahmeführen

34 RIS

Demenz und alltagsrelevante Orientierungs- und Gedächt-nisprobleme

33 RIS

Depression 33 RISHochgradige Pflegebedürftigkeit bis zur Bettlägerigkeit 31 RISEingeschränkte oder nicht vorhandene Medikamenten-Compliance

29 RIS

Kürzliche Entlassung aus stationärer Behandlung 27 RISProbleme mit dem Hören 27 KBAnzeichen eines bevorstehenden Schlaganfalls 17 RISSchwerwiegende Belastungen im familiären Bereich 16 RISInkontinenz 12 RISAnm.: Nicht aufgeführte Risikofaktoren liegen unter 10 %.

Der durchschnittliche Gesamt-Screening-Wert der Risikopatientenbeträgt 19 Punkte (Standardabweichung = 6,7). Der niedrigste Wert

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beträgt 5 und der höchste 35 Punkte. Der Modal-Wert entspricht mit18 Punkten etwa dem Mittelwert.

Die Risikopatienten weisen mehr Diagnosen auf als die übrigenHausarztpatienten. Auch hier spiegelt sich die Multimorbidität indieser Risikoklientel wider. Die Abbildung 4.2.4 zeigt im Vergleich dieAnzahl der Diagnosen der Risikopatienten und die der anderenHausarztpatienten.

Abbildung 4.2.4: Anzahl der von den Hausärzten gestellten Diagnosenunterschieden nach Risikopatienten und anderenHausarztpatienten in % (N = 466)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

0 1 2 3 4 5 6 7 8

RisikopatientenandereHausarzt-patienten

alle Patienten

%

Anzahl der gestellten Diagnosen

Der Altersdurchschnitt der als Risikopatienten identifizierten altenMenschen beträgt 82 Jahre (N = 131, Standardabweichung = 7,2).Dabei ist der Einfluss des Faktors Alter auf das Auswahlverfahrender Risikopatienten erheblich. Alter und Screening-Gesamt-Wertkorrelieren mit rho = 0,5, (p = 0,000). Allerdings wird dieser Zusam-menhang durch das Item „Alter > 80 Jahre” noch zusätzlich ver-stärkt. Der Einfluss des Faktors „Alter“ wird bei der Betrachtung der

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Items des Screenings besonders deutlich, wenn man diese nachverschiedenen Altersstufen der Patienten trennt. Die Tabellen 4.2.5und 4.2.6 geben den Trend zum erhöhten Risiko mit zunehmendemAlter wieder.

Tabelle 4.2.5: Häufigkeiten der Variablen in der Kurzbefragung nachAltersstufen (%), N = 466

Alter in Jahren

65-6

9

70-7

4

75-7

9

80-8

4

85-8

9

90+ N

Risikofaktor n = 85 125 72 94 63 27 466Alleinlebend 46 45 63 65 73 74 57Keine Person, die über längere Zeit Hilfeleisten kann 35 33 40 45 48 33 39

Starkes Leiden unter gesundheitlichenBeschwerden 24 28 39 33 57 82 37

Einkaufen nicht allein erledigen können 14 13 26 34 60 85 30Hausarbeit nicht allein erledigen können 9 14 18 31 59 70 26Mit vielen Dingen nicht mehr zurechtkom-men 14 14 25 25 51 63 26

Nicht ohne Pause ein Stockwerk dieTreppe hinaufgehen können 15 18 21 26 40 59 25

Größere Probleme mit dem Sehen 11 8 24 23 41 41 20Gefühl der Einsamkeit 13 13 17 22 41 33 20Krankenhausaufenthalt in den letzten 12Monaten 14 18 19 25 21 30 20

So schlechtes Befinden, dass Patient sichselbst keine warme Mahlzeit zubereitenkann

8 10 22 22 32 52 19

Größere Probleme mit dem Hören 7 13 14 16 27 41 16

In Tabelle 4.2.5 finden sich die Häufigkeiten der Angaben in derKurzbefragung der Patienten in verschiedenen Altersstufen. Sie sindabsteigend nach der Häufigkeit der Angaben in Schlüsselrichtung, d.h. eine jeweilige Belastung bzw. Riskiertheit anzeigend, geordnet. ImAnschluss sollen zuerst die am häufigsten angegebenen Risikofakto-ren diskutiert und anschließend auf Unterschiede zwischen den Al-tersstufen hinsichtlich der Risikofaktoren eingegangen werden.

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Die in der Kurzbefragung von den Patienten selbst am häufigstenangegebenen Risikofaktoren bestehen im Alleinleben (Gesamt57 %) bzw. im Fehlen einer Person, die im Falle einer Notlageüber längere Zeit Hilfe leisten könnte (Gesamt 39 %). Den Dateneiner Hamburger Repräsentativerhebung zufolge (vgl. Thönessen1994) leben 47 % der älteren Menschen ab 60 Jahre in Einper-sonen-Haushalten. Die hier befragten Patienten geben zu einemhöheren Prozentsatz an, allein zu leben. Dies könnte auf den bereitsbeschriebenen Selektionseffekt im Auswahlverfahren der Hausärztezurückzuführen sein sowie auf das hohe Durchschnittsalter dieserPatientengruppe, die einen größeren Anteil an Verwitweten anneh-men lässt.

Im Hinblick auf das Alleinleben bestehen Annahmen eines hohen Zu-sammenhanges mit psychiatrischen Beeinträchtigungen (vgl. Sand-holzer 1982). Darüber hinaus kann insbesondere bei allein Stehen-den, die eine häusliche Versorgung durch Dritte benötigen, einefrühzeitige Hospitalisierung eintreten, wenn ihr Versorgungsbedarfnicht ausreichend gedeckt ist (vgl. Nikolaus, Specht-Leible, Kruse,Oster & Schlierf 1992). Für die in der vorliegenden Studie erhobenenPatientenangaben „alleinlebend” und Angaben der Ärzte hinsichtlichder Risikofaktoren „Demenz” sowie „Erkrankungen aus dem ma-nisch-depressiven oder schizophrenen Formenkreis“ und „Depressi-on“ lassen sich jedoch keine signifikanten Zusammenhänge fest-stellen.

Die mit dem Alleinleben verbundenen Risiken verweisen auf diegroße Bedeutung einer Hilfsperson, die unter genauer Kenntnis derSituation und der Lebensumstände der Patienten ständiger An-sprechpartner und Vertrauensperson für diese ist und die jeweilsbedarfsgerechteste Lösung von Problemen in die Wege leiten kann.

Die größten Unterschiede zwischen der jüngsten (65 - 69 Jahre)und ältesten Altersgruppe (90 Jahre und älter) in der Häufigkeit derangegebenen Risikofaktoren zeigen sich im Hinblick auf Haushalts-tätigkeiten (Hausarbeit, Einkaufen) sowie starkem Leiden unter ge-sundheitlichen Beschwerden und schlechter Bewältigung des All-tags. Der Führung des Haushaltes im Alltag ist also mit zunehmen-dem Alter der hilfsbedürftigen Patienten in der Betreuung besondereAufmerksamkeit zu widmen.

Auf beinahe jedem Item der Kurzbefragung ist eine kontinuierlicheSteigerung der Prozentwerte zu erkennen. Eine Ausnahme dazu bil-det in zwei Items die Gruppe der sehr Hochbetagten. Die über 90-

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jährigen geben an, über etwas mehr Hilfe zu verfügen als die jünge-ren Hochbetagten. Eventuell damit einhergehend nimmt bei ihnenauch das Gefühl der Einsamkeit ab. Sie bedürfen aber auch deutlichmehr der Hilfe als die etwas Jüngeren, da der weitaus größere Teil inden Aktivitäten des täglichen Lebens spürbar eingeschränkt ist. DerGrund scheint in der von PAGT angesprochenen Patientengruppe(keine Heimbewohner) zu liegen: Personen, welchen in einem sehrhohen Alter das Leben außerhalb von Heimen ermöglicht werdensoll, sind vermutlich auf andere Menschen, die ihnen über längereZeit Hilfe bieten können, angewiesen („Heimschwelle”). Als Grund fürein in geringerem Ausmaß vorhandenes Einsamkeitsgefühl könnteeine Verschiebung der Ansprüche oder Standards angenommenwerden. Eine weitere mögliche Erklärung lautet, dass besonders diePersonengruppe der über 90-jährigen, welche nicht in einem Heimleben, kontinuierlicherer Betreuung bedürfen und diese auch erhal-ten, so dass hier das Gefühl der Einsamkeit nicht so häufig auftrittwie dies in besonderem Maße bei den 85 - 89-jährigen der Fall ist.

Die Häufigkeiten der Risikofaktoren aus der Sicht des Arztes, wie siein der Risikoliste enthalten sind, finden sich nach Altersstufen ge-trennt in der Tabelle 4.2.6. Im Folgenden werden zuerst die am häu-figsten angegebenen Risikofaktoren diskutiert und anschließendUnterschiede zwischen den Altersstufen hinsichtlich der Risi-kofaktoren beschrieben.

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Tabelle 4.2.6: Häufigkeiten der Risikofaktoren in der Risikoliste nachAltersstufen (N = 466, Angaben in %)

Alter in Jahren

65-6

9

70-7

4

75-7

9

80-8

4

85-8

9

90+ N

Risikofaktor n = 85 125 72 94 63 27 466Alter > 80 Jahre - - - 100 100 100 39Depression 13 17 17 21 29 22 19Überlastung des informellen Hilfenetzes,d. h. der pflegenden Angehörigen etc. 9 8 18 7 35 30 17

Chronische Erkrankungen mit wiederholtakuten Verschlechterungen, die zurKrankenhausaufnahme führen

9 13 19 22 19 11 16

Sturzneigung bzw. rezidivierende Stürze 4 4 14 19 35 37 15Eingeschränkte oder nicht vorhandeneMedikamenten-Compliance 5 4 7 19 25 22 12

Kürzliche Entlassung aus stationärerBehandlung 7 10 10 17 13 19 12

Demenz und alltagsrelevante Orientie-rungs- und Gedächtnisprobleme 1 4 8 13 27 33 11

Schwerwiegende Belastungen im familiä-ren Bereich 9 14 8 7 11 4 10

Hochgradige Pflegebedürftigkeit bis zurBettlägerigkeit 2 4 8 12 13 33 9

Anzeichen eines bevorstehendenSchlaganfalls 2 6 6 4 13 7 6

Inkontinenz 2 5 3 6 11 15 6Alkoholismus / Medikamentenabhängig-keit 6 5 6 6 2 0 5

Erkrankungen aus dem manisch-depressiven oder schizophrenen For-menkreis

1 5 4 2 2 4 3

Warten auf ein Krankenhausbett bzw.OP-Termin - - 1 - - - < 1

Suizidgefährdung - - - - - - -

Spontanvorschlag 8 12 11 25 40 37 19

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Die von den Ärzten insgesamt am häufigsten genannten Risikofakto-ren sind - vom Alter abgesehen - „Depression”, „chronische Erkran-kungen”, „Überlastung des informellen Hilfenetzes” sowie „Sturznei-gung”. Wie bereits in der Kurzbefragung zeigt sich auch in der Risi-koliste der Trend einer Zunahme der Risikofaktoren mit höheremAlter, hier aber nicht in allen Variablen und auch nicht immer konti-nuierlich. Sichtbare Steigerungen sind zu erkennen in den Problem-bereichen „Überlastung des informellen Hilfenetzes”, „Sturzneigung”und „Medikamenten-Compliance”. Besonders stetige Steigerungenzeigen sich in den Variablen „Demenz” und „hochgradige Pflegebe-dürftigkeit”. Zwischen den Variablen bestehen Zusammenhänge inder Größenordnung rho = 0,3 bis 0,4.

Die Risikofaktoren, die nur selten angegeben wurden (weniger alsacht Prozent der Fälle), zeigen mit Ausnahme der Variable „Inkonti-nenz” keinen Alterstrend.

Die Angaben zur Prävalenz depressiver Erkrankungen in verschiede-nen Feldstudien schwanken je nach zu Grunde liegendem Instru-ment und einbezogener Altersgruppe zwischen 1 % (Henderson,Jorm & Mackinnon et al. 1993) und 48 % (Stenback 1979). Im Rah-men der vom Hausarzt genannten relativ hohen Häufigkeit des Risi-kofaktors Depression bei älteren Patienten der vorliegenden Stich-probe (Gesamt 19 %; vgl. Häfner 1986; Rozzini 1993) ist anzumer-ken, dass den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen zufolgedepressive Erkrankungen von Ärzten häufig unzureichend erkanntwerden (vgl. Moore, Silimperi & Bobula 1978; Nielsen & Williams1980, Schulberg et al. 1985; Waxman & Carner 1984; Weyerer,Häfner & Mann 1989, nach Weyerer, Geiger-Kabisch, Kröper, Den-zinger & Platz 1990) und häufig nicht klar gegen Demenz abgegrenztwerden („pseudodementia”; vgl. Jarvik 1976; Steinwachs 1992; Wells1979; Yesavage & Brink 1983). Jedoch ist der Vergleich von Ein-schätzungen der Hausärzte und den Einstufungen auf Grund vonWerten in einem Test auch mit methodischen Problemen verbunden(vgl. Pond et al. 1990), da unter Umständen verschiedene Operatio-nalisierungen von Depression zum Tragen kommen (vgl. Pilowsky &Spence 1978).

Chronische Erkrankungen, welche insbesondere bei nicht ausrei-chender häuslicher Versorgung wiederholt zur Hospitalisierung füh-ren können (vgl. Nikolaus, Specht-Leible, Kruse, Oster & Schlierf1992), spielen bei den hier untersuchten Patienten eine große Rolle(Gesamt 16 %). Auf Grund der besonderen Bedeutung von chroni-schen Erkrankungen im Alter und deren Prävention (vgl. Fries 1989;

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Knipscheer 1989) wird im Rahmen der Arbeit der Teams z. B. demDiabetes mellitus und einer entsprechenden Ernährung besondereBedeutung beigemessen.

Die von den Hausärzten in hoher Anzahl festgestellte Überlastungdes informellen Hilfenetzes spielt analog zu den Angaben derPatienten in der Kurzbefragung zur Verfügbarkeit von Hilfe auch inder Risikoliste eine herausragende Rolle. Der Überlastung des Hilfe-netzes, insbesondere Anzahl und Belastung der Helfenden, kommteine entscheidende Rolle bei der Vorhersage der Institutionalisierungder Patienten zu (vgl. Zarit, Todd & Zarit 1986; Lieberman & Kramer1991) oder der Verweildauer im Krankenhaus zu (vgl. Falck 1989).Hinzuzufügen ist, dass eine Überlastung der Pflegenden in Zu-sammenhang gesehen werden muss mit der Entwicklung von Span-nungen im Kontakt zwischen Pflegenden und Gepflegten (vgl. Pille-mer & Finkelhor 1989). Insbesondere die Entlastung pflegenderAngehöriger spielt deshalb bei der Begleitung der Patienten einezunehmend wichtige Rolle.

Im Vergleich der von den Ärzten konstatierten Zahl von Patienten mitStürzen/Sturzneigung (Gesamt 15 %) liegt die in der Literatur be-richtete jährliche Inzidenz der Stürze bei den über 65-jährigen, wel-che zu Hause leben, zwischen 25 und 40 % (vgl. Campbell, Reinken,Allen & Martinez 1981; Prudham & Evans 1981; Tragl 1992a), alsoweitaus höher als der von den Hausärzten angegebene Anteil. Dazwischen Stürzen und Ursachen im Umfeld (wie z. B. schlechteBeleuchtung, glatter Fußboden oder zu niedrige Stühle), iatrogenenMaßnahmen (Arzneimittel wie z. B. Narkotika, Tranquilizer oderAntidepressiva) aber auch altersbedingten Ursachen (wie z. B. denhier erfassten Seh- und Hörschwächen oder Demenz) Zusammen-hänge bestehen (vgl. Wild, Nayak & Isaacs 1980; Buchner & Larson1987; Ray, Griffin, Schaffner, Baugh & Melton 1987; Tinetti 1988;Tragl 1992b), sollte die Aufmerksamkeit für Wohnungsanpas-sungsmaßnahmen und Art und Nebenwirkungen von Arzneimitteln inder Arbeit der Teams einen hohen Stellenwert einnehmen. VonStürzen wird angenommen, dass sie bei 40 % der Übergänge insPflegeheim eine Rolle spielen (vgl. Smallegan 1983). Wild, Nayaksund Isaacs (1981) berichten, dass 25 % der im Hause gestürztenPatienten im Zeitraum eines halben Jahres versterben, währenddieser Anteil auf 50 % im Zeitraum eines Jahres steigt, wenn diePatienten länger als eine Stunde auf dem Boden liegen müssen.Diese Ergebnisse führen in der Literatur zu einer ausführlichen Dis-kussion von präventiven Maßnahmen, welche aus dem Wissen um

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ursächliche Zusammenhänge abzuleiten sind (vgl. z. B. Hindmarsh &Estes 1990).

Das Warten auf ein Krankenhausbett bzw. OP-Termin spielt beiden hier einbezogenen Patienten als Risikofaktor keine Rolle. Au-ßerdem wurde bei keinem der gescreenten Patienten von den Ärzteneine Suizidgefährdung wahrgenommen, während verschiedeneAutoren die besondere Bedeutung des Suizids im höheren Lebens-alter betonen (vgl. z. B. Vogel & Wolfersdorf 1989), wobei dies ins-besondere für die Männer zu gelten scheint (vgl. Stumpfe 1988). Eswerden vergleichsweise hohe Zahlen von Suiziden in der Altersgrup-pe der 65-jährigen und älteren gegenüber der Gesamtbevölkerungberichtet: Nach Venzlaff (1980) 37,5 gegenüber 19,4 auf 100.000Einwohner (zit. in Kreitmann 1980). Eine herausragende Rolle imSuizidgeschehen des Alters spielen Depression (vgl. Seidel 1969),Vereinsamung und Isolation (vgl. Bock 1972; Bock & Webber 1972;Vogel & Wolfersdorf 1989), aber auch „bilanzierende” Prozesse (vgl.Petrilowitsch 1964) oder körperliche Krankheit und Al-tersbeschwerden und damit verbundene Leistungsminderung (vgl.Seidel 1969). Erlemeier (1997)verweist auf eine nach Alter unter-schiedene Einstellung in der Bevölkerung zur Selbsttötung. Dem-nach würde der Suizid bei alten Menschen deutlich weniger Anstoßerzeugen als der Suizid bei jüngeren Menschen. Teilweise sei ersogar mit „Erlösung” oder „Charakterstärke” konnotiert. Die Zahl derSuizide pro Jahr sei in der Gruppe der über 65-jährigen (15 % derGesamtbevölkerung) mit 30 % aller 13.000 Suizide in der Bundesre-publik deutlich höher als in der Restbevölkerung. Über die Anzahlder Suizidversuche und der Suizidgedanken ist eine Aussage jedochgenauso unsicher wie bei den anderen Altersgruppen (geschätztwerden 10-20 mal so viele Suizidversuche wie Suizide). Erlemeierverweist neben allen anderen Menschen im Umfeld eines älterenMenschen, der sich in einer Krise befindet, besonders auf die Ver-antwortung der Hausärzte. Diese sollten auf Selbsttötungsäußerun-gen oder auf suizidales Verhalten achten und entsprechende Pati-enten schnell in eine fachärztliche Behandlung überweisen. Dass diePAGT-Hausärzte bei keinem Patienten eine Suizidgefährdung anga-ben, entspricht statistisch allerdings der empirischen Häufigkeit inder Gesamtbevölkerung, die sich im zehntel Promillebereich bewegt.

Schließlich ist der Anteil einer durch die Hausärzte benannten In-kontinenz bei nur 6 % der gescreenten Patienten nur sehr gering.Thomas (1980) stellte dazu fest, dass zwei Drittel aller Patientenihrem Hausarzt Inkontinenzprobleme nicht mitteilen und dass in derGruppe der älteren Menschen 25 % der Frauen und 15 % der Män-

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ner mit dem Problem der Inkontinenz konfrontiert sind. In der Gruppeder Risikopatienten, beträgt der Anteil der von den Hausärzten alsinkontinent Eingeschätzten 12 %. Im späteren Assessment gabenauf die direkte Befragung durch die Patientenbegleiterin allerdings43 % der begleiteten Patienten an, Probleme mit dem rechtzeitigenAufsuchen der Toilette zu haben (Patienten mit Urin-Katheter oderAnus praeter wurden ausgenommen (6 %)). Bei einem Fünftel derPatienten war dies täglich der Fall und bei weiteren 15 % mehrmalsin der Woche. Die Hausärzte geben demnach eine bestehende In-kontinenz nur etwa bei jedem vierten Betroffenen an.

Die Einschätzung der Hausärzte zur Alkohol- oder Medikamenten-abhängigkeit ist nur schwer zu bewerten. Nach ihrer Einschätzungsind ca. 5 % der über 65-jährigen Patienten alkohol- oder medika-mentenabhängig. Zwischen Alkohol und Medikamenten wird in die-sem Item nicht unterschieden, so dass auch die jeweiligen Anteilenicht geschätzt werden können. Bezüglich des Alkoholkonsumsälterer Menschen stellen Mundle, Wormstall und Mann (1997) fest,dass etwa 50 % der 60 bis 70-jährigen regelmäßig Alkohol trinken,bei den über 70-jährigen sind es 80 % der Männer und 60 % derFrauen. „Einen überhöhten Alkoholkonsum betreiben 10-20 % derMänner und bis zu 10 % der Frauen über 60 Jahre (Atkinson 1990,Mann und Mundle 1997). Ein problematisches Trinkverhalten imSinne eines Abhängigkeitssyndroms oder eines Alkoholmissbrauchsbesteht bei 2-3 % der älteren Männer und 0,5-1% der älteren Frauen(Holzer et al. 1984, 201).” Ohne gezielte Diagnostik zwischen über-höhtem Konsum und Abhängigkeitssyndrom zu unterscheiden, istkaum möglich. Die Hausärzte vergeben diese Diagnose jedoch rela-tiv schnell, wie in einigen Untersuchungen beobachtet wurde (vgl.Schumacher & Wiegard 1996).

Betrachtet man Unterschiede zwischen den Altersgruppen hin-sichtlich der Risikofaktoren, so ergeben sich die größten Differenzenzwischen der jüngsten (65 - 69 Jahre) und ältesten Altersgruppe (90Jahre und älter) in der Häufigkeit der Sturzneigung, der Demenz (vgl.Häfner & Löffler 1991) sowie der Pflegebedürftigkeit. In allen dreiBereichen geben die Hausärzte für ihre älteren Patienten eine höhe-re Häufigkeit in den Risikofaktoren an als für ihre jüngeren Patienten.Dies entspricht einem Ergebnis von Palmore, Nowlin und Wang(1985), die an einer Stichprobe von 297 „old-old” im Rahmen einer10-Jahres-follow-up-Studie kaum Veränderungen im Bereich dersozialen und ökonomischen Ressourcen, jedoch moderate Ver-schlechterungen im Bereich der körperlichen, geistig-seelischen Ge-

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sundheit sowie den Aktivitäten des täglichen Lebens feststellenkonnten.

Wie schon in der Kurzbefragung der Patienten zeigt sich auch in derEinschätzung durch die Ärzte in der Risikoliste in den Risikofaktoren„eingeschränkte/nicht vorhandene Medikamenten-Compliance”, aberauch „Überlastung des informellen Hilfenetzes” und „Depression” einauffälliges Absinken der Häufigkeiten für die letzte Altersstufe (90+).Dies könnte im Zusammenhang gesehen werden mit der bereitsoben angeführten Interpretation, dass Personen sehr hohen Altersvermutlich stärker auf professionelle Hilfspersonen angewiesen sind,welche einerseits das informelle Hilfenetz entlasten und andererseitsdafür Sorge tragen können, dass Medikamente verschrei-bungsgerecht eingenommen werden.

Die Abbildung 4.2.5 zeigt die Häufigkeitsverteilungen der globalenEinschätzung der Hausärzte zum Ausmaß der Hilfsbedürftigkeit dergescreenten Patienten. Jede Kurve entspricht einer Altersstufe.

Abbildung 4.2.5: Grade der Hilfsbedürftigkeit unterschieden nachAltersstufen (Angaben in %)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

nicht wenig mittelmäßig ziemlich sehr

65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+

Mit zunehmendem Alter werden die Patienten als hilfsbedürftigereingestuft. Während die Gruppe der 65 bis 69-jährigen und die der

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70 bis 74-jährigen noch nahezu unterschiedslos sind, wandert derMittelwert der von den Hausärzten geschätzten Hilfsbedürftigkeit beiden nachfolgenden Altersgruppen systematisch nach rechts. Insge-samt nimmt in der Wahrnehmung der Ärzte der Hilfsbedarf mit höhe-rem Alter also deutlich zu.

4.2.3 Kritische Betrachtung zum Screening

Der Einsatz des Screening-Verfahrens verfolgte das Ziel, in syste-matischer Weise die zu begleitenden Risikopatienten zu identifizie-ren. Hierzu wurde eigens für diesen Zweck ein Instrument entwickelt.Um die in den Abschnitten 4.2.1 und 4.2.2 geschilderten Ergebnisseund die Möglichkeiten eines weitergehenden Einsatzes (Transfer)beurteilen zu können, soll an dieser Stelle eine Analyse der Gütedieses Instrumentes vorgenommen werden.

Auf Grund einer nicht ausreichenden Einführung der Ärzte in dieMethodik und das Verfahren (es handelte sich hierbei um eine un-standardisierte mündliche Instruktion) kam es - für eine Korrekturdurch die Begleitforschung zu spät realisiert - in vielen Fällen zueinem Abweichen der Hausärzte vom ursprünglich intendierten Vor-gehen. So wurden insbesondere die Kurzbefragungen der Patientenin einigen Fällen durch die Hausärzte selbst ausgefüllt, da diese derMeinung waren, realistischere Angaben machen zu können als diePatienten. Zusätzlich wurden nicht in allen drei kooperierendenHausarztpraxen in gleicher Weise systematisch alle über 65-jährigenPatienten gescreent, sondern zum Teil lediglich Patienten, die nachAuffassung der Ärzte in die Begleitung aufgenommen werden soll-ten. In einer Praxis war die Anzahl der Patienten so hoch, dass inZeiten besonderer Belastung der Patientenbegleiterin weniger Pati-enten gescreent wurden, um die Patientenbegleiterin durch die Auf-nahme weiterer Patienten nicht zu überfordern.

Da ein Messinstrument nur in dem Maße objektiv sein kann, in demmehrere Untersucher unabhängig voneinander bei ein und derselbenPerson zur gleichen Aussage gelangen, ist diese bei den beschrie-benen Abweichungen in der Durchführung beeinträchtigt, nicht je-doch bei der Testauswertung und Testinterpretation, da hierfür ge-nau festgelegte Kriterien vorlagen.

Die Zuverlässigkeit eines Instrumentes, d. h. die Genauigkeit einesMesswertes kann i. d. R. an seiner Reproduzierbarkeit abgelesenwerden, d. h. daran, ob man bei einer Messwiederholung wieder dengleichen Messwert erhält. In diesem Zusammenhang ist anzumer-ken, dass nach Einschätzung der Ärzte ein Teil des Screening-

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Verfahrens, die Kurzbefragung der Patienten, den Fähigkeiten derBefragten zum Teil nicht mehr angemessen zu sein scheint. DieÄrzte stellten in einigen Fällen fest, dass die Fragen die Patienten zuüberfordern schienen und deshalb nicht zuverlässig beantwortetwurden. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Angaben der Ärzte:Wahrscheinlich auf der Grundlage einer zunehmend differenziertenEinschätzungsfähigkeit der Ärzte kommt es im Verlauf des Projekteseinerseits zu einer als geringer beurteilten allgemeinen Hilfsbedürf-tigkeit der Patienten und darüber hinaus zu einer selteneren Angabevon Risikofaktoren.

Auf der Grundlage einer Sensibilisierung der Hausärzte für die ver-schiedenen in der Risikoliste enthaltenen Risikofaktoren fallen dieAntworten im Hinblick auf zuletzt eingestufte Patienten milder aus,als dies am Anfang der Fall gewesen ist.

Ein Messinstrument ist in dem Maße gültig, in dem es genau dasmisst, was es messen soll. Hinsichtlich der Gültigkeit lässt sichfeststellen, dass diese im Rahmen des Pretests nach Einschätzun-gen der befragten 30 Geriater, Gerontopsychiater und Allgemeinme-diziner als hoch zu betrachten ist.

Normwerte liegen für das Screening-Instrument bisher nicht vor, daes eigens für dieses Projekt entwickelt wurde.

Die Ökonomie des Verfahrens lässt sich als gut beschreiben: DasScreening erfordert in der Routine lediglich eine sehr kurze Durch-führungszeit von Seiten der Ärzte (ca. zwei Minuten), die Kurzbefra-gung der Patienten, selbst bei Hochrisikopatienten, dauert lediglichwenige Minuten. Das Verfahren beansprucht wenig Material, ist ein-fach zu handhaben sowie schnell und bequem auswertbar. Ausökonomischen Gründen lässt es sich für weite Bereiche empfehlen.

Insgesamt bedarf das Screening-Verfahren jedoch einer genauerenPrüfung, bevor es für den Routine-Einsatz empfohlen werden kann.Entsprechende Weiterentwicklungen sollten besonders berücksichti-gen, ob relativ selten als zutreffend angegebene Risikofaktoren, wiez. B. „Inkontinenz”, tatsächlich in dieser Seltenheit auftreten oder obes einer besonderen Schulung der Anwender bedarf. Hinsichtlichdes Risikofaktors „Inkontinenz” lag beispielsweise eine große Dis-krepanz zwischen den Angaben der Ärzte und den Feststellungender Patientenbegleiterinnen nach dem ersten Hausbesuch vor. Wei-terhin ist auf die nicht ausreichend standardisierte mündliche In-struktion der Ärzte hinzuweisen, die zukünftig zu ergänzen undschriftlich zu geben wäre. Als ein besonderer Vorteil dieses Instru-

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mentes kann sicherlich herausgestellt werden, dass es den Arzt zueiner erhöhten Aufmerksamkeit hinsichtlich eines breiten Spektrumsvon verschiedenen Risikofaktoren veranlasst, welche sich auch imHinblick auf andere Patientengruppen feststellen lässt.

4.2.4 Zusammenfassung

Die Identifizierung der Risikopatienten, welche für eine Patientenbe-gleitung in das Projekt aufgenommen werden sollten, erfolgte an-hand eines dreiteiligen Screening-Verfahrens. Die Ergebnissedieses Screenings in dem exemplarischen Fall von Frau Hansen zei-gen, dass zusätzlich zu einem hohen Screening-Gesamtwert in derRisikoliste und der Kurzbefragung Frau Hansen allein durch denSpontanvorschlag des Hausarztes oder durch die Gesamtein-schätzung der Hilfsbedürftigkeit als „ziemlich hilfsbedürftig” in diePatientenbegleitung aufgenommen worden wäre. Dies verweist je-doch nicht zwingend auf die Möglichkeit eines Verzichts auf einAuswahlinstrument, wie es in der vorliegenden Studie in der Risiko-liste (Fremdeinschätzung) sowie der Kurzbefragung (Selbsteinschät-zung der Patienten) vorliegt, zu Gunsten der alleinigen Erhebungdes klinischen Gesamteindrucks des Hausarztes. Dies ließ sichanhand der Ergebnisse des Screenings in den drei kooperierendenHausarztpraxen zeigen.

Von den insgesamt 466 gescreenten Patienten über 65 Jahre wur-den in den jeweiligen Praxen zwischen 18 % und 47 % als Risikopa-tienten im Sinne des Screening-Verfahrens identifiziert. 16 % derPatienten wurden von den Ärzten in ihrer Gesamteinschätzung als„ziemlich” oder „sehr hilfsbedürftig” eingestuft und 19 % wurden vonihnen spontan zur Patientenbegleitung vorgeschlagen. Hervor-zuheben ist, dass Risikofaktoren insbesondere im Alleinleben undsowohl in der Selbst- als auch in der Fremdeinschätzung in fehlen-der Hilfe im Bedarfsfall bestehen, also Faktoren, welche auf diegroße Notwendigkeit von Unterstützung verweisen.

Unterschiede zwischen den Patienten der einzelnen Praxen imScreening-Ergebnis lassen sich im wesentlichen durch Unterschiedeim Einsatz und in der Handhabung durch die Hausärzte erklären.Dieses hängt mit einer unterschiedlichen Akzeptanz des Verfah-rens durch die Hausärzte zusammen. Das Spektrum der Bewertun-gen reichte von „zeitaufwendig” und „den Praxisablauf störend” biszu „gut sensibilisierend im Hinblick auf Risikofaktoren bei älterenPatienten”.

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Bei den 131 identifizierten Risikopatienten bestanden die am häu-figsten konstatierten Risikofaktoren neben hohem Alter in der sub-jektiven Belastung durch gesundheitliche Beschwerden, im Alleinle-ben und in einer unzureichenden Bewältigung des Alltags. Es mussbetont werden, dass alle diese eben genannten Risikofaktoren, au-ßer dem Alter, im Rahmen der Selbsteinschätzung in der Kurzbefra-gung erfasst wurden. Hier wurde die Unverzichtbarkeit der Patien-tenperspektive deutlich. Weiterhin zeichnete sich die Gruppe derRisikopatienten durch eine höhere Multimorbidität aus, wie sich auseiner höheren Anzahl der durch den Hausarzt gestellten Diagnosenablesen lässt. Von den als Risikogruppe identifizierten Patientenwurden letztlich knapp zwei Drittel in die Begleitung aufgenommen.

Bei der Betrachtung von Unterschieden zwischen verschiedenenAltersgruppen von gescreenten Patienten hinsichtlich der Risikofak-toren ergab sich ein zu erwartender Anstieg der Häufigkeit mit stei-gendem Alter insbesondere für die Erledigung von Haushaltstätig-keiten und die Überlastung des informellen Hilfenetzes. Auch diedurch die Ärzte eingeschätzte Hilfsbedürftigkeit stieg mit dem Alterdeutlich an.

In einer abschließenden Beurteilung des Screening-Instrumentes,welches der Identifizierung der zu begleitenden Risikopatientendienen sollte, ist die unterschiedliche Durchführungsmethodik in denHausartzpraxen kritisch zu betrachten, die zu einem großen Teil aufdie unterschiedliche Akzeptanz des Verfahrens durch die Hausärzteund eine unzureichende Einführung in das Verfahren zurückzuführenist.

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4.3 Erstkontakt und Situationsanalyse durch die Patienten-begleiterin (Patienten-Datenblatt und Assessment)

Nachdem die Risikopatienten durch das Screening ermittelt wordenwaren, wurde ihnen von ihrem Hausarzt die Begleitung vorgeschla-gen. 12 der 131 ausgewählten Patienten haben eine Begleitungabgelehnt (Abschnitt 4.2.3). Die in die Begleitung aufgenommenenPatienten unterschrieben aus datenschutzrechtlichern Gründen eineEinverständniserklärung, um den Hausärzten, der Koordinatorin undden Patientenbegleiterinnen den personenbezogenen Informations-austausch zu ermöglichen. Nach der Einverständniserklärung derPatienten verabredeten die Patientenbegleiterinnen mit ihnen telefo-nisch einen Termin für einen Hausbesuch zur umfassenden Erhe-bung der Lebenssituation. Der wesentliche Vorteil des Hausbesu-ches bestand darin, vor Ort eine Einschätzung der Wohnsituationvornehmen zu können und die zu Hause befindlichen Papiere undUnterlagen für mögliche Antragsverfahren verfügbar zu haben. Einweiterer Grund besteht in der eingeschränkten Mobilität vieler Pati-enten. In der Projektkonzeption war die Durchführung des standardi-sierten Assessments auf der Grundlage des Older American Re-sources and Services OARS (Fillenbaum 1988) bereits währenddieses ersten Besuches vorgesehen. Die allgemeine Lebenssituationder Patienten sollte erhoben werden, ohne dass die Patienten-begleiterinnen bereits Veränderungen angeregt hatten, um am Endedes Projektes einen Vergleich mit den Ergebnissen des dann durch-zuführenden Abschluss-Assessments herstellen zu können. In derpraktischen Durchführung wurde das Assessment unter dem Ge-sichtspunkt der Vorrangigkeit der Vertrauensbildung in einigen Fällenauf zwei oder mehr Besuche verteilt oder aber erst zu einem späte-ren Zeitpunkt durchgeführt. Das hatte zur Folge, dass teilweise ersteMaßnahmen der Patientenbegleiterin die Beantwortung der Fragendes OARS beeinflusst haben. Die Dokumentation der Gesprächsin-halte und das in der Dokumentation enthaltene Datenblatt mit denelementarsten Angaben wurde aber immer bereits nach dem erstenHausbesuch angelegt.

In Abschnitt 4.3.1 wird ausführlich die Situation von Frau Hansenbeschrieben, wie sie sich aus der Sicht der Patientenbegleiterindarstellt. Im Folgenden (Abschnitt 4.3.2) wird nach einigen allgemei-nen Hinweisen zur Durchführung der Assessments ein Überblicküber die Lebenssituation aller begleiteten Patienten gegeben. An-schließend werden die Bedarfe an Hilfen und die Inanspruchnahmegegenübergestellt. Eine kritische Betrachtung zum gewählten As-sessment-Verfahren findet sich in Abschnitt 4.3.3.

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4.3.1 Erst-Kontakt und Assessment bei Frau Hansen

Frau Hansen wird von ihrem Hausarzt Dr. Heimann zunächstspontan für die Patientenbegleitung vorgeschlagen. Der Kontaktzwischen Frau Hansen und der Patientenbegleiterin Frau Kochwird daraufhin durch ihn initiiert. Frau Hansen hat ein über vieleJahre gewachsenes gutes Verhältnis zu Dr. Heimann. Sie nimmtseinen Vorschlag dankbar an. Der Hausarzt schildert der Patienten-begleiterin die Situation von Frau Hansen und gibt Frau Koch Tele-fonnummer und Adresse zur Kontaktaufnahme. Im August 1994 ruftsie bei Frau Hansen an, um einen Termin mit ihr auszumachen. FrauHansen sagt, dass sie sich sehr darüber freue, dass ihr Arzt an siedenke und sich um sie kümmere. Sie stimmt einem Termin für den-selben Tag zu.

Am Nachmittag sucht Frau Koch die Patientin zu Hause auf, um sicheinen ersten persönlichen Eindruck zu verschaffen und das Assess-ment durchzuführen. Frau Hansen wirkt erfreut über den Besuch vonFrau Koch und zeigt sich gerührt über die Sorge ihres Hausarztes.Die Patientenbegleiterin trifft bei ihrem Hausbesuch auf eine unterhygienischen Gesichtspunkten als desolat zu bewertende Wohnsitu-ation. Die Wohnung ist verwahrlost und schmutzig. In der Küche undim Zimmer liegen Essenreste, unabgewaschenes Geschirr stehtherum. Die Toilette ist stark verschmutzt, es hängt ein Geruch vonUrin und Verdorbenem in der Wohnung. Frau Hansen kommentiertihre Lebenssituation mit den Worten, sehr faul und lustlos zu sein,dass sie aber nur etwas Zeit zum Ausruhen bräuchte, dann könnesie sich wieder um die Wohnung kümmern. Eine Haushaltshilfewürde sie nicht benötigen. Ihr fehle nichts, und sie möchte in Ruhegelassen werden.

Während des Gespräches liegt Frau Hansen auf dem Sofa. Dasfände sie bequemer, sagt sie. Sie kratzt sich auch in Gegenwart vonFrau Koch regelmäßig mit verschmutzten Händen im Genitalbereich,an den Oberschenkeln und im Gesicht. Ihre Kleidung ist ver-schmutzt, die Unterwäsche von ihrem Hautausschlag gelb und blu-tig. Frau Hansen fühlt sich aber nach eigenen Aussagen wohl undempfindet keine Schmerzen. Sie sei mit ihrem Leben zufrieden undauch finanziell durch eine gute Rente ausreichend abgesichert.

Bei der Durchführung des Assessments erlebt Frau Koch die Patien-tin als zunehmend ungeduldiger, gereizter und misstrauischer. Wasdenn die vielen Fragen sollen, und wer das denn alles wissen wolle?Da sie aber stolz darauf zu sein scheint, alle Fragen beantwortenund dazu eine Menge mitteilen zu können, kann das Assessment bis

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zum Ende durchgeführt werden. Dabei betont Frau Hansen mehr-fach, dass sie geistig ganz klar und wissensmäßig voll auf der Höhesei, ihr könne man so leicht nichts vormachen. Das Assessmentdauert insgesamt 75 Minuten.

Aus der Befragung und dem Gespräch geht hervor, dass Frau Han-sen schon seit mehr als 40 Jahren in ihrer kleinen Einzimmer-Wohnung von 29 m2 lebt. Die Wohnung liegt im 2. Stockwerk einesnach dem Krieg erbauten Mietshauses - ohne Fahrstuhl, aber mitGegensprechanlage. Sie hat eine Dusche und wird mit Nachtspei-cherheizung geheizt, Warmwasser wird durch einen Gasboiler er-zeugt. Frau Hansen besitzt Telefon und Fernseher und ist insgesamtmit ihrer Wohnsituation zufrieden.

Frau Hansen hatte die Hauptschule abgeschlossen und später alsHausangestellte gearbeitet, bevor sie etwa 30 Jahre eine Stelle alsBeiköchin in der Kantine eines großen Industrie-Konzerns hatte. Ausdieser Arbeit bezieht sie eine Betriebsrente. Zusammen mit ihrerstaatlichen Rente verfügt sie über ein Einkommen zwischen 2.000und 2.500 DM. Sie bewertet dieses als völlig ausreichend, zumal sieweniger als 400 DM Miete im Monat zahlen muss. Mittel und Rückla-gen für Notfälle seien aber nicht ausreichend. Einige Monate späterallerdings wird sie Frau Koch über ihre Ersparnisse in sechsstelligerHöhe in Kenntnis setzen. Diese plant sie aber nicht für sich selbstein, weil sie das Geld der Kirche vererben möchte.

Frau Hansen war verheiratet, ihre Ehe wurde aber kurz nach demKrieg geschieden. In den letzten Kriegsjahren brachte sie eineTochter zur Welt, die im Alter von wenigen Monaten starb. Es bliebihr einziges Kind. Dem Verlust trauert sie noch heute nach und suchtHalt im Gebet. Früher sei sie viel gereist, erzählt sie, und habe desöfteren an Pilgerfahrten teilgenommen. Noch bis vor kurzem habesie an kirchlichen Treffen teilgenommen, dies aber wegen ihrer„Faulheit” eingestellt. Sie sei froh, mit Frau Koch über ihren Glaubenreden zu können. Dieser habe ihr sehr geholfen, den Tod ihrerTochter zu ertragen. Sie sagt, wenn sie bete, halte sie ihr kleinesKind auf dem Arm und rede mit ihm. Sie habe dann Kontakt zu ihm„im Himmel“.

Frau Hansen erhält Hilfe von einer Nachbarin, die die Treppe für siereinigt und Fenster putzt und von einem Nachbarn, der ihr die Ein-käufe die Treppe hoch trägt. Ein weiterer Nachbar habe einenSchlüssel zu ihrer Wohnung für Notfälle. Neben der Versorgungdurch ihren Hausarzt ist Frau Hansen wegen ihres Ausschlages bei

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einer Hautärztin in Behandlung, die ihr täglich 20 Minuten Behand-lungspflege durch einen Pflegedienst verordnet hat.

Frau Hansen hat nach ihren Angaben noch drei Angehörige, vondenen zwei in der Nähe lebten. Sie hätte aber zu keinem von ihnenKontakt. Etwa ein- bis dreimal in der Woche verlässt sie die Woh-nung, um einzukaufen, die Kirche aufzusuchen oder spazieren zugehen. Es gibt niemanden, mit dem sie etwas zusammen unter-nimmt, und sie möchte dies auch nicht. Sie sagt, dass es auch nie-manden gäbe, der sie besuche oder den sie besuchen würde; sieführe keine Telefonate und kenne auch niemanden, der ihr helfenwürde, wenn sie mal krank sei. Der einzige Ansprechpartner, den siehabe, falls sie mal Rat brauchte, sei ihr Hausarzt.

Die folgende Abbildung 4.3.1 gibt eine einfache schematische Dar-stellung von Frau Hansens sozialem Netz wieder.

