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www.anidrom.de Wie der Wind sich hebt Hayao Miyazakis letztes Meisterwerk Drachenzähmen leicht gemacht 2: Familienausflug NIFFF 2014: Short Peace Interview mit Jake Armstrong: The Terrible Thing Of Alpha-9! 7/14

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Wie der Wind sich hebt. Hayao Miyazakis letztes Meisterwerk. Ausserdem Drachenzähmen leicht gemacht 2, Short Peace, Interview mit Jake Armstrong, Saving Mr. Banks. Rio 2 - Dschungelfieber und 009 Re:Cyborg. - Diese Ausgabe darf als Gesamtprodukt und unverändert digital kopiert und online versendet werden. Zitierungen sind nur unter Angabe der Quelle mit Verweis auf die Webseite erlaubt. Print-Nachdrucke und Print-Vervielfältigungen, die über den unkommerziellen persönlichen Gebrauch hinausgehen, auch auszugsweise, sind jedoch nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers gestattet. Es ist untersagt, gestalterische Elemente, Texte, Fotos und sonstige Abbildungen dieses Magazins zu bearbeiten oder zu manipulieren. Alle Bilder, Videos und Fotos sind Eigentum, ©, ®, ™ des jeweiligen Studios, Verleihs, Verlags, Labels, Festivals oder Künstlers. Wir bemühen uns darum, die Copyrights Dritter zu wahren.

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Wie der Wind sich hebtHayao Miyazakisletztes Meisterwerk

Drachenzähmen leicht gemacht 2: Familienausflug

NIFFF 2014: Short Peace

Interview mit Jake Armstrong: The Terrible Thing Of Alpha-9!

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ImpressumHerausgeber und Chefredaktion: Severin Auer (aus)Alle Texte und Layout: Severin Auer (aus)

Kontakt: [email protected] / [email protected]: www.anidrom.de / www.anidrom.ch

ANIdrom ist ein Produkt von: www.animationsfilme.ch Facebook: http://www.facebook.com/Animationsfilme Youtube: http://www.youtube.com/AnimationsfilmeCH

Cover: Wie der Wind sich hebt ©Studio Ghibli / Frenetic Films / Universum Film

Dank an: Eleven Arts, 20th Century Fox Film Corporation, Fox Deutschland, Frenetic Films, Sentai Filmworks, Universum Film GmbH, Walt Disney Studios.

Diese Ausgabe darf als Gesamtprodukt und unverändert digital kopiert und online versendet werden. Zitierungen sind nur unter Angabe der Quelle mit Verweis auf die Webseite erlaubt. Print-Nachdrucke und Print-Vervielfältigungen, die über den unkommerziellen persönlichen Gebrauch hinausgehen, auch auszugsweise, sind jedoch nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers gestattet. Es ist untersagt, gestalterische Elemente, Texte, Fotos und sonstige Abbildungen dieses Magazins zu bearbeiten oder zu manipulieren. Alle Bilder, Videos und Fotos sind Eigentum, ©, ®, ™ des jeweiligen Studios, Verleihs, Verlags, Labels, Festivals oder Künstlers. Wir bemühen uns darum, die Copyrights Dritter zu wahren.

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EditorialHayao Miyazaki, der hoch gelobte und viel gefeierte Mitgründer des heute legendären Studio Ghibli, geht in Rente. Die künstlerische Freiheit hat er stets hoch gehalten und das Publikum mit handgezeichneten Filmen wie Chihiros Reise ins Zauberland begeistert. Sein letzter Langfilm Wie der Wind sich hebt erzählt vom Erfinder des Zero Fighters, eine Geschichte die Elemente aus Miyazakis Biografie einfliessen lässt. Gleichzeitig erheben sich auch die Drachenreiter von Berk in die Lüfte. Das Abenteuer um Hicks und Ohnezahn geht mit dem zweiten Teil der geplanten Trilogie Drachenzähmen leicht gemacht 2 an den Start. Mehr Action, mehr Drachen und viele Emotionen erwarten die Zuschauer - eine imposante Fortsetzung. Experimenteller geht Katsuhiro Otomo in seiner Kurzfilmsammlung Short Peace zu Werke, in der er zusammen mit drei weiteren Regisseuren visuell und inhaltlich unterschiedliche Geschichten zum Thema Japan erzählt. Computeranimation im klassischen Anime-Gewand. Nach einem kurzen Querschnitt durch aktuelle Heimkino-Veröffentlichungen wie 009 Re:Cyborg, Saving Mr. Banks und Rio 2 - Dschungelfieber, gibt es zum Abschluss ein kleines Interview mit Jake Armstrong, der Mann hinter dem grossartigen Kurzfilm The Terrible Thing of Alpha-9!, den es auf vielen Festivals zu sehen gab und nun endlich auch in voller Länge im Netz bereit steht. Und weil sich der Sommer nicht so richtig zeigen will, bleibt viel Zeit für gute Lektüre...

Severin Auer

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FANTOCHE12. INTErNATIONAlEs FEsTIvAl

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Editorial

NEWS

KINO:Wie der Wind sich hebtEin Studio im UmbruchTraumtänzer und die RealitätFlugzeuge sind TräumeJapaner und der Krieg

Drachenzähmen 2Neue Software, neue...

FESTIVAL:NIFFF 2014: Short Peace

HEIMKINO:009: Re-CyborgSaving Mr. BanksRio 2 - Dschungelfieber

INTERVIEW:Jake Armstrong

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08: Wie der Wind sich hebtMeister Hayao Miyazaki tritt ab...

36: Interview:Jake Armstrong und das Ding von Alpha-9...

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S :

20: Drachenzähmen 2Neue Software, neue Möglichkeiten

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LAIKA denkt über Zeichentrickfilm nachDas Studio LAIKA, das mit seinen Stop-Motion-Puppenanimations-filmen Coraline und ParaNorman entzückt hat und bald The Boxtrolls ins Kino bringen wird, überlegt sich die Produktion eines Zeichen-trickfilms. An der San Diego Comic-Con hat Travis Knight (CEO) erwähnt, dass er hoffe, irgendwann in der Zukunft einen hand-gezeichneten Animationsfilm machen zu können. Zwar gäbe es noch keine genaueren Pläne, dennoch soll es sich nicht um eine spontane Idee handeln.

Chihiro auf Blu-ray im Oktober 2014Universum Anime hat angekündigt, Hayao Miyazakis Oscar®-prämiertes Meisterwerk Chihiros Reise ins Zauberland (Spirited Away) am 10. Oktober 2014 auf Blu-ray zu veröffentlichen.

Pacific Rim kriegt Animationsserie“More Kaijus, more Jaegers, kicking each others butt!” – Gute Nachrichten für alle Fans von Guillermo del Toros Roboter vs. Monster Spektakel Pacific Rim: Einerseits wird das Sequel im April 2017 in die Kinos kommen, andererseits wird Del Toro in den kommenden zwei Jahren auch eine Animationsserie zu Pacific Rim produzieren. Weitere Details sind noch nicht bekannt, aber es scheint, als könnte Del Toro seine eigene Franchise, nach Comic und Film, weiter aufbauen.

Auch wenn Pacific Rim in seiner Grundidee stark an klassische Anime-Serien wie Neon Genesis Evangelion und Gundam, wie auch an die alten Monsterfilme erinnert, so konnte sich Del Toro mit seinem Film tatsächlich ein eigenes, glaubwürdiges Universum erschaffen und eine grosse Eigenständigkeit bewahren.

Die Legende der Prinzessin Kaguya: Deutscher TrailerUniversum Anime hat den ersten deutschen Trailer zu Isao Takahatas Die Legende der Prinzessin Kaguya veröffentlicht. Der Anime kommt in Deutschland und der Deutschschweiz am 20. November 2014 in die Kinos.

Ein armer Bambussammler findet eines Tages in einem leuchtenden Bambushalm ein winziges Mädchen, nicht grösser als ein Däumling, das er mit nach Hause nimmt. Gemeinsam mit seiner Frau zieht er das schnell wachsende Kind auf, das sie Takenoko nennen.Takenoko erfreut sich ihres einfachen Lebens und freundet sich mit anderen Kindern, vor allem mit Sutemaru an. Als ihr Ziehvater in anderen Bambusstauden Gold findet, zieht er mit Takenoko und seiner Frau in die Stadt. Ihre Tochter, die nun Kaguya genannt wird, soll wie eine Adelige aufwachsen. Sie wird zu einer jungen Frau, deren Schönheit kaum zu verheimlichen ist. Fünf junge Prinzen halten bald um ihre Hand an, doch Kaguya verlangt von ihren Verehrern fast unmöglich zu erfüllende Aufgaben…

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NEWS

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Deutsches Studio Ghibli Film Festival in 26 StädtenAm 17. Juli 2014 startet Hayao Miyazakis letzter Anime-Langspielfilm Wie der Wind sich hebt in den deutschen Kinos. Universum Film plant dazu ein Studio Ghibli Film Festival, das beliebte Ghibli-Klassiker wieder ins Kino und damit auf die große Leinwand bringen wird. Die sechs ausgesuchten Filme sind: Chihiros Reise ins Zauberland, Ponyo, Das wandelnde Schloss, Meine Nachbarn die Yamadas, Mein Nachbar Totoro und Porco Rosso. In einigen der Städte startet das Festival bereits in wenigen Tagen, unter anderem in Berlin, Bochum und Düsseldorf! Alle aktuellen Infos findet ihr auf der offiziellen Website www.studioghibli-festival.de.

Ronja Räubertochter von Goro MiyazakiFür die japanische Rundfunkgesellschaft NHK hat Goro Miyazaki (Der Mohnblumenberg) Ronja Räubertochter (Sanzoku no Musume Ronia) als TV-Serie verwirklicht. Diese Produktion hat nichts mit dem Studio Ghibli zu tun und wurde in 3D, zusammen mit Polygon Pictures, nach dem bekannten Roman von Astrid Lindgren, entwickelt.

Lava: Pixar Kurzfilm für Inside OutPixar hat vor zwei Wochen einen neuen Kurzfilm angekündigt, den man im Vorprogramm des nächsten Pixar-Films zeigen wird. Obwohl Pete Docters Animationsfilm Inside Out (Juni 2015) erst in einem Jahr in den Kinos zu sehen sein wird, so feierte Lava bereits am Hiroshima International Animation Festival Premiere.

