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Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel Fakultät Betriebswirtschaft Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg www.ruckriegel.org Glücksforschung – Erkenntnisse und Konsequenzen für die Zielsetzung der (Wirtschafts-) Politik “The happiness of mankind … seems to have been the original purpose intended by the Author of nature, when he brought them into existence.” Adam Smith, The Theory of moral Sentiments, 1759 Die Ergebnisse der interdisziplinären Glücksforschung sind gerade dabei, eine Epochenwende herbeizuführen: weg vom Denken in Kategorien des Wirtschaftswachstums, hin zum Denken in den Kategorien eines „besseren Lebens“ (OECD). Es geht nicht mehr um eine Erhöhung des Einkommens, es geht um eine Steigerung der Lebensqualität und des (subjektiven) Wohlbefindens, und beides sind zwei ganz verschiedene Dinge: Mehr Einkommen macht uns (nicht mehr) glücklich(er). „Neuere Ansätze in der Volkswirtschaftslehre („Glücksforschung“) untersuchen den Zusammenhang zwischen steigenden Einkommen und Wohlergehen und kommen zu dem Ergebnis, dass selbst wenn die Zunahme des BIP zu einer Steigerung des objektiven Wohlstands führt, dies nicht gleichbedeutend ist, dass es den Menschen subjektiv besser geht.“ (ifo-institut, 2011). Ganz abgesehen davon, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch als Maßstab für die gesamtwirtschaftliche Leistung (Einkommen) höchst problematisch ist, da sowohl die Schädigung der Umwelt als Preis unseres Wirtschaftens als auch die private Haushaltsproduktion nicht erfasst werden, und die Marktpreise nach den Erkenntnissen der Behavioral Economics (Psychologische Ökonomik) nur sehr bedingt etwas 1

Transcript of Web viewDie OECD hat Ende Mai 2011 anlässlich ihres 50 jährigen Bestehens eine radikale...

Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel

Fakultt Betriebswirtschaft

Georg-Simon-Ohm Hochschule Nrnberg

www.ruckriegel.org

Glcksforschung Erkenntnisse und Konsequenzen fr die Zielsetzung der (Wirtschafts-) Politik

The happiness of mankind seems to have been the original purpose intended by the Author of nature, when he brought them into existence.

Adam Smith, The Theory of moral Sentiments, 1759

Die Ergebnisse der interdisziplinren Glcksforschung sind gerade dabei, eine Epochenwende herbeizufhren: weg vom Denken in Kategorien des Wirtschaftswachstums, hin zum Denken in den Kategorien eines besseren Lebens (OECD). Es geht nicht mehr um eine Erhhung des Einkommens, es geht um eine Steigerung der Lebensqualitt und des (subjektiven) Wohlbefindens, und beides sind zwei ganz verschiedene Dinge: Mehr Einkommen macht uns (nicht mehr) glcklich(er). Neuere Anstze in der Volkswirtschaftslehre (Glcksforschung) untersuchen den Zusammenhang zwischen steigenden Einkommen und Wohlergehen und kommen zu dem Ergebnis, dass selbst wenn die Zunahme des BIP zu einer Steigerung des objektiven Wohlstands fhrt, dies nicht gleichbedeutend ist, dass es den Menschen subjektiv besser geht. (ifo-institut, 2011).

Ganz abgesehen davon, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch als Mastab fr die gesamtwirtschaftliche Leistung (Einkommen) hchst problematisch ist, da sowohl die Schdigung der Umwelt als Preis unseres Wirtschaftens als auch die private Haushaltsproduktion nicht erfasst werden, und die Marktpreise nach den Erkenntnissen der Behavioral Economics (Psychologische konomik) nur sehr bedingt etwas ber den Nutzen aussagen, gibt das BIP zumindest in den westlichen Industrielndern - keine Antwort mehr auf die entscheidende Frage des gesellschaftlichen Fortschritts. Hier sind vielmehr die Erkenntnisse der interdisziplinren Glcksforschung, an der insbesondere Neurobiologen, konomen, Psychologen und Soziologen gemeinsam arbeiten, zentral.