Abbildung 4.3.1: Persönliches soziales Netz von Frau Hansen zu Beginnder Patientenbegleitung

HausarztHausarzt

Frau HansenFrau HansenFrau Hansen

NachbarinNachbarin

PflegedienstPflegedienst

NeurologeNeurologe

NachbarNachbar

HautärztinHautärztin

familialformell

informell

direkt und regelhaftin die Betreuung

involviert

sporadisch direkt in die Betreuung

involviert

Frau Koch und Frau Hansen vereinbaren, dass sich die Patientin beiBedarf meldet, da sie zur Zeit keine Hilfe wolle. Sie akzeptiert aberden Vorschlag der Patientenbegleiterin, sich zwischendurch wieder

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bei ihr zu melden und bei dem Pflegedienst wegen eines laufendenAntrages auf Schwerpflegebedürftigkeit „nachzuhaken”. Frau Kochsieht angesichts der Lebenssituation von Frau Hansen dringendenHandlungsbedarf und will mit Dr. Heimann erörtern, wie sie denKontakt zu Frau Hansen aufrecht erhalten kann.

Nach diesem ersten Hausbesuch füllt Frau Koch die Rating-Skalender jeweiligen Assessment-Dimensionen aus und kommt zu der inTabelle 4.3.1 dargestellten Gesamteinschätzung in den von 1 - 6Punkte (sehr gut bis stark beeinträchtigt) reichenden Skalen:

Tabelle 4.3.1: Rating der Patientenbegleiterin im Assessment von FrauHansen:

Dimension AusprägungKörperliche Gesundheit 4 mäßig beeinträchtigtGeistig-seelische Gesundheit 5 stark beeinträchtigtSoziale Ressourcen 5 stark beeinträchtigtÖkonomische Ressourcen 3 geringfügig beeinträchtigtADL-Leistungsfähigkeit 4 mäßig beeinträchtigt

Das Ergebnis des Ratings von Frau Koch fällt gegenüber demDurchschnitt aller begleiteten Patienten deutlich schlechter aus. IhreEinschätzung der körperlichen Gesundheit und der ADL-Leistungsfähigkeit entsprechen dem Durchschnitt wie auch die Ein-schätzung der ökonomischen Ressourcen. Die Bewertung der geis-tig-seelischen Gesundheit und die der sozialen Ressourcen weichtjedoch um zwei Punkte bzw. um einen Punkt vom Durchschnitt ab.

Im Anschluss legt Frau Koch das Patienten-Datenblatt an und hältihre Eindrücke in der Patienten-Dokumentation fest. Sie teilt in dernächsten AGT-Sitzung die Ergebnisse ihres Hausbesuches denweiteren AGT-Mitgliedern mit und stimmt mit ihnen das weitere Vor-gehen ab.

4.3.2 Erst-Kontakt und Assessment bei den begleitetenPAGT-Patienten

Insgesamt sind 89 der 131 im Screening identifizierten Risikopati-enten im Rahmen des Projektes begleitet worden (vgl. Abbildung4.2.3). 12 Patienten haben die Begleitung direkt abgelehnt, 6 sindvor der Begleitung gestorben und weitere 6 hatten nur einen gerin-

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gen und kurzen Hilfebedarf, der keine längerfristige Begleitung erfor-derte. Bei 18 Patienten riss der Kontakt ab, teilweise auf Grund einesUmzuges und Wohnortwechsels. Bei 84 Patienten wurde das As-sessment durchgeführt. Die Angaben von 79 Patienten wurden nachden Ergebnissen des integrierten Demenztestes und der Einschät-zung der Patientenbegleiterinnen als zuverlässig bewertet.

4.3.2.1 Durchführung des Assessments

Die Patientenbegleiterinnen gingen mit dem Assessment zu Beginnder Begleitung sehr vorsichtig um, da sie den Vertrauensaufbaunicht gefährden wollten. Sie bemühten sich, die alten Menschennicht mit zu vielen und ungewohnten Fragen zu überfordern. Stel-lenweise hatten sie aber auch eigene Vorbehalte gegenüber demAssessment, die sie möglicherweise auch auf die Patienten proji-zierten. In den Interviews berichteten die Patientenbegleiterinnen,dass sie einige der im OARS enthaltenen Fragen als problematischbewerteten, weil sie ihnen zu indiskret oder pietätlos erschienen.

Nicht in allen Fällen konnten die Assessments wie ursprünglich vor-gesehen während der ersten drei Hausbesuche durchgeführt wer-den. Ein Teil der Assessments konnte erst beim dritten oder viertenHausbesuch begonnen oder beendet werden, da nach Einschätzungder Patientenbegleiterinnen eine frühere Durchführung den Bezie-hungsaufbau zu den Patienten beeinträchtigt hätte.

Manche der Patienten fühlten sich durch die Befragung überfordert,so dass die Patientenbegleiterinnen die Durchführung des Assess-ments auf zwei Hausbesuche verteilten. In einem Fall waren sogardrei Termine nötig. Fünf Patienten wollten sich nicht befragen las-sen, wurden wegen des offenkundigen Hilfebedarfs aber dennochbegleitet.

Die durchschnittliche Gesamt-Dauer des Assessments betrug 84Minuten mit einer Standardabweichung von 31 Minuten. Die kürzesteDurchführung dauerte 30 Minuten, die längste nahm 3 Stunden und30 Minuten in Anspruch.

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Abbildung 4.3.2: Dauer des Assessments, N = 84

Interviewdauer in Minuten

210195

180165

150135

120105

9075

6045

30

25

20

15

10

5

0

SD = 31,41M = 84N = 84

2

9

7

20

13

18

11

Obwohl die modifizierte deutsche Version des OARS im Verhältniszur Originalversion etwas kürzer ist, dauerte die Durchführung er-heblich länger. Fillenbaum (1988) gibt als Durchschnittswert 45 Mi-nuten für eine Stichprobe amerikanischer Senioren über 65 Jahrean. Zur Erklärung dieses enormen Unterschiedes kann davon aus-gegangen werden, dass die in dem vorliegenden Projekt aus-gewählten Patienten auf Grund ihrer Beeinträchtigungen mehr Zeitbenötigten und/oder die durchführenden Patientenbegleiterinnen -verbunden mit vertrauensbildenden Maßnahmen für die Begleitung -sich mehr Zeit dafür nahmen. Zwischen den Patientenbegleiterinnenzeigten sich keine Unterschiede in der Dauer der Durchführung.

4.3.2.2 Charakterisierung der begleiteten Patienten anhand vonPatienten-Datenblatt und Assessment zu Beginn derBegleitung

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus den Assess-ments und den Patienten-Datenblättern dargestellt. Die vollständigenErgebnisse des OARS sind in Anhang 8 als absolute Häufigkeitenwidergegeben.

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Die begleiteten Patienten sind zu Beginn der Begleitung durch-schnittlich 84 Jahre alt. 77 % sind Frauen und 66 % alleinlebend.Weder zwischen den Regionen noch zwischen den einzelnen Arzt-praxen zeigen sich signifikante Unterschiede bezüglich der obengenannten Kriterien.

Besondere Aufmerksamkeit der Patientenbegleiterinnen galt derWohnsituation bzw. der Ausstattung der Wohnung der begleitetenPatienten, die nach Möglichkeit an die Bedürfnisse der Patientenangepasst werden sollte. Zwei Drittel der PAGT-Patienten (66 %)leben allein in der eigenen Wohnung, knapp ein Drittel lebt mit dem(Ehe)Partner zusammen. Der Umstand des Alleinlebens ist nicht nurim Hinblick auf die Möglichkeit der Hilfe und Unterstützung durch diemit in der Wohnung lebenden Personen von Interesse, sondern auchin Bezug auf die Wohnungsgröße. Setzt man den Aspekt des Allein-lebens mit der Wohnfläche und der Anzahl der Zimmer in Bezie-hung, zeigt sich, dass zwölf der alleinlebenden Patienten in Woh-nungen mit drei oder vier Zimmern leben, für sieben Patienten sinddie Wohnungen größer als 60 qm. Die großen Wohnungen sind miteinem erheblichen Mehraufwand an Arbeit verbunden, was aufGrund der oft eingeschränkten ADL-Fähigkeiten hinsichtlich desHilfebedarfs von Bedeutung ist. Für die Patientenbegleiterinnen wirdim Einzelfall zu prüfen sein, unter welchen Bedingungen die Patien-ten eventuell einen Umzug vornehmen möchten.

Über die Hälfte der Wohnungen besitzt eine Zentralheizung. Etwaein Drittel der Wohnungen ist mit anderen Heizungsarten aus-gestattet, ein Großteil davon mit Nachtspeicherheizung. Fünf Woh-nungen werden mit Kohle beheizt, was insbesondere für bewe-gungseingeschränkte Patienten eine erhebliche Belastung bedeutet.

Drei Viertel der Wohnungen sind mit Vollbad ausgestattet. Weitere20 % verfügen über eine Dusche. In den übrigen vier Wohnungenstehen den Bewohnern lediglich ein Waschbecken in Küche oderBad zur Verfügung, wodurch die Körperpflege entscheidend er-schwert wird. Eine Sitzbadewanne für Senioren oder ein behinder-tengerechtes Bad haben jeweils nur 1 % der Patienten. Zwar exis-tiert in allen Wohnungen eine Innentoilette, eine behindertenge-rechte Toilette ist jedoch nirgendwo vorhanden. Im Sanitärbereichstellt in vielen Fällen eine Wohnraumanpassung eine dringendeAufgabe der Patientenbegleiterinnen dar.

Nur 8 Patienten (10 %) leben im Erdgeschoss. 36 % wohnen imersten Stockwerk, 33 % im zweiten. Etwa ein Fünftel (21 %) wohnt

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im dritten Stock oder höher. Für Patienten mit beeinträchtigten ADL-Fähigkeiten ist damit eine erhebliche Einschränkung ihrer Mobilitätverbunden. Für aushäusige Aktivitäten bei eingeschränkter Gehfä-higkeit sind hier Fahrstühle besonders wichtig. 90 % aller Wohnun-gen haben keinen Fahrstuhl. Fast alle Patienten verfügen über einTelefon, lediglich in zwei Fällen ist keines vorhanden. Auch eineGegensprechanlage kann ein wichtiges (psychologisches) Momentder Sicherheit des Patienten sein; in 65 % der Wohnungen ist einesolche Sprechanlage installiert.

Die Ergebnisse der ausführlichen Situationserhebung durch diePatientenbegleiterinnen sollen zusammenfassend dargestellt wer-den. In Tabelle 4.3.2 wird das Gesamt-Rating der Patienten durchdie Patientenbegleiterinnen jeweils in den fünf Dimensionen derLebensqualität dargestellt.

Tabelle 4.3.2: Gesamt-Rating der Patienten durch die Patientenbegleite-rinnen in % (N = 84)

KörperlicheGesundheit

Geistig-seelische

GesundheitSoziale

RessourcenÖkonomi-sche Res-sourcen

ADL-Fähig-keiten

ausgezeichnet 1 0 4 5 11 0gut 2 1 27 12 36 6geringfügigbeeinträchtigt 3 14 36 24 33 31

mäßigbeeinträchtigt 4 44 23 27 18 32

starkbeeinträchtigt 5 33 7 21 2 21

außerordentlichbeeinträchtigt 6 7 4 11 0 10

Mittelwert 4.31 3.13 3.81 2.66 3.98SD 0.85 1.12 1.33 0.98 1.08

Nach Einschätzung der Patientenbegleiterinnen und auch der Pati-enten selbst bewertet nahezu niemand die körperliche Gesundheitglobal als gut. 40 % werden sogar als stark bis außerordentlich be-einträchtigt beschrieben. Im Gegensatz dazu schneidet die Beurtei-lung der geistig-seelischen Gesundheit deutlich besser ab, wasinsgesamt als ein Hinweis auf eine mehr oder weniger erfolgreicheKrankheitsbewältigung gedeutet werden kann, vorausgesetzt, dass

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sich hier der seelische Aspekt niederschlägt. Der geistige Aspekt, i.d. R. das Vorliegen einer kognitiven Beeinträchtigung, spiegelt sichüberwiegend in den schlechteren Werten nieder. Die sozialen Res-sourcen zeigen von allen Dimensionen die größte Streuung auf undverdeutlichen die Notwendigkeit einer Betrachtung des sozialenUmfeldes und Hilfesystems in jedem Einzelfall. Wie bereits darge-stellt, leben zwei Drittel der Befragten allein. Immerhin wissen 93 %eine Person zu benennen, der sie vertrauen und auf die sie sichverlassen können. 83 % können auch jemanden innerhalb ihrerFamilie benennen, der ihnen im Falle von Krankheit oder Hilfsbe-dürftigkeit hilft. Meistens sind dieses - bei den Ehepaaren - die Part-ner, oder es sind die Kinder. Allerdings glauben nur 23 Patienten,dass ihnen diese Hilfe unbeschränkt zur Verfügung steht. Es gibtaber auch 15 Patienten, die überhaupt niemanden innerhalb ihrerFamilie oder im Bekanntenkreis wüssten oder haben, der ihnenhelfen könnte. Ein wichtiger Einflussfaktor für die kritische Einschät-zung der sozialen Ressourcen ist vermutlich der geäußerte Wunschder Patienten, Verwandte und Freunde häufiger zu sehen. 55 % derPatienten geben an, ihre Angehörigen, Freunde oder Bekannte nichtso oft zu sehen, wie sie gerne wollen.

Die finanzielle Situation der Befragten ist im Allgemeinen gut. Im-merhin glaubt ein Viertel der Patienten finanziell besser dazustehenals andere Menschen ihres Alters und 58 % bewerten ihr Einkom-men als ungefähr gleich mit dem der anderen. Nur 18 % schätzenihre finanzielle Situation als unterdurchschnittlich ein. Ein Drittel hältdas zur Verfügung stehende Geld für völlig ausreichend und 58 %für mittelmäßig. Nur 9 % geben an, dass der Betrag nicht ausrei-chend sei. Ausreichende Rücklagen für Notfälle sind aber nachAngaben von 59 % der Patienten nicht vorhanden.

Einschränkungen in den ADLs stehen erwartungsgemäß in einemhohen Zusammenhang mit den körperlichen Erkrankungen. So wirdauch hier die Fähigkeit, die Aktivitäten des täglichen Lebens zubewältigen, nur bei einer sehr kleinen Gruppe von etwa 6 % alsunbeeinträchtigt bewertet. Aus diesen Einschränkungen resultierenHilfebedarfe, die mit dem Ausmaß der Einschränkungen korrespon-dieren.

Vergleicht man den Bedarf an Hilfen und die aktuelle Inan-spruchnahme von Hilfen, so ergibt sich aus der Sicht der Patientenlediglich für den Bereich der „Mahlzeiten” eine Deckung des Bedarfs.Im Hinblick auf „Meldedienste” (regelmäßige, d. h. mindestens fünfmal in der Woche, Erkundigung nach Befinden des Patienten) zeigt

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sich, dass immerhin 26 % der Patienten, nach denen sich regelmä-ßig erkundigt wird, für diesen Bereich angeben, dass sie einen Mel-dedienst in ihrem Fall für nicht nötig halten; dies entspricht auchErgebnissen von Fillenbaum (1988), wonach 37 % der Befragtenüber 60 Jahre angeben, dass sich regelmäßig nach ihnen erkundigtwird, jedoch insgesamt nur 17 % meinen, dass dies nötig sei.

In allen anderen Bereichen übersteigt der subjektiv eingeschätzteBedarf die aktuell zur Verfügung stehenden Hilfen bzw. Angebote.Diese Defizite zeigen sich am deutlichsten in den Bereichen der Frei-zeitgestaltung (Hobbykurse, Seniorengymnastik, organisierte Frei-zeit-Unternehmungen wie Kartenspielen etc.) und „PhysikalischeTherapie” (z. B. Massagen, Bäder, Wasseranwendungen, Bestrah-lungen etc.). Ein ebenso großes Defizit lässt sich für den Bereich„Mobilität/Transport” feststellen, bei dem die Patienten lediglich ge-fragt wurden, ob sie öfter, als es jetzt der Fall ist, jemanden benöti-gen, der sie hinbringt oder abholt. Diese Ergebnisse decken sichnicht mit Resultaten auf der Grundlage einer Zufallsstichprobe von2146 Älteren aus Virginia (Fillenbaum 1988); in dieser weniger be-lasteten Stichprobe decken sich Bedarf und Inanspruchnahme in dengenannten Bereichen weitestgehend.

Wer sind die Helfer, welche die Risikopatienten in den letzten 6Monaten in den verschiedenen Bereichen unterstützt haben? Freun-de, Nachbarn und Bekannte sind in nennenswertem Umfang allein inden Bereichen „Meldedienste”, „Transport” sowie „Haushalt” anHilfen beteiligt. Hauptsächlich in den Bereichen, in denen professio-nellen Diensten vermutlich mehr Kompetenzen und höhere Qualifi-kationen zugeschrieben werden (Krankenpflege, Krankengymnastikund Physikalische Therapie sowie Informationen zu Hilfen) scheinenprofessionelle Helfer stärker als Familienangehörige in das unter-stützende Netz eingebunden zu sein.

Ein weiterer Bestandteil des Assessments ist, sich die Medikamentezeigen zu lassen, die die Patienten zur Zeit einnehmen. Dadurchkonnte überprüft werden, ob die Patienten mit der Einnahme ihrerMedikamente überhaupt zurechtkommen, beispielsweise ob sie dieverschiedenen, manchmal jedoch ähnlich aussehenden Tablettenüberhaupt unterscheiden können, ob sie Blisterpackungen öffnenkönnen oder ob sie in der Lage sind, Tropfen richtig zu dosieren.13% der Patienten kamen mit der Handhabung ihrer Arzneimittel garnicht zurecht, und 16 % von ihnen benötigten Hilfestellung durchDritte. In der Abbildung 4.3.3 ist dargestellt, wie viele verschiedeneMedikamente die begleiteten Patienten einnehmen.

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Abbildung 4.3.3: Anzahl der im Assessment angegebenen Medikamente(N = 79)

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 0 1 10

2

4

6

8

10

12

14

16

18

Anzahl der Patienten

Anzahl der Medikamente

Weit über die Hälfte der Patienten müssen mindestens vier Medika-mente einnehmen und diese auch unterscheiden können. Bei einge-schränktem Sehvermögen, kognitiver Beeinträchtigung und/odergestörter Feinmotorik können Risiken mit der Medikamenteneinnah-me verbunden sein.

4.3.3 Kritische Betrachtung zum Assessment

Bei der Einschätzung des gewählten Assessment-Verfahrens musszwischen der Beurteilung aus der Sicht der Praxis und der der For-schung unterschieden werden. Ein wichtiges Kriterium für die Aus-wahl des Instrumentes bestand in der Durchführbarkeit durch ver-schiedene in der Altenarbeit tätige Berufsgruppen. Abschließendmuss festgestellt werden, dass dies nur durch eine intensive Schu-lung der Anwender gewährleistet werden kann. Das schränkt jedochdie Handhabbarkeit und Verwendungsmöglichkeiten des Instrumen-tes ein. Darüber hinaus war bei den Patientenbegleiterinnen dieAkzeptanz primär durch die forschungsbezogene Bedeutung gege-ben. Für ihre eigene Arbeit hatten sie Vorbehalte hinsichtlich derStandardisierung, des Umfanges und des Zeitpunktes, da für sie derVertrauensaufbau im Rahmen eines offenen Gespräch wichtiger war.

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Für die Forschung bestand die Aufgabe des in dieser Studie einge-setzten multidimensionalen geriatrischen Assessments in einer Vor-her-Nachher-Erhebung zur Erfassung der Interventionseffekte hin-sichtlich verschiedener Dimensionen der Lebensqualität und derHilfsbedarfe sowie der Deckung dieser Bedarfe.

Entgegen der ursprünglichen Intention der Begleitforschung wurdenach einem Abwägen der Vor- und Nachteile dem Wunsch der Pati-entenbegleiterinnen entsprochen, das Interview mit den Patientenselbst durchführen zu wollen. Begründet wurde diese Abweichungvom geplanten Vorgehen mit der sensiblen Phase des Vertrauens-aufbaus, welche nicht durch zusätzliche Personen belastet werdensollte. Die Schulung musste im Vergleich zu den Angaben für dieamerikanische Originalfassung jedoch im Rahmen des Projektes ausZeitgründen relativ kurz gestaltet werden. Dies ist besonders des-halb kritisch anzumerken, da die Patientenbegleiterinnen ungeübt inder Führung von Interviews waren. Aus diesem Grunde kann dieDurchführungsobjektivität als nicht sehr hoch eingeschätzt wer-den. Hingegen sind die Auswertungs- und Interpretationsobjek-tivität als zufriedenstellend zu bewerten.

Für die Beurteilung der Reliabilität standen im Rahmen des Projek-tes keinerlei Daten zu Paralleltests zur Verfügung; ebenso war einRetest nicht sinnvoll durchführbar, da nicht davon ausgegangenwerden konnte, dass die zu erhebenden Merkmale zeitstabil sind.Angesichts der Ergebnisse für die amerikanische Originalversion(vgl. Fillenbaum 1988) kann jedoch auch für die übersetzte undmodifizierte Version von einer ausreichend hohen Zuverlässigkeitausgegangen werden. Für die hier verwendete Version stehen Be-rechnungen zur internen Konsistenz noch aus. Dies gilt auch fürdie Überprüfung der Validität. Auch liegen bisher keine Normwertefür die Version in eigener Übersetzung vor.

Ein entscheidender Kritikpunkt betrifft die Ökonomie des Verfah-rens. Es hat sich gezeigt, dass bei starker Beeinträchtigung derBefragten mit einer sehr hohen Durchführungszeit zu rechnen ist.Entgegen den Angaben zur amerikanischen Fassung, wonach dieErhebung ca. 45-60 Minuten erfordert, wurden in der vorliegendenStudie in der gekürzten Version im Mittel 84 Minuten benötigt. Diesspricht nicht uneingeschränkt für eine breite Anwendung des Instru-mentes. Insbesondere ist im Zusammenhang mit der Befragungeiner Hochrisikoklientel und vor dem Hintergrund von erforderlichenvertrauensbildenden Maßnahmen von einer zeitaufwendigeren Be-fragung auszugehen.

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Eine weitere Kritik betrifft die Erhebung von Einzelheiten im Bereichder subjektiven Bedarfe und Inanspruchnahme verschiedener Hilfensowie der Personen und Institutionen, welche gegebenenfalls dieseHilfe leisten. Hier wurde festgestellt, dass Angaben zur Qualitätdieser erhaltenen Hilfen gänzlich fehlen, wobei weitere Fragen hierzunatürlich die Dauer noch erhöhen würden.

Weiterhin wurden in einigen Fällen die anfänglichen Angaben derPatienten durch die Patientenbegleiterinnen relativiert bzw. korrigiert,weil sie die ursprüngliche Antworten als „taktisch“ interpretierten. Sievermuteten, dass Antworten z. B. zu finanziellen Verhältnissen durchdie Motivation geleitet wurden, Nachteile zu vermeiden bzw. Vorteileaus möglicherweise daraus folgenden Interventionen zu ziehen. DieErgebnisse bei Einsatz dieses Instrumentes hängen demnach auchvon den subjektiv erwarteten Befragungskonsequenzen der Inter-viewten ab (z. B. vom Ausmaß der anschließend gewährten Hilfe-leistungen).

Ein grundsätzliches Problem hinsichtlich der Interpretation der Pati-entenangaben durch die Patientenbegleiterinnen bestand darin, dassdiese unter dem Eindruck standen, das Antwortverhalten der Be-fragten hinge in hohem Maße von der aktuellen Befindlichkeit derPatienten ab. Diese Befindlichkeit unterlag ihrer Einschätzung nachstarken Tagesschwankungen. Deshalb machten die Patienten-begleiterinnen die Angaben im Assessment teilweise nur mit Vorbe-halten zum Ausgangspunkt ihrer Interventionen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Empfehlungen hin-sichtlich der übersetzten und modifizierten Version des OARS ledig-lich auf der Grundlage einer noch ausstehenden genauen Überprü-fung der Testgüte ausgesprochen werden können. Eine Routine-Anwendung des Verfahrens wird seine Grenzen jedoch an der alskritisch zu beurteilenden Ökonomie, d. h. der notwendigen(zeit)intensiven Schulung und des sehr hohen Zeitaufwandes für dieDurchführung der Interviews, finden. Hinzu kommt, dass die Ent-wicklung und Erprobung von Instrumenten im Bereich des multidi-mensionalen geriatrischen Assessments in Deutschland in der letz-ten Zeit deutliche Fortschritte gemacht haben (vgl. z.B. Tausche1994; Runge & Wahl 1996; Steinhagen-Thiessen 1998; Döhner,Kofahl & Philp 1999; Nikolaus & Pientka 1999) und die entsprechen-den Ergebnisse bei der Entscheidung über den weiteren Einsatz desOARS berücksichtigt werden müssen.

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4.3.4 Zusammenfassung

Anhand der Darstellung des Erstkontaktes und der Erstellung derSituationsanalyse durch die Patientenbegleiterin in einem Beispielfallkonnte gezeigt werden, dass die Einwilligung zur Begleitung durchdie Patienten in hohem Ausmaß vom Vertrauen gegenüber ihremHausarzt abhing. 12 Patienten lehnten eine Patientenbegleitung ausunterschiedlichen Gründen ab. Auch ließ sich feststellen, dass einedetaillierte Situations- und Bedarfsanalyse ein vertrauensbildendesVorgehen der Patientenbegleiterin erforderte. Hierzu war es wichtig,den Patienten den Sinn und Zweck ihrer Angaben zu verdeutlichen.Das Beispiel von Frau Hansen macht deutlich, dass die in den erstenKontakten gemachten Angaben der Patienten häufig im Verlauf derBegleitung durch die Patientenbegleiterin korrigiert werden mussten.Die Abweichung der ersten Angaben liegt u. a. in einer anfänglichenSkepsis der Patienten begründet.

Die 89 zwischen April 1993 und März 1996 begleiteten Patientenwaren zu ca. drei Viertel Frauen. Dies entspricht etwa dem Verhält-nis in der Grundgesamtheit der 466 gescreenten Patienten. Etwa einDrittel lebt mit dem Ehepartner bzw. der Ehepartnerin zusammen.Eine erste Bestandsaufnahme der Wohnsituation der begleitetenPatienten verwies häufig auf den Bedarf nach Einleitung von Maß-nahmen zur Wohnraumanpassung als dringende Aufgabe der Pati-entenbegleiterinnen. Die Durchführung des multidimensionalen geri-atrischen Assessments als Teil der anfänglichen Situationsanalysenahm entgegen den Angaben, welche der Literatur entnommenwerden können, bei der Hochrisikoklientel erheblich mehr Zeit, näm-lich durchschnittlich anderthalb Stunden in Anspruch. Es wurden in15 Fällen mindestens zwei Termine für die Durchführung benötigt.Insgesamt stellte die Befragung für die Patienten eine nicht unerheb-liche Belastung dar.

Im Rahmen des Assessments gaben die Patientenbegleiterinnen fürdie unterschiedlichen Dimensionen von Lebensqualität jeweils einGesamt-Rating ab. Hierbei zeigten sich die größten Beeinträchtigun-gen in den Bereichen der körperlichen Gesundheit sowie, damitzusammenhängend, in den ADL-Fähigkeiten, gefolgt von Defizitenim Bereich der sozialen Ressourcen. Die materielle Situation derPatienten kann auf der Grundlage des Assessments insgesamt alsgut bezeichnet werden.

Bei einem Vergleich von Bedarf an Hilfen und aktueller Inan-spruchnahme von Hilfen aus der Sicht der Patienten ergab sich

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lediglich für den Bereich der Zubereitung von Mahlzeiten eine De-ckung des Unterstützungsbedarfs. In allen anderen Bereichen warder Bedarf häufig ungedeckt. Besonders groß zeigte sich die Diffe-renz von Bedarf und tatsächlicher Hilfe in den Bereichen der Frei-zeitgestaltung, „Physikalische Therapie” und „Mobilität / Transport”.Als Helfer wurden von den Patienten in der Hauptsache Familienan-gehörige und erst in zweiter Linie professionelle Helfer genannt.Letztere fanden sich in Bereichen, in denen professionellen Dienstenvermutlich höhere Kompetenz zugeschrieben wird, d. h. Kran-kenpflege, Physikalische Therapie oder Beratung.

Eine kritische Betrachtung des Assessment-Instruments, welchesdie Grundlage für eine Versorgungsplanung der Praktiker und füreinen Vorher-Nachher-Vergleich im Rahmen der Forschung bildet,lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass das OARS ein sehrzeitaufwendiges Instrument ist und eine intensive Interviewer-Schulung voraussetzt, um eine hohe Durchführungsobjektivität zuerzielen. Die Auswertungsobjektivität ist wie die Interpretationsobjek-tivität zufriedenstellend. Die Validität der Daten kann im Kontext derErhebung jedoch dadurch eingeschränkt sein, dass die Befragten inder Erwartung positiver Konsequenzen „taktisch” antworten. Kritisiertwird, dass das OARS keine Aussagen über die Qualität der Hilfenzulässt. Eine weitergehende Überprüfung der Gütekriterien für dieFassung in eigener Übersetzung steht noch aus. Der routinemäßigeEinsatz im Rahmen von Case Management kann nicht empfohlenwerden.

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4.4 Das Ambulante Gerontologische Team (AGT)

Die AGT-Sitzungen in den Hausarztpraxen, bei denen der Hausarzt,die Patientenbegleiterin und die Koordinatorin zusammenkamen,stellen ein Kernstück des Projektes dar. In ihnen wurden die ver-schiedenen Sichtweisen der beteiligten Professionen zusammenge-führt und eine gemeinsame Abstimmung über das weitere Vorgehenin der Begleitung angestrebt. Das Vorgehen ist angelehnt an dieMethodik des Case Managements, die in verschiedenen Ländern, inunterschiedlichen Settings und bei verschiedenen Zielgruppen vari-iert. Die Funktionen Screening, Assessment, Planung, Intervention,Monitoring und Evaluation (vgl. Wendt 1991) finden sich aber inähnlicher Weise immer wieder. Die Beteiligten des AGTs versuchtendie geplanten Interventionen einzuleiten und im Allgemeinen ge-meinsam mit anderen Diensten umzusetzen. Diese nahmen gege-benenfalls auch an erweiterten Teamsitzungen teil und meldeten dortdie Ergebnisse ihrer Maßnahmen zurück.

Die Diskussionen in den AGT-Sitzungen wurden je nach Bedarfflankiert durch Zwischengespräche zwischen Hausarzt und Patien-tenbegleiterin, zwischen Patientenbegleiterin und Koordinatorinsowie den weiteren an der Versorgung Beteiligten. Die Ver-laufsbeschreibung entstammt der Dokumentation der Patienten-begleiterin und den AGT-Protokollen, die von der Koordinatorin an-gefertigt worden sind. In den AGT-Sitzungen wurden Abläufe nurzusammengefasst wiedergegeben und durch die Koordinatorin pro-tokolliert, während die Dokumentation der Patientenbegleiterin sehrausführlich geführt wurde.

Am weiteren Verlauf der Begleitung von Frau Hansen wird die Arbeitder AGTs und ihrer einzelnen Mitglieder beschrieben. In ihre Be-gleitung sind verschiedene weitere Mitarbeiterinnen anderer Diensteeinbezogen worden und haben fallbezogen ein erweitertes AGTgebildet. Um den Zusammenhang zwischen AGT-Sitzungen und derDurchführung der Interventionen durch die Mitarbeiterinnen nach-vollziehbar zu machen, wird im Folgenden der gesamte Verlaufwiedergegeben (4.4.1). Anschließend werden die AGT-Sitzungenaller Teams im Überblick dargestellt (Abschnitt 4.4.2).

4.4.1 Die AGT-Sitzungen in der Begleitung von Frau Hansen

Erste Besprechung im AGT Ende August 1994

Nachdem die Patientenbegleiterin Frau Koch ihren ersten Hausbe-such bei Frau Hansen durchgeführt hat, wird in der nächsten AGT-

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Sitzung ausführlich über die Situation der Patientin gesprochen. DerHausarzt Dr. Heimann und die Patientenbegleiterin schildern ihrejeweilige Sichtweise.

Dr. Heimann kennt und behandelt Frau Hansen seit 1977. Damalswurde bei ihr ein Herzmuskelschaden festgestellt. Frau Hansen habeihn dann mindestens viermal und maximal 15mal im Quartal aufge-sucht, um sich den Blutdruck kontrollieren zu lassen und ein Ge-spräch zu führen.

Dr. Heimann berichtet weiter, dass er Frau Hansen bereits vor Jah-ren an einen fachärztlichen Kollegen überwiesen hätte. Der Neuro-loge sollte die psychische Situation von Frau Hansen abklären. FrauHansen war nach Dr. Heimanns Auskunft schon immer ein bisschen„auffällig und sonderbar”, das sei aber kein Problem gewesen, da erden Stadtteil als ausgesprochen tolerant erlebe. Außerdem habe sieihre Arbeit immer geschafft und sei gut in eine äußere Struktur ein-gebunden gewesen. Sie hätte dann jedoch angefangen, sich dieHaut zu zerkratzen, ohne dass eine Hauterkrankung erkennbar ge-wesen sei. Der Neurologe habe daraufhin eine Psychose sowie einecerebrale Durchblutungsstörung diagnostiziert. Er verordnete füreine Zeit Fluanxol® (Medikament zur Behandlung chronisch psycho-tischer Symptomatik) als Depot, das Dr. Heimann verabreichte. DieSymptomatik legte sich nach einiger Zeit. In den letzten Monaten vorder Begleitung nahmen die psychischen Auffälligkeiten wieder zu.Diesmal diagnostizierte der Neurologe eine schwere paranoide Psy-chose. Darüber hinaus sei Frau Hansen herzinsuffizient und habeeinen sich zunehmend verschlechternden Hautausschlag, der akutbehandlungsbedürftig sei. Dr. Heimann überwies sie deswegen aneine Hautärztin. Diese verschrieb ihr über eine B-Verordnung einetägliche 20-minütige ambulante Behandlung des Ekzems durcheinen Pflegedienst. Allerdings ist für die Mitarbeiterinnen der Zu-gang zu Frau Hansen sehr schwierig, wiederholt stehen sie vor ver-schlossener Tür. Frau Hansen zeigt sich als sehr selbstbestimmt undentscheidet sich mehrfach dafür, niemanden sehen und in Ruhegelassen werden zu wollen.

Frau Koch sieht nach ihrem ersten Hausbesuch akuten Handlungs-bedarf. Sie stellt kurz danach den Kontakt zur Einsatzleiterin desFrau Hansen betreuenden Pflegedienstes her und informiert sichüber den Stand des Antrages auf Schwerpflegebedürftigkeit durchdie Hautärztin. Nach Auskunft der Einsatzleiterin hätten dieSchwestern große Probleme, Frau Hansen von einer regelmäßigenKörperpflege zu überzeugen. Frau Hansen hätte auch die finanziel-len Mittel, eine Putzfrau bezahlen zu können, sie lehne dieses aber

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ab, da die Kirche ihr Vermögen erben solle. Das Team sieht deutli-chen Hilfebedarf und plant, die Bemühungen der Mitarbeiterinnendes Pflegedienstes zu unterstützen.

Weiterer Begleitungsverlauf

Frau Koch versucht gemeinsam mit der Einsatzleiterin des Pflege-dienstes, Frau Hansen von der Annahme von Hilfe zu überzeugen.Ende September 1994 ist die Situation nach Auskunft der Einsatz-leiterin jedoch unverändert. Frau Koch teilt dem Team mit, dass derPflegedienst an einer gemeinsamen Sitzung mit dem AGT interes-siert sei. Eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes wird zur nächsten Be-sprechung eingeladen.

Zweite Besprechung im AGT Ende November 1994

In dieser AGT-Sitzung ist die Einsatzleiterin des Pflegedienstesanwesend. Sie schildert die momentane Situation von Frau Hansen.Die durch die Pilzinfektion verursachten Hautekzeme werden einmaltäglich im Rahmen einer B-Verordnung mit einer Salbe behandelt –vorausgesetzt Frau Hansen öffnet die Tür. Der Genitalbereich iststark entzündet. Auf Grund der Unsauberkeit der Wohnung und dermangelnden Hygiene der Patientin sieht auch sie dringenden Hand-lungsbedarf. Der Antrag auf Schwerpflegebedürftigkeit wurde in-zwischen nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst derKrankenkassen (MDK) abgelehnt, da Frau Hansen nach Einschät-zung des Gutachters körperlich noch so „fit“ sei, dass Leistungennicht bewilligt werden könnten.

Dr. Heimann möchte die Meinung des Neurologen, der Frau Hansenbehandelt hat, zur Bewertung der Wohn- und Lebenssituation ein-holen. Frau Koch wird versuchen zu erreichen, dass Frau HansenHilfe für den Haushalt annimmt, um die häuslichen und hygienischenRahmenbedingungen zu verbessern. Der Hausarzt schlägt vor, sichbei der Kirchengemeinde nach Hilfsangeboten zu erkundigen.

Weiterer Begleitungsverlauf

Im Dezember 1994 informiert die Einsatzleiterin des PflegedienstesFrau Koch darüber, dass sich die Hautentzündung wesentlich ver-schlimmert habe. Sie habe sich weiter ausgebreitet und wäre blutig,zum Teil sei nur noch „rohes Fleisch” vorhanden. Sie habe sich in-zwischen mit der bezirklichen Altenhilfe in Verbindung gesetzt.Frau Koch nimmt ebenfalls Kontakt zur bezirklichen Altenhilfe auf.Die Mitarbeiterin der Altenhilfe, Frau Loose, sagt nach dem Ge-

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spräch zu, einen Hausbesuch zu machen. Sie berichtet später, dasssie Frau Hansen besucht und mit ihr gesprochen habe. Sie habeerreichen können, dass sie alle 14 Tage für 2 Stunden eine Haus-haltshilfe annehmen würde. Frau Hansen wäre bereit, 23,- DM zubezahlen, es käme also nur eine private Hilfe in Frage.

Im Dezember kommen zwei von Frau Koch geplante Hausbesuchenicht zu Stande, weil Frau Hansen die Tür nicht öffnet. Als FrauKoch während eines späteren Hausbesuchs Frau Hansen auf diemögliche Haushaltshilfe anspricht, wird diese sehr aufgeregt undlehnt ab. Nachdem Frau Koch dann zunächst mit ihr über andereThemen gesprochen hat, stimmt Frau Hansen schließlich zu, sicheine potenzielle Haushaltshilfe zumindest anzusehen. Die Patienten-begleiterin verabredet daraufhin einen Termin mit einer Haushalts-hilfe in Frau Hansens Wohnung. Doch als die beiden Frauen sich vorder Wohnung treffen, öffnet Frau Hansen erneut die Haustür nicht,so dass ein weiterer Termin vereinbart werden muss.

Dritte Besprechung im AGT Ende Dezember 1994

Vom Team wird es als notwendig erachtet, über eine Schlüsselge-walt für Notfälle zu verfügen. Ein Wohnungsschlüssel sollte bei derPolizei, in der Arztpraxis oder bei der Sozialstation deponiert werden.Dr. Heimann berichtet, dass inzwischen der Neurologe einen Haus-besuch bei der Patientin durchgeführt und sie eindringlich auf dieAnnahme von Hilfen hingewiesen habe. Die Team-Mitglieder halteneine Haushaltshilfe für unbedingt erforderlich. Frau Koch wird ihreBemühungen weiterhin fortsetzen.

Weiterer Begleitungsverlauf

Frau Kochs Anfragen beim Sozialdienst der Kirche und der Famili-enberatungsstelle haben keinen Erfolg. Beide Institutionen könnennach Auskunft der Mitarbeiterinnen zur Zeit wegen Überlastungkeine Hausbesuche durchführen.

Ende Januar 1995 findet ein gemeinsamer Hausbesuch von FrauKoch und der potenziellen Haushaltshilfe statt. Die Haushaltshilfe istentsetzt über den Zustand der Wohnung, sie fühlt sich mit der Situa-tion überfordert und lehnt es ab, die Haushaltshilfe zu übernehmen.Frau Koch informiert die Sozialstation über die Absage der Haus-haltshilfe. Die Situation wird von beiden Seiten als zunehmendproblematisch bewertet, insbesondere da die Hauterkrankung derPatientin behandelt werden muss, und die Arbeitsbedingungen fürdie Pflegekräfte immer unzumutbarer werden.

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Vierte Besprechung im AGT im Januar 1995

In dieser Sitzung berichtet Dr. Heimann, dass Frau Hansen bei ihmin der Praxis gewesen sei. Sie habe einen derart extremen Geruchverbreitet, dass mehrere Patienten die Praxis verlassen hätten. DiePatientin habe stark abgebaut, und das über weite Teile des Körpersverbreitete Ekzem müsse unter diesen Umständen stationär behan-delt werden. Frau Hansen weigere sich jedoch, in ein Krankenhauszu gehen. Es wird verabredet, dass Frau Koch zunächst versucht,Frau Hansen von einer freiwilligen stationären Behandlung zu über-zeugen. Sollte dieses nicht gelingen, wird sich Dr. Heimann mit demNeurologen in Verbindung setzen, um mit seiner Hilfe eineZwangseinweisung zu veranlassen. Der Zustand der Patientin könnesich durch einen Krankenhausaufenthalt mit dem Versuch der Über-leitung in eine gerontopsychiatrische Abteilung soweit stabilisieren,dass sie wieder in die Wohnung zurückkehren könne. Die Wohnungselbst sollte dann in der Zwischenzeit entrümpelt und gereinigt wer-den.

Weiterer Begleitungsverlauf

Im Anschluss an die AGT-Sitzung versucht Frau Koch mit der Koor-dinatorin zur Unterstützung und als Zeugin Frau Hansen davon zuüberzeugen, dass sie Hilfen annimmt. Doch Frau Hansen weigertsich kategorisch, in ein Krankenhaus zu gehen. Direkt im Anschlussan den Hausbesuch setzt sich Frau Koch mit dem Sozialpsychiatri-schen Dienst (SpD) in Verbindung. Der dortige Mitarbeiter informiertsie darüber, dass eine Zwangseinweisung nur möglich sei, wenn inden nächsten 24 Stunden ein lebensbedrohlicher Zustand zu erwar-ten sei. Die Bearbeitung eines Antrags auf Betreuung beim Amtsge-richt würde Wochen dauern. Deshalb schlage er vor, dass der be-handelnde Hausarzt ein Attest mit dem Vorschlag, das Aufenthalts-bestimmungsrecht zu entziehen, beilegen solle. Frau Koch besprichtsich mit Dr. Heimann. Dieser will darauf hin noch einmal mit demNeurologen telefonieren und beim SpD anrufen. Frau Koch wirdweiterhin versuchen, eine geeignete Haushaltshilfe für Frau Hansenzu finden.

Bei einem Hausbesuch Anfang Februar 1995 vergewissert sich FrauKoch, ob Frau Hansen der Vermittlung einer Haushaltshilfe nochzustimmt. Die Einsatzleiterin des Pflegedienstes berichtet, dass diePflegekräfte kurz davor sind, die Arbeit bei der Patientin zu verwei-gern. Sie will das Problem mit der Leiterin des Bereiches Hauswirt-schaft besprechen.

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Mitte Februar kontaktiert die Patientenbegleiterin Frau Johann, eineneue Haushaltshilfe, die sich auch nach Schilderung der Situationdurch Frau Koch die Aufgabe zutraut. Es wird ein gemeinsamerHausbesuch verabredet. Frau Hansen lässt Frau Koch und FrauJohann in die Wohnung. Zunächst ist Frau Johann erschrocken. Undals sie beginnt aufzuzählen, was alles gemacht werden müsse, löstdies bei Frau Hansen eine heftige Reaktion aus, und sie wehrtschließlich schreiend ab. Frau Johann will die Wohnung verlassen,doch Frau Koch gelingt es, sie wenigstens zu einem Versuch zu be-wegen. Die drei Frauen vereinbaren, dass Frau Johann zweimalwöchentlich zwei Stunden arbeiten wird. Frau Koch informiert diePflegekräfte sowie den SpD und die Altenhilfe über die neue Ent-wicklung. Der erste Einsatz der Haushaltshilfe verläuft ohne größereSchwierigkeiten.