Lava erzählt in sieben Minuten eine Liebesgeschichte zwischen zwei Bergen mit dem Namen Uku und Lele (ja, das ergibt zusammen Ukulele). Der einsame Vulkan singt sein Klagelied und ahnt nicht, dass unter der Wasseroberfläche ein weiblicher Vulkan seiner Melodie lauscht.

Regie führt James Ford Murphy (ein Animator, der bei Pixar seit A Bug’s Life tätig ist). Die Idee soll zudem bereits über 20 Jahre alt sein und wurde durch Murphys Flitterwochen auf Hawaii inspiriert: “Ich dachte es wäre so cool, sich in einen Ort zu verlieben, der auch ein Charakter ist. Ich wollte, dass Uku attraktiv und liebenswürdig aussieht, aber auch, dass man sieht, dass er aus Lava-Strömen entstanden ist.”

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Wie der Wind sich hebt“Er liebt Kampfflugzeuge, aber hasst Krieg - Hayao Miyazaki ist ein Mann der Widersprüche.”

- Toshio Suzuki (Produzent)◄ Zum Video

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Als Hayao Miyazaki vor einem Jahr seinen Rücktritt bekanntgab, dachte man er

scherze: „Schon wieder!?“ Aber der heute 73-jährige Meisterregisseur meint es ernst. Fünf Jahre stehen zwischen seinem letzten Zeichentrickfilm Ponyo – Das grosse Abenteuer am Meer (Gake no ue no Ponyo, 2008) und seinem aktuellen, finalen Anime Wie der Wind sich hebt (Kaze tachinu). Miyazaki befürchtet, dass ihn ein weiterer animierter Langfilm noch länger beanspruchen würde. Er wäre dann 80. Für die Arbeiten am handgezeichneten Wie der Wind sich hebt sass der Meister selbst am Zeichenpult, Tag für Tag. Sieben Stunden Arbeit sind heute das Limit. Kein Vergleich zu früher. Gänzlich in den Ruhestand treten will er aber nicht und hofft, noch mindestens zehn Jahre weiterarbeiten zu

Ein Studio im Umbruch

Hayao Miyazaki widmet sich neuen Projekten und geht mit seinem letzten Anime-Langfilm in Rente.

Wie der Wind sich hebt(2013, Japan)

Originaltitel: Kaze tachinuRegie: Hayao Miyazaki

Studio: Studio GhibliBudget: ca. 50 Millionen $ (?)

Lauflänge: 123 MinutenFreigabe: FSK 6

Start: 17. Juli (D), 11. September 2014 (CH)Verleih: Universum Film GmbH, Frenetic Films

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können. Miyazaki gibt Verantwortung ab, legt Entscheidungen zum kreativen Prozess im Studio Ghibli, das er 1985 zusammen mit Isao Takahata (Die Legende der Prinzessin Kaguya, Die letzten Glühwürmchen) gegründet hatte, in jüngere Hände. Die Zukunft sind Miyazakis Sohn Goro, der mit seinem Erstlingswerk Die Chroniken von Erdsee (Gedo Senki, 2006) viel Kritik einstecken musste, mit Der Mohnblumenberg (Kokurikozaka kara, 2011) aber ein wundervolles Werk ablieferte, und Hiromasa Yonebayashi (Arrietty – Die wundersame Welt der Borger), dessen zweites Werk When Marnie was there (Omoide no marnie) diese Tage in Japan in die Kinos kommt. Beide sind fähig, zauberhafte Trickfilme zu produzieren, erste Wahl waren aber beide nicht. Goro Miyazaki sah sich ursprünglich nicht in der Branche der Animation und wird immer mit dem Vater-Sohn-Vergleich zu kämpfen haben. Hiromasa Yonebayashi seinerseits ist ein zurückhaltender, etwas unsicher wirkender junger Mann, der vom Altmeister Miyazaki und Produzent Toshio Suzuki ins kalte Wasser geworfen wurde. Er hat zwar an Ghibli-Filmen wie Prinzessin Mononoke (1997), Chihiros Reise ins Zauberland (2001) und an Das wandelnde Schloss (2006) mitgearbeitet, dennoch betrat er mit dem Auftrag, Regie zu führen, Neuland. Ein Genie wie Miyazaki es ist, das seine Märchenwelten und Figuren aus einer schier unerschöpflichen Fantasie heraufbeschwor, scheint beim Studio Ghibli aber nicht in Sicht zu sein.

Es ist eine Zeit des Umbruchs. Ein Umbruch, den Miyazaki während all den Jahren immer wieder verspürte. Melancholisch steht er im Dokumentarfilm The Kingdom of Dreams and Madness (2013) am Fenster und fragt sich, ob sein Werk überhaupt eine Bedeutung hat. Das Zeitalter der Computeranimation hat Ghibli unbeschadet überstanden. Doch handgezeichnete Filme sind teuer, besonders für ein Studio, das seinen Machern freie Hand lässt und Kreativität über den Zwang zum Box-Office-Erfolg stellt und auch produktionstechnisch an seine Grenzen gerät. Hayao Miyazaki und Isao Takahata arbeiteten parallel an ihren neusten Filmen. Der Aufwand war enorm. Ein zeitgleicher Release von Wie der Wind sich hebt und Die Legende der Prinzessin Kaguya wurde angestrebt, wie damals, 1988, als Mein Nachbar Totoro und Die letzten Glühwürmchen zusammen als Doppelvorstellung gezeigt wurden. Takahata brauchte zwar länger als geplant, aber beide Filme erschienen im selben Jahr. Zusammen haben sie 10 Milliarden Yen (72 Millionen Euro)

verschlungen. Wie der Wind sich hebt hat bisher weltweit 92 Millionen Euro eingespielt und auch Die Legende der Prinzessin Kaguya wird seine Produktionskosten einspielen können, aber viel Gewinn wird nicht abgeworfen. Produzent Toshio Suzuki hat kürzlich die Wirtschaftlichkeit dieser Filme thematisiert und macht es nun vom Erfolg von When Marnie was there (Omoide no marnie) abhängig, ob das Studio den Produktionsfahrplan kommender Filme einhalten können wird.

Es ist ein Umbruch, der das Studio Ghibli in schwieriges Wasser gebracht hat, nicht nur finanziell. Miyazaki tritt ab, und ob der bald 79-jährige Takahata, der für die Fertigstellung seines aktuellen Films über sechs Jahre gebraucht hat, noch ein weiteres Werk realisieren wird, steht in den Sternen. Miyazaki war ohnehin der kommerziell erfolgreichere, allein sein Name ist Werbung genug. Angesichts der weltweiten Popularität der Ghibli-Filme sollte es dem Studio aber möglich sein, weiterhin erfolgreich Filme produzieren zu können. Gut möglich, dass hier aber eine Ära zu Ende geht und man um ein Umdenken zur Führung des Studios und dem Beschreiten neuer Wege nicht herum kommt. Goro Miyazaki hat unlängst eine Adaption von Astrid Lindgrens Roman „Ronja Räubertochter“ verwirklicht. Als TV-Serie, in 3D und bei Polygon Pictures.

Hayao Miyazaki kann sich seinerseits neuen Aufgaben zuwenden. „Es gibt noch so viele Dinge, die ich machen möchte“, sagte der Meister während seiner Rücktrittserklärung und sieht das Studio in guten Händen. Als erste Aufgabe hat er die Auffrischung des Museums im Studio Ghibli ins Auge gefasst. Seine erste Sonderausstellung „Nussknacker und Mäusekönig“ hat er im April eröffnet. ■ (aus)

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Hayao Miyazaki hat mit seinem letzten Film ein Meisterwerk erschaffen. Auf

erzählerischer wie auch auf visueller Ebene brachte der detailversessene Regisseur sein ganzes Können zu Papier. Das Team aus Animatoren, Koloristen und Hintergrund-Künstlern folgte ihm ehrfürchtig in ein letztes grosses Abenteuer und wurde zu Höchstleistungen angetrieben. Die Produktion lief bereits auf Hochtouren, während Miyazaki noch fiebrig an der Fertigstellung des Storyboards, dem visuellen Drehbuch des Films, arbeitete. Die Zweifel, ob sein letztes Werk seinen Ansprüchen genügen würde, trotz jahrzehntelanger Erfahrung, waren allgegenwärtig.

Miyazaki hat mit Wie der Wind sich hebt keine Märchenwelt erschaffen und keinen Abenteuerfilm. Kein Schwerpunkt in Umwelt und Natur gesetzt und keine starke Frauenfigur zur Protagonistin erhoben. Miyazaki widmet seinen letzten Film Jiro Horikoshi, Ingenieur des japanischen Jagdflugzeugs Mitsubishi A6M (Zero Fighter), dessen revolutionäre Ideen im Flugzeugbau, Japan im Zweiten Weltkrieg zu kurzzeitiger Lufthoheit verhalfen. Eine Ausgangslage, die vor allem im asiatischen

Raum für Aufsehen sorgte, weil Japan zu jener Zeit der Aggressor war und nie die gründliche Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs geleistet hat.

Wie der Wind sich hebt ist zwar eine Geschichte über Jiro Horikoshi, aber vielmehr eine fiktionale Liebesgeschichte auf zweierlei Ebenen. Jiro träumt vom Fliegen. Ein Traum so alt wie die Menschheit selbst. Kurzsichtigkeit verunmöglichte es ihm Pilot zu werden und so entschliesst er sich, seinem grossen Vorbild Giovanni Battista Caproni zu folgen, dem italienische Luftfahrtingenieur und Unternehmer. Es ist die Zeit nach dem grossen Kanto-Erdbeben (1923). 140 000 Einwohner sterben in der Grossregion Tokio. Nach dem Tsunami folgt das Feuer. 90 Prozent der Häuser sind beschädigt, der grösste Teil komplett zerstört. Weltweite Depression bringt hohe Arbeitslosigkeit. Mittendrin der junge Jiro, der auf einer Zugreise erstmals die hübsche Naoko Satomi erblickt, die mit Vorliebe Bilder malt. Sie leidet an Tuberkulose, zu jener Zeit unheilbar.