Im Folgenden werden nach einer grundstzlichen Positionsbestimmung der konomik als Teil der Sozialwissenschaften die Erkenntnisse der interdisziplinren Glcksforschung dargestellt, um daraus schlielich Folgerungen fr die (Wirtschafts-) Politik abzuleiten.[footnoteRef:1] [1: Ein kurzer berblick zu den Ergebnissen der Glcksforschung findet sich auch im Vortrag The Economics of Happiness, den der US-amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke im Mai 2010 vor Absolventen der University of South Carolina gehalten hat (Bernanke, 2010). ]

I. Von der Neoklassik zur konomik als Teil der Sozialwissenschaften

Kern der Neoklassik ist eine Annahme: Alles, was die Neoklassik zu sagen hat, baut auf der Fiktion des Homo oeconomicus auf, d.h. es wird in allen Modellen ein typisches Wirtschaftssubjekt unterstellt, das sich wie ein Home oeconomicus verhlt. Ein Homo oeconomicus ist ein Konstrukt (Annahme/Fiktion), das vollkommen rational denkt, absolut willensstark (zeitkonsistent) ist und rein egoistisch seinen Nutzen/ Gewinn maximiert. Daniel Kahneman (2003, S. 162), der fr seine Kritik am Home oeconomicus bereits 2002 den Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften bekam, verweist hier darauf, dass er seine erste Begegnung mit den psychological assumptions of economics Anfang der 70er Jahre hatte, als Bruno Frey in einem Artikel schrieb, dass the agent of economic theory is rational and selfish, and that his tastes do not change, wobei er als Psychologe davon kein Wort glauben konnte (not to believe a word of it).

Ich kann die Bewegung der Himmelskrper berechnen, nicht aber die Tollheit der Menschen.

Sir Isaac Newton

Im Aufsatz Anlegerverhalten in Theorie und Praxis, der im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Januar 2011 erschienen ist, beschftigt sich die Deutsche Bundesbank mit der Frage, inwieweit man mit dem neoklassischen Ansatz das Verhalten auf den (Finanz-)Mrkten erklren kann. Das Ergebnis fllt vernichtend fr die Neoklassik aus. Die Bundesbank schlgt daher vor, auf die Anstze der Behaviroal Economics zurckzugreifen, die sie in diesem Aufsatz auch nahezu lehrbuchmig erlutert. Eine solche Art einer lehrbuchmigen Darstellung ist auergewhnlich fr den Still des Monatsberichts. Offenbar besteht hier aus Sicht der Deutschen Bundesbank ein groer Erklrungs- und Verbreitungsbedarf (zum Eingang der Erkenntnisse der Psychologischen konomik in das Handeln der Europischen Zentralbank im Verlauf der letzten Finanzkrise(n) siehe Ruckriegel, 2011a). Dass die Neoklassik kaum Erklrungsrelevanz fr die Realitt hat, verwundert auch nicht, wenn man sich klar macht, wie die Home oeconomicus Annahme Eingang in die konomik fand. Sie wurde ohne jegliche sozialwissenschaftliche Fundierung schlichtweg als Annahme gesetzt. Die Erfindung bzw. Setzung des Homo oeconomicus geht auf das Werk von Leon Walras (1834-1910) in der zweiten Hlfte des 19. Jhr. zurck. Dieses Konstrukt (Annahme/Fiktion) war notwendig, damit Walras mathematische Gesetzmigkeiten aus der Newton`schen (mechanischen) Physik des 17. Jahrhunderts auf die konomik bertragen konnte. Dies war seine Innovation / Neuerung fr die konomik (Beinhocker, 2007; Ruckriegel 2010a). Bereits 1887 kritisierte Emile Durckheim dieses Vorgehen scharf: Ist die Anwendung von Abstraktionen nicht ein legitimes Mittel in der konomie? Ohne Zweifel nur sind nicht alle Abstraktionen gleichermaen korrekt. Eine Abstraktion besteht in der Isolierung eines Teils der Realitt, nicht indem man sie verschwinden lsst. Die Homo oeconomicus Annahme hat eine neoklassische Kunstlehre im luftleeren Raum erst mglich gemacht. Der Beitrag der konomik zur interdisziplinren Glcksforschung kann daher auch nicht auf dieser Kunstlehre, sondern nur auf der Behaviroal Economics, also der psychologischen konomik, fuen. Die zentralen Erkenntnisse der Behaviroal Economics sind dabei, dass wir uns meist nicht sehr rational verhalten, dass die meisten von uns weniger egoistisch, sondern vielmehr auf Fairness aus sind, dass unser Verhalten wenig zeitkonsistent ist und dass Maximieren eher unglcklich macht (Mai/Rettig, 2011; Ruckriegel, 2011b).