Fünfte Besprechung im AGT im Februar 1995

Dr. Heimann geht von einer Besserung des Zustandes aus, wennFrau Hansen wieder das Psychopharmakon erhält, das ihr schoneinmal erfolgreich verabreicht wurde. Das Ekzem von Frau Hansenhabe sich inzwischen gebessert, da die Behandlung durch den Pfle-gedienst mittlerweile weitgehend kontinuierlich durchgeführt werdenkann. Frau Koch lässt sich von Dr. Heimann ein Rezept für Netzho-sen und Inkontinenzvorlagen ausstellen. Dr. Heimann will mit demNeurologen über das Psychopharmakon und die Dosis sprechen, umFrau Hansen bei seinem nächsten Hausbesuch eine Depot-Spritzegeben zu können.

Weiterer Begleitungsverlauf

Auch beim zweiten Einsatz der Haushaltshilfe ist Frau Koch anwe-send. Die ebenfalls anwesende Krankenschwester Yvonne desPflegedienstes berichtet, dass sich Frau Hansen mittlerweile dieHaare waschen lässt und Fußbäder nimmt. Allerdings verweigere siemeistens die Medikamenteneinnahme. Während dieses Hausbesu-ches sortieren Frau Koch und Frau Hansen gemeinsam die vonMotten zerstörten Kleidungsstücke aus und behandeln die übriggebliebenen mit Mottenpulver und -spray.

Anfang März 1995 findet der dritte Einsatz von Frau Johann, derHaushaltshilfe, in Anwesenheit von Frau Koch statt. Während sichSchwester Yvonne um Frau Hansen kümmert, bezieht Frau Koch dieWolldecke und die Sofakissen. Bislang hatte Frau Hansen den gan-zen Tag auf dem Sofa gelegen, ohne Bettzeug zu benutzen oder

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sich umzuziehen. Frau Koch gelingt es, Frau Hansen zum häufigerenWechsel ihrer Kleidung zu überreden.

Bis Mitte März 1995 kommt Frau Johann langsam mit der Grundrei-nigung voran. Die Wohnung ist aber immer noch nicht frei von Unge-ziefer. Frau Koch kann Frau Hansen schließlich davon überzeugen,ein paar weitere alte Kleidungsstücke zu entsorgen.

Die Vertretung des Hausarztes berichtet Dr. Heimann nach derRückkehr aus seinem Urlaub von einem Hausbesuch bei Frau Han-sen. Seiner Ansicht nach sei die Gesamtsituation zu bedenklich, umein Verbleiben der Patientin in ihrer Wohnung vertreten zu können.

Frau Hansens ungesunde Ernährung bleibt weiterhin ein Problem.Frau Kochs Angebot, Essen auf Rädern zu bestellen, lehnt FrauHansen ab, weil sie nicht noch mehr fremde Menschen in ihrer Woh-nung haben möchte. Da Frau Hansen in ihrer Wohnung i. d. R. nurauf dünnen und löchrigen Nylonstrümpfen über den kalten Stein-fußboden läuft, kauft Frau Koch ihr Hausschuhe. Frau Hansen istallerdings nicht bereit, die Schuhe zu tragen.

Ebenfalls im März bespricht Frau Koch mit der Einsatzleiterin, dassein Antrag auf Leistungen der inzwischen in Kraft getretenen Pflege-versicherung gestellt werden sollte. Frau Koch wird das überneh-men.

Während eines Hausbesuches von Frau Koch Ende März wirkt FrauHansen sehr gereizt. Sie will sich von Schwester Yvonne nicht wa-schen lassen und um einen Kleiderwechsel wird „hart gekämpft”. DieKrankenschwester äußert gegenüber Frau Koch Zweifel, ob sieüberhaupt für die ambulante Pflege geeignet sei. Sie habe das Ge-fühl, sich immer nur im Kreis zu drehen. Sie weist Frau Koch daraufhin, dass Frau Hansen unbedingt eine Fußpflege bräuchte. FrauHansen ist damit einverstanden, dass Frau Koch sich darum küm-mert und auch, dass sie Essen auf Rädern bestellt. Etwas spätersprechen Frau Koch und Schwester Yvonne ausführlich über dieSituation und über die Grenzen ihres Handelns. Frau Koch schlägtvor, sich verantwortlich für mögliche Angebote und für die Ausfüh-rung spezifischer Leistungen zu fühlen, nicht aber für die persönlicheLebensgestaltung bzw. für Haltung und Ansichten von Frau Hansen.Sie bestärkt Schwester Yvonne in ihrer Arbeit und bestätigt ihr, guteArbeit zu leisten.

Anfang April wird das erste Mal Essen auf Rädern geliefert. FrauHansen ist damit zufrieden.

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Im Laufe der Zeit fühlt sich auch Frau Johann sicherer im Kontaktmit Frau Hansen und schreckt bei ihren oftmals heftigen Reaktionenweniger zurück. Sie kann insgesamt mit den Stimmungswechselnvon Frau Hansen besser umgehen. An manchen Tagen signalisiertFrau Hansen, dass sie anerkennen kann, dass ihr die Beteiligtendabei helfen wollen, in ihrer Wohnung bleiben zu können. An-dererseits gibt es weiterhin Momente des Misstrauens, z. B. als FrauKoch ihr vorschlägt, die Papiere zu ordnen.

Ende April 1995 gelingt es Frau Koch nach mehreren vergeblichenVersuchen, einen Termin mit einer Fußpflegerin zu verabreden. DieFußpflegerin geht auf Frau Hansen ein, und es ergeben sich keineProbleme. Frau Hansen nimmt die Hilfe an. Des Weiteren gelingt esFrau Koch Anfang Mai 1995, einen Termin mit einer Friseurin zuvereinbaren.

Sechste Besprechung im AGT im Mai 1995

In der Sitzung teilt Dr. Heimann mit, dass er für seine Hausbesuchealle drei Wochen einen Schlüssel brauche, um Frau Hansen regel-mäßig die Spritze verabreichen zu können.

Weiterer Begleitungsverlauf

Auf Grund der fehlenden familialen und informellen Ressourcen istinzwischen ein komplexes formelles Versorgungs-Netz entstanden(Abbildung 4.4.1). Die Lebensweise von Frau Hansen und ihre Ein-stellung haben dazu geführt, dass selbst einfache alltägliche Ver-richtungen professionelle Hilfen erfordert haben. Die eigentlicheKompetenz der Beteiligten in diesem Zusammenspiel bemisst sichhierbei insbesondere an ihren Fähigkeiten, beziehungsgestalterischwirksam zu sein.

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Abbildung 4.4.1: Persönliches soziales Netz von Frau Hansen im Mai1995

Frau HansenFrau HansenFrau Hansen

NachbarNachbar

familial

informell

direkt und regelhaftin die Betreuung

involviert

sporadisch direkt in die Betreuung

involviert

Haushalts-hilfe

Haushalts-hilfe

Patienten-begleiterinPatienten-begleiterin

Essen auf Rädern

Essen auf Rädern

PflegedienstPflegedienst

KoordinatorinKoordinatorin

FußpflegerinFußpflegerin

HautärztinHautärztin

BezirklicheAltenhilfe

BezirklicheAltenhilfe

FriseurinFriseurin

NeurologeNeurologe

formell

HausarztHausarzt

kirchlicherSozialdienstkirchlicher

Sozialdienst

kirchlicheFamilien-beratung

kirchlicheFamilien-beratung

MDKMDK

SpDSpD

NachbarinNachbarin

In Kenntnis der Situation

Mitte Mai 1995 verschlechtert sich der Gesundheitszustand von FrauHansen. Sie leidet unter Herzbeschwerden. Sie verspürt Appetitlo-sigkeit und isst nicht einmal mehr Süßigkeiten. Frau Koch will nacheinem Gespräch mit Frau Hansen für die an der Pflege BeteiligtenNachschlüssel für die Wohnung anfertigen lassen. Der Pflegediensthat bereits einen Schlüssel, ein weiterer ist inzwischen bei der Po-lizeiwache hinterlegt. Frau Johann, der Hausarzt und der Fahrer vonEssen auf Rädern erhalten durch Frau Koch ebenfalls einen Schlüs-sel. Der Fahrer informiert Frau Koch im Mai darüber, dass er FrauHansen zum Sofa bringen musste, da sie nicht allein gehen konnteund sonst gefallen wäre. Während eines Hausbesuches erlebt FrauKoch Frau Hansen als teilnahmslos. Sie möchte in Ruhe gelassenwerden und liegt fast nur noch auf dem Sofa. Während des Urlaubesvon Frau Koch Ende Mai 95 kommt Frau Johann zweimal täglich zuFrau Hansen. Sie fühlt sich für sie verantwortlich und will jeden A-bend nach dem Rechten sehen und sich bei Bedarf mit dem Pflege-dienst in Verbindung setzen. Frau Johann übernimmt außer demPutzen alle diese Aufgaben ehrenamtlich.

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Anfang Juni 1995 erhält Frau Hansen den Bescheid, dass der Antragauf Leistungen der Pflegeversicherung abgelehnt wurde. Als Be-gründung wird angegeben, dass Frau Hansen die Grundpflegeselbst durchführt und nur hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Ver-sorgung Hilfe benötigt. Ein pflegerischer Bedarf sei nicht gegeben.

Mitte Juni, nach dem Urlaub von Frau Koch, berichtet Frau Johannihr, dass Frau Hansen in der Zwischenzeit stark abgebaut habe. Sieläge auf ihrem Sofa und esse kaum etwas. Sie habe inzwischeneinen Dauerkatheter. Frau Kochs Nachfrage beim Pflegedienst er-gibt, dass der Pflegedienst eine A-Verordnung für eine Kranken-hausvermeidungspflege für notwendig erachtet. Frau Hansen wirdjetzt zweimal täglich betreut, morgens ca. eine Stunde und abendseine halbe Stunde. Frau Hansen bräuchte ein Krankenbett, da diePflege der Patientin auf dem Sofa für die Pflegekräfte sehr anstren-gend und schwierig ist. Frau Koch spricht Dr. Heimann auf eine A-Verordnung an. Er stellt sie aus. Er ist empört, dass der Antrag aufLeistungen der Pflegeversicherung abgelehnt wurde und will Wider-spruch einlegen. Frau Koch schlägt vor, einen Verschlimmerungs-antrag zu stellen, da dieses Verfahren schneller sei.

Da Frau Hansen im Juni 1995 die meiste Zeit liegt, bilden sich anden Fersen erste dunkle Flecke. Frau Koch bespricht mit dem Pfle-gedienst Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe.

Ende Juni wird Frau Koch durch den Fahrer des Essen auf Rädernüber den Tod von Frau Hansen informiert. Sie ist während der Mor-gentoilette an Herzversagen verstorben. Die anwesende Kranken-schwester hatte den Hausarzt verständigt. Frau Koch organisiert dieBestattung, die Haushaltsauflösung, verständigt die von Frau Han-sen gewünschte auswärtige kirchliche Institution als Erbengemein-schaft und kümmert sich um die weiteren bürokratischen Angelegen-heiten. An der Trauerfeier nehmen Frau Johann, Schwester Yvonne,Frau Koch und acht Mitglieder der Kirchengemeinde teil. Die an derPflege und Betreuung beteiligten Mitarbeiterinnen verabschiedensich anschließend auf Initiative der Patientenbegleiterin mit einemAbendessen gemeinsam von Frau Hansen.

Abschluss-Besprechung im AGT im Juli 1995

Dr. Heimann und seine ebenfalls anwesende ärztliche Kollegin reka-pitulieren zusammen mit der Patientenbegleiterin und der Koordina-torin die Begleitung von Frau Hansen. Die beiden Ärzte zeigen sichbeeindruckt von der guten Organisation und Zusammenarbeit in derambulanten Versorgung und Pflege der Patientin. Ohne diese Zu-

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sammenarbeit wäre ihrer Meinung nach eine zwangsweise Kranken-haus- oder Pflegeheimeinweisung nicht zu vermeiden gewesen.Frau Koch berichtet von der Trauerfeier für Frau Hansen und überden Stand der Nachlassregelung.

4.4.2 Die AGT-Sitzungen im Überblick

In diesem Abschnitt werden nach einer kurzen Übersicht über Zahlund Inhalte der AGT-Sitzungen die Entwicklungen in den AGTs undmögliche Auswirkungen der Teamarbeit auf die Team-Mitgliederbeschrieben.

4.4.2.1 Anzahl und Dauer der AGT-Sitzungen

Während der dreijährigen Projektlaufzeit haben insgesamt 64 AGT-Sitzungen in den drei Praxen stattgefunden (Tabelle 4.4.1). Auffal-lend ist dabei, dass die Frequenzen und die Zahl der Fallbespre-chungen in den einzelnen Sitzungen unterschiedlich sind. DieseUnterschiede korrespondieren mit der Anzahl der begleiteten Pati-enten der jeweiligen Praxis. Die Gemeinschafts-Praxis 3 ist demProjekt erst sehr viel später beigetreten, hier bestand zudem einhoher Versorgungsbedarf. Die Patientenbegleiterin beschreibt ihreAufgabe in dieser Praxis zu Beginn als „Feuerwehrfunktion”, da insehr schneller und dichter Abfolge über 40 Patienten kontaktiert,jedoch nicht alle begleitet werden mussten. Demzufolge war hier dieHäufigkeit der Team-Sitzungen (alle vier bis fünf Wochen) amhöchsten und die Zeit pro Fallbesprechung am niedrigsten. Deutlichmehr Zeit für die einzelnen Fallbesprechungen wurde in der Praxis 2aufgewendet. Der wesentliche inhaltliche Unterschied zwischen denTeamsitzungen in dieser und den beiden anderen Praxen besteht ineiner höheren Gewichtung der sozialen und biografischen Aspekteder Patienten in den Fallbesprechungen der Praxis 2. Die Rolle desFachberaters (Gerontopsychiater) (vgl. Abschnitt 4.4.2.2), der aus-schließlich in dieser Praxis an einigen Sitzungen teilnahm, in seinersupervisorischen Funktion schlägt sich in diesem Zusammenhangebenfalls zeitlich nieder. Die Frequenz der Team-Sitzungen ist ver-gleichbar mit der der Praxis 1. Der krankheitsbedingte Ausfall derPatientenbegleiterin der Praxis 2 ist der Grund für die geringereAnzahl der Team-Sitzungen. Da diese Ausfallzeiten auf alle Aktivitä-ten einen erheblichen Einfluss haben, müssen sie bei den Verglei-chen immer berücksichtigt werden.

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Tabelle 4.4.1: AGT-Sitzungen und erweiterte Team-Sitzungen

Praxis 1 Praxis 2 Praxis 3 GesamtKooperationseit ... 04.93 04.93 06.94begleitetePatienten 16 34 39 89

Teilnehmer AGT 1erweitert:

Pflegekräfte(2x)

AGT 2erweitert:

Pflegekräfte(2x)

Geronto-psychiater

(6x)

AGT 3erweitert:

Pflegekräfte(7x)

erweitert:Pflegekräfte

(10x)Geronto-

psychiater(6x)

Anzahl 25 20 19 64Dauer (gesamt)Mittelwert

39 h1 h 34 min

53 h2 h 39 min

31 h 40 min1 h 40 min

123 h 40 min1 h 56 min

Patientenbe-sprechungenGesamtMittelwert

1757

1518

1729

4988

Zeit pro Fallbe-sprechungMittelwert 13 Minuten 21 Minuten 11 Minuten 15 Minuten

Die Anzahl der AGT-Sitzungen ist in jeder der Praxen über die ge-samte Projektlaufzeit ungefähr gleich. Trotz der wesentlich späterenAufnahme der Praxis 3 in das Projekt hat der vorhandene erheblicheBedarf dazu geführt, dass dort in kürzerer Zeit mehr AGT-Sitzungendurchgeführt wurden. Das bedeutet, dass die Patientenbegleiterin inder Region A an mehr als doppelt so vielen Team-Sitzungen teilge-nommen hat wie die Patientenbegleiterin in Region B. Das Verhältnisder Team-Sitzungen zueinander unterteilt nach den beiden Modell-regionen entspricht in etwa dem Verhältnis der begleiteten Patientenin beiden Regionen. Die Häufigkeit der Team-Sitzungen spiegeltinsofern auch ungefähr die Bedarfslage wieder.

4.4.2.2 Teamentwicklung im AGT

Zu Beginn des Modellvorhabens war es eine offene Frage, ob undwie sich die Zusammenarbeit zwischen den Patientenbegleiterinnen,der Koordinatorin und den Hausärzten und die Arbeitsweise der

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Teams entwickeln würde. Um die Erfahrungen in diesem Prozessabzubilden, wurden mit allen Beteiligten zu verschiedenen Zeit-punkten im Projektverlauf Interviews geführt und die AGT-Sitzungenprotokolliert. Interviews und Sitzungsprotokolle wurden qualitativausgewertet. In dem Beispiel von Frau Hansen konnte die Bedeu-tung der AGT-Sitzungen und der erweiterten AGT-Sitzungen imGesamtverlauf der Begleitung nur beispielhaft angerissen werden.Die Funktion des Teams und der Team-Sitzungen ist jedoch umfas-sender. Die Zusammenarbeit zwischen den Hausärzten, den Pati-entenbegleiterinnen, der Koordinatorin, Mitarbeiterinnen ambulanterPflegedienste und nicht zuletzt die Beteiligung eines gerontopsychi-atrischen Fachberaters in der Praxis 2 bewirkten Veränderungen beiallen Beteiligten, bezogen auf ihre Qualifikation und ihre Arbeitszu-friedenheit. Die Teams mussten sich allerdings erst entwickeln, dieeinzelnen Mitglieder der jeweiligen Teams ihre Team-Fähigkeit er-proben.

Der Begriff „Teamentwicklung” steht i. d. R. für einen Katalog unter-schiedlicher Interventionen in der Förderung von Gruppenprozessen,dem Aufbau von Teams. In dem Projekt hat es mit Ausnahme ein-zelner praxisbegleitender Fachberatungen, deren Aufgaben im Fol-genden beschrieben werden, keine gezielten Interventionsmaßnah-men im Sinne einer Teamentwicklung gegeben. Teamentwicklungmeint hier den gemeinsamen Entwicklungsprozess, den die PAGT-Mitarbeiterinnen während ihrer Team-Arbeit durchlaufen haben,beschreibt hier also keine Methode.

Bereits in der Vorlaufphase wurde deutlich, dass die Modellmitar-beiterinnen einen hohen Bedarf an Austausch mit in der Versorgungälterer Menschen erfahrenen Kolleginnen aufwiesen. Als Ziel diesesAustausches standen Unterstützung und damit eine höhere Sicher-heit in konkreten Entscheidungssituationen sowie Qualifizierungsas-pekte im Vordergrund. Für regelmäßige Fachberatungen konnte dieLeiterin eines ambulanten Dienstes gewonnen werden, die sichsowohl durch langjährige Erfahrung im Umgang mit verschiedenenBerufsgruppen und unterschiedlichen Zielgruppen von älteren Men-schen wie auch durch eine hohe Qualifikation in der Pflege, in derSozialarbeit sowie auch im Gesundheits- und Sozialmanagementauszeichnet.

Im Verlauf des Projektes stellten die Teams einen externen Bera-tungsbedarf besonders häufig bei der Betreuung von älteren Men-schen mit gerontopsychiatrischen Problemen fest. Dies führte zudem Einbezug eines Gerontopsychiaters als zweitem Fachberater.

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Eines der drei Teams nutzte diese Chance auch dazu, diesemFacharzt gezielt in Teamsitzungen einzubeziehen, in denen Patien-ten und deren Familien im Zentrum standen, deren herausragendeProblematik durch eine Demenz und/oder eine Depression bestimmtwar.

Das Angebot der fachlichen Unterstützung war in Ergänzung zu demAngebot der Supervision für die Patientenbegleiterinnen zu sehen.Im Gegensatz zur Supervision wurden die Gespräche mit der Fach-beraterin und dem Fachberater protokolliert, so dass die Beratungs-inhalte auch für die Forschung transparent waren (Abschnitt 4.6.2und 4.7).

Die Schwerpunktlegung auf das multidisziplinäre Team stellt einenbesonderen Aspekt des Projektes dar. Die Verknüpfung von Aufga-ben und Tätigkeiten der Hausärzte mit den neuen und zu entwi-ckelnden Aufgaben und Tätigkeiten der Koordinatorin und der Pati-entenbegleiterinnen kann im Teamentwicklungsprozess die brach-liegenden oder nicht genutzte Potenziale zur Optimierung derHandlungen und ihrer Ergebnisse fördern, die als Synergieeffekte zuverstehen sind. Im Einzelnen bedeutet dies für das AGT, dass sichan den Aufgaben der beteiligten Hausärzte (Abschnitt 4.5) keinegrundlegenden Änderungen ergeben, wohl aber eine andere Ein-bettung der hausärztlichen Tätigkeiten mit entsprechenden Konse-quenzen. Dazu zählt z. B. die Abkehr von der vielbeschriebenenPosition des Hausarztes als „Einzelkämpfer” und alleinverantwortli-chem Entscheidungsträger hin zur Selbstdefinition als wichtigerBestandteil eines kooperativen gemeinschaftlichen Prozesses mitgemeinsamer Zieldefinition (Team-Mitglied).

Die berufliche Sozialisation als eine der Voraussetzungen, die dieHausärzte, die Patientenbegleiterinnen und die Koordinatorin mit-bringen, erweist sich als sehr unterschiedlich. Die Entwicklung zumTeam-Mitglied benötigt Zeit, positive Erfolge und setzt ein Interessean solchen Prozessen voraus. Die Aufgaben- und Tätigkeitsprofileder Koordinatorin (Abschnitt 4.7) und der Patientenbegleiterinnen(Abschnitt 4.6) unterscheiden sich in diesem Sinne von dem Berufs-bild der Hausärzte, da diese zu Projektbeginn zu Gunsten eineroffenen Entwicklung nicht festgeschrieben wurden. Hypothetischmüssen wir davon ausgehen, dass insbesondere die Organisationder Hausarztpraxis und die etablierte Rolle der Hausärzte die Team-entwicklung und die Arbeit der Teams deutlich beeinflussen. DieDeterminanten sind:

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• Vorrangigkeit der Arbeitsabläufe in der Hausarztpraxis

• ärztlicher Führungsanspruch und Verantwortlichkeit in Fragen dergesundheitlichen Versorgung

• internalisiertes Rollenverständnis

• Konfliktvermeidungsstrategien der Koordinatorin und der Patien-tenbegleiterinnen wegen der Abhängigkeit des Modellvorhabensvom freiwilligen ärztlichen Engagement

Hier werden Fragen der Kooperation innerhalb des AGTs berührt,die im Folgenden beschrieben werden.

Der wesentliche Teil der Team- und Organisationsentwicklung imProjekt wurde von den Praktikerinnen selbst erbracht. Zwar hat dieForschung gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe in der Entste-hungsgeschichte des Projektes (Abschnitt 2.2) und in der Formulie-rung des Projektantrages den konzeptionellen Rahmen entwickelt(Abschnitte 2.3 bis 2.6) und vorgegeben, dieser wurde aber ent-scheidend von den Mitarbeiterinnen mit Inhalten gefüllt. In denTeam-Sitzungen und Fachberatungen haben sie auf Grundlage derunmittelbaren Erfahrungen mit den begleiteten alten Menschen,deren Angehörigen und anderen Helferinnen ihr Handeln reflektiertund gegebenenfalls modifiziert. Dabei war ihr Interesse primär vondem Versorgungsbedarfen und den Bedürfnissen der alten Men-schen geleitet. Das schlägt sich in den Interviews deutlich nieder.

Während die Aufgaben der Koordinatorin durch bereits vorliegendeErfahrungen aus anderen Projekten mit Koordinationsstellen weitge-hend feststanden, hatten die Patientenbegleiterinnen im Rahmendieses lernenden Modells und aufbauend auf den bis dahin ge-machten Erfahrungen mit Case Management einen weit gefassterEntwicklungs-Raum, sich individuell, bedarfs- und alltagsgerecht zuorientieren und ihre individuellen Fähigkeiten und Qualifikationen indie Projektarbeit einfließen zu lassen. Dies war ein Resultat desumfangreichen Diskussionsprozesses zwischen Praxis und For-schung im ersten Projektjahr. Die Teams nutzten die sich daraus er-gebende Chance eines offenen Fortgangs mit dem Ergebnis, dasszum Ende des Projektes alle Hausärzte auf die Zusammenarbeit mitden Patientenbegleiterinnen nicht mehr verzichten wollten. Sie er-lebten das bevorstehende Ende als „Furchtbar! […] für mich ist esalso wirklich schlimm, wenn ich mir vorstelle, dass es das dann nichtmehr gibt.” oder „Das würde ich wirklich mit Bedauern sehen […]”

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und „[…] eine ganz stille leise Hoffnung, dass wir vielleicht doch nochweitermachen können, und wo wir irgendwo dann nicht dieses Lochhaben, in das wir fallen werden.” (drei PAGT-Hausärzte)

Die Entwicklung der Zusammenarbeit wird nur in einem der Teamsals „leicht“ beschrieben. In den beiden anderen Teams war ein län-gerer Entwicklungsprozess nötig, in dem Gemeinsamkeiten undUnterschiede zwischen den Teammitgliedern erst ausgelotet werdenmussten: „Also, ich muss sagen, das ist ein Prozess, den ich mirnicht so langwierig vorgestellt hätte. Aber das ist sicher auch darinbegründet in der Zusammenarbeit mit dem Arzt, dass das für ihnauch eine ganz neue Arbeit ist, und dass er auch akzeptieren muss,dass jemand da ist, der ihm so indirekt ihn die Arbeit reinredet. Ichmuss sagen, wenn ich das heute so einschätze - wir sind schon einganz schönes Stück miteinander gegangen, und es hat sich wasentwickelt.” (PB)

Phasen der Teamentwicklung im AGT

Die Teamentwicklung der AGTs lässt sich vereinfacht in vier aufein-anderfolgenden Phasen darstellen: dem Kennen lernen; der Klärungder Aufgaben- und Rollenverteilung; der Routinebildung und Konso-lidierung der Abläufe und der Modifikationen des Team-Ansatzes.

• Phase 1: Kennen lernen

Die Entscheidung, in dem Projekt mitzuwirken und die Identifikationmit den Projektzielen und -inhalten können als ein wichtiger Indikatorfür die Bereitschaft der Hausärzte betrachtet werden, weitere Perso-nen in ihre Tätigkeit und in ihren Praxisablauf einzubeziehen. Sokönnte a priori von einem Anspruch der Hausärzte ausgegangenwerden, konstruktiv und lösungsorientiert vorzugehen. Sie zeigtenein hohes Engagement, sich den neuen Anforderungen zu stellen.„Da laufe ich mit diesem Projekt sehr harmonisch, da die Ziele ei-gentlich sehr identisch sind.” (HA)

• Phase 2: Klärung der Aufgaben- und Rollenverteilung

In zwei der drei Praxen traten Konflikte in der Rollen- und Aufgaben-verteilung auf, die in den Teamsitzungen thematisiert und geklärtwurden. So musste beispielsweise im Einzelnen die Grenze zwi-schen ärztlicher und nicht-ärztlicher Kompetenz und Befugnis erör-tert werden, z. B.: „[…] es musste nur in Ruhe geklärt werden, dasses auch mit Sache des Arztes ist, einen Diätplan zu erstellen.” (HA)Auch die jeweiligen Rollen und ihre Funktion im Team erforderten

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Zeit der Reflexion im Team, z. B.: „Als ich den Eindruck hatte an-fangs, dass meinetwegen die physikalische Leistung, dass ich sozu-sagen zeitweise nur als Pinselknecht zum Aufschreiben von Fangound Massage benutzt werden sollte.” (HA) Ähnliche Fragen stelltensich interessanterweise auf der Seite der Patientenbegleiterinnen:„Ich habe ihn [den Hausarzt] gefragt, ob er mich als Erfüllungsgehil-fen sieht.” (PB) In der anderen Praxis trat ein latenter Konflikt auf,der daraus resultierte, dass die Patientenbegleiterin in der An-fangszeit in das Patienten-Wartezimmer gebeten wurde und dortlängere Zeit warten musste, bis sie mit dem Arzt sprechen konnte.Dadurch wurde bereits im Vorfeld die Erwartung der Patienten-begleiterin an eine gleichberechtigte Zusammenarbeit enttäuscht.Die Koordinatorin übte schließlich in den Team-Sitzungen auf Grundihrer größeren Distanz eine vermittelnde Rolle aus und erleichtertedurch ihre Moderation den Annäherungsprozess.

Im Verhältnis der Team-Mitglieder zueinander spiegeln sich stellen-weise Habiti der beruflichen Sozialisation und der persönlichen Vor-und Einstellungen zu den Rollen der jeweils anderen Team-Mitglieder wider. So gab es besonders zu Beginn dieses Ent-wicklungsprozesses vermehrt Hinweise auf hierarchisierte Struktu-ren, die sich aber im Laufe der Zusammenarbeit wieder lösten. Dieregelmäßigen Teamsitzungen haben ein gegenseitiges umfassendesVerständnis vom Planen und Handeln der Kolleginnen und Kollegenerst möglich gemacht. Gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen in dieFähigkeiten des anderen auch im Rahmen eines sehr persönlichenAustausches machten den Kampf um entsprechende Positionenobsolet. Dabei wurde die „Vormachtstellung” der Hausärzte als letzt-lich federzeichnend Verantwortliche von den anderen Teammitglie-dern respektiert und als strukturelle Gegebenheit unseres Gesund-heitssystems gesehen, d. h. es entbehrt der Rückführung auf einmögliches und unterstelltes persönliches Machtbedürfnis der Haus-ärzte. „Es gibt auf keinen Fall, was man häufig im Bereich der Pflegesieht, den Versuch, den Arzt als zu wenig kompetent oder als zuschnell zu den Medikamenten greifend abzuwerten. Es ist irgendeineZusammenarbeit. Ich merke da keine Spannung. Keine destruktiveKritik an dem ärztlichen Handeln.” (FB)

Allerdings ist über die Identifikation mit dem Modellvorhaben aufSeiten der Koordinatorin und der Patientenbegleiterinnen auch einHarmonisierungs-Motiv zu verzeichnen, mit dem sie im Sinne einerAnpassungsleistung eine Gefährdung der Projektziele vermeidenwollten. Durch die Begleitforschung wurde dieses Motiv gestützt, dasie bereits im Vorfeld die Erfahrung hat machen müssen, dass da-

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mals zur Mitarbeit bereite Hausärzte rar waren. In diesem Sinnepassten sich Koordinatorin und Patientenbegleiterinnen eher denWünschen der Hausärzte an und ordneten sich stellenweise unter,um Konflikte zu vermeiden: „Es spitzt sich ja gar nicht zu einemKonflikt zu, das wird ja alles im Vorfeld mehr oder weniger abge-blockt.” (PB)

• Phase 3: Routinebildung und Konsolidierung der Abläufe

Je nach individueller Zusammensetzung der Teams spielten sichunterschiedliche Arbeitsabläufe und Kommunikationsformen ein.Insbesondere informelle Abläufe, z. B. die von den Mitarbeiterinnensogenannten „Tür-und-Angel-Gespräche” erhielten eine wichtigeFunktion. Sie bewerteten diese Gelegenheiten des unbürokratischenund „außerplanmäßigen” Austauschs als eine Form der schnellenund reibungslosen Rückmeldung und Rückversicherung des eigenenHandelns. So wurden beispielsweise die Gänge von und zu denPatienten für eine kurze „Stippvisite” mit kurzem Austausch zwischenArzt und Patientenbegleiterin in der Praxis genutzt. In einer Praxisbot die Patientenbegleiterin immer freitags Sprechstunden für diePatienten, deren Angehörige, aber auch für weitere interessiertePatienten an. Dieser Rahmen wurde fast regelmäßig für eine vonihnen so benannte „Mini-AGT-Sitzung” genutzt. In den beiden ande-ren Praxen hatte sich das Angebot einer Sprechstunde nach Ein-schätzung der Mitarbeiterinnen nicht bewährt, so dass diese fallen-gelassen wurde (insgesamt 3 Sprechstunden in beiden Praxen wäh-rend der gesamten Projektlaufzeit). Die Mitarbeiterinnen führen dieseUnterschiede einerseits auf Zeitmangel, andererseits aber auch aufdie unterschiedliche Klientel der beiden Regionen zurück.

Da gerade diese informellen Kontakte nicht immer explizit dokumen-tiert wurden, ist davon auszugehen, dass die Kontakthäufigkeit zwi-schen Arzt und Patientenbegleiterin höher ist, als aus den von denPatientenbegleiterinnen geführten Tagebüchern hervorgeht (durch-schnittlich ca. 2-3 zusätzliche Arztkontakte pro Monat bei der Patien-tenbegleiterin in Region A; durchschnittlich ca. 2 zusätzliche Arzt-kontakte pro Monat bei der Patientenbegleiterin in Region B - außer-halb der AGT-Sitzungen und Sprechstunden).

• Phase 4: Modifikationen des Team-Ansatzes

Die sich einspielenden und bereits eingespielten Abläufe gaben denBlick frei für bewährte Vorgehensweisen und Veränderungen in derTeamarbeit. So machten die AGTs in beiden Regionen die Erfah-

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rung, die Versorgungsstruktur der jeweiligen Region so weit zu über-blicken, dass die Koordinatorin im Laufe der Zeit nur wenig neuere(Er)Kenntnisse einbringen und sich somit aus den Teams zurückzie-hen konnte. Austauschmöglichkeiten blieben weiterhin über denengen Kontakt zwischen Koordinatorin und Patientenbegleiterinbestehen. Die Koordinatorin hatte nun die Möglichkeit - wie in derProjektplanung vorgesehen - einen Schwerpunkt ihrer Arbeit aufVernetzung im Stadtteil und konzeptionelle Entwicklung kooperati-onsfördernder Maßnahmen zu legen (Abschnitt 2.4).

In der Gemeinschaftspraxis Region A dachten Patientenbegleiterinund Hausärzte in der letzten Projektphase über eine Erweiterungihres Angebots um die Einrichtung von Gruppenangeboten für ältereMenschen wie Entspannungsverfahren oder angeleitete Gesprächs-kreise zum Thema „Trauer, Sterben und Tod” nach. Angesichts derkurzen verbliebenen Zeit bis zum Ende des Projektes haben sich dieVorhaben nicht mehr umsetzen lassen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Team-Entwicklungin den AGTs von folgenden Grund-Faktoren abhing, die sich in ver-einfachter Darstellung in der Abbildung 4.4.2 befinden:

Abbildung 4.4.2: Teamentwicklung in den AmbulantenGerontologischen Teams

Fähigkeiten(Qualifikation

und Kenntnisse)

Motivation

(Selbst-)Reflektion

Zeit

kurzfristig langfristig

Kennenlernen,Aufgaben- und Rollenverteilung,gemeinsame Zieldefinition

Vertrauensbildung,Routinebildung,erneute (modifizierte)Zieldefinition

ProzessvariablenBasisvariablen

Alle Faktoren bedingen sich gegenseitig und sind deshalb nichtvoneinander losgelöst zu betrachten. In dem Modell sind nur dieelementaren Faktoren dargestellt. Basisvariablen sind die Elemente,die die Team-Mitglieder „mitbringen” und die im Wesentlichen in den

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Personen begründet sind. Sie sind zu Beginn erst einmal als un-abhängig von den Interaktionen zwischen den Team-Mitgliedern zuverstehen. Prozessvariablen sind die Elemente, die aus den Interak-tionen zwischen den Team-Mitgliedern resultieren und sich im zeitli-chen Verlauf in Abhängigkeit von der Team-Entwicklung verändern.

4.4.3 Zusammenfassung

In einem Zeitraum von drei Jahren haben in den drei Arztpraxeninsgesamt 64 Team-Sitzungen von durchschnittlich zwei StundenDauer stattgefunden. In diesen Sitzungen wurden fast 500 Fallbe-sprechungen durchgeführt. 16 Team-Sitzungen waren sogenannteerweiterte Team-Sitzungen, an denen neben den Team-MitgliedernMitarbeiterinnen von Pflegediensten teilnahmen bzw. ein Facharzt(Gerontopsychiater als Fachberater). Weitere zehnmal war die Pro-jektleiterin gegen Ende der Laufzeit beteiligt, um eine mögliche mo-difizierte Fortführung des Projektes zu erörtern. Die Team-Sitzungenunterschieden sich in ihrer Gesamt-Dauer und der Dauer der Fallbe-sprechungen zwischen den Regionen.

Der zeitliche Verlauf der Teamentwicklung lässt sich mit einemVier-Phasen-Modell beschreiben: 1. Kennen lernen, 2. Klärung derAufgaben- und Rollenverteilung, 3. Routinebildung und Konsolidie-rung der Abläufe, 4. Modifikation des Team-Ansatzes. Der Rahmender Team-Entwicklung war grundsätzlich durch die Organisation derHausarztpraxis bestimmt, in der die Team-Sitzungen stattfanden. ZuBeginn der Team-Arbeit stellten sich verschiedene Konfliktsituatio-nen ein, insbesondere zwischen Patientenbegleiterinnen und denHausärzten als denjenigen, die mit den Patienten praktisch arbeite-ten. Die Koordinatorin war davon wegen des fehlenden direktenPatientenbezugs weniger betroffen und konnte demzufolge einevermittelnde Rolle einnehmen. Diese Konflikte konnten im Laufe derZeit durch Gespräche geklärt werden, in denen die gegenseitigenErwartungen und eine sinnvolle Aufgabenteilung erörtert wurden.Dabei hatte die Fachberatung durch die kompetente externe Sicht-weise eine unterstützende Rolle. Begünstigt wurde die Entwicklungder Zusammenarbeit auch durch die praktischen Erfahrungen, die inden Fallbesprechungen ausgetauscht wurden. Dadurch gewannendie Team-Mitglieder Einblick in und Verständnis für die Arbeit und fürden beruflichen Hintergrund der anderen Team-Mitglieder.

Die Team-Entwicklung erwies sich als Qualifizierungsprozess allerBeteiligten im Sinne eines „learning-on-the-job”. Der deutlichsteHinweis dafür ist in der allmählichen Auflösung der Funktion und

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Aufgaben der Koordinatorin als Team-Mitglied zu sehen. Nach einernur grob einschätzbaren Zeit von etwa zwei Jahren waren weder ihreBeratungsfunktion in Fragen der Versorgungsstruktur und der sozial-rechtlichen Rahmenbedingungen noch ihre interne Team-Vermittlungsrolle weiterhin erforderlich. Sie konnte sich schließlichwie vorgesehen verstärkt übergeordneten Vernetzungsaspektenwidmen.

Mit zunehmender Sicherheit in ihrem Team-Verständnis öffneten dieTeams ihre Sitzungen vermehrt für andere Mitarbeiterinnen, umpatientenbezogen erweiterte Teams zu bilden. In zwei der dreiPraxen existieren noch heute - nach Abschluss des Projektes - pati-entenbezogene Fallbesprechungen mit Mitarbeiterinnen aus der am-bulanten Pflege. Einige Elemente der patientenbegleitenden Tätig-keit und einer interdisziplinären und multidimensionalen Perspektivewurden dort übernommen.

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4.5 Die Hausärzte

Die Rolle und die Aufgaben der Hausärzte brauchen in diesem Be-richt nicht weiter ausgeführt zu werden, sofern sie dem allgemeinenWissen um die Situation der hausärztlichen Versorgung und dendazugehörigen Bedingungen und Aufgaben entsprechen. Das Neuefür die PAGT-Ärzte war die Durchführung des Screenings in ihrenPraxen (Abschnitt 4.2) sowie die im Abschnitt 4.4 ausführlich darge-stellte multiprofessionelle Teamarbeit. So bedarf es an dieser Stellenur des Verweises auf die Unterschiede, die sich aus der Rolle derHausärzte als Mitglieder eines interdisziplinären Teams ergeben, wiesie bereits im Abschnitt 4.4.2 beschrieben wurden.

Die mit PAGT kooperierenden Hausärzte sahen sich zu Projektbe-ginn als „Einzelkämpfer” (HA). Hatte die Erfahrung der Team-ArbeitEinfluss auf die Sichtweise der Hausärzte von sich selbst? Auf derGrundlage der Interviews mit den Hausärzten zu Projektbeginn undzu Projekt-Ende lassen sich einige Veränderungen in der Selbstrefe-renz verzeichnen.

• Zuwachs an Arbeitszufriedenheit

Der Austausch über die begleiteten Patienten und über die eigeneArbeit, in den auch persönliche Anliegen und Probleme in der Bezie-hung der jeweiligen Team-Mitglieder zu ihren Patienten einfließen,wird als befriedigend erlebt und hoch geschätzt.

„Die Teamsitzungen, die halte ich für wichtig. Gerade aus dieserautistischen Denkweise [lacht], in der man als Vertragsarzt hiersteckt. Es entsteht doch eine unheimliche Vereinsamung, wennman sonst nicht nach außen kommt.” (HA)

• Entwicklung eines Gefühls der Sicherheit hinsichtlich der Versor-gung „ihrer” Patienten, Gefühl persönlicher Entlastung

Die Hausärzte fühlen sich mit ihren Entscheidungen, die sie zu tref-fen haben, nicht mehr allein gelassen und erfahren über die gemein-same Interventionsplanung Entlastung, da sie sich nicht mehr allein-verantwortlich fühlen müssen. Die Zusammenarbeit mit der Patien-tenbegleiterin nimmt ihnen das Unbehagen, unter Umständen hilfrei-che Maßnahmen aus Unwissenheit oder Zeitmangel nicht eingesetztoder gefördert zu haben.

„Entlastung und Erleichterung, dass die Sorge um Patienten,[…] die ist geringer geworden. Ich weiß, wenn Frau K. [PB] ir-

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gendetwas übernimmt, dann werden alle Möglichkeiten ausge-schöpft.” (HA)

• Zuwachs an Information und Kenntnissen über die Versorgungs-angebote

Alle Hausärzte sehen eine Erweiterung ihres Wissens um Versor-gungsangebote und hilfreicher Maßnahmen:

„Ich hätte nie gewusst, wie das überhaupt geht, man weiß sol-che Sachen nicht, wie das überhaupt aufgebaut ist. Insofern binich natürlich etwas gebildeter, und da bin ich sehr dankbar für.”(HA)

• Zuwachs an Kenntnissen über die Qualität der durch Gesund-heits-, Sozial- und Pflegedienste erbrachten Leistungen

Der engere Kontakt zu den älteren Menschen über die Patienten-begleiterin verschafft dem Team einen Einblick in die Durchführungder verordneten Leistungen,

„[…] dass das auch in gewisser Weise eine Qualitätssteigerunggebracht hat, denn wir treffen ja immer wieder auf Leistung, So-zialleistung von diesen Diensten, mit denen wir überhaupt nichteinverstanden sind, wo wir sagen können: ´Oh Gott, oh Gott, die[vielen] Stunden am Tag, und die Wohnung sieht aus wie einDreckstall.` Dann muss man da eben mal eingreifen.” (HA)

• Zuwachs an Informationen über ihre Patienten und Erweiterungder Perspektive im Sinne ganzheitlicher Patientenbetreuung

Nicht allein die Informationen über das soziale Umfeld und psychi-sche Befindlichkeiten der Patienten als solche erscheinen bedeut-sam. Bedeutsam ist vielmehr die daraus resultierende genauereInterventionsplanung, die die psychischen, sozialen, familiären undauch wohnungsbaulichen Faktoren berücksichtigt. Der Informations-zuwachs ist eine Voraussetzung für diesen Perspektivenwandel.Über die Hintergrundinformation und über den Austausch in denTeamsitzungen erweitern die Hausärzte ihre Kompetenz.

„Diese Sitzungen auch, die wir haben, das ist für mich auch im-mer wieder was, ich habe mein Blickfeld ein bisschen geändert.- Int.: Inwiefern? - Dass ich auch von Zeit zu Zeit darüber nach-gedacht habe, wie das so sozial bei denen geht. […] Ich fühlemich da kompetenter inzwischen für bestimmte Fragen.” (HA)

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4.6 Die Patientenbegleiterinnen

Aus den vorangegangenen Kapiteln ist bereits unter verschiedenen Aspekten das Tätigkeitsspektrum der Patientenbegleiterinnen sicht-bar geworden. Bei der Tätigkeitsbeschreibung ist zu beachten, dass PAGT ein lernendes Modell ist, dass bewusst auf allzu strenge Vor-gaben an die Praktikerinnen verzichtet hat. Allerdings wurden in der Modellkonzeption (Abschnitt 2) die wichtigsten Zielsetzungen, Ar-beitsprinzipien und -methoden festgeschrieben. Die wesentlichen Richtlinien, an denen sich die Patientenbegleiterinnen orientierten, entsprachen dem Wissen über die Methodik des Case Manage- ments zur Überwindung von Schnittstellenproblemen im Interesse einer stärkeren Patientenorientierung. Dabei muss betont werden, dass es sehr unterschiedliche Methoden und Verfahren des Case Managements gibt (vgl. Wendt 1991 und 1993; American Society on Aging 1996). In der Ausführung und in der Gestaltung hatten die Patientenbegleiterinnen auf der Grundlage der Absprachen in den Teamsitzungen große Handlungsspielräume. Diese Entscheidung, die sich im Projektverlauf bewährt hat, fußte auf folgenden Annah-men:

• Der Mangel an übertragbaren Erfahrungen in der Teamarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen - insbesondere mit Hausärzten - im ambulanten Bereich des Gesundheitssystems schloss eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung weitgehend aus.