Miyazaki wurde 1941 geboren. Sein Vater war Besitzer von Miyazaki Airplane, eine Fabrik, die

Traumtänzer und die RealitätDer Pazifist Miyazaki erzählt von der Leidenschaft einen Traum zu verfolgen und ihn zu verwirklichen, allen Um- und Widerständen zum Trotz.

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Teile für den Mitsubishi A6M Zero herstellte. Als Vierjähriger hat er die letzten Tage des Kriegs miterlebt und flüchtete mit seiner Familie vor Luftangriffen aus der Stadt. Seine Mutter war jahrelang in Tuberkulose-Behandlung. Es sind biographische Elemente, die sich in den Figuren aus Wie der Wind sich hebt wiederfinden und sich mit ihren realen Vorbildern decken. Ausserdem ist Miyazakis Vorliebe für fantastische und reale Flugapparate ein offenes Geheimnis und wichtiger Bestandteil vieler seiner Filme.

„Er liebt Kampfflugzeuge, aber hasst Krieg – Hayao Miyazaki ist ein Mann der Widersprüche“, schrieb Produzent Toshio Suzuki. Ein Kriegsfilm ist Wie der Wind sich hebt aber mitnichten geworden. Im besten Fall ein Anti-Kriegsfilm. Aber Miyazaki erzählt nicht die Geschichte vom Krieg, nicht die reale Entstehungsgeschichte des Zero Fighters. Er erzählt nicht von seiner Zerstörungskraft und nicht von den Schwächen und seinem Untergang. „Kämpfen ist nie gerechtfertigt“, lehrt Jiros Mutter im Film dem Jungen. Der Pazifist Miyazaki erzählt von der Leidenschaft einen Traum zu verfolgen und ihn zu verwirklichen, allen Um- und Widerständen zum Trotz.

„Flugzeuge sind wunder-schöne Träume. Ingenieure machen aus Träumen Realität.”

„Flugzeuge sind wunderschöne Träume. Ingenieure machen aus Träumen Realität“, sagt Caproni zu Jiro in einer Traumsequenz. Wer könnte diese Lektion besser verinnerlicht haben als Miyazaki selbst. Er, der grosse Traumtänzer, der Zeichnungen durch Animation zum Laufen bringt, unmögliche Fluggeräte durch die Lüfte schickt und seltsame Kreaturen aus dem Nichts erschafft. Jiro Horikoshis Geschichte ist auch Miyazakis Geschichte. Jiro ist Hayaos Alter Ego. In seinen Anfangstagen als Zeichner schaute er mit grossen Augen nach Amerika, Frankreich und Russland und stellte sich die Frage, ob die japanischen Zeichentrickkünstler jemals das Niveau dieser Vorbilder erreichen würde, genau wie Horikoshi, der sich mit einem technischen Rückstand im Flugzeugbau abfinden musste.

Vordergründig ist Wie der Wind sich hebt die stark fiktionalisierte Biographie von Jiro Horikoshi, dem Erfinder des Zero Fighters. In der Figur steckt aber mehr Miyazaki als mancher annehmen würde. Miyazaki hat mit seinem letzten Werk seinen inneren Drang, der ihn ein Leben lang angetrieben, zum Zeichnen gezwungen, zum Arbeiten verdammt hat, nach aussen gekehrt und auf eine Filmfigur projiziert. Mit dem Leitmotiv „Il faut tenter de vivre“ (“Wir müssen versuchen zu leben”) schliesst er den Bogen zu seinem ersten, eigenständigen Werk Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984), dessen selbstgezeichnete Manga-Vorlage mit genau diesen Worten schliesst. ■ (aus)

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Flugzeuge sind wunderschöne Träume

“Jiro Horikoshi, Designer des Zero-Flugzeugs, und sein italienischer Vorreiter Gianni Caproni sind zwei Männer, die das gleiche Ziel verfolgen, verbunden durch eine Freundschaft über Ort und Zeit hinweg. Die beiden überwinden unzählige Rückschläge, auf dem Weg zur Realisierung ihrer Kindheitsträume.

Während Japans Taisho-Ära (1912-1926) entscheidet sich Jiro, ein Junge vom Land, Flugzeugdesigner zu werden. Er träumt davon, ein Flugzeug zu bauen, das so wundervoll fliegt wie der Wind.

Als junger Mann beginnt er, in Tokio zu studieren und wird zu einem Eliteingenieur der riesigen Verteidigungsindustrie. Sein Talent kommt zur Entfaltung und er entwirft schliesslich ein einzigartiges Flugzeug, eines, das seine Spuren in der Luftfahrtgeschichte hinterlassen sollte: die Mitsubishi A6M1, später umbenannt in Navy Type O Carrier Fighter, besser bekannt als Zero Kampfjet. Für drei Jahre, von 1940 an, war es das beste Kampfflugzeug der Welt.

Von der Kindheit bis zur Jugend empfindet die Hauptfigur eine allgemeine Stagnation, intensiver als im heutigen Japan: Das Grosse Erdbeben von Kanton 1923, die Grosse Depression, Arbeitslosigkeit, Armut, Tuberkulose, Revolutionen und Faschismus, die Unterdrückung der freien Meinungsäusserung, ein Krieg nach dem anderen, tragen ihren Teil dazu bei. Währenddessen floriert die Populärkultur; Modernismus und Nihilismus sowie Hedonismus sind vorherrschend. Poeten auf ihren Reisen werden zu Opfern von Krankheit und Tod.

Unser Protagonist Jiro engagiert sich im Flugzeugdesign zu einer Zeit, als sich das Japanische Reich auf seine Zerstörung und ultimativen Niedergang zubewegt. Dennoch ist es weder die Intention des Films, den Krieg zu verurteilen, noch Jugendliche mit der Exzellenz des Zeros zu beeindrucken. Ich habe auch nicht die Absicht die Hauptfigur zu verteidigen, indem ich zum Beispiel behaupte, er hätte eigentliche zivile Flugzeuge erfinden wollen.

Das Porträt eines ganz in seiner Arbeit aufgehenden Individuums möchte ich kreieren, eines Menschen, der seine Träume verfolgt, koste es was es wolle. Träume besitzen ein Element des Wahnsinns und solch ein Gift soll nicht verschleiert werden. Die Sehnsucht nach etwas zu Schönem kann einen ruinieren. Jiro wird schliesslich besiegt, seine Designkarriere kommt zu einem Ende. Dennoch war Jiro ein Talent von herausragender Originalität. Die ist es, was wir mit dem Film zeigen wollen.

Der Titel THE WIND RISES stammt von der Romanvorlage verfasst von Tatsuo Hori. Als Inspiration diente “Le vent se lève, il faut tenter de vivre”, eine Zeile aus einem Gedicht Paul Valérys, im japanischen “Kaze tachinu, iza ikimeyamo”, (Der Wind hebt sich! Wir müssen leben!). Unser Film kombiniert Jiro Hirokoshi und Autor Tatsuo Hori, zwei reale Menschen, die in der entsprechenden Zeit lebten, um “Jiro” die Hauptfigur der Geschichte zu erschaffen. Der Film wird ein ungewöhnliches Werk der vollständigen Fiktion, das Leben der Jugendlichen der 1930er Jahre darstellend. Unsere Geschichte entspinnt sich zwischen der Geburt des

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Zero Kampfjets und der Begegnung mit Nahoko. Der gute alte Caproni, Ort und Zeit transzendierend, gesellt sich dazu, um der Geschichte einige gezielte Farbakzente zu verleihen.

Anmerkungen zum Look des FilmsIch möchte Japans grünende Landschaften von der Taisho-Ära bis zur Showa Ära in äusserster Schönheit darstellen. Der Himmel war damals noch klar und mit imposanten weissen Wolken bedeckt. Wasser floss kristallen dahin. Kein Abfall fand sich in der Landschaft. Auf der anderen Seite war Armut in den Städten weit verbreitet. Ich möchte die Architektur nicht durch Sepiatöne verschleiern; folglich werden kräftige ostasiatische Farben der Moderne dominieren. Die Strassen sind holprig und uneben. Schilder und Plakate ergeben ein chaotisches Bild. Durcheinander gewürfelte Strommasten sind überall.

Dieser Film soll eine Art Biographie von Kindheit, Jugend und mittlerem Alter des Protagonisten ergeben, aber der Alltag eines Designers wäre aller Voraussicht nach recht eintönig. Darum werden mutige Schnitte und Zeitsprünge unvermeidbar sein, ohne den Zuschauer all zu sehr zu verwirren. Der Film wird vermutlich eine Verflechtung folgender drei Typen von Bildern:

Alltagsszenen werden in ruhigen und einfachen Momenten kulminieren. DieTraumsequenzen werden viel freier und sinnlicher sein: Taumelnde Zeit und wirres Wetter, rollendes Gelände und schwebende Flugobjekte. Die Träume sollen die Obsession der Arbeit von Caproni und Jiro verdeutlichen.Technische Erklärungen und Situationen werden karikiert. Ich habe kein Interesse daran, Trivialitäten oder Fakten über Flugtechnologie zu verbreiten, aber wenn nötig werden sie mit lautem Cartoon-Stil präsentiert. Die Schwäche dieser Art von filmischer Arbeit besteht in zuvielen Szenen, in denen die Figuren sich treffen und individuelle Schicksale entschieden werden. Unsere Arbeit wird keine solchen Szenen enthalten. Treffen wird es nur geben, wenn es absolut unvermeidbar ist, aber als Cartoons und ohne Dialoge. Unsere Aufmerksamkeit gilt dem Porträtieren der Figuren.

Ich möchte etwas erschaffen, das realistisch, fantastisch und bei Zeiten überzeichnet ist, aber insgesamt einen wunderschönen Film ergibt.”

- 10. Januar 2011 Hayao MiyazakiÜbersetzung: Presseheft

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Japaner und der Krieg

Er liebt Kampfflugzeuge, aber hasst Krieg - Hayao Miyazaki ist ein Mann der Widersprüche. Er hat sein Leben zwischen dem Glauben an die Menschheit und der Verzweiflung an derselben verbracht. Wie ist er so geworden?