Die Konsequenzen sind klar: Die Wirtschaftspolitik kann nicht weiter neoklassischen Empfehlungen folgen, da diesen schlichtweg die sozialwissenschaftliche Fundierung fehlt und diese damit zu gravierenden Fehlentscheidungen fhren knnen - man denke hier nur an die katastrophalen Folgen der Deregulierung der Finanzmarkte im Glauben an rationale Finanzmrkte/Marktteilnehmer. Wir knnen uns auch nicht auf freie Mrkte verlassen, da hierzu schlichtweg die rationalen Akteure fehlen. Wir brauchen Regulierung, Verbraucherschutz und oftmals leichte Hilfestellungen bei unseren Entscheidungen (soft paternalism Thaler/ Sunstein, 2009). Die Regierung muss auch abgehen von der Fixierung auf das Wirtschaftswachstum als primres Ziel. Nicht das Bruttoinlandsprodukt ist entscheidend, sondern das Bruttonationalglck. Wie sagten schon Aristoteles und Thomas von Aquin: Glck ist das letzte Ziel menschlichen Handelns. Der in der Vergangenheit hufig gebrauchte Satz Wirtschaftswachstums ist nicht alles, aber ohne Wirtschaftswachstum ist alles nichts. ist in seiner Aussage ebenso einprgsam wie grundlegend falsch.

II. Was ist Glck/ Zufriedenheit (subjektives Wohlbefinden)?

In der Glcksforschung beschftigt man sich mit Glck im Sinne des Glcklichseins, also mit dem subjektiven Wohlbefinden und nicht mit dem Glckhaben, also dem Zufallsglck (z.B. einem Lottogewinn Luck im Englischen).

Es gibt zwei Ausprgungen des subjektiven Wohlbefindens (Bernanke, 2010, S. 2; Diener/ Helliwell/ Kahneman, 2010, S. xi; Frey/ Frey Marti, 2010, S. 13 und 17f.):

Emotionales Wohlbefinden (Happiness im Englischen): Glcklichsein im Moment (Verhltnis zwischen positiven und negativen Gefhlen im Tagesdurchschnitt);[footnoteRef:2] [2: Ein von Barbara Fredrickson entwickelter Test zum Verhltnis von positiven und negativen Gefhlen findet sich in Ruckriegel, 2010b, Anlage 1.]

Kognitives Wohlbefinden (Satisfaction or Contentment im Englischen): Glcklichsein als dauerhaftes Gefhl, generelle Zufriedenheit mit dem Leben. Hier findet eine Abwgung zwischen dem was man will (den Erwartungen) und dem was man hat, statt. [footnoteRef:3] [3: Ein von Ed Diener entwickelter Test zur Lebenszufriedenheit findet sich in Ruckriegel, 2010b, Anlage 2.]

Dabei sind beide Ausprgungen des subjektiven Wohlbefindens stark korreliert (Diener/ Helliwell/ Kahneman, 2010, S. xiii; auch werden diese Ergebnisse i.d.R. durch Fremdeinschtzungen - Angehrige, Freunde, Experten, Experten- und Stressmessungen Herzfrequenz, Blutdruck, Kortisolgehalt besttigt; vgl. hierzu Powdthavee, 2010, S. 18-20).[footnoteRef:4] [4: Die Positive Psychologie, die sich seit Ende der 90er Jahre als neue wissenschaftliche Disziplin in der Psychologie etabliert hat, beschftigt sich mit dem, was der Einzelne bzw. die Unternehmen tun knnen, um glcklicher/ zufriedener zu werden bzw. um die MitarbeiterInnen glcklicher/ zufriedener zu machen, was auch im Interesse der Unternehmen liegt (im Einzelnen hierzu Lyubomirsky, 2008; Rath/Harter, 2010, Ruckriegel 2010b). ]

III. Glck und konomie Was ist und wie wird Nutzen gemessen?

konomie ist die Kunst, das Beste aus unserem Leben zu machen.

George Bernhard Shaw

Wenn es im Leben um Glck/Zufriedenheit (Wohlbefinden) geht, dann muss man sich berlegen, wie man (jetzt und spter) seine Zeit so verwendet, dass man ein hohes Ma an Wohlbefinden im Leben erfhrt. konomisch gesprochen geht es also um die Frage, wie man das knappe Gut Zeit (Input) so nutzt, dass man letztlich also bers ganze Leben gerechnet - in hohem Mae glcklich/ zufrieden ist, d.h. sich wohlfhlt (Output). Fr diesen Output wird in der konomischen Terminologie das Wort Nutzen verwendet (Bernanke, 2010, S. 2; Frey/ Frey Marti, 2010, S. 26; Sachs et al., 2010, S. 5). Nutzen ist