• Die Entwicklung eines gut funktionierenden ambulanten Teams erfordert gestalterische Freiräume, die die individuellen Sichtwei-sen der Team-Mitglieder berücksichtigt sowie Annäherungs- und Veränderungsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit zulässt.

• Unterschiede zwischen den Vorstellungen der einzelnen kooperie-renden Hausärzte sowie deren Arbeitsorganisation in der Praxis müssen angemessen berücksichtigt werden und gegebenenfalls im Teamentwicklungsprozess verhandelt werden.

• Die besonderen Fähigkeiten der Team-Mitglieder sollten Eingang in die Arbeit finden; eine zu enge Festschreibung auf bestimmte Tätigkeiten hätte die Entfaltung vorhandener Potenziale evtl. ein-geschränkt.

• Den Unterschieden zwischen den beiden Modellregionen insbe-sondere hinsichtlich der Versorgungsangebote und den Unter-schieden zwischen den einzelnen Patienten sollte mit größtmögli-cher Flexibilität begegnet werden.

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• Die Erfahrungsvielfalt zeigt die Möglichkeiten und Grenzen vonPatientenbegleitung auf und erleichtert in den daraus abzuleiten-den Konsequenzen die Weiterentwicklung des Ansatzes für denTransfer in die Regelversorgung.

4.6.1 Tätigkeiten der Patientenbegleiterin bei Frau Hansen

In dem Beispiel von Frau Hansen sind bereits viele Aspekte derpatientenbegleitenden Tätigkeit veranschaulicht worden (siehe Ab-schnitte 4.4.1 und 4.5.1). Von zentraler Bedeutung war dabei dieBerücksichtigung der Komplexität und Individualität der jeweiligenLebenssituation der begleiteten Patientin. Durch die Hausbesuchekonnte die Patientenbegleiterin Frau Koch z. B. die Ernäh-rungsgewohnheiten von Frau Hansen kennen lernen, die wiederumden Krankheitsverlauf sowohl des Ekzems als auch der Herzinsuffi-zienz beeinflussten. Ohne Hausbesuche wären auch die schlechtenhygienischen Verhältnisse in der Wohnung unerkannt geblieben.Zwar ist Frau Hansen nicht gerade ein Beispiel für eine gelungeneErnährungsberatung, diese hat es aber durchaus erfolgreich beianderen Patienten, die der Beratung zugänglicher waren, gegeben.

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit der Patientenbegleiterin inder Betreuung von Frau Hansen lag in der Vermittlung und in derUnterstützung personeller Hilfen. Ohne die Zuwendung und Bera-tung der Patientenbegleiterin hätten die Haushaltshilfe, Fußpflegerinund Friseurin höchstwahrscheinlich ihre Arbeit nicht ausführen kön-nen. Die Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes hätten ihre Arbeit ein-gestellt und auf eine stationäre Versorgung gedrängt. Der Hausarztund die beiden behandelnden Fachärzte hätten eine ambulanteVersorgung ohne diese Voraussetzungen nicht mehr verantwortenkönnen und eine zwangsweise Unterbringung über das Vormund-schaftsgericht im Rahmen einer Betreuung nach Betreuungsgesetzunter Ausklammerung des Sozialpsychiatrischen Dienstes veran-lasst. Die Patientenbegleiterin konnte durch ihren direkten Kontaktmit Frau Hansen im Rahmen einer allmählich aufgebauten vertrau-ensvollen Beziehung weitere Kontakte zwischen Frau Hansen undanderen Mitarbeiterinnen herstellen und eine gute Compliance auf-bauen. Durch ihre Vermittlung sind stabile Beziehungen entstanden,die sich auch in der Abwesenheit der Patientenbegleiterin als tragfä-hig erwiesen haben. Schließlich hat sie den Nachlass verwaltet unddie Haushaltsauflösung vorgenommen. Gemeinsam mit den anderenHelferinnen hat sie Frau Hansen beerdigt.

Das Spektrum der Tätigkeiten, das in diesem Fall deutlich wird, istsicherlich eine gute Grundlage für die Zukunft, klarer zu definieren,

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wer sich welcher Aufgaben annehmen kann, aber auch die Grenzenzwischen den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen deutlichererkennen zu können, um im Sinne einer multiprofessionellen Aufga-benteilungen zu große Überschneidungen zu verhindern.

Die Abbildung 4.6.1 zeigt die Kontakte der Patientenbegleiterin zuden Mitarbeiterinnen weiterer Dienste in der Begleitung von FrauHansen.

Abbildung 4.6.1: Kontakte der Patientenbegleiterin zu Frau Hansen undden Mitarbeiterinnen anderer Dienste

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

weitere Mitarbeiterinnen

Sozialpsychiatrischer Dienst

Seniorentreff

Fußpflegerin

Schwester Yvonne

1. Haushaltshilfe

Dr. Heimann

bezirkliche Altenhilfe

Frau Johann

Einsatzleiterin Pflegedienst

Frau Hansen

telefonisch persönlich

Bei der Betrachtung der Kontakte der Patientenbegleiterin wird einerheblicher Anteil an Koordination und Management in der patien-tenbezogenen Tätigkeit deutlich. Koordinations-Aufgaben werdenvielfach telefonisch ausgeführt (Einsatzleiterin des Pflegedienstes,bezirkliche Altenhilfe). Die Kontakte mit den Mitarbeiterinnen, dieFrau Hansen direkt versorgen, sind dagegen überwiegend persönlich(Frau Johann, Dr. Heimann, Schwester Yvonne). In dieser Darstel-lung sind allerdings auch Überschneidungen enthalten, z. B. die Tref-fen mit Frau Johann und Frau Hansen in Frau Hansens Wohnung.Die direkten Kontakte mit Frau Hansen selbst machen nur etwa einDrittel aller Kontakte aus. Diese Verteilung entspricht der Verteilungder Kontakte bei anderen Patienten.

Die Bandbreite der Tätigkeiten und Aufgaben ist auf Grund der sehrindividuellen Anliegen und Bedarfe der Patienten erheblich umfas-

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sender und im Einzelfall ganz unterschiedlich. Der folgende Ab-schnitte soll darüber Aufschluss geben.

4.6.2 Tätigkeiten der Patientenbegleiterinnen bei den PAGT-Patienten

Neben den durch ein Forschungsprojekt bedingten Aufgaben, d. h.Austausch mit den Forschern, Konzeptdiskussion, Beiratssitzungen,Projektberichte etc. und einer sehr umfangreichen Dokumentations-arbeit stand im Zentrum der Tätigkeiten der Patientenbegleiterin dieArbeit mit Patienten und ihren Angehörigen, und zwar vor allemim Rahmen von Hausbesuchen, aber auch Krankenhausbesuchenund Telefonsprechstunden sowie Kontakte mit anderen Diensten imZusammenhang mit der Begleitung einzelner Patienten.

Das von den Patientenbegleiterinnen in den Interviews geschilderteSpektrum der Tätigkeiten beginnt mit dem Gewinnen eines Über-blicks über die Situation der zu begleitenden Patienten. Gleich zuAnfang erarbeitete eine der beiden Patientenbegleiterinnen eine Art„Checkliste”, welche die verschiedenen „[…] Bereiche, die die Ganz-heitlichkeit der Pflege ausweisen […]” beinhaltete, „[…] nicht nurdiese finanziellen und materiellen Dinge, sondern wirklich auch Be-reiche bis hin zu Freizeitaktivitäten, Ernährungsberatung. Das ist sovielschichtig, dass man wirklich - wenn man so eine Übersicht nichthat - vieles gar nicht berücksichtigt.” Weitere erste Tätigkeiten lagenim Verschaffen eines Überblicks über die jeweilige Region, in Außen-kontakten mit den an der Versorgung beteiligten Diensten, in Haus-besuchen bei den Patienten, in der Durchführung der Erst-Assessments und dem fortlaufenden Führen der Patientendoku-mentation.

Teilweise schlechte Erfahrungen machten die Patientenbegleiterin-nen hinsichtlich der generellen Bereitschaft der älteren Menschen,Hilfe anzunehmen. Sie sahen sich vor die Aufgabe gestellt, ein Ver-trauensverhältnis zu den Patienten zu entwickeln und Barrieren undWiderstände zu überwinden, welche die Annahme von Hilfsangebo-ten verhinderten. Eine Erklärung hierzu lautet: „Weil nämlich beiVielen auch so im Hinterkopf steckt, Hilfe kostet Geld, und ich brau-che ja keine Hilfe, ich habe immer mein Leben allein gestaltet. Ichdenke, oft kommt man erst in mehreren Gesprächen auf den Kernder Sache […] Patientenbegleitung ist meiner Meinung nach aucheine Arbeit, die sehr viel Geduld erfordert.”

Die Patientenbegleiterinnen berichteten von sehr unterschiedlichenErfahrungen hinsichtlich der ersten Kontakte mit Mitarbeiterinnen

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anderer Dienste. Auf Grund einer guten Öffentlichkeitsarbeit, zahl-reicher persönlicher Kontakte der Koordinatorin und des mittlerweilehohen Bekanntheitsgrades des Projektes und der Arbeit der Teamsstießen die Patientenbegleiterinnen teilweise auf eine sehr aufge-schlossene und positive Resonanz von Vertreterinnen andererDienste. Diese ließen ein hohes Interesse an gleichberechtigterArbeit und abgestimmten Aktivitäten erkennen. Dem standen jedochauch sehr reservierte und distanzierte Reaktionen gegenüber, diezum Teil erkennen ließen, dass in einer Zusammenarbeit noch keinNutzen gesehen wurde. Hier spielten ein fehlendes Verständnis derRolle der Patientenbegleiterinnen sowie Konkurrenzängste „[…] inRichtung Kontrolle […]” und damit verbunden eine geringe Akzep-tanz der Projektmitarbeiterinnen eine nicht unerhebliche Rolle. DieseEindrücke weisen auf die Dringlichkeit der frühzeitigen Informationanderer beteiligter Dienste über die Arbeit und Zielsetzungen desProjektes hin.

Doch wurden auch Unterschiede zwischen den Patientenbegleiterin-nen in den Arbeitsweisen und den anfänglichen Auffassungen ihrerTätigkeiten deutlich. Eine Patientenbegleiterin sah einen Schwer-punkt ihrer Arbeit in Aktivitäten in der Region und im Kontakt mitanderen Gesundheits- und Sozialdiensten: Sie sagte, „[…] dass indiesem Bereich persönliche Kontakte ganz wichtig sind” und es „[…]schon interessant für eine Patientenbegleiterin [sei] zu wissen, wieist die Abstimmung da, wie ist das Klima und wie sind die Struktu-ren.” Der Schwerpunkt der anderen Patientenbegleiterin lag wenigerin der Region und auf der Ebene der beteiligten Dienste; ihrer Auf-fassung nach ist „[…] Patientenbegleitung […] mehr Arbeit mit Pati-enten und nicht so sehr mit den Dienststellen”. Das Wesentlicheeiner guten Patientenbegleitung sieht sie in der Nähe zu den Patien-ten und den Angehörigen sowie einer intensiven Hausbesuchstätig-keit. Diese Unterschiede zeigen sich auch besonders deutlich in derHäufigkeit der gezielten Kontakte der Patientenbegleiterinnen zuMitarbeiterinnen des Netzwerkes (Abschnitt .

Als besonders defizitär bezüglich der Versorgung der Patientenwurden nach den ersten Eindrücken der Patientenbegleiterinnen dieDeckung des Bedarfs an Pflege durch die Pflegedienste genannt.Insbesondere Diskontinuitäten in der pflegerischen Versorgung wur-den mehrfach von den betroffenen Patienten beklagt. Häufig wurdendie Unpünktlichkeit und der häufige Personalwechsel kritisiert, v. a.wenn eine weiblich Pflegekraft durch eine männlich ersetzt wurdeund umgekehrt. Solche Beschwerden führten dazu, dass sich diePatientenbegleiterinnen mit den entsprechenden Pflegediensten in

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Verbindung setzten, um diese auf die Probleme in der häuslichenVersorgung aufmerksam zu machen. Vielfach bewirkte bereits dieseerste Rückmeldung eine positive Veränderung. Parallel dazu passtendie Hausärzte ihre Verordnungen den rückgemeldeten Bedarfen an,so dass die Pflegedienste auch die entsprechende Grundlage fürihre Leistungen erhielten. Oftmals waren es gerade die „wichtigenKleinigkeiten” wie beispielsweise die Verabreichung von Medika-menten oder auch das Kleinschneiden von Nahrung bei pflegebe-dürftigen Personen. Hier mussten die Patientenbegleiterinnen zwi-schen den Erwartungen und Ansprüchen der Hausärzte und denender Pflegedienste vermitteln. Aus den AGT-Sitzungsprotokollen gehthervor, dass die Hausärzte es häufig nicht „eingesehen” hätten,solche „Selbstverständlichkeiten” zu verordnen, während die Pflege-dienste solche Verordnungen insbesondere aus betriebswirt-schaftlichen Gründen gefordert hätten.

Zu den von den Patienten beklagten Diskontinuitäten zählten häufigeWechsel von Pflegedienst-Mitarbeiterinnen und Unpünktlichkeiten.Der größere Teil der Pflegedienste, denen solche Beschwerden derPatienten rückgemeldet wurden, konnte die Einsatzplanung denPatientenbedürfnissen anpassen. Bei einigen Diensten wurden dieRückmeldungen jedoch nicht berücksichtigt. In mehreren Fällenwechselten die Patienten dann die Pflegedienste.

Zusätzliche strukturelle Defizite sahen die Patientenbegleiterinnen inden Bereichen „betreutes Wohnen”, „altengerechte Wohnungen”,„soziale Kontakte und Freizeitgestaltung” und „Tages- oder Kurzzeit-pflege”.

Die Abbildungen 4.6.2 und 4.6.3 geben eine Übersicht über die An-teile und Entwicklung der Tätigkeiten der Patientenbegleiterinnen aufder Grundlage der Tagebücher – hier beispielhaft für die Region A.Die Tagebücher geben patientenbezogene Aktivitäten nur zusam-mengefasst als „Patientenkontakte” und „Erledigungen (für die Pati-enten)” wieder. Alle anderen dort aufgeführten Tätigkeiten haben kei-nen direkten Patienten-Bezug, sie zeigen nur die zusätzlichen undexpliziten Aktivitäten auf - i. d. R. Tätigkeiten im Netzwerk wie Öf-fentlichkeitsarbeit, Weiterbildung, allgemeine Koordination oderTeilnahme an Arbeitskreisen. In den Angaben zu den Häufigkeitender Kontakte sind telefonische Aktivitäten nicht enthalten. In derAbbildung 4.6.2 sind die Häufigkeiten der Arbeitsaktivitäten der Pati-entenbegleiterin pro Quartal erfasst. Die Grafik gibt keine Auskunftüber die zeitlichen Anteile.

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Abbildung 4.6.2: Häufigkeiten der Arbeitsaktivitäten pro Quartal (Patien-tenbegleiterin in Region A)

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140

I. 96

IV. 93

III. 95

II. 95

I. 95

IV. 94

III. 94

II. 94

I. 94

IV. 93

III. 93

II. 93

I. 93 Arbeit im NetzwerkMitarbeiter-QualifizierungTätigkeiten in der HausarztpraxisProjektsitzungenKontakte mit anderen EinrichtungenPatientenkontakte und Erledigungen

„Patientenkontakte und Erledigungen” stellen hier Hausbesuche undeinzelne Behördengänge oder Besorgungen dar. „Tätigkeiten in derHausarztpraxis” sind neben den Teamsitzungen auch die kurzenBesuche zwecks Informationsaustausch oder kurzfristige Planungen(„Tür-und-Angel-Gespräche”). „Kontakte mit anderen Einrichtungen”sind Informations- und Planungsgespräche mit Mitarbeiterinnenanderer Dienste wie beispielsweise ambulante Pflegedienste, be-zirkliche Altenhilfe, Stationsärzte von Krankenhäusern oder Reha-Kliniken, sozialer Dienst der Krankenhäuser, Betreiber von Wohn-anlagen oder -stiften usw. „Projekt-Sitzungen” bezeichnen die inter-nen Fachgespräche und den Austausch zwischen Praxis und For-

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schung. „Mitarbeiterinnen-Qualifizierung” bedeutet die Teilnahme anFachberatungen, Fachtagungen und Supervision. „Arbeit im Netz-werk” meint die Teilnahme an Arbeitskreisen oder Öffent-lichkeitsarbeit.

Deutlich sichtbar ist der Zuwachs der unmittelbar patientenbezoge-nen Aktivitäten im Verlauf der Patientenbegleitung. Der Rückgangdieser Aktivitäten am Ende ist durch das Auslaufen des Projektesbegründet, da erstens keine weiteren Patienten mehr in die Be-gleitung aufgenommen wurden und zweitens der Abschied von denbegleiteten Patienten rechtzeitig und vorsichtig erfolgen musste, umeine mögliche Dekompensation noch auffangen zu können.

Die Abbildung 4.6.2 zeigt einen gleichmäßigen Anstieg der Patien-tenkontakte und Erledigungen für die Patienten sowie ein entspre-chendes Absinken zum Projekt-Ende. Der Verlauf verdeutlicht einennicht unerheblichen Zeitraum, der benötigt wird, um das Modellvor-haben zur Entfaltung zu bringen. Neben der Vorbereitungszeit undder Implementierung des Screenings in den Arztpraxen benötigteauch das Auswahl- und Vermittlungsverfahren sowie die Kontaktauf-nahme der Patientenbegleiterin zu den Patienten mehr als ein Jahr,bis die Patientenkontakte und Erledigungen ein ungefähr gleichblei-bendes Maß von ca. 110 bis 120 pro Quartal, bzw. etwa 40 pro Mo-nat erreicht hatten. Zusätzliche Zeit wurde in der Vorlaufphase in denProjekt-Sitzungen für die Abstimmungsprozesse zwischen Praxisund Forschung benötigt, die die Projektentfaltung zwar noch einmalverzögert haben, aber für die Vorbereitung der Durchführung unab-dingbar waren.

Die Abbildung 4.6.3 gibt die prozentualen Anteile der Aktivitäten derPatientenbegleiterin in Region A über die gesamte Projektlaufzeitwieder. Es handelt sich auch hierbei um reine Häufigkeiten, die nichtdie aufgewendete Zeit widerspiegeln.

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Abbildung 4.6.3: Anteile der Aktivitäten der Patientenbegleiterinnen inRegion A

Kontakte mit anderen

Einrichtungen17%

Mitarbeiter-Qualifizierung

6%

Patientenkontakte und Erledigungen

55%

Projektsitzungen11%

Tätigkeiten in der Hausarztpraxis

9%

Arbeit im Netzwerk2%

In der Abbildung 4.6.3 ist die Projektentwicklung mit der darausresultierenden Verschiebung der Anteile nicht zu erkennen. Im Laufeder Zeit reduzierten sich die Anteile „Projektsitzungen” und Mitar-beiterinnen-Qualifizierung zu Gunsten der anderen Anteile. Wird nurdas Jahr 1995 zu Grunde gelegt, also der Zeitraum, in dem dasProjekt seine Implementationsphase bereits abgeschlossen hatteund noch keine Vorbereitungen in Hinblick auf das Projektende ge-troffen wurden, liegt der Anteil der reinen Patientenkontakte undindividuellen Erledigungen für die Patienten je nach Quartal zwi-schen ca. 60 % und 75 %. In ähnlicher Weise nehmen auch dieKontakte mit anderen Einrichtungen insgesamt zu, spiegeln alsoeinen weitgehend direkten Bezug zur patientenbezogenen Arbeitwider. Diese beiden Aktivitäten zusammengefasst machten im Jahr1995 in ihren Häufigkeitsanteilen etwa 80 % aus, wobei sich kaumSchwankungen zwischen den Quartalen zeigten. Demzufolge zeich-net sich Patientenbegleitung in ihrer Ausführung durch einen sehrhohen praktischen Patientenbezug aus, d. h. der weitaus größte Teilder Arbeitskraft einer Patientenbegleiterin wird für die individuellenPatientenbelange genutzt.

Die Patientennähe drückte sich insbesondere in der Hausbesuchs-tätigkeit der Patientenbegleiterinnen aus. Sie hat sich als sinnvollund notwendig erwiesen und bestätigt die Erfahrungen anderer Pro-

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jekte, die immer wieder die Notwendigkeit aufsuchender Arbeit beihilfebedürftigen alten Menschen betonen (vgl. z. B. Karl 1990). Nurdadurch war es auch möglich, die Angehörigen intensiv einzubezie-hen. Einige der Patienten selbst bestätigen in den Interviews, dasssie nicht nur Probleme bei der Suche von Angeboten bzw. mit demAufsuchen von Anbietern hatten, sondern sich auch nicht vorstellenkonnten, dieses von sich aus zu tun.

Eine besondere Bedeutung der aufsuchenden Arbeit und insbe-sondere der Hausbesuche liegt in der damit verbundenen Möglich-keit, einen umfassenderen Überblick über die Lebenssituation deralten Menschen zu erhalten, um darauf aufbauend angemesseneund zweckvolle Unterstützung geben zu können. Durch ihren Ein-blick in die häusliche Umgebung der begleiteten Patienten konntendie Patientenbegleiterinnen Vorschläge zu Wohnraumanpassungenmachen, um Gefahrenquellen zu entschärfen. Diese Einschätzungenzu erforderlichen präventiven Maßnahmen wurden im AGT bespro-chen und führten ggf. zu Verordnungen durch die Hausärzte. InZusammenarbeit mit Sanitätshäusern, Ergotherapeuten und Kran-kengymnasten wurden altengerechte Umgestaltungen der Wohnun-gen vorgenommen. So konnten Haltegriffe in den Badezimmernangebracht, Badewannenlifter installiert und in einem Einzelfall sogarein Treppensteiger zur Entlastung des pflegenden Ehemannes be-schafft werden. Die genauen Anpassungen wurden nicht von denPatientenbegleiterinnen selbst geplant und durchgeführt, sondernmeist von den oben genannten Mitarbeitern, die bei vorliegendemBedarf zuvor von den Patientenbegleiterinnen angesprochen und umeinen Hausbesuch gebeten wurden. Als weitere Hilfsmittel wurdenRollatoren, Rollstühle, Toilettenstühle oder Pflegebetten vermittelt.Vergleichbare weitere Maßnahmen, die die Patientenbegleiterinnendurchführten, waren die Beseitigung anderer Stolperfallen wie Tele-fonkabel oder Türschwellen.

Nach Angaben der Patientenbegleiterinnen löste bereits das An-sprechen von möglichen Veränderungen in der häuslichen Umge-bung bei einigen Patienten Verunsicherung oder Ängste aus. Z. B.auf einen lieb gewonnenen Teppich oder eine Brücke zu verzichten,weil sie die Sturzgefahr erhöhen, fiel vielen Patienten schwer, zumalsie häufig keine Gefährdung für sich verspürten. In einem Fall gab esein „zähes Ringen” um die Entfernung von Teppichen, bis die Pati-entenbegleiterin nach dem dritten Sturz der alten Frau endlich errei-chen konnte, dass diese die Teppiche entfernen ließ. I. d. R. warenbesonders in Fragen der Wohnraumanpassung begleitende psycho-logische Gespräche erforderlich. Ein häufiges Thema in der Bera-

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tung war die Förderung eines Problembewusstseins der Patientenhinsichtlich ihrer Situation. Nicht selten beobachteten die Patienten-begleiterinnen eine Selbstüberschätzung der Patienten in ihren Fä-higkeiten und Fertigkeiten. In sensiblen Gesprächen versuchten siebei den Patienten die Akzeptanz für die mit steigendem Alter zu-nehmenden Einschränkungen sowie die Akzeptanz für denGebrauch von Hilfsmitteln oder für die Annahme personeller Hilfenzu erhöhen.

Das Zusammenspiel zwischen Patientenbegleiterin und Hausarzterwies sich für die Annahme und Akzeptanz der Hilfen als förderlich,da sich beide in ihrer Argumentation, die in den AGT-Sitzungenabgesprochen wurde, aufeinander beziehen konnten. Vermutlicherreichten sie dadurch eine höhere Überzeugungskraft und erzieltenein größeres Vertrauen in die Richtigkeit der empfohlenen Maßnah-me. Auf diese Weise konnte beispielsweise der pflegende Ehemanneiner beidseitig beinamputierten Patientin durch zusätzliche haus-ärztliche Gespräche trotz seiner Skepsis den Versuch wagen, seineEhefrau einem Treppensteiger anzuvertrauen. Zuvor hatte der 72-jährige Mann seine Frau immer die Treppe herauf und heruntergetragen, obwohl er bereits unter massiven Rückenproblemen litt -an manchen Tagen bis zur Bewegungsunfähigkeit (siehe auch Mar-ben & Kofahl 1997).

Die angebotene tägliche telefonische Sprechstunde der Patien-tenbegleiterinnen wurde von den von ihnen begleiteten Patientenund ihren Angehörigen im Vergleich zum ersten Projektjahr 1993zunehmend häufiger genutzt. Inhalte der Telefonate waren haupt-sächlich:

• akuter Betreuungsbedarf

• Vereinbarung von Hausbesuchsterminen

• Information, Beratung und Unterstützung durch die Patienten-begleiterinnen bei Problemen im Familienkreis bzw. bei Proble-men mit Ämtern und Einrichtungen

• „Strohhalmfunktion” bei Missgeschicken (z. B. Schlüssel verlegt)

• Kontaktmöglichkeiten, z. B. Vermittlung von Altentagesstätten,Seniorencafés etc.

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Zusammengefasst waren die folgenden Aspekte die wesentlichenGesprächsinhalte der Hausbesuche und Telefonate mit den Pati-enten und deren Angehörigen:

• Beratung und Information: z. B. hinsichtlich der Aufnahme vonneuen Kontakten, der Kontaktvermittlung zwischen Patienten, denMöglichkeiten der finanziellen Unterstützung, der Abwägung vonHeimaufenthalten und der Prüfung von Motivation und Alter-nativen

• präventive Gespräche: z. B. im Hinblick auf einen möglichenspäteren Versorgungsbedarf der Patienten (Pflege, Zivildienst-leistende, Hilfsmittel) und der damit häufig notwendigen rechtzei-tigen Unterstützung der Angehörigen

• Hilfe bei Verwaltungs-, rechtlichen und Behördenangelegen-heiten: z. B. bei der Regelung von Überweisungen, bei Voll-machten für Angehörige, Betreuungsverfahren, Pflegeversiche-rung

• Unterstützung bei Antragstellung: z. B. Beantragung, Verlänge-rung oder Änderung von Schwerbehinderten-Ausweisen, Rund-funk- und Fernsehgebührenbefreiung, Beantragung verbilligterTelefongebühren, Anträgen auf Pflege- oder Wohngeld

• Konflikte zwischen Familienmitgliedern, die zumeist auf Grundeiner unterschiedlichen Einschätzung der Situation des Patientenund der Betreuungsmöglichkeiten und -wünsche entstanden

Über die genannten Gesprächsinhalte von Hausbesuchen und Te-lefonaten hinaus nahmen Aspekte der psychischen Befindlichkeit derPatienten großen Raum ein. Die in diesem Rahmen geführten Ge-spräche umfassten überwiegend Sinnfindung, Bewältigung des Al-terns, Bewältigung von Verlusten und Auseinandersetzung mit Ster-ben und Tod.

In Erweiterung des geplanten Begleitungskonzeptes wurde in allendrei Hausarztpraxen eine Sprechstunde in der Praxis als Angebotfür alle über 65-jährigen eingeführt, um auch diejenigen Patienten zuerreichen, welche nicht anhand des Screening-Verfahrens als PAGT-Patienten ausgewählt wurden, aber trotzdem einen Gesprächs- oderInformationsbedarf aufwiesen. Auf Grund der Nähe zum Hausarztund dessen Empfehlung ermöglichte eine so herabgesetzte Zu-

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gangsschwelle einen stärker präventiven Ansatz im Rahmen dieserSprechstunde.

Wegen einer sehr geringen Resonanz bei den Patienten kam dieSprechstunde in den beiden Arztpraxen der Region A jedoch kaumzu Stande (insgesamt fanden dort nur drei Sprechstunden statt), -sie wurde schließlich auch auf Grund mangelnder Kapazitäten derPatientenbegleiterin eingestellt. In der anderen Arztpraxis konntedieses Angebot zu einem festen Bestandteil der Arbeit werden. Indieser Praxis fanden insgesamt 50 Sprechstunden der Patienten-begleiterin statt. Für nicht begleitete Patienten wurden die Terminejeweils durch den Arzt vermittelt. PAGT-Patienten kamen entwedernach Absprache mit der Patientenbegleiterin oder spontan in diePraxis-Sprechstunde. Für sie oder deren Partner bot die angeboteneSprechstunde die sonst eher seltene Möglichkeit, sich in Abwesen-heit vom jeweils Anderen unbefangener äußern zu können.

Die Patientenbegleiterinnen entwickelten unterschiedliche Stile inihrer Dokumentation. Während die Patientenbegleiterin in Region B„ihre” Dokumentation bereits frühzeitig nach den Dimensionenstrukturierte, wie sie auch im Assessment enthalten waren (körperli-che Gesundheit, geistig-seelische Gesundheit, soziale Ressourcen,ökonomische Ressourcen, ADL-Leistungsfähigkeit, Helfer und Hil-fen), wählte die Patientenbegleiterin in Region A ein offenes Vorge-hen. Das offene Dokumentieren führte zwar dazu, dass die Doku-mentationen eine größere Komplexität erfassten und mehr In-formationen enthielten, dafür waren sie aber auch länger und zeit-aufwendiger und führten schließlich wegen zeitlicher Überlastung derPatientenbegleiterin zu Lücken in der Dokumentation. Die kurze undstrukturierte Erfassung war mit ein Grund, warum der Arzt in RegionB die Berichte gelesen hat, während dies bei den Ärzten in Regionnicht der Fall war.

Eine quantitative Bewertung der patientenbezogenen Maßnahmenund Tätigkeiten ist auf Grundlage dieser Daten nur eingeschränktmöglich. Trotz intensiver Bemühungen konnte die Patientenbegleite-rin in Region A nach Beendigung des Projektes ihre Feldnotizen, diesie in Form von Memos arbeitsbegleitend angefertigt hatte, nichtmehr in das Dokumentationssystem überführen. Die Fülle des Da-tenmaterials war zu umfangreich geworden. Dieses Problem gibtwichtige Hinweise auf die Entwicklung angemessener Dokumentati-onssysteme, die einerseits eine gute Transparenz sichern, anderer-seits aber nicht zu arbeitsaufwendig sind. Auch wenn ein standardi-siertes Dokumentationssystem klare Restriktionen hinsichtlich der

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Gewinnung neuer Erkenntnisse oder bislang unbekannter Phänome-ne – wie sie durch ein Forschungsvorhaben angestrebt werden - mitsich bringt, ist aus heutiger Sicht eine Standardisierung für ein ähnli-ches Vorhaben dringend anzuraten.

Ein wesentlicher Aspekt der patientenbegleitenden Arbeit war derAufbau einer Kommunikationsstruktur unter den Mitarbeiterinnender jeweiligen Region auf der Basis der Bedarfe und der Belange derjeweils begleiteten Patienten. Dazu brachten die Patientenbegleite-rinnen ein hohes Maß an Eigeninitiative auf. Zwar erhöhte sich derKommunikationsfluss von anderen Versorgerinnen zurück an diePatientenbegleiterinnen im Laufe des Projektes, dennoch haben diePatientenbegleiterinnen insgesamt ca. 80 % aller Kontakte auf ei-gene Initiative hergestellt, wie die Abbildung 4.6.4 - wieder beispiel-haft für die Region A - zeigt.

Abbildung 4.6.4: Kontaktherstellung in der Region A (Praxis 1)

Kontaktaufnahme der Patientenbegleiterin zu Patienten und anderen

Diensten83%

Kontaktaufnahme der anderen

Dienste zur Patientenbegleiterin

10%Kontaktaufnahme der

Patienten zur Patientenbegleiterin

7%

Nicht nur andere Dienste oder Angehörige stellen selten von sichaus den Kontakt zur Patientenbegleiterin her, sondern auch die Pati-enten selbst. Es gibt drei Erklärungen für diesen eher einseitigenKommunikationsfluss. Erstens verbirgt sich hier ein hoher Anteil anTerminabsprachen und Rückversicherung der Termine durch diePatientenbegleiterinnen. Zweitens haben die Patientenbegleiterinnen- ausgehend von der Lebenssituation und den Bedarfen der begleite-ten Patienten - Informationen von Dritten eingeholt oder diesen wei-tergegeben oder Leistungen an die Patienten vermittelt. Drittens

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handelt es sich bei den Angaben nur um Durchschnittswerte über diegesamte Projektlaufzeit, d. h. die darin enthaltene Entwicklung -nämlich der von den PAGT-Mitarbeiterinnen beobachtete Zuwachsan wechselseitiger Kommunikation - wird nicht abgebildet. Die Pati-entenbegleiterin der Region A verzeichnete aber im Rahmen derHinzunahme der Praxis 3 einen wesentlichen Fortschritt in der Ver-netzung der Dienste und in der Kommunikation. Der beschriebeneVerlauf der Begleitung von Frau Hansen ist ein Beleg für die Zu-nahme wechselseitiger Kommunikation.

Die meisten der alten Menschen, die begleitet wurden, und ihreAngehörigen haben sich häufig darauf eingestellt, dass die Patien-tenbegleiterin sich bei ihnen meldet. „Angerufen hab' ich nicht, siekam von sich aus.” (begleitete Patientin) Wichtig war vielen schonallein die Möglichkeit, sich bei der Patientenbegleiterin melden zukönnen, wenn ein akuter Anlass gegeben war. „Das Angebot vonFrau K., bei Bedarf anzurufen, das hat mir gereicht,” sagte dieTochter einer begleiteten Patientin. Ähnlich auch ein älteres Paar:„Es reichte uns, sie anrufen zu können.”

Den Patientenbegleiterinnen war es darüber hinaus wichtig, Maß-nahmen, die sie für notwendig erachtet oder die sie mit den Patien-ten vereinbart hatten, möglichst schnell umzusetzen. Auch deshalbging die Herstellung der Kontakte überwiegend von ihnen aus. Dassdie Patientenbegleiterinnen ihre Vorhaben schnell umsetzten, bele-gen die Aussagen der Patienten in den Interviews:

„Nein, das muss ich sagen, da konnte man sich drauf verlassen,Frau K. hatte das in der Hand. Da hat das auch gestimmt. Undschnell.” (Ehefrau eines begleiteten Paares)

Auch die Mitarbeiterinnen der Pflegedienste sprechen von einerschnellen Umsetzung der geplanten Maßnahmen:

„Und für mich noch ein persönlicher Gewinn ist, dass ich ent-lastet worden bin. Angehörigengespräche und Patientengesprä-che sind mir vom Schreibtisch genommen worden. Frau K. kamhäufig schneller rein, als ich sie bearbeiten konnte.” (Mitarbeite-rin eines Pflegedienstes)

Insbesondere die Patientenbegleiterin in der Region A hat eine Viel-zahl von Kontakten zu den bestehenden Einrichtungen der Regionhergestellt und gepflegt. Hilfreich dabei war ihre gute Kenntnis derRegion, da sie seit vielen Jahren selbst dort wohnt. In ihre Arbeitsind in einem hohen Maße Aufgaben eingeflossen, die eher dem

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Care Management zuzuordnen sind. Die Patientenbegleiterin warbereits nach sehr kurzer Zeit den Diensten in der Region bekannt, sodass sich die Interaktionen zwischen Patientenbegleiterin und denDiensten schnell in wechselseitige Richtung entwickelten. Das heißt,dass die Patientenbegleiterin die Dienste nach einiger Zeit nicht nuraus eigener Initiative aufsuchen oder ansprechen musste, sonderndass die Dienste sich auch direkt an die Patientenbegleiterin wand-ten, um Fragen zur gemeinsamen Betreuung der Patienten zu klärenund sich im Vorgehen abzusprechen. Allerdings bewegt sich dieseEntwicklung - wie bereits oben dargestellt - nur in einem kleinen Pro-zentbereich. Dennoch hat sich die Vernetzung und die Kooperationin der Region nachhaltig entwickelt.

Die Abbildung 4.6.6 zeigt die Kontakte mit anderen Diensten derRegion für die Patientenbegleiterinnen der Region A.

Abbildung 4.6.6: Persönliche Kontakte zwischen der Patientenbegleite-rin der Region A und Einrichtungen des Netzwerkes

Freizeit undKontakte

25%

Altenwohnanlagen9%

Heime8%Information und

Beratung13%

Ambulante sozial-pflegerischeVersorgung

32%

Mobile Dienste3%

TeilstationäreVersorgung

1%

Krankenhäuser8%

AmbulantemedizinischeVersorgung

1% ΣΣΣΣ aller Kontakte, n = 268

Unter die angegebenen Dienste und Institutionen fallen im Einzel-nen:

• Freizeit und Kontakte: Altentagesstätten, Altenkreise, Treffpunktefür jung und alt, Seniorenakademie

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• Altenwohnanlagen, Wohnstifte, Seniorenwohnanlagen, BetreutesWohnen

• Heime: Staatliche Pflegeheime, Alten- und Pflegeheime, Blinden-heime

• Information und Beratung: Sozialamt und weitere Behörden, Be-ratungsstellen, Verbände

• Ambulante medizinische Versorgung: Fachärzte, Ergotherapeu-ten, Krankengymnasten, Logopäden, Physiotherapeuten

• Ambulante sozialpflegerische Versorgung: Sozialstationen, Pfle-gedienste

• Teilstationäre Versorgung: Tageskliniken, Kurzzeitpflege, Tages-klinische Angebote

• Mobile Dienste: Fußpflege, Haarpflege, Essen auf Rädern, Trans-port-, Begleitungs- und Hausnotrufdienste

• Krankenhäuser: Akutmedizinische Versorgung, geriatrische undgerontopsychiatrische Versorgung

Die Teilnahme an Arbeitskreisen ist in der Darstellung der persönli-chen Kontakte mit anderen Diensten nicht enthalten. Die Häu-figkeiten der persönlichen Kontakte mit Mitarbeiterinnen der angege-benen Institutionen sind hier nur die nicht-patientenbezogenen Kon-takte. Die Patientenbegleiterinnen haben nur die expliziten Kontaktemit Mitarbeiterinnen der Einrichtungen in ihren Tagebüchern doku-mentiert, nicht aber die kurzen Gespräche, die sich im Rahmen ihrerTätigkeit ergeben haben. Z. B. haben sie die Patienten auch imKrankenhaus besucht und dabei Gespräche mit dem Stationsper-sonal geführt. Solche Besuche sind aber in den Tagebüchern nichtaufgeführt. So hat die Patientenbegleiterin der Region B insgesamt43 mal verschiedene Krankenhäuser aufgesucht, um mit den Pati-enten und dem Stationspersonal bzw. dem Sozialdienst der Kran-kenhäuser zu sprechen und das weitere Vorgehen zu planen. Inihrem Tagebuch sind aber nur drei Krankenhausbesuche dokumen-tiert.

Die bisherigen Ausführungen zu den Tätigkeiten der Patienten-begleiterinnen machen die Komplexität und die damit verbundenenAnforderungen deutlich. Insbesondere im ersten Projekt-Jahr nah-

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men deshalb die Patientenbegleiterinnen vielfach an Fort- und Wei-terbildungsmaßnahmen teil. Für beide Regionen ist bei den Patien-tenbegleiterinnen eine Abnahme der konzeptionellen Arbeit und derWeiter-Qualifizierung zu Gunsten der rein praktischen patientenbe-zogenen Tätigkeiten zu verzeichnen. Die Veränderung der Relationzwischen Fort- und Weiterbildung und praktischer Arbeit ist aberauch durch die steigende Anzahl als Risikopatienten identifizierterPatienten begründet, die natürlich maßgeblich die zeitlichen Kapa-zitäten beeinflussten.

Fortbildungsbedarfe wurden von den Patientenbegleiterinnen vorallen Dingen in den Bereichen Gerontopsychiatrie (besonders De-menz und Depression), Qualitätssicherung, rechtlichen Fragen(Betreuungsrecht und Pflegeversicherung) sowie der Sucht-problematik (Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit) gesehen undentsprechende Angebote wahrgenommen. Diese Bereiche stehen indirektem Bezug zu Problemen der von ihnen betreuten Patienten.Die im Rahmen der Fortbildung gewonnenen Erkenntnisse konntenso direkt in die Praxis umgesetzt werden.

Supervision, Fachberatung und Fortbildung der Patientenbegleiterin-nen in der Region A sind in der Abbildung 4.6.5 zusammengefasstwiedergegeben.

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Abbildung 4.6.5: Weiterqualifizierung der Patientenbegleiterinnen in derRegion A

0 2 4 6 8 10 12 14

I. 96

IV. 93

III. 95

II. 95

I. 95

IV. 94

III. 94

II. 94

I. 94

IV. 93

III. 93

II. 93

I. 93

Fachberatung Fortbildung Supervision

Die Patientenbegleiterinnen haben an den meisten Maßnahmen -außer der Supervision - jeweils gemeinsam teilgenommen.

Die beiden Nachfolgerinnen (Kapitel 1) hatten auf Grund ihrer alten-pflegerischen Aus- und Vorbildung einen deutlich niedrigeren Fortbil-dungsbedarf, was sich in der Abbildung 4.6.5 ab 1994 widerspiegelt.Offene sozialrechtliche Fragen oder behördliche Belange klärtendiese mit der Koordinatorin in den AGT-Sitzungen oder in der pro-jektspezifischen Fachberatung. Dort wurden vorrangig folgendeThemen behandelt:

• Erarbeitung eines gemeinsamen Grundverständnisses des Kon-zeptes der Patientenbegleitung

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• Informations- und Beratungsbedarf der Patientenbegleiterinnen(z. B. Depression, Tod und Sterben)

• Verhalten bei Ablehnung des Kontaktes durch die Patienten

• Datenschutzrechtliche Bestimmungen

• Probleme in der Zusammenarbeit innerhalb der AGTs

• Probleme in der Kooperation mit Pflegekräften

• Probleme der Pflegeplanung

• Pflege- und Behandlungsmittel

• Leistungsansprüche der Patienten

Die Fachberatung lief praxisbegleitend und weitgehend regelmäßigüber die gesamte Projektlaufzeit.

Das Angebot der Supervision wurde sehr unterschiedlich in An-spruch genommen. Die Patientenbegleiterin in Region B verspürtefür sich selbst keinen Supervisionsbedarf. Die Patientenbegleiterin inRegion A sah zwar Bedarf, jedoch zunächst keine Zeit für Supervisi-on. Sie nutzte erst in der Auslaufphase des Projektes Supervisionzur persönlichen Klärung ihrer Erlebnisse und Erfahrungen aus derPatientenbegleitung. Allerdings wurde der Bedarf nach expliziterSupervision zum Teil bereits durch die Fachberatungen aufgefangen.Aus den Interviews mit den Fachberatern geht an mehreren Stellendeutlich hervor, dass die Fachberatungen häufig die Form einerSupervision annahmen.