Was kaum jemand weiss: Miyazaki ist ein Experte in Sachen Krieg. Er kennt nicht nur die Geschichte der japanischen Kriege, sondern auch die der kriegerischen Konflikte in der ganzen Welt, und er wird besonders leidenschaftlich, wenn es um die Ostfront im Zweiten Weltkrieg geht. Jedes relevante Buch zum Thema hat er gelesen. Sein Wissen erstreckt sich von den Soldaten über die Panzer bis hin zu den benutzen Waffen in den Schlachten. Die Zahl der Toten betrug laut ihm 20 Millionen. Er verurteilt diesen Krieg als den dümmsten Konflikt der Menschheitsgeschichte.

Gleichzeitig sehnt er sich verzweifelt nach Frieden, mehr als alle anderen. Er nahm in seinen jungen Jahren an vielen Anti-Kriegs-Demonstrationen teil und vertritt heute noch die gleiche Einstellung. Es ist etwa fünf Jahre her, dass dieser Mann an seiner Idee für eine Manga-Serie zu arbeiten begann, mit Jiro Horikoshi, dem Designer des Zero Kampfjets, als Hauptfigur.

Ich schlug ihm vor THE WIND RISES als nächsten Film zu realisieren, aber er lehnte direkt ab. “Suzuki-san, worauf zielst du ab? Ich zeichne diesen Manga als ein Hobby. Einen Film zu drehen auf dieser Grundlage kommt nicht in Frage. Animation soll für Kinder sein. Einen Film nur für ältere Zuschauer sollte man vermeiden.”

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Ich wollte jedoch nicht so leicht aufgeben. Neugier ist schliesslich die Basis der Arbeit eines Produzenten. Was für einen Film würde Miyazaki erschaffen mit Krieg als Hauptthema? Kampfszenen sind seine Stärke. Sicherlich würde er nichts Kriegerisches für seine nächste Arbeit wählen. Das war mir schon klar. Aber wenn ein Künstler gezwungen ist, seine stärkste Waffe nicht einzusetzen, erschafft er oft die besten Ergebnisse.

Mein ursprünglicher Vorschlag stammt aus dem Sommer 2010. Miyazaki und ich diskutierten das Thema weiter. Im Herbst sagte er schliesslich: “Na gut. Ich werde ausprobieren, ob man hieraus einen Spielfilm machen könnte. Gib mir Zeit bis zum Ende des Jahres.”

Ich werde nie den Tag vergessen, an dem beschlossen wurde, den Film ernsthaft in Angriff zu nehmen. Es war der 28. Dezember 2010. Miya-san begann im neuen Jahr sofort mit den Storyboards, um Jiros Kindheit und seine Begegnung mit Nahoko während des Erdbebens von Kanto 1923, darzustellen. Dies war der Tag bevor uns das Grosse Ostjapanische Beben erschütterte.

Hayako Miyazaki ist nicht der einzige Mensch, der zwischen dem Glauben an die Menschheit und der Verzweiflung an ihr hin und her gerissen wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin überzeugt, dieses Thema ist das grösste Problem, dem sich die japanische Bevölkerung aussetzen muss.

- 28. Mai 2013 Toshio Suzuki (Produzent)Übersetzung: Presseheft

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“Die Flugeinlagen sind atemberaubend, besonders in 3D, und die unzähligen neuen Drachen sind ein Augenschmaus.”

Drachenzähmen leicht gemacht 2(2014, USA)

Originaltitel: How to train your Dragon 2Regie: Dean DeBlois

Studio: DreamWorks AnimationBudget: ca. 145 Millionen $

Lauflänge: 102 MinutenFreigabe: FSK 6

Start: 24. Juli 2014Verleih: Fox Deutschland, 20th Century Fox Film Corporation

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Dragons 2 bietet Spannung, Drama und Humor, ist in erster Linie aber imposantes Animationskino,

das besonders mit seinen Schauwerten, den herausragenden Animationen und Lichteffekten, punktet. Auch wenn die Welt von Berk nicht mehr ganz so erfrischend wirkt wie im ersten Teil und die Unbeschwertheit verschwunden ist, so fesselt die Geschichte dank den charmanten Charakteren.

Fünf Jahre sind vergangen. Aus Hicks ist ein junger Erwachsener geworden. Sein Heimatort Berk, früher im steten Kampf mit feuerspeienden Drachen, hat sich zum Drachenhorst gemausert. Die Wikinger leben friedlich mit den fliegenden Ungeheuern zusammen. Die Jugend amüsiert

sich mit Drachenrennen und in der ehemaligen Waffenschmiede wird Drachenzubehör verkauft. Mit seinem Vater versteht sich Hicks zwar wieder prächtig, doch die Missverständnisse sind weiterhin Grund für Verwirrung. Haudrauf, Häuptling und Anführer der Wikinger, könnte vor Stolz fast platzen, schliesslich ist es seinem Sohn zu verdanken, dass sein Volk nicht länger in Schrecken leben muss. Auch die Frage der Nachfolge scheint geregelt, denn Hicks soll in seine Fussstapfen treten. Doch der abenteuerlustige Junge will sich nicht zähmen lassen, fliegt mit seinem Nachtschatten Ohnezahn durch die Lüfte, sucht nach neuen Orten und neuen Drachen. Als er während einer

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Erkundungstour auf die mysteriöse Valka trifft, die Drachen besser fliegen und besser zähmen kann als er, wird ihm eine ganz neue Sicht auf sein Leben offenbart, denn die Drachenreiterin ist seine verschollen geglaubte Mutter. Das Idyll wird gestört, als der machthungrige Drago, der Drachen mit Angst und Schrecken zähmt, in den Krieg gegen Berk zieht...

Regisseur und Drehbuchautor Dean DeBlois (Lilo&Stitch) macht mit Drachenzähmen leicht gemacht 2 vieles richtig. Der zweite und mittlere Teil der geplanten Trilogie vergrössert die Welt seiner Protagonisten in einem gesunden Mass. Hicks entdeckt nicht die Welt, sondern ausgesuchte, spezielle Orte. Dies genügt, um enorm viel Trubel ins beschauliche Berk zu bringen und für den Zuschauer viel Abwechslung. Mehr Drachen, mehr Drama, mehr Action, die logische Konsequenz einer Fortsetzung. DeBlois läuft aber Gefahr, in konventionelles Fahrwasser abzudriften, indem er einen klassischen Bösewicht einführt, während die Charaktere im ersten Teil grösstenteils mit sich selbst und den Drachen beschäftigt waren. Drago, der eine Armee von Drachensklaven anführt, bleibt als die düstere Seite aber etwas gar einfach gezeichnet und dient als simpler Gegenpol zu den Helden. Vielleicht sieht man hier die Chance, Drago im finalen dritten Teil zu einem mehrdimensionalen Charakter auszubauen.

In seinem Kern ist auch Drachenzähmen leicht gemacht 2 wieder eine Geschichte über die Familie, Freundschaft und Zusammenhalt. Hicks versucht sich von seinem Vater zu emanzipieren und will seine Weichen für die Zukunft stellen, während Häuptling Haudrauf damit konfrontiert wird, dass sein Sohn einen eigenen Kopf hat. Im ersten Teil hat er ihm überhaupt nichts zugetraut und jetzt will er ihm gleich die ganze Last aufbürden. Der Konflikt wird verschärft, als Hicks seine Mutter näher kennenlernt und erkennt, dass sie ebenfalls eine starke Verbindung zu Drachen aufweist. So unterschiedlich seine Eltern sind, in der Thematik Drago sind sie einer Meinung, während Hicks dem naiven Glauben nachhängt, er könne den Konflikt mit Diplomatie lösen. Eine pazifistische Botschaft mit richtigem Ansatz, zumindest für die jüngeren Zuschauer. Immerhin sind Hicks Bemühungen auch ein kleines Bisschen von Erfolg gekrönt, auch wenn dies nicht auf den Bösewicht des Films zutrifft.

DeBlois Drehbuch zeigt grob gesehen zwei Kapitel. Es ist der grossartige erste Teil, der Hicks zum Treffen mit seiner Mutter führt und diesen

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Film so stark macht. Was anschliessend folgt ist eine visuell herausragend inszenierte, aber auch ermüdend lange Schlacht. Bemerkenswert, DeBlois zeigt keine Cartoon-Szenen, bei der niemand zu Schaden kommt. Drachenzähmen 2 hat echte (unblutige) Konsequenzen, spielt Freund und Feind gegeneinander aus und zeigt sich mindestens so erwachsen wie seine Protagonisten. Gelungen ist auch die Tatsache, dass das Drehbuch für diesen mittleren Teil der Trilogie ein schlüssiges Ende findet und dennoch signalisiert, dass hier noch nicht alles gesagt ist.

Mit einer neuen Software ausgerüstet, haben die Animationen einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Die Flugeinlagen sind atemberaubend, besonders in 3D, und die abwechslungsreichen, unzähligen neuen Drachen sind ein Augenschmaus. Etwas zu aufdringlich hat man diese stellenweise der bekannten Tierwelt abgeguckt, was besonders bei Valkas „Eulen“-Drache und natürlich bei „Grinsekatze“-Ohnezahn ins Gewicht fällt. Dem Charme der Drachen tut dies aber keinen Abbruch. Die Protagonisten hat man für diesen zweiten Teil fünf Jahre älter gemacht, eine Herausforderung, die mit Bravour gemeistert wurde. Der Look der Figuren wurde weitgehend beibehalten, dafür sind die Gesichter kantiger, zierliche Bartstoppeln spriessen am Kinn und Frisuren und Kleidung wirken erwachsener. Auch Berk hat sich verändert. Das Zusammenleben zwischen Wikingern und Drachen gleicht einem Paradies und die Bewohner wirken fröhlicher, was durch eine Palette kräftiger Farben unterstrichen wird.

Drachenzähmen leicht gemacht 2 bietet Spannung, Drama und Humor, ist in erster Linie aber imposantes Animationskino, das besonders mit seinen Schauwerten, den herausragenden Animationen und Lichteffekten, punktet. Auch wenn die Welt von Berk nicht mehr ganz so erfrischend wirkt wie im ersten Teil und die Unbeschwertheit verschwunden ist, so fesselt die Geschichte dank den charmanten Charakteren und dem fein ausgearbeiteten Beziehungsgeflecht zwischen Vater, Mutter und Sohn. Allerdings geht dies auf Kosten aller Nebencharaktere, die leider blass bleiben. Auch die Heranführung an die grosse Schlacht in der zweiten Hälfte des Films überzeugt nur bedingt. Drachenzähmen leicht gemacht 2 ist eine gelungene Fortsetzung, kann seinen Vorgänger aber nicht übertrumpfen. ■ (aus)

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DreamWorks Animations How to Train Your Dragon (Drachenzähmen leicht gemacht)

war 2010 ein unerwartet grosser Erfolg. Das erste Abenteuer der Drachenzähmer von Berk hat weltweit fast eine halbe Milliarde Dollar eingespielt. Damals war noch nicht klar, dass man die Geschichte, die auf der Vorlage des gleichnamigen Jugendbuchs von Cressida Cowell basiert, zur eigenständigen, freien Interpretation ausbauen würde. Zu behaupten, DreamWorks wäre mit dem Start einer ganz neuen Franchise ein Wagnis eingegangen, kann man aber nur bedingt gelten lassen. Vielmehr war die Menge an ambitionierten Animationsfilmen, die Hollywood in jenem Jahr nacheinander ins Rennen schickte, allen voran Pixars Toy Story 3, enorm hoch. Allein DreamWorks selbst brachte mit Für immer Shrek (Shrek Forever After) und Megamind zwei weitere Animationsfilme ins Kino. Um die Gunst der Zuschauer buhlten auch Regisseur Wes Anderson, der mit 20th Century Fox den Stop-Motion Film Der fantastische Mr. Fox (Fantastic Mr. Fox) veröffentlichte, die Illumination Studios, welche die niedlichen Minions für Ich – Einfach unverbesserlich (Despicable Me) ins Rennen schickten, Zack Snyder, der die Eulen für Die

Legende der Wächter (Guardians of Ga’Hoole) fliegen liess, und natürlich Disney, die nach ihrem Zeichentrickfilm Küss den Frosch (The Princess and the Frog) ihre klassische Märchenthematik mit Rapunzel – Neu verföhnt (Tangled) auch im computeranimierten Bereich austesten wollten.

Die Rechnung ging auf. Besonders für DreamWorks Animation CEO Jeffrey Katzenberg, der Regisseur Dean DeBlois (Lilo&Stitch) für eine Fortsetzung anfragte, während Koregisseur Chris Sanders seine Arbeiten an The Croods aufnahm. DeBlois war eine einfache Fortsetzung aber nicht genug. Eine Trilogie sollte es werden:

„Ich habe ihnen gesagt: ‘Ich habe grosses Interesse, wenn ihr euch damit anfreunden könnt, eine Trilogie daraus zu machen. Der erste Film wäre dann der erste Akt, jetzt folgt ein grösserer zweiter Akt, und als krönenden Abschluss muss es einen dritten Akt geben.’ Glücklicherweise liessen sie sich davon überzeugen“.

Dabei war er sich der Problematik klassischer Fortsetzungen bewusst und nahm sich Das Imperium schlägt zurück (The Empire Strikes Back , 1980) als Vorbild. Neue Spielereien und

Neue Software, neue Möglichkeiten

“...Apollo ist das digitale Gegenstück zur klassischen Stop-Motion-Animation...”

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neue Charaktere wurden eingebaut, alles war grösser und imposanter. Merkmale, die auch in Drachenzähmen leicht gemacht 2 zu sehen sind. Möglich war dies insbesondere, weil DeBlois viel mehr Zeit hatte, als dies beim ersten Film der Fall war. Damals wurde er zusammen mit Sanders 15 Monate vor Release zum Projekt geholt. Vier Jahre liegen nun zwischen Teil 1 und 2, was es DeBlois ermöglichte, die Charaktere von Grund auf neu zu bauen.

Die grösste Veränderung brachte die neue Software Apollo, die basierend auf den Erfahrungen der Animatoren entwickelt wurde und aus den zwei wesentlichen Software-Komponenten Premo, dem Animations-Tool, und Torch, dem Beleuchtungswerkzeug, besteht. Gearbeitet wird dank Premo jetzt mit Stift und Touchscreen, was den Künstlern ein viel intuitiveres Arbeiten ermöglicht:

„Es fühlt sich viel stärker wie ein Computerspiel an. Wir verlieren weniger Zeit zwischen der Arbeit, in der wir die Charaktere herum schieben und wir müssen uns nicht mehr mit der selben Menge an Datenbergen beschäftigen, wie bisher“, sagt der Schweizer Simon Otto, der als Head of Character Animation einen grossen Einfluss auf den Film hatte.

Jetzt werden die Figuren in Echtzeit berechnet und bewegt. DeBlois geht sogar soweit zu sagen, dass Apollo so etwas wie das digitale Gegenstück zur klassischen Stop-Motion-Animation sei, weil der Animator wieder stärker mit der Figur selbst arbeitet. Die richtigen Bewegungen von Hicks’ Mutter Valka habe man zum Beispiel erst nach einigen Versuchen herausbekommen. Die neue Software war aber auch für die epische Struktur des zweiten Teils hilfreich. Die Schlacht am Strand wäre ohne Apollo nicht möglich gewesen.

Die Anzahl an unterschiedlichen Drachen ist überwältigend und nur mit der entsprechenden visuellen Abgleichung im Kampfgetümmel konnte man den Überblick behalten, was beim ersten Film ganz einfach nicht möglich gewesen wäre.

„Bei Ohnezahn waren im ersten Film etwa viermal so viele Bedienelemente erforderlich wie bei Hicks oder den anderen Menschen. Immer mussten die vier Beine, die Ohrenplatten, der Schwanz und die Flossen bedacht werden ... Jetzt, beim zweiten Film, haben wir sogar einen Drachen, der zwei Paar Flügel hat [...] Wir können immer bessere Varianten viel schneller durchspielen. Wenn wir unsere Szenen choreografieren, müssen wir nicht mehr darauf warten, dass der Computer berechnet, wie das dann aussehen wird: Wir verfolgen diese kreativen Entscheidungen direkt mit unseren eigenen Augen“, erzählt Otto.

DeBlois und seine Crew können sich eine kurze Pause gönnen. Aber die Trilogie ist noch nicht vollendet. 2016 soll bereits der dritte Teil in die Kinos kommen. ■ (aus)

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AUF IN EIN BRANDNEUES ABENTEUER

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(2013, Japan)Regie: Katsuhiro Otomo, Hiroaki Ando,

Hajime Katoki, Shuhei MoritaStudio: Bandai Visual Company, Sunrise

Lauflänge: 68 MinutenFreigabe: ab 16

Verleih: Eleven Arts, Sentai Filmworks

Das Konzept eines Episodenfilms ist für Katsuhiro Otomo nicht neu. Bereits 1987

war er auf der Kurzfilmsammlung Neo Tokyo vertreten, zusammen mit Rintaro (Metropolis, 2001) und Yoshiaki Kawajiri (The Animatrix „Program“, 2003). Und ein Jahr später steuerte er mit dem titelgebenden Robot Carnival (1989) seinen Teil (zusammen mit Atsuko Fukushima) zu einer weiteren Kurzfilmsammlung bei. 1995 veröffentlichte Otomo mit Memories ein eigenes Projekt. Basierend auf seinen Manga-Kurzgeschichten “Magnetic Rose” und “Stink Bomb” entwickelten Tensai Okamura (Blue

Exorcist, 2011) und Koji Morimoto (Genius Party Beyond Episode „Dimension Bomb) animierte Adaptionen. Otomo selbst führte bei “Cannon Fodder” Regie und simulierte mit geschickten Überblendungen eine zwanzigminütige Plansequenz. Es sollten 18 Jahre vergehen, ein Anime Langfilm (Steam Boy, 2004) und ein Realfilm (Mushishi, 2006) hat er in der Zwischenzeit verwirklicht, bis Otomo mit Short Peace wieder einen Episodenfilm vorlegt. Der grösste Unterschied zwischen den beiden Projekten ist schnell gefunden: der Einsatz von Computern zur Animation, was heutzutage in

Nicht nur viele computeranimierte Blockbuster aus Hollywood haben einen homogenen Look in Ton, Bild und Inhalt, sondern auch japanische Animationsfilme, kurz Anime. Dass aber auch im Land der aufgehenden Sonne an optisch innovativen Formen gearbeitet wird, zeigt der Episodenfilm SHORT PEACE, der unter der Führung von Katsuhiro Otomo entstand und dieses Jahr am NIFFF (Neuchâtel International Fantastic Film Festival) in der Kategorie “Le Japon Imaginaire” gezeigt wurde. Otomo ist vielen durch sein Manga-Opus “Akira”, und die gleichnamige Verfilmung (1988) ein Begriff. In SHORT PEACE holt er drei weitere, ganz unterschiedliche Regisseure mit an Bord, die vier unterschiedliche Geschichten in vier unterschiedlichen Stilen erzählen. Die einzige Gemeinsamkeit: Als überspannendes Thema wurde das Land Japan gewählt.

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Japan besonders bei den TV-Serien zum Senken des Produktionsbudgets der Fall ist. Dass man CG auch auf innovative und stilbildende Weise einsetzen kann, ohne sich an Hollywood zu orientieren und ohne die traditionellen Werte zu verlieren, zeigen die beiden jungen Regisseure Shuhei Morita in Possessions und Hiroaki Ando in Gambo.

Possessions führt einen Samurai während einem schweren Gewitter zu einem Schrein, in dem er Unterschlupf findet. Doch das schützende Haus wird von Tsukumogami, Artefakt-Geister, die Alltagsgegenstände beseelen, bewohnt. Der Samurai lässt sich nicht einschüchtern und flickt fleissig Regenschirme, näht schöne Kleider und besänftigt ein stinkendes Abfall-Monster. Gambo führt hingegen einen Eisbären in einen blutigen Kampf gegen einen übermächtigen Dämon, der ein kleines Dorf und seine Bewohner bedroht. Beide Kurzfilme imitieren auf den ersten Blick klassische Animationsstile, verstecken ihre computeranimierte Basis aber zu keiner Zeit.