„Das ist eigentlich eine Mischung aus Fallbesprechung und auch- Supervision ist wahrscheinlich zuviel gesagt - aber ein Versuchauch, den betroffenen Mitarbeitern zu zeigen, wo sie sich zusehr engagieren, wo sie sich überfordern und wo sie das Gutemeinen und das Schlechte bewirken.” (Fachberater 1)

„Es hat für mich schon auch eigentlich einen gewissen Anteil ansupervisorischen Aspekten, nicht im ganzen, aber eben auch.”(Fachberater 2)

Es waren schließlich eher die Fachberater, die versuchten, eineGrenze zwischen fachlicher Beratung und Supervision zu ziehen:

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„Ein Team zu supervidieren, das ist nicht meine Aufgabe. Essollte sich auf Fallbesprechungen und diese fachliche Unterstüt-zung beschränken, nicht mehr.” (Fachberater 1)

„Schwierig ist es, wenn es sich mischt, mal ist es Fachberatung,mal hat es einen Supervisionscharakter. Das müsste eigentlichirgendwie geklärt werden. Das ist das, wo einfach auch Grenzensind für mich.” (Fachberater 2)

In diesem von den Fachberatern beschriebenen Grenzbereich spie-gelt sich ein Bedarf an Supervision sowohl der Patientenbegleiterin-nen als auch der Koordinatorin wider, der nicht in einem eigens dafürvorgesehenen Rahmen genutzt wurde. Angesichts der nun vorlie-genden Erfahrungen aus der Patientenbegleitung, die die hohe Be-deutung der Beratungskompetenz und der Beziehungsarbeit un-terstreichen und angesichts der (potenziell) hohen Belastung imRahmen von Trauerarbeit, Umgang mit Schmerz und Lebenskrisenbis hin zur Sterbebegleitung, erscheint das Angebot der Supervisiondringend geboten. Die Inanspruchnahme eines solchen Angebotessollte gefördert werden.

4.6.3 Zusammenfassung

Die Patientenbegleiterinnen bildeten das Kernelement des Projektes.Ihre Tätigkeiten und Aufgaben wurden zu Projektbeginn nicht detail-liert ausformuliert und festgelegt, da zu wenig an Erfahrungen vorlag.Ein wesentlicher Anspruch ihrer Arbeit lag darin, die an sie vermit-telten Patienten auf ihrem Weg durch die verschiedenen Versor-gungsbereiche zu begleiten, unabhängig davon, ob es sich um dieInanspruchnahme von ambulanten, teilstationären oder stationärenDiensten handelte. Damit wurde einem zentralen Problem in derderzeitigen Versorgungsstruktur - der sogenannten Schnittstellen-problematik - begegnet. Die Orientierung ihrer Arbeit erfolgtegrundsätzlich an den im Konzept formulierten Zielen und Prinzipiendes Projektansatzes und im Sinne des Case Managements. Diesbeinhaltet eine systematische Zusammenarbeit mit allen für dieVersorgung älterer Menschen wichtigen Berufsgruppen und Instituti-onen

Im Zentrum ihrer Tätigkeiten standen die Besuche bei den Patienten,also die aufsuchende Altenarbeit im häuslichen Bereich, bei Bedarfauch in stationären Einrichtungen. Es zeigten sich Unterschiede beiden Patientenbegleiterinnen in der Intensität ihrer Begleitung, in derDauer und in der Kontakthäufigkeit zu den Patienten und zu anderenDiensten im Rahmen einer Begleitung. Auch qualitative Unterschiede

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wie eine überwiegend psychosoziale Beratung und Unterstützunggegenüber einer schwerpunktmäßig koordinierenden und vermitteln-den Tätigkeit lassen sich tendenziell feststellen. Hier zeigen sich diebereits in anderen vergleichbaren Case Management-Projektenbeobachteten Personeneffekte. Allerdings spiegeln sich dabei auchdie unterschiedlichen Rahmenbedingungen wider, unter denen diePatientenbegleiterinnen gearbeitet haben. Dies zeigte sich beson-ders deutlich in der Region A, in der die Patientenbegleiterin durchdie Aufnahme der dritten Arztpraxis in das Modellvorhaben schlagar-tig einen hohen Zuwachs an zu begleitenden Patienten zu verzeich-nen hatte. Dieser Zuwachs zwang sie zeitweilig zur Einnahme einer -wie sie selbst formulierte - „Feuerwehrfunktion”, bis die grundle-genden Bedarfe gedeckt waren.

Patientenbegleitung hat sich als eine Arbeit von außerordentlicherKomplexität erwiesen, die sowohl umfangreiche Kenntnisse ver-schiedener Professionen erfordert als auch persönliche Fähigkeiten.Eine zentrale Bedeutung ist der Kompetenz zur einfühlsamen Ge-sprächsführung beizumessen. Die Fachberatung hat die Patienten-begleiterinnen bei der notwendigen Prioritätensetzung in der alltägli-chen Arbeit und der Qualifizierungsbedarfe unterstützt.

An den wahrgenommenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmenlässt sich ablesen, in welchen Bereichen Weiterqualifizierungsbe-darfe in Ergänzung zur vorhandenen Qualifikation existierten. So-wohl die altenpflegerische als auch die sozialpädagogische Qualifi-kation waren von außerordentlicher Bedeutung und erwiesen sich alsnotwendig, um adäquate Hilfe vermitteln zu können. Ein für die Aus-übung des Case Managements besonders vorteilhafter Primärberufoder eine vorteilhafte Primärausbildung lassen sich anhand derErfahrungen mit den Patientenbegleiterinnen nicht bestimmen. Viel-mehr ist deutlich geworden, dass Case Management im Sinne vonPatientenbegleitung die Mehrfachqualifikation erfordert.

Nach den vorliegenden Projektergebnissen und -erfahrungen werdenneben den allgemeinen altenpflegerischen und sozialpädagogischendie folgenden spezifischen Kenntnisse als besonders wichtig für dieAusübung von Case Management in der Altenhilfe bewertet: Kennt-nisse der regionalen Sozial- und Gesundheitsversorgungsstruktur,Kenntnisse der Hilfsmittel und Möglichkeiten der Wohnraumanpas-sung, Erfahrung in Betreuungsdokumentation und -planung sowieökotrophologische Kenntnisse.

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Zur Ausübung eines effektiven Case Managements bedarf es jedochauch umfassender persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, wieinsbesondere Beratungskompetenz, Durchsetzungsfähigkeit undsoziale Kompetenz, Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit, Fähig-keit zur interdisziplinären Teamarbeit und Abgrenzungsfähigkeit. Umden hohen Ansprüchen an Patientenbegleitung kognitiv und emotio-nal gerecht zu werden, sind kontinuierliche Fortbildung und Supervi-sion unumgänglich.

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4.7 Die Koordinatorin

Die Koordinatorin bildete im Projekt jeweils gemeinsam mit einemHausarzt und einer Patientenbegleiterin das Ambulante Gerontologi-sche Team (AGT). Demzufolge war sie in drei verschiedene Teamsintegriert. Auf eine ausführliche Darstellung ihrer Arbeitsbereiche(vgl. Döhner, Bleich, Kofahl & Lauterberg 1997), die zusammenfas-send als „Care Management“ bezeichnet werden, wird hier verzich-tet, da die Notwendigkeit der Koordinatorenstelle für das Modellvor-haben durch die spezifische Situation in Hamburg bei Projektbeginnbedingt war und in dieser Form nicht für die Regelversorgung emp-fohlen wird. Es gab damals keine stadtteilorientierten Koordinations-stellen, die den Aufgabenbereich des Care Managements abdeck-ten. Auch die vorhandenen Stellen der kommunalen Altenhilfekonnten diesem Anspruch nicht gerecht werden.

Deshalb musste die Stelle der Koordinatorin geschaffen werden, umdie erforderlichen Rahmenbedingungen für den Kern des Projektes,die Patientenbegleitung, zu sichern. In den letzten Jahren wurden inverschiedenen Bundesländern, meistens mit Fördermitteln des Bun-des, Koordinationsstellen aufgebaut und erprobt, so auch in Ham-burg. Ihre Aufgaben, die sich hinsichtlich des Bereiches des CareManagements mit denen der PAGT-Koordinatorin weitgehend de-cken, sind in verschiedenen Berichten beschrieben (ISPO-Institut1995; Döhner, Mutschler & Schmoecker 1996).

Das Tätigkeitsspektrum der Koordinatorin lässt sich in AGT-externe(Abschnitt 4.7.1), AGT-interne (Abschnitt 4.7.2) und forschungsbe-dingte Aufgaben (Abschnitt 4.7.3) untergliedern. WesentlicheGrundlagen für die folgende kurze Darstellung sind das Tagebuchder Koordinatorin, die AGT-Protokolle, Interviews mit den Projekt-Mitarbeiterinnen sowie Interviews und eine Gruppendiskussion mitMitarbeiterinnen von Gesundheits- und Sozialdiensten. WeitereAusgangspunkte stellten projektinterne Sitzungsprotokolle sowieProtokolle der Stadtteil-Arbeitskreise und interne Arbeitspapiere derKoordinatorin dar.

4.7.1 AGT-externe Aufgaben

Eine mangelnde Transparenz der Dienste für ältere Menschen wirdinsbesondere von Ärzten immer wieder als Hindernis für eine guteKooperation und Versorgung im Einzelfall genannt (vgl. Menz 1989;Döhner & Schick 1996). Es war deshalb eine wesentliche Aufgabeder Koordinatorin, differenzierte und für die Unterstützung alter Men-

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schen relevante Informationen über die regionalen und - soweit nötig- auch über die überregionalen Versorgungsangebote zu erfassen,diese systematisch zu dokumentieren und somit durch einen Infor-mationspool einen Überblick über die Versorgungsangeboteherzustellen. Hierzu wurde eine PC-Datenbank aufgebaut, in diekontinuierlich Informationen über die Einrichtungen eingegebenwurden. Die Informationen waren in neun Bereiche zur Gesund-heitsförderung und -versorgung untergliedert, und zwar: Informationund Beratung, Freizeit und Kontakte, selbständiges Wohnen, Heime,ambulante therapeutische Versorgung, ambulante sozialpflegerischeVersorgung, mobile Dienste, teilstationäre pflegerische Versorgungund Krankenhäuser.

Mit Hilfe der kontinuierlich aktualisierten Datenbank konnte insbe-sondere die Quantität der Angebote im Stadtteil und ihre regionaleVerteilung aufgezeigt werden. Ausgehend von dem Konzept derwohnortnahen Versorgung, die für ältere Menschen wegen ihrerabnehmenden Mobilität von ganz besonderer Bedeutung ist, konntendas regionale Angebotsspektrum aufgezeigt und im Zusammenhangmit den u. a. aus den Bedürfnissen der PAGT-Patienten abgeleitetenAngebotsdefiziten Hinweise auf Unter- oder Überversorgung in derAngebotsstruktur des Stadtteils erarbeitet werden (vgl. auch Kutz &Moschner 1993).

Zu einer weiteren Aufgabe der Koordinatorin gehörte die Kontakt-aufnahme und -pflege zu den Versorgungsdiensten in den Regio-nen, um das Projekt vorzustellen. Die Projektvorstellung durch per-sönliche Gespräche in den Einrichtungen, schriftliche Informationen,Vorträge und die Teilnahme an den lokalen Arbeitskreisen dientedem besseren Verständnis der Projektidee und der Förderung derAkzeptanz der neuen Tätigkeitsfelder, um Konkurrenzgedanken vor-zubeugen und die Kooperationsbereitschaft zu fördern. In diesemRahmen konnte die Koordinatorin durch Wissensvermittlung undKontaktaufbau den Gedanken einer besseren Vernetzung derDienste unterstützen. Zugleich wurden bei diesen Gelegenheitenaktuelle Informationen über die Angebote der Einrichtungen einge-holt, um sie in die Datenbank zu den Versorgungsangeboten in denModellregionen zu integrieren. Die aktualisierte Datenbasis war diewesentliche Grundlage für die Erstellung von Wegweisern für dieStadtteile, die sowohl für die professionellen Helfer als Arbeitshilfeals auch zur direkten Information für die Bürger der Stadtteils ge-dacht waren 910 und 10).

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Weiterhin erstellte die Koordinatorin verschiedene Arbeitspapierezum Gesundheitsstrukturgesetz, zu Gesetzestexten aus dem Sozial-gesetzbuch und dem Bundessozialhilfegesetz, die für die Altenhilferelevant sind, sowie zum Betreuungsgesetz und Pflegeversiche-rungsgesetz. Diese Unterlagen dienten den Patientenbegleiterinnenals Arbeitshilfe.

Der zeitliche Einsatz der Koordinatorin entwickelte sich im Projekt-verlauf wie vorgesehen (vgl. Döhner, Bleich, Lauterberg, et al. 1994)hin zu mehr stadtteilorientierten konzeptionellen Aufgaben. Sie leis-tete die Vorarbeiten dafür, dass ihr Aufgabenbereich - im Sinne von„Care Management“ (vgl. King 1990, Wright 1990) - längerfristig, d.h. nach Ablauf des Modells, in einem überschaubaren Bereich zueiner stadtteilorientierten Koordinationsstelle für die Informationund Verknüpfung verschiedener Dienste weiterentwickelt werdenkönnte (Ebel 1990; Döhner 1992; Döhner, Mutschler & Schmoecker1996; Wendt 1996).

4.7.2 AGT-interne Aufgaben

Aus den beschriebenen Recherchen und Übersichten resultierte einewesentliche Arbeitsgrundlage auch für die AGT-internen Aufgabender Koordinatorin. Eine wichtige Funktion der Koordinatorin im AGTwar die Beratung und Information der Patientenbegleiterinnenund der Ärzte hinsichtlich der vorhandenen Versorgungsangebotesowie der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für dieInanspruchnahme von Hilfen. Dieses Wissen konnte zur Hilfe imEinzelfall genutzt werden, diente aber gleichzeitig auch der Aufde-ckung von generellen Defiziten in der Versorgung. Hierbei ergänztedie Koordinatorin in speziellen Fragen das Basiswissen der Patien-tenbegleiterinnen und Ärzte und eröffnete den Zugang zu weiterenfinanziellen oder personellen Ressourcen. Diese Unterstützungs-Aufgaben wurden von der Koordinatorin im Rahmen der AGT-Sit-zungen und in informellen Gesprächen mit den Patientenbe-gleiterinnen wahrgenommen.

Die lokalen Angebote innerhalb der Einzugsgebiete der drei betei-ligten Arztpraxen wurden von der Koordinatorin kartografisch darge-stellt und den Praxen als Stadtteilübersicht zum Aushang zur Ver-fügung gestellt. Dadurch sollten sowohl den Praxismitarbeiterinnenals auch den Patienten und ihren Angehörigen die verschiedenenAngebote in der näheren Umgebung bekannt gemacht werden undeine Kontaktaufnahme zu den Einrichtungen erleichtert werden.

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Weiterhin überprüfte die Koordinatorin bei Engpässen im Versor-gungssystem alternative Angebote und unterstützte die Mitgliederdes AGTs bei der Organisation der Vermittlung und Beschaffung vonHilfen sowie der Koordination im Falle mehrerer Maßnahmen. Ihreexterne Sicht auf die Patienten eröffnete die Möglichkeit der Über-prüfung von Versorgungsalternativen bei möglicherweise sich ein-schleichendem zu routiniertem Vorgehen der Patientenbegleiterin-nen in ihrer Beratung.

Die Kontakte zwischen Hausärzten und Koordinatorin beschränktensich weitgehend auf den Austausch in den Teamsitzungen. Von allenBeteiligten wurde bedauert, dass die Koordinatorin durch ihre Aufga-be als Protokollantin der AGTs sich zu wenig am Diskussionspro-zess selbst beteiligen konnte. Dadurch wurde ihre Kompetenz weni-ger einbezogen als es in vielen Fällen aus ihrer Sicht wünschenswertgewesen wäre. Dennoch konnte sie insbesondere in der Anfangs-phase des Projektes bei Konflikten zwischen Hausarzt und Patien-tenbegleiterin vermittelnd tätig werden (siehe auch Abschnitt4.4.2.2).

Der zeitliche Aufwand der Koordinatorin für AGT-interne Aufgabenwar zu Beginn des Projektes wesentlich höher als der für AGT-externe Aufgaben. Auf Grund der vor Projektbeginn nicht vorhande-nen Erfahrungen mit dieser Art von Teamarbeit im Bereich der am-bulanten Versorgung älterer Menschen, mussten die Teams sich ihrSelbstverständnis hinsichtlich der Arbeitsteilung und der konkretenKooperation im Team und mit anderen erst erarbeiten. Außerdemwar der Bedarf an systematischer Wissensvermittlung durch dieKoordinatorin an die Hausärzte und Patientenbegleiterinnen natürlichim Laufe des Projektes abnehmend, da sie zunehmend selbst überdie wichtigsten Informationen verfügten.

4.7.3 Forschungsbedingte Aufgaben

Neben den AGT-externen und den AGT-internen Aufgaben hatte dieKoordinatorin auch forschungsbezogene Aufgaben zu erfüllen, diedurch die Besonderheiten eines Modellvorhabens mit wis-senschaftlicher Begleitforschung bedingt waren. Dazu gehörte ins-besondere ihre Funktion als wichtiges Verbindungsglied zwischenForschung und Praxis war. Vor allem bei schwelenden Konfliktenkonnte sie hier so intervenieren, dass bereits im Vorfeld Problemeangesprochen wurden und eine Verschärfung der Situation vermie-den werden konnte. Darüber hinaus war sie auch Ansprechpartnerinder Forschung, wenn Dokumentationsunterlagen aus der Praxis

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fehlten, z. B. Tagebücher oder Protokolle. Mit verzögerter Doku-mentation muss zumindest zeitweise in jedem Modellvorhaben ge-rechnet werden, da Praktiker i. d. R. andere Prioritäten setzen alsForscher.

Gegen Ende des Projektes war die Koordinatorin intensiv in diegemeinsamen Diskussionen sowohl innerhalb der AGTs als auch mitder wissenschaftlichen Begleitforschung einbezogen, bei denen esum eine angestrebte modifizierte Weiterführung der Projekt-Bausteine und die Prüfung von Finanzierungsmöglichkeiten in derRegelversorgung ging.

4.7.4 Zusammenfassung

Im Folgenden wird eine zusammenfassende Übersicht unterteilt inAGT-externe und AGT-interne Aufgaben der Koordinatorin gegeben.Auf die nochmalige Einbeziehung der forschungsbedingten Aufga-ben wird hier wegen mangelnder Relevanz für die Praxis verzichtet.

Die AGT-externen Aufgaben können wie folgt zusammengefasstwerden:

• Herstellung der Transparenz der Versorgungsangebote durch Re-cherchen zu Versorgungsangeboten, Aufbau einer PC-Datenbankund Erarbeitung eines Wegweisers über die Angebote im Stadtteil

• allgemeine Kontaktaufnahme zu Hilfsangeboten, Kostenträgernund zu anderen für die Regionen wichtige Instanzen zum Kennenlernen, zum Kontakt halten und Einholen von Informationen fürdie Datenbank sowie zur Erarbeitung von weiteren Arbeitshilfen

• Mitarbeit in Arbeitskreisen zur Netzwerkförderung

• Erarbeitung und Diskussion von Vorschlägen für eine bedarfsge-rechte Weiterentwicklung des Hilfsangebotes in verschiedenenGremien

• Identifizierung von Hindernissen für eine bessere Kooperation undSchaffung von Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Koo-perationsstrukturen

• Öffentlichkeitsarbeit über PAGT im Stadtteil, Dokumentation derResonanz und Rückmeldung an die Forschung

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• Konzeptentwicklung für eine Koordinationsstelle im Stadtteil inKooperation mit den Arbeitskreisen

Zu den AGT-internen Aufgaben gehörten insbesondere:

• Vorbereitung und Strukturierung der AGT-Sitzungen, soweit erfor-derlich, und Protokollführung

• Beratung und Information der Hausärzte und Patientenbegleiterin-nen über die aktuellen Versorgungsangebote und über die Ände-rungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Inanspruch-nahme sowie Finanzierungsmöglichkeiten

• Bündelung der durch die Patientenbegleiterinnen dokumentiertenEinzelerfahrungen zur Erfassung der allgemeinen Bedarfssitua-tion und bei Feststellung von Defiziten im Versorgungsangebotdie Weitervermittlung in die lokalen Arbeitskreise

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass - in der in PAGT gegebenenDefinition - ein funktionierendes Care Management die Umsetzungdes Case Managements erheblich erleichtert. Für die Weiterent-wicklung des Care Managements in der Regelversorgung ist davonauszugehen, dass es sich um eine kommunale Aufgabe handelt, diedeshalb in die lokal vorhandenen Strukturen integriert werden sollte.Voraussetzung für die Implementation ist allerdings eine Innovati-onsbereitschaft der Mitarbeiter der etablierten Dienste, die zur Zeitoffenbar noch der externen Unterstützung bedarf, wie sie z. B. durchModellvorhaben mit Praxis-Beratung und wissenschaftlicher Beglei-tung realisiert werden kann.

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4.8 Kooperation der AGTs mit anderen Diensten

Die Zusammenarbeit mit den Diensten in der ambulanten Versor-gung war ein essentieller Bestandteil des Modellvorhabens. AlleModell-Mitarbeiterinnen haben - dem Case und Care Management-Ansatz folgend - bereits frühzeitig Kontakte zu den etablierten An-bietern angestrebt und Kooperation gesucht. Zur Evaluation der Ko-ordination und Vernetzung in der ambulanten Versorgungsstrukturwurde aus diesem Grunde eine der beiden Modellregionen einge-hender untersucht. Es handelt sich hierbei wieder um die Region A,die auch im Abschnitt 4.6 im Vordergrund der Ausführungen stand.Dazu wurden zwei Gruppendiskussionen und vier vertiefende Ein-zelinterviews mit Mitarbeiterinnen der verschiedenen Dienste dieserRegion durchgeführt und ausgewertet. Die Ergebnisse werden indiesem Abschnitt dargestellt.

4.8.1 Kooperation mit anderen Diensten in der Begleitungvon Frau Hansen

Die Beschreibung des Verlaufes der Begleitung von Frau Hansen(siehe Abschnitt 4.6.1) zeigt eine Vielzahl von Kontakten und regel-mäßigen Informationsaustausch zwischen den PAGT-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen anderer Dienste. In diesemAspekt ist die Begleitung von Frau Hansen allerdings außergewöhn-lich, i. d. R. waren nicht so viele weitere Personen involviert. Beson-ders erwähnenswert an der Zusammenarbeit der verschiedenenBeteiligten ist der dichte Informationsfluss und die hohe Verbindlich-keit der Mitarbeiterinnen (Vernetzung). Obgleich sich einzelne an derVersorgung Beteiligte an ihre Grenzen geführt fühlten, wie beispiels-weise Schwester Yvonne des ambulanten Pflegedienstes oder FrauJohann, die Haushaltshilfe, gaben sie nicht auf und zeigten stattdessen ein besonders hohes Engagement, indem sie mit immerwieder motivierender Unterstützung durch die PatientenbegleiterinFrau Hansen bis zu ihrem Tode begleiteten. Ob dem ein altruisti-sches Motiv oder ein „Versagensverbot” zugrunde liegt, lässt sichnicht beurteilen. Da die Beteiligten in engem Kontakt miteinanderstanden, brauchte aber niemand das Gefühl zu haben, die Situationallein bewältigen zu müssen.

In den persönlichen Gesprächen haben sich die Mitarbeiterinnengegenseitig gestützt und dadurch ihre Erfahrungen wie auch ihreunterschiedlichen Einschätzungen ausgetauscht. Dabei konnten sieauch ihre Probleme in der Betreuung von Frau Hansen besprechenund sich sowohl Rat holen als auch Entlastung verschaffen.

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Darüber hinaus haben weitere Mitarbeiterinnen in gezielten Einzel-kontakten spezifische Aufgaben in der Betreuung wahrgenommenund insbesondere die Mitarbeiterinnen, die sich über den gesamtenBegleitungszeitraum im direkten Kontakt mit Frau Hansen befanden,mit Rat und Tat unterstützt. Als Beispiele wären hier zu nennen: derkollegiale und fachliche Austausch zwischen dem Hausarzt und demNeurologen, das Engagement der Mitarbeiterin der bezirklichenAltenhilfe, die Frau Hansen beraten und ihre Informationen sofort andie Patientenbegleiterin zurückgemeldet hatte oder der Einsatz derFußpflegerin und der Friseurin, die sich der für sie schwierigen Situa-tion gestellt haben.

4.8.2 Kooperation mit anderen Diensten in derModellregion A

Im Folgenden werden die Entwicklungsschritte zum Aufbau derKooperation aufgezeigt, die in der Modellregion A von Projektbeginnbis -ende zu erkennen sind. Die dafür verwendeten Zitate ent-stammen zum größten Teil den Interviews mit Mitarbeiterinnen derlokalen Dienste. Der hier beschriebene Prozess zeigt eine Dynamik,die in erster Linie auf Rückmeldeprozessen mit der Konsequenz sichwandelnder Perspektiven und Bewertungen aufbaut. Es werdenAspekte der Interaktion zwischen Mitarbeiterinnen ambulanter Ge-sundheits-, Pflege- und Sozialdienste und den Projekt-Mitarbeite-rinnen dargestellt. Die Erfahrungen der interviewten Mitarbeiterinnenbestätigen, dass Kooperation und Versorgungsqualität unmittelbarzusammenhängen.

Die individuelle bedarfs- und bedürfnisorientierte Versorgung hilfe-bedürftiger Menschen im Rahmen des Case und des Care Manage-ments erfordert die Interaktion mit Mitarbeiterinnen der am Versor-gungsprozess direkt oder indirekt beteiligten Institutionen in Formvon dichter Kommunikation und in persönlichen Kontakten. Dadurchwerden Missverständnisse vermieden, Vorbehalte und Ängste abge-baut, eine gemeinsame Abstimmung der verschiedenen unterstüt-zenden und begleitenden Maßnahmen ermöglicht. Ein solches Vor-gehen beeinflusst die regionale Versorgungsstruktur. Case und CareManagement bedeutet so implizit auch Qualitätsentwicklung und-sicherung im Netzwerk, indem im Kontext des Modells gemachteErfahrungen Auswirkungen auf das allgemeine Handeln haben.

4.8.2.1 Ausgangssituation und Aufbau der Kooperation

Zu Beginn des Modellvorhabens begegneten einige Mitglieder deretablierten Dienste den Modell-Mitarbeiterinnen zunächst mit Miss-

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trauen oder Vorbehalten. Es bestand eine Verunsicherung darüber,ob das Modellvorhaben einerseits als „seriös” zu bewerten sei undandererseits, ob sich eine als Konkurrenz zu verstehende Institutionin der Region zu etablieren versucht.

Pflegedienst C: „Neu war das für uns alle, den Arzt, den Pflege-dienst, inwieweit baut sich da eine Konkurrenz für die Mitarbeitervor Ort auf? […] Es hat zunächst Ängste ausgelöst, und manhat da auch den Eindruck gehabt, hier wollen da irgendwelcheLeute theoretisch was machen, ohne die praktische Arbeit zuleisten.”

Diese Befürchtungen wurden durch zwei Faktoren begünstigt. Zumeinen waren das Modellvorhaben und dessen Ziele zu Beginn weit-gehend unbekannt. Dieses Defizit an Information fördert die Verunsi-cherung und eröffnet Raum für Phantasien („Marktforschung”, „Kon-kurrenz”, „Leute mit Einfluss”), die in ihrer Konsequenz zu Ängstenund vorsichtiger Zurückhaltung führen.

Pflegedienst B: „Wenn das so ein bisschen unklar ist und mannicht so genau durch die Strukturen durchschauen kann, dannbin ich auch erst mal sehr zurückhaltend mit Informationen.”

Das Thema „Konkurrenz und Konkurrenzgefühle” nimmt nicht nur inder ersten von der Begleitforschung durchgeführten Gruppendiskus-sion mit Projekt-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen verschiedenerGesundheits-, Pflege- und Sozialdienste der Region A einen relativbreiten Raum ein. Wie ein roter Faden durchzieht es auch die Ex-perten-Interviews. Die qualitative Analyse der Gruppendiskussion hatergeben, dass die beschriebene „Verunsicherung” eine Schlüssel-kategorie darstellt, die sich auf die Interaktion zwischen den Akteu-ren auswirkte (siehe Abbildung 4.8.1). Aus ihr ergeben sich individu-elle Handlungsstrategien und -techniken und die entsprechendenKonsequenzen, die sich elementar auf die Qualität der Kommunika-tion und der Kooperation auswirken. Wir finden damit einen koope-rationshemmenden Circulus Vitiosus vor.

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Abbildung 4.8.1: „Verunsicherung” - ein psychologischer Faktor alsHemmnis für die Zusammenarbeit

Intention

Kompetenz Macht

QualifikationVersorgungssystem

„Was will XY?“

„Was kann XY?“ „Was darf XY?“

„Was macht XY?“

soziologisch-strukturelle Dimensionsoziologisch-strukturelle Dimension

psychologische Dimensionpsychologische Dimension

„Verunsicherung“

Wahrnehmungvon Defiziten?

Angst vor Ver-lust beruflicherPerspektiven?

Angst vor Abhängigkeitund Kontrolle?

Informationsdefizite

Konkurrenzgefühle

Auffallend ist der Zusammenhang von Äußerungen von Konkurrenz-gefühlen mit wahrgenommenen Informationsdefiziten. Es handeltsich um Unklarheiten über die Tätigkeiten und Aufgaben andererDienste und nicht zuletzt um Unklarheit über die Veränderungen, diesich aus den gesetzlichen Neuerungen ergeben, wie sie das Ge-sundheitsstrukturgesetz (GSG) oder das Pflegeversicherungsgesetz(PflegeVG) mit sich bringen. Umgekehrt ist eine Abnahme von Kon-kurrenzgefühlen durch eine Erhöhung von Transparenz festzustel-len. Dieser Mechanismus wurde insbesondere in der Interaktion derPatientenbegleiterinnen und der Koordinatorin mit den Diensten desGesundheits- und Versorgungssystems deutlich. Über kommunikati-ve Prozesse wurde eine Transparenz der jeweiligen Aufgaben undAnsprüche erreicht, die eine klarere Abgrenzung der Zuständigkeitenermöglichten. Das Wissen um die Aufgaben und Ansprüche desjeweils Anderen ermöglichte eine angstfreiere Begegnung und denprofessionellen Disput - auch hinsichtlich der tatsächlichen (und i. d.R. strukturell bedingten) Konkurrenzen. Eigenes aktives Handelnwurde dadurch erleichtert, dass es sich in einem überschaubarerenRahmen bewegte, dessen Bewertung weniger stark mit emotionalenElementen durchsetzt ist. Dieser Prozess erforderte ein erheblichesMaß an Zeit.

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Zu Beginn waren den Diensten keine persönlichen Vorteile durch dieZusammenarbeit mit den PAGT-Mitarbeiterinnen ersichtlich, statt-dessen wurden eher Nachteile befürchtet:

• PAGT wurde als Kontrollinstanz mit der Folge negativer Konse-quenzen gesehen, (die allerdings diffus blieben und nicht explizitbenannt wurden);

• die Patientenbegleiterin würde sich zwischen Hausarzt und Pfle-gedienste schieben und erschwere damit den Zugang zum Haus-arzt und zu potenziellen Patienten;

• es wurden kostenrelevante Überschneidungen der Arbeit derPflegedienste mit der Arbeit der Patientenbegleiterin befürchtet.

Es erfolgte ein vorsichtiger und kleinschrittiger Annäherungsprozess,der von vielen einzelnen Erfahrungsmomenten getragen wurde. DieKoordinatorin hat umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit geleistet, anArbeitskreisen teilgenommen, die Angebote recherchiert und auf-bauend auf der von ihr erstellten Datenbank einen Wegweiser füralte Menschen und professionelle Helferinnen erstellt (Sozialwissen-schaften und Gesundheit e.V. 1996).

Dass sich unter diesen Startvoraussetzungen zum Ende des Pro-jektes ein solch hoher Grad an Kooperation und fortgeschrittenerVernetzung entwickeln konnte, ist in einem langfristigen und komple-xen Prozess begründet. Dafür können vier elementare Merkmalebenannt werden, die alle nicht hinreichend aber notwendig sind: Zeit,Loyalität, Neutralität und Bereitschaft zur Integration. Dies wird imFolgenden erläutert.

Die evidenteste Voraussetzung für den Aufbau von Kooperation istder Faktor „Zeit”. Es ist hinreichend bekannt, dass innovative Maß-nahmen und Prozesse in ambulanten Versorgungsstrukturen mehre-re Jahre bis zur vollständigen Implementation und Etablierung benö-tigen. Die nicht einmal dreijährige Laufzeit von PAGT muss deshalbals absolutes Minimum bewertet werden. Die heutige hohe und beja-hende Resonanz auf die Projektarbeit bestätigt angesichts dieserkurzen Zeitspanne nur umso deutlicher die Notwendigkeit des Pro-jektanliegens auch bei den alteingesessenen Anbietern im Versor-gungssystem.

Die zweite Voraussetzung für eine konstruktive Zusammenarbeitzwischen den Modell-Mitarbeiterinnen und anderen Diensten findet

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sich in der Haltung der Patientenbegleiterinnen und der Koordinato-rin. Es ist ihre Loyalität nicht nur gegenüber den begleiteten Pati-enten, sondern auch gegenüber den jeweiligen Mitarbeiterinnen derverschiedenen Dienste, die von den anderen Versorgern geschätztwird und die Grundlage für eine gute Kooperation auf einer ver-trauensvollen Basis darstellt. Es liegt auf der Hand, dass Loyalitäterst im Laufe der Zeit durch alltägliche Handlungen und Interaktio-nen erfahrbar wird und sich bestätigen muss, um Vertrauen zu ent-wickeln. Die Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes be-schreibt diesen Prozess wie folgt:

Pflegedienst B: „Das kommt sicherlich zum einen dadurch, dasssie [die Patientenbegleiterin] nicht mit Namen rumspielt von an-deren Pflegediensten, - was ganz viele Leute machen aus allenmöglichen Bereichen, dass es dann heißt, der hat das und dasgemacht, die Sozialstation oder wer auch immer. Die ist loyal.Und dadurch hat man auch das Gefühl, dass eben so eine Ver-schwiegenheit dahintersteht, dass man nicht Angst haben muss,kommt irgendwas raus oder wird etwas weitererzählt oder wasauch immer.”

Die dritte Voraussetzung ist die wahrgenommene Neutralität. Diesist eventuell ein Vorzug der Förderung des Modellvorhabens durchein Bundesministerium und die Trägerschaft bei einem Verein, dernicht selbst Anbieter ist. Dadurch wird das Projekt als unabhängigund neutral bewertet:

Pflegedienst B: „[…] dass es wirklich ein ganz offizielles Projektist und dass da nichts weiter hintersteht als wirklich dieses Bun-desprojekt.”

Die Rolle der Koordinatorin und die der Patientenbegleiterin als„neutrale Vermittler” (Leiterin eines Altentreffs) werden als eines derwichtigsten Elemente des Projektes gesehen. Diese zugestandeneNeutralität in Verbindung mit der erfahrenen Loyalität stellen dieVoraussetzungen für die Qualitätsentwicklung in der regionalenVersorgungsstruktur dar.

Die Modell-Mitarbeiterinnen waren in ihrem Vorgehen bestrebt, dielokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen und ihre Tätigkeiten sen-sibel und schrittweise anzupassen, um als Ergebnis kein Nebenein-ander, sondern ein Miteinander entstehen zu lassen. Die Bereit-schaft zur Integration in die regionale Versorgungsstruktur und auchumgekehrt die Bereitschaft, Dienste der Region in die eigenen Auf-

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gaben zu integrieren, ist die vierte Voraussetzung für eine konstruk-tive Zusammenarbeit.

Das Ankoppeln der Patientenbegleiterinnen und der Koordinatorin andie etablierten Dienste in der Region erwies sich als unterschiedlichschwierig. Je nach Perspektive und beruflichem Selbstverständniswurde das Modellvorhaben entweder von vorn herein begrüßt, wie imFalle der Mitarbeiterinnen eines Altentreffs, oder mit „Misstrauen” be-trachtet, wie beispielsweise bei einigen Mitarbeiterinnen von Pflege-diensten, solange Konkurrenzgefühle nicht ausgeräumt waren. Er-schwerend kam die Angst der Pflegedienste vor Kontrolle durch diePAGT-Mitarbeiterinnen hinzu.

Durchgängig wird in den Interviews mit den Mitarbeiterinnen derDienste deutlich, dass die Frage nach einem persönlichen Nutzendurch die Zusammenarbeit mit PAGT von zentraler Bedeutung fürdie Akzeptanz des Projektes ist. Das Erkennen eines persönlichenNutzens ergab sich jedoch erst im weiteren Projektverlauf aus denGesprächen und der eigentlichen Arbeit. Schon das Herstellen vonTransparenz erforderte Zeit, das Herstellen von Vertrauen umsomehr.

Pflegedienst B: „Anfänglich war es eben so, dass keiner wusste,wer ist das eigentlich und ständig Nachfragen [von den Mitar-beiterinnen des Pflegedienstes] kamen, und als das klar war,fanden sie das eher toll.”

Doch nicht immer gelang eine positive Kooperation mit anderenDiensten. Insbesondere mit zwei privaten „Ein-Personen-Diensten”stellten sich nicht zu behebende Probleme ein. Die Spekulationender Modell-Mitarbeiterinnen darüber reichen weit, sie gehen vonAutonomiebestrebungen bis hin zur Angst vor Kontrolle durch PAGT.Es hat Situationen gegeben, in denen der Zugang der Patienten-begleiterinnen zu den PAGT-Patienten, wenn überhaupt, ausschließ-lich über die Privatpfleger möglich war oder die Kontakte auf Wunschder Patienten verheimlicht werden sollten:

Koordinatorin: „[…] dass so von Seiten der Patienten rüber-kommt, beispielsweise: ‚Ja, Frau K. [PB], wenn Sie dann zu mirkommen, davon muss ja Herr X. [Privatpfleger] nichts wissen.‘”

In den AGT-Sitzungen wurde von Abschottungstendenzen gespro-chen und dort als deren Zielsetzung vermutet, dass die Patientenausschließlich an die Privatpfleger gebunden werden sollten.

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4.8.2.2 Kooperation aus der Perspektive der etabliertenDienste

Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat die Patientenbegleiterin umfangreicheRückmeldungen an die Mitarbeiterinnen der Dienste gegeben. Diesekönnen unterschieden werden in angenehme, nämlich als hilfreicherlebte, und unangenehme, nämlich als korrigierend oder gar kon-trollierend erlebte Rückmeldungen.

Folgende Hinweise und auch Informationen wurden bereits zu Be-ginn als angenehm empfunden und positiv bewertet und fördertendamit die Kooperation. So gaben verschiedene Mitarbeiterinnen derDienste an,

• durch die Patientenbegleiterin mehr über ihre Patienten erfahrenzu haben und dadurch dem Anspruch an eine ganzheitliche Pfle-ge und Versorgung gerechter werden zu können;

• durch die Patientenbegleiterin und durch die Koordinatorin einenWissenszuwachs über bestehende Angebote in der Versorgungalter Menschen erfahren zu haben;

• hilfreiche fachliche und sachliche Beratung durch die Patienten-begleiterin bei der Betreuung sogenannter „schwieriger Patienten”erhalten zu haben;

• eine bessere Kommunikation durch Informationen und Vermittlungder Patientenbegleiterin zwischen Hausarzt, Patient und (Pfle-ge-)Dienst erfahren zu haben.

Zu den zunächst von den Mitarbeiterinnen der Dienste als unange-nehm erlebten Rückmeldungen zählen die von den Patientenbeglei-terinnen an sie weitergegebenen Beschwerden und Reklamationender begleiteten alten Menschen über

• die Qualität der Pflege,

• die Kontinuität in der Betreuung durch Mitarbeiterinnen der ent-sprechenden Dienste,

• die Qualität der Beziehung zwischen den Patienten und den ein-zelnen Mitarbeiterinnen der Dienste sowie

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• die Einhaltung gemeinsam erzielter Absprachen im Pflege- undBetreuungsprozess.

Hinzu kommt im Rahmen ihrer anwaltschaftlichen Funktion der hoheAnspruch der Patientenbegleiterin, „alle Möglichkeiten auszuschöp-fen” (Hausarzt) und auf Verbesserungen und Beseitigung der wahr-genommenen Mängel zu drängen. Offenbar fühlten sich einige Mit-arbeiterinnen der Pflegedienste von der Patientenbegleiterin „auf dieFüße getreten” (Leiterin eines Altentreffs). Die Leiterin eines ambu-lanten Pflegedienstes beschreibt:

Pflegedienst A: „Es stand so dahinter: ´Ihr habt noch nicht allesversucht!` […] Und da bin ich dann auch gleich so ein bisschenärgerlich geworden, weil ich denke, wir machen es so. Es wirdsowieso wenig davon anerkannt in diesem Bereich. Da hat siesofort meinen wunden Punkt getroffen, wo ich dann auchschnell fuchsig werde. Weil ich denke, es sind Leute mit Enga-gement, die sowieso nur noch diesen Job machen. Das machtja sonst keiner. Die Bedingungen verschlechtern sich immermehr. Und da kam jetzt schon wieder jemand mit einem An-spruch. So habe ich das am Anfang begriffen.”

Über die vermehrten Kontakte veränderten sich die Wahrnehmungund Bewertung von PAGT und ermöglichten die Kooperation. DieKoordinatorin hat durch ihre Öffentlichkeitsarbeit und aktive Teil-nahme an Arbeitskreisen bis hin zur Gründung weiterer Arbeitskreisespeziell zum Thema Vernetzung und Koordination die Diskussionunter den Diensten angeregt und die persönlichen Kontakte geför-dert.

Pflegedienst A: „PAGT war mit einem Mal da und hat organi-siert, dass wir uns ein bisschen häufiger zu bestimmten Themensehen, und ich kriegte mit einem Mal mit, dass ich dazu nicht inKonkurrenz treten muss.”

Auf der Basis eines gemeinsamen patientenzentrierten Grundver-ständnisses in der Versorgung der alten Menschen wird Kooperationaufrechterhalten und weiterentwickelt, obwohl sich für den Pflege-dienst sogar wirtschaftliche Nachteile daraus ergeben können, wiedas folgende Beispiel zeigt:

Pflegedienst A: „Eine andere Patientin, die mir jetzt auch einfällt,da hat Frau K. [Patientenbegleiterin] organisiert, dass sie in eineWohnanlage zieht, und obwohl Frau K. uns ja letztendlich diePatientin entzogen hat, habe ich das trotzdem als positiv erlebt,

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weil es im Sinne der Klientin war. Und das fand ich auch ganzwichtig, dass PAGT das erlebt und dass wir das erleben, unab-hängig von der Klientin.”

Der wohl förderlichste Faktor ist das bereits oben erwähnte gemein-same Grundverständnis der Versorgung alter Menschen bzw. einegemeinsame Haltung. Aus dieser Haltung resultieren Ansprüche andie eigene Arbeit. Die Bedingungen zur Aufrechterhaltung dieserAnsprüche sind jedoch unterschiedlich. So fehlten den Pflege-diensten teilweise elementare Voraussetzungen zu deren Wahrung.Es mangelte ihnen häufig - aus fremder und aus ihrer eigenen Sicht -an Zeit, an Weiterbildung, an Qualifikation der Mitarbeiterinnen, anfinanziellen Mitteln. Dennoch koppelte die Patientenbegleiterin mitihren Rückmeldungen und Vorschlägen an einen Common Sensean. Einerseits bewirkte sie damit zwar eine „Verärgerung”, da inihrem Vorgehen eine Vorwurfshaltung gesehen wurde, andererseitswurden die durch die Patientenbegleiterin eingeforderten Ansprücheals eigene, manchmal verschüttete Ansprüche bejaht oder reakti-viert.

Pflegedienst B: „Ja, ich habe oft den Arbeitsstil verbessert, FrauK. [Patientenbegleiterin] hat viele Sachen wieder aufgegriffen,wo ich fast ein schlechtes Gewissen gekriegt habe.”

Die Mitarbeiterinnen der Dienste erlebten eine zunehmende Sensibi-lisierung in der Wahrnehmung bestehender „Lücken im System”,sahen Möglichkeiten alternativer Vorgehensweisen und vermehrterKooperation sowie konstruktive Formen der Kritik.

Pflegedienst B: „Die Kontakte sind jetzt hergestellt, man kenntdie Leute, Einsatzleiter, Geschäftsführer oder sonst jemand.Man spricht miteinander mehr. Es ist nicht mehr so dieses an-einander vorbeischleichen und ach, ich will nichts mit der Kon-kurrenz zu tun haben, ich will nicht in dem Gebiet arbeiten, weildie ja da schon sitzen oder solche Sachen.”

Pflegedienst C: „Dass Frau K. [Patientenbegleiterin] dadurch,dass sie übergreifend gearbeitet hat, einen unwahrscheinlichenEinblick gewonnen hat, wie einzelne Pflegedienste arbeiten, wieflexibel sie sind, die Ärzte mit Pflegediensten umgehen, was daan Positivem und Negativem landet, das kriegen wir ja so un-mittelbar gar nicht zu erfahren, obwohl das dann Kriterien wä-ren, wo wir uns dran reiben würden und sagen, hier können wiruns verbessern, da können wir uns nicht verbessern, da musstdu dich ändern. Dass man einfach über Probleme, die da sind,

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spricht. Aber sie hat es in umfassenderer Weise darlegen kön-nen als wir. Das war von daher schon gut. Und ich denke auch,die Ärzte haben gelernt, den Patienten in seinem sozialen Um-feld zu sehen und ihn nicht nur als Grundversorgung, jemandender ständig herumnörgelt, zu sehen.”

Der besondere Status der Patientenbegleiterin wird als kooperati-onsfördernd und wahrnehmungskorrigierend bewertet. In ihr wirdeine relativ unabhängige und neutrale Instanz gesehen, die Instituti-onen übergreifend zu vermitteln in der Lage ist.

Pflegedienst C: „Dieser Kontakt zu den Ärzten ist dann besseroder sagen wir mal, der Arzt nimmt uns anders wahr, wenn ervon der Patientenbegleiterin erfahren hat, ich habe mit demPflegedienst gute Erfahrungen gemacht.”

Die Patientenbegleiterinnen werden von mehreren Mitarbeiterinnender Dienste in der Beziehung zu den Patienten als Autoritäten be-schrieben. Dabei werden als autoritätsverleihende Merkmale zweiAspekte genannt. Der erste Aspekt ist das Alter. Die Patienten-begleiterinnen sind fast eine Generation älter als die meisten Pflege-kräfte. Die interviewten Mitarbeiterinnen der Dienste vermuten, dassdie Patienten damit eine höhere Reife und Integrität verbinden.

Pflegedienst A: „Und es ist noch etwas anderes, wenn jemandvon PAGT z. B. dort hingeht, der hat eine ganz andere Autorität.[…] Dann ist Frau K. [Patientenbegleiterin] eine gestandeneFrau auch. Die meisten Pflegekräfte sind um die Dreißig, oftnoch jünger, Schwester Z. war etwas drüber, aber sah nochsehr jung aus. Ich glaube, die werden nicht so für voll genom-men. Sie sind halt eher Enkelinnen, genau.”

Der zweite Aspekt findet sich in der delegierten ärztlichen Autorität:die Nähe der Patientenbegleiterin zum Hausarzt und die Vorstellungder alten Menschen, dass ihr Hausarzt ihnen persönlich seine Mitar-beiterin vorbeischickt. Die sogenannte und vermutete „Droge Arzt”erweitert über die Patientenbegleiterin ihren Einflussbereich.

Pflegedienst A: „Und dass der Arzt Frau K. vorbeischickt, das isteinfach was Tolles für die alten Leute. Der Arzt denkt an sie undschickt da extra jemanden für sie vorbei, und die kommt dannnachmittags zur besten Kaffeezeit, wo wir ja nicht kommen. Wirkommen morgens, mittags und abends und dann soll da auchwas geschehen. Ich empfand das als entlastend, dass ich

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wusste, sie kümmert sich drum, weil - der Bedarf bestand wohl,und die Zeit war nicht da und auch so der Zugang nicht.”

Pflegedienst B: „Es hat eher eine hierarchische Funktion, wermit dem Arzt spricht, ist angesehen. So was spielt bei den Leu-ten ganz viel rein, jedenfalls in dieser älteren Generation.”

In den obigen Zitaten sind bereits einige Äußerungen enthalten, diesich auf die Zusammenarbeit der Mitarbeiterinnen ambulanterDienste mit Hausärzten beziehen. PAGT als „Transmittor” (Hausarzt)zwischen Patienten, Hausärzten und Diensten wurde nach Überwin-dung der anfänglichen Vorbehalte von den Mitarbeiterinnen derDienste begrüßt.

Altentreff: „Hauptsächlich finde ich es ganz, ganz wichtig, dieseÜberleitungsfunktion, Brückenfunktion, zwischen Arzt, Patientund der Organisation, wo solche Patienten dann Hilfe bekom-men. […] Das gab es vorher nicht. Und auch der Kontakt zu denÄrzten […] ist auch bedeutend besser geworden und intensiver.Und ich finde es auch ganz wichtig, dass die dann auch zu-sammenkommen und das ist jetzt sehr gesichert.”

Die Mitarbeiterinnen der Dienste sahen in der Arbeitsbelastung derHausärzte einen Grund für Schwierigkeiten in der Kooperation. Sieerkannten die Probleme der Hausärzte, die sich aus deren Tätigkeitin eigener Praxis ergaben, notgedrungen an und stimmten ihr eige-nes Vorgehen und Handeln daraufhin ab. Dabei erlebten sie diePatientenbegleiterin in dem Sinne als Entlastung, dass sie ihre An-liegen an die Hausärzte herantrug. Damit wurde die zum Teil alsproblematisch bewertete Kommunikation zwischen Hausärzten undPflegedienst-Mitarbeiterinnen umgangen. Die Dienste erlebten nichtmehr die Situation, den Hausärzten als „belästigend” zu erscheinenund sahen dennoch ihre Interessen verwirklicht. Hier kam die vermit-telnde Funktion der Patientenbegleiterin zum Tragen.

Pflegedienst B: „Ich finde, dass die Überleitung von den Ärztenzu den Pflegediensten ... viel reibungsloser gelaufen ist. […] undes ist immer wieder Rücksprache gehalten worden zum Arzt,zum Pflegedienst und zu den Angehörigen, so dass man dieganzen Lücken, die vorweg bestanden haben, erheblich besserausfüllen konnte.”

Sie sahen in der Patientenbegleiterin auch ein Korrektiv des ärztli-chen Handelns und bewerteten ihre Funktion dementsprechend

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hoch, da sie einem gemeinsamen Verständnis von der Vertretungder Interessen ihrer Patienten entsprachen.

Pflegedienst C: „Hier sollte ja eine Kontaktstelle geschaffenwerden zwischen dem Pflegedienst und den Patienten, dassauch die Interessen des Patienten dem Arzt gegenüber vertre-ten wurden, der Arzt darauf hingewiesen wurde, hier hast du ei-nige Versäumnisse, die nachgearbeitet werden müssen, Sie ha-ben z. B. vor einem halben Jahr den letzten Hausbesuch ge-macht. Wenn Frau K. das sagt, hat das einen anderen Stellen-wert, als wenn das eine Mitarbeiterin sagt. Ich kann mir aberauch vorstellen, dass Frau K. in ihrer Rolle bei manchem ArztÄngste ausgelöst hat. Denn wer kontrolliert schon einen Arzt?”

Die kooperierenden Hausärzte selbst verzeichneten bei sich eineVeränderung ihrer Wahrnehmung zu einer ganzheitlicheren Per-spektive in der Versorgung alter Menschen sowie einen umfangrei-chen Wissenszuwachs zu alters- und alternsrelevanten Fragestel-lungen. Diese Veränderungen verspürten auch die Mitarbeiterinnender Dienste in der Region.

Altentreff: „Frau K. vermittelt ja auch zwischen Arzt und Patient,und das wird ja von jedem älteren Menschen sehr gut ange-nommen. Sie haben sich ja so angstfrei gefühlt, weil sie wirklichwussten, es ist ja jemand für sie da. Und ich glaube auch, dassdiese Vermittlung es auch gemacht hat, dass Dr. X. auch an-ders denkt.”

Nach der Darstellung der Kooperation zwischen PAGT und anderenDiensten aus der Sicht einiger Mitarbeiterinnen ambulanter Dienstefolgen im nächsten Abschnitt die Sichtweisen der PAGT-Mitarbeiterinnen.

4.8.2.3 Kooperation aus der Perspektive der PAGT-Mitarbeiterinnen

Die PAGT-Mitarbeiterinnen gelangten zu der Erkenntnis, dass sieüber ihre Team-Arbeit „umfassendes Qualitätsmanagement”betrieben - umfassend, weil sie auch Effekte auf Seiten der Anbieterpflegerischer oder sozialer Leistungen beobachteten. Qualitätsstei-gerungen in der Zusammenarbeit und in der Versorgung der altenMenschen führten sie oftmals auf Team-Interventionen zurückzu-führen. Diese Effekte werden an den folgenden Beispielen verdeut-licht.

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Die Mitarbeiterinnen stellten fest, „dass aus dieser breiten Paletteder Angebote sich bestimmte Angebote herauskristallisieren.” (PB)Die Teams kooperierten offenbar enger mit den Diensten, die diegrößte Übereinstimmung mit dem Projektanliegen erzielten. Dasführte zu einem Ausbau der Kooperation mit „bevorzugten“Diensten.

Hausarzt: „Ich denke, es hat sich in einem Fall etwas verändert,mit dem Pflegedienst, der jetzt bevorzugt hier mit in Anspruchgenommen wird, der dann hier auch auf der Teamsitzung mitanwesend war. Wo wir eigentlich ein sehr kooperatives Verhält-nis entwickelt haben, das dann den Patienten sehr zu Gutekommen konnte.”

An anderer Stelle heißt es über diesen Pflegedienst:

Hausarzt: „Das funktioniert, der übernimmt zum Teil schon fastpatientenbegleitende Funktionen.”

Das vereinzelte Scheitern der Kooperationsbemühungen sowie dasVorgehen der Projekt-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen andererDienste sind in beiden Regionen ähnlich. Einerseits „versagen sicheinzelne Dienste die Zusammenarbeit” (HA), d.h. es kommt zumKooperationsverzicht durch die Dienste selbst. Andererseitsentschieden die Teams, auf die Zusammenarbeit mit einzelnen An-bietern zu verzichten, wenn trotz Rückmeldung und Aufforderungkeine Mängelbeseitigung erfolgte. Die Unzufriedenheit führte alsozum Ausschluss einzelner Dienste durch das Team.

Patientenbegleiterin: „Ich habe dann z. B. Dienste, wo ich trotzHinweisen nichts verändern konnte, die immer wieder neue Mit-arbeiter geschickt haben und praktisch die Leute gar nicht mehrwussten, wer sie nun eigentlich betreut. Diese Dienste habe ichdann einfach nicht mehr angesprochen.”

Die PAGT-Mitarbeiterinnen vermuten, dass sich manche Dienste ineinem Konkurrenzverhältnis zu PAGT sehen, bzw. sich durch PAGTkontrolliert fühlen würden, und aus diesem Grunde keine Kooperati-on wünschen.

Patientenbegleiterin: „Und zwar immer dann, wenn sich privateDienste in die Karten geguckt fühlen, dann gibt es Spannungen.Erstaunlicherweise ist das mit dem Pflegedienst von X. nicht so,weil er eigentlich auch offen legt, was er macht. Ich denke, dasist nicht so sehr ein Problem der Patientenbegleitung, sondern

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auch mehr ein Problem der Dienste, inwieweit die auch korrektarbeiten, möchte ich mal sagen.”

Im Allgemeinen sprechen die Patientenbegleiterinnen und die Koor-dinatorin jedoch von einer spürbaren Verbesserung des Austau-sches von Informationen mit Mitarbeiterinnen von Pflegediensten,Wohnstiften, Altentagesstätten oder der bezirklichen Altenhilfe. Siesehen den Spielraum allerdings noch nicht ausgeschöpft und haltendie Kommunikation für weiterhin verbesserungsbedürftig. Sie be-richten, dass die Initiative überwiegend von ihnen selbst ausgehenmüsse.

Der Zusammenarbeit förderlich erscheint die Anerkennung der Mit-arbeiterinnen von Gesundheits-, Pflege- und Sozialdiensten, dassdie Patientenbegleiterinnen mit „sehr schwierigen Patienten” (PB) ar-beiten würden und in diesem Zusammenhang auch „unangenehmeArbeiten” (PB) übernehmen. An dem Beispiel von Frau Hansen wur-de deutlich, welche Bemühungen die Patientenbegleiterin unterneh-men musste, um überhaupt jemanden in die Pflege und Betreuungder begleiteten Patientin zu bekommen (siehe Abschnitt 4.6.1).

4.8.3 Zusammenfassung

Die bedarfs- und bedürfnisorientierte Versorgung hilfebedürftigerMenschen im Rahmen des Case und des Care Managementsbedarf zwangsläufig der Interaktion mit Mitarbeiterinnen der amVersorgungsprozess direkt oder indirekt beteiligten Institutionen. Dieim Rahmen des Case Managements geplanten und durchgeführtenInterventionen, die sich aus der jeweiligen Situation der zu betreuen-den Menschen ergaben, führten zu Konsequenzen hinsichtlich derVersorgungsqualität in medizinischen und sozialpflegerischen sowiepräventiven und rehabilitativen Bereichen. Die für das Case Mana-gement erforderliche Koordination verschiedener Angebote und dieKommunikation mit verschiedenen Anbietern konnte durch ein ge-zieltes Care Management im Sinne einer Vernetzung der Anbietergefördert und erleichtert werden. Für die Umsetzung sowohl vonCase als auch von Care Management reichte die alleinige Kenntnisder Angebote nicht aus. Vielmehr waren persönliche Kontakte unddirekte Kommunikation zwischen den Modell-Mitarbeiterinnen undden lokalen Anbietern erforderlich. Dadurch wurden Missverständ-nisse vermieden, Vorbehalte und Ängste abgebaut, eine gemeinsa-me Abstimmung der verschiedenen unterstützenden und begleiten-den Maßnahmen ermöglicht.

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Insbesondere die Erfahrungen in den ersten Monaten der Projekt-laufzeit verdeutlichten die Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit zur Herstellung einer Transparenz von Zielen der Patientenbegleitung und der Klärung des Verhältnisses zwischen Modell-Mitarbeiterinnen und den Mitarbeiterinnen der etablierten Anbieter. Kritik an dem Modellvorhaben stellte sich unter dem Aspekt „Kontrolle” ein. Auch wenn sich diese Kritik im weiteren Verlauf durch zunehmende Infor-mation und Erfahrung abschwächte, blieb sie bei einzelnen Anbie- tern bestehen, insbesondere wenn die Ambulanten Gerontologi- schen Teams die Patienten dabei unterstützten, Leistungsanbieter zu wechseln, wenn die Patienten unzufrieden waren und trotz Rück-meldung an die Anbieter keine Veränderung der Situation hergestellt wurde.

Insgesamt überwiegen jedoch eindeutig die positiven Erfahrungen mit der Kooperation. Die für eine der beiden Modellregionen aufge-zeigte Entwicklung der Zusammenarbeit verschiedener Dienste zeigt, dass die gemeinsam erbrachten personenbezogenen Leistun-gen im Rahmen der individuellen Abstimmungs- und Rücksprache-prozesse die allgemeine Kooperation nachhaltig förderten. Dafür war es erforderlich, dass die verschiedenen Beteiligten sich nicht in ei-nem Konkurrenzverhältnis zueinander stehend erlebten. Die Rah-menbedingungen des Modellvorhabens PAGT erwiesen sich in mehrfacher Hinsicht als vorteilhaft für die Kooperationsentwicklung. Aus der Perspektive der Mitarbeiterinnen der Versorgungsregion hatte das Modell den Vorteil, die von anderen Diensten nicht abre-chenbaren, aber als defizitär erachteten Leistungen zu erfüllen. Dabei handelte es sich vor allem um eine professionelle und neutrale Beratung und Vermittlung von unterstützenden Maßnahmen sowie der kontinuierlichen Begleitung auch während teilstationärer und stationärer Aufenthalte. Dadurch konnten die Brüche in der Ver- sorgung aufgehoben werden, die durch das zersplitterte System der Zuständigkeiten die Versorgungsqualität und -kontinuität beein-trächtigen. Es wurde aber auch die Begleitung zu Altentagesstätten oder Seniorencafés oder zur Besichtigung von altengerechten Woh-nungen oder Wohnanlagen durchgeführt, um ihnen den Zugang zu Angeboten zu erleichtern, die ihre Selbsthilfepotenziale fördern können.

In Bezug auf die Arbeit mit den Patienten wurde die den Patienten-begleiterinnen verfügbare Zeit von den anderen Diensten als beson-ders wertvoll und unterstützend eingeschätzt. In Hinsicht auf die marktwirtschaftliche Konkurrenz der verschiedenen Anbieter wurde die Neutralität - ermöglicht durch Bundes- und Stiftungsfinanzierung

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und Anbindung an einen Verein ohne Versorgungsauftrag - und dieNon-profit-Orientierung positiv bewertet. Die gegenüber den Mitar-beiterinnen der etablierten Dienste als loyal beschriebene Haltungvon Patientenbegleiterin und Koordinatorin erwies sich als eine we-sentliche Voraussetzung für die Optimierung der gemeinsamenHilfeplanung und -umsetzung im Betreuungsprozess der Patienten,da auch persönliche oder organisatorische Schwierigkeiten im Rah-men der Versorgung von Patienten thematisiert werden konnten. DieKooperation der verschiedenen Anbieter in der Versorgung derPAGT-Patienten bis hin zur Einbeziehung in gemeinsame Team-Sitzungen in der Hausarzt-Praxis eröffnete Wege zu einer besserenVernetzung zwischen medizinischen, sozialpflegerischen, therapeu-tisch-rehabilitativen und beratenden Diensten.

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4.9 Abschließende Einschätzung der Auswirkungenvon Patientenbegleitung

Das Abschluss-Assessment bestand aus einer erneuten Durchfüh-rung des OARS (Abschnitt 3.1.2) sowie einer zusätzlichen offenenBefragung anhand eines halbstrukturierten Interview-Leitfadens(Abschnitt 3.1.5). Bei 43 begleiteten Patienten wurde ein Abschluss-Assessment am Projekt-Ende erhoben. Das sind ca. 50 % aller 89begleiteten Patienten. Die anderen 50 % verstarben während derBegleitung (29 Patienten) oder wechselten den Wohnort.

Das Abschluss-Assessment wurde von einer externen, in der Alten-arbeit erfahrenen Interviewerin durchgeführt, um unbeeinflussteAntworten zu erhalten. Zusätzlich hatten die Patientenbegleiterinnendadurch mehr Zeit für ihre patientenbezogene Arbeit und Verab-schiedung der Patienten aus dem Projekt.

Im Rahmen einer Veränderungsmessung auf Patientenverlaufsebe-ne war der Einsatz des OARS ursprünglich gedacht für die Erhebungeines quantitativen Outcomes zur Evaluation der Intervention durchdas Modellvorhaben PAGT. Unterschiede zwischen den Ergebnissender Messung zu Beginn der Patientenbegleitung und zum Ende desProjektes sollten Aufschluss über Veränderungen während der Pro-jektlaufzeit geben. Neben der praxisbezogenen Verwendung ist dasOARS auch gerade dafür entwickelt worden (Fillenbaum 1988).

4.9.1 Vorher-Nachher-Vergleich der begleiteten Patienten aufder Basis der Assessments

Die zur Verfügung stehende Stichprobe für einen Vergleich der Da-ten aus den beiden Erhebungszeitpunkten zu Beginn des Projektes(t0) und zum Projekt-Ende (t1) beträgt nach dem Auswahl- und Aus-schlusskriterium der Zuverlässigkeit der Antworten durch die Pati-enten nur noch N = 31. Die Angaben von 12 der 43 interviewtenPatienten wurden als unzuverlässig bewertet, i. d. R., weil sie in demDemenz-Test, der ein Bestandteil des OARS ist, zu niedrige Werteerzielt haben. Als Kriterium für den Ausschluss galten weniger alssieben von maximal neun zu erzielenden Punkten. Im Erst-Assessment erreichten elf der 43 Patienten und im Abschluss-Assessment sogar 17 Patienten weniger als sieben Punkte. Dassdennoch die Angaben von 31 Patienten für einen Vergleich als valideeingeschätzt wurden, war darin begründet, dass bei einigen Patien-ten entweder Angehörige während des Assessments anwesendwaren, die die Antworten der Patienten bestätigten, oder die subjek-

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tiven Angaben der Patienten von der Interviewerin trotz des niedri-gen Testergebnisses als „vollständig zuverlässig” beurteilt wordensind.

Die Ergebnisse des Demenz-Tests zeigen im Vergleich eine hoch-signifikante Verschlechterung der begleiteten Patienten. Das Fort-schreiten demenzieller Prozesse wurde bei einer Patientin in derAbschluss-Befragung besonders deutlich: „Wer ist Frau K. [PB]?”Patientin erinnert sich nicht! (Anmerkung der Interviewerin). DiePatientin und die Patientenbegleiterin sind sich in anderthalb Jahren12 mal persönlich begegnet und haben insgesamt über 18 StundenGespräche geführt.

Rating der Patientenbegleiterinnen und der Interviewerin

Die globale Einschätzung der Patienten durch die Patientenbegleite-rinnen und durch die Interviewerin für das Abschluss-Assessmentauf den fünf Rating-Skalen zu den verschiedenen Lebensqualitäts-Dimensionen erlaubt als Fremdeinschätzung den Vergleich aller 43Patienten (Tabelle 4.9.1). Statistisch bedeutsame Veränderungen inden Einschätzungen der Patientenbegleiterinnen in den fünf Dimen-sionen zeigen sich nur in den Bereichen „geistig-seelische Gesund-heit” und „ADL-Fähigkeiten”.

Tabelle 4.9.1: Gesamt-Rating der Patienten im Erst-Assessment t0 undim Abschluss-Assessment t1 in % (N = 43)

KörperlicheGesundheit

Geistig-seelische

GesundheitSoziale

RessourcenÖkonomi-

scheRessourcen

ADL-Fähigkeiten

t0 t1 t0 t1 t0 t1 t0 t1 t0 t1

ausgezeichnet 1 0 0 2 5 7 7 7 12 0 0gut 2 0 0 33 14 12 23 33 33 7 5geringfügigbeeinträchtigt 3 14 28 35 33 16 23 42 28 35 35

mäßigbeeinträchtigt 4 56 16 23 21 33 19 16 28 40 12

starkbeeinträchtigt 5 28 54 5 28 26 19 2 0 12 35

außerordentlichbeeinträchtigt 6 2 2 2 0 7 9 0 0 7 14

Mittelwert 4,19 4,30 3,02 3,53 3,79 3,47 2,74 2,72 3,77 4,19p (Wilcoxon-Test): 0,3914 0,0065 0,1364 0,909 0,0115

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Die zum Abschluss negativere Einschätzung in der Dimension „geis-tig-seelische Gesundheit” deckt sich mit dem schlechteren Ergebnisdes integrierten Demenz-Tests. Auch die ADL-Fähigkeiten der Pati-enten wurden zum Ende des Projektes schlechter beurteilt. Die an-deren drei Dimensionen „körperliche Gesundheit”, „soziale Ressour-cen” und „ökonomische Ressourcen” zeigen keine Mittelwert-unterschiede. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse beider Messzeit-punkte t0 und t1 ist jedoch eingeschränkt, da die Angaben von ver-schiedenen Personen (die Patientenbegleiterinnen für t0 und dieexterne Interviewerin für t1) stammen und somit der interne Stan-dard, den die Interviewerinnen in der Befragung zu Grunde legen,möglicherweise stark variiert.

Aus den OARS-Fragen, die die Patienten selbst beantworten, lassensich 11 Skalen bilden, die den fünf Dimensionen untergeordnet sind(Tabelle 4.9.2).

Tabelle 4.9.2: Skalen und Dimensionen des OARS

Dimension Bedeutung der SkalaHäufigkeit der sozialen Unterstützung

Verfügbarkeit von sozialer UnterstützungSoziale RessourcenEmotionale Dimension der sozialen Unterstützung*

finanzielle Ressourcen wahrgenommener finanzieller StatusZufriedenheit mit der geistig-seelischen Gesundheit

SchlafstörungenAntrieb

Geistig-Seelische Ge-sundheit

ÄngstlichkeitKörperliche Gesundheit Einschätzung der körperlichen Gesundheit

Instrumentelle Aktivitäten des täglichen LebensAlltägliche Verrichtungen

(körperbezogene) Aktivitäten des täglichen Lebens*Anmerkung: In der deutschen Version besteht die „Skala” nur aus einer Variablen, in der Origi-nalversion aus zwei.

Insgesamt ergaben sich lediglich auf vier Skalen statistisch bedeut-same Veränderungen bei den 31 Patienten, deren Daten zum Ver-gleich von Beginn und Ende der Begleitung herangezogen werdenkonnten. Es zeigten sich Verschlechterungen in den Bereichen ADL,IADL, Zufriedenheit mit der geistig-seelischen Gesundheit und einegeringere Häufigkeit der sozialen Unterstützung. Während ADL,IADL und geistig-seelische Gesundheit als Ausdruck der Hochbe-tagtheit und beeinträchtigten Gesundheit der hier einbezogenen

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Risikoklientel gewertet werden können, so ist das Ergebnis einer alsseltener wahrgenommenen sozialen Unterstützung am Ende derBegleitung zunächst enttäuschend. Es ließe sich jedoch damit erklä-ren, dass mit zunehmender körperlicher und geistiger Beeinträchti-gung auch der Bedarf an sozialer Unterstützung steigt. Trotz zuneh-mender Hilfe kann diese von den Patienten subjektiv – gemessenam Bedarf – als geringer eingeschätzt werden. Hinzu kommen ein-zelne Todesfälle von Ehepartnern, die für die Betroffenen einenextremen Verlust in vielen Aspekten des Lebens und der Lebens-gestaltung darstellen. Schließlich noch mögen auch Zweifel ange-bracht sein, ob professionelle Hilfe in gleicher Weise als sozialeUnterstützung, operationalisiert an den vorgegebenen Variablen desAssessments, wie Hilfe durch Familienmitglieder wahrgenommenwird.

29 Patienten sind während der Begleitung gestorben. Es ist zu ver-muten, dass die mit zunehmenden Alter sich erhöhende Morbiditätim Zusammenhang mit diesen Verschlechterungen steht. Dement-sprechend ist zu erwarten, dass die Werte im Erst-Assessment derPatienten, die während der Begleitung starben, deutlich unter demDurchschnitt liegen und sich signifikant von denen der „überleben-den” Patienten unterscheiden. Die Patienten, die aus anderen Grün-den aus der Interventionsgruppe fielen, wurden im folgenden Ver-gleich nicht berücksichtigt, da deren heutiger Status nicht bekanntist.

Die beiden Teilgruppen der Überlebenden und Verstorbenen unter-scheiden sich nur in den ADL (p = 0.0073) und IADL (p = 0.0034)(Mann Whitney U). Allerdings muss man auch hier einschränkendberücksichtigen, dass die Größen der beiden Gruppen nur sehr kleinund signifikante Unterschiede demnach auch kaum zu erwarten sind.Eine gegebene Irrtumswahrscheinlichkeit unter dem 1-Prozent-Niveau lässt aber auch bei einer derart geringen Stichprobengrößeeinen überzufälligen Unterschied (in speziell dieser Gesamtstichpro-be) vermuten. Die Gruppe der „Überlebenden” stellt sich in ihrenMittelwerten auf den ADL-Skalen um fast eine ganze Standardab-weichung positiver dar. Der Vergleich der Mittelwerte der „Überle-benden” im Abschluss-Assessment mit den Mittelwerten der Ver-storbenen im Erst-Assessment zeigt aber keinen Unterschied mehr.Das heißt, die Gruppe der „Überlebenden” hat auf den ADL-Skalendas Niveau der Verstorbenen im Erst-Assessment erreicht. Hierspiegelt sich ein genereller Trend zur Abnahme der funktionellenGesundheit bei der ausgewiesenen Hochrisikoklientel von PAGTwider.

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4.9.2 Bewertung der PAGT-Interventionen aus der Sicht derälteren Menschen und ihrer Angehörigen

Im Anschluss an das Abschluss-Assessment wurden den Patientenund ihren Angehörigen - sofern existent und zugegen - weitere Fra-gen aus einem halbstrukturierten Interviewleitfaden zur freien Be-antwortung gestellt. Die Interviewerin notierte die Antworten derPatienten möglichst wörtlich. Diese Aussagen sind im Folgendendurch Anführungszeichen kenntlich gemacht.

Der Interviewleitfaden diente der Erhebung der freien Einschätzungund Bewertung der Patientenbegleitung durch die Patienten selbst.Diese sollte durch narrative Fragen erreicht werden, die die Akzen-tuierung der relevanten Inhalte den Patienten überlässt. Ziel war es,aus den von den Patienten angesprochenen Themen durch offeneFragen die Begründungszusammenhänge herauszuarbeiten.

Die zusätzlichen Fragen haben sich als wertvoll für die Erfassungder Wahrnehmung und Bewertung der Patienten und ihrer Angehöri-gen erwiesen. Die Antworten zeigen eine wesentlich andere Ge-wichtung der Bedeutung von Patientenbegleitung aus Patientensicht,als mit dem OARS herausgearbeitet werden konnte. Die Eindrückeder Interviewerin spiegeln diesen Unterschied in dem anschließendmit ihr geführten Interview zusammenfassend wider.

Patienten-Interviewerin: „Jetzt habe ich alle Fragebögen abgeschlos-sen und für mich ist so durchgängig für beide Regionen, dasssehr deutlich geworden ist, dass die emotionalen Entlastungenfür die Erkrankten, wie auch für die Angehörigen, das Allerwich-tigste gewesen ist. Dass viel weniger im Vordergrund stand, et-was zu beschaffen oder zu organisieren, sondern vielmehr, zu-mindest in der Befragung als Ergebnis rausgekommen ist, dassdie Leute gesagt haben, es war so gut, jemanden zu haben, denich ansprechen konnte, wo ich eine Telefonnummer hatte, woich wusste, da ist jemand, der mich versteht, der auf meinerSeite steht. Also diese Bereiche, die bei vielen Menschen garnicht abgedeckt sind. Also entweder bei den Erkrankten nicht,oder Patienten nicht, weil sie keine Angehörigen haben oderandere Leute, oder bei den Angehörigen nicht, weil sie nieman-den haben, den sie ansprechen können. Wobei ich denke, dassvieles auch in der Beschaffung, also Organisation von Hilfenund von Unterstützungsgeräten und von Ausweisen und so,dass das aber in der Befragung fast überhaupt nicht deutlichwurde. Ich wusste von den Patientenbegleiterinnen, dass siedas und das und das in die Wege geleitet haben, aber wenn

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entsprechende Fragen in den Fragebögen kamen, wurden sieverneint, also sie hätten keine Hilfen gehabt.”

Int: „Also materielle Hilfen oder .. ?”

Patienten-Interviewerin: „.. oder keine Unterstützung, z. B., wenn esum irgendwelche juristischen oder behördlichen Dinge ging. Ichwusste, diese Unterstützung ist da gewesen, aber das ist nichtin den Köpfen hängen geblieben. Was hängen geblieben ist, istim Grunde die emotionale Entlastung.”

Int.: „Könnte das bedeuten, dass jetzt im Erhebungsbogen gar nichtdas erfasst wird, was da wirklich gelaufen ist?”

Patienten-Interviewerin: „Ich finde, es konnte vieles nicht erfasstwerden in den Fragebögen, was mir wichtig erschien. Oder waswichtig zu sein schien, sagen wir mal so. Es waren mancheFragen, die für viele der Befragten überhaupt nicht richtig ver-ständlich waren. Es waren andere wichtige Dinge, die überhauptnicht zum Tragen kamen, also wo, höchstens nachher in demInterview-Fragebogen, wo eben wirklich frei darüber gesprochenwurde, wo Entlastung stattgefunden hat, und da denke ich, istes auch abzulesen.”

Die Beobachtung und Einschätzung der Patienten-Interviewerinkorrespondiert mit einer Vielzahl von Einzel-Aussagen der altenMenschen und/oder ihrer Angehörigen in den Interviews. Sie werdenin den folgenden Abschnitten auszugsweise wiedergegeben.

4.9.2.1 Psychosoziale Beratung und Unterstützung

Als wichtigste Unterstützung wird sowohl von den Patienten als auchderen Angehörigen durchgehend das „Gespräch”, die psychosozialeBeratung bis hin zur Seelsorge benannt. Ein Wort, das in diesemZusammenhang besonders häufig genannt wurde, ist das Wort„Vertrauen”.

Frau, 85 Jahre: „Ich habe mit Frau K. besondere Gesprächegeführt, die ich mit niemandem sonst führen konnte, ich hattebedingungsloses Vertrauen, das hat mir sehr gut getan. […] DieKinder freuten sich darüber, dass ich Frau K. hatte. […] Es gabEntlastung durch die Gespräche mit Frau K. Sie hat mein Herzerreicht.”

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Frau, 78 Jahre: „Sie hat ein sehr einfühlsames, nettes Wesen,man hat Vertrauen. […] Die Kinder waren beruhigt, dass sie dawar. […] Sie wirkt beruhigend durch ihre ruhige Art, sie hört gutzu. Über meine Probleme zu sprechen hat mir gut getan. […] Ichwäre traurig, wenn sie nicht mehr käme. Sie hat sich in michhineingefühlt und mich gut beraten.”

Frau, 83 Jahre: „Es hat sich sehr viel geändert durch die PB. Ichmuss sagen, ich vermisse sie. Wenn ich angerufen hab', hat sieausreichend Zeit gehabt. Ich vermisse die Unterhaltung, überalles haben wir gesprochen. Ihre Art hat mir gefallen, sie opfertsich auf. Es war eine Entlastung, auch für meinen Lebenspart-ner. […] Ich bin nicht mehr ganz so abgeschlossen, ich nehmemehr teil. […] Wenn Frau K. da war, hab ich mich genauso gutunterhalten, als wenn ich sehen konnte.” (Patientin ist blind) „Ichbin ein bisschen sicherer geworden. Es war ihre ganz besonde-re Art, wie sie mit mir umgegangen ist. […] Ich würde sie sehrvermissen.” (Hervorhebung durch Interviewerin.)

In den Zusatzfragen zum Abschluss-Assessment wie auch in denvertiefenden Interviews mit einzelnen Patienten hat sich gezeigt,dass sich die Antworten der Patienten und der jüngeren Angehörigenunterscheiden. Die älteren Menschen verwenden deutlich mehr aufdie Persönlichkeit bezogenen Attribute („ihre ganze Art”, „nettesWesen”, „entzückend”, „aufmerksam” usw.) und beschreiben dafürweniger Sachverhalte oder Handlungen der Patientenbegleiterinnen.Die jüngeren Angehörigen geben dagegen viele konkrete Beispielean, wie die folgenden Zitate belegen.

Tochter von Frau, 87 Jahre: „Frau K. war sehr hilfreich, sie gabmir Informationen über Möglichkeiten der Hilfen und war einegute Beratung. Sie war eine Entlastung für uns, insbesonderedurch Informationen und Hilfe bei notwendigen Entscheidungen.Der Umzug meiner Mutter ins Heim nach ihrem längerem Kran-kenhausaufenthalt z. B. geschah mit Hilfe und Beratung vonFrau K. Ich musste nicht alles allein machen und entscheiden”

Nichte von Frau, 86 Jahre: „Frau K. war sehr hilfreich, sie hatmir viel abgenommen. Sie war ja kompetenter als ich, hat mirSachen abgenommen, die Pflegeversicherung in Gang gesetzt.In jeder Aktion war sie die Hauptstütze. Ich bin sehr traurig ge-wesen, dass sie aufhört. Sie war ein Rettungsanker, sonst istman doch alleingelassen. Sie hat Kontakte geknüpft und Ver-bindungen geschaffen zwischen Arzt, Pflegedienst, Altenheimenusw.. Es hat mir in meiner Tätigkeit als pflegende Angehörige

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mehr Sicherheit gegeben, und ich konnte anderen behilflichsein, in ähnlichen Situationen Hilfe zu organisieren. […] Frau K.hat sich um die Hilfsmittelbeschaffung gekümmert, hat mir auchin diesem Bereich viel abgenommen. […] Man verliert die Ver-trauensperson, es geht mir ganz schlecht damit, dass Frau K.nicht mehr kommt.”

4.9.2.2 Inanspruchnahme und Verzicht auf Patientenbegleitung

Den Antworten der Patienten und der Angehörigen ist zu entnehmen,dass die Patientenbegleitung i. d. R. auch nur dann in Anspruchgenommen wurde, wenn ein tatsächlicher Hilfebedarf bestand. Einsolcher Hilfebedarf definierte sich aus der Perspektive der Patienteninsbesondere am vorliegenden sozialen Unterstützungspotenzial.Die Patienten, die sich von einer Vertrauensperson gut betreut fühl-ten, sahen für sich keine Notwendigkeit einer Patientenbegleitungund verzichteten auf das Angebot. Sie nahmen jedoch das Angebotan, im Bedarfsfalle anzurufen.

Tochter von Mann, 85 Jahre: „Frau K. hat den Schwerbehin-dertenausweis beantragt, das war hilfreich für uns. Das Angebotvon Frau K., bei Bedarf anzurufen, das hat mir gereicht, ich kamgut zurecht.”

Mann, 66 Jahre: „Frau K. war insgesamt nur einmal hier. Ich be-nötigte die Hilfe nicht, weil ich ausreichend durch Familie undFreunde betreut bin.”

Die Bewertung von Sinn und Notwendigkeit der Patientenbegleitungorientiert sich auch an der Aktualität bestehender Probleme oderAnliegen. Patientenbegleitung wird von den Patienten i. d. R. nichtüber den Bedarf hinaus in Anspruch genommen.

Frau, 92 Jahre: „Sie ist nicht oft hier gewesen, hab' sie häufigernicht gebraucht. Ich hab' ihr hoch angerechnet, dass sie mit mirzu den 'Silberfäden' [Altentreff] gegangen ist. Ich musste sienicht viel beanspruchen, weil ich gut begleitet werde durch mei-ne Betreuerin.”

Frau, 76 Jahre: „Sie hat mich in einer schwierigen Zeit unter-stützt. […] Sie hat sich sehr bemüht um den Umzug in dieseneue Wohnung. Wir sind überall gewesen, sie ist immer mit mirgegangen. Sie war sehr nett, es war angenehm sie zu haben.[…] Wir haben auch Gespräche gehabt. Sie ist eine verständ-nisvolle Frau. […] Vielleicht besucht sie mich ja doch noch mal.

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Das täte mir leid, wenn wir uns nicht mehr sehen würden. DieArbeit von Frau K. ist getan, wir waren dann mehr freundschaft-lich verbunden. Meine Tochter fand das auch gut, weil sie wirk-lich eine herzliche Frau war.”

Aus der Perspektive der Angehörigen wird eine Patientenbegleitungals sinnvoll und notwendig erachtet, wenn sie eine hilfreiche Unter-stützung auch der Angehörigen darstellt. Es ist zum einen die famili-endynamische Entlastung, die von einigen Angehörigen als hilfreichbewertet wird (Nichte: „Für mich war das ganz positiv, mit ihr kammeine Tante am Besten zurecht.”) als auch die praktische Unterstüt-zung mittels Informationen, Wissensvermittlung und auch - wennWunsch und Akzeptanz dazu vorhanden waren - die psychologischeAngehörigenberatung.

4.9.2.3 Verfügbare Zeit der Patientenbegleiterinnen

Sowohl Patienten als auch Angehörige erachten die verfügbare Zeitfür Gespräche in Hausbesuchen oder Telefonaten als ausreichend.Besonders anerkannt wurde, dass die Patientenbegleiterinnen sichbei Bedarf „Zeit nahmen”. Für die persönlichen Gespräche wünsch-ten sich ein Teil der Patienten, dass diese häufiger stattgefundenhätten.

Frau, 80 Jahre: „Sie war knapp mit Zeit, aber sie nahm sich dieZeit und es war ausreichend.”

Nichte von Frau, 89 Jahre: „Es hat so gereicht mit der Zeit. Siehat es immer eingerichtet, wenn ich sie brauchte.”

Frau, 81 Jahre: „Ich hatte das Gefühl, ernst genommen zu wer-den, es gab ausreichend Zeit.”

Im Zusammenhang mit der verfügbaren Zeit wurde des öfteren dieMöglichkeit des telefonischen Kontaktes erwähnt. Dieses Angeboterhält auch unter dem Aspekt der begrenzten Zeit eine große Be-deutung. Es brauchte kein Zeitdruck in den Gesprächen zu entste-hen, da Patienten und Angehörige die Sicherheit hatten, Un-klarheiten oder offen gebliebene Fragen auch später noch telefo-nisch klären zu können. Dass die Erreichbarkeit der Patienten-begleiterin gesichert war, erwies sich als wichtiges Kriterium.

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4.9.2.4 Beziehung zwischen Patientenbegleiterinnen undPatienten sowie ihren Angehörigen

Zu über 90 % fallen die Aussagen der Patienten und der Angehöri-gen über ihre Beziehung zu den Patientenbegleiterinnen ausgespro-chen positiv aus. Zwar wurden die Patientengleiterinnen als profes-sionelle Helferinnen gesehen, betont wurde aber mehrfach, dass dieGestaltung der Hilfe und der Gespräche unbürokratisch gewesenseien. Die wie eine Gratwanderung wirkende Haltung der beidenPatientenbegleiterinnen zwischen „professioneller Distanz” und„dichter patientenorientierter Beziehungsarbeit” wirft im Ergebnissicherlich grundsätzliche Fragen zu einer professionellen Haltungauf. Man mag sich aus der Perspektive der „professionellen Rolle”kritisch fragen, ob es positiv zu bewerten sei, am Ende mit einerFreundin oder gar Tochter verglichen oder als solche bezeichnet zuwerden. Darüber hinaus verspürten viele Patienten bei der Verab-schiedung der Patientenbegleiterinnen einen Abschiedsschmerz undEnttäuschung, und es mag sich die Frage stellen, ob dieses nicht einzu hoher Preis und überhaupt notwendig sei. Aus der Perspektiveder patientenorientierten Beziehungsarbeit wiederum zeigen dieRückmeldungen der Patienten und ihrer Angehörigen, dass die Pati-entenbegleiterinnen sich als ganze Personen in Beziehung gesetzthaben und diese Beziehungen förderlich waren.

Frau, 82 Jahre: „Die Treffen waren fröhlich und nicht amtsmäßigund nur problematisch. Das hat mir gut getan. […] Es war fürmich eine neue Erfahrung, dass jemand offen und freundlichwar und nichts dafür haben wollte.” (Hervorhebung durch Inter-viewerin)

Frau, 80 Jahre: „Sie konnte so gut zuhören, war so mütterlich,sie kann auch mal lachen. […] Man kann ihr alles erzählen, dashilft manchmal besser als eine Pille. […] Ich hab eine Freundinin ihr gewonnen, ich hab Ansprache und Austausch.”

Nicht immer waren sich Patienten oder Angehörige und Patienten-begleiterinnen sympathisch oder konnten sich verstehen. Bei derPatientin im folgenden Beispiel hat die Patientenbegleiterin vermut-lich die Grenzen ihrer Kompetenz erreicht. Der warnende Hinweisdes gerontopsychiatrischen Fachberaters in einer Team-Sitzung, denWahn der Patientin nicht durch die Patientenbegleiterin zu themati-sieren und auch nicht durch den Hausarzt pharmakologisch behan-deln zu wollen, da er der alten Frau eine wichtige Stütze in ihremLebensalltag sei, kam zu spät.

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Frau, 85 Jahre: „Ich fühlte mich nicht verstanden von ihr. Wennich mit meinem Mann [der im Krieg gestorben ist, Anm. d. Int.] inVerbindung gewesen bin, hat sie mich davon abbringen wollen.[…] Sie fehlt mir gar nicht, ich mag sie nicht.”

Im nächsten Beispiel überstieg die Erwartung der Patientin an dieBegleitung das Leistungsangebot der Patientenbegleiterin.

Frau, 82 Jahre: „Ich hätte jemanden gebraucht, der mir im Not-fall sofort helfen konnte. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Ichwar von Anfang an enttäuscht. Frau K. ist nur dreimal hier ge-wesen.”

Wie bereits oben dargestellt, verspürten einige Patienten keinenBedarf an Begleitung durch PAGT, weil sie sich durch ihre Angehöri-gen oder durch andere professionelle Helfer gut versorgt und unter-stützt fühlten. Manchmal schienen aber auch die versorgenden An-gehörigen die Begleitung abzulehnen, wie das nächste Beispielzeigt. Hier ist eine „Konkurrenzsituation” zwischen pflegender Toch-ter und Patientenbegleiterin eingetreten.