Otomo geht mit seinem Beitrag Combustile noch einen Schritt weiter. Als Bildrolle verpackt, in traditionellem Zeichenstil gehalten, erzählt er die Vorgeschichte zu seinem Abenteuer

wiederum als Plansequenz, wechselt dann aber zur bekannten Schnitttechnik. Combustile ist eine Liebesgeschichte, die ihre Wurzeln in der Kindheit zweier Nachbarskinder hat und diese während einem grossen Feuer im antiken Japan wieder zusammenführt. Otomo kombiniert die traditionelle japanische Malerei, insbesondere Ukiyo-e, mit dem Medium des Trickfilms und der modernen Technik der Computeranimation.

Farewell to Arms wirkt als Abschlussfilm hingegen wie aus einem grösseren, längeren Zusammenhang gerissen und präsentiert sich als imposante Action-Sequenz. Zwar hat Otomo hier das Szenario geschrieben, Regie führte aber Hajime Katoki, der besonders als Mecha-Designer für die Gundam-Serie bekannt ist.

Inhaltlich nicht gerade fordernd, visuell aber ein richtiger Augenschmaus. Optisch hält sich der letzte Kurzfilm in dieser Sammlung denn auch am stärksten an den Zeichentrick-Look klassischer Anime. Die Zukunftsvision, in der die Menschheit ihre eigenen Waffen nicht mehr selbst kontrollieren kann, versprüht mit seiner bodenständigen Science-Fiction jene Atmosphäre, die man von einem Werk Otomos am ehesten erwarten würde.

Short Peace ist mit 68 Minuten Laufzeit vielleicht etwas kurz ausgefallen, liefert aber einen sehenswerten und abwechslungsreichen Querschnitt durch das aktuelle Animations-schaffen im Bereich Anime. ■ (aus)

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Die fantastischen Neun

Neun Menschen werden von einer düsteren Organisation entführt und durch schreckliche Experimente zu Cyborgs mit übermenschlichen Kräften umgebaut. Jeder mit ganz speziellen Fähigkeiten ausgerüstet wie Supergehör, Superblick, Feuerstrahl, Unterwasseratmung oder Verwandlung. Cyborg Nummer 009, der Protagonist aus Buch und Film, ist mit einer Ultrageschwindigkeit bestückt, mit der alles um ihn herum in Zeitlupe geschieht. Bald wenden sich die Cyborgs gegen ihre Erschaffer, die nichts geringeres in ihren Plänen vorsehen, als einen neuen Weltkrieg anzuzetteln. Krieg braucht Waffen und die müssen zuerst einmal hergestellt werden, was für die Produzenten hohen Profit bedeutet.

Dies ist die Hintergrundgeschichte von Shotaro Ishinomoris Manga-Serie aus den 1960er-Jahren, von der man in der vorliegenden computeranimierten Neuinterpretation nichts erzählt bekommt. In einem Cel-Shading-Look gehalten, imitiert der Film den gezeichneten Look heutiger Anime, erinnert in seiner Figurenzeichnung aber nur noch entfernt an den cartoonesquen Stil von Manga- und Anime-Serie der Anfangstage. Eine durch und durch moderne Umsetzung also, die seine Protagonisten ernster und erwachsener zeigt, und mit einer gelungenen 3D-Version aufwartet, die in der Sparte der Anime-Filme weiterhin eine Ausnahme darstellt.

Man schreibt das Jahr 2013: Die japanische Antwort auf die X-Men und die Avengers wird wiedererweckt, denn eine Reihe von Anschlägen versetzt die Welt in Angst und Schrecken. Herkunft und Motivation der Attentäter ist unbekannt, aber es scheint, dass sie auf Geheiss einer mysteriösen Stimme handeln. Ganz im Zeichen der post 9/11-Ära greift der Anime die latente Terrorbedrohung auf, die jederzeit und überall die geordnete Welt erschüttern kann.

Gespickt mit actionreichen, spannenden Momenten und beeindruckenden Flugeinlagen, zeigt die Geschichte aber auch viele ruhige Szenen, die den Schwerpunkt auf etwas gar einfach gestrickte philosophische und religiöse Dialoge zur Weltanschauung setzen. Ist die mysteriöse Stimme Gott? Existiert dieser als Entität oder nur im Kopf jedes einzelnen Individuums? Soll man sich dafür einsetzen woran man glaubt, auch wenn man dafür Opfer bringen muss? 009 RE:CYBORG erreicht dabei inhaltlich aber nicht die Tiefe, die sich die Autoren wohl erhofft hatten, auch weil der Hintergrund der Protagonisten im Dunkeln bleibt. Dennoch ist diese Reanimation der Cyborgs zu jederzeit unterhaltsam, insbesondere auch dank der herausragenden Animation. ■ (aus)

009 Re: Cyborg(2012, Japan)Regie: Kenji KamiyamaStudio: Blue Sky StudiosLauflänge: 103 MinutenFreigabe: FSK 12Start: 11. Juli 2014Verleih: Universum Film GmbH

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Ein Versprechen an die Tochter

Vielleicht sollte man in einem Magazin über Animationsfilme einen grossen Bogen um Realfilme machen. Im Falle von SAVING MR. BANKS, welcher die Entstehungsgeschichte der Disney-Adaption von P. L. Travers Mary Poppins erzählt, darf man aber durchaus eine Ausnahme machen. Einerseits, weil im Film von 1940 die tanzenden Pinguine ja als Zeichentrickfiguren auftraten, andererseits, weil SAVING MR. BANKS auch einen interessanten Blick auf den Filmproduzenten Walt Disney wirft, Lenker und Denker des Disney-Imperiums.

So liebevoll Saving Mr. Banks auch mit den beiden Protagonisten Walt Disney und P. L. Travers umgeht, schnell ist klar, wir haben es hier mit einer “disneyifizierten” Realität zu tun, einem Film, der zudem nach den klassischen Regeln Hollywoods funktioniert. Die Ausgangslage: P. L. Travers, von Australien nach England ausgewandert, war Autorin, Schauspielerin und Journalistin. Im Jahr 1934 veröffentlichte sie das Kinderbuch Mary Poppins, das von einem Kindermädchen mit magischen Fähigkeiten erzählt, welches Abenteuer, Freude und Ordnung in den Alltag einer Familie bringt. Auch Disneys Tochter hat den ersten Roman verschlungen und ihren Vater darum gebeten, eine Verfilmung der Geschichte zu realisieren. Ein Wunsch, den er ihr nicht abschlagen konnte und sich darum bereits 1938 bei Travers um die Rechte bemühte. Aber erst 1961 hatte Disney Erfolg, unter der Voraussetzung, dass die Adaption kein „silly cartoon“, also keine alberner Zeichentrickfilm werden würde. Ausserdem wollte Travis das Projekt als Beraterin überwachen. Zwei Jahre sollte die Planungsphase und das Komponieren der Lieder dauern, der Film komprimiert diesen Zeitraum auf 120 Minuten.

Emma Thompson (Nanny McPhee, Stranger Than Fiction) und Tom Hanks (Captain Phillips, The Da Vinci Code) spielen die beiden Protagonisten grossartig und glaubwürdig. Travers wird als mürrische, verbitterte und pessimistische Dame dargestellt, die sich über die bevorstehende Zusammenarbeit überhaupt nicht freut und im Flugzeug einen Absturz herbeisehnt. Die Produktionszeit wird für alle Beteiligten eine Nervenprobe. Travers lässt sich nicht auf neue Ideen ein, stellt sich zu jedem Ideenvorschlag quer, fast scheint es, als wolle sie die fröhliche und lockere Disney-Version boykottieren. Für Produzent Disney, der den Fortschritt immer wieder gefährdet sieht, ist bald klar, Travers will nicht bloss ihre geliebte, fiktive Romanfigur bewahren, sondern trägt Altlasten aus ihrer Kindheit mit sich herum, die auch in Mary Poppins und besonders der Roman-Familie Banks zum Ausdruck kommen. Dem Zuschauer wird dieser Zusammenhang im Verlauf des Films erläutert, denn in zahlreichen Flashbacks wird die Kindheit von Travers aufgerollt. Zu ihrem Vater schaut sie auf, bewundert ihn. Er ist ein liebevoller Mensch, aber auch ein gescheiterter Banker, depressiv und dem Alkohol verfallen.

Saving Mr. Banks(2013, USA)Originaltitel: Saving Mr. BanksRegie: John Lee HancockStudio: Walt Disney PicturesBudget: ca. 35 Millionen $Lauflänge: 120 MinutenFreigabe: FSK 6Start: 17. Juli 2014Vertrieb: Walt Disney

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Als das Mädchen sieben Jahre alt ist, stirbt ihr Vater an einer Influenza. Zum Schluss scheint die Mary Poppins-Autorin nicht nur mit sich selbst und ihrer Vergangenheit versöhnt zu sein, sondern sogar mit Walt Disney und der anfangs so verhassten Verfilmung.

Auch wenn Saving Mr. Banks die Entstehungsgeschichte gefühlsvoll und auf hohem Niveau erzählt, so haben die Macher für das Happy End auch einige Dinge verdreht. Die Figurenzeichnung von Travers, als alleinstehende, verbitterte und fast menschenfeindliche Dame, obwohl sie einen adoptierten Sohn und auch Beziehungen zu Männern und Frauen hatte, kann man als dramaturgische Zuspitzung akzeptieren. Ebenso Walt Disneys verständnisvolles aber fiktives Gespräch mit Travers über ihren Vater - schliesslich hatten er und seine Mitarbeiter keine Ahnung von ihrer Kindheitsgeschichte. Schwieriger wird es mit der Tatsache, dass Travers sich nie voll und ganz für die Disney-Verfilmung erwärmen konnte. Sie wollte keine eigenständigen Songs und selbst nach der Premiere wollte sie die animierte Sequenz gestrichen sehen. Walt Disney hat über ihren Kopf hinweg entschieden. Wahr ist hingegen, dass man Travers tatsächlich keine Einladung zur Premiere geschickt hatte, sie musste sich selber einladen. Auch wenn die Autorin den Film öffentlich anfangs gelobt hatte, im Glauben eine Fortsetzung würde bald in Produktion gehen, so begann sie die Verfilmung in den folgenden Jahren immer mehr zu verabscheuen, weil die Filmfigur überhaupt nicht ihrer Romanfigur entsprach. Nie hätte ihre Mary Poppins gesungen oder gar getanzt...