Frau, 84 Jahre: „Frau K. hat für den Badelifter gesorgt. Sie hatsich schon sehr gekümmert. Ansonsten funkte meine Tochterihr in die Arbeit, Frau K. tat mir ein bisschen leid, sie hat es sogut gemeint. Meine Tochter hat sich sehr verantwortlich gefühltund dann alles übernommen. Wenn jemand allein ist und keineKinder da sind, ist Patientenbegleitung eine gute Sache.”

4.9.3 Realisierung der Interventionsziele

Mit dem Modell sollte die Lebensqualität älterer Menschen undihrer Angehörigen verbessert werden. Für die in der Konzeption(Abschnitt 2.3) beschriebenen Einzelziele wurde im Laufe des Pro-jektes entsprechend dem Ansatz eines lernenden Modells eine Prio-ritätensetzung entwickelt, die der besonderen Zielgruppe der Hochri-sikopatienten angemessen ist. In der Zeit des Modellvorhabensverstarben gut ein Drittel der begleiteten Patienten, wodurch derpatientenorientierten Versorgung in der letzten Lebensphase einebesondere Bedeutung zukam. Der beschriebene Verlauf der Beglei-tung von Frau Hansen ist ein Beispiel, das zeigt, dass die Berück-sichtigung der Interessen und eigenen Vorstellungen der begleitetenPatientin von hoher Priorität in der Arbeit des Teams war.

Während die von den Mitarbeitern akzeptierte Leitlinie „Rehabilitati-on vor Pflege“ zwar weiter verfolgt wurde, zeigte sich jedoch bei den

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meisten der für die Begleitung ausgewählten Patienten ein ehergeringes Rehabilitationspotenzial. Eine Verbesserung des Gesund-heitszustandes war häufig nicht zu erwarten. Ziel war daher dieVermeidung oder zumindest. Verzögerung einer Verschlechterungbzw. der Erhalt des gesundheitlichen Befindens sowie die psychoso-ziale Krankheitsbewältigung und die Akzeptanz von personeller undmaterieller Unterstützung. Mehr Bedeutung als „Rehabilitation vorPflege“ gewann die Umsetzung von „Rehabilitation trotz Pflege“.Diese Erfahrung unterstützt die Bedeutung der Aufgabe des Medizi-nischen Dienstes der Krankenkassen, bei der Begutachtung zurPflegebedürftigkeit immer auch das Rehabilitationspotenzial einzu-schätzen und dementsprechende Empfehlungen für Maßnahmenauszusprechen.

Die Leitlinie „ambulant vor stationär“ stand im Mittelpunkt allerPlanungen, sowohl bei den AGTs als auch bei den Patienten selbst.Diese Orientierung konnte durch Pflegeheimvermeidung und Kran-kenhausvermeidung bzw. –verkürzung erfolgreich umgesetzt wer-den. Insbesondere durch die Begleitung beim Sterben im häuslichenBereich konnten Krankenhausaufenthalte in der letzten Lebenspha-se durch eine verlässliche berufsübergreifende Zusammenarbeitzwischen den ambulanten und mobilen formellen sowie den infor-mellen Hilfen vermieden werden. Dass dies nicht in jedem Einzelfallgelingen konnte, spricht nicht gegen das aufgebaute Organisations-modell, sondern ist durch die Grenzen zu erklären, die durch dasRecht der Selbstbestimmung der Patienten, die Arbeitskapazitätender Beteiligten sowie die finanziellen Rahmenbedingungen, die nichtjede wünschenswerte Intervention möglich machten, gesetzt sind.

Zu einzelnen beobachteten Veränderungen liegen die Rückmeldun-gen der Patienten selbst vor, z. B. in fünf ausführlichen Interviewssowie die Antworten auf die Zusatzfragen im Abschluss-Assessmentder Patienten. Damit konnte die Selbsteinschätzung der Patientenerfasst werden. Durch die Verschränkung mit den Sichtweisen derProjekt-Mitarbeiterinnen und den Rückmeldungen der Mitarbeiterin-nen von Gesundheits-, Pflege- und Sozialdiensten, die einer distan-zierteren Beobachterperspektive entspringen (Fremdeinschätzung)können die Aussagen als relativ valide betrachtet werden. Grund-sätzlich beruhen die Ergebnisse auf den Wahrnehmungen der Inter-viewpartner und ihren Bewertungen. Diese sind letztlich entschei-dend für eine angemessene Einschätzung erfolgreicher und nichterfolgreicher Maßnahmen, da Konsequenzen in weiteren Schlussfol-gerungen und Handlungen von persönlichen Überzeugungen ab-hängen.

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Im Folgenden werden nähere Ausführungen zu den angestrebtenEinzelzielen hinsichtlich der Veränderungen des Gesundheitszu-standes und der Versorgungssituation gemacht. Die begleitetenPatienten sind und waren „Risikopatienten”. Sie waren bereits beiAufnahme in die Begleitung mit Mehrfacherkrankungen konfrontiert,hochbetagt und vulnerabel (siehe Abschnitt 4.2). Über zwei Drittelvon ihnen litt nach eigenen Angaben stark unter gesundheitlichenBeschwerden und kam ohne Hilfe mit der Bewältigung der alltäg-lichen Aufgaben nicht mehr zurecht. Ein Drittel von ihnen wurde vonden Hausärzten als pflege- oder schwerstpflegebedürftig einge-schätzt. Bei den meisten der begleiteten Patienten waren die Er-krankungen längst chronifiziert. Rehabilitative Maßnahmen wieKrankengymnastik oder Ergotherapie wurden i. d. R. begleitend undstützend zum Erhalt der Selbständigkeit eingesetzt.

Ob sich eine Vermeidung bzw. Verzögerung der Chronifizierungvon Krankheiten und eine Vermeidung bzw. Verzögerung vonPflegebedürftigkeit erreichen ließen, lässt sich ohne Kontrollgruppeund mit einem solch kleinen Datensatz nicht sagen. Angesicht dervielen Faktoren, die eine solche Entwicklung beeinflussen, ist derNachweis eines möglichen Interventionseffektes durch die Pati-entenbegleitung extrem schwierig.

Der einzige Vergleichsmaßstab, der für die Beantwortung der Fragenach der Vermeidung von nicht gewünschtem Umzug in einPflegeheim zur Verfügung steht, ist die Selbsteinschätzung derHausärzte zu ihrem Überweisungsverhalten. Aus ihrer Sicht ist die-ses Ziel erfüllt. Als Begründung für die Veränderung in ihrem Über-oder Einweisungsverhalten geben sie an, dass ihnen die häuslicheVersorgung ihrer Patienten möglich war, weil sich die Zusammenar-beit zwischen ihnen und den Pflegediensten dahingehend verbesserthat, dass sie die häusliche Pflege als qualitativ hochwertig und dieAbsprachen als verbindlich erfahren haben.

Nach Meinung der Ärzte wäre ein Teil ihrer Patienten ohne denProjekt-Hintergrund in ein Heim überwiesen worden. Sie geben an,dass sie vor der Zusammenarbeit mit Patientenbegleiterin und Koor-dinatorin die Situation in dem Sinne wahrgenommen hätten, dass„[…] da was passieren muss, der kann nicht allein. Den ich auchversucht hätte, irgendwo unterzubringen im Heim.” (HA) Einer derHausärzte schätzt die Zahl der Heimverzögerungen oder -vermeidungen bei seinen PAGT-Patienten auf fünf bis zehn ein. Dassind immerhin etwa 12 % bis 25 % aller begleiteten Patienten dieserPraxis. In einem Gespräch mit den Hausärzten, stellte einer der

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Ärzte für sich fest, dass sich Kategorien wie „Vermeidung“ oder„Verzögerung” inzwischen in seinem Selbstverständnis aufgelösthätten. Seine Orientierung richte sich auf die Möglichkeiten einerhäuslichen Versorgung, weshalb er eine dadurch erfolgte Kranken-haus- oder Heimvermeidung in seinem Alltag seiner Meinung nachgar nicht mehr wahrnehmen würde. Diese Veränderung zeigt auf,welche qualifizierende Wirkung die multiprofessionelle Zusammen-arbeit haben kann.

Vermeidung von Heimeinweisungen werden allerdings auch nichtzum Dogma erhoben, wenn sie den Interessen der Patienten wider-sprechen. „Was wirklich manchmal sehr, sehr schwer gefallen ist.Vor allem mir sehr schwer gefallen ist, zu sagen, hier ist jemandtatsächlich im Heim besser aufgehoben. Das waren dann gerade indiesen Teamsitzungen schwerwiegende Erörterungen, wo wir heftiggekämpft haben.” (HA) Für die Hälfte aller alten Menschen kommtselbst bei vorliegender Pflegebedürftigkeit „ein Altenheim unter kei-nen Umständen in Betracht” (BAGS 1994, 38). Zwei Drittel von ihnenziehen eine häusliche Pflege jeder anderen Möglichkeit vor (ebd.).Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass eine ambulanteVersorgung ihre Grenzen hat und es Betroffene gibt, denen derUmzug in ein Heim als die sinnvollere Lösung erscheint, wenn sie fürsich keine geeigneten Alternativen sehen.

Die Frage nach der möglichen Reversibilität von Pflegeheimein-weisungen, also ob begleitete Patienten nach einem Umzug in einPflegeheim wieder in die eigene Wohnung zurückkehren möchten,stellte sich im Projekt nicht. Einer der Gründe dafür ist, dass durchdie Begleitung eine unerwünschte Einweisung in ein Pflegeheim garnicht stattfand. Ein anderer Grund dafür ist, dass bereits im Vorfeld -wenn der Wunsch nach einem Umzug in ein Pflegeheim bestand -die Patientenbegleiterinnen sich gemeinsam mit den Patienten Hei-me anschauten und abwogen, ob das entsprechende Heim aus Sichtder Patienten einen geeigneten Platz für diese darstellte.

Bei einzelnen Patienten haben sich tiefgreifende Veränderungen inihrem häuslichen Umfeld ergeben. Wenn durch die Situation in dervorhandenen Wohnung dem Hilfebedarf des älteren Menschen nichtmehr angemessen begegnet werden konnte, haben die Patienten-begleiterinnen mit den Betroffenen nach Alternativen gesucht, dieihren Wünschen mehr entsprachen als der Umzug in eine Heim. Sosind z. B. sechs Patienten durch die Initiative der Patien-tenbegleiterin in eine altengerechte Wohnung umgezogen, in derauch eine optimale häusliche Pflege gewährleistet ist oder bei Bedarf

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gewährleistet werden kann. Des Weiteren haben die Patienten-begleiterinnen zur Verbesserung der Lebensqualität zu Gehhilfenangeraten, Badewannenlifter installieren und auch Wohnungen re-novieren lassen.

Die Vermittlung von Haushaltshilfen war eine der wichtigsten undtragfähigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation. I.d. R. waren die Haushaltshilfen weit mehr als nur Dienst Leistende,die sich der Hausarbeit annahmen. Sie waren Gesprächspartner undwurden zu direkten Ansprechpartnern für die begleiteten Patienten.Wie auch im Beispiel der Frau Hansen entwickelte sich bei vielenanderen Patienten ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und ihrerHaushaltshilfe. Häufig fühlten sich die Haushaltshilfen mitverantwort-lich für die alten Menschen und übernahmen die Betreuung oderBegleitung. Die Kosten für die Haushaltshilfe wurden überwiegendvon den Patienten selbst getragen. Deshalb bedurfte es seitens derPatientenbegleiterinnen einer sorgfältigen Motivationsarbeit. Einfüh-lungsvermögen und Zeit waren zwei elementare Voraussetzungendazu.

Gestützt durch die Patientenbegleiterinnen konnten die pflegebe-dürftigen Patienten ihre Interessen gegenüber Pflegediensten besserdurchsetzen, wenn es Anlass dazu gab. Manche Patienten sahensich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Pflegekräften stehenund fühlten sich ohnmächtig. Durch die Aufklärung der Patientenbe-gleiterinnen über ihre Rechte und Wahlmöglichkeiten als Auftragge-ber für eine Dienstleistung, erfuhren sie sich als handlungsfähig. Inmehreren Fällen wechselten die Patienten den Pflegedienst, alsnach Vermittlung und Rückmeldung der Patienten und der Patien-tenbegleiterin an den Pflegedienst wegen Diskontinuitäten keineBesserung erfolgte. Die häufigsten Beschwerdegründe der begleite-ten Patienten, die von ambulanten Pflegediensten versorgt wurden,waren häufig wechselnde Pflegekräfte, Nichteinhaltung der Zeiten -sowohl die Dauer als auch die Pünktlichkeit betreffend - und nichtnachvollziehbare Abrechnungen.

Eine weitere Zielsetzung des Modells war die Vermeidung vonmedizinisch nicht begründeten Krankenhausaufenthalten oderzumindest eine Verkürzung von Liegezeiten im Krankenhaus. Obeine kürzere Verweildauer erreicht werden konnte, ist nur im Einzel-fall nachweisbar. Immerhin wurde die Erfahrung gemacht, dass diesprinzipiell möglich ist. Voraussetzung dafür ist eine gute Kenntnis derhäuslichen Situation zur Vorbereitung der Überleitung zurück in dieeigene Wohnung. Hier waren die Patientenbegleiterinnen im Rah-

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men ihrer vielen Krankenhausbesuche unterstützend, in dem siegenau dieses Wissen vermittelt haben und gemeinsam mit demKrankenhauspersonal, insbesondere dem Sozialdienst, die Entlas-sung vorbereitet haben. Die Überleitung vom Krankenhaus zurück indie Wohnung hängt von vielen Faktoren ab. Sie reichen von derBereitschaft der Stationsärzte, eine frühe Entlassung zu verant-worten bis hin zur rechtzeitigen Bereitstellung erforderlicher Pflege-hilfsmittel und personeller Hilfen. In einem Fall empfahl die Sach-bearbeiterin einer Krankenkasse sogar, die betreffende Patientin solange im Krankenhaus zu belassen, bis das Bewilligungsverfahrenzur Bereitstellung von Pflegehilfsmitteln für die häusliche Pflege ab-geschlossen sei. Die Patientin und ihr Ehemann riskierten in diesemBeispiel, das erforderliche Pflegebett selbst zu bezahlen.

In mindestens drei Fällen konnten die Patienten auf ihren Wunschhin und auf Initiative der Patientenbegleiterin wieder nach Hauseentlassen werden, obwohl das Krankenhauspersonal die Verlegungin ein Pflegeheim plante. Aus sozioökonomischer Sicht sind hierEinsparpotenziale vorhanden, zumal die Wartezeiten auf einen Platzin einem Altenpflegeheim während der Projektlaufzeit noch langwaren und dadurch den Krankenhausaufenthalt medizinisch unnötigverlängert hätten.

Mehr als ein Drittel der begleiteten Patienten* ist während der Pro-jektlaufzeit gestorben. Für diese Gruppe konnten in erheblichemUmfang Krankenhausaufenthalte in der letzten Lebensphasevermieden werden. Die Teams haben sich intensiv mit den Möglich-keiten des Sterbens in vertrauter Umgebung befasst. Durch dieGespräche zwischen Patientenbegleiterin, Angehörigen und Patien-ten wurden Sterbebegleitungen zu Hause möglich, wenn die Patien-ten das wünschten und dazu bereit waren. In diesen Situationenzeigen sich die Verbesserungen in der ambulanten Versorgungbesonders deutlich, vor allem in der Pflege mit begleitender Beratungder Angehörigen bei den nicht-alleinlebenden Patienten. MehrereVoraussetzungen mussten dazu erfüllt sein.

Eine gute Kooperation zwischen Hausarzt und Pflegedienstzeigte sich als die wichtigste Bedingung. Sie zeigte sich in einem

* Abweichend von der Darstellung des Abschluss-Assessments beträgt diegesamte Anzahl der verstorbenen Patienten in diesem Abschnitt 35, da nochweitere 6 Patienten hinzukamen, für die entweder kein Assessment vorlag oderdie am Ende des Projektes verstarben, als die Datenerhebung bereits abge-schlossen war.

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dichten und regelmäßigen Kommunikationsfluss, gegenseitigemVertrauen in die Befähigung, die Aufgaben zu erfüllen, gegenseitigerVerbindlichkeit in den Absprachen, Respektierung, Annahme undUmsetzung der gegenseitigen, auf der jeweiligen Fachkompetenzberuhenden Empfehlungen, wie auch konstruktive Kritik. In einemgemeinsam entwickelten und aufeinander abgestimmten Vorgehenwurden die Wünsche und Interessen der Patienten und ihrer Ange-hörigen einbezogen.

Im Laufe der Projektzeit haben die Hausärzte „den Mut gefunden”,die Versorgung der sterbenden Patienten unter den Bedingungender Häuslichkeit zu übernehmen und zu tragen. Hier spiegelt sichauch die Enttabuisierung des Themas „Sterben” und die stärkereBerücksichtigung der Patienten-Interessen wieder. Dadurch, dass inden Gesprächen zwischen Patientenbegleiterinnen und Patientendas Thema „Sterben” thematisiert wurde, waren die Vorstellungender Patienten über ihr Lebensende erfahrbar geworden. Die Patien-ten konnten nach Angaben der Patientenbegleiterinnen sehr gutüber ihre Einstellung und Gedanken zum Sterben und Tod berichten.Viele von ihnen empfanden die Thematisierung eher als Entlastung,da sie dadurch selbst mehr Einfluss auf ihre Versorgung nehmenkonnten und sich selbst als handlungsfähiger erlebten. Die guteKooperation mit den Pflegediensten sowie die Unterstützung durchdie Patientenbegleiterinnen haben den Hausärzten mehr Selbstver-trauen für die Leitung und Durchführung der häuslichen Sterbe-begleitung gegeben.

Auch von der Organisation des betreuenden Pflegedienstes undder Qualifikation seiner Mitarbeiter ist abhängig, ob eine ambu-lante Sterbebegleitung durchführbar ist. Der Pflegedienst muss inder Lage sein, die häufig erhöhten personellen Kapazitäten einerTerminalpflege mit hoher Qualifikation bereitzustellen und zugleichdie Kontinuität der Einsätze der Mitarbeiter zu gewährleisten. Für dieHausärzte war dies ein wichtiger Grund für die Entscheidung, aufeine Einweisung in das Krankenhaus zu verzichten.

Bei den verstorbenen Patienten die mit Angehörigen zusammenlebten bzw. von Angehörigen gepflegt wurden, war vielfach eineBeratung der Angehörigen erforderlich, bevor eine Entscheidungfür die häusliche Sterbebegleitung getroffen wurde. Diese Beratungwurde zunehmend mehr auch von den Hausärzten übernommen.Zwei Aspekte spielten dabei eine besondere Rolle. Zum einen, dasSterben und den Tod ihrer Angehörigen zu akzeptieren, zum ande-ren, dass auch im Rahmen einer häuslichen Versorgung optimale

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Pflege und ärztliche Behandlung möglich sind. Die Angehörigenbrauchten die Zuversicht, dass sie sich in der schweren Situationeiner Sterbebegleitung nicht allein gelassen fühlen mussten.

Das Modellvorhaben hat gezeigt, dass eine ambulante Sterbebe-gleitung durchführbar ist, wenn alle dargestellten Voraussetzungenerfüllt sind. Im Rahmen einer guten multiprofessionellen Kooperationentsteht eine Wechselwirkung der Voraussetzungen. Wenn die Pro-fessionellen den Patienten und ihren Angehörigen realistische Al-ternativen zum Krankenhaus aufzeigen können und ihre Interessenin der Behandlungs- und Hilfeplanung berücksichtigt werden, könnendie Angehörigen sich vorstellen, sich von ihren sterbenden Famili-enmitgliedern zu Hause zu verabschieden.

Wenn nur eine der Voraussetzungen nicht gegeben ist, wird dieDurchführung einer angemessenen ambulanten Sterbebegleitungunwahrscheinlich. Das zeigte sich besonders in der unterschiedli-chen Behandlungs- und Versorgungskultur zweier Hausarztpraxen.So ist in einer Praxis eine hervorragende Zusammenarbeit zwischeneinem mittelgroßen Pflegedienst und der Hausarztpraxis entstanden,die noch heute trägt und weitergeführt wird. Durch die Patienten-begleiterin wurde diese Zusammenarbeit eingeleitet und gefördert.Das führte dazu, dass von den 15 während der Begleitung verstor-benen Patienten dieser Praxis 11 Patienten zu Hause verstarben.Auch Frau Hansen gehörte zu diesen Patienten. Alle 11 Patientenwollten nicht ins Krankenhaus. Die vier im Krankenhaus verstorbe-nen Patienten wollten entweder ins Krankenhaus oder es konnte -wie im Falle einer Patientin - eine häusliche Terminalpflege wegenhoher technischer Anforderungen nicht verantwortet werden.

Ganz anders gestaltet sich die Situation in einer anderen Praxis.Dort sind von 10 begleiteten und verstorbenen Patienten sechs imKrankenhaus gestorben. Zwei Patienten starben im Pflegeheim undeine Patientin in der Kurzzeitpflege. In ihrer Wohnung ist nur einePatientin gestorben. Während sich in der zuerst beschriebenen Pra-xis eine neue Kultur im Versorgungsmanagement entwickeln konnte,wurde es in dieser Praxis zumindest hinsichtlich der häuslichenVersorgung Sterbender nicht realisiert. Hier bestand bereits einelangjährige Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst, der aber nichtdie Kapazitäten für eine intensive häusliche Pflege bereitstellenkonnte. Die Patientenbegleiterin scheiterte in ihren Bemühungen,einen leistungsstarken Pflegedienst an die Praxis zu vermitteln. We-gen der mangelhaften Voraussetzungen für eine häusliche Sterbe-begleitung und Terminalpflege mussten die Patienten weiterhin in

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das Krankenhaus überwiesen werden. Allerdings konnte die Patien-tenbegleiterin erfolgreich auf die bis dahin unbekannte Möglichkeithinweisen, Patienten im Bedarfsfalle und zur Entlastung pflegenderAngehöriger in eine Kurzzeitpflege-Einrichtung zu überweisen.

In der dritten Praxis sind von 10 verstorbenen Patienten vier in dereigenen Wohnung gestorben. Der Hausarzt beobachtete bei sichaber eine sich ändernde Haltung gegenüber der Betreuung sterben-der alter Menschen. Auch hier ergab sich im Projektverlauf eineintensivere Zusammenarbeit zwischen einem Pflegedienst und derArztpraxis. Die häusliche Terminalpflege der in ihrer Wohnung ver-storbenen Patienten hat daher im letzten Drittel der Projektlaufzeitstattgefunden.

Das Projekt hat mit den beschriebenen Einzelzielen insgesamt vorallem zu einer Verbesserung der psychosozialen Situation derälteren Menschen beigetragen. In dieser Einschätzung sind sich dieprofessionellen Helfer mit den Patienten und ihren Angehörigeneinig.

Auf die Frage an die Hausärzte, welche Effekte die Teamarbeithauptsächlich bei ihren Patienten „bewirkt” hätte, gaben sie als Ers-tes übereinstimmend „Verbesserungen im psychosozialen Bereich”an. Vielleicht typisch für das Konstrukt „psychosozial” ist der Mangelan konkreten Anhaltspunkten oder Merkmalen, die eine Verbes-serung auch tatsächlich belegen können oder diese konkret be-schreibbar machen. Ein großer Bereich bleibt hier unausgesprochen,wohl weil eher die Stimmung der Patienten als Gesamteindruckdurch die Hausärzte erfasst wird. Schließlich sind fast alle begleite-ten Patienten ihren behandelnden Ärzten über Jahre bekannt undihre Einschätzung von Effekten erfolgt eher global. Dementspre-chend kurz und pauschal fallen die Aussagen dazu aus:

Hausarzt: „Was Psychosoziales, unbedingt. […] Sie [die PB] hatlange Gespräche geführt mit den Leuten, die sehr auch in dieTiefe gingen, gerade im psychosozialen Bereich, wo die Pati-enten sehr dankbar drauf reagierten.”

Auch die Leiterin eines Seniorentreffs beobachtet eine solche Ver-änderung:

Leiterin Seniorentreff: „Die Menschen, die kommen, sind über-haupt nicht ängstlich, sie fühlen sich geborgen und es ist ganzdeutlich zu sehen, dass sie gegenüber Frau K. [PB], - wenn

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Frau K. in der Praxis ist -, es bringt unheimlich viel Ruhe in dieMenschen.”

Die Erfahrungen mit den Zusatz-Fragen als Ergänzung zum Ab-schluss-Assessment und mit den ausführlichen Interviews zeigen,dass es auch für die älteren Menschen selbst sehr schwer ist, kon-krete Anhaltspunkte für ihre Wahrnehmung und Empfindung vonVeränderungen zu geben. „Ich kann das nicht beschreiben. Mankann ja vieles nicht beschreiben, jedenfalls ich nicht. Ich wüsstenicht wie ich das schildern soll.” (Frau, 84 Jahre) Da der Interview-leitfaden so aufgebaut wurde, dass die Patienten zu Beginn ganz freiantworten und somit ihre eigenen Prioritäten setzen konnten, be-stätigt sich hier die Wahrnehmung der oben zitierten Ärzte und deranderen an der Versorgung Beteiligten, dass Veränderungen in derpsychosozialen Situation der Patienten zwar auch von diesen selbstan erster Stelle, aber eher allgemein benannt werden und dass diekonkrete Beschreibung einzelner Merkmale vermutlich nur schwer zufassen und zu formulieren ist.

Als erster und wichtigster Punkt hinsichtlich der Bewertung des Mo-dells wurden von fast allen Patienten die Gespräche mit den Pati-entenbegleiterinnen genannt. Diese hätten ihnen „Kraft gegeben”,„Trost”, „Mut gemacht”, „Vertrauen vermittelt”, „Ruhe gegeben” unddie Dinge „auseinander gepuhlt”. Die Patientenbegleiterinnen wurdenals „eine geistige Stütze”, als „Retter” empfunden, die ihnen ein Ge-fühl der Sicherheit vermittelt hätten. Häufig findet sich die Aussage,dass allein das Wissen, sie in der Not erreichen zu können, schonein Gefühl großer Entlastung mit sich bringe. Das Gefühl von Si-cherheit und Entlastung durchzieht wie ein roter Faden die Rück-meldungen sowohl der Patienten als auch ihrer Angehörigen. Zu-sätzlich wird diese Veränderung von anderen Personen, die imKontakt mit den begleiteten Patienten waren, bestätigt.

Deutlich wird aber auch die Betonung der „Persönlichkeit” der beidenPatientenbegleiterinnen. Attribute wie „ihre ganze Art und Weise”oder „ihr einfühlsames, nettes Wesen” werden häufig genannt undgenügen den Patienten als hinreichende Bedingungen zur Erklärung,wenn sie sagen, dass es ihnen besser geht.

4.9.4 Zusammenfassung

Mit der Verwendung eines multidimensionalen geriatrischen As-sessments (OARS) zu zwei Erhebungszeitpunkten sollten Effekte

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der Patientenbegleitung auf fünf Dimensionen der Lebensqualitätevaluiert werden. Eine letztendlich zu geringe Fallzahl und Verzer-rungen, die in den inhomogenen Erhebungszeitpunkten begründetsind, schränken die Aussagekraft der Ergebnisse ein. Als gesichertzu bewertende Ergebnisse dieser Veränderungsmessung sindsignifikante Verschlechterungen der begleiteten Patienten in ihrerallgemeinen Gesundheit. Auf der Ebene der körperlichen Gesundheitspiegelt sich das in den Verschlechterungen sowohl in den Aktivitä-ten des alltäglichen Lebens als auch in den instrumentellen Aktivitä-ten des täglichen Lebens wider, die beide eng miteinander zusam-menhängen. Auf der Ebene der geistigen Gesundheit bzw. des kog-nitiven Leistungsvermögens wurde ebenfalls eine signifikante Ver-schlechterung beobachtet. Die Abnahme der geistig-seelischenGesundheit, und die Abnahme der Zufriedenheit mit der verfügbarensozialen Unterstützung könnte sich zu einem großen Teil aus derzunehmenden Beeinträchtigung in der funktionellen Gesundheit(ADL und IADL) erklären.

Mehr als ein Drittel aller begleiteten Patienten sind in dem Zeitraumder Projektlaufzeit gestorben. Dies ist auch als deutlicher Hinweisauf die hohen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und das hoheAlter der PAGT-Patienten zu werten. Zwischen den Untergruppen„Verstorbene” und „Überlebende” der begleiteten Patienten zeigt sichein Unterschied im funktionellen Status der Patienten zu Beginn derBegleitung: Im Bereich der IADL und ADL-Fähigkeiten erwiesen sichdie verstorbenen Patienten als signifikant beeinträchtigter als dieÜberlebenden. Die Gruppe der Überlebenden wies zum Ende desProjektes ähnlich starke Beeinträchtigungen auf wie die Gruppe derVerstorbenen zu Beginn des Projektes. Der Verlauf lässt insgesamteine sehr hohe gesundheitliche Beeinträchtigung der PAGT-Patienten erkennen, die die anfänglichen Erwartungen an Verbesse-rungen - insbesondere im Hinblick auf mögliche Auswirkungen prä-ventiver Maßnahmen - nicht erfüllte.

In den umfangreichen Patienten-Dokumentationen sowie den Inter-views mit den AGT-Mitgliedern und Vertretern anderer Dienste wirddeutlich, in welcher Weise die Leitlinien „Rehabilitation vor Pflege“und „ambulant vor stationär“ realisiert werden konnten. Für diePAGT-Patienten, also eine Hochrisikogruppe, zeigte sich die Be-deutung von „Rehabilitation trotz Pflege“ besonders im Bereich derHilfsmittelversorgung und der Wohnraumanpassungsmaßnahmen.Dem Vorrang der ambulanten Versorgung konnte durch Vermei-dung von ungewünschten Umzügen in ein Pflegeheim entsprochenwerden. Stattdessen wurde die häusliche Versorgung verbessert

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oder in einigen Fällen der Wechsel in eine altengerechte Wohnungrealisiert. Dies wurde nach Einschätzung der Beteiligten insbesonde-re auch durch die kontinuierliche Begleitung der Patienten währendeines Krankenhausaufenthaltes ermöglicht. Die Patientenbegleite-rinnen haben in Absprache vor allem mit dem Sozialdienst, aberauch mit den zuständigen Ärzten den Verbleib in der eigenen Woh-nung durch eine gute Organisation der ambulanten Versorgungunterstützt. Eine Verkürzung der Liegezeiten im Einzelfall kann nurvermutet, aber nicht belegt werden.

Durch den hohen Anteil der während des Projektes Verstorbenen hatdie Begleitung Sterbender ein besonderes Gewicht erhalten. Durchdie interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere mit Pflegediens-ten konnte eine Versorgungssituation hergestellt werden, die eineTerminalpflege in der häuslichen Umgebung ermöglichte, unter derVoraussetzung, dass die Hausärzte und die Angehörigen sich dieserAufgabe stellten. In einer der drei Hausarztpraxen zeigte sich dieseMöglichkeit besonders eindrucksvoll. Elf der 15 verstorbenen Pati-enten dieser Praxis verstarben zu Hause. Für die Patienten in derletzten Lebensphase konnten Krankenhauseinweisungen so in vielenFällen vermieden werden.

Aus Sicht der Professionellen konnte die Arbeitsweise im Projektinsgesamt zu einer Verbesserung der psychosozialen Situationder begleiteten Patienten beitragen. Auch die vertiefenden Interviewsmit ausgewählten Patienten und ihren Angehörigen sowie die offenezusätzliche Befragung aller Patienten im Abschluss-Assessment zuihrer Einschätzung der Patientenbegleitung zeigte die hohe Bewer-tung der sogenannten „weichen Ziele“, die sich als psychosozialeMaßnahmen zusammenfassen lassen. Im Vordergrund standenhierbei Beratung und psychosoziale Unterstützung. Die Vermittlungeines Gefühls emotionaler Sicherheit und psychischer Entlas-tung hatte hier einen zentralen Stellenwert. Während die Patienteninsbesondere die persönliche Zuwendung hoch bewerteten, betontendie Angehörigen die Beratung zu Hilfsangeboten, -maßnahmen und -möglichkeiten im Rahmen ihrer Betreuung, stellenweise auch dieEntlastung in familiendynamischen Konflikten. Des Weiteren hat diezusätzliche Befragung im Abschluss-Assessment gezeigt, dass diedurch die Patientenbegleiterinnen erreichte Vermittlung von perso-nellen wie materiellen Hilfen in ihrer Bedeutung - verglichen mit derpsychosozialen Unterstützung - in der Wahrnehmung der Patientennur eine untergeordnete Rolle spielte.

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5 Diskussion und Ausblick5.1 Projektentwicklung und -implementation

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung inDeutschland mit ihren Folgen für Sozialstaat und Gesundheitssys-tem setzte im letzten Jahrzehnt eine starke Dynamik in der Neuord-nung der gesundheitlichen und sozialen Versorgungsstruktur ein.Dies spiegelt sich sowohl in den Gesetzesinitiativen als auch in derEntwicklung von innovativen Versorgungskonzepten wider.

In schneller Abfolge entstanden mit dem Gesundheitsreformgesetz,dem Gesundheitsstrukturgesetz, dem Pflegeversicherungsgesetz,den Neuordnungsgesetzen und der aktuellen Gesundheitsreform2000 gleich mehrere Gesetzesinitiativen zur Gesundheits-systemsteuerung. Die Versorgung älterer und sich im Ruhestandbefindender Bürger wurde sowohl von politischen, ökonomischenund sozialrechtlichen Repräsentanten als auch Versicherern undLeistungserbringern in den Brennpunkt der Diskussion zur Situationdes Gesundheitswesen und des Sozialstaates gestellt (vgl. z. B.Zeman 2000).

Bei der Suche nach innovativen Konzepten und Lösungen wurdeund wird die Notwendigkeit der multidisziplinären Zusammenarbeitzur Realisierung ganzheitlicher Versorgungskonzepte breit diskutiert,sowohl auf der politischen, berufsverbandlichen und praktischen alsauch auf der wissenschaftlichen Ebene (vgl. z. B. Tews, Klie &Schütz 1996; Höhmann, Müller-Mundt & Schulz 1998; Sozialministe-rium Baden-Württemberg 1998). Die angewandte gerontologischeForschung der letzten Jahre hatte und hat einen wesentlichen Anteilan der Entwicklung und Erprobung neuer Versorgungsansätze. Eswurden Projekte insbesondere durch die verschiedenen Bundesmi-nisterien gefördert, vor allem im Rahmen der durch das Bundesmi-nisterium für Forschung und Technologie geförderten Public HealthVerbünde, des Programms des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales zur Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen sowieeinzelner Vorhaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend. Allerdings scheitern viele dieser Modellvor-haben trotz überzeugender Ergebnisse bei dem Versuch einesTransfers ihrer Konzepte in die Regelversorgung an strukturellen undökonomischen Barrieren.

Ein Versuch, auf die brennenden Fragen der Gesundheitsförderungund -versorgung älterer Menschen eine angemessene Antwort zu

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finden, war das Konzept für das Projekt Ambulantes Gerontologi-sches Team (PAGT). Die Kombination aus Case und Care Mana-gement im Sinne einer sich gegenseitig stützenden einzelfall- undgemeinwesenorientierten Zusammenarbeit macht die besondereQualität des PAGT-Ansatzes aus.

Die vorliegende Publikation konzentriert sich auf den Bereich derPatientenbegleitung im Sinne von Case Management. Der Bereichdes Care Managements wurde im ausführlichen Abschlussbericht(Döhner, Bleich, Kofahl, Lauterberg 1997) näher beschrieben undwird hier nur kurz angerissen, da inzwischen vor allem unter demStichwort „Koordinationsstellen“ dazu viel publiziert wurde und dieErfahrungen und Forderungen sich sehr ähneln (vgl. ISPO-Institut1995; Döhner, Mutschler & Schmoecker 1996; Höhmann, Müller-Mundt & Schulz 1996).

Das Spezifikum von PAGT im Vergleich zu anderen in den letztenJahren durchgeführten Case Management-Projekten (vgl. z. B. Rei-bert, Wissert & Sauer 1998) ist der gewählte Hausarztansatz. Aus-gangspunkt war einerseits der in § 73 SGB V verankerte Auftrag zurKoordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maß-nahmen durch den Hausarzt, für deren inhaltliche Ausgestaltung bisdahin keine Konzepte vorlagen und erprobt worden waren. Anderer-seits wurden die hohe Kontaktrate und das Vertrauensverhältnis derälteren Menschen zu ihrem Hausarzt (vgl. Fischer 1991) als Chancefür einen erfolgreichen Zugang zu dieser Zielgruppe gesehen. Dasinnovative Element war die Einbindung des Hausarztes in eine multi-disziplinäre Arbeitsweise im Team. Sie hat sich insbesondere da-durch bewährt, dass die Möglichkeiten zur Identifizierung von hilfe-bedürftigen Patienten und die Planung und Einleitung der erforderli-chen Maßnahmen, die in der Schlüsselposition des Hausarztes zurPatientensteuerung potenziell angelegt sind, besser erkannt undkooperativ multidisziplinär umgesetzt werden können. Die Bedeutungder zentralen Rolle des Hausarztes in der Primärversorgung ältererMenschen hat sich eindrücklich bestätigt, und die Effektivität für diePatienten wurde durch den Teamansatz unterstützt. Den Patientenwurde die Akzeptanz der für sie neuen Kontaktperson durch dieEmpfehlung des Hausarztes erheblich erleichtert, wenn nicht über-haupt erst möglich. Im individuellen Begleitungsverlauf konntendurch die unterschiedlichen Sichtweisen der Teammitglieder einge-fahrene Verfahrensweisen im Sinne einer stärker patientenorientier-ten Betreuung korrigiert werden.

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Der Hausarzt hat allerdings mit Einführung der Pflegeversicherung(PflegeVG) (vgl. Sozialgesetzbuch 2000) zum 1. Januar 1995 – alsowährend der Projektlaufzeit - formal an Einfluss verloren, da diePflegebedürftigkeit und der Rehabilitationsbedarf einschließlich derHilfsmittelversorgung durch den Medizinischen Dienst der Kranken-kassen (MDK) beurteilt werden und der Hausarzt i. d. R. nicht überdas Ergebnis informiert wird. Dadurch wird die von ihm erwarteteKoordinationstätigkeit zusätzlich erschwert. Erste Erfahrungsberichtezur Umsetzung der MDK-Empfehlungen (vgl. Lucke, Messner &Lucke 1997; Matthesius & Matthesius 1997) bestätigen jedoch, dassein Erfolg der Maßnahmen wesentlich von der Einbeziehung desHausarztes in die konkrete Versorgungsplanung der begutachtetenPatienten abhängt. Vorschläge zur notwendigen Verbesserung derZusammenarbeit zwischen MDK-Gutachtern und Hausarzt kommendeshalb auch vom MDK selbst.

Die Projektvorbereitung und -implementation von PAGT habengezeigt, dass Veränderungen und Innovationen in der gesundheitli-chen und sozialen Versorgung nur kleinschrittig vonstatten gehenkönnen. Verhaltens- und Einstellungsänderungen bei den an derGesundheitsversorgung Beteiligten lassen sich nicht von übergeord-neter Ebene bestimmen, sondern basieren auf persönlichen Über-zeugungen. Den Ergebnissen der durchgeführten Interviews zufolgewurden in dem Modellvorhaben PAGT die Mitarbeiterinnen des Pro-jektes wie die kooperierenden Hausärzte bereits zu Beginn von derSinnhaftigkeit des Projektanliegens und der Projektziele überzeugt.Dies war ein ganz wesentliches Motiv für sie, neue Erfahrungen undzum Teil auch Belastungen auf sich zu nehmen. Die interdiszi-plinäre Team-Arbeit, die insbesondere in der Anfangszeit hoheAnforderungen an die Selbstreflexion der Team-Mitglieder stellte, bishin zum Infragestellen von verinnerlichten Gewohnheiten, wurdedadurch ermöglicht. In den mit den AGT-Mitgliedern durchgeführtenInterviews wird auch deutlich, dass die Zusammenarbeit im Ambu-lanten Gerontologischen Team (AGT) erheblich zur ihrer Weiterqua-lifizierung beigetragen und die Kompetenzen, auf spezifische Fra-gen Lösungen zu finden, wesentlich erhöht hat (Abschnitt 4.4).

5.2 Identifizierung der Modell-Patienten

Die Auswahl der im Modell zu begleitenden Patienten erfolgte imUnterschied zu vielen anderen Case und Care Management-Projekten - orientiert an der durch Multimorbidität geprägten Ziel-gruppe - nicht diagnose- oder dimensionsspezifisch, sondern multi-dimensional (siehe Abschnitte 3.1.1 und 4.2.2). Dies hatte zur Folge,

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dass die AGTs sehr heterogene Gruppen begleitet haben. EinScreening-Verfahren war notwendig für eine systematische, be-schreibbare und nachvollziehbare Identifikation der Zielgruppe desProjektes, die „Hochrisikopatienten“. Aus dem entwickelten Scree-ning-Verfahren, in dem u. a. schwere Pflegebedürftigkeit und Bettlä-gerigkeit wesentliche Faktoren für die Auswahl der zu begleitendenPatienten waren, resultiert ein im Vergleich zu anderen Studien (vgl.z. B. Junius, Fischer & Niederstadt 1994a; Junius, Fischer & Nieder-stadt 1994b) weniger präventiver Ansatz, der insbesondere bei Re-habilitations-Projekten (vgl. z. B. Meier-Baumgartner 1998a; Meier-Baumgartner 1998b), also bei Patienten mit hohem Rehabilitations-potenzial, stärker im Vordergrund steht.

Die Einbeziehung der Selbsteinschätzung der Patienten in dasScreening-Verfahren mit dem Kurzfragebogen in Ergänzung zu derärztlichen Einschätzung hat sich als ein wichtiger und auch öko-nomischer Bestandteil dieses systematischen Vorgehens herausge-stellt. Einen ebenfalls hohen Stellenwert hatte der Spontanvor-schlag für die Patientenbegleitung, mit dem die eher intuitive Ein-schätzung der Ärzte und der sogenannte klinische Blick, bzw. durcheine standardisierte Erhebung nicht zu erfassende Kriterien (vgl. z.B. Pientka, Scholten & Füsgen 1995; Willkomm, Jansen, Thode et al.1998) ausgedrückt werden konnten. Zudem hatte das Screening-Instrument auch eine stärkere Sensibilisierung der Hausärzte insbe-sondere hinsichtlich psychosozialer Aspekte ihrer Patienten zurFolge, da sie in jedem Einzelfall systematisch auf Fragen gelenktwurden, die im Alltag unter dem Zeitdruck häufig zu kurz kommen.

Im Verlauf der Patientenbegleitung wurde deutlich, dass sich durchSreening-Verfahren allein das Angehen sogenannter Tabuthemenwie Inkontinenz, Sucht und Suizidalität noch nicht erschöpfend an-gehen ließen. Zwar bietet das ärztliche Gespräch sicherlich denbesten Rahmen dafür, doch müssen die Ärzte die Themen auchansprechen. Die in der Literatur beschriebenen Defizite z. B. hin-sichtlich der mangelnden Thematisierung von Inkontinenz oder derDiagnostik von Depressionen (vgl. z. B. Junius, Kania & Fischer1996) wurden auch durch die Erfahrungen mit PAGT bestätigt. DieEinschätzungen der Patientenbegleiterin konnten hier jedoch häu-figer die im Screening nicht dokumentierten Risiken korrigieren. IhreRückmeldungen dazu in den Teamsitzungen trugen auch in diesenBereichen zu einer höheren Aufmerksamkeit bei den Hausärzten bei.Letztlich sind diese zum Teil schambesetzten Bereiche nur durch dieBefragung der Patienten zu beantworten.

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Für einen dauerhaften und regelmäßigen Einsatz eines Screening-Verfahrens in den Hausarztpraxen muss das verwendete Instrumenteinen für die Ärzte ersichtlichen Erkenntnisgewinn bringen undwirtschaftlich sein. Die PAGT-Ärzte selbst argumentieren, dass dieBereiche, die das Screening erfasste, nach relativ kurzer Zeit in ihreallgemeine Anamnese mit aufgenommen wurden. Es ist deshalb zuüberlegen, ob das standardisierte schriftliche Screening-Verfahrennach einer Lernphase durch eine Checkliste ersetzt werden kann.Wenn ein Screening aber nicht nur der Auswahl von Patienten fürbestimmte Interventionen dienen soll, sondern auch dazu, Befundetransparenter zu machen und den Informationsfluss zwischen ver-schiedenen Versorgungsbereichen zu unterstützen, ist auf ein sys-tematisches Vorgehen nicht zu verzichten. Die Forderung nach derWirtschaftlichkeit ist verbunden mit der Notwendigkeit der Honorie-rung eines solchen Screenings als Bestandteil der Koordinationsauf-gabe des Hausarztes. Solange hier keine Lösungen gefunden sind,werden die inzwischen in Modellvorhaben mit zusätzlicher Finanzie-rung weiter entwickelten und erprobten Verfahren (vgl. z. B. Junius,Kania & Fischer 1996; Meier-Baumgartner 1998a) keine Chancehaben, in die Alltagsroutine integriert zu werden.