Let’s go fly a kite Up to the highest height Let’s go fly a kite And send it soaring Up through the atmosphere Up where the air is clear Oh, let’s go fly a kite ... ■ (aus)

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Rio 2 - Dschungelfieber(2014, USA)Originaltitel: Rio 2Regie: Carlos SaldanhaStudio: Blue Sky StudiosBudget: ca. 103 Millionen $Lauflänge: 101 MinutenFreigabe: FSK 0Start: 02. Juli 2014Verleih: 20th Century Fox

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Dschungelfieber

Blu war der letzte seiner Art, dachte man, doch mit Jewel hat er ein weibliches Gegenstück gefunden und eine glückliche Familie gegründet, die mittlerweile aus fünf Mitgliedern besteht. Noch immer ist der blaue Ara das domestizierte Haustier, das sich mit Vorliebe in Häusern aufhält. Zum Frühstück gibt es Pfannkuchen und ohne Bauchtasche mit GPS und Schweizer Armeemesser traut sich Blu erst gar nicht an die frische Luft. Auch seine Kinder sind verwöhnte Stadtvögel geworden, was der Mutter Jewel aber überhaupt nicht passt. Kurzerhand wird beschlossen, von Rio de Janeiro in den Amazonas zu fliegen, um den Kindern das wahre Leben zu zeigen und vielleicht doch noch Artgenossen zu finden. Was die blauen Aras erwartet, ist ein grosses Abenteuer, besonders für Blu, der nicht nur auf seinen Erzfeind Nigel trifft, sondern auch auf seinen Schwiegervater…

Rio heisst Sonne, Strand und Samba. Pure Lebenslust. Singen und Tanzen lautet das Motto, hier gibt es nur schöne Dinge und keine Armut. So vermittelt es zumindest der Animationsfilm aus den Blue Sky Studios (Rio, Ice Age). Im ersten Teil hat Regisseur Carlos Saldanha auf die Missstände im Tierhandel aufmerksam gemacht, im zweiten Teil verschiebt er die Botschaft in den Amazonas und ruft die Abholzung des Regenwaldes in Erinnerung. Ein weiterhin

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unglaublich wichtiger Fingerzeig. Nur, Saldanha kann sich in Rio 2 – Dschungelfieber nicht so richtig entscheiden, welche Geschichte er nun wirklich erzählen will. Zu sanft geht er mit dem wichtigen Thema um, vergisst die Auswirkungen und das aktuelle Ausmass der Zerstörung von Menschenhand zu zeigen. Die Empörung bleibt aus und das Wachrütteln ist vielmehr ein kleiner Stups. Dabei macht er im Aufbau ja alles richtig: Da wird eine seltene Spezies mitten im Urwald entdeckt, die sich unmittelbar von der Zerstörung bedroht sieht, analog zu James Camerons Avatar (2009), der letzte Blockbuster, der sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hatte. Aber anders als in Avatar und anders als in einer der Inspirationsquelle, dem Zeichentrickfilm Fern Gully (1992), sind die angerückten Maschinen niemals so bedrohlich inszeniert, als dass man um den Regenwald wirklich bangen müsste. Im Gegenteil, ein Vogelschwarm reicht aus, um die Menschen zu stoppen.

Identifikationsfiguren in diesem Konflikt wären Blu, Jewel und die Kinder, aber die sind eben gar keine echten Waldbewohner, leben vielmehr in der Stadt, sind sich Mensch, Technik und Lärm gewohnt. Ob ihre Existenz mit der Abholzung bedroht wird, ist denn auch nicht wirklich ein Thema. Für die Protagonisten verschiebt sich der Schwerpunkt auf die inneren Konflikte. Familie Blu sieht sich unvermittelt mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Land statt Stadt. Urwald statt Haus. Aber auch hier fällt die Umstellung,

gerade für die Kinder, viel zu einfach aus. Sie vermissen weder Elektrizität noch Fernsehen, ja fühlen sich vom ersten Augenblick an so richtig wohl unter ihren Artgenossen. Nur Blu braucht etwas länger, um sich zurecht zu finden. Kein Wunder, muss er doch noch an ganz anderen Fronten kämpfen. Seine Herzensdame Jewel wird unerwartet von der Jugendliebe Roberto (Bruno Mars) umgarnt, sein Schwiegervater soll bei Laune gehalten werden und der Bösewicht Nigel sinnt nach Rache. Aber das Konfliktgefälle ist zu gering, Roberto zu androgyn, der Schwiegervater zu freundlich und Nigel zu tollpatschig. Wobei gerade der gefallene Kakadu das Highlight des Films darstellt. Im Rüschenkragen zitiert er Shakespeare und kriegt mit einem pinken Fröschchen eine süsse Liebesgeschichte spendiert, frei nach Romeo und Julia.

Insgesamt ist Rio 2 – Dschungelfieber ein durchaus unterhaltsames Abenteuer geworden, aber auch gänzlich ohne Ecken und Kanten. Zu viele Themen werden in den Zutatentopf gerührt und keine schmeckt man schlussendlich heraus. Ach ja, eine “Der Dschungel sucht das Supertalent”-Version wurde auch noch hinzugefügt. Mehr geht fast nicht. Angereichert mit zahlreichen Popsongs und ausgeklügelten Choreografien, fühlt man sich fast zu oft an eine Videoclip-Parade erinnert. Immerhin, die Animationen sind grossartig und die Nebenfiguren können überzeugen. ■ (aus)

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Interview vom 18. Juli 2014: Übersetzung aus dem Englischen

Anidrom: Bitte erzähl uns etwas von dir und darüber wie du zur Animation gekommen bist...

Jake Armstrong: Ich habe The Terrible Thing of Alpha-9! vor fünf Jahren als meine Diplomarbeit gemacht, und dieser Film war ein exzellentes Sprungbrett in die Animationsindustrie. Ich war sehr erfolgreich an Festivals und die meisten Projekte, an denen ich die nächsten Jahre gearbeitet habe, standen in direktem Bezug zu diesem Film oder zu jemanden, den ich während meiner Besuche an Festivals getroffen habe. Ich schätze mich darüber sehr glücklich, aber ich hab in der Schule hart gearbeitet und ich bin froh darüber, dass sich dies ausgezahlt hat. Heute bin ich ein Freelancer, arbeite hauptsächlich in NYC, aber zeitweise auch in LA und Portland für Film, Fernsehen, und Werbung, ich mache Storyboards, Animationen, Designs und führe auch Regie.

Anidrom: Welche Animationstechniken und/oder Programme hast du verwendet, um „Terrible Thing“ zu realisieren?

Jake Armstrong: „Terrible Thing“ wurde fast ausschliesslich mit Flash gemacht, frame-by-frame, handgezeichnet. Ich verwendete After Effects für einfache Unschärfen und Anpassungen der Beleuchtung, Protools für den Ton, das finale Rendering dann mit Final Cut.

Anidrom: Wie sah dein Arbeitsprozess aus, also, wie sieht dein Workflow aus? Wie behältst du den Überblick und wie lange hast du gebraucht, um den Film zu vollenden?

Jake Armstrong: Ich bevorzuge mit einer Idee anzufangen und zuerst langsam eine Prämisse zu skizzieren, dabei gebe ich mir genügend Zeit alles richtig anzuordnen. Für diesen Film habe ich das also zuerst gemacht, dann das Storyboard erstellt und sogleich die Bilder auf ihre Lauflänge angepasst und daraus ein rudimentäres Animatic gemacht. Der zweite Durchgang beinhaltete eine grobe Voranimation des Films, für die ich im Grunde kleine Skizzen aller Extreme mache, um das Storytelling und Timing vollständig sehen zu können. Die habe ich auf acht Bilder pro Sekunde (8FPS) animiert,

Ein Kopfgeldjäger fliegt mit seinem Raumschiff zu einem weit entfernten Planeten, um ein schreckliches Monster zu töten...

Vor drei Wochen hat Jake Armstrong “The Terrible Thing of Alpha-9!” (2009) offiziell im Internet veröffentlicht. Der richtige Zeitpunkt, um uns mit Jake über diesen Kurzfilm zu unterhalten.

◄ Zum Videooder: vimeo.com/99694729

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um ein Gefühl für die Bewegungen zu bekommen (eine alte Looney Tunes Methode). Sofort danach fügte ich rudimentäre Soundeffekte und Hintergrundgeräusche hinzu, damit ich das Timing besser spüre, und ab diesem Punkt hast du einen Film, der von den meisten Zuschauern vollständig verstanden wird. Von da an habe ich eine klare Vorstellung davon, wie viele Einstellungen es geben und wie lang der Film sein wird, also habe ich eine Produktionstabelle aller Einstellungen gemacht, inklusive Deadlines. Ich mache das gewissenhaft für all meine Produktionen. Als nächstes habe ich dann das grobe Layout erstellt und die Schlüsselbilder. Keine sauberen Linien, aber alle Hintergründe und Charakterposen waren ausgearbeitet. Ab da ist es einfach ein langer Prozess, die Hintergründe und Charaktere rein zu zeichnen, Inbetweenig ist der letzte Schritt vor der Farbe. Für meine eigene Arbeit mache ich keine Inbetweens als grobe Skizze. Der ganze Prozess, vom Storyboard bis zur Abgabe, dauerte etwa 10-11 Monate.

Anidrom: Was waren die grössten Schwierigkeiten bei deiner Animationstechnik und würdest du es wieder auf die gleiche Weise machen? Falls du grosse Anstrengungen überwinden musstest, um den Film zu beenden, wie hast du das geschafft?