5.3 Multidimensionale Situationsanalyse bei den Modell-Patienten

Ein wesentliches Spezifikum von PAGT liegt in der interdis-ziplinären Hilfeplanung und –durchführung im Team und vorallem in der umfangreichen Hausbesuchstätigkeit der Patienten-begleiterinnen, zwei Kernelementen des Projektes. Als eine notwen-dige und wesentliche Voraussetzung der Hilfeplanung wird von allenFachleuten übereinstimmend das multidimensionale geriatrischeAssessment-Verfahren bewertet (vgl. z. B. Wendt 1997; Nikolaus &Pientka 1999; Engel & Engels 2000).

Die in PAGT verwendete Erhebungsmethode unter Einsatz desOARS ist in dieser Form und bei dieser Zielgruppe allerdings nichtweiterzuempfehlen (Abschnitte 3.1.2 und 4.3.3). Viele Bedarfe wur-den nicht oder nicht zutreffend durch die ausschließlich standardi-sierte Befragung mit dem OARS, sondern erst in den offenen Ge-sprächen der Patientenbegleiterinnen mit den Patienten und Ange-hörigen aufgedeckt (Abschnitt 4.3.2). Häufig handelt es sich in die-sem Zusammenhang um Bedarfe, die die Betroffenen selbst alswesentlich erachten. Dies gelang teilweise erst nach mehreren Kon-takten und Hausbesuchen, was erneut die große Bedeutung einer

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Kontinuität in der Begleitung verdeutlicht (Monitoring), um eineVertrauensbasis für die Zusammenarbeit zu schaffen.

Sinnvoll erscheint demzufolge für die künftige Praxis in der Versor-gung älterer Menschen ein kombiniertes Vorgehen, welches dasstandardisierte Assessment-Verfahren um offene Gespräche erwei-tert. Die Lebenssituation und die lebensrelevanten Bereiche derPatienten lassen sich dadurch umfassender und angemessenererheben und die Veränderungen deutlicher beobachten. Dafürscheint die aktive Einbindung sowohl der Patienten als auch ihrerAngehörigen unumgänglich, um notwendige Akzeptanz und Verbind-lichkeiten herzustellen. Die Angehörigenarbeit war ein wichtigerArbeitsbereich der Patientenbegleiterinnen, der sie zeitlich starkbeanspruchte (Abschnitt 4.6). Da die Angehörigen immer noch diewichtigsten Betreuungspersonen für ältere hilfsbedürftige Menschensind (vgl. Schneekloth et al. 1996), wird in neueren europäischenStudien eine Kombination von Kurz-Assessments sowohl zum Hilfs-bedarf bei den Patienten (vgl. Döhner, Kofahl & Philp 1999) als auchzu den Belastungen ihrer Angehörigen (vgl. Nolan & Philp 1999)erprobt. Die rechtzeitige Entlastung und Unterstützung der pflegen-den Familienmitglieder ist Voraussetzung zur Erhaltung ihres Hilfe-potenzials (vgl. Jani-Le Bris 1993).

Vom Projektbeginn bis heute ist die Diskussion nicht nur über die fürden ambulanten Bereich angemessenen Screening-Verfahren son-dern auch über die hier anzuwendenden gerontologisch-geriatrischen Assessment-Verfahren wesentlich vorangeschritten, sodass die inzwischen vorliegenden Praxis- und Forschungsergebnisse(vgl. Rubenstein, Wieland & Bernabei 1995; Runge & Wahl 1996;Steinhagen-Thiessen 1998; Döhner, Kofahl, Philp 1999; Nikolaus &Pientka 1999) eine Grundlage für den weiteren Einsatz oder eineWeiterentwicklung von Erhebungsinstrumenten hierzu bilden.

In den Patienten-Dokumentationen liegt ein erhebliches Erkennt-nis-Potenzial, wie die vertiefende Analyse einzelner Begleitungs-Verläufe zeigen konnte (vgl. die Abschnitte im Ergebnisteil zu FrauHansen). Die in PAGT verwendete Patienten-Dokumentation dienteder umfassenden Informationsgewinnung über die Patientenbeglei-tungsverläufe. Für den Einsatz in der Praxis ist sie nach Einschät-zung der Patientenbegleiterinnen und der Hausärzte in dieser offe-nen Form allerdings zu zeitaufwendig und daher ökonomisch nichtvertretbar. Stattdessen sollte ein kurzes und systematisches Doku-mentationsverfahren entwickelt werden, das dennoch alle relevantenAspekte umfasst (Abschnitt 3.1.3). Insbesondere der Prozess von

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der ersten Situationsanalyse und Hilfeplanung bis hin zur möglichenZielerreichung einschließlich aller erforderlichen Modifikationen mussdurch eine solche Dokumentation abgebildet werden können. Um-fangreiche Erfahrungen hierzu liegen z. B. bei den Koordinations-stellen in Berlin vor, die bereits seit vielen Jahren im Rahmen ihrerArbeit mit der Methode des Case Managements daran gearbeitethaben (vgl. Wissert 1997).

5.4 Kontinuierliche und Versorgungssektor übergreifendePatientenbegleitung

Die Begleitung der Patienten war personenzentriert sowie lebens-umfeldorientiert und erforderte in jedem Einzelfall ein individuellesund oft kreatives Vorgehen. Insbesondere bei der wachsendenGruppe der dementen älteren Menschen waren hohe Anforderungenan spezifische Vorgehensweisen gegeben. Hier kam in besonderemMaße die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Vertrauenspersonzum Ausdruck. Die Rückmeldungen der Patienten und ihrer Angehö-rigen an die Patientenbegleiterinnen und im Rahmen von Interviewsbestätigen, dass ihre Überforderung durch die Komplexität des Ver-sorgungssystems von der Patientenbegleitung aufgefangen werdenkonnte (Abschnitt 4.9.2). Sie bot Information, Beratung und Vermitt-lung zu konkreten Hilfeangeboten und unterstützte die älteren Men-schen bei der Lösung von Problemen mit den angebotenen Dienst-leistungen.

Den Aussagen der Patienten und ihrer Angehörigen war auch zuentnehmen, dass die Verantwortlichkeit der verschiedenen patien-tenbegleitenden Aufgaben in einer Person, die außerdem in engemKontakt mit dem Hausarzt steht, aus mehreren Gründen vorteilhaftist. Die Patienten und ihre Angehörigen haben eine zentrale An-sprechperson, an die sie sich wenden können, insbesondere dann,wenn sie durch ihren Hausarzt keine ausreichende Hilfe zu erhaltenglauben und keinen anderen Adressaten für ihre Fragen wissen. Dieälteren Menschen scheinen sich durch den engen Kontakt zu einerVertrauensperson, wie sie die Patientenbegleiterin darstellt, als gan-ze Person wertgeschätzter zu fühlen, als sie es in aufgabenspezifi-schen und häufig kurzen Kontakten mit verschiedenen Mitarbeiterin-nen des Versorgungssystems können. Hier ist allein die mangelndeZeit für den Beziehungsaufbau als Begründung heranzuziehen, -keineswegs wird damit gesagt, dass die Mitarbeiterinnen des Ver-sorgungssystems keine wertschätzende Haltung hätten. Des Weite-ren wird den Patienten das Verständnis für verschiedene Maßnah-men und Versorgungsaspekte erleichtert, da eine Person leichter die

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Bezüge herstellen und den Sinn des Vorgehens vermitteln kann. DieKommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und beteiligtenDiensten wird erleichtert, da weniger Missverständnisse und Fehlab-sprachen bzw. möglicherweise als widersprüchlich erlebte Aussagenverschiedener Helferinnen auftreten.

Patientenbegleitung konnte insbesondere im psychosozialen Be-reich positive Wirkung zeigen (Abschnitte 4.6.2 und 4.8.2.2). Dies istu. a. auch den Schwerpunktsetzungen durch die Patienten und ihreAngehörigen in ihren Einschätzungen in den Interviews zu entneh-men (Abschnitt 4.9.2.1). Die im Verlauf eingetretene Verschlechte-rung in der körperlichen und funktionellen Gesundheit ist allerdingserheblich, was bei einer Hochrisikogruppe, wie sie im Rahmen vonPAGT ausgewählt wurde, nicht überrascht. Jedoch lässt sich dasAusmaß nicht bewerten, da nicht eingeschätzt werden kann, wie dieEntwicklung ohne die erfolgten Interventionen gewesen wäre. Füreine gesicherte Bewertung, die nur in einem Kontrollgruppen-Vergleich möglich gewesen wäre, müssten zusätzlich die Stich-proben erheblich größer sein, zumal die PAGT-Klientel - wie bereitsbeschrieben – als sehr heterogen eingeschätzt werden kann.

In vielen Fällen wurden die Patienten - ausgehend von der Beglei-tung im häuslichen Umfeld - auch in Phasen von Krankenhausauf-enthalten oder beim Übergang ins Pflegeheim weiter begleitet.Dadurch konnten der Informationsfluss zwischen ambulantem undstationärem Bereich gesichert und die Patienteninteressen besserberücksichtigt werden. Die in den letzten Jahren verstärkt diskutier-ten und erprobten Überleitungsbögen und Patientenbegleitbücher(Sozialministerium Baden-Württemberg 1999; Kofahl, Döhner, Merket al. 1999) könnten die Aufgaben der Patientenbegleitung nochunterstützen und in vielen Fällen möglicherweise ihre Zusammenar-beit mit anderen Einrichtungen erleichtern.

Dass Krankenhauseinweisungen von Patienten in der Sterbephasedurch die verbesserte Abstimmung zwischen den beteiligten Diens-ten untereinander und mit den Angehörigen vermieden werdenkonnten, wurde insbesondere in einer Praxis durch den Hausarztdeutlich bestätigt. Durch die Einbeziehung der Angehörigen in dieBegleitung gehörte auch die sich an den Tod des Patienten an-schließende Trauerarbeit - falls gewünscht - zu den Aufgaben derPatientenbegleiterin.

Für die Beendigung der Begleitung waren in der ursprünglichenKonzeption des Projektes keine Kriterien festgelegt worden. Nach

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der Modellerfahrung ist es jedoch zur Vermeidung von falschenErwartungen bei Patienten und Angehörigen wichtig, eine möglicheReduzierung der Begleitungsintensität und gegebenenfalls auch eineBeendigung frühzeitig zu thematisieren. Im Einzelfall sollte sich dasVorgehen an der im Team vereinbarten Zielsetzung orientieren. Siemuss mit den Patienten und den Angehörigen besprochen und ab-gestimmt werden, um die gegenseitigen Erwartungen zu klären undein gemeinsames kooperatives Vorgehen zu erreichen. Dabei kannes sinnvoll sein, die Rolle der Vertrauensperson und der damit ver-bundenen Aufgaben an eine Pflegerin zu übertragen, falls durchdiese eine kontinuierliche und vertrauensvolle Beziehung aufgebautwurde. Die Patientenbegleiterin könnte in solchen Situationen stärkerin den Hintergrund treten, als dies im Rahmen des Projektes ge-schehen ist. Dadurch würden Kapazitäten für weitere Patienten frei,denen eine feste Bezugsperson fehlt.

Am Ende jeder Begleitung sollte die Überprüfung der Interventionenim Sinne eines Controlling durch ein Abschluss-Assessment erfol-gen. Eine Wiederaufnahme der Begleitung bei neu eintretendenHilfebedarfen schließt sich dadurch nicht aus. Sie kann sowohl durchdie Patienten selbst und oder ihre Angehörigen als auch durch denHausarzt oder andere betreuende Dienste eingeleitet werden.

Aufgrund der im Projekt gemachten Erfahrungen mit Case Manage-ment wird deutlich, dass eine prinzipielle Entscheidung zu Gunstenentweder einer kurzfristigen Krisenintervention oder einer lang-fristigen Begleitung bis zum Tode oder sogar darüber hinaus alszwei Extreme der Intensität einer Begleitung nicht den Bedarfen derZielgruppe entspricht. Im Rahmen der Hilfeplanung und Zielsetzungist eine jeweils individuelle Vorgehensweise geboten, die immer andie sich ändernde Situation der Patienten angepasst werden muss.

Das breite Aufgabenspektrum der Patientenbegleitung, wie es vorallem im Rahmen der Einzelfallanalysen sichtbar wird (vgl. beispiel-haft die Ausführungen zu Frau Hansen im Ergebnisteil), verdeutlicht,dass für eine qualifizierte Tätigkeit umfassende Kenntnisse undFähigkeiten und eine hohe Professionalität der Patientenbegleite-rinnen wesentliche Voraussetzungen waren - sowohl für die Team-arbeit als auch für die Begleitung der älteren Menschen im Kontextihrer sehr unterschiedlichen Lebenszusammenhänge und Versor-gungswege. Für die breitere Etablierung eines solchen Case Mana-gement-Ansatzes bedarf es spezieller Curricula in Aus-, Fort- undWeiterbildung von verschiedenen Berufsgruppen. Der jeweilige Hin-tergrund, den die verschiedenen zur Zeit für diese Arbeit in Frage

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kommenden Personen (insbesondere Altenpfleger und Sozialarbei-ter) mitbringen, bietet lediglich ein Fundament, auf dem spezifischeSchulungen aufbauen müssen. Hierzu werden allmählich Angebotein neuen Einrichtungen oder in einzelnen Fachhochschulen aufge-baut.

5.5 Kooperation mit den etablierten Diensten

Durch das Konzept eines lernenden Modells und das damit ver-bundene offene Vorgehen im Projekt konnten wichtige Erfahrungenfür das Verständnis von Patientenbegleitung gesammelt werden.Gleichzeitig mussten dadurch aber auch Unsicherheiten hinsichtlichbestimmter Interventionen und Abgrenzungsprobleme bei denPatientenbegleiterinnen gegenüber „überzogenen“ Ansprüchen dervon ihnen begleiteten Patienten in Kauf genommen werden. Patien-tenbegleitung hat sich aufbauend auf den Projekterfahrungen imKontext der bestehenden Angebote und der regionalen Angebots-struktur zu definieren. Die Patientenbegleiterinnen selbst haben sehrdarauf zu achten, nicht bereits bestehende Versorgungs- und Hilfe-angebote zu übernehmen, denn dadurch würden nicht nur die Ar-beitskapazitäten der Patientenbegleiterinnen bei ungedeckten Be-darfen einschränkt, sondern auch die Zusammenarbeit mit anderenMitarbeiterinnen belastet oder sogar verhindert.

Im Interesse der gegenseitigen Akzeptanz, der Transparenz für diepotenziellen Nutzer und aus ökonomischen Gründen ist eine eindeu-tige und klare Abgrenzung der Aufgabenbereiche zu und mit denvorhandenen Anbietern erforderlich, z. B. der bezirklichen Altenhilfe,dem Sozialdienst im Krankenhaus oder den ambulanten Pflege-diensten. Dies konnte erst durch die Projekterfahrungen schrittweiserealisiert werden (Abschnitt 4.8). Die Verteilung der Aufgaben undVerantwortungsbereiche erfolgte aktiv und persönlich, wobei gleich-zeitig die Form der Zusammenarbeit geklärt wurde. Hierzu wurdendurch die Koordinatorin wichtige Vorarbeiten geleistet, indem sie z.B. in Arbeitskreisen den Mitarbeitern der vorhandenen Sozial- undGesundheitsdienste immer wieder die Projektanliegen und insbe-sondere die Funktion der Patientenbegleiterinnen verdeutlichte.Dieses Vorgehen kann optimalerweise durch Kooperationsstrukturenim Rahmen einer Koordinationsstelle im Stadtteil und bezogen aufden Einzelfall in den erweiterten Teamsitzungen unterstützt werden.Der Erfolg spiegelt sich darin wider, dass nach anfänglichen Konkur-renzängsten die interdisziplinäre Kooperation über die AGT-Grenzenhinweg zu den etablierten Institutionen des Sozial- und Gesund-heitswesens auch von diesen selbst als gelungen angesehen wurde.

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Die Mitarbeiter der Sozial- und Gesundheitsdienste erklärten diesinsbesondere mit der den Patientenbegleiterinnen und der Koordi-natorin zugeschrieben Neutralität und dem damit verbundenenVermittlungspotenzial zwischen den beteiligten Diensten (Abschnitt4.8.2.1).

Die vermutlich größte Überschneidung hat es auf der Ebene derArbeitsbereiche zwischen Patientenbegleiterinnen und den Mitar-beiterinnen der bezirklichen Altenhilfe gegeben. Dafür gab es aberbezogen auf die betreuten Personengruppen zwischen der PAGT-Klientel und der Klientel der bezirklichen Altenhilfe relativ wenigÜberschneidungen, was auf den grundsätzlich unterschiedlichenZugang zu den jeweiligen Zielgruppen zurückzuführen ist. Durch denHausarztansatz standen bei den PAGT-Patienten mehr die gesund-heitlichen und familiären Probleme im Vordergrund, durch die Anbin-dung der bezirklichen Altenhilfe an die Sozialämter waren es dortmehr die Probleme der Unterhaltssicherung und der Sozialleistun-gen. Durch die Vermittlung der PAGT-Patienten an die bezirklicheAltenhilfe bei behördlichen und Sozialleistungsfragen konnten sichdie Mitarbeiterinnen aus ihrer Sicht sinnvoll und gut ergänzen. DieMotivierung der Patienten durch die Patientenbegleiterinnen, diebezirkliche Altenhilfe aufzusuchen oder von den Sozialarbeiterinnenfür die Beratung zu Hause besucht zu werden, konnte die bei vielenPatienten bestehende Hemmschwelle „Sozialamt“ senken. Die soaufgebaute Kooperation leistete durch die sich entwickelnden klarenZuständigkeitsverteilungen sicherlich auch einen Beitrag zu dem vonden Patienten häufig geäußerten „Sicherheitsgefühl“ (Abschnitt4.9.2.1).

Obgleich im Rahmen des Projektes die Zusammenarbeit mit derkommunalen Altenhilfe zufriedenstellend aufgebaut werden konnte,besteht hinsichtlich der Übernahme der Aufgabe des Case Manage-ments in die Regelversorgung weiterhin ein Klärungsbedarf bezogenauf die Zuständigkeit für verschiedene Zielgruppen, wobei die Ein-bindung in die vorhandene Struktur der Kommune ein noch nichtausreichend untersuchter Ansatz ist. Zur Zeit wird in Hamburg mitUnterstützung durch das BMFSFJ ein Case Management-Ansatz,angesiedelt bei der kommunalen Altenhilfe, erprobt (Voß 2000). Vonden Ergebnissen des Ende 2000 auslaufenden Modellvorhabenssind Hinweise darauf zu erwarten, welche Zielgruppe erreicht werdenkonnte, wie die Problemkonstellationen zu beschreiben sind, wie dieRollenverteilung in der kommunalen Altenhilfe sich bewährt und wiedie Akzeptanz bei den älteren Menschen, ihren Angehörigen sowieden professionellen Kooperationspartnern war. Es bleibt abzuwarten,

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ob es im Kontext der kommunalen Altenhilfe gelingt, das neue Kon-zept des Case Managements in die Regelangebote der Behörde zuintegrieren. Diese Studie könnte dazu beitragen, eine bessere Ein-schätzung der möglichen Notwendigkeit unterschiedlicher Einbin-dungen des Case Managements – Hausarztpraxis, kommunaleAltenhilfe, Koordinationsstellen, etc – für weitere Planungen zu lie-fern.

Ein Teil der von den Patientenbegleiterinnen in der Modellerprobungvon PAGT ausgeführten Tätigkeiten könnte durch den Bereich derehrenamtlichen Tätigkeit unterstützt werden, wenn die Patienten-begleiterinnen dabei eine Supervisions-Funktion übernähmen. Wiedie Delegation von unterstützenden oder versorgenden Leistungenan andere Dienste, sollte auch eine Einbeziehung Ehrenamtlichererfolgen, wenn dafür Bedarfe vorhanden sind. Dieser Aspekt ist imProjekt eher im Hintergrund geblieben, doch je mehr Aufgaben er-folgreich an Dritte übergeben werden können, desto mehr Patientenkönnen begleitet werden. Als günstig kann eine verbindliche Koope-ration mit vorhandenen Trägern im Stadtteil angesehen werden, diebereits einen Bereich „ehrenamtliche Tätigkeiten“ aufgebaut habenund auch die erforderliche professionelle Begleitung und Fortbildunggarantieren. Das ist in unterschiedlichen Institutionen wie z. B. beiKoordinations- und Beratungsstellen oder Pflegediensten der Fallund wird zunehmend zu einem integrierten und kontinuierlichenArbeitsbereich dieser Einrichtungen.

Die Hilfe- und Interventionsplanung in dem interdisziplinären Team-Prozess wurde zunehmend um die Perspektiven anderer Mitarbeite-rinnen der regionalen Dienste erweitert („erweitertes AGT“). IhrHinzuziehen kann angesichts der Tatsache, dass diese Form der Zu-sammenarbeit auch über die Projektlaufzeit fortbestanden hat, alssinnvoll und hilfreich für die gemeinsame Betreuung der Hausarzt-Patienten bewertet werden. Dabei musste notwendigerweise auchdie Entwicklung innerhalb der lokalen Versorgungsstruktur berück-sichtigt werden, die wiederum erheblich von den eingangs erwähntensozialpolitischen Entscheidungen beeinflusst wurden.

Insgesamt lässt sich anhand der Gespräche und Diskussionen sowieder Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung von PAGTfeststellen, dass eine Zusammenführung der Case und Care Ma-nagement-Elemente aus PAGT mit anderen bereits etabliertenAngeboten ihre höchste Akzeptanz in einer Koordinationsstelle hat.Die Mitarbeiter der regionalen Dienste verbinden mit einer Koordina-tionsstelle die größtmögliche Neutralität hinsichtlich einer patienten-

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orientierten Versorgungssteuerung und die Abkehr von der von Pati-enteninteressenvertretern beklagten Anbieterorientierung (Klie1998). Allerdings ist für eine erfolgreiche Arbeit eine angemessenepersonelle Ausstattung erforderlich, um zu vermeiden, dass beideArbeitsbereiche – Case und Care Management - in zeitliche Konkur-renz geraten. Häufig werden dann die Prioritäten bei der Einzelfall-hilfe gesetzt, da hier der Hilfebedarf in der konkreten Situation deutli-cher empfunden wird als bei strukturellen Defiziten (vgl. ISPO-Institut1995). Dieser Problemdruck wird dann besonders sichtbar, wenneine einzige Person für beide Arbeitsbereiche zuständig ist.

5.6 Weiterentwicklung des PAGT-Ansatzes

Die erweiterten Teamsitzungen mit Arzt, Patientenbegleiterin (CaseManagerin) und – je nach Versorgungsbedarf im Einzelfall – Thera-peuten etc. haben sich als ein zentrales Element für erfolgreichesCase Management erwiesen (Abschnitt 4.8.2.2). Daraus ist die For-derung abzuleiten, diese Arbeitsweise systematischer, als das imProjekt der Fall war, zu realisieren. Die Schwierigkeiten in der Praxis,die niedergelassenen Ärzte verbindlich in berufsübergreifendeTeamarbeit zu integrieren, sollten allerdings nicht unterschätzt wer-den (vgl. Reiberg, Wissert & Sauer 1998; Saischek 2000). Für einebreitere Akzeptanz ist auch weitere Überzeugungsarbeit bei denverantwortlichen Entscheidungsträgern hinsichtlich der zu erwarten-den Effekte nötig, um eine angemessene Honorierung dieser Tätig-keit durch die Kostenträger zu erreichen.

Positive Beispiele der berufsübergreifenden Zusammenarbeit zeigenBerichte aus Italien (vgl. Florea 2000). In der Region Montecchio istdie systematische Einbeziehung der Hausärzte durch ein Regional-gesetz der Emilia Romagna geregelt. Auch aus Rom werden Fort-schritte mit neuen Kooperationsmodellen berichtet. Dort gibt es zurZeit zwar noch keine gesetzliche Grundlage, die die Rolle des Haus-arztes klärt, aber es wird ein Pilotprojekt durchgeführt, das vieleParallelen zu PAGT aufweist, insbesondere der Zugang über dieHausärzte und die Hilfeplanung im Team gemeinsam mit dem Haus-arzt. Während bisher bei der Einbindung des Hausarztes in dasCase Management immer auf die Erfahrungen in den USA (White etal. 1994; Anker-Unnever & Netting 1995; Netting & Williams 1995und 1999) verwiesen werden musste, nehmen jetzt Ansätze im eu-ropäischen Bereich zu, also in Ländern, die mit dem deutschenSozial- und Gesundheitssystem besser zu vergleichen und derenErgebnisse deshalb leichter in unser System zu übertragen sind.

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Rückt man den Aspekt der in der Modelllaufzeit von PAGT erhöhtenQualifizierung der Team-Mitglieder und der verbesserten Kooperati-on mit den etablierten Diensten in das Zentrum der Betrachtung,dann ließe sich vorstellen, dass der Bedarf an gemeinsamen Team-Sitzungen durch das angewachsene Wissen aller Beteiligten ab-nehmen kann. Dies hat sich zumindest für die Tätigkeiten der Koor-dinatorin gezeigt (Abschnitt 4.7). Ähnliches könnte sich auch bei denPatientenbegleiterinnen einstellen, und sie wären dann möglicher-weise in der Lage, ihre Case Management-Aufgaben auch auf ande-re Hausarzt-Praxen und deren Patienten zu erweitern. Allerdingsmüsste das gemeinsame „Monitoring“ durch regelmäßigen Aus-tausch in Teamsitzungen gesichert bleiben, da sich dies als einwesentliches Element der Qualitätssicherung erwiesen hat (Ab-schnitt 4.4.2.2).

Hinsichtlich einer erweiterten Zuständigkeit der Patientenbeglei-terinnen bei einer möglichen Übertragung von PAGT in die Regel-versorgung sollte diskutiert werden, ob damit eine Neudefinition derZielgruppe verbunden sein sollte. Dabei könnte beispielsweise eineEingrenzung auf Patienten mit einem extrem komplexen Hilfebedarfoder auf eine als schwierig erachtete Versorgungssituation erfolgen,deren Koordination von Hausärzten nicht mehr bewältigt werdenkann. Auch darf die Kritik der Hausärzte an den Auswahlkriterien derPAGT-Zielgruppe nicht unberücksichtigt bleiben. Ihren Argumentenzufolge sollte sich die Auswahl stärker an den Hilfebedarfen als aneiner festgelegten Altersgrenze orientieren, die im Projekt bei 65Jahren lag. Die Erfahrungen der Ärzte zeigen, dass die Problemla-gen und die darauf aufbauenden Lösungsstrategien bei jüngerenchronisch Kranken sehr ähnlich gelagert sind und hier aus ihrer Sichtein ebenso großer Begleitungsbedarf vorliegt.

Der Definition des geriatrischen Patienten folgend, deren wesentli-cher Bestandteil das Vorhandensein mehrerer sich gegenseitig be-einflussender Erkrankungen ist (vgl. Nikolaus & Specht-Leible 1992)ist diese Kritik verständlich. Es muss jedoch hinsichtlich des Aufge-bens einer Altersgrenze sorgfältig abgewogen werden, ob möglichemodifizierte Auswahlkriterien (z. B. Ausschluss von Aids-Patienten,jungen körperlich oder geistig Behinderten oder Drogenabhängigen)prinzipiell von geriatrisch-gerontologischer Relevanz sein müssen,um einer fachlichen Überforderung von geriatrisch orientierten Pati-entenbegleiterinnen vorzubeugen.

Hinsichtlich der Patientenzahlen, die in einem so modifizierten An-satz von einer Patientenbegleiterin betreut werden könnten, sind

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wegen mangelnder Erfahrungen nur schwer Aussagen zu machen.Die Erfahrungen im Projekt haben gezeigt, wie unterschiedlich dieBelastungen in Abhängigkeit von den bei den begleiteten Patientenaktuell vorhandenen Problemen in verschiedenen Zeiten sein kön-nen. Das hat zur Konsequenz, dass es keine klaren Aussagen derBeteiligten über die Zahl der unter Bedingungen der Regelversor-gung zu begleitenden Patienten, also ohne forschungsbedingteMehrbelastungen, gegeben hat. Die mit aller Vorsicht gemachtenAngaben schwanken zwischen 20 und 60 Patienten pro Patienten-begleiterin. Wenn bei mehreren Patienten von einem so hohen Be-gleitungsbedarf wie im Beispiel von Frau Hansen ausgegangen wird,können nur entsprechend wenig Patienten begleitet werden. In ande-ren Situationen reichte ein Beratungsgespräch mit einer Angehöri-gen und das Angebot der Patientenbegleiterin, weiter erreichbar zusein, was dann häufig weitere Telefonate zur Folge hatte. Die Praxisdes Projektes zeigte ein breites Spektrum von sehr unterschiedli-chem Bedarf mit großen Schwankungen im zeitlichen Verlauf. Derregelmäßige Austausch in den Teamsitzungen über die einzelnenPatienten führte immer wieder zu veränderten Prioritätensetzungenbei möglicherweise zu aufwendigen oder aber zu wenig intensivenBegleitungen.

In einer Berliner Studie (vgl. Overbeck, Sauer & Wissert 1997) wur-den z. B. erhebliche Unterschiede bezüglich der Beratungszeit beiunterschiedlichen Krankheitsbildern nachgewiesen. In der Kalkulati-on für das Begleitungspotenzial eines Case Managers müssen auchdie Arbeitsanteile berücksichtigt werden, die nicht als patientenbezo-gene Beratungstätigkeit zu bezeichnen sind, z. B. Teilnahme anArbeitskreissitzungen, Konzeptentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Arbeitsgruppe von PAGT (Praktiker und Wissenschaftler) hat inder letzten Projektphase und darüber hinaus ein neues Konzeptentwickelt, das die vorgeschlagenen Veränderungen aufgreift, diegenannten Defizite beseitigen will und so die zuvor genannten An-forderungen realisieren kann. Aus der Sicht der PAGT-Hausärztewäre die Ausweitung der Zuständigkeit der Patientenbegleiterin aufmehrere Praxen aus ökonomischen Erwägungen eine sinnvolleVeränderung gegenüber dem erprobten Modellansatz. Dies ist je-doch nur realisierbar, wenn das Case Management noch gezielter,also bedarfsorientierter eingesetzt wird und als Aufgabe verstandenwird, die potenziell bei bestimmten Patienten von unterschiedlichenPersonen, also nicht nur einer hauptberuflichen Case Managerinübernommen werden kann.

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Die Gewinnung von Hausärzten zur Mitarbeit in einem solchenProjekt erwies sich Anfang 1993 für PAGT als schwierig, da sie mitständigen Veränderungen der Rahmenbedingungen für ihre Praxenzu kämpfen hatten und eine zusätzliche Arbeitsbelastung, insbeson-dere durch den schon im normalen Praxisablauf als unerträglichempfundenen Dokumentationsaufwand, befürchteten. Heute zeigtsich bei einem Teil der Ärzteschaft eine höhere Bereitschaft für dieBeteiligung an multidimensionalen und multidisziplinären Konzepten.Ansätze dazu bieten vor allem die im Aufbau befindlichen Praxisnet-ze, die im Kern allerdings vorrangig eine bessere Kooperation zwi-schen Fachärzten und Hausärzten zur Stärkung der ambulantenVersorgung zum Ziel haben. Erst nachrangig werden dann auchStrategien zur verbesserten Kooperation insbesondere mit den Pfle-gediensten entwickelt und die Überwindung von Schnittstellenprob-lemen mit den Krankenhäusern ins Auge gefasst.

Auf Grund der beschriebenen Erkenntnisse sind zur Verbesserungder Versorgungsqualität älterer Menschen und ihrer Angehörigenunter Berücksichtigung eines ökonomischen Ressourceneinsatzesdie folgenden Punkte für die weitere Etablierung des Case Mana-gements zu berücksichtigen:

• ein Verständnis des Case Managements als Aufgabe, die vonunterschiedlichen Berufsgruppen / Institutionen wahrgenommenwerden kann

• eine eindeutige Abgrenzung der Aufgabe des Case Managementsgegenüber anderen Aufgabenbereichen in der Betreuung alterMenschen

• die Hausarztpraxis als ein zentraler Ansatzpunkt, insbesonderebei Hochrisikopatienten

• eine klare Definition der Zielgruppe und systematische Identifika-tion (Screening)

• eine umfassende Situationseinschätzung (multidimensionalesAssessment), individuelle Hilfeplanung und Begleitung der umzu-setzenden Maßnahmen

• Teamsitzungen mit Fallbesprechungen (Fallkonferenzen) in denHausarztpraxen

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• die Unterstützung pflegender Angehöriger (z. B. Kurse, Entlas-tungsangebote)

• Begleit- und Besuchsdienste durch Ehrenamtliche

• Unterstützende Maßnahmen (Care Management) zur Umsetzungeiner koordinierten Versorgung im Einzelfall: Arbeitskreise, Qua-litätszirkel, Transparenz der Angebote, gemeinsame Weiterbil-dungs- und Qualitätsvereinbarungen, öffentliche Foren für Alters-fragen

Anfang 1996 haben die für eine Weiterführung der wichtigstenPAGT-Elemente potenziellen Leistungsträger die Praxiserfahrungen,Forschungsergebnisse und Möglichkeiten einer Weiterfinanzierungnach Modellabschluss in einer Podiumsdiskussion im Rahmen einesvom Projekt durchgeführten Workshops diskutiert (vgl. Döhner undSchick 1996). Es bestand Konsens über die positive Bewertung desProjektansatzes und der erzielten Erfolge. Allerdings war die Diskus-sion geprägt durch das Zuschreiben der finanziellen Verantwort-lichkeiten auf die jeweils anderen Leistungsträger. Der Länder-vertreter sah eine Teilzuständigkeit im Rahmen der Sozialhilfe undhinsichtlich der Transparenz der Versorgungsstruktur in seinemBereich als gegeben an. Von Seiten der Kassen wurde betont, dasssoziale Leistungen – so deren Definition für die Aufgaben der Pati-entenbegleiterin – keine Kassenleistungen sein könnten. Eine Aus-weitung der Tätigkeit des Hausarztes wurde durch die Einführungeiner neuen Abrechnungsziffer für geriatrische Beratungstätigkeitangedacht. Hier sah der Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigungein Potenzial zur besseren Kooperation zwischen ambulantem undstationärem Bereich mit dem Ziel von Kosteneinsparungen.

Von den Vertretern der Krankenkassen wurde die Einbindung dersozialen Beratungstätigkeit am Ehesten bei den Kassen selbst ge-sehen. Diese Überlegungen sind inzwischen im Kampf um denWettbewerb im Rahmen von mehr oder weniger weit entwickeltenKonzepten für ein Fallmanagement durch die einzelnen Kassenausgebaut worden (vgl. z. B. Knieps 1996; Leber 1997; Seng 1997;Barmer 1999), wobei auch die Erfahrungen von PAGT einbezogenwurden (vgl. Tophoven 1996), aber meistens der Einstieg währendeines Krankenhausaufenthaltes zur Verkürzung der Verweildauergewählt wird. Für das Ziel der Krankenhausvermeidung muss jedochdie Praxis des niedergelassenen Arztes als Ausgangspunkt im Mit-telpunkt der Aktivitäten stehen.

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Die kassenspezifischen Entwicklungen wurden von den PAGT-Hausärzten in den projektinternen Diskussionen sehr kritisch be-trachtet. Sie setzten sich auch bei Gesprächsrunden unter Beteili-gung von z. B. Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung Ham-burg und der Krankenkassen vehement für ein kassenübergreifen-des Modell ein, bei dem die Nähe der Patientenbegleiterin zur Praxisunverzichtbar ist. Gerade die kurzen und persönlichen Kommunikati-onswege zwischen den an der Versorgung Beteiligten und die Nähezum Patienten insbesondere durch die aufsuchende Hilfe im Rah-men der Hausbesuche machten nach ihren Aussagen die Qualitätder Begleitung aus.

Von dem Vertreter des BMFSFJ wurde an alle appelliert, auf denErfahrungen des Projektes aufzubauen. Es sollte an schrittweisenFortschritten gearbeitet werden, insbesondere an der Konkretisie-rung der im § 73 SGB V festgelegten Aufgaben des Hausarztes.Pragmatische und zwischen den Verantwortlichen vermittelnde Lö-sungen seien die Herausforderung für die Zukunft. Unter der Vor-aussetzung einer maßgeblichen finanziellen Unterstützung andererKostenträger könne sich, so der Vertreter des BMFSFJ, das Ministe-rium eine weitere Projektförderung vorstellen.

Trotz vielfältiger Bemühungen ist die Frage nach der Finanzierungvon Patientenbegleitung bzw. des Case Managements jedoch biszum Projekt-Ende unbeantwortet geblieben. Der Grund dafür ist u. E.darin zu sehen, dass der Case Management-Ansatz der Patienten-begleitung sich nahezu uneingeschränkt ganzheitlich versteht unddadurch die Sektoren des Gesundheitssystems und die Versor-gungsbereiche überschreiten muss, denen wiederum verschiedeneFinanzierungsstränge zugrunde liegen (Abschnitt 2.2). Dabei zeigtsich ein besonderes Defizit in der Finanzierung von psychosozialenLeistungen zur begleitenden Unterstützung von Versorgungskonti-nuität. Bislang haben sich selbst nach intensiven bilateralen Gesprä-chen und Runden Tischen in einem Zeitraum von über drei Jahrenweder die kommunalen Träger noch die Kranken- und Pflege-versicherungen noch die Kassenärztliche Vereinigung trotz einhelli-ger Anerkennung der Ergebnisse (vgl. Döhner und Schick 1996) zurInitiierung von Konsequenzen für die Regelversorgung entschließenkönnen.

Über die in den Untersuchungsregionen sichtbar gewordenen Erfol-ge hinaus, hat das Modellvorhaben auf bundesweiter und in derAuslauf- und Nachbereitungsphase auf europäischer Ebene einständig wachsendes Interesse über das Projekt-Ende hinaus aus-

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gelöst. Dies spiegelt sich in den von Verlagen und Herausgebern vonBüchern angeforderten Veröffentlichungen, in den eingeladenen undbei Kongressen im Rahmen von Review-Verfahren angenommenVorträgen und den vielen Anfragen nach Informationsmaterial wider.Beleg dafür ist außerdem die auf Grund der Projektarbeit erfolgteEinbeziehung in internationale durch die Europäische Kommissiongeförderte Projekte, wie das abgeschlossene Projekt „SupportingClinical Outcomes in Primary Care for the Elderly“ (SCOPE) (vgl.Döhner, Kofahl & Philp 1999) und die noch laufenden Projekte „Ge-riatric Assessment Technology Training“ (GATT) und „Carers ofOlder People in Europe“ (COPE) (vgl. Nolan & Philp 1999). Darüberhinaus gab es auf Initiative und mit Unterstützung durch das Europa-Büro der WHO Projektvorstellungen in verschiedenen Ländern, diebeträchtliche Beachtung fanden.

Hinsichtlich der weiteren Entwicklungen in Deutschland lässt sichfeststellen, dass es seit Abschluss des Projektes in den Bundeslän-dern zwar verschiedene neue Modelle zum Case Management ge-geben hat, die Einbindung des Hausarztes in den deutschen Ansät-zen aber weiterhin als defizitär beurteilt werden muss (Engel & En-gels 2000). Die Erfahrungen mit den verschiedenen Ansätzen zumCase Management in den einzelnen Bundesländern zeigen außer-dem, dass trotz im Allgemeinen überzeugender Ergebnisse bei derdurchgeführten Einzelfallhilfe die Kontinuität der Arbeit nicht gesi-chert ist. Die Beispiele in Baden-Württemberg (zu den Informations-,Anlauf- und Vermittlungsstellen (IAV) siehe: ISPO-Institut 1995) undHessen (zu den Beratungs- und Koordinationsstellen siehe: Scheib2000) zeigen sehr deutlich den Einfluss der jeweiligen Landespolitikauf die Zukunft des Case Managements, indem bei Rücknahme derLandesförderung die weitere Existenz der Stellen bedroht ist. Umge-kehrt zeigt sich in Berlin (zu den Koordinationsstellen für ambulanteRehabilitation siehe: Langehennig & Wißmann 1998), dass eineentschieden unterstützende Landespolitik die Rahmenbedingungendes Case Managements nachhaltig verbessern konnte. Auf diesemWege führte eine ständige engagierte Weiterentwicklung der Kon-zepte zu immer überzeugenderen Ergebnissen.

Wenn das Case Management bundesweit als Bestandteil einer inno-vativen, qualifizierten Arbeit mit alten Menschen durchgesetzt wer-den soll, scheint der Weg über ein Bundesgesetz, wie es zur Zeit imBMFSFJ erarbeitet wird, offenbar der einzig erfolgversprechende(vgl. Engel & Engels 2000). Die Weiterentwicklung zur Durchsetzungeines solchen Gesetzes und der Gesundheitsreform 2000 solltenbegleitet werden durch weitere Studien, die auf den Erkenntnissen

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der verschiedenen Case Management-Ansätzen aufbauen, sie ineine neue Konzeption bündeln, sie erproben und evaluieren. Esliegen inzwischen so viele Erkenntnisse vor, dass bei weiteren Stu-dien von Beginn an die Möglichkeiten des Transfers in die Regelver-sorgung begleitend mituntersucht werden können und müssen. Dar-über hinaus sollte kontinuierlich die Diskussion mit den Entschei-dungsträgern (Kostenträger, Leistungsträger, Politik) geführt werden.Ein erheblicher Fortschritt in diese Richtung ist von dem in den Jah-ren 2000 bis 2003 vom BMFSFJ geförderten Modellprogramm mitwissenschaftlicher Begleitung „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ zuerwarten.

Die Bedeutung, die das BMFSFJ dem breiten Einsatz von systemati-schem Case Managements beimisst, wird auch dadurch unterstri-chen, dass das Ministerium im Rahmen des Internationalen Jahresder Senioren dem Thema ein besonderes Gewicht gegeben hat. Alseine zentrale Aktivität wurde ein Kooperationsprojekt initiiert, in demdie nationalen Varianten des Case Managements in verschiedenenLändern verglichen werden. Dies konnte zwar nur exemplarischerfolgen, hat aber doch wichtige Erkenntnisse geliefert, die inzwi-schen bereits publiziert (Engel & Engels 2000) und bei einer interna-tionalen Fachtagung Anfang 2000 in Berlin vorgestellt wurden. Aus-gewählte Erfahrungen, die im Zusammenhang mit PAGT von beson-derem Interesse sind, wurden bereits an anderer Stelle dieses Be-richtes erwähnt.

Die Ergebnisse dieser Studie machen deutlich, dass zwar ein hoherzustimmender Konsens hinsichtlich der Methode des Case Mana-gements besteht, aber die Organisationsstruktur, die Anbindung oderdie Einbindung der Aufgabe aber noch weiterer Klärung bedarf. Eszeichnet sich jedoch ab, dass nicht ein einziger richtiger Lösungsan-satz zu favorisieren ist, sondern verschiedene Strukturen für un-terschiedliche Zielgruppen erforderlich sind. Es sollte ein sozial-und gesundheitspolitisches Ziel sein, die Voraussetzungen für einefeste Verankerung der Aufgaben des Case Managements als zent-rale Arbeitsmethode im Hilfesystem für ältere Menschen zu schaffen.

Es bleibt zu hoffen, dass die gesellschaftlichen Kräfte wachsen, diesich für eine Überwindung der Restriktionen einsetzen, die einerpatientenorientierten ganzheitlichen Versorgung in Deutschland nochentgegenstehenden und damit erfolgreiche Konzepte bei der Umset-zung in die Regelversorgung blockieren. Eine gesetzgeberischeFlankierung im Rahmen der begonnenen Gesundheitsreform 2000

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und der Initiative zu einem Altenhilfestrukturgesetz könnten eineLösung dieses Problems möglicherweise befördern.

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