Jake Armstrong: Dies klingt jetzt angeberisch, aber ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten während der Arbeit an „Terrible Thing“. Für meinen zweiten Film, „Mountain Ash“, habe ich verschiedene Strategien ausprobiert, die alle nicht von Erfolg gekrönt waren. Im Vergleich zu meinen anderen Produktionen war „Terrible Thing“ diejenige, die am einfachsten von der Hand ging. Ich habe jeden Tag acht Stunden am Film gearbeitet (damals war ich noch Student), ich habe nie später als neun Uhr morgens angefangen. Samstags hätte ich arbeiten können, aber das war nicht nötig. Sonntags war der Computerraum nicht zugänglich, also habe ich an diesem Tag versucht, nicht an den Film zu denken. Extraschichten oder Nachtarbeit habe ich nur gemacht, weil mir das Zeichnen am Film so viel Spass bereitet hat und ich einfach nicht damit aufhören konnte. Die meisten Tage bin ich darum auch nach 17 Uhr noch einige Stunden geblieben. Ich habe die Produktion auch abwechslungsreich gestaltet: an manchen Tagen war Sound das Thema, an manchen Hintergründe, manchmal hab ich mich aufs Timing konzentriert oder einen Witz überarbeitet. Bei „Mountain Ash“ versuchten wir

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hart und schnell zu arbeiten, aber die Produktion glich einem Elefanten im Porzelanladen. Macht das nicht! Plant voraus und arbeitet mit gleichbleibender Geschwindigkeit, dann geht alles locker von der Hand und macht Spass.

Anidrom: Wie ist dir die Geschichte eingefallen und wo hast du Inspiration dafür gefunden?

Jake Armstrong: Ich hatte genug von Cartoons, die alles so machen, wie man es erwartet, in denen man davon ausgehen konnte, dass das Monster den Mann rettet, sie Freunde werden ...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Also habe ich zwar so einen Film gemacht, aber ihn in die Realität versetzt. Der Mann ist ein Trottel, und er macht eine wirklich schlimme Sache, also bekommt er was er verdient. Das Monster ist nur ein Opfer der Umstände, und bekommt leider nie was es verdient. Die Charaktere basieren wesentlich auf Beowulf und Grendel. Das Storytelling ist an The Twilight Zone und The Outer Limits angelehnt. Der visuelle Stil ist durch verschiedene Indie-Comics inspiriert.

Anidrom: Du hast ein grossartiges Gespür für Spannung, Action, Humor und ein bisschen Melancholie. Für mich ist es eine Kombination eines alten Space-Monster B-Movies und Looney Tunes. War das auch deine Absicht oder warst du am Ende überrascht, was daraus geworden ist?

Jake Armstrong: Das war von Anfang an der Plan. Ich wurde inspiriert durch einzelne Folgen der Looney Tunes, wie „The Abominable Snow Rabbit“, aber ich hatte auch das Gefühl, dass ein Animationsfilm, der seine Inspiration lediglich daraus beziehen würde, zu soft und rein wäre. Darum wollte ich eine Geschichte machen, die den Ton ändert, genau so, wie jede Folge von The Twilight Zone funktioniert. Sie zeigen dir eine Geschichte und stellen sie dann auf den Kopf. Das Ding mit dem Weltraummonster hat einfach gepasst und hat mir Spass gemacht zu zeichnen. Ich mochte die sanften Sci-Fi- und Monsterfilme der 1960er-Jahre schon immer sehr.

Anidrom: Kannst du uns noch etwas mehr darüber erzählen, wie du die Charaktere, den Schauplatz und die Farben gewählt hast?

Jake Armstrong: Ich habe die Charaktere ganz einfach aus Gründen der Einfachheit und

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Kieselsteinchen los, das den Helm des Mannes zerspringen lässt, aber das hat sich dann so angefühlt, als würde das Monster den Mann tatsächlich töten. Ich wollte, dass das Monster vollständig unschuldig ist und eine tragische Figur. Es hat etwas einer griechischen Tragödie.

Anidrom: Wird das Monster jemals jemanden finden? Vielleicht ein anderes Monster und gar kein menschliches Wesen?

Jake Armstrong: Ich glaube nicht. Aber da ist irgendwo ein Witz versteckt, tragisches kann ziemlich lustig sein.

Anidrom: Wenn ich den Kurzfilm herum zeige, so findet sich der erste Moment, an dem die Zuschauer vorausschauend etwas erahnen und erwarten, an jenem Punkt, als das Raumschiff auf dem Planeten gelandet ist. Unter dem Raumschiff befindet sich ein roter Schatten, der so aussieht, als hätte es irgendetwas oder irgendjemanden zerquetscht. Aber du zeigst nie, ob das wirklich der Fall war. Ist dir dieser Schattenwurf auch aufgefallen? War das einfach eine ungeschickte Farbwahl?

Jake Armstrong: Ich vermute das ist eine schlechte Farbwahl. Ganz ehrlich, ich habe das bisher nie in Betracht gezogen. Ich dachte einfach, Rot sieht gut aus und der Boden würde diese Farbe annehmen. Wahrscheinlich vergesse ich manchmal die allgemeine Farbtheorie, die besagt, dass Rot immer als Blut interpretiert wird. Aber trotzdem, eine gelungene Lesart.

Anidrom: Gibt es für dich irgendwelche Helden im Umfeld der Animation, die du bewunderst und die dich inspirieren?

Vielfältigkeit so designt. Beide sind sehr einfach, aber beide können süsse oder gemeine Momente ausdrücken, falls benötigt. Es ist ein Kurzfilm, also war es mir sehr wichtig, dass man auf den ersten Blick erkennen würde, was sie sind. Die Farbe und die Hintergründe waren ziemlich experimentell, weil ich mich nie wirklich damit beschäftigt habe. Ich habe mich ein wenig auf die Comics von Jordan Crane gestützt, weil sie so simpel und perfekt sind.

Anidrom: Der Kurzfilm funktioniert sehr gut ohne Musik. Kannst du uns etwas über diese Entscheidung erzählen?

Jake Armstrong: Das war eine Entscheidung in letzter Minute, weil ich nicht genug Zeit eingeplant hatte, am Schluss noch Musik zu schreiben, obwohl ich eigentlich schon damit begonnen hatte. Ich habe mich aber frühzeitig mit dem Sound-Design auseinandergesetzt, also habe ich den Film Freunden auszugsweise gezeigt und sie schienen ihn zu mögen und auch zu verstehen, auch ohne Musik, also hab ich sie weggelassen. Schlussendlich hat es zur unwirtlichen Atmosphäre auf dem Planeten gepasst, daher bin ich glücklich, dass es so funktioniert hat.

Anidrom: Die Geschichte dreht sich grundsätzlich um ein Monster, das einen Freund sucht und eigentlich nur spielen will. Aber man kann auch eine tiefere Botschaft über Vorurteile und Missverständnisse hinein interpretieren, beider Seiten, des Astronauten und des Monsters. Geht diese Interpretation schon etwas zu weit?

Jake Armstrong: Das passt so ganz genau. Ich habe sogar viele verschiedene Arten ausgearbeitet, wie der Mann sterben soll und die Auswirkungen. Zum Beispiel stellte ich das Monster auf eine Klippe, oberhalb des Mannes, und es tritt ein

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Jake Armstrong: Klar. Bill Plympton und John Krisfaluci haben mich sehr inspiriert, weil sie es zulassen, radikal anders zu sein, als die anderen in ihrem Bereich.

Anidrom: Was ist dein liebster Weltraum-Film und welches dein liebster Monster-Film und warum?

Jake Armstrong: Ich liebe Forbidden Planet, weil Leslie Nielsen einfach so grossartig ist. Auch weil der Film der Inbegriff der 1960er-Jahre Soft-Science-Fiction-Filme ist. Auch das Monster

ist in diesem Film ziemlich grossartig. Aber mein Lieblingsmonster ist John Carpenters The Thing. Die Tatsache, dass man das Monster nie wirklich sieht, da es sich in den Menschen befindet und sie kontrolliert, ist total beängstigend.

Anidrom: Welche zwei animierten Langfilme magst du besonders?

Jake Armstrong: In meiner Kindheit war ich von The Nightmare before Christmas besessen, mehr als von allem anderen. Ich habe den Film zwar

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Jake Armstrong hat sein Studium 2009 an der School of Visual Arts erfolgreich abgeschlossen und lebt heute in Brooklyn. Er führt Regie, macht Designs, schreibt, zeichnet Storyboards und macht 2D-Animationen mit Flash und Photoshop.

Zu seiner Kundschaft zählen Cartoon Network, Nickelodeon, Laika, Blue Sky, Augenblick, Buck, Hornet, Psyop, Blacklist, Mixtape Club, JWT, Brand New School, Charlex, Shilo, Transistor, und andere. Er hat an TV-Sendungen wie die „Regular Show“, „Superjail“, „Robotomy“, „T.I. & Tiny: Holiday Hustle“, „Yo Gabba Gabba“ und „Ugly Americans“ mitgearbeitet.

Bis heute hat er zwei Kurzfilme gemacht: The Terrible Thing of Alpha-9! (2009) und Mountain Ash (2013). Beide Filme wurden weltweit an über 90 Festivals gezeigt und haben zahlreiche Preise gewonnen, darunter die Preise als „Best Animated Short“ am Woodstock und „Best Student Film“ in Ottawa, ausserdem wurde „Terrible Thing“ bei Canal+ und anderen TV-Sendern gezeigt.

nicht gesehen, bis er auf VHS veröffentlicht wurde, aber ich habe den Soundtrack und die Spielzeuge trotzdem gekauft, weil ich wusste, dass es der beste Film sein würde, der je gemacht wurde. Und ich hatte recht. Auch Fantastic Mr. Fox ist einer meiner Lieblingsfilme. Ich glaube sogar, dass ich Stop-Motion-Filme tausend Mal lieber habe als handgezeichnete.

Anidrom: Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Jake Armstrong: Weiterhin arbeiten und schreiben, Regie führen, und Designs machen, so dass ich irgendwann meine eigenen Arbeiten in Vollzeit ausführen kann. Weiter Kurzfilme machen und irgendwann würde ich sehr gerne an einem Langfilm arbeiten. Ich bin noch ziemlich jung, also habe ich noch einen Haufen Arbeit vor mir, bis ich das erreichen kann. Vielleicht liest das jemand und fragt mich, ob ich seinen Langfilm machen möchte. Drückt die Daumen.

Anidrom: Vielen Dank für die offenen Worte und alles Gute für die kommenden Projekte. ■

http://www.jakedraws.net/http://jakedraws.tumblr.com/

E-Mail: [email protected]

Clip anschauen:http://vimeo.com/99694729

Director: Jake ArmstrongAdvisor: Don Poynter

Assistants: Kat Morris, Mirella Toncheva,Aleth Romanillos

Spaceman Voice: Paul Villeco